Forum Verkehr - Deutsches Verkehrsforum

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forum Verkehr
  Magazin für Mobilität . Ausgabe 4 . Winter 2021          Foto: © Deutsche Bahn AG

 Mobilität der Zukunft
 beginnt im Kopf!
 Wie die Trendwende bei den Emissionen speziell im
 Personen ver kehr gelingen kann . Seite 10

  Seite 2 Wirksame Cybersicherheit braucht enge Kooperation zwischen Wirtschaft und Behörden Seite 5 Fit-for-55-
  Paket soll Mobilität auf klimaneutralen Pfad bringen Seite 6 Onlinezugangs- und Planungsbeschleunigungsgesetze noch
  ohne spürbare Wirkungen Seite 8 Hafen Magdeburg setzt auf Digitalisierung Seite 9 Im Gespräch mit Agnes Heftberger:
  In Zukunft digital Seite 12 Mehr Fortschritt wagen ist nötig
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W I R K SA M E                                                                                  Foto: © Adobe Stock

CYBERSICHERHEIT
B R AU C H T E N G E
KO O P E R AT I O N Z W I S C H E N
W I RT S C H A F T U N D
BEHÖRDEN
Mit der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung der
Verkehrsmittel und Infrastruktur entsteht eine neue Gefahr
von Hackerangriffen auf die Transportbranche. Mit Blick auf die
Ausfallsicherheit kritischer Infrastrukturen wurde die NIS-Richt -
linie auf der europäischen Ebene sowie das IT-Sicherheits -
gesetzt 2.0 und die KRITIS-Verordnung auf Bundesebene
gesetzt. Bei der DVF-Veranstaltung »Welche Cybersicherheit
braucht die Mobilität?« waren sich Vertreter aus Wirtschaft und
Behörden einig, dass die Bedrohung durch Cyberattacken eine
enge Kooperation aller Beteiligten erfordert.
                                                                                                                         Foto: © Adobe Stock

L
      aut Stefan Kölbl, Mitglied des Präsi-   ken. Allerdings kann die Prüfung dieser         tät, Service und Komfort bieten. Selbst-
      diums, Deutsches Verkehrsforum (DVF),   Systeme auf Plausibilität allein durch das      verständlich muss das mit einem Höchst-
      Vorsitzender der Vorstände, DEKRA       Bundesamt für Sicherheit in der Informa-        maß an Sicherheit einhergehen«, postu-
e.V. und DEKRA SE ist es erschreckend,        tionstechnik BSI nicht mit der Zertifizierung   lierte Eva Kreienkamp, Vorstandsvor-
wie hoch die Schäden durch Cyberattacken      durch eine unabhängige Prüfstelle gleich-       sitzende, Berliner Verkehrsbetriebe (BVG),
in der Wirtschaft sind: »Neun von zehn        gesetzt werden. Zudem ist es wichtig, dass      AöR. »Bei der Cybersicherheit machen wir
Unternehmen sind mittlerweile Opfer von       Mobilitätswirtschaft, Behörden und Prüf-        keine Abstriche. Dafür brauchen wir eine
Hackerangriffen, im Grunde genommen           institutionen die kritischen Sicherheits-       gegenseitige Unterstützung aller Beteiligten,
die gesamte Wirtschaft. Die Schäden be-       bereiche identifizieren.«                       also Unternehmen, Behörden und Politik.«

»           Deshalb ist Cybersicherheit im Verkehr eine                                       Redundanz und die Dezentralisierung von

            nicht verhandelbare Grundbedingung und wird                                       Rechenzentren seien Bausteine zum Schutz
                                                                                              vor Cyberangriffen, so Julia Miosga, Senior
            zum neuen Megathema.«
                                                                                              Expertin Corporate Public Affairs, Deutsche
            [Stefan Kölbl]
                                                                                              Post DHL Group, Konzernrepräsentanz
                                                                                              Berlin. DPDHL als global agierender Kon-
laufen sich in diesem Jahr auf 223 Milliar-   Mit der europäischen Regulierung für kriti-     zern sei in 220 Ländern tätig und brauche
den Euro – doppelt so viel wie noch vor       sche Infrastrukturen, der NIS-Richtlinie und    vor allem harmonisierte und standardisierte
einem Jahr.«                                  deren Umsetzung in Deutschland durch            Regularien, die sich an internationalen
                                              das IT-Sicherheitsgesetz und die BSI-KRITIS-    Standards orientieren. Miosga lobte den
»Für den Verkehrsbereich hängt die Sicher-    VO wurde auch der Transportsektor einer         bestehenden Austausch zwischen Wirt-
heit hauptsächlich von zwei Dingen ab:        Regulierung unterworfen. Die Wirtschafts-       schaft und Behörden, sah hier aber auch
Erstens von zeitgemäßen regulatorischen       vertreter sahen hier noch Nachbesserungs-       noch Potenziale für eine stärkere Koope-
Rahmenbedingungen und zweitens von            bedarf.                                         ration.
verbindlichen und überprüfbaren techni-
schen Standards«, so Kölbl weiter. »Ein       Kooperation wichtiges Element für               Kostenbelastung für Unternehmen
wirksamer Rechtsrahmen kann zudem ein         Cybersicherheit                                 Informationssicherheit sei die Vorausset-
Mehrwert für den Verbraucherschutz sein       »Wir wollen mit zeitgemäßen und innova-         zung einer erfolgreichen Digitalisierung
und das Vertrauen in digitale Systeme stär-   tiven Angeboten ein Höchstmaß an Mobili-        und so selbstverständlich wie Arbeitsschutz

2   verkehrsforum.de
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                                                                                                    EDITORIAL
                                                                                                            Cybersicherheit
                                                                                                              neu denken
                                                                                                               Für die
                                                                                                               Beförderung
                                                                                                               von Menschen
                                                                                                              und Gütern in
                                                                                                            einer vernetzten
                                                                                                        Mobilitätswelt mit
                                                                                   allen Verkehrsträgern und intelligenter
                                                                                   Infrastruktur muss Cybersecurity eine
                                                                                   Grundbedingung werden – das ist nicht
                                                                                   verhandelbar. Daher muss Cybersicherheit
                                                                                   in der Mobilität ab sofort ganzheitlich
                                                                                   betrachtet und geprüft werden. Und das
                                                                                   gilt für alle Beteiligten wie etwa Fahr-
                                                                                   zeughersteller (OEM), Zulieferer und
                                                                                   Dienstleister über den kompletten Lebens-
                                                                                   zyklus der Fahrzeuge und auch für die
                                                                                   zunehmend konnektive Verkehrsinfra-
                                                                                   struktur.

