Forschungskonzept Gesundheit 2021-2024 - Bundesamt für ...
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Inhalt Vorwort 5 1. Einleitung 6 2. Forschung der Bundesverwaltung 7 Gesetzlicher Auftrag 7 Ressortforschung und Evaluation im Bundesamt für Gesundheit 7 Rolle und Aufgaben der Ressortforschung 8 3. Forschung im Politikbereich Gesundheit 10 Rückblick 2017–2020 10 Sozialwissenschaftliche Sichtweisen auf Gesundheits- und Krankheitstrends in der Schweiz 10 Gesundheitspolitischer Rahmen für die Schweiz 15 Herausforderungen und Handlungsbedarf 15 4. Forschungsschwerpunkte 2021–2024 18 Versorgungsforschung 18 Nationale Gesundheitsstudie 18 5. Finanzierung 19 Rückblick 19 Ausblick 2021–2024 20 6. Akteure und Schnittstellen 22 Die Privatwirtschaft 22 Schnittstellen zum Hochschulbereich 23 Der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung 23 Innosuisse – Schweizerische Agentur für Innovationsförderung 27 Die Akademien der Wissenschaften Schweiz 27 Der Schweizerische Wissenschaftsrat 30 Andere Bundesstellen 31 Private Organisationen ohne Erwerbszweck 36 Internationale Zusammenarbeit 38 7. Qualitätssicherung in der Ressortforschung 40 Kriterien der BAG-internen Qualitätssicherungsmassnahmen in der Ressortforschung 41 Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024 | 3
Anhang A1: Definition der Forschung der Bundesverwaltung 43 Anhang A2: Gesetzliche Grundlagen 44 Einleitung 44 Artikel der Bundesverfassung 44 Allgemeingesetzliche Grundlagen und weitere Bestimmungen 44 Spezialgesetzliche Grundlagen 46 4 | Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024
Vorwort Politik und Verwaltung sind auf Die Ressortforschung im Bereich Gesundheit bearbei- Wissenschaft und Forschung tet Fragen im Zusammenhang mit dem Gesundheits- angewiesen, um sachlich be- schutz der Bevölkerung, der Prävention und Gesund- gründete Entscheide fällen zu heitsförderung und der Gesundheitsversorgung. Sie können. richtet sich aus am Bedarf der Strategie des Bundes- rates «Gesundheit 2030» sowie an der Aufgabenerfül- Die Rahmenbedingungen für lung des Bundesamtes für Gesundheit und anderer gute Gesundheit unterliegen ei- Ämter, die gesundheitsrelevante Themen bearbeiten. nem kontinuierlichen Wandel. Die Digitalisierung hält Einzug in Neben der Ressortforschung untersucht das «Instru- das Gesundheitssystem und der ment» Evaluation Fragen der Zweckmässigkeit, der demografische Wandel fordert alle Akteure heraus, Wirkung und Wirtschaftlichkeit staatlichen Handelns. passende Konzepte zu entwickeln. Gesundheitsförde- Evaluation dient sowohl der Optimierung von Mass- rung und Prävention sowie der Gesundheitsschutz der nahmen als auch der Rechenschaftslegung gegenüber Bevölkerung werden immer wichtiger. Zudem wün- Politik und Öffentlichkeit. schen sich Bürgerinnen und Bürger eine effizientere und bezahlbare Gesundheitsversorgung und mehr Pa- Mein Dank gilt allen, die zu diesem Forschungskon- tientenorientierung. Und nicht zuletzt bleibt Gesund- zept beigetragen haben. Es liefert eine gute Übersicht heit ein globales Thema. über die vielfältigen Herausforderungen und Aktivitä- Wie können wir unser Gesundheitssystem (Gesund- ten in der Periode 2021–2024. heitsförderung, Prävention, Versorgung, Pflege, Reha- bilitation) besser machen und die Kosten eindämmen? Bundesamt für Gesundheit Kluge Ideen und innovative Konzepte sind gefragt, um Der Direktor den Wandel im Gesundheitssystem zu gestalten. Da- für liefert die Nationale Forschung und die Ressort- forschung des Bundes wissenschaftliche Erkenntnisse und damit verbunden das notwendige Handlungs- und Orientierungswissen. Pascal Strupler In der Periode 2017–2020 setzte der Bundesrat mit der Lancierung des Nationalen Forschungsprogramms 74 «Gesundheitsversorgung» ein starkes Signal zur Stär- kung der Versorgungsforschung in der Schweiz. Das NFP 74 fördert eine innovative Versorgungsforschung, die hilft, konkrete Herausforderungen in der Behand- lung von chronisch kranken Menschen zu bewältigen. Das Programm endet 2023. Es stellt sich bereits heute die Frage nach dem «Wie weiter?». Ziel der Versorgungsforschung ist es, Erkenntnisse zu gewinnen, wie sich die Strukturen der Kranken- und Gesundheitsversorgung optimieren, die Versorgungs- qualität und die Effizienz steigern, die Über-, Unter- und Fehlversorgung reduzieren und die Patienten- orientierung und -sicherheit erhöhen lassen. Versor- gungsforschung bleibt eine Priorität in der Periode 2021–2024. Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024 | 5
1. Einleitung Das Forschungskonzept Gesundheit für die Jahre 2021–2024 und legt deren Schwerpunkte richtet sich an Fachleute und an Laien. fest. In Ergänzung zum vorliegenden Konzept wurde Es verschafft den Leserinnen und ein Katalog der Ressortforschungsthemen des Bun- Lesern einen Überblick über die desamts für Gesundheit (BAG) publiziert. Dieser be- Forschung im Politikbereich schreibt die Forschungsstrategien und -themen der Gesundheit. einzelnen Geschäftsfelder des BAG. Beide Dokumente stehen auf der Website des BAG zur Das Forschungskonzept Gesundheit definiert die For- Verfügung: www.bag.admin.ch/forschung. schungstätigkeit des Bundes im Bereich Gesundheit 6 | Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024
2. Forschung der Bundesverwaltung Die Bundesverwaltung vertraut auf den Beitrag der sowie Beiträge an internationale wissenschaftliche Forschung bei der Bewältigung gesellschaftlicher Institutionen und Organisationen zur Strukturfinanzie- Probleme und Herausforderungen. Aus diesem Grund rung. gibt sie Forschungsarbeiten in Auftrag oder fördert diese. Die Forschung der Bundesverwaltung wird als Ressortforschung bezeichnet und zielt auf den Erwerb Gesetzlicher Auftrag und den Ausbau von Kenntnissen ab, auf denen die politischen Strategien des Bundes basieren. Sie um- Das Engagement des Bundes in der Forschung und fasst Tätigkeiten in den Bereichen Forschung, Ent- Forschungsförderung wird durch Art. 64 der Bundes- wicklung, Evaluation und Erstellung von wissenschaft- verfassung (SR 101 1) legitimiert, indem der Bund die lichen Expertisen (vgl. Anhang A1 zur Definition der wissenschaftliche Forschung und die Innovation för- Ressortforschung). dert, bzw. Forschungsstätten errichten, übernehmen oder betreiben kann. Ressortforschung ist aufgaben- Mit der Totalrevision des Forschungs- und Innova- bezogen und steht im Dienst der tionsförderungsgesetzes (FIFG, SR 420.1) im Jahr Gesellschaft. 