Fremdplatzierung - Integras ...

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Fremdplatzierung - Integras ...
Fremdplatzierung
                              … denn wir wissen was wir tun

                              Plattform Fremdplatzierung. Tagung 2014
                              Referate

                              Placement extrafamilial
                              … car nous savons ce que nous faisons

                              Plate-forme de placement extrafamilial
                              Colloque 2014
                              Conférences

Fachverband Sozial-
und Sonderpädagogik
Association professionnelle
pour l’éducation sociale
et la pédagogie spécialisée
Inhalt                                                                         Nicole Bruggmann

Nicole Bruggmann
                                                                               Das Geheimnis kluger Entscheidungen
Das Geheimnis kluger Entscheidungen – Wer sie trifft –                         Wer sie trifft – und wen sie betreffen
und wen sie betreffen������������������������������� 3
Les secrets d’une décision judicieuse – Qui décide? Qui est concerné?��� 9

Stefan Blülle                                                                  Als erstes möchte ich mit Ihnen anschauen, was      Interessant sind vor allem die neuen Erkenntnis-
Kinder und Jugendliche platzieren – Ein Handlungsleitfaden                     in unserem psychischen System geschieht, wenn       se zum emotionalen Erfahrungsgedächtnis, des-
für platzierungsbegleitende Fachpersonen������������������ 11                 wir Entscheidungen treffen.                         halb schauen wir uns das genauer an:
Placement d’enfants et de jeunes – Guide d’action destiné
aux professionnels qui accompagnent les placements����������� 18                                                                  Das emotionale Erfahrungsgedächtnis
                                                                               Die zwei Systeme der Handlungs-                     Das emotionale Erfahrungsgedächtnis speichert
Andrea Mauro Ferroni                                                           steuerung                                           alles, was dem Organismus seit der fünften
Soziale Aufgaben gestalten – Eine Frage der Rahmenbedingungen?!�� 20                                                              Schwangerschaftswoche widerfahren ist und
Aménagement des tâches sociales – Une question de                              Im Alltag sprechen wir davon, dass es zwei Arten    was relevant für ihn war. Es verknüpft dabei be-
conditions cadre?!�������������������������������� 25                         von Entscheidungssystemen gibt, den Kopf und        stimmte Klassen von Reizen und sozialen Situa-
                                                                               den Bauch. Antonio Damasio (1995) konnte zei-       tionen mit bestimmten Arten und Intensitäten
Marc Schmid                                                                    gen, dass es diese Polarität von Denken und Füh-    von Körperzuständen und bewertet diese.
Fremdplatzierte psychisch belastete Kinder und Jugendliche – eine              len, Körper und Geist, so nicht gibt. Nach ihm
kooperative Herausforderung für sozialpädagogische Einrichtungen und           gibt es aber sehr wohl zwei Systeme in unserer      Die Speicherung geschieht nach einem dualen
Kinder- und Jugendpsychiatrische/-psychothera­peutische Angebote��� 26        Psyche, die unser Handeln steuern, die Hand-        Prinzip mit nur zwei Bewertungskategorien:
Enfants et adolescents ayant des problèmes psychiques en institutions          lungsimpulse auslösen. Wenn wir Entscheidun-
sociopédagogiques – un défi à la coopération entre l’aide à l’enfance/         gen zu treffen haben, sind in unserem Gehirn im      +                       –
à la jeunesse et la psychiatrie pour enfants et adolescents �������� 38       Wesentlichen diese zwei handlungssteuernden          gut für mich:           schlecht für mich:
                                                                               Systeme beteiligt, die auf sehr unterschiedliche     wieder hin gehen        zukünftig vermeiden
Chantal D. König                                                               Weise arbeiten.
Tragfähigkeit! Aber wie? Von der Kooperationsfähigkeit zur Flexibilität� 39
Qualité et stabilité, oui mais comment? De l’aptitude à coopérer               Das eine der beiden Entscheidungssysteme –          Es ist also alles in Form von neuronalen Netzwer-
vers la flexibilité��������������������������������� 47                       man könnte auch von Beurteilungs- oder Bewer-       ken gespeichert, was Ihnen seit der fünften
                                                                               tungssystemen sprechen – beruht auf der be-         Schwangerschaftswoche widerfahren ist, was
Claudia Matti                                                                  wussten analytischen Intelligenz, das andere auf    wichtig, bemerkenswert war und es ist bewertet,
Qualité et stabilité, oui mais comment? L’exemple de la Fondation              der unbewussten intuitiven Intelligenz, welche      ob es gut oder schlecht für Sie war.
Petitmaître à Yverdon-les-Bains������������������������ 49                    wiederum das emotionale Erfahrungsgedächtnis
Tragfähigkeit, aber wie? Beispiel der Stiftung Petitmaître in                  als Kern hat.                                       Die Intensität des + oder – kann verschieden
Yverdon-les-Bains�������������������������������� 54                                                                              sein, je nach Stärke der Erfahrung.
                                                                               Das emotionale Erfahrungsgedächtnis ist in an-
Arnaud Frauenfelder                                                            deren, stammesgeschichtlich älteren Gehirntei-      Das emotionale Erfahrungsgedächtnis funktio-
«Enfants en danger» et normes de parentalité – Enquête dans                    len angesiedelt, im limbischen System, und diese    niert nach dem Ähnlichkeitsprinzip und scannt
les coulisses de la protection de l’enfance������������������ 56              beginnen schon ab der fünften Schwangerschafts­     die Umgebung permanent nach Bekanntem ab.
Kinder in Gefahr und Normen der Elternschaft��������������� 70                woche zu arbeiten. Gehirnteile, die für bewusstes   Es kann dabei irrsinnig schnell Riesenmengen
                                                                               Gedächtnis zuständig sind, beginnen dagegen         von Daten verarbeiten. Erkennt es in einer Situ-
                                                                               erst ab anderthalb Jahren zu arbeiten. Neurowis-    ation eine bekannte Erfahrung (über ein Bild
Autorinnen und Autoren                                                         senschaftlich erklärt: Der Hypocampus ist erst ab   oder einen Reiz), wird auch die damit verbun­
Auteurs������������������������������������� 71                               1,5 Jahren so ausgereift, dass er arbeiten kann.    dene Bewertung aktiviert. Diese löst im Körper