                                                                                   Jetzt heißt es, die neuen Vorschriften zur
                                                                                   Cybersicherheit rechtssicher umzusetzen.
                                                                                   Manche bedeuten einen echten Paradig-
                                                                                   menwechsel für die Fahrzeugindustrie: Es
                                                                                   wird nicht wie früher nur das Endprodukt
                                                                                   Fahrzeug getestet und zugelassen, son-
                                                                                   dern bereits der Entwicklungsprozess und
                                                                                   auch der Hersteller selbst werden darauf-
                                                                                   hin geprüft, ob die Organisation in der
                                                                                   Lage ist, die neuen Vorschriften zu erfül-
und Arbeitssicherheit, so Dr. Timo Hauschild, Fachbereichsleitung Cyber-           len. Wir setzen uns dafür ein, das Know-
Sicherheit für Kritische Infrastrukturen, Bundesamt für Sicherheit in der Infor-   how der Wirtschaft bei der Gestaltung
mationstechnik (BSI). »Daher stellt die Umsetzung der Informationssicherheit       und Umsetzung gesetzlicher Vorgaben
keinen erheblichen Mehraufwand dar. Die gesetzliche Regulierung ist lediglich      zu nutzen.
eine Überprüfung, ob der Stand der Technik auch umgesetzt wird.«
                                                                                   Wir stehen am Anfang eines neuen
Für BVG-Chefin Kreienkamp stellt sich die Realität allerdings anders dar:          Weges, dessen Dimension sich zwar ab-
»Zurzeit tragen die Unternehmen die volle Last der Mehraufwendungen, die           zeichnet, dessen Ziel jedoch beweglich ist.
im schlechtesten Fall auf die Kundenpreise abgewälzt werden müssen. Die            Wir müssen an vielen Stellen völlig neu
Verantwortung für das gemeinsame Ziel: digitaler Fortschritt mit maximaler         denken und handeln. Für die erfolgreiche
Sicherheit – sollten wir aber auch gemeinsam schultern.« Nach den Worten           Durchsetzung von Cybersicherheit müssen
von Kreienkamp könnten die Anbieter und Dienstleister ihren Teil beitragen,        Mobilitätswirtschaft, Behörden und unab-
indem sie mehr »IT-Security by design and default« liefern würden. Vom             hängige Prüforganisationen im ständigen
Gesetzgeber wünschte sie sich, »dass er den Unternehmen die gewollte und           Erfahrungsaustausch stehen.
geforderte Eigenverantwortung auch zugesteht.«
Hauschild wies darauf hin, dass das BSI und weitere öffentlichen Institutionen     Stefan Kölbl
die Betreiber Kritischer Infrastrukturen auch in den Bereichen Prävention,         DVF-Präsidiumsmitglied

                                                                                                                #fastlanemobilität   3
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TERMINE

Lenkungskreise
17.02.2022 | Berlin | Güterverkehr
und Logistik
05.04.2022 | Berlin | Straßenverkehr

Veranstaltungen
10.01.2022 | Berlin |
Parlamentarischer Abend
»Mobilität für Deutschland«
Vortragende unter anderem:
Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner, DVF-                                                    Foto Seite 3: (V. l.) Moderatorin Jana Kugoth,
Präsidiumsvorsitzender; Dr. Richard                                                      Tagesspiegel Background Verkehr & Smart
                                                                                         Mobility; Kölbl; Kreienkamp; Dr. Hauschild;
Lutz, Vorsitzender des Vorstands,                                                        Dr. Heike van Hoorn, DVF-Geschäftsführerin;
Deutsche Bahn AG und DVF-Präsi-                                                          Nikolaus von Peter, Innere Sicherheit /
diumsmitglied; Hildegard Müller,                                                         Digitalisierung, Vertretung der Europäischen
                                                                                         Kommission in Deutschland; Miosga;
Präsidentin, Verband der Automobil-                                                      Dr. Florian Eck, DVF-Geschäftsführer
industrie e.V. (VDA) und DVF-Präsi-
diumsmitglied; Dr. Stefan Schulte,
                                                                                         (V. l. o. n. l. u.) Von Peter, Dr. Hauschild,
Vorsitzender des Vorstands, Fraport                                                      Kreienkamp
AG und DVF-Präsidiumsmitglied

                                           Detektion und Reaktion unterstützten. »Es     Mobilitätswirtschaft geht es dabei auch
Frühjahr 2022 | Berlin |                   leistet damit einen entscheidenden Betrag     darum, Hinweise für eine Weiterentwicklung
Parlamentarischer Abend                    zur Steigerung der Informationssicherheit     des Regulierungsrahmens aufzugreifen.
Luftverkehr Vortragende: Christina         auch von Kritischen Infrastrukturen.«
Foerster, Vorstandsmitglied, Ressort       Miosga: »Wir handeln in unserem höch-         Kölbl sagte abschließend: »Die öffentliche
Customer, IT & Corporate
                                           sten Eigeninteresse, wenn wir uns als welt-   Hand hat die Aufgabe, einen wirksamen
Responsibility, Deutsche Lufthansa AG
                                           weit führender Logistiker an den höchsten     Rechtsrahmen im Bereich Cybersicherheit
und DVF-Präsidiumsmitglied

28. April 2022 | Berlin | 38.
Mitgliederversammlung Deutsches
Verkehrsforum Vorsitzender: Prof.
Dr.-Ing. Raimund Klinkner, DVF-
                                           »        Für mich heißt das auch, dass die öffentlichen
                                                    Stellen einerseits regulieren und fordern, ander-
                                                    seits aber auch fördern und kompen-
                                                    sieren.«
Präsidiumsvorsitzender                              [Eva Kreienkamp]
                                           internationalen IT-Sicherheitsstandards       zu etablieren, der einen Mehrwert für
                                           orientieren.«                                 Verbraucherschutz bietet und Vertrauen
                                                                                         in digitale Systeme schafft. Dies erfordert

                Hier erhalten Sie mehr
                                           Die Experten waren sich einig, dass die       es, dass in den nächsten Jahren bestehen-
                Informationen zu unseren   Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und        de gesetzliche Vorgaben unter Einbezie-
                VERANSTALTUNGEN
                                           Sicherheitsbehörden im Rahmen der UP-         hung unabhängiger Prüforganisationen
                                           KRITIS ausbaufähig ist. Ein gemeinsames       angepasst werden. Nur so können wir ein
                                           Verständnis und ein regelmäßiger Austausch    höchstmögliches Maß an Cybersicherheit
Impressum                                  über die Abläufe im Mobilitätssektor, mög-    ermöglichen, beispielsweise beim IT-Sicher-
Redaktion:                                 liche Gefahren und vorbeugende Maßnah-        heitskennzeichen.« ❚
Ingrid Kudirka, Pressesprecherin           men seien wichtig. Nach Auffassung der
Herausgeber:
Deutsches Verkehrsforum
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                                           »        Hier stellt sich immer wieder die Gegenfrage:
                                                    Wie hoch ist der Schaden, wenn wir den
                                                    Mehraufwand nicht betreiben?«
                                                    [Julia Miosga]

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F I T - F O R - 5 5 - PA KE T S O L L M O B I L I TÄT AU F
KL I M A N E U T R ALE N P FA D B R I N G E N
Unter dem Titel »Fit for 55« hat die Europäische Kommission ein umfangreiches Gesetzespaket vorgelegt,
um die CO2-Senkung besonders im Verkehrsbereich deutlich zu beschleunigen. Beim Lenkungskreis Straßen-
verkehr haben sich Vertreter der Verkehrswirtschaft und Mitglieder des Europäischen Parlaments insbeson-
dere über die Vorschläge ausgetauscht. Ein wichtiges Thema war dabei die geplante Aufnahme des Straßen-
verkehrs in das Europäische Emissionshandelssystem ETS.

D
        as DVF begrüßt es, dass die EU-Kommission im Juli 2021       Verkehrs hervor. Er sprach sich gegen ein Verbot von Verbrennungs-
        mit »Fit for 55« ein systematisches, umfassendes und         motoren aus. Der Lösungsbeitrag von E-Fuels sei notwendig. Auch
        langfristig angelegtes Konzept für den Klimaschutz vor-      müsse der Ansatz überprüft werden, die Elektromobilität nur nach
gelegt hat. Beim Blick auf die Details ergab sich im Lenkungskreis   dem »Tailpipe Approach« zu beurteilen, also nur nach dem Schad-
Straßenverkehr jedoch ein differenziertes Bild in den Stellung-      stoffausstoß ohne Berücksichtigung der Produktionskette.
nahmen der EU-Parlamentarier. Dr. Peter Liese MdEP, Koordina-        Gegen den Emissionshandel im Straßenverkehr sprach sich Bas
tor der EVP-Fraktion im Umweltausschuss ENVI des EU-Parlaments,      Eickhout MdEP, stellv. Vorsitzender der Fraktion Grüne/EFA und
sprach sich für die                                                                                               Koordinator im

                        »
Einbeziehung des                                                                                                  Umweltausschuss
                                Das ETS ist notwendig, um die Umstellung
Straßenverkehrs in                                                                                                ENVI, aus. Die Unter-
den europäischen
                                des Fahrzeug bestands auf saubere Antriebe zu                                     schiede zwischen
Emissionshandel aus.
                                flankieren und die Nutzung sauberer Kraft-                                        den Mitgliedstaaten
Die Elektromobilität            stoffe zu fördern.«                                                               und den Regionen
sei der zentrale Bau-           [Dr. Peter Liese MdEP]                                                            beim Ausstoß von
stein für die Trans-                                                                                              CO2 und der Finan-
formation des Straßenverkehrs. Der Staat müsse Investitionsanreize   zierungskraft seien zu groß. Im Maßnahmenpaket »Fit for 55«
und Ziele setzen, aber nicht über die Antriebstechnologie ent-       komme die übergreifende Vision für den Verkehrssektor – Stich-
scheiden.                                                            worte: Verkehrsverlagerung und Tempolimit – zu kurz. Eickhout
                                                                     hinterfragte kritisch die Maxime der Technologieneutralität. Ohne
Jan-Christoph Oetjen MdEP, Mitglied der Fraktion Renew               klare technologische Festlegung werde es auch die erforderliche
Europe und stellv. Vorsitzender des Verkehrsausschusses TRAN,        Infrastruktur nicht geben.
hob die Notwendigkeit einer CO2-neutralen Stromproduktion bei        Ismail Ertug MdEP, stellv. Vorsitzender der S&D-Fraktion und
gleichzeitiger Technologieoffenheit für die Dekarbonisierung des     Mitglied im Verkehrsausschuss TRAN, hob die notwendige Zu-

                                                                                                                         #fastlanemobilität   5
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(V. l.) Diemer; Rainer Schätzlein, Mitglied der DVF-Geschäftsleitung,
                                                                       Häfen/Schifffahrt, Luftverkehr, Straßenverkehr; Gerhard Hillebrand,
                                                                       Vorsitzender des Lenkungskreises, Verkehrspräsident, Allgemeiner
                                                                       Deutscher Automobil-Club e.V. (ADAC); Jansen

                                                                       Ladeinfrastruktur sei notwendig und die Einbeziehung des
                                                                       Straßenverkehrs in das ETS sei ein guter Schritt. Ein Grenzaus-
                                                                       gleichsmechanismus, wie ihn die EU-Kommission vorgeschlagen
                                                                       habe, sei notwendig.

                                                                       Aus Sicht der Deutschen Post DHL berichtete Mitra Qurban,
                                                                       Leiterin der Konzernrepräsentanz Brüssel, der Konzern wolle bis
                                                                       2030 sieben Milliarden Euro in emissionsneutrale Logistik investie-
kunftssicherung der Arbeitsplätze und der industriellen Wert-          ren. Im Straßengütertransport sollten 30 Prozent der genutzten
schöpfung hervor. Die EU-seitig geplanten 72 Milliarden Euro           Treibstoffe nachhaltig sein. Dafür müsse die Logistik kurz- und
für den Klimasozialfonds, der für den Zeitraum von 2025 bis 2032       mittelfristig auch auf Biokraftstoffe zurückgreifen, bevor die lang-
vorgesehen ist, hielt Ertug für nicht ausreichend. Er stand der Auf-   fristig präferierten Wasserstoff-Lkw marktverfügbar seien. Der
nahme des Straßenverkehrs in das ETS ebenfalls skeptisch gegen-        Emissionshandel sei für die Straße das richtige Instrument zur
über und befürchtete eine Vervielfachung der Nutzerkosten und          CO2-Bepreisung. Dabei müssten allerdings Doppelbelastungen
daraus resultierende Akzeptanzprobleme.                                verhindert werden.

