Strukturreform Pflege und Teilhabe ii - Pflegepolitik als Gesellschaftspolitik Ein Beitrag zum pflegepolitischen Reformdiskurs - Kuratorium ...
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Thomas Klie Michael Ranft Nadine-Michèle Szepan Strukturreform Pflege und Teilhabe II Pflegepolitik als Gesellschaftspolitik Ein Beitrag zum pflegepolitischen Reformdiskurs
Thomas Klie Michael Ranft Nadine-Michèle Szepan Strukturreform Pflege und Teilhabe II Pflegepolitik als Gesellschaftspolitik Ein Beitrag zum pflegepolitischen Reformdiskurs
Inhalt Seite Vorbemerkung 4 1. Imangewiesene Fokus: Bedingungen guten Lebens für auf Pflege Menschen und ihre An- und Zugehörigen 6 2. Fachliche Begleitung und Erwachsenenschutz sicherstellen 7 2.1 Analyse 7 2.2 Reformperspektive: Subjektorientierte Qualitätssicherung 8 3. Schnittstellenprobleme zwischen Medizin und Teilhabe lösen 10 3.1 Prävention 10 3.2 Rehabilitation 10 3.3 Behandlungspflege 11 4. Abgrenzungen und Schnittstellen zur Teilhabe 14 4.1 Das BTHG 14 4.2 Personenzentrierung in Teilhabe und Pflege 15 5. Pflege geschieht vor Ort: Rolle der Kommunen und der Kassen profilieren 15 5.1 Aufgaben und Zuständigkeiten der Kommunen 15 5.2 Daseinsvorsorge und Allzuständigkeit der Kommunen 17 5.3 Kommune als Sozialhilfeträger 17 5.3.1 Hilfe zur Pflege 17 5.3.2 Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes 18 5.3.3 Altenhilfe 18 5.4 Aufgaben und Zuständigkeiten der Kassen auf der kommunalen Ebene 19 5.5 Steuerungsaufgaben und Funktionen auf kommunaler und regionaler Ebene 20 5.5.1 Sozialplanung: Kommunale Teilhabe- und Pflegestrukturplanung 20 5.5.2 Care Management: Pflegestützpunkte 22 5.6 Case Management: Kooperativ und am Sozialraum orientiert 23 5.7 Teilhabe- und Pflegeberatung 23 5.8 Sozialraumorientierte Teilhabe- und Pflegestrukturplanung als kommunale Aufgabe 24 5.9 Infrastrukturkosten 25 2
6. Dem Personalnotstand begegnen 26 6.1 Personalnotstand 26 6.2 Differenzierung von beruflichen Qualifikationen 27 7. Finanzierung der Pflege neu ausrichten 28 7.1 Im Fokus: Die stationäre Langzeitpflege 28 7.2 Sockel-Spitze-Tausch 29 7.3 Immer wieder vernachlässigt: Die häusliche Pflege 30 7.4 Pflegepolitische Reformoptionen 30 7.5 Pflegepolitische Finanzierungs-Reformoptionen im Überblick 31 8. Bausteine einer Strukturreform II 32 8.1 Pflege- und Sorgepolitik als anthropologisch fundierte Aufmerksamkeitsverlagerung vom Objekt zum Subjekt: Erweiterte MD-Funktion im Sinne einer subjektorientierten Qualitätssicherung 32 8.2 Pflegefachliche Begleitung für alle: Fachpflegerische Steuerung und bedarfsdeckende Leistungen der Behandlungspflege 32 8.3 Innovationen fördern, Sektorengrenzen überwinden: Das Leistungsrecht flexibilisieren 34 8.4 Effektive Governance vor Ort: Steuerungsebenen und Infrastrukturverantwortung profilieren 36 8.4.1 Steuerung auf der Fallebene 37 8.4.2 Care Management 38 8.5 Infrastrukturdefizite ausgleichen 39 8.6 Kommunale Handlungsebene stärken: Governancestrukturen und -kulturen vor Ort qualifizieren 39 8.7 Investitionen in Innovationen fördern 40 8.8 Digitalisierung 41 9. Ausblick 42 Literaturverzeichnis 44 Impressum 48 3
Vorbemerkung für die Sicherstellung der Pflege und Teilhabe vor Ort als gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten zu befördern. Das Papier hat eine breite fachliche und politische Resonanz erfahren und wurde von Die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht und den kommunalen Spitzenverbänden einhellig un- tut dies weiterhin: Eine suffiziente und krisenfes- terstützt. 15 Bundesländer hatten sich den For- te Infrastruktur für die Sorge und Versorgung auf derungen angeschlossen. Es fand Eingang in die Pflege angewiesener Menschen und die Unter- seinerzeitige Koalitionsvereinbarung und diente stützung von An- und Zugehörigen ist von exis- als Impuls für die Beratungen in der Bund-Länder- tentieller Bedeutung für die Bevölkerung. Ins- Arbeitsgruppe zur Stärkung der Rolle der Kom- besondere in der häuslichen Versorgung zeigte munen in der Pflegeversicherung. Auch die Siebte sich die Fragilität des aktuellen Pflegesystems. In Altenberichtskommission hatte sich das Konzept der stationären Versorgung wurde in menschen- weitgehend zu eigen gemacht. rechtlich problematischer Weise auf überwunden geglaubte Mechanismen totaler Institutionen zu- Trotz vielfältiger Bemühungen um relevante Re- rückgegriffen (Schulz-Nieswandt 2020b). Gerade formschritte in der Pflegeversicherung, insbeson- Aspekte der Teilhabe auf Pflege angewiesener dere im Zusammenhang mit der Einführung des Menschen waren und sind in besonderer Wei- neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes, der Auswei- se bedroht. Dabei wissen wir wie lebenswichtig tung von Leistungen und der Qualifizierung von sie für die betroffenen Personen sind. Von daher Beratungsangeboten hat sich an der Analyse, die wird in dem hier vorgelegten Papier „Strukturre- dem Papier „Strukturreform Pflege und Teilhabe“ form Pflege und Teilhabe II“ Pflege und Teilhabe 2013 zugrunde lag, wenig geändert. Von einer zusammengedacht. Auch die Pflegeversicherung systematischen Aufmerksamkeit für die Lebens- soll ihren Beitrag dazu leisten, Menschen unter lagen auf Pflege angewiesener Menschen in ihrer Bedingungen von Pflegebedürftigkeit ein Leben eigenen Häuslichkeit kann in Deutschland wei- zu ermöglichen, dass die für sie elementar be- terhin nicht die Rede sein. Das gilt auch und ge- deutsamen Dimensionen familiärer, örtlicher und rade nach bzw. in Zeiten der Corona-Pandemie. gesellschaftlicher Zugehörigkeit realisieren lässt. Verbreitet sind weiterhin Überforderungssituati- Gerade in Coronazeiten besteht die Chance, aber onen, insbesondere in der häuslichen Pflege, in auch die Notwendigkeit, die schon lange diskutier- der eine große Zahl von osteuropäischen Haus- ten Desiderate der deutschen Pflegeversicherung haltshilfen das „Systemversagen“ - regional und aufzugreifen und ihnen zukunftsorientiert durch für bestimmte Bevölkerungsgruppen - kompen- entsprechende Reformen entgegenzutreten. sieren. Von gleichwertigen Lebensbedingungen für auf Pflege angewiesenen Menschen kann in 2013 hatte ein Autorenteam einen Reformvor- Deutschland in keiner Weise die Rede sein: Die In- schlag für eine Strukturreform der Pflegeversi- frastrukturunterschiede