2012 ist dieses zu einem Rahmengesetz für die Res- sortforschung ausgearbeitet worden: Die Bundesver- Die Ressortforschung liefert Analysen und Modelle waltung ist ein Forschungsorgan, soweit sie für die Er- und spielt eine zentrale Rolle bei der Konzeption poli- füllung ihrer Aufgaben Ressortforschung betreibt oder tischer Strategien. Sie kann deren Wahl durch den Aufgaben der Forschungs- und Innovationsförderung Nachweis der Angemessenheit (Zweckmässigkeit), wahrnimmt (Art. 4, Bst. d). der Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit staatlicher Massnahmen legitimieren. Mittelfristig hilft sie dem Neben der übergeordneten Verankerung im FIFG ist Bund dabei, seine strategische Ausrichtung festzule- die Forschung der Bundesverwaltung auf über 50 spe- gen. Die Ressortforschung dient auch der Früherken- zialgesetzliche Bestimmungen abgestützt. In diesen nung von Problemfeldern, indem sie gesellschaftliche werden direkte Forschungsaufträge oder Finanzie- Probleme untersucht, zu deren Lösung staatliche Mas- rungsverpflichtungen durch den Bund vorgegeben, snahmen notwendig sind. bzw. direkte Evaluations-, Erhebungs- oder Prüfungs- aufträge formuliert, die entsprechende wissenschaft- Als politikorientierte, praxisnahe und in der Regel inter- liche Arbeiten voraussetzen. Zudem werden For- disziplinäre Forschung ist die Ressortforschung her- schungsaufgaben in zahlreichen Gesetzen und Ver- ausgefordert, in einem komplexen Umfeld oftmals ordnungen präzisiert. rasch Lösungen auf konkrete Fragen zu entwickeln. Nicht zur Ressortforschung gehören die Ausgaben der Ressortforschung und Evaluation vom Bund finanzierten Hochschulen und Forschungs- im Bundesamt für Gesundheit anstalten des Hochschulbereichs, Beiträge (Subven- tionen) des Bundes an den Schweizerischen National- Ressortforschung und Evaluation tragen im Bundes- fonds zur Förderung der wissenschaftlichen For- amt für Gesundheit bedarfsgerecht zu evidenzbasier- schung (SNF), an die Schweizerische Agentur für In- ter und -informierter Politikgestaltung und -umsetzung novationsförderung (Innosuisse) und an wissenschaft- bei. Diese Funktion ist schematisch in der Abbildung liche Institutionen gemäss dem Forschungs- und Inno- 2.1 dargestellt. vationsförderungsgesetz (Akademien, Forschungsinf- rastrukturen und Technologiekompetenzzentren etc.) 1 https://www.admin.ch/gov/de/start/bundesrecht/systematische-sammlung.html, SR-Nummer als Suchkriterium Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024 | 7
Abb. 2.1 Evidenzinformierte und evidenzba- Direktionsbereichsübergreifende Ressortforschungs- sierte Politikgestaltung und -umset- geschäfte werden durch die Fachstelle Evaluation und zung Forschung koordiniert. Diese ist unter anderem für den Einsatz von ARAMIS (Forschungsdatenbank des Bun- des) im Amt sowie für die Erstellung des Forschungs- Politik- und Strategieentwicklung, konzepts verantwortlich. Das Evaluationsmanagement Aufgabenerfüllung im BAG ist ebenfalls in der Fachstelle Evaluation und Forschung zentralisiert. Evaluationen tragen zur Optimierung staatlichen Handelns bei und legen Rechenschaft ab gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Ressortforschung; Rolle und Aufgaben der Evaluation Monitoring Ressortforschung Quelle: Bundesamt für Gesundheit (BAG) Die Ressortforschung im Bereich Gesundheit bearbei- tet Fragen im Zusammenhang mit dem Gesundheits- schutz der Bevölkerung, der Prävention und Gesund- Die Ressortforschung beschafft heitsförderung sowie der Gesundheitsversorgung. bedarfsgerechtes Wissen für Politik und Verwaltung. Das BAG identifiziert in seinen Aufgabenbereichen den Forschungsbedarf, setzt Forschungsschwer- Bei der Ressortforschung im BAG handelt es sich pri- punkte in seinen Geschäftsfeldern, beschafft For- mär um Auftragsforschung und Beiträge an Dritte. Die schungswissen und vermittelt und nutzt dieses. Es ist Ressortforschung dient dabei der wissenschaftlichen vor allem mit externen Aufträgen in der Wissenspro- oder technologischen Erkenntnisgewinnung und Mei- duktion engagiert, nimmt Koordinationsaufgaben nungsbildung, deren Ergebnisse das BAG zur Bewäl- wahr, erstellt Synthesen der Forschungsresultate und tigung seiner Aufgaben benötigt. Die wichtigsten Part- nutzt mit seinen Partnern das erworbene Wissen. ner des BAG auf Stufe Bund sind das Staatssekretariat Abbildung 2.2 verdeutlicht die Rolle des BAG in der für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), der Ressortforschung. Schweizerische Nationalfonds (SNF), das Bundesamt für Statistik (BFS) sowie das Schweizerische Gesund- heitsobservatorium (Obsan). Ressortforschung grenzt sich von der Beratertätigkeit ab. Sie generiert neues, gesichertes Wissen, während Beratertätigkeit meist auf bestehendem Wissen und bestehender Evidenz aufbaut. Das BAG verfügt über eine integrierte Aufgaben- und Ressourcenplanung. Geplant und gesteuert werden die gemäss der BAG-Strategie festgelegten Aufgaben. In dieser Planung ist die Ressortforschungsplanung ein integraler, aufgabenbezogener Teil. Innerhalb des BAG ist die Ressortforschung dezentral organisiert. Die Geschäftsfeldverantwortlichen sind zugleich Forschungsverantwortliche. 8 | Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024
Abb. 2.2 Rolle und Aufgaben des BAG im Rahmen der Ressortforschung Wissensproduktion Koordination und Synthese Wissensnutzung Das BAG vergibt Forschungsauf- Das BAG steht im Rahmen des Das BAG kommuniziert Forschungs- träge und -beiträge an Dritte. Ressortforschungsmanagements an resultate an die Öffentlichkeit und an der Nahtstelle zwischen Wissens- Institutionen der Gesundheitsversor- produktion und Wissensnutzung. gung, nutzt selbst Forschungswissen und vermittelt Entscheidungsgrund- lagen an Politik, Verwaltung und Öf- fentlichkeit.. BAG beschafft Forschungswissen BAG vermittelt Wissen Informationen zu Gesundheit Öffentlichkeit (Bevölkerung, Besorgnis, Be- Medien) dürfnisse Hochschulen (Universitäten, FH, ETH) Forschungsauf- träge, Forschungs- Relevante For- Institutionen beiträge schungsergebnisse der Gesund- heitsversor- Forschungs- Bedarf / Bedürf- gung ergebnisse nisse aus Praxis Private BAG (Firmen, Institute (Ressort- und andere) forschung) Entscheidungs- grundlagen Politikinstanzen (Bund, Kantone, Bedarf Gemeinden) Vollzugsrele- vante Forschungs- ergebnisse Verwaltung (BAG und Bedarf, Rah- andere) menbedingungen BAG setzt Forschungsschwerpunkte BAG erkennt Forschungsbedarf SBFI*, SNF** BFS+ , (und andere) Obsan++ + * Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) Das Bundesamt für Statistik (BFS) ist die zentrale Institution der leitet die Politikvorbereitung und -umsetzung im Bereich der nationa- öffentlichen Statistik. Es liefert statistische Informationen für die len und internationalen Forschungspolitik der Schweiz. Es koordiniert Dauerbeobachtung wichtiger Lebensbereiche wie z. B. Gesundheit. die entsprechenden Tätigkeiten innerhalb der Bundesverwaltung und ++ stellt die Zusammenarbeit mit den Kantonen sicher. Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) ist ein von Bund und Kantonen getragenes Kompetenz-, Dienstleistungs- und ** Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) fördert Forschung im Auf- Informationszentrum für wissenschaftliche Analysen und Informatio- trag des Bundes. Das Förderungsportfolio beinhaltet Projektförde- nen über die Gesundheit der Bevölkerung, das Gesundheitswesen rung, Programme (Nationale Forschungsprogramme NFP; Nationale und die Gesundheitspolitik. Forschungsschwerpunkte NFS und andere), Karriereförderung, Infra- strukturen und Wissenschaftskommunikation. Quelle: Bundesamt für Gesundheit (BAG) Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024 | 9