                                                                                                                          Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014       3
Bewertungs-Signale aus, die wahrnehmbar sind         Die somatischen Marker sind die «Sprache» des         bewertungen vorzunehmen und danach zu be-            • wenn Sie eine unangenehme Entdeckung ma-
als:                                                 emotionalen Erfahrungsgedächtnisses.                  werten, ob sie gut oder schlecht für uns sind.         chen und erschrecken?
• Emotion (z. B. Freude, Leichtigkeit, Angst)        • Sie beruhen auf Erfahrungen in Form von ge-                                                              • wenn Sie unerwartet vor anderen für Ihre Leis-
   oder als                                            lernten Verbindungen von Vorstellungsbildern        Solche bewertende Signale haben wir alle, nicht        tung gelobt werden?
• Körpersensation (z. B. Wärme, Kribbeln,              mit Gefühlen und Empfindungen.                      alle nehmen sie aber gleich gut wahr. Damit man
   Übelkeit)                                         • Sie werden aktiviert, wenn die entsprechen-         sie für sich nutzen kann, ist es wichtig, dass man   Forscher schätzen, dass wir zu ca. 90% vom Unbe-
   oder als                                            den Erfahrungen im Unbewussten über Bilder          das eigene Signal-System gut kennt und gut           wussten gesteuert sind. Wichtige Voraussetzung
• Mischform.                                           oder Sinnesreize aktiviert werden.                  wahrnimmt.                                           für ein zufriedenes Leben ist demnach eine gute
                                                     • Sie geben zuverlässig Auskunft darüber, was                                                              Selbstwahrnehmung: Es ist wichtig, die uns leiten-
Deshalb nennt Damasio diese Signale somati-            für uns wirklich von Relevanz ist.                  Kurze Selbstreflexion:                               den Impulse, die somatischen Marker, zu erkennen.
sche Marker. Dieser Begriff bezeichnet Empfin-       • Sie beruhen auf einer Erfahrung, die uns zei-       Wie und wo im Körper spüren Sie somatische           Erst, wenn sie uns bewusst sind, können wir ent-
dungen, die den Körper betreffen («soma» =             gen will, was gut und was schlecht für uns war.     Marker                                               scheiden, wie wir mit ihnen umgehen wollen.
griechisches Wort für Körper) und die ein Vorstel-     Sie sind somit ein Kompass im Leben.                • wenn Sie angegriffen werden, ungerechtfertigt
lungsbild kennzeichnen oder «markieren».                                                                     kritisiert und im Selbstwert verletzt werden?      Somatische Marker können auch verdeckt wir-
                                                     Damasio geht sogar noch weiter: Er bezeichnet         • wenn Sie aufgeregt sind auf ein Ereignis, z.B.     ken, das heisst, sie müssen nicht bewusst wahr-
Jede Erfahrung wird also begleitet von Bewer-        das emotionale Erfahrungsgedächtnis als ein             vor dem ersten Rendez-vous, wenn Sie jeman-        genommen werden (Intuition). Sie sind aber meist
tungsemotionen, aber auch von Körperzustän-          evolutionäres Bewertungssystem, das sich als            den jetzt dann positiv überraschen können          deutlich sichtbar (Erröten, Stimme, Haltung, Lä-
den: Jedes Erfahrungsnetzwerk ist verbunden          Organ etabliert hat und das wir alle haben. Es ist      oder die Erfolgsbilanz ihres Projektes präsen-     cheln). Das ist ganz besonders in Beratungspro-
mit einem ganzen Konzert von Anspannungs-            ein erfahrungsbasiertes Überlebenssystem, mit           tieren dürfen?                                     zessen hilfreich!
und Entspannungs-Zuständen von Muskelfasern          dem Organismen sehr schnell beurteilen können,
im Körper, welche auch neuronal gespeichert          ob auftretende Situationen gut oder schlecht für
                                                                                                           Vergleich der beiden Intelligenz-Systeme:
sind und blitzschnell aktiviert werden. Wenn eine    sie sind. Jeder auch noch so einfache Organismus