sind zwischen den Bun- cherung für die 17. Legislaturperiode des Deut- desländern aber ebenso zwischen kommunalen schen Bundestag erarbeitet (Hoberg et al. 2013). Gebietskörperschaften groß. Leistungsansprü- Es kannte als Ausgangspunkt die von auf Pflege che, die im SGB XI verbrieft sind, können vielfach angewiesenen Menschen erlebten Defizite in nicht eingelöst werden. ihrer Versorgung, die nicht zuletzt aus nicht be- arbeiteten Schnittstellen, in der fehlenden sys- Seit einigen Jahren wird breit über eine Finanzie- tematischen Aufmerksamkeit für Risikolagen, de- rungsreform der Pflegeversicherung debattiert fizitären Care und Case Management-Strukturen (Rothgang und Domhoff 2019; Klie 2019d; Dia- sowie einer nicht eingelösten Infrastrukturverant- konie Deutschland 2019). Inzwischen haben sich wortung auf örtlicher Ebene resultieren. Die sei- durch die Corona-Pandemie die Rahmenbedin- nerzeit erarbeiteten Vorschläge konzentrierten gungen und Herausforderungen für die Langzeit- sich auf der einen Seite auf eine Differenzierung pflege weiter zugespitzt. Auch wurden die bislang von Hilfebedarfen und ihrer Beantwortung ba- für eine Finanzierungsreform zur Verfügung ste- sierend auf einer Unterscheidung zwischen Cure- hende Finanzreserven der Kassen weithin für Co- und Care-Aufgaben, und auf der anderen Seite ronakosten eingesetzt und verbraucht. Der Bun- auf Instrumente zur Stärkung der kommunalen desgesundheitsminister hat Ende 2020 u. a. eine Handlungsebene in der Umsetzung der Pflegever- Deckelung der Zuzahlungen von Bewohner*innen sicherung, um die Einlösung der Verantwortung stationärer Pflegeeinrichtungen ins Gespräch ge- 4
bracht.1 Über einen Steuerzuschuss soll die Decke- die schon länger diskutierten Schnittstellen zwischen lung finanziert werden. Damit ist in jedem Fall poli- SGB XI und SGB V werden aufgegriffen, sondern tisch die Tür zu einer Verbreiterung der Finanzierung auch und gerade die zum Bundesteilhabege- der Pflegeversicherung aufgestoßen worden. setz. Wird das Papier doch, wie schon das Papier „Strukturreform I“ von der Überzeugung getra- Der Personalmangel in der Langzeitpflege, der gen, dass alle pflegerischen Aufgaben und ins- seinerseits in der Corona-Pandemie in seiner Dra- besondere die Leistungsversprechen der Pflege- matik deutlich hervortrat, führt vielerorts dazu, versicherung ganz wesentlich auch dazu dienen, dass vorhandene Angebote nicht mehr in der glei- die Teilhabe auf Pflege angewiesener Menschen chen Kapazität aufrechterhalten werden können in den gesellschaftlichen Feldern zu sichern, die und neue Einrichtungen pflegerischer Infrastruk- dem je einzelnen Bürger oder der Bürgerin ele- tur nicht an den Start gehen. Dies macht deutlich: mentar bedeutsam sind - und dies bis zum Le- Allein mit einer Optimierung des bestehenden bensende. Das Teilhabeversprechen ist an keine Systems der Pflegeversicherung, die vor 25 Jah- Altersgrenzen gebunden und darf nicht durch ren eine sozialpolitische Errungenschaft war, las- den Masterstatus Pflegebedürftigkeit relativiert sen sich die aktuellen und künftigen Herausforde- werden. Das Papier wird von der Überzeugung rungen nicht bewältigen - ebenso wenig wie mit getragen, dass Teilhabe i.S.d. Sicherung von Zu- einer isolierten Finanzierungsreform. gehörigkeit von auf Pflege angewiesene Men- schen nur dann und dort wird gelingen können, Hier setzt das Papier „Strukturreform Pflege und wenn und wo in der Pflege auch die Sicherung Teilhabe II“ an, das sich ebenso wie das Papier „Pfle- der Teilhabe als eine gesamtgesellschaftliche gepolitik gesellschaftspolitisch radikal neu denken“ Aufgabe wahrgenommen wird. Zugehörigkeit, von Frank Schulz-Nieswandt (Schulz-Nieswandt Lebensqualität und Teilhabe sowie der wirksa- 2020c) als Beitrag zu den Aktivitäten des Kuratori- me Schutz von Menschenrechten lassen sich nur ums Deutsche Altershilfe versteht: eine Plattform im Zusammenwirken von Familien und anderen für eine Reformdiskussion der Pflegeversicherung sozialen Netzwerken, Professionellen und ihrer zu bieten und Diskussionen in der Steuerungs- fachlichen Expertise und ethischen Selbstbin- gruppe und der Fachkommission aufzugreifen. dung, passfähigen Dienstleistungsangeboten im Das nachfolgend vorgestellte Papier – bewusst Bereich der Assistenz und Unterstützung sowie konzentriert formuliert – wurde unter meiner Fe- einer lebendigen Zivilgesellschaft erreichen. In derführung in einem stetigen Diskurs und gemein- diesem Zusammenhang hat sich das Leitbild der samen Prozess der Konzept- und Textentwicklung Caring Community (vgl. Klie 2020b) eingebürgert, mit Nadine-Michèle Szepan und Michael Ranft das deutlich machen soll, dass zur Beantwortung erstellt. Es wurde in seiner Entwicklung begleitet der Herausforderungen im Zusammenhang mit durch die Steuerungsgruppe zur Reform der Pfle- dem, was wir in Deutschland Pflegebedürftigkeit geversicherung im Kuratorium Deutsche Altershil- nennen, dies nur mit einer Demokratisierung der fe. Darüber hinaus fanden zahlreiche Gespräche Sorge- und Pflegeaufgaben wird gelingen kön- sowohl mit Pflegepolitiker*innen des Bundestages nen. Auch die Siebte Altenberichtskommission als auch der Länder statt, Verbandsvertreter*innen hat sich dem Leitbild der geteilten Verantwortung wurden konsultiert. Auch wenn die allermeisten angeschlossen, das in wohlfahrtspluralistischen Vorschläge und konzeptionellen Überlegungen Arrangements die einzig tragfähige Antwort für im Konsens formuliert wurden, wurden einige die Zukunft sieht. Fragen auch im Autoren*innenteam kontrovers diskutiert. So bietet das Papier an der einen oder Dieser Text ist im Dialog und Austausch mit Nadine- anderen Stelle unterschiedliche Optionen zur Be- Michèle Szepan und Staatssekretär Michael Ranft antwortung der Fragen an, die in dem Papier be- als Kuratorin und Kurator im KDA entstanden. handelt werden. Prof. Dr. habil. Thomas Klie Das Papier reflektiert in besonderer Weise das Berlin, Freiburg, Tutzing Bundesteilhabegesetz, das zum 01.01.2020 auch leistungsrechtlich in Kraft getreten ist. Nicht nur Februar 2021 ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 1 Vgl. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2020/pflegereform.html (Abruf vom 10.12.2020). 5