Positionen aus der Praxis                                              Neue Anforderungen durch EU-Taxonomie
Ralf Diemer von der eFuel Alliance riet dringend dazu, auf das         Andrea Bardens, Partnerin der PricewaterhouseCoopers GmbH,
Null-Emissions-Flottenziel für 2035 zu verzichten. Anderenfalls        skizzierte im Lenkungskreis die Anforderungen und den Umset-
werde der Pfad für grünen Wasserstoff und für E-Fuels versperrt.       zungsstand der EU-Taxonomie. Die Taxonomie stattet Dienst-
Die EU müsse dringend wirkungsvolle Anreize für den Hochlauf           leistungen und Produkte aus praktisch allen Wirtschaftsbereichen
strombasierter Kraftstoffe setzen. Zusätzlich sei eine CO2-Orien-      mit klimapolitischen, ökologischen und sozialen Labeln aus. Diese
tierung der Kraftstoffbesteuerung erforderlich. Wenn es eine »All-     Bewertungen sollen auf dem Finanzmarkt für potenzielle Investo-
electric«-Strategie gebe, dann werde der Straßenverkehr in jedem       ren sichtbar gemacht werden. Unternehmen, die der Taxonomie-
Fall – nämlich über die Strombereitstellung – in das EU-ETS-System     Verordnung unterliegen, müssen den Umsatzanteil, Investitions-
einbezogen.                                                            ausgaben und Betriebskosten offenlegen, die den in der Taxono-
Michael Jansen, Leiter VW-Konzernrepräsentanz Berlin, bekräf-          mie aufgeführten Nachhaltigkeitsanforderungen genügen. Die
tigte die positive Bewertung des Fit-for-55-Pakets durch die Volks-    Taxonomie-Regelung ist sehr umfangreich, komplex und noch
wagen AG. Die Flottenziele seien ambitioniert, aber machbar. Der       nicht abgeschlossen. Auch weite Teile des Verkehrssektors sind
Wechsel zu einer verpflichtenden Verordnung für den Ausbau der         davon betroffen. ❚

ONLINEZUGANGS- UND
P L A N U N G S B E S C H LE U N I G U N G S G E S E T Z E
N O C H O H N E S P Ü R BA R E W I R KU N G E N
Der Ausbau der digitalen Infrastruktur und Perspektiven der Smart Urban Mobility standen im Mittelpunkt der Sitzung
des Lenkungskreises Digitale Vernetzung. Obwohl seitens der Gesetzgebung Fortschritte zu verzeichnen sind, bewegt
sich im Netzausbau in der Praxis noch zu wenig. Die Gründe dafür sehen Parlamentarier in der Komplexität von
Abstimmungsprozessen der Exekutive, Komplexität der Ausschreibungen für Investitionsvorhaben und
Zeitverzögerungen durch Klagen vor Verwaltungsgerichten.

A      uch die nächste Regierung steht vor der Herausforderung,
       die Hürden für die Digitalisierung der Verwaltung zu beseiti-
gen und Prozesse effizienter zu gestalten, so die Einschätzung
                                                                       Digitale Wirtschaft und Start-ups. Mit dem Onlinezugangsgesetz
                                                                       sei ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung des Verwaltungs-
                                                                       apparats getan worden. Doch aktuell fehlten Anwendungsbei-
von Thomas Jarzombek MdB und Beauftragter des BMWi für                 spiele wie der elektronische Identitätsnachweis eID. Ein Beispiel

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für Projekte, die aus Sicht Jarzombeks am                      geweitet werden. In einer App gebündelte        Fördergelder, wie Burkhard Mende, Ge-
stockenden Mittelabfluss kranken, ist das                      Mobilitätsangebote vom ÖPNV bis hin zu          schäftsführer der MIG, berichtete. Anhand
mit 12 Mrd. Euro ausgestattete Bundes-                         Sharingmöglichkeiten könnten dann als           der Kriterien Bevölkerung, Nutzfläche und
förderprogramm Breitbandausbau, welches                        Basis für einen »Mobilpass« dienen, ein         Verkehrsinfrastruktur werde eine Priorisie-
das Netz im ländlichen Raum voranbringen                       erster Schritt in Richtung eines deutsch-       rung der Fördergebiete festgelegt. In den
soll. Den Grund für die schleppende Um-                        landweiten Tickets.                             ersten sieben Jahren würden 90, in Aus-
setzung von Vorhaben sieht Jarzombek                                                                           nahmefällen sogar 99 Prozent der Investi-
unter anderem im hohen Abstimmungs-                            Hochleistungs-Glasfasernetz und                 tions- und Betriebskosten gefördert. DVF-
bedarf zwischen den Ministerien. Die Bünde-                    Ausbau des Mobilfunknetzes                      Geschäftsführer Dr. Florian Eck merkte
lung des Digitalisierungsbereichs bei einem                    Ein Zukunftsprojekt stellte Dr. Klaus           an, dass eine gemeinsame Förderung von
Ministerium könne Schnittstellen abbauen                       Kremper vor, CEO der OneFiber Inter-            Breitband- und Mobilfunkausbau ange-
und Prozesse beschleunigen.                                    connect Germany GmbH. Mit einem Glas-           strebt werden sollte, um Synergien auszu-
                                                               fasernetz von mehr als 27.000 Kilometern        schöpfen.
Die Bündelung des Digitalisierungsbereichs                     beabsichtigt OneFiber ein Glasfaserver-
über Ressorts hinweg sei auch für Die                          sorgungsnetz entlang des bestehenden            Perspektiven der Smart City Mobility
Grünen ein Thema, berichtete Stefan                            Schienennetzes in Deutschland zu errich-        Im Kompetenzzentrum ITS Vienna Region
Gelbhaar MdB, der Bundestagsfraktion                           ten. Die angestrebte Bauzeit von rund           wird ein Echtzeitinformationssystem flächen-
Bündnis 90/Die Grünen. Die geringe Um-                         sechs Jahren würde dadurch begünstigt,          deckend mit Ereignismeldungen versorgt
setzungsgeschwindigkeit lastete er insbe-                      dass Genehmigungsverfahren und zusätzli-        und gibt Auskunft über die aktuelle Ver-
sondere den komplexen Ausschreibungs-                          che Bauarbeiten entfallen. Über die beste-      kehrslage sowie erstellt Prognosen anhand
prozessen an, die häufig externe Kompe-                        henden Bahnhöfe und Haltestellen sollen         von Floating Car Data. Gernot Lenz, Ko-
tenz bei der Bearbeitung erfordere. Für die                    mehr als 5.500 Zugangspunkte ins Netz           ordinator Verkehrsmanagement und Ver-
Praxis bereichsübergreifender Zusammen-                        errichtet werden. Da vier Fünftel der Bevöl-    kehrslichtsignalanlagen der Stadt Wien,
arbeit in der öffentlichen Verwaltung wies                     kerung in weniger als fünf Kilometern Ent-      präsentierte das Projekt »Verkehrsmana-
Gelbhaar darauf hin, dass mit Open-Data                        fernung von diesen Zugangspunkten leben,        gement 2.0«, das die Entwicklung eines
und Open-Source die Transparenz erhöht,                        könne so die Breitbandanbindung in der          autarken und zukunftsorientierten Verkehrs-
Kooperationen verbessert, Abhängigkeiten                       Fläche deutlich verbessert werden.              steuerungssystems vorsieht. Der Verkehrs-
reduziert – und so insgesamt Barrieren und                                                                     durchsatz soll gesteigert und die verkehrs-
Hürden für einen effizienten und effektiven                    Die Anfang 2021 gegründete Mobilfunk-           bedingten Emissionen sollen reduziert wer-
Einsatz von Ressourcen beseitigt werden                        infrastrukturgesellschaft MIG hat den Auf-      den. Udo Heidl, Head of Modelfactory,
könnten.                                                       trag, die weißen Flecken in der Mobilfunk-      Competence Center Mobility der PTV
                                                               versorgung mit 4G zu beseitigen. 1,1 Mrd.       Group, erläuterte den Einsatz digitaler
Für die kommende Legislaturperiode sah                         Euro an Bundesfördermitteln stehen hierfür      Zwillinge im Projekt »Smart Cities«. Dabei
Jarzombek die Einführung von verbindli-                        zur Verfügung, um 5.000 neue Standorte          ist der Digital Twin ein virtuelles Abbild der
chen Abbiegeassistenten für Lkw und die                        mit Mobilfunkmasten auszustatten. Dabei         physischen Objekte im urbanen Raum.
Digitalisierung der Parkraumbewirtschaftung                    übernimmt die MIG sämtliche Vorarbeiten         Anwendung finden Digital Twins bereits in
als wichtig an. Er betonte die Rolle Künst-                    für die Netzausbauplanung, für die Durch-       der Verkehrsplanung zur Simulation von
licher Intelligenz für eine vernetzte Mobili-                  führung und Administration von Mobil-           Verkehrsabläufen, dem Austesten neuer
tät. Der »Datenraum Mobilität« müsse aus-                      funkförderverfahren und den Abfluss der         Technologien und Infrastrukturen. ❚

    DAS GLEISFASERNETZ ALS BASIS FÜR DEN 5G AUSBAU

  »Kurze Meile«                                      > 5.500 Zugangspunkte             Cyber-Sicherheit                     Höchste Geschwindigkeit
  Das Netz konzentriert sich nicht                   Kostengünstiger Anschluss bis     Das sichere, homogene Gleis-         Mit modernsten Technologien
  nur auf städtische Gebiete, son-                   in den ländlichen Raum durch      fasernetz als Rückgrat für 5G        wird höchste, symmetrische
  dern reicht wie das Schienen-                      mehr als 5.500 Zugangspunkte      Netze macht den Kern des             Datenübertragung erreicht, die
  netz bis tief in den ländlichen                    im Open-Accessmodell              Funknetzes deutlich schwerer         5G im ländlichen Raum erst
  Raum                                                                                 angreifbar                           ermöglichen.

[Quelle: OneFiber, Das Gleisfasernetz, Dr. Klaus Kremper]

                                                                                                                                              #fastlanemobilität   7
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H A F E N M AG D E B U RG S E T Z T
                                                               AU F D I G I TAL I S I E R U N G
                                                               Der DVF-Lenkungskreis Häfen/Schifffahrt hat in Magdeburg die
                                                               Optimierung von Hafenprozessen durch Digitalisierung und
                                                               Automatisierung erörtert. Die Thematik wird vom Hafen Magdeburg
                                                               und dem Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung
                                                               IFF mit den Projekt PortForward vorangetrieben. Außerdem waren
                                                               nachhaltige Kraftstoffe und Antriebe ein Schwerpunkt der Sitzung.
                                                               Die Dringlichkeit von Emissionssenkungen wächst. Für die Umstellung
                                                               ist ein wettbewerbsneutraler Rahmen nötig.

                                                              und Anwendungen wie ein dyna-       Witte, Sustainability Manager bei Hamburg
                                                              misches Lagerflächenmonitoring      Süd, ging auf die Strategie der Maersk-
                                                              und Asset-Tracking entwickelt.      Gruppe für den Einsatz nachhaltiger Kraft-
                                                              Sven Haller, neuer Staatssekretär   stoffe ein. Maersk will 2023 ein erstes mit
                                                              im Ministerium für Infrastruktur    grünem Methanol angetriebenes Schiff in
                                                              und Digitales des Landes Sachsen-   Betrieb nehmen. Ab 2024 sollen weitere
Dreeke, Dr. Maly, Prof. Arlinghaus (linke         Anhalt, unterstrich die Zielsetzung der         sieben methanolfähige 16.000-TEU-Schiffe
Seite), Dr. Poenicke, Sts Haller (rechte Seite)
                                                  Landesregierung, den Logistikstandort           dazu kommen. In der Gesamtschau sei
                                                  weiter zu stärken. Die Digitalisierung sei      Methanol derzeit der beste saubere Kraft-
Dr. Heiko Maly, Geschäftsführer der               nicht nur für die Unternehmen, sondern          stoff. Langfristig würden andere Optionen
TRANSPORTWERK Magdeburger Hafen                   auch für die öffentliche Verwaltung unver-      hinzukommen. Allerdings seien nicht nur
GmbH, skizzierte das Leistungsspektrum            zichtbar.                                       die Beschaffung, sondern auch die Kosten
des größten Binnenhafens in den neuen                                                             eine erhebliche Herausforderung und nur
Bundesländern. Magdeburg verfüge über             Frank Dreeke, Vorsitzender des Lenkungs-        mit einer CO2-Bepreisung und einem wett-
eine etablierte trimodale Anbindung, aber         kreises und Vorstandsvorsitzender der BLG       bewerbsfähigen Regulierungsrahmen zu
auch über wertvolle Ausbauflächen und             Logistics Group, appellierte an Bund und        erreichen sei.
Entwicklungspotenzial. Maly betonte die           Länder, grundlegende Maßnahmen zur              Nach Einschätzung von Achim Wehr-
ganzjährige Befahrbarkeit und die beson-          Planungsbeschleunigung umzusetzen.              mann, Leiter der Unterabteilung Schiff-
dere Eignung des Hafens für Schwerlast-           Dies sei nicht nur zur Sicherung der Wett-      fahrt im BMVI, tritt die EU mit »Fit for 55«
güter. In den Ausbau und die Verbesse-            bewerbsfähigkeit des Hafenstandortes,           in eine klimapolitisch entscheidende Phase
rung der Infrastruktur würden aktuell 50          sondern auch für die klimapolitisch ge-         ein. Das komplexe Regulierungspaket ent-
Millionen Euro investiert. Mit der Anschaf-       wünschte Verlagerung von Verkehren auf          halte auch für die Schifffahrt wichtige
fung von Hybridloks, der Einrichtung von          die Schiene zwingend erforderlich. Niklas       Weichenstellungen. ❚
Landstromanschlüssen und einem neuen
Bahnterminal bewege sich Magdeburg
außerdem aktiv in Richtung »Green Port«.
Die Leiterin des IFF Prof. Dr. Julia C. Arling-
haus erläuterte im Lenkungskreis den Bei-
trag des IFF zur Weiterentwicklung des
Logistikstandortes und der Häfen. Bereits
in der Vergangenheit habe das IFF erfolg-
reich mit dem Hafen Magdeburg an Pro-
jekten wie Tracking and Tracing, Cyber-
security und virtuellen digitalen Modellen
gearbeitet. Dr. Olaf Poenicke, Fraunhofer-
Institut IFF, ging näher auf das daraus ent-
standene Projekt PortForward ein. Im Rah-
men des Projektes hat das IFF einen virtu-
ellen Zwilling des Magdeburger Hafens             [Quelle: Olaf Poenicke, Fraunhofer IFF]

8   verkehrsforum.de
I N Z U KU N F T
D I G I TAL
Agnes Heftberger verantwortet seit März
2019 als Vice President den Bereich Ver-
trieb der IBM in Deutschland, Österreich
und der Schweiz und ist seit Juni 2019
Mitglied der Geschäftsführung der IBM
Deutschland. Zur IBM kam Agnes Heft-
berger 2001. Das DVF wollte von der Mana-
gerin wissen, wie Digitalisierung die Mobili-
tät und unser Mobilitätsverhalten verändert
und wie die Zukunft aussehen könnte.

Digitalisierung dürfte eines der Kernthemen              Welche Rolle spielen Künstliche Intelligenz, Cloud und Blockchain
einer künftigen Bundesregierung sein. Wie kann,          bei der Digitalisierung?
wie muss der Staat unterstützen?                         Die sind die Basis. Und die Unternehmen sind bereit, diese Technologien
Zunächst sollte Politik einmal so ambitioniert sein,     einzusetzen. Das haben die vergangenen Jahre bewiesen.
einen Quantensprung in der Digitalisierung des Ver-
kehrs machen zu wollen. Und dafür braucht es eben        Die Wirtschaft selbst scheint sich allerdings noch sehr zurückzuhalten,
die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Sektoren,       was den Ausbau der von Ihnen geforderten Netzwerke und den
von der öffentlichen Hand bis hin zur Telekommuni-       Austausch von Datenschätzen angeht.
kation. Diese Handlungsnotwendigkeit zu erkennen,        Der Start war zweifellos etwas verhalten, aber nicht aus Angst vor der Tech-
das wäre der wichtigste Punkt. Und dann gäbe es          nologie. Das sind unternehmerische Entscheidungen. Die Unternehmen haben
mehrere klare Felder, die ambitionierter und synchron    den Wert ihrer Daten erkannt. Aber inzwischen gibt es ja interessante Ansätze
angegangen werden müssen, wie den Ausbau der             etwa bei Plattformen zur weltweiten Abwicklung von Frachttransporten. Eine
Glasfasernetze, die Vernetzung von Datenpools oder       gewisse Bereitschaft zur Kooperation und ein Vertrauen in die Datensicher-
die Überarbeitung der Datenschutz-Grundverordnung.       heit muss es allerdings geben. Jetzt sind wir auf einem Pfad, auf dem das
Diese Notwendigkeiten hat das Deutsche Verkehrs-         nicht nur erkannt ist, sondern auf dem auch agiert wird.
forum in seinem Maßnahmenpaket für eine Digital-
wende ausführlich formuliert.                            Auch Nutzer sind skeptisch. Etwa wenn es um die Einführung autono-
                                                         mer Fahrzeuge oder Datensicherheit geht.
Verkehr und Digitalisierung sind weiter in einem         Die Pandemie hat das digitale Konsumverhalten – und damit meine ich jetzt
Ministerium. Wie bewerten Sie das?                       nicht Netflix, sondern beispielsweise digitale Services – stark nach oben ge-
Das kommt auf die Ausgestaltung an. Es gibt klare        trieben. Da sind die Menschen offener geworden. Grundsätzlich muss Digi-
Synergien für die intelligente Mobilität. Es gibt aber   talisierung immer vom Nutzer ausgehen, ob das Beschäftigte in einem Hafen
auch viele Überschneidungen mit den Zuständigkeiten      sind oder Arbeiter in der Wartung von Güterwaggons. Nur wenn man diese
anderer Ministerien. Darum kommt das facettenreiche      Nutzer im Kopf hat, dann hat man auch eine Chance auf Akzeptanz. Alles
Thema Digitalisierung ohne eine Steuerungskompe-         was wir in der Digitalisierung tun, muss vom Menschen aus gedacht
tenz des Verkehrs- und Digitalministers innerhalb der    werden. ❚
Bundesregierung nicht voran. Ohne Weisungsbefugnis
geht es nicht, das würde im Übrigen auch für ein rei-
nes Digitalministerium gelten.

                                                                                                                          #fastlanemobilität   9
tätsbereich seine Rolle bei der Dekarboni-
                                                                                          sierung nicht erfüllen können.« Alexan-
                                                                                          der Möller, Senior Partner Transportation,
                                                                                          Roland Berger GmbH, wies darauf hin,
                                                                                          dass die Verkehrswende Teil einer industri-
                                                                                          ellen Revolution sei. Politik und Gesellschaft
                                                                                          müssten sich bewusst sein, dass diese
                                                                                          industrielle Revolution Investitionen erfor-
                                                                                          dere und sich dies auf den Preis auswirke.

                                                                                          Mindset, Emotionalität und Verhalten
                                                                                          »Im Jahr 2030 will keiner mehr über Fahr-
                                                                                          pläne und Tarifsysteme sprechen. Auch
                                                                                          das Trennen zwischen motorisiertem Indi-
                                                                                          vidualverkehr und öffentlichem Personen-
                                                                                          verkehr ist für die Menschen kein Thema«,
                                                                                          so Henrik Falk, Vorstandsvorsitzender,
                                                                                          Hamburger Hochbahn AG. Die Akteure,
                                                                                          also Mobilitätsanbieter, würden oftmals
                                                                                          zu kompliziert denken. Hier müsse sich der
                                                                                          Mindset ändern und zu mehr Kooperation
                                                                                          untereinander führen. »Im Mittelpunkt

M O B I L I TÄT D E R Z U KU N F T                                                        steht der Mensch, für den ein klimaneu-
                                                                                          trales, leicht nutzbares und sicheres System

B E G I N NT I M KO P F !                                                                 aus ÖPNV, on-demand-Verkehren und
                                                                                          weiteren zur Verfügung stehen muss«,
                                                                                          skizzierte Falk die Zukunftsaufgabe.
Die Messe MES Expo – Mobility Electronic Suppliers Expo – ist eine
Internationale Fachmesse für die Elektronikzuliefererindustrie der                        Möller stimmte zu, dass eine konsequente
Mobilitätsbranche. Das DVF begleitete die diesjährige Messe mit der                       Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Men-
Veranstaltung »Nachhaltig – vernetzt – bezahlbar. Was ist der Bench -                     schen die Aufgabe sei und nicht die Er-
mark für die Mobilität der Zukunft?« Der Fokus lag auf dem Wandel                         wartungshaltung, dass die Menschen ihr
und der technischen Entwicklung im Mobilitätsmarkt der letzten                            Denken verändern. Mobilität müsse als
Jahre. Mit Technik allein wird die Verkehrswende nicht zu bewältigen                      Ganzes gedacht und nicht künstlich in MIV
sein, so die einhellige Meinung der Experten auf dem Podium.                              und ÖPNV getrennt werden. »Angebote
                                                                                          der öffentlichen Mobilität müssen effizient
                                                                                          CO2 einsparen. Sie müssen gleichzeitig die

D
          er Verkehrssektor kann sich in     nehmen, denn Mobilität beginnt im Kopf.      Kundenbedürfnisse wecken und bedienen.
           puncto Klimaschutz nicht über     Vernetzte Verkehrsangebote sind kompli-      Klimaschutz durch öffentliche Mobilität ist
          zu wenige Herausforderungen        zierter und oftmals auch unbequemer als      deshalb viel stärker in den Fokus zu neh-
beklagen: Bis 2030 müssen 65 Prozent         der Individualverkehr – das muss man durch   men als Klimaschutz in der öffentlichen
CO2-Emissionen gegenüber 1990 einge-         einen einfachen Zugang und eine einheit-     Mobilität«.
spart, bis 2040 satte 88 Prozent und bis     liche Bezahlung wett machen. Zweitens
2045 Klimaneutralität erreicht werden.       gilt es, die bereits vorhandenen innovati-   Als Hamburger Zukunftsprojekt stellte Falk
»Das bedeutet, dass die Dekarbonisierung     ven Lösungen großflächig und schneller       den 5 Minuten-Takt vor. Dieses Versprechen
der Mobilität mehr Fahrt aufnehmen muss.     umzusetzen und drittens müssen wir die       könne der ÖPNV alleine gar nicht abbilden,
Und dazu braucht es starke Partner«, sagte   Sektoren Verkehr, Energie und Digitalisie-   so dass Berechnungen zufolge mindestens
DVF-Geschäftsführer Dr. Florian Eck zur      rung synchronisieren. Ohne grünen Strom      15 Prozent on-demand-Angebote nötig
Eröffnung des Diskussionsforums auf der      und eine flächendeckende Versorgung mit      wären. Mit diesem Ziel würden die ande-
MES Expo. Um die Trendwende bei den          Breitband und Mobilfunk wird der Mobili-     ren Anbieter Teil der Lösung und man
Emissionen speziell im Personenverkehr
zu schaffen, sind nach den Worten von
Eck drei wesentliche Maßnahmen nötig:
»Erstens müssen wir die Menschen mit-
                                             »        Die Verkehrswende fängt beim Denken der
                                                      Menschen an, die Mobilitätsangebote nutzen.«
                                                      [Henrik Falk]

10   verkehrsforum.de
forum

(V. l.) Hänsel, Taubenreuther

käme Schritt für Schritt zu mehr Koope-
rationen und integrierten Angeboten.
Laut Christoph Ziegenmeyer, Head of
Communications, MOIA GmbH, müssten
während dieses definierten Hamburgtaktes
gemäß der erstellten Begleitforschung
rund 5.000 Fahrzeuge mehr eingesetzt
werden. Der individuelle Verkehr würde
entsprechend um etwa 5 Prozent sinken                           Platzeffizienz, schnelle Ladedauer und             Vertriebsleitung, LogPay Financial Services
und insgesamt für die Stadt Hamburg eine                        sichere Stromversorgung seien die drei             GmbH. Die Arbeitgeber können als Hebel
Entlastung mit sich bringen. Zum Ticketing                      wesentlichen Faktoren für die Verkehrs-            für die Mobilitätswende genutzt werden,
sagte Ziegenmeyer: »Im Rahmen einer Ko-                         unternehmen bei der Flottenumstellung,             indem sie den Mitarbeitern ein Budget zur
operation mit dem öffentlichen Nahver-                          so Möller. Hier müssten Kommunen und               Verfügung stellen, mit dem jedes Verkehrs-
kehr kann eine tarifliche Integration abso-                     Netzbetreiber kooperieren.                         mittel genutzt werden könne, also Bus,
lut sinnvoll sein.«                                                                                                Sharingangebote, Mietauto oder Leihrad.
                                                                Mirko Taubenreuther, Fachbereichsleiter            Die Verkehrswende könne auch über einen
Elektrisch und automatisch                                      Automated Driving Functions, IAV GmbH,             neuen Mehrwert angereizt werden, so
Simon Weiher, Leiter Portfoliomanage-                           stellte das fahrerlose Shuttle HEAT (Ham-          Hänsel.
ment und Produktmarketing, Hitachi Energy,                      burg Electric Autonomous Transportation)           Ziegenmeyer: »Multimodalität braucht
stellte Innovationen im Ladebereich für Fahr-                   ín Zusammenarbeit mit der Hamburger                zunächst einmal einen rechtlichen Rah-
zeuge vor. Wichtig sei die Skalierbarkeit                       Hochbahn vor. Dieser autonome Shuttle              men, der innovative Mobilitätsservices
der Lösungen. Ein angepasstes Lademana-                         sei in der Hamburger Innenstadt erfolg-            neben den etablierten Angeboten zulässt
gement müsse daher berücksichtigen, ob                          reich gefahren. Automatisiertes Fahren             und ausreichend Spielraum für einen wirt-
ein Bus an der Haltestelle schnell nachge-                      ermögliche einen optimalen Verkehrsfluss           schaftlichen Betrieb lässt. Ohne entspre-
laden werden müsse oder im Depot die                            und ein effizientes Gesamtverkehrssystem.          chende Services sind intermodale Reise-
ganze Nacht zur Verfügung stehe.                                Spannend werde das Thema autonomes                 ketten nicht abbildbar.«
                                                                Fahren vor allem im ländlichen Raum, um
Laderoboter könnten den Ladevorgang                             dort den Anschluss etwa an die Bahnen zu           Falk sah im Mobilitätsbudget einen wesent-
automatisieren und flexibler gestalten. Falk                    ermöglichen. Alle Beteiligten bestätigten,         lichen Treiber für die kommenden Jahre,
bestätigte, dass es für Betriebe ein großer                     dass autonomes Fahren ein wesentlicher             forderte dabei jedoch die steuerliche
Umstellungsprozess sei, die Flotten auf                         Faktor für eine erfolgreiche Verkehrs-             Gleichsetzung dieses Mobilitätsbudgets
e-Mobilität umzustellen. Von größeren                           wende sei.                                         zum Dienstwagen, also eine Pauschal-
und anders strukturierten Betriebshöfen                                                                            versteuerung. Die Menschen könnten
bis hin zu neuen Kooperationen mit Ener-                        Mobilitätsbudget                                   dann über eine digitale Plattform sämt-
gieanbietern.                                                   Es brauche ein Umdenken in Richtung                liche Mobilitätsangebote nutzen und aus
                                                                Mobilitätsbudget, forderte René Hänsel,            dem Guthaben bezahlen. ❚

    MOBILITÄTSWENDE ÜBER NEUE BENEFITS
  Mobilitätswende                                                                        Neue Benefits

   Multimodalität                                                                        Unternehmen stellen Mitarbeitern monatlich einen bestimmten
   Anstieg der Nutzung von Sharing-Angeboten,                                               festen Betrag in Form eines Guthabens zur Verfügung, den diese
      On Demand Mobilität etc.                                                               flexibel für Mobilitätsdienstleistungen verwenden können.
   Alternative zu Firmenwagen                                                            Ausschüttung und Verwaltung der Guthaben/Gutscheine durch
   Alternative zu starren Abo-Modellen (Jobticket, Netzkarte usw.)                          die Unternehmen individuell nach den Bedürfnisse des
                                                                                             Mitarbeiter/ Kunden

[Quelle: LOGPAY | Mobility Payments & Services | René Hänsel]

                                                                                                                                               #fastlanemobilität   11
Foto: © Thomas Trutschel/photothek.de

                                                                    gie und die Einführung des Emissionshandels im Straßenverkehr
M E H R F O RT S C H R I T T                                        sind richtige Entscheidungen, die wir begrüßen.

WAG E N I S T N ÖT I G                                              An einigen Stellen bleibt der Koalitionsvertrag vage: So muss die
                                                                    beabsichtigte Digitalisierung von Schienenfahrzeugen und -infra-
Erst vor wenigen Tagen hat sich eine neue Bundes-                   struktur entschieden forciert und durchfinanziert werden. Der In-
regierung gebildet. Die Koalitionäre haben sich vorge-              vestitionshochlauf muss durch Fondsmodelle, etwa bei Schiene
nommen, mehr Fortschritt zu wagen. Das ist – gerade                 und Wasserstraße, langfristig abgesichert werden. Ohne eine
im Verkehrsbereich – wirklich nötig, denn die Zeit wird             Stärkung des Bundes beim Datenschutz werden wir bundesweit
knapp. Wenn Deutschland seine selbstgesteckten                      einheitliche Standards bei der Anwendung des Rechtsrahmens
Klimaziele einhalten will, so brauchen wir gegenüber                nicht garantieren können. Die angestrebte Technologieoffenheit
heute die dreifache Veränderungsgeschwindigkeit.                    muss durch einen ambitionierten und flächendeckenden Ausbau
Es gilt, die gedankliche Trennung zwischen Energie,                 von alternativer Tank- und Ladeinfrastruktur sowie durch geeigne-
Verkehr und Digitalisierung aufzuheben und eine                     te Rahmenbedingungen sichergestellt werden. Dies alles verlangt
gesamtheitliche Strategie für Deutschland zu ent-                   enorme Anstrengungen von Wirtschaft und Politik.
wickeln. Dabei müssen neben der Schnelligkeit Ver-
lässlichkeit und Akzeptanz gleichwertige Rollen spie-               Das DVF wird auch der neuen Bundesregierung ein verlässlicher
len. Ohne diese drei werden wir die Klimaziele nicht                Partner und eine gewichtige Stimme der Mobilitätswirtschaft sein.
erreichen, die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts               Wir werden gemeinsam die Veränderung weiter gestalten. Für
nicht erhalten und eine moderne Mobilitätskultur nicht              Ihre treue Unterstützung dabei bedanke ich mich im Namen des
                                                                    Präsidiums, der Geschäftsführung sowie der Mitarbeiterinnen und
Dass die neue Regierung sich zum Investitionshochlauf und zur       Mitarbeiter des DVF. Wir wünschen den Mitgliedern und Unter-
Einführung von Finanzierungskreisläufen für Klimaschutzmaßnah-      stützern alles Gute und viel Erfolg für das Jahr 2022!
men im Verkehr bekennt, dass sie Voraussetzungen zur weiteren
Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung bereits im ersten
Regierungsjahr schaffen will und mit dem geplanten Klimageld
und Festhalten am BEHG-Preispfad bis 2025 Sensibilität für die
Nutzer zeigt, sind wichtige Elemente des Koalitionsvertrags. Auch   Ihr Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner
die weitreichenden Vorhaben zur Bereitstellung Erneuerbarer Ener-   Vorsitzender des Präsidiums

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