3. Forschung im Politikbereich Gesundheit Rückblick 2017–2020 finden sich in ARAMIS, der Forschungsdatenbank des Bundes, www.aramis.admin.ch. In der Periode 2017–2020 wurden die nachfolgend aufgeführten «Projekte» als prioritär eingestuft und umgesetzt: Sozialwissenschaftliche Sicht- weisen auf Gesundheits- und Krankheitstrends in der Schweiz Nationale Forschungsprogramme NFP Gastbeitrag von Prof. Dr. Manfred Max Bergman, • NFP 67 «Lebensende» Fachbereich Soziologie der Universität Basel Das NFP 67 wurde erfolgreich durchgeführt. Siehe www.nfp67.ch. • NFP 69 «Gesunde Ernährung und nachhaltige Gesundheit und Krankheit, 1.0 Lebensmittelproduktion» Das NFP 69 wurde erfolgreich durchgeführt. Siehe Die Schweiz verfügt zwar über eines der besten www.nfp69.ch. Gesundheitssysteme der Welt, weist aber dennoch • NFP 72 «Antimikrobielle Resistenzen» teilweise dieselben Schwächen wie andere Hochlohn- Das NFP 72 wurde erfolgreich lanciert. Es endet länder auf. Ihr Gesundheitssystem ist äusserst teuer, 2023. Siehe www.nfp72.ch. und die Kosten wachsen weiter, was zum Teil zurück- • NFP 74 «Gesundheitsversorgung» zuführen ist auf steigende Verwaltungs- und Betriebs- Das NFP 74 wurde erfolgreich lanciert. Es endet kosten, auf mangelhafte Zusammenarbeit innerhalb 2023. Siehe www.nfp74.ch. und zwischen den beteiligten Akteursgruppen – Pati- entinnen und Patienten, Pflegefachpersonen, Ärztin- nen und Ärzte, Spitäler, Versicherer, Pharmaindustrie Evaluation der KVG-Revision im Bereich der Spi- und öffentliche Gesundheitsverwaltungen –, auf den talfinanzierung Umstand, dass der Schwerpunkt eher auf der Kran- kenbehandlung als auf der Gesundheitsförderung und Mit den neuen, seit 2012 geltenden Regeln der Spital- Krankheitsprävention liegt, sowie auf eine zuneh- finanzierung konnten die gesetzten Ziele insgesamt mende Prävalenz oder Komplexität chronischer Krank- erreicht werden. Zu diesem Schluss kommt die von heiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, 2012 bis 2019 durchgeführte Evaluation der KVG-Re- Asthma, bestimmte Krebsarten, HIV/AIDS, Alzheimer- vision im Bereich der Spitalfinanzierung. Der Bericht Krankheit und Parkinsonsyndrom. Üblicherweise wer- zeigt neben anderem, dass die Verstärkung des Wett- den chronische Krankheiten zwar eher mit älteren bewerbs und der Kostentransparenz den Spitälern ei- Menschen in Verbindung gebracht, aber die Zunahme nen Anreiz zu einer effizienteren Arbeitsweise gege- von bestimmten psychischen Störungen, Adipositas ben hat. Der Bundesrat hat den Bericht zur Kenntnis und Drogenmissbrauch zeigt, dass ihre Prävalenz in genommen und ist der Ansicht, dass eine Anpassung allen Altersgruppen stärker ausgeprägt ist als bisher des Gesetzes nicht notwendig ist. Er hat das Eidge- angenommen. Zusätzlich ist das Schweizer Gesund- nössische Departement des Innern (EDI) jedoch be- heitssystem ein Opfer seines eigenen Erfolgs: Hoher auftragt, die in der Evaluation aufgezeigten Schwä- Lebensstandard und gute Lebensqualität, längere Le- chen anzugehen. benserwartung und Begleitung am Lebensende wer- den teilweise durch höhere Standards und kontinuier- liche Fortschritte in den Bereichen therapeutische In- Ergebnisse der Ressortforschung terventionen, Medizinaltechnik und Pharmazeutika er- möglicht. Vor diesem Hintergrund konzentrieren sich Im Zeitraum 2017–2020 wurden zahlreiche Ressortfor- die Bemühungen zur Verbesserung der Gesundheits- schungsstudien abgeschlossen, deren Ergebnisse versorgung in der Schweiz vor allem auf die Verbesse- dem BAG Orientierungs- und/oder Handlungswissen rung und den Ausbau der Versorgungsleistung, die Pa- lieferten. Informationen über die Forschungsstudien tientenzentrierung und die Weiterentwicklung neuer 10 | Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024
Technologien und Arzneimittel. Ein ausgezeichnetes Gegenstand einer sozialwissenschaftlichen Untersu- repräsentatives Beispiel für die Vielfalt der Gesund- chung zu Gesundheit und Krankheit könnten in erster heitsthemen in der Schweiz sind die Projekte im Zu- Linie gesundheits- und krankheitsbezogene Struktu- sammenhang mit dem Nationalen Forschungspro- ren, Prozesse und deren Phänomenologie sein, in gramm 74 «Gesundheitsversorgung» (vgl. Kapitel zweiter Linie aber auch deren Assoziationen (Verknüp- 3.1.). Das Programm befasst sich mit der Effizienz und fungen), also direkte oder indirekte Antezedenzien Effektivität des Gesundheitssystems in Bezug auf die (Voraussetzungen, Ursachen), Konsequenzen oder ambulante, stationäre und häusliche Versorgung so- Mediatoren (vermittelnde Einflüsse). Die «Gender and wie die Übergänge dazwischen. Oberflächlich betrach- Health Group» des Swiss TPH konzentriert sich zum tet scheint das Gesundheitssystem in der Schweiz Beispiel auf die Frage, wie das Geschlecht die weitgehend aus einem geschlossenen, konzentrischen Gesundheit, das Gesundheitsverhalten, die Gesund- System zu bestehen: Im Mittelpunkt stehen die Patien- heitsversorgung und den Zugang zur Gesundheitsver- tinnen und Patienten, umgeben von Gesundheitsfach- sorgung beeinflusst. Dieser Ansatz impliziert, dass das personen, Sachbearbeitern und Buchhaltern, in einem Geschlecht das Antezedens oder der Mediator von Kreis von Versicherern, Entwicklern und Herstellern gesundheitsbezogenen Strukturen, Prozessen und von medizinischen Geräten und Technologien sowie Phänomenologien ist. Aber konzeptionelle und empiri- der Pharmaindustrie. Dieser Aufbau setzt ein weitge- sche Modelle können sehr komplex sein und eine As- hend mechanistisches, modulares System voraus, in soziationskette bilden. So könnte beispielsweise ein dem die Komponenten so aufeinander abgestimmt Rauchstopp (Phänomenologie) durch wiederholte sind, dass sie trotz medizinischer, technologischer, Rauchexposition und frühere Rauchstoppversuche pharmazeutischer und wirtschaftlicher Grenzen das (Antezedenzien) sowie durch mangelnde Unterstüt- Optimum im Gesundheitswesen bieten. zung durch einen rauchenden Ehepartner (Moderator, beeinflussende Faktoren) behindert werden. Die pri- märe Konsequenz in dieser Assoziationskette könnte Sozialwissenschaftliche Beiträge zu Gesundheit das Scheitern des Rauchstopps und die sekundäre und Krankheit, 1.0 Konsequenz eine rauchbedingte Verschlechterung des Gesundheitszustands sein. Konzeptionelle und Die Sozialwissenschaften sind eine Sammlung von kausale Modelle können noch komplexer werden, etwa zwei oder drei Dutzend teilweise überlappender wenn man versucht, alle relevanten Faktoren einzube- und oft streitfreudiger akademischer Fachrichtungen, ziehen, zum Beispiel Alter, Geschlecht, soziale Bezie- die sich mit Individuen, Gruppen, Beziehungen, Insti- hungen, Infrastruktur, persönliche Ressourcen und tutionen und Gesellschaften befassen. Dazu gehören Umweltfaktoren, regionale oder nationale Politik usw. Anthropologie, Betriebswirtschaftslehre, Erziehungs- Gesundheitsförderung Schweiz arbeitet beispiels- wissenschaft, Gesundheitswesen, Humangeographie, weise oft mit umfangreichen Wirkungsmodellen, die Kriminologie, Kulturwissenschaften, Ökonomie, Poli- alle relevanten Einflüsse auf ein Gesundheits- oder tikwissenschaft, Psychologie und Soziologie. Da es bei Krankheitsphänomen in einem Netzwerk von Konzep- Gesundheit und Krankheit immer auch um Individuen, ten und ihren jeweiligen Indikatoren erfassen sollen. In Gruppen, Beziehungen, Institutionen und Gesell- solchen Modellen ist es nicht ungewöhnlich, 30 bis 50 schaften geht, haben die Sozialwissenschaften das zusammenhängende Konstrukte innerhalb eines As- Potenzial, wichtige Beiträge zur Gesundheit und zum soziationsnetzwerks zu finden. Wohl unserer Zellen und Körper, des Gesundheitssys- Die Abstraktionsebene ist für die Sozialwissenschaf- tems, der Gesellschaft und der Weltbevölkerung zu ten ein weiteres Ordnungsprinzip, um Gesundheit und leisten. Dementsprechend können Gesundheit und Krankheit zu konzeptualisieren. Typischerweise wird Krankheit in allen sozialwissenschaftlichen Fachrich- diesbezüglich zwischen intraindividueller, relationaler tungen für viele verschiedene Aspekte als Denkobjekt und institutioneller Ebene unterschieden. Die Erfor- oder Forschungsgegenstand dienen. Hier konzentrie- schung der Einstellung von Männern zu Prostataunter- ren wir uns auf zwei miteinander verwebte Ordnungs- suchungen oder die Untersuchung der Veränderung prinzipien – Assoziationsmodelle und Abstraktions- des Selbstbildes, wenn Menschen in die Hospizpflege ebenen – und deren Fokus. Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024 | 11
überführt werden, sind Beispiele für eine intraindividu- • Als Kostentreiber für die öffentlichen Gesundheits- elle Perspektive. Die Untersuchung der Frage, wie ausgaben haben Politikwissenschaftler unter ande- Männer mit ihrem Hausarzt in Bezug auf eine Prosta- rem den Grad der kantonalen Finanzierung, die tauntersuchung interagieren, oder der Frage, wie Fa- mangelnde Zusammenarbeit der Kantone, die man- milienangehörige ihre Interaktionen ändern, wenn je- gelnde Koordination zwischen den Gesundheits- mand in die Hospizpflege geht, bewegt sich auf relati- diensten, die Arbeitslosenrate und die Urbanisie- onaler Ebene. Aus institutioneller Sicht können For- rung identifiziert. Auch hier bilden die Konstrukte schende untersuchen, wie Männlichkeit als soziale ein komplexes Assoziationsnetzwerk, aber die Abs- Norm oder Identität ein gesundheitsbewusstes Verhal- traktionsebene ist hauptsächlich institutionell. ten im Zusammenhang mit dem Prostatakrebsrisiko tangiert, oder wie der institutionelle Rahmen und die Die Sozialwissenschaften tragen wesentlich zu regio- Vorschriften eines Hospizes die sozialen und kulturel- nalen, nationalen und internationalen Debatten und len Auswirkungen des Hospizlebens abschwächen politischen Ansätzen zur Gesundheitsversorgung bei. können. Interessanterweise können Abstraktionsebe- Es gibt vier Haupthindernisse für substanziellere und nen kombiniert werden. So sind beispielsweise institu- systematischere Beiträge: Erstens sind die sozialwis- tionelle Rahmenbedingungen, Beziehungen und intra- senschaftliche Gemeinschaft im Allgemeinen und die individuelle Prozesse so miteinander verknüpft, dass an Gesundheits- und Krankheitsfragen arbeitenden bestimmte Hospizvorschriften die Interaktionen zwi- Forschenden im Besonderen untervertreten und in schen Patientinnen, Patienten, Ärztinnen, Ärzten und Forschungseinrichtungen räumlich verstreut. Zweitens Angehörigen prägen können oder dass institutionelle sind sie uneins in Bezug auf ihren allgemeinen Ansatz, Rahmenbedingungen intraindividuelle Prozesse derart Konzeptualisierung, Theoretisierung, empirische Stu- beeinflussen können, dass sich der Gesundheitszu- dien und ihren Beitrag zur öffentlichen Gesundheit. stand einer Person teilweise aufgrund der Institutiona- Diese Zersplitterung ist drittens vor allem auf die privi- lisierung verschlechtert. legierte Stellung der Naturwissenschaften in der Die folgenden vier Beispiele veranschaulichen den Schweiz zurückzuführen, wo die Gesundheitslösungen Beitrag der sozialwissenschaftlichen Forschung zu hauptsächlich von medizinischen, technologischen Gesundheit und Krankheit quer durch die beiden Ord- und pharmazeutischen Entwicklungen getragen wer- nungsprinzipien. den. Dementsprechend ist viertens das relative Ran- • Gesundheitsökonomen untersuchten die Auswir- king der sozialwissenschaftlichen Beiträge zur öffentli- kungen finanzieller Anreize auf die Gesundheitser- chen Gesundheit und Gesundheitsversorgung niedrig, gebnisse. Das Assoziationsmodell ist dyadisch was sich in der mangelnden Finanzierung und Weiter- (Wirkung von Anreizen auf Gesundheitsergeb- entwicklung der Sozialwissenschaften in diesem Be- nisse), und die Abstraktionsebene ist relational (All- reich niederschlägt. Das war zwar bisher für das Ge- gemeinmediziner und Patient). sundheitssystem nicht kritisch, auch wenn in der Ver- • Gesundheitssoziologen haben sich für die Einbe- gangenheit viele Chancen verpasst wurden, aber neue ziehung kultureller Faktoren wie Wertesysteme und geopolitische und technologische Entwicklungen brin- soziale Normen ausgesprochen, um den Gesund- gen Risiken mit sich, die bedeutende Auswirkungen heitszustand von Individuen besser zu verstehen auf den Status quo haben werden. und zu erklären. Das Assoziationsmodell ist tria- disch (Wirkung von Werten und Normen auf den Gesundheitszustand), und die Abstraktionsebene Sozialwissenschaft, 2.0 ist gemischt (kulturelle Faktoren als institutionelle und Gesundheitszustand als intraindividuelle Der jüngste Bericht des US-amerikanischen National Ebene). Intelligence Council über globale Trends mit dem Titel • Medizinische Anthropologen haben festgestellt, Paradox of Progress (2017) beschreibt folgende Ent- dass die Heimversorgung in Tansania zum Teil von wicklungen: wirtschaftlichen Gegebenheiten, vorhandenen • steigende Anzahl und Komplexität sowie immer hö- Transportmöglichkeiten, Art und Einstellung der Ar- heres Tempo der wirtschaftlichen und politischen beitskräfte, Tradition und gewährter Privatsphäre Herausforderungen; abhängt. Die Konstrukte in dieser Studie bilden ein • wachsende Zahl staatlicher und nichtstaatlicher Ak- Assoziationsnetzwerk, und die Abstraktionsebenen teure, die globalen wirtschaftlichen und politischen sind gemischt (Einstellung als intraindividuelle, Pri- Einfluss ausüben; vatsphäre als relationale und Tradition als instituti- onelle Ebene). 12 | Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024
• Verschiebungen in der Weltwirtschaft und im politi- Daten, Informationen, Technologien, Fähigkeiten, schen Klima aufgrund weitreichender Veränderun- Dienstleistungen, Kapital, Gütern und Personen bei, gen bei Industriezweigen und Arbeitskräften, welche die Mobilität im 20. Jahrhundert weit übertrifft. Staatsverschuldung, öffentlichen Ausgaben und Konsumverhalten; • Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachs- Sozialwissenschaftliche Beiträge zu Gesundheit tums; und Krankheit, 2.0 • zunehmende Ungleichheit und Vermögenskonzent- ration; Die jüngsten medizinischen, technologischen und • zunehmende Korruption, Scheitern der Eliten und pharmazeutischen Durchbrüche sind erstaunlich, und Erosion des öffentlichen Vertrauens in die Behör- weitere stehen unmittelbar bevor. Abgesehen von zu- den; sowie künftigen Potenzmitteln, Haarwuchsbehandlungen • wachsender Populismus, Tribalismus, Nativismus und Fortschritten in der plastischen Chirurgie, welche und Nationalismus und als Folge davon Rückgang die Welt unweigerlich im Sturm erobern werden, soll- des institutionellen Multilateralismus zugunsten von ten uns andere Entwicklungen stutzen lassen: Fort- Unilateralismus und Bilateralismus. schritt und Kosten von Krebsmedikamenten und -be- handlungen, Präzisionsmedizin und personalisierte Gleichzeitig stehen wir am Anfang dessen, was viele Medizin, Gentherapie und Medikamente zur Verjün- als die vierte industrielle Revolution bezeichnen. Diese gung, Organprinting, Produkte und Verfahren zur Ver- Revolution verläuft voraussichtlich disruptiver und glo- zögerung der Menopause, Human-Enhancement- baler als ihre Vorgänger. Sie umfasst die Entwicklun- Technologien und natürlich Genomik – Letztere beruht gen bezüglich Internet der Dinge, Big Data, Cloud- auf überraschend einfachen und kostengünstigen Pro- Computing, DNA-Technologien, künstliche Intelligenz, zessen, und Grenzen werden nur durch spärliche Automatisierung und Robotik sowie deren Konsequen- internationale Vorschriften und die Fantasien der For- zen, geht aber weit darüber hinaus. Um es mit den scherinnen und Forscher sowie deren Geldgeber ge- Worten von Klaus Schwab auszudrücken: Die vierte setzt. Angesichts der zunehmenden Ungleichgewichte industrielle Revolution zeichnet sich durch eine Reihe in der Vermögensverteilung in und zwischen den Län- neuer Technologien aus, welche die physische, digi- dern und der Konzentration von unermesslichem tale und biologische Welt verschmelzen, sich auf alle Reichtum bei einer kleinen Elite werden sich interes- Fachgebiete, Volkswirtschaften und Industriezweige sante neue Gesundheitsfragen ergeben. Wie viele Mil- auswirken und sogar unsere Vorstellung davon in liarden Dollar wären zum Beispiel die reichsten Frage stellen, was es bedeutet, Mensch zu sein. Dazu 0,001 % auf der Welt bereit zusammenzulegen, um die gehören folgende Trends: Aufmerksamkeit wichtiger Sektoren der Gesundheits- • Entwicklung und Aufkommen von auf Künstlicher industrie auf die Verlangsamung des Alterungsprozes- Intelligenz (KI), Automatisierung und Robotik beru- ses und die Verlängerung der Lebenserwartung um ei- henden Industriezweigen, die enorme Chancen und nige Jahre zu lenken, und zu welchen menschlichen viel Wohlstand schaffen, aber auch etablierte Mar- Kosten würde dieser Kuhhandel angesichts schrump- ken, Geschäftsmodelle, Produktlinien und Versor- fender Steuerbemessungsgrundlagen, Deregulie- gungsketten untergehen lassen; rungsdynamik, schwacher Staaten und der Monetari- • Flexibilisierung des Regulierungsumfelds zur Ent- sierung der Gesundheit abgeschlossen? Wäre ein wicklung neuer Technologien und Marktchancen Kontinent, der von einem Virus wie Ebola bedroht ist, oder zur Anpassung daran; oder der wachsende Teil der europäischen Bevölke- • technologische Brüche, die Traditionen, Moral- rung, der in der Gig-Wirtschaft arbeitet, in der Lage, gefühl und rechtliche Grenzen in Frage stellen; und mit den Sorgen der globalen Elite zu konkurrieren? • Aufstieg von Regionen, die bereit und in der Lage Wenn zumindest ein Teil dieses medizinischen, tech- sind, disruptive Technologien, Geschäftsmodelle, nologischen und pharmazeutischen Fortschritts einem Unternehmen und Talente zu fördern oder anzulo- grösseren Teil der Bevölkerung zugänglich gemacht cken. werden soll, liegt es nahe, dass die Gesundheitskos- ten in der Schweiz exponentiell ansteigen – dies zu ei- Kurz, es ist ein Zeitalter angebrochen, das von immer ner Zeit, zu der die politischen Entscheidungsträger schneller verlaufenden geopolitischen Machtverschie- massive Kostendämpfungsmassnahmen planen. Al- bungen, sozioökonomischem Wandel, Ressourcen- ternativ kann die Gesundheitsversorgung in der erschöpfung und Umweltzerstörung geprägt ist. Alle Schweiz noch weiter vom Solidaritätsprinzip abrücken, diese Faktoren tragen zu einer Verschiebung von indem sie auf ein abgestuftes Gesundheitssystem Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024 | 13
setzt. Dies kann Teil eines Pakets zur Gesundheitsför- den öffentlichen, privaten und zivilen Sektor jedoch derung und Prävention sein, das nicht nur demografi- dazu veranlassen, den aktuellen Status quo sorgfältig sche Daten, sondern auch Daten von intelligenten Ge- zu überdenken. Verbesserungen oder allein der Erhalt räten berücksichtigt, die eine teilweise Bewertung des der jetzigen Standards bei Zugang, Bereitstellung und Gesundheitszustands und der Lebensweise ermögli- Qualität der Gesundheitsversorgung könnten die an- chen. Angesichts der unterschiedlichen Anliegen der gestrebte Obergrenze für die Gesundheitskosten in Generationen sowie des Abstimmungs- und Konsum- naher Zukunft sprengen. Zudem kann eine segmen- verhaltens älterer und zahlenmässig überlegener Ge- tierte Betrachtung des öffentlichen Dienstes und der nerationen wird das Solidaritätsprinzip in der Schweiz öffentlichen Ausgaben dem gesellschaftlichen Wohl bereits auf die Probe gestellt. Dies kann für das Ge- langfristig erheblich schaden. sundheitssystem vorübergehend von Vorteil sein, da Das führt zu einem dritten Ordnungsprinzip der Sozial- ein grösserer, älterer, politisch aktiverer und wohlha- wissenschaften: Auf der Metaebene können Sozialwis- benderer Teil der Bevölkerung versucht sein wird, für senschaftler die Dominanz einer bestimmten Konzep- den Ausbau der Gesundheits- und Altersvorsorge zu tualisierung von Gesundheit und Krankheit innerhalb stimmen. Mittelfristig, wenn die jüngeren einer Gesellschaft hinterfragen. Aus der Konfliktper- Generationen zahlenmässig, politisch und wirtschaft- spektive würde ein Sozialwissenschaftler fragen: Wer lich zu dominieren beginnen, wäre es überraschend, profitiert vom Status quo? Könnten wir den Referenz- wenn sie die Solidarität, die in früheren Generationen rahmen für die Verteilung von Macht und Ressourcen verloren ging, wiederentdecken würden. ändern und damit dafür sorgen, dass es mehr Begüns- Ein weiterer aufkommender Trend ist die Verstärkung tigte gibt? In einer zweiten Variante dieser Meta-Per- der Patientenzentriertheit. Die Verfügbarkeit von spektive könnte man untersuchen, wie das Gesund- Gesundheits-Apps und Online-Informationen, ein all- heitswesen und seine Interessengruppen in ein breite- gemeiner Vertrauensverlust gegenüber Behörden und res regionales, nationales und globales System einge- Fachleuten, die globale Monetarisierung der Gesund- bettet sind, in dem sie mit anderen Systemen wie Bil- heit, ein allgemeiner Trend zur Deregulierung und ein dung, Beschäftigung, Märkten oder Umweltmanage- zunehmender Wettbewerb mit alternativen Behand- ment konkurrieren oder kooperieren. Schliesslich kann lungsmethoden werden eine Kultur der Konsumerisie- man sich im Rahmen einer Meta-Analyse von Gesund- rung im Gesundheitswesen fördern, die durch die Kos- heit und Krankheit aus sozialwissenschaftlicher Sicht ten und das Gewinnpotenzial des Gesundheitswesens mit den Normen und Werten befassen, die wir pflegen, und das Wettbewerbsverhalten der Gesundheits- pflegen sollten oder pflegen müssen, wenn, ökonomet- dienstleister noch verstärkt wird. Trotz wegbereitender risch ausgedrückt, eine Zunahme der Gesundheit oder medizinischer Forschung, die in Europa und Nordame- Lebenserwartung um eine Einheit langfristig erhebli- rika noch jahrzehntelang geregelt sein könnte, wird che negative Auswirkungen auf andere Aspekte des Asien zu einer wichtigen Drehscheibe für die Entwick- gesellschaftlichen Wohls und auf künftige Generatio- lung und Herstellung von Medikamenten und medizini- nen haben kann. Das gegenwärtige Gesundheitssys- schen Geräten werden, unter anderem aufgrund sei- tem der Schweiz ist nicht nachhaltig, und viele syste- nes massiven Investitions- und Wachstumspotenzials. mische Veränderungen sind notwendig, um den Fort- Ähnlich wie bei zahnmedizinischen und kosmetischen bestand der erstklassigen Gesundheitsversorgung für Routineverfahren ist die Vorstellung nicht so weit her- die Schweizer Bevölkerung zu gewährleisten. Auch geholt, dass ein grosser Teil der Schweizer Bevölke- wenn die medizinischen, technologischen und phar- rung in Regionen mit mehr medizinischem Fachperso- mazeutischen Entwicklungen weiterhin die Aufmerk- nal und tieferen Gesundheitskosten Behandlung und samkeit der Produzenten und Konsumenten auf sich Erholung sucht oder sogar dort den Ruhestand ver- ziehen, gewinnen die Sozialwissenschaften immer bringt und Betreuung am Lebensende in Anspruch mehr an Bedeutung, nicht nur für eine bessere Steue- nimmt. Vermutlich ist ein Ergebnis- und Behandlungs- rung von Gesundheitsförderung und Prävention, son- modell unter diesen Bedingungen viel einfacher zu ge- dern letztlich auch für die Förderung der intra- und stalten, zu überwachen und zu finanzieren. intergenerationellen Versorgungsgerechtigkeit im Unsere derzeitigen wirtschaftlichen, politischen und Gesundheitswesen. sozialen Institutionen sind nicht für ein systematische- res bevölkerungsbezogenes Gesundheitsmanage- ment zugänglich. Die aktuellen und zukünftigen medi- zinischen, technologischen und pharmakologischen Entwicklungen einerseits und die geopolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen andererseits sollten 14 | Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024
Gesundheitspolitischer Rahmen tem. Die Komplexität zeichnet sich durch eine Vielfalt für die Schweiz von Einflussfaktoren und durch häufig auftretende nicht-lineare Beziehungen zwischen den Faktoren Ein Ziel der Legislaturplanung 2019–2023 des Bun- aus. Diese Interdependenz erhöht die Wahrscheinlich- desrates lautet: keit, dass politische Interventionen unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben. Um politische Entscheidun- Die Schweiz sorgt für eine qualitativ hochstehende und gen dennoch auf möglichst umfassenden und sicheren finanziell tragbare Gesundheitsversorgung und ein Grundlagen zu treffen, beschafft die Ressortforschung gesundheitsförderndes Umfeld. das notwenige Wissen. Mit der 2013 lancierten Strategie «Gesundheit2020» will der Bundesrat das Gesundheitswesen gezielt ver- Ohne wissenschaftliche Evidenz keine bessern (siehe www.gesundheit2020.ch). Zurzeit wird wirksame Gesundheitspolitik an einer Aktualisierung der Strategie gearbeitet. Die neu angepasste Strategie soll bis 2030 dauern. Eine Aufgabe der (Ressort-) Forschung wird es sein, politische Lösungen für die zukünftigen Herausforde- Siehe www.gesundheit2030.ch. rungen des Gesundheitssystems vorzubereiten. Dafür zentral sind die folgenden Bereiche: • Technologischer Wandel: Der durch neue Er- kenntnisse und Anwendungen in Wissenschaft und Technik ausgelöste technologische Wandel beein- flusst die Möglichkeiten der Bevölkerung, ein mög- lichst gesundes und selbstbestimmtes Leben zu führen. Der Wandel findet auf individueller Ebene, auf der Meso-Ebene (z. B. Spitäler und Heime) so- wie auf der System-Ebene statt. • Digitalisierung: Die Digitalisierung wird das Gesundheitswesen in den kommenden Jahren in allen Aspekten durchdringen. Dies wird durch das rasche (automatisierte) Erfassen von Informatio- nen, das Gewinnen neuer Einsichten aus der sys- tematischen Auswertung erfasster Informationen, die zeit- und ortsgerechte Zurverfügungstellung von gezielt aufbereiteten Informationen sowie durch die (teilweise) Substitution der menschlichen Tätigkeit durch neue Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Robotik erfolgen. • Demografie: Die Anzahl älterer Menschen wird in den kommenden Jahren absolut und prozentual zu- nehmen. Da ältere Menschen häufiger gesundheit- liche Einschränkungen haben als jüngere, oft an mehr als einer Krankheit leiden (Multimorbidität) und häufiger von degenerativen Krankheiten betrof- Herausforderungen und fen sind (beispielsweise Demenz), gilt es die Ver- Handlungsbedarf sorgungsstrukturen anzupassen. • Soziale Veränderungen: Es findet ein gesell- Das durch Forschung generierte Wissen ist zentral für schaftlicher Wandel statt, die sozialen Strukturen die Weiterentwicklung und Optimierung der Gesund- sind im Umbruch, traditionelle familiäre Strukturen heitspolitik. verlieren an Bedeutung. Dies kann zu einer ver- Das Gesundheitssystem, welches den Gesundheits- stärkten sozialen Isolation mit möglichen Gesund- schutz, die Krankheitsvorsorge sowie die Krankheits- heitsfolgen und veränderten Versorgungsstruktu- behandlung umfasst, ist nicht nur ein kompliziertes, ren im Angehörigenbereich führen. Ebenso verän- sondern auch ein komplexes gesellschaftliches Sys- dern sich die Werte und Einstellungen der neuen Generationen. Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024 | 15
• Kosten und Finanzierung: Die Gesundheitskosten • Monitoring als elementare Form der Wirksamkeits- werden weiter zunehmen. Nicht alle Kosten sind prüfung: Es gibt bereits zahlreiche Monitoringsys- dabei notwendig. Über-, Fehl- und Unterversorgung teme. Sie sind aber noch wenig aufeinander abge- müssen reduziert werden. Weiter stellt sich die stimmt und weisen Lücken auf. Eine erhöhte Trans- Frage nach der Finanzierung der steigenden Kos- parenz sowie eine Verdichtung der Erkenntnisse ten, namentlich im Bereich der Langzeitpflege. aus den Monitorings sind ein vordringliches Anlie- • Gesundheitsdeterminanten: Die Beeinflussung gen einer evidenzbasierten Gesundheitspolitik. der Faktoren, welche die Gesundheit (mehr als das • Wirksamkeitsforschung und Wirksamkeitsprü- Gesundheitswesen) bestimmen, verspricht in naher fung (Evaluation): Zentral für jede Gesundheitspo- Zukunft grosse Verbesserungen der Lebensquali- litik ist die Wahl wirksamer Strategien und Mass- tät. Dazu gehören bspw. die Umweltqualität, der nahmen auf der Basis verfügbaren Wissens. Zu- Verkehr sowie die Wohn- und Arbeitssituation. dem muss staatliches Handeln zwecks Optimierung des Handelns und zwecks Rechtfertigung gegen- über Politik und Öffentlichkeit evaluiert werden. Politische Lösungen haben nur dann • Vergleichende Forschung: Alle Länder haben Realisierungschancen, wenn sie auf unterschiedliche Gesundheitssysteme. In der möglichst objektiven und neutralen Schweiz gibt es zudem grosse interkantonale wissenschaftlichen Grundlagen Unterschiede. Daraus ergeben sich für Länder und basieren. Kantone grosse Erfahrungsreservoirs. Aus dem Vergleich zwischen Ländern oder Kantonen lassen Das schweizerische Gesundheitssystem steht im inter- sich Erkenntnisse gewinnen über die Effizienz und nationalen Vergleich gut da. Dies haben mehrere Stu- Qualität von Systemen. dien der OECD-WHO, des Europäischen Gesund- heitsobservatoriums, des Commonwealth Fund sowie Datengrundlagen sind für die Forschung von zentraler des Schweizerischen Gesundheitsobervatoriums be- Bedeutung. Auch hier besteht in der Schweiz Nachhol- stätigt. bedarf. Gerade die Versorgungsforschung wird darauf Dennoch gibt es laut den Studien Verbesserungs- angewiesen sein, dass die Datengrundlagen vollstän- bedarf. Der Bundesrat hat mit der Strategie «Gesund- diger und verknüpfbarer werden. heit2020» darauf reagiert und plant gegenwärtig eine Nachfolgestrategie «Gesundheit2030». Das Gesundheitssystem zeichnet sich durch eine grosse Anzahl von Anspruchsgruppen mit klar erkenn- baren Interessen aus. In solch einem Umfeld haben politische Lösungen nur dann Realisierungschancen, wenn sie auf möglichst objektiven und neutralen wis- senschaftlichen Grundlagen basieren. Die Ressortfor- schung hat damit auch die Aufgabe, diese Grundlagen zu liefern. Die vielseitigen Herausforderungen zeigen bereits ein breites Themenspektrum für die Ressortforschung und Gesundheitsforschung der kommenden Jahre auf. In der Folge werden bestimmte Forschungstypen ver- mehrt in den Vordergrund rücken: • Versorgungsforschung: Die Versorgungsfor- schung muss sich in der Schweiz weiterentwickeln, denn ihre Ergebnisse sind für die Gesundheitspoli- tik von unmittelbarem Nutzen. Insbesondere ange- sprochen ist dabei die Gesundheitssystemfor- schung. Das Gesundheitssystem braucht mehr Steuerbarkeit und Steuerung. Diese muss sich in die gewachsene Tradition des Föderalismus, der di- rekten Demokratie und der Gesundheitspolitik ein- ordnen. 16 | Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024
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4. Forschungsschwerpunkte 2021–2024 Die Prioritätensetzung 2021–2024 liegt einerseits in Nationale Gesundheitsstudie der Kontinuität relevanter Vorhaben der Ressortfor- schung, namentlich in den Bereichen übertragbare Mit einem sogenannten Human Biomonitoring (HBM) und nicht übertragbare Krankheiten, Lebensmittelsi- kann überprüft werden, ob und in welchem Umfang die cherheit und Ernährung, Sucht und Biomedizin sowie Bevölkerung gegenüber Schadstoffen belastet ist. Medizintechnik-Folgeabschätzung («Health Techno- Dies ist wichtig, um allenfalls gezieltere Massnahmen logy Assessment»). Andererseits liegt das Augenmerk im Gesundheitsschutz und der Prävention zu treffen. auf der Wissensbeschaffung im Rahmen der Nationa- In der Schweiz gibt es bislang keine repräsentativen len Forschung. Dabei interessiert insbesondere die Daten zur Belastung der Bevölkerung mit Umwelt- Förderung vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) einflüssen (z. B. chemische Schadstoffe). Aus diesem in den Bereichen Versorgungsforschung, Antimikrobi- Grund werden zurzeit der Nutzen und die Grenzen ei- elle Resistenz, Covid-19 und unabhängige klinische ner nationalen Belastungsanalyse abgeklärt (Pilotstu- Forschung. Für die Finanzierung von wissenschaftli- die). chen Pilotversuchen im Zusammenhang mit allfälligen Viele Länder haben seit längerem HBM Programme Experimentierartikeln in Gesetzen (z. B. KVG, BtmG) initiiert, um einen Überblick über die Belastung der Be- gilt es eine Lösung zu finden. Die Kohortenstudien von völkerung mit Chemikalien zu bekommen. Erst kürzlich nationaler Bedeutung, die «Schweizerische HIV Ko- wurden multidisziplinäre Studien durchgeführt, die horte» und die «Schweizerische Transplantationsko- HBM Daten mit Gesundheitsdaten verbinden. Die Ver- horte», bleiben im Fokus der Aufmerksamkeit. Über knüpfung mit Gesundheitsdaten erlaubt es, mögliche die Lancierung einer «Schweizer Zusammenhänge mit dem Auftreten bestimmter Er- Gesundheitsstudie / Nationale Kohorte» wird aufgrund krankungen zu untersuchen. Dieser Ansatz wird auch der Ergebnisse einer Pilotstudie ( Human Biomoni- mit der momentan laufenden Pilotstudie verfolgt. toring) entschieden. Ziel ist – positive Ergebnisse der Pilotstudie vorausge- setzt – die Lancierung einer «Schweizer Gesundheits- studie / einer Nationalen Kohorte», die es erlauben Versorgungsforschung wird, anhand biologischer und anderer Daten die Ex- position und die Belastung der Bevölkerung durch Um- Im Zentrum des laufenden Nationalen Forschungs- welteinflüsse (insbesondere Chemikalien) zu erfassen programms 74 «Gesundheitsversorgung» steht die und zu bewerten. Optimierung der Ressourcenzuteilung durch Vermin- derung der Unter- und Überbeanspruchung von Leis- tungen in der Gesundheitsversorgung. Ein besonderer Schwerpunkt liegt zudem in der Prävention und Be- handlung von mehrfachen chronischen Erkrankungen. Das NFP trägt auch zur Verfügbarkeit, Verknüpfung und Vergleichbarkeit von Gesundheitsdaten bei. Bereits heute stellt sich die Frage, wie weiter nach dem NFP 74? Für die Forschungsförderung bietet sich die Projektförderung des Schweizerischen Nationalfonds an. Im Interesse einer bedarfsgerechten und kompe- tenten Auftragsforschung für Bund und Kantone, gilt es weitere Optionen für eine Stärkung der Versorgungs- forschung zu prüfen und zu realisieren. 18 | Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024
5. Finanzierung Wie viel Gesundheitsforschung wird in der Schweiz be- öffentliche Hand (ca. CHF 1,7 Mrd.). Rund die Hälfte trieben? Und wie viel wird dafür aufgewendet? der Ausgaben der Privatwirtschaft wird von der phar- mazeutischen Industrie getätigt. Daneben betreiben Diese beiden Fragen können nicht präzise beantwortet viele andere Unternehmen, beispielsweise aus der werden, da nicht exakt definiert ist, was zur Gesund- Medtech-, Chemie- oder Lebensmittelindustrie, For- heitsforschung gehört und was nicht. Erschwerend schung im Bereich Gesundheit. kommt hinzu, dass die Datenbasis zu den Finanzflüs- sen in der Gesundheitsforschung lückenhaft und un- einheitlich ist. Einige Daten werden nicht erhoben oder Die Privatwirtschaft investiert am veröffentlicht (z. B. Beiträge von privaten Stiftungen). meisten in die Gesundheitsforschung. Andere können oft nicht entsprechend aufgeschlüsselt Der Beitrag der öffentlichen Hand ist und etablierten Bereichen zugeordnet werden (z. B. vergleichsweise gering. Medizinwissenschaften vs. Pharma vs. Life Sciences). Die grössten Aufwendungen der öffentlichen Hand er- bringen die universitären Hochschulen, für deren Fi- Rückblick nanzierung in erster Linie die Kantone zuständig sind (ca. CHF 1,2 Mrd.). Darin sind die Intramuros-Aufwen- Um zumindest einen Eindruck von den Grössenver- dungen (d. h. die Lohnkosten der Forschenden) im Be- hältnissen der finanziellen Aufwendungen für die Ge- reich Medizin enthalten. Daneben wird in vielen ande- sundheitsforschung zu bekommen, werden diese in ren Wissenschaftsbereichen, zum Beispiel in den Life Abbildung 5.1 auf der Grundlage der verfügbaren sta- Sciences (u. a. Biologie, Chemie), in der Ökonomie tistischen Angaben nach Akteuren dargestellt. Für die und in der Psychologie, an den universitären Hoch- Gesundheitsforschung in der Schweiz wurden dem- schulen, den Fachhochschulen und den Eidgenössi- nach 2017/2018 insgesamt CHF 10 Mrd. pro Jahr auf- schen Technischen Hochschulen (Zürich und Lau- gewendet. Die Privatwirtschaft gab mit CHF 8,5 Mrd. sanne) Gesundheitsforschung betrieben. Dazu lie- weitaus mehr für die Gesundheitsforschung aus als die gen aber keine genauen Zahlen vor. Abb. 5.1 Finanzielle Aufwendungen für Gesundheitsforschung in der Schweiz nach Akteuren, in Mio. CHF, Ø 2017/2018 (Total: CHF 10,2 Mrd. pro Jahr) Privatwirtschaft und Öffentliche Hand Öffentliche Hand EU-Forschungs- SNF rahmenprogramme 381 20 Öffentliche Hand Innosuisse 1739 16 SBFI 67 Bundesämter 13 Akademien 9 Privatwirtschaft 8496 Universitäre Tabakpräventions- Hochschulen* fonds 1 1232 * ohne Eidg. Technische Hochschulen Quelle: BFS, SBFI, BAG-interne Zusammenstellung, Juli 2019 – Privatwirtschaft und Universitäre Hochschulen: Zahlen 2017 Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024 | 19
Über den Bundeshaushalt wird die Forschungsförde- Betrachtet man die Ausgaben des BAG für Ressortfor- rung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förde- schung und Evaluation nach Empfängern, flossen rung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), der 2018 die grössten Beiträge in die Hochschulforschung Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung (40 %), gefolgt von der Privatwirtschaft (35 %) und pri- Innosuisse, des Staatssekretariats für Bildung, For- vaten Organisationen ohne Erwerbszweck (18 %) in schung und Innovation (SBFI), der Bundesämter und allen Landesteilen der Schweiz. Rund 7 % gingen an der Akademien der Wissenschaften Schweiz finan- weitere Forschungsstellen von Bund, Kantonen und ziert. Gemeinden. Eine bedeutsame Finanzierungsquelle für Gesund- heitsforschung in der Schweiz sind die EU-For- Ausblick 2021–2024 schungsrahmenprogramme. In den Jahren 2017/2018 flossen durchschnittlich CHF 20 Mio. an Schweizer Generelle Entwicklung Projekte. Der Tabakpräventionsfonds (TPF), der admi- nistrativ dem BAG angegliedert ist, ist ein weiterer Durch die Vielfalt der Akteure ist eine verlässliche Geldgeber für Forschung im Gesundheitsbereich. Wel- Prognose für die generelle Entwicklung der Aufwen- che Beiträge andere Akteure, zum Beispiel private Stif- dungen für die Gesundheitsforschung nicht möglich. tungen, in die Gesundheitsforschung investieren, ist Die beeinflussenden Faktoren unterscheiden sich nicht bekannt. stark zwischen Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand. Bestenfalls kann angenommen werden, dass Der finanzielle Aufwand aller Bundesämter für Res- die Mehrzahl der Akteure weiterhin in etwa auf glei- sortforschung im Bereich Gesundheit betrug chem Niveau Mittel für oder in der Gesundheitsfor- 2017/2018 durchschnittlich CHF 13 Mio. pro Jahr schung aufwenden (vgl. Abbildung 5.1). (siehe Abbildung 5.2 für 2018). Als Hauptakteur gab das BAG mit CHF 9 Mio. den grössten Betrag aus. Diese Angaben beziehen sich nur auf Forschungspro- Geplante Aufwendungen für die Ressortforschung jekte, die vollumfänglich der Gesundheitsforschung des BAG 2021–2024 zugerechnet werden können. Aufwendungen für For- schungsprojekte aus anderen Themenbereichen, die Gemäss der Botschaft des Bundesrates zur Förderung Gesundheitsaspekte einbeziehen, sind hier nicht ent- von Bildung, Forschung und Innovation (BFI-Bot- halten. Das betrifft zum Beispiel Schnittstellenbereiche schaft) werden die Aufwendungen des BAG für die zur landwirtschaftlichen Forschung, zur Ernährungs- Ressortforschung in den Jahren 2021 bis 2024 auf je- forschung, zur Umweltforschung oder Forschung im weils CHF 9,5 Mio. pro Jahr veranschlagt. Sportbereich. Die tatsächlichen Aufwendungen können sich je nach Anzahl der politischen Aufträge oder aufgrund von un- Abb. 5.2 Finanzielle Aufwendungen der Bun- vorhersehbaren Krisensituationen – etwa im Zusam- desämter für Ressortforschung im Be- menhang mit international bedrohlich auftretenden reich Gesundheit, in Mio. CHF, 2018 Viruserkrankungen – auch anders als geplant entwi- ckeln. Forschungsstelle Intra- Auf- Bei- Total muros träge träge BAG 7.33 1.67 9.00 METAS 1.19 1.19 BAV 2.45 2.45 BLV 0.85 0.40 1.25 Total 1.19 7.47 2.07 13.89 Tabakpräventions- 0.70 0.70 fonds a a Sondersteuer ausserhalb des regulären Bundesbudgets Quelle: ARAMIS-Auswertung durch das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und In- novation (SBFI) und Angaben des Tabakpräventionsfonds (TPF), Juli 2019 20 | Forschungskonzept Gesundheit 2021–2024
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