1. Im Fokus: Bedingungen guten Lebens für auf Pflege angewiesene Menschen und Handlungsspielräume von Menschen beschreibt und analysiert und danach fragt, welche Ressour- cen den Bürger*innen zur Verfügung stehen, um eine selbstbestimmte Lebensführung entfalten zu können und inwieweit sie über die Fähigkeit verfügen, das, was ihnen bedeutsam ist in der Lebensführung, auch und gerade mit Blick auf ihre An- und Zugehörigen gesellschaftliche Teilhabe, zu realisieren (Schulz- Nieswandt 2006; Naegele 2013). Der Lebensla- geansatz ist weitergehend als das Konzept der Der hier vorgelegte Reformansatz orientiert sich Pflegebedürftigkeit, das Einschränkungen der an dem von Martha Nussbaum (vgl. Nussbaum Selbständigkeit und ihre Kompensation fokussiert. 1997) vorgelegten Konzept der Bedingungen Analysiert man die Lebenslagen auf Pflege ange- guten Lebens, das ausgehend von zehn We- wiesener Menschen und ihrer An- und Zugehö- sensmerkmalen des Menschen danach fragt, ob rigen, auf deren Pflegebereitschaft die deutsche und wie die Bedingungen aussehen, unter denen Pflegeversicherung weiter kalkuliert ist – was un- Menschen weltweit und in jedweder Lebenslage ter Subsidiaritätsgesichtspunkten bei einer fairen das realisieren können, was für sie in den Dimen- Verteilung von Sorgeaufgaben auch vertretbar sionen guten Lebens jeweils elementar bedeut- ist – wird man Überforderungssituationen pfle- sam ist. Gerade für vulnerable Bürger*innen in gender Angehöriger (Rothgang und Müller 2018; schwierigen Lebenslagen ist der Ansatz von Mar- DAK-Gesundheit 2015) ebenso wenig übergehen tha Nussbaum relevant. Er thematisiert damit die können wie Menschenrechtsverletzungen in der Verantwortung von Gesellschaft und Staat, die häuslichen Pflege. Vielfach fehlt es an entlasten- Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auch der Infrastruktur. Eine systematische Awareness unter schwierigen und prekären Voraussetzungen für Risiken in der Versorgung auf Pflege angewie- ein gutes Leben möglich wird. Keine Bestimmung sener Menschen wurde nicht entwickelt. Auch ist dessen, was gutes Leben für den jeweiligen Bür- die Pflegeversicherung in ihrer fiskalischen Archi- ger bedeutet, ist mit dem Ansatz verbunden. Das tektur so konzipiert, dass sie lediglich einen So- für die jeweilige Person Bedeutsame kann nur sie ckelbetrag finanziert und eine bedarfsdeckende selbst identifizieren und entscheiden. Die Voraus- Versorgung, insbesondere im ambulanten Be- setzungen für Bedingungen guten Lebens als sozi- reich, in die Verantwortung und in die Finanzie- alstaatliche Verpflichtung zu adressieren, ist in ho- rungsbereitschaft und -möglichkeit der Betrof- hem Maße verbunden mit dem den Sozialstaat in fenen stellt. Auch im stationären Bereich muss Deutschland prägenden Subsidiaritätsprinzip, das festgestellt werden, dass trotz vielfältiger Quali- von der Fähigkeit des Menschen in seinen jeweili- tätssicherungsaktivitäten die Versorgungsquali- gen sozialen Bezügen, seine eigenen Angelegen- tät, auch und gerade unter menschenrechtlichen heiten zu besorgen, ausgeht, aber dabei zugleich Gesichtspunkten (Klie 2020g) keineswegs befrie- staatliche Vorleistungspflichten mit bedenkt, die digen kann. Das hat sich unter Bedingungen der die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Corona-Pandemie nochmals in dramatischer Wei- Subsidiaritätsprinzip „atmen“ (Zacher 1968) und se zugespitzt gezeigt. Auch reicht das Personal in jeder das ihm Gemäße zur Gestaltung einer Ge- der Regel nicht aus, um eine teilhabeorientierte samtaufgabe (Korff 1999) beitragen kann. Nicht Pflege und Sorge unter Bedingungen stationärer messbare Kriterien der Lebensqualität, nicht die Versorgung zu gewährleisten. Dies spiegelt sich problematische Dimension der „Kundenzufrie- nicht zuletzt auf der auf persönlichen Erfahrun- denheit“ (Schulz-Nieswandt 2020c) werden in gen beruhenden Einstellung in der Bevölkerung dem Papier zugrunde gelegt. Als Referenz gilt wider, die trotz anerkannter Qualitätsbemühun- das Konzept der Bedingungen guten Lebens von gen in der stationären Pflege eine Pflegeheim- Nussbaum (1997), das inzwischen vielfältig in der versorgung als Perspektive für die eigene oder die gerontologischen und pflegewissenschaftlichen Versorgung von nahen Angehörigen weitgehend Forschung herangezogen wird (BMFSFJ 2016; vermeiden möchte (Haumann 2018). In der häusli- Nolan et al. 2006; Klie 2018b). chen Versorgung haben wir es mit einer insgesamt ausgeprägten Leistungsbereitschaft von Familien In der Soziologie hat sich das Konzept der Le- zu tun, die auch im historischen Vergleich eine benslagen durchgesetzt und bewährt, das die erstaunliche Versorgungsqualität gewährleistet. 6
Gleichwohl haben wir insbesondere bei Alleinste- gend im illegalen oder zumindest im Graubereich henden, aber auch bei überforderten An- und Zu- gesetzlicher Regelungen eingesetzt werden, wird gehörigen die Verletzung von Menschenrechten, weithin hingenommen und geduldet. Von einem Gewaltkonstellationen im Pflegealltag und nicht Systemversagen ist hier zu sprechen (Klie 2019f). sach- und fachgerechte Pflege zu beklagen, die auch durch vielfältige Qualitätssicherungsbemü- Die Zurückhaltung des Staates in dem Bereich der hungen, vom obligatorischen Beratungsbesuch in familiaren Pflege wird u.a. mit der Autonomie der der eigenen Häuslichkeit bis hin zu Angeboten der Familie begründet. Unabhängig von der proble- Pflegeberatung, nicht kompensiert werden. Die matischen – auf einem überkommenden Famili- menschenrechtlichen Probleme in der häuslichen alismus beruhenden – Fokussierung der pflegen- Pflege lassen sich auch als Folgen einer problema- den Angehörigen (Schulz-Nieswandt 2020a) muss tischen Risikoprivatisierung zu Lasten der Familien im Sinne des Subsidiaritätsprinzips und unter He- lesen (Schulz-Nieswandt 2020c). All dies verlangt ranziehung der Referenz der Bedingungen guten nach wesentlich stärkerer Aufmerksamkeit auf Lebens stets die Frage gestellt werden, ob der die Lebenslage des jeweiligen auf Pflege ange- Staat seinen Vorleistungspflichten nachkommt, wiesenen Menschen und seiner An- und Zugehö- damit in den weiterhin vorausgesetzten und do- rigen, nach suffizienten Unterstützungs- und Be- minanten informellen Pflegearrangements in für ratungsangeboten jenseits respektive ergänzend die Beteiligten verträglicher Weise Pflege- und zu den formellen Hilfen, die das Leistungsrecht Sorgeaufgaben übernommen und gestaltet wer- der Pflegeversicherung vorsieht, und einer syste- den können. Hiervon ist die soziale Pflegeversi- matischen Care und Case Management-Struktur, cherung aber auch die kommunale Altenhilfe, be- die die auf der individuellen (Fall-) Ebene sichtbar zogen auf einen nennenswerten Anteil auf Pflege werdenden Defizite systematisch für die Weiter- angewiesener Menschen und ihrer An- und Zuge- entwicklung von Infrastrukturen, Kooperationen hörigen, trotz einer Reihe von Angeboten der Be- und die Gestaltung von Hilfeprozessen auswertet ratung – in der Praxis, weit entfernt. Dies verlangt und nutzt (Klie 2020a). Eingebunden in Strategien nach Reformen. der Sozialplanung und mit einer neu zu normieren- 2. den Infrastrukturverantwortung, die jeweils einen regionalen und Ortsbezug aufweisen muss, kann und muss der diagnostizierten dramatischen Un- gleichwertigkeit von Lebensbedingungen für auf Fachliche Begleitung Pflege angewiesene Menschen entgegengetreten werden. Das gelingt nur über neue Kooperations- und Erwachsenenschutz formen zwischen Leistungsträgern, Kommunen, sicherstellen der Zivilgesellschaft und Leistungserbringern. Es besteht ein so nicht länger zu akzeptieren- 2.1 Analyse der Gap zwischen streng regulierten formellen Dienstleistungsangeboten in der ambulanten Auf Pflege angewiesenen Menschen steht ebenso und stationären Pflege einerseits und einem wie aufgrund von Krankheit behandlungsbedürf- weithin Laissez-faire gehandhabten Geschehen tigen Menschen ein Rechtsanspruch auf fachliche in der lebensweltlichen Bewältigung von Pflege- Begleitung im Kontext der Bewältigung von Pfle- und Sorgeaufgaben in der jeweiligen Häuslichkeit gebedürftigkeit i. S. d. § 14 SGB XI zu: hier auf me- andererseits. Bei den lediglich von 24 Prozent dizinische, dort auf (fach-)pflegerische: Sie sind der zu Hause versorgten, auf Pflege angewiese- darauf ausgerichtet, die selbstständige Lebens- nen Menschen in Anspruch genommenen Pfle- führung sowie die Selbstständigkeit im Umgang gediensten werden strenge Qualitätskontrollen mit funktionellen Beeinträchtigungen und krank- durchgeführt. In nicht durch formelle Dienste be- heitsbedingten Belastungen soweit wie möglich gleiteten Pflegehaushalten – aber auch in diesen zu erhalten und zu fördern. Auch wenn die Über- – werden Überforderungssituationen pflegender nahme von pflegerischen Aufgaben innerhalb Angehöriger ebenso übersehen wie Menschen- von Familien, in Haushalten aber auch Freund- rechtsverletzungen im Pflegealltag. Auch die ver- schaftsbeziehungen in unserer Gesellschaft als breitete Inanspruchnahme von osteuropäischen eine Solidaritätsaufgabe verstanden und auch Haushalts- und Pflegehilfen, die ganz überwie- tatsächlich wahrgenommen wird, sind mit dem 7
unter dem Begriff der Pflegebedürftigkeit subsu- provoziert, sondern auch Überlastungssituatio- mierten Einschränkung der Selbständigkeit auf- nen befördert und das Wohl auf Pflege angewie- grund von Krankheit und/ oder Behinderung zahl- sener Menschen gefährdet sein kann. In diesem reiche fachliche Anforderungen verbunden. Die Zusammenhang sind auch Aspekte des Erwach- Übernahme von Pflegeaufgaben lediglich als eine senenschutzes zu betonen. Sozialleistungen in private Angelegenheit zu sehen, ist nicht zuletzt Deutschland dienen im Kern der Grundrechtsre- durch Einführung der Pflegeversicherung 1994 alisierung von Bürger*innen. Jede erwachsene hinfällig. Mit der Begutachtung durch den Medizi- Person hat – nicht zuletzt abgeleitet aus dem nischen Dienst (MD), durch die Verankerung eines Haager Erwachsenenschutzübereinkommen – Rechtsanspruches aber auch der Verpflichtung ein Recht auf wirksamen Schutz der Grund- und von Geldleistungsbeziehern zur Inanspruchnah- Menschenrechte. Das gilt auch für erwachse- me von Pflegeberatungsbesuchen gem. § 37 Abs. ne Menschen, auch wenn es an einer das Kin- 3 SGB XI, der inzwischen elaborierten fachlichen deswohl schützenden Vorschrift gem. § 1666 Anforderungen im Rahmen von Qualitätssiche- BGB für erwachsene Personen bislang fehlt (vgl. rung in der Langzeitpflege kann und darf man die Zenz 2007; EmMa-Projekt2). Sozialleistungsträ- Übernahme von Aufgaben der Pflege nicht als gern kann unter bestimmten Voraussetzungen solche verstehen, die in der Durchführung als von eine Garantenstellung gegenüber vulnerablen jedem „Laien“ als kompetent wahrzunehmende Bürger*innen zuwachsen (vgl. Hoffmann 2010a; angesehen werden können und dürfen. Aus der Klie 2019c), wenn sie Kenntnis von einer Notlage Sicht des auf Pflege angewiesenen Menschen und erhalten und eine Fallverantwortung in den ent- seiner An- und Zugehörigen resultiert daraus ein sprechenden Strukturen übernommen worden Anspruch auf pflegefachliche und gegebenenfalls ist. Eine entsprechende Awarenessstruktur für weitere fachliche (rehabilitative, sozialarbeite- erwachsenenschutzrechtlich relevante Risikosi- rische, medizinische) Begleitung. Nicht nur un- tuationen existiert in Deutschland bislang nicht. ter dem Gesichtspunkt der Prävention, auch mit Das gilt auch und gerade für erwachsenenschutz- Blick auf mögliche und notwendige Maßnahmen rechtlich relevante Konstellationen in der häusli- zur Erhaltung der Selbständigkeit, der Nutzung chen Pflege. Einschlägig ist das Betreuungsrecht rehabilitativer Potentiale im Zusammenhang mit als eine Ausformung des Erwachsenenschutz- Pflegebedürftigkeit aber auch zur Entlastung und rechts in Deutschland, das advokatorische Funk- Unterstützung von pflegenden Angehörigen, ist tionen für ihre Angelegenheit selbst nicht mehr fachpflegerische Begleitung als Rechtsanspruch besorgen könnende Personengruppen vorsieht zu verstehen. Durch die Verankerung der Steue- (vgl. § 1896 BGB, § 1814 BGB E). In beiden: In einer rung des Pflegeprozesses als Vorbehaltsaufgabe systematischen Awarenessstruktur für erwachse- der Fachpflege in § 4 PflBG wird die Exklusivität nenschutzrechtlich relevante Risikosituation auf fachpflegerischer Begleitung und Steuerung noch Pflege angewiesener Menschen wie auch für die einmal deutlich unterstrichen (Klie 2021). Die In- pflegefachliche Begleitung von Beziehern von anspruchnahme von fachpflegerischen Leistun- Leistungen der Pflegeversicherung fehlt es bis- gen wird auf der einen Seite durch das SGB XI lang an einer auch in der Praxis verfangenen suf- vorgesehen. Gleichzeitig setzt allerdings die Fi- fizienten Infrastruktur und klaren Regelung recht- nanzarchitektur der Pflegeversicherung und das licher Verantwortlichkeiten. Bei der anstehenden Nebeneinander von Cash- und Care-Leistungen Reform des Betreuungsrechts sollten diese Desi- Anreize, dass auch dort, wo fachpflegerische Be- derate aufgenommen werden. gleitung an sich erforderlich wäre, diese aus haus- haltsökonomischen Gründen und zum Schutz der Haushaltsautonomie vor staatlicher und fachli- 2.2 Reformperspektive: cher Ingerenz abgelehnt wird. Selbstverständ- Subjektorientierte Qualitätssicherung lich gilt es die Autonomie von Pflegehaushalten zu schützen. Auch ist hier ein fachpflegerischer Unter dem Label „Subjektorientierte Qualitätssi- Paternalismus abzulehnen. Gleichzeitig ist nicht cherung“ wurde in den letzten Jahren ein Ansatz zu verkennen, dass durch den Verzicht auf fach- entwickelt (Klie und Büscher 2019), der ausge- pflegerische Begleitung nicht nur Pflegefehler hend von dem Pflegemodell von Nolan (Nolan et ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 2 Goethe-Universität, Frankfurt am Main, https://www.uni-frankfurt.de/62154606/Projekt-EmMa (Abruf vom 22.01.2020). 8
al. 2006) und basierend auf dem Capability-Ap- mitteln eine besondere Feststellungsfunktion proach von Martha Nussbaum - die Bedingungen als auch dort, wo aus seiner Sicht die Pflege bei guten Lebens (Nussbaum 1997) - die Perspektive Pflegegeldbezug nicht sichergestellt ist, eine Art der Qualitätssicherung in der Langzeitpflege von Warnfunktion gegenüber den jeweiligen Pflege- den zu kontrollierenden Einrichtungen respek- kassen. Ob de lege lata oder de lege ferenda wäre tive Institutionen auf die Subjektebene, auf die in jedem Fall die Funktion des MD zu präzisieren jeweilige Person und ihre Lebenswelt verlagert. und wäre das Begutachtungsverfahren potential- Jeder auf Pflege angewiesene Mensch, der Leis- und risikospezifisch weiterzuentwickeln, damit tungen der Pflegeversicherung oder anderer So- sowohl für den Pflegehaushalt selbst als auch für zialleistungsträger bezieht, hat einen Anspruch Beratungsinstitutionen entsprechende Rückmel- auf wirksamen Schutz seiner Menschenrechte dungen und Hinweise gegeben werden können, und darauf, dass Bedingungen gesichert werden, welche Maßnahmen zur Sicherung der Qualität unter denen er seine Selbständigkeit entfalten re- in Betracht gezogen respektive ergriffen werden spektive Selbständigkeitsdefizite kompensieren sollten. Eine ähnliche Funktion war mit dem bis kann, um die für ihn bedeutsamen Dimensionen heute in § 18 SGB XI vorgesehenen Pflegeplan be- guten Lebens leben und insofern seine Persön- reits angelegt, wurde jedoch nicht weiterverfolgt lichkeit auch unter Bedingungen von Pflegebe- respektive umgesetzt, da der Begriff der Pflege- dürftigkeit entfalten zu können. Die der Konzep- planung anderweitig besetzt ist und der jeweils tion der subjektorientierten Qualitätssicherung verantwortlichen Pflegefachperson übertragen zugrundeliegende Überlegung in methodischer wurde, einen Pflegeplan im Rahmen der Steue- und institutioneller Sicht basiert auf der Begut- rung des Pflegeprozesses mit dem auf Pflege an- achtungsfunktion des Medizinischen Dienst der gewiesenen Menschen gemeinsam zu entwickeln. Krankenversicherung gem. § 18 SGB XI und dem neuen Begutachtungsinstrument (NBI), das der Klärungsbedürftig sind die Fragen, die sich aus Feststellung der Pflegebedürftigkeit seit 2017 den Feststellungen des MD respektive den ermit- dient. Das Begutachtungsverfahren ist pflege- telten Potentialen und Risikofaktoren ergeben- wissenschaftlich hinterlegt und bietet wesentlich den Folgerungen und Maßnahmen. § 18 SGB XI mehr Informationen als das bisherige Begut- sieht bereits jetzt vor, dass die Feststellung eines achtungsinstrument. Bei dem im Auftrag des Rehabilitationsbedarfes durch den MDK leis- AOK-Bundesverbandes weiterzuentwickelnden tungsrechtliche Implikationen mit sich bringt. Konzeptes wird sichtbar, dass die Items des Be- Ähnliches könnte man sich für die Feststellung gutachtungsinstrumentes verbunden mit dem hinsichtlich der Potentiale und Risikofaktoren Begutachtungsbogen zur Feststellung der Pfle- vorstellen: Die Empfehlungen wären an den Ver- gebedürftigkeit geeignet sind, sowohl Gelingens- sicherten selbst und seine An- und Zugehörigen als auch relevante Risikofaktoren für das jeweilige weiterzuleiten, ebenfalls an seine Pflege- und Pflegearrangement unter Heranziehung der be- Krankenkasse. Diese hätte dann insbesondere bei schriebenen Parameter zu befördern. Mithilfe des Risikofaktoren darauf hinzuwirken, dass geeigne- MD und des Begutachtungsverfahrens könnte te Beratungsangebote unterbreitet und gegebe- die bislang fehlende systematische Awareness nenfalls auch Maßnahmen zur Sicherung des Er- für Fragen der Notwendigkeit pflegefachlicher wachsenenschutzes ergriffen werden. Abgestufte Begleitung und erwachsenenschutzrechtlich re- Maßnahmen von Informationen über Beratung levanter Risikosituationen geschaffen werden. bis hin zu einer Case Management-basierten Be- Dabei wäre zu prüfen, ob die Rolle des MD inso- gleitung (Pflegeberatung) wären ebenso vorzuse- fern weiter zu fassen ist: Nicht nur die Begutach- hen wie im Extremfall von unabweisbarem Schutz tungsfunktion i.S.d Feststellung eines Pflegegra- etwa in gewaltgeneigten Pflegekonstellationen des, sondern darüber hinaus auch die Aufgaben, und der Ablehnung von Beratung die Einschal- das jeweilige Pflegearrangement hinsichtlich tung des Betreuungsgerichtes, die bereits heute seiner Potentiale aber auch seiner Risiken in den nach dem Sozialdatenschutzrecht möglich und Blick zu nehmen, ließe sich als Aufgabe dem MD geboten sein kann. Inwieweit sich eine Garanten- zuordnen. Im Ansatz sind diese Aufgaben bereits stellung – ähnlich wie in der Sozial- und Jugend- im Aufgabenkonzept des MDK vorgesehen: So hilfe bekannt – mit entsprechenden Handlungs- hat er sowohl hinsichtlich bestehender Rehabi- pflichten ergeben kann, wäre zu prüfen. litationsbedarfe, im Einsatz von Heil- und Hilfs- 9
3. Schnittstellenprobleme zwischen Medizin und Pflege lösen Identifikation von sekundären Präventions- und Rehabilitationsbedarfen vor und bei Pflege ist in § 18 Abs. 6 SGB XI niedergelegt und als Auf- gabe des MD definiert. Die Umsetzunghinder- nisse für eine breit angelegte und konzeptionell ausgereifte Prävention vor und im Umfeld von Pflegebedürftigkeit liegen zum einen in den un- terschiedlichen Finanzierungslogiken in der GKV 3.1 Prävention und SPV, im in Präventionsleistungen virulent werdenden Vertragswettbewerb in der GKV und Im Zusammenhang mit der Entstehung aber auch fehlenden bzw. nicht greifenden Regelungen, die dem Verlauf von „Pflegebedürftigkeit“ spielt die auf eine sektorenübergreifende Koordinations- Prävention eine zentrale Rolle. Leistungen der verpflichtung zielen bzw. Vorleistungsverpflich- medizinischen Rehabilitation und Prävention tungen für Reha- und Präventionsleistungen dienen der Vermeidung und -minderung von Pfle- verankern. Es wird davon ausgegangen, dass in gebedürftigkeit. Der Grundsatz „Rehabilitation einem nicht unbeträchtlichen Umfang das Ein- vor Pflege“ (Klie 2017b) wurde vielfältig im Leis- treten der eingeschränkten Selbstständigkeit, tungsrecht niedergelegt. Während die Verhält- die zur Leistungsberechtigung nach dem SGB nisprävention i.W. als Aufgabe der Kommunen XI führt, hinausgezögert werden kann. Auch ist zu verstehen ist, konzentriert sich die Präventi- bekannt, dass es im Wesentlichen soziale Risi- onsverantwortung von Kranken- und Pflegekas- kofaktoren sind, die einen Pflegeheimeintritt als se auf die Verhaltensprävention. In einem breiten unabweisbar erscheinen lassen. Insofern ist das Präventionsverständnis geht es zudem nicht nur Investment in (soziale) Präventionsmaßnahmen um Leistungen der medizinischen Prävention, im Kontext von Pflegebedürftigkeit unabweis- die auf die Verminderung und Vermeidung von bar. Im Bereich Prävention ist das Spektrum von Pflegebedürftigkeit zielen. Auch solche der so- Niveaus der Vorhaltung von Angeboten und Leis- zialen Prävention spielen eine bedeutsame Rol- tungen in der Bundesrepublik noch vielfältiger le. Für sie tragen vorrangig die Kommunen die als hinsichtlich der Leistungen der Pflegeversi- Verantwortung – bezogen auf ältere Menschen cherung und entsprechender Infrastrukturen. etwa über § 71 SGB XII. Die Hoffnungen durch Auch und gerade hier kann in keiner Weise von den Ausbau von Präventionsangeboten für von gleichwertigen Lebensbedingungen für von Pflegebedürftigkeit Bedrohten die Zahl der Pfle- Pflegebedürftigkeit bedrohten Menschen ge- gebedürftigen zu begrenzen, werden politisch sprochen werden. An tragfähigen und gut eva- immer wieder aufgegriffen. Von einer konse- luierten Konzepten, wie etwa den unterschied- quenten Ausrichtung der Kranken- und Pflege- lichen Ansätzen des präventiven Hausbesuches versicherung an Public Health-Konzepten (Hilde- mangelt es nicht.3 brandt et al. 2020a; Hildebrandt et al. 2020b) kann noch keine Rede sein. Dabei ist ein weites Präventionsverständnis im Sinne der WHO ge- 3.2 Rehabilitation fragt, das auch in den §§ 20 ff SGB V seinen Nie- derschlag findet, inzwischen aber auch in der Be- In einem rehabilitationswissenschaftlichen Sinne wohnerprävention gem. § 5 SGB XI, die auch auf ist das Spektrum von Rehabilitationsangeboten ambulante Settings ausgedehnt werden sollte. für von Pflegebedürftigkeit bedrohten oder von Gesundheitskompetenz vermittelnde Bildungs- ihr betroffenen Menschen ausgesprochen weit angebote gehören in das Spektrum von Präven- und schließt auch und gerade auf soziale Teilhabe tionsleistungen, die in der Logik des Präventions- ausgerichtete rehabilitative Maßnahmen ebenso gesetzes abgestimmt zwischen Kassen, Trägern ein wie solche der Heil- und Hilfsmittel, die alle- von Präventionsleistungen, der Zivilgesellschaft samt Rehabilitationszielen dienen. In der leistungs- und den Kommunen unterhalten, entwickelt rechtlichen Logik des SGB V wird von Rehabilitati- und vermittelt werden sollen. Die Aufgaben der onsleistungen nur insoweit gesprochen, als dass es ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 3 Vgl. zum Beispiel: Blotenberg et al. 2020; Deutsches Institut für Angewandte Pflegeforschung 2008; Deutsches Institut für an- gewandte Pflegeforschung e.V. (dip) 2019. 10
sich um Formen stationärer oder teilstationärer Pflegeversicherung könnte sprechen, dass hier am Reha-Leistungen handelt, die etwa im Rahmen ehesten ein Interesse an den Wirkungen der Reha- der Geriatrie in Krankenhäusern der Regelversor- bilitationsleistungen auch in ökonomischer Hin- gung (Frührehabilitation gem. § 39 SGB V) und sicht besteht. Dies ist allerdings eingeschränkt, so im Bereich der geriatrischen Rehabilitation in der Kassenwettbewerb nicht auch im Bereich der Reha-Kliniken gem. § 40 SGB V vorgehalten und sozialen Pflegeversicherung verankert wird. Auch finanziert werden. Gefragt ist ein sektorenüber- stellt sich die Frage, ob es allein wettbewerbliche greifendes Verständnis und Angebot von Rehabi- Elemente sind, die die Kassenaktivitäten steuern. litationsleistungen, das im Sinne des Versicherten Überdies wäre mit einer Verlagerung der Träger- alle rehabilitativ relevanten Ansätze und Angebo- schaft für Reha-Leistungen in die Pflegeversiche- te aufeinander bezieht, miteinander verbindet rung nur ein enges Rehabilitationsverständnis Ba- und den Versicherten zugänglich macht. Ansätze sis der Reha-Leistungen. Rehabilitation im Sinne derart weitgefasster Rehabilitationsverständnis- der ICF – der Sicherung sozialer Teilhabe – bliebe se finden sich etwa in Konzepten wie Pflege-Plus weiterhin außen vor, wobei die im Konzept der des AOK-Bundesverbandes (Wagner und Szepan Pflegebedürftigkeit in den Vordergrund gestellten 2018, S. 184ff.). Die Rehabilitationsansprüche aus Selbständigkeitsbeeinträchtigungen in ihrer Be- dem SGB V sehen vor allen Dingen stationäre und antwortung jeweils der sozialen Teilhabe dienen, ambulante Angebote in Kliniken vor. Aufsuchen- obwohl sie keine Teilhabeleistung im engeren Sin- de Angebote sind zwar regelhaft vorgesehen, ne darstellen. Man würde durch die Verlagerung aber keineswegs flächendeckend implementiert. der Trägerschaft der medizinischen Rehabilitation Leistungen gem. §§ 32, 33 SGB V, die Heil- und nur ein Teilproblem lösen. Hilfsmittelversorgung, werden nicht im engeren Sinne als Rehabilitationsleistungen verstanden, Die andere Position sieht weiterhin die gesetz- Leistungen der ergänzenden Rehabilitation gem. liche Krankenversicherung als Träger der Re- § 43 SGB V für auf Pflege angewiesenen Men- habilitationsleistung im Vorfeld von und bei schen oder von Pflegebedürftigkeit bedrohten Pflegebedürftigkeit. Für die Beibehaltung und Personen selten zugänglich gemacht. Inwieweit gegebenenfalls den Ausbau spreche die enge sich eine rehabilitativ orientierte Pflege (Bobarth Verzahnung mit Leistungen ärztlicher Diagnostik etwa) auch im Leistungserbringungsrecht der und Behandlung, die insgesamt den Rehabilita- häuslichen Krankenpflege gem. § 37 SGB V nie- tionsprozess koordinierenden Funktionen von derschlägt respektive Rehabilitationsziele auch Kliniken und niedergelassenen Ärzten und die bei der Leistungserbringung im Rahmen von Einbeziehung von im weiteren Sinne als Rehabi- § 36 SGB XI ihren Niederschlag finden (können), litationsleistung zu wertenden Maßnahmen wie ist nicht in jeder Hinsicht geklärt, zumal wenn es die Gewährung von Heil- und Hilfsmitteln. Auch darum geht, Rehabilitationsziele zum zentralen die für die GKV-Leistungen in Anwendung zu Ziel oder Ankerpunkt für die Verordnung entspre- bringenden Koordinationsvorschriften aus Teil 1 chender Leistungen zu machen. Ähnliches gilt für des SGB IX mit der klaren Regelung von Zustän- Angebote und Konzepte der Kurzzeitpflege, die digkeits- und Fragen der Verfahrensgestaltung ihrerseits ressourcenorientiert pflegerisch-thera- sprechen für den Verbleib der leistungsrechtli- peutisch ausgerichtet sein sollten. chen Zuständigkeit in der GKV. Damit auch die Koordinations- und Kooperationsregelungen aus Unabhängig von diesen Detailfragen stellt sich dem Rehabilitationsrecht verbindlich die Leis- die Frage danach, wie die Rehabilitationsleistun- tungen der Pflegeversicherung miteinbeziehen, gen für auf Pflege angewiesene Menschen künf- denn Menschen mit Pflegebedarf haben auch tig besser koordiniert und Rehabilitationsbedarfe Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe, von auf Pflege angewiesenen Menschen geziel- ist es unumgänglich, die Pflegeversicherung zum ter beantwortet werden können. Zwei Positionen Reha-Träger im Sinne des SGB IX zu machen. werden hierzu vertreten: Eine Position möchte die Pflegeversicherung zum Träger von Rehabilitati- onsleistungen für auf Pflege angewiesene Men- 3.3 Behandlungspflege schen machen, die andere sieht die Rehabilitati- onsleistung weiterhin in der Hand der gesetzlichen Die leistungsrechtliche Verortung der sogenannten Krankenversicherung. Für eine Verlagerung der Behandlungspflege ist seit vielen Jahrzehnten Ge- Rehabilitationsleistungen in das Recht der sozialen genstand fachpolitischer aber vor allem pflegeöko- 11
nomischer Debatten (Steppe 2000; Klie 1998; Szepan konzeptionell durchbrochen und zugleich der Ver- 2018). Pflegewissenschaftlich ist der Begriff der Be- such unternommen, im Sinne von extended nursing handlungspflege mehr als umstritten. Sinnvoll lässt eigenständige Aufgaben der Heilkunde an Pflege- sich in einem pflegewissenschaftlichen Verständnis fachpersonen zu übertragen (Szepan 2013). Im Rah- die leistungsrechtliche Unterscheidung zwischen so- men der Corona-Pandemie erhält die Frage der Heil- genannten körperbezogenen Pflegemaßnahmen, kundeübertragung gem. § 5a IfSG neue Aktualität. pflegerischen Betreuungsmaßnahmen- und Be- Völlig unabhängig davon sind pflegerische Aufgaben handlungspflege nicht treffen. Traditionell wurden immer eingebunden in einen allein von den Pflege- unter Behandlungspflege Aufgaben bei der Mitar- fachpersonen als Vorbehaltsaufgabe gem. § 4 PflBG beit bei ärztlicher Diagnostik und Therapie verstan- in Aushandlung mit den Patient*innen zu gestal- den, soweit Aufgaben und Tätigkeiten in ärztlicher tenden Pflegeprozess. Der Pflegeprozess kann und Verantwortung an Pflegekräfte delegiert werden darf in seiner Logik nicht einer leistungs- und ver- konnten. Die Diskussion pflegeökonomischer Art fo- tragsrechtlichen Segmentierung nach körperbezo- kussierte vor allen Dingen die Kostentragungspflicht genen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Be- für die Behandlungspflege in stationären Einrich- treuungsmaßnahmen hier und Behandlungspflege tungen der Langzeitpflege und der Behindertenhil- dort folgen. Die Fachpflege wird ganzheitlich ver- fe.4 Die Finanzierung der Behandlungspflegekosten standen und der Pflegeprozess ist einheitlich unter durch die GKV war bereits mit Einführung der Pfle- Berücksichtigung aller pflegerelevanten Aspekte zu geversicherung in Aussicht gestellt worden, ist aber gestalten und hat jeweils die Schnittstellen zu den bis heute nicht vollständig umgesetzt, auch wenn Verantwortungsbereichen anderer Berufsgruppen, seit 2019 durch das Pflegepersonalstärkungsgesetz seien es die der Ärzte, seien es die der Therapeuten, Zuschüsse zu den Personalkosten für Aufgaben der aber auch die der Hauswirtschaft und Sozialarbeit zu Behandlungspflege in stationären Pflegeeinrichtun- reflektieren und die Kompetenzen der angesproche- gen gewährt werden können. Inhaltlich wird das, nen Berufsgruppen einzubeziehen. In der Pflegewis- was heute als Behandlungspflege verstanden wird, senschaft und in den Lehrbüchern zur Pflegeplanung im Wesentlichen über die Richtlinien des Gemein- (Weidner 2019; Brandenburg 2013) wird dies auch in samen Bundesausschuss gem. § 92 SGB V zu dem diesem umfassenden Sinne verstanden und wird Leistungsumfang der häuslichen Krankenpflege Pflegeplanung entsprechend konzipiert. Die Frage gem. § 37 SGB V definiert. Bei Beziehern von Leis- ist, wie leistungsrechtlich auf die Schnittstellenpro- tungen der Pflegeversicherung kommt es regelmä- blematik eingegangen respektive diese bearbeitet ßig zu einer Leistungskonkurrenz respektive einem werden kann und soll. Zwei unterschiedliche Optio- Nebeneinander von Leistungen gem. § 36 SGB XI nen kommen in Betracht und werden diskutiert: und § 37 Abs. 2 SGB V – etwa §§ 41, 42, 43, 43a SGB XI i.V.m. § 37 Abs. 2 SGB V. Mit der leistungsrechtlichen (1) Behandlungspflege und Trennung und der Zuständigkeit unterschiedlicher Pflegeprozesssteuerung als Leistung der GKV Kostenträger von Pflegeleistungen im Rahmen des Pflegeprozesses liegt eine bearbeitungsbedürftige Wie schon in dem Reformpapier „Strukturreform Schnittstellenproblematik vor, die sehr unterschied- Pflege und Teilhabe“ 2013 vorgeschlagen und liche „Gesichter“ in vollstationären Versorgungskon- modellhaft berechnet, könnten die Aufgaben der texten, in ambulanten Versorgungssettings aber Pflegeprozessplanung neben den Leistungen der auch in neueren kollektiven Versorgungsformen „Behandlungspflege“ als Leistungen in einem er- wie Tagespflege und ambulant betreuten Wohnge- weiterten § 37 SGB V verankert werden. Zusätzlich meinschaften kennt. Mit der Professionalisierung zu dem bislang schon im Leistungskatalog der der Fachpflege ist die Behandlungspflege in jedem häuslichen Krankenpflege gem. § 37 Abs. 2 SGB V Fall aus dem Schatten alleiniger ärztlicher Verant- vorgesehenen Leistungen kämen solche der wortung und delegierter Aufgaben herausgetreten. Steuerung des Pflegeprozesses hinzu, die bei um- Im Zusammenhang mit der Debatte um die Über- fassenden behandlungspflegerischen Leistungs- tragung von Heilbehandlungsaufgaben als eigen- profilen mitfinanziert, ansonsten gegebenenfalls ständige an die Pflegefachpersonen wird auch die über eine zusätzliche Pauschale zusätzlich entgol- faktische Delegationsfiktion problematisiert und ten werden müssten. Auf diese Weise würden im ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 4 Ruhensvorschrift des § 216 Abs. 1, Ziff. 4 RVO a.F. Klie 1990 wurden im Dritten Reich die Krankenkassen von den Kosten der Behandlungspflege in Anstalten, die nicht mehr kurativ ausgerichtet waren, befreit. 12
Leistungsrecht der GKV eigenständig Leistungen tung der GKV deutlich unterstützt und erleichtert der Fachpflege, so ihr Aufgaben gem. § 4 PflBG werden. Dabei berühren die den Pflegefach- berufsrechtlich vorbehalten sind, verankert. kräften zugeordneten Kompetenzen in der Pri- mär- und Langzeitversorgung sowie dem breiten Für eine GKV-Lösung spricht zunächst, dass Feld von Public Health immer unterschiedliche Aufgaben der Fachpflege keineswegs lediglich Kostenträger – und wie nicht zuletzt die Corona- im Zusammenhang mit dem sozialrechtlichen Pandemie deutlich machte, den öffentlichen Ge- Konstrukt der Pflegebedürftigkeit und dem Leis- sundheitsdienst, der in den letzten Jahrzehnten tungsbezug von Pflegeversicherungsleistungen zurückgefahren wurde. einhergehen. Die pflegefachliche Begleitung ist auch in zahlreichen anderen Situationen indi- (2) Behandlungspflege unabhängig vom Ort ziert, in denen Pflegebedürftigkeit im Sinne der der Leistungserbringung in der Finanzierungs- §§ 14ff SGB XI nicht vorliegt. Aufgaben der Be- trägerschaft des SGB XI handlungspflege werden häufig von nichtpflege- bedürftigen Personen in Anspruch genommen. Das Konzept der Pflegebedürftigkeit, das 2017 Bei drohender Pflegebedürftigkeit, aber auch mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ver- bei vorliegender Behinderung können pflege- bindlich eingeführt wurde, ist pflegewissen- fachliche Begleitaufgaben unter präventiven und schaftlich basiert und kennt als zentralen Akteur rehabilitativen Gesichtspunkten von größter Be- die Fachpflege, die sowohl diagnostisch als auch deutung sein (vgl. Community Health Nursing, im Assessment unter Hilfeplanung bei pflegebe- Robert Bosch Stiftung5). Die Präventions- und dürftigen Versicherten eine zentrale Steuerungs- Rehabilitationspotentiale fachpflegerischer Be- funktion übernimmt und dies auch unabhängig gleitung, die gesundheitsfördernde und eduka- von der Profession der Medizin. Das Konzept tive Ausrichtung von Fachpflege wären auf diese Pflegebedürftigkeit, wie es jetzt im Recht der Weise ebenso zu gewährleisten wie ein stigma- Pflegeversicherung mit dem neuen Pflegebe- freier Zugang zu fachpflegerischer Begleitung. dürftigkeitsbegriff verankert ist, rückt Fragen Die Zuerkennung von Pflegebedürftigkeit als ei- der Selbstständigkeit im Umgang mit den Folgen nerseits leistungsauslösender Tatbestand und auf gesundheitlicher Störungen in den Mittelpunkt. der anderen Seite als Stigma behaftet, rückt die Die Fähigkeit zur selbstständigen Krankheits- fachpflegerische Begleitung stets in die Nähe der bewältigung und selbstständigen Gestaltung sogenannten Altersgebrechlichkeit, die bei dem von Lebensbereichen zu erhalten, steht im Vor- Konzept der Pflegebedürftigkeit faktisch immer dergrund. Pflegerische Aufgabe ist es, den Pfle- noch prägend ist. Auch ist die Pflegeversicherung gebedürftigen im Umgang mit krankheits- und nicht nur heute, sondern wird auch in Zukunft therapiebedingten Anforderungen zu befähigen, stets mit haushaltsökonomischen Kalkülen hin- Selbstpflegekompetenzen wahrzunehmen, zu sichtlich der Finanzierung von Pflegeleistungen entwickeln und zu unterstützen. Sie folgt dem verbunden bleiben. Im geltenden Leistungsrecht ganzheitlichen Ansatz und unterscheidet nicht der Pflegeversicherung wird unter haushaltsöko- wie das Kranken- und Pflegeversicherungsrecht nomischen Gesichtspunkten auf die Inanspruch- in körperbezogene Pflegemaßnahmen, pflege- nahme von Pflegefachleistungen verzichtet (cash rische Betreuungsmaßnahmen, Hilfen bei der oder care). Damit werden die oben beschriebe- Haushaltsführung und Behandlungspflege auf nen bedeutsamen Verantwortlichkeiten sozial- der einen Seite und unterschiedliche Finanzie- staatlicher Art, die sich auch und gerade in der rungsträgerschaften auf der anderen Seite. Pfle- fachpflegerischen Begleitung niederschlagen, gerische Handlungen lassen sich weder inhaltlich eingeschränkt respektive mit in ihren Folgen noch kostenmäßig voneinander trennen. Körper- problematischen Hürden verbunden. Auch die bezogene Pflegemaßnahmen und medizinische Zusammenarbeit mit Ärzten, Krankenhäusern, Behandlungspflege etwa werden oftmals gleich- Therapeuten und anderen Akteuren des Gesund- zeitig ergriffen. Insofern bietet eine Verankerung heitswesens könnte über eine Integration fach- von behandlungspflegerischen Leistungen im pflegerischer Leistungen als eigenständige Leis- SGB XI zumindest für die Leistungsbezieher der ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 5 Vgl. https://www.bosch-stiftung.de/de/projekt/community-health-nursing (Abruf vom 10.12.2020). 13
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