Erfahrung über ein Bild oder einen Reiz aktiviert    verfügt über dieses System, auch Tiere.                Analytische Intelligenz:                            Intuitive Intelligenz:
wird, kommt ein somatischer Marker in 150 – 200
Millisekunden. Diese somatischen Marker und          Und damit kommen wir zur Metapher, die Maja            • Verarbeitet langsam und nacheinander              • Verarbeitet vernetzt-parallel und schnell
da­mit die mit ihnen verbundenen inneren Bilder      Storch für dieses System verwendet: Zur besse-           schrittweise (analog, seriell, sequenziell)         riesige Datenmengen. Ganzheitliche
steuern das Vermeidungs- und Annäherungsver-         ren Veranschaulichung dieser komplexen Vor-              einzelne Informationen und nur begrenzte            Mustererkennung, reagiert auf Bilder.
halten.                                              gänge benutzen wir die Metapher des Strudel-             Datenmengen.                                      • Ergebnis des Verarbeitungsprozesses:
                                                     wurms. Das ist ein ganz einfacher Organismus,          • Ergebnis des Verarbeitungsprozesses:                Diffuse Gefühlsimpulse, die sich unpräzise
Weil positiver und negativer Affekt von verschie-    er hat ein aufnehmendes und ein ausscheiden-             Sprachlich fassbare Gedanken, die präzise           und präverbal über somatische Marker
denen Systemen im Körper ausgelöst werden,           des Organ und ein paar Nerven, die nur dafür             und bewusst sind.                                   äussern.
sind auch gemischte Gefühle möglich.                 sorgen, den Impuls zum wegschwimmen zu ge-             • Entweder-oder-Blick: Erkennt Einzelheiten         • Sowohl-als-auch-Prinzip: Intelligente Form
                                                     ben, wenn es dem Wurm unwohl wird oder den               genau, macht es aber schwierig, das Ganze           von Intuition, bei der «an alles gedacht
Das emotionale Erfahrungsgedächtnis ist also         Impuls zum drauflos schwimmen zu geben, wenn             im Blick zu behalten.                               wird, ohne an alles denken zu müssen».
das Reservoir unserer Lebenserfahrungen, durch       etwas Positives auftaucht. Stellen Sie sich das        • Richtig / Falsch – Bewertung                      • Gut / Schlecht – Bewertung; gefällt mir
das wir schnellen Zugriff auf eine Vielzahl per-     Strudelwürmchen in irgendeinem prähistorischen           (logisch)                                           oder gefällt mir nicht (hedonistisch)
sönlich kategorisierter Erkenntnisse haben. Das      Gewässer vor: Wenn ein Schatten drauf gefallen         • Reflexionsgesteuert: Kann vorausschauende         • Reizgesteuert: Befasst sich mit dem Hier
emotionale Erfahrungsgedächtnis funktioniert         ist, haben diejenigen Strudelwürmchen überlebt,          und vergangene Aspekte mit der Gegenwart            und Jetzt, funktioniert nach dem Lustprinzip,
präverbal, vorsprachlich: Es arbeitet nicht mit      die am schnellsten die beste Entscheidung ge-            verbinden und arbeitet so kontrolliert und          sucht («scannt») unmittelbare Umgebung
Worten, sondern mit somatischen Markern. Es          troffen haben, also jene, die die beste Situations-      auf lange Sicht.                                    nach Möglichkeiten zur Befriedigung
«spricht» eine Bilder- und Gefühlssprache.           auffassung hatten, ob der Schatten ein Plankton        • Hochkompliziertes System, das mit                   von Bedürfnissen ab.
                                                     oder die Zungenspitze eines Dinosauriers ist. Auf        Anstrengung verbunden und störungsan­             • Stabiles System, das zuverlässig, auto­
                                                     diese Weise hat sich laut Damasio dieses System          fällig ist. Ist daher von Tagesform, äusseren       matisch und mühelos funktioniert und kaum
                                                     der Emotionen als Überlebensmechanismus in               Umständen und optimalen                             störbar ist. Deshalb wird unser Handeln
                                                     der Evolution fortgepflanzt. Das haben wir also          Umgebungsbedingungen abhängig.                      vorwiegend vom Unbewussten gesteuert.
                                                     mit Tieren gemeinsam: Über Gefühle Situations-

4      Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014                                                                                               Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014          5
Was geschieht in Entscheidungssituationen             Entscheiden mit der unbewussten intuitiven          wortlich für viele psychische Krankheiten, wie       ligt werden kann. Dies würde den Rahmen aber
mit diesen beiden Systemen?                           Intelligenz                                         zahlreiche Studien zeigen. Und: Entscheidungen       sprengen und ich möchte für Entscheidungen
Sobald eine Entscheidung ansteht, erzeugt das         Vorteil: Diese Entscheidungsfindungen gesche-       mit dem bewussten Verstand und gegen unser           im professionellen Umfeld für den Moment
Gehirn automatisch Vorstellungsbilder von mög-        hen schnell und mühelos, sie ersparen uns die       Unbewusstes sind nur geeignet für kurzfristige       nur mal dies festhalten:
lichen Szenarien. Das geschieht sehr schnell und      Durchmusterung einer Fülle von Einzelheiten         Vorhaben, weil der bewusste Verstand schnell
unbewusst. Diese Szenarien lösen Körpersignale        und Fakten. Diese Entscheidungen sind gut ab-       müde wird und bei langen Projekten versagt.          1. Weil unser Unbewusstes viel schneller als der
aus, positive oder negative somatische Marker.        gestimmt mit unserem Erfahrungswissen und                                                                   bewusste Verstand und zudem ohne Anstren-
Die Frage ist nun, was wir mit diesen Impulsen        unseren Gefühlen und sorgen unmittelbar für         Wenn wir Entscheidungen zu treffen haben, die           gung funktioniert, werden die meisten Ent-
aus dem Unbewussten machen. Wir haben zwei            Wohlbefinden.                                       weitreichende Folgen haben, die also auf Lang-          scheidungen vorwiegend von unbewussten
Möglichkeiten, eine Entscheidung zu treffen:                                                              fristigkeit angelegt sind oder tief in unsere Per-      Impulsen gesteuert. Es ist schon viel gewon-
                                                      Nachteil: Wir wissen nicht, ob diese bisherigen     sönlichkeit eingreifen, sind rein vernünftige           nen, wenn Sie im Alltag Ihre Entscheidungen
1. Wenn eine Entscheidung ansteht, gibt uns der       Erfahrungen auch für die Beurteilung der vorlie-    ­Entscheidungen wertlos, wir werden sie nicht           durch die Brille dieses Wissens betrachten –
   Wurm immer ein Signal für das, was unmittel-       genden Situation hilfreich sind. Und wir wissen      umsetzen und sind entsprechend frustriert. Bei         und sich in Zukunft vielleicht mehr im Klaren
   bar gute Gefühle auslösen würde. Wir können        nicht, auf der Grundlage welcher Vorstellungs-       langfristigen Vorhaben muss der Wurm mit ins           sind, dass unsere Beurteilung der Situation
   unseren Strudelwurm-Impulsen folgen und            bilder allenfalls negative Intuitionen entstanden    Boot, anders geht es nicht. Das Geheimnis, wie         nicht immer so rational begründet ist, wie wir
   entscheiden uns für das, was im Unbewussten        sind. Das Unbewusste hat ja nicht einfach Recht,     kluge Entscheidungen zustande kommen, liegt            meinen, sondern weitgehend auf unseren un-
   unmittelbar gute Gefühle auslöst.                  es beruht lediglich auf gemachten Erfahrungen,       damit auf der Hand:                                    bewussten Erfahrungen beruht. Es ist hilfreich,
                                                      und diese Erfahrungen können uns auch behin-                                                                wenn wir uns dieser intuitiven Gefühle be-
2. Manchmal kommt der Wurm aber zu einer an-          dern oder unpassend ausgelöst werden. Zudem         Es besteht darin, beide Systeme und damit auch          wusst werden.
   deren Situationsbeurteilung als der bewusste       lebt der Strudelwurm im Hier und Jetzt und will     die Vorteile beider Systeme zu nutzen. Dafür
   Verstand und fällt eine andere Entscheidung        unmittelbar vorhandene Bedürfnisse befriedigen.     müssen wir die bewusste analytische und die          2. Wenn mehrere Gehirne an einer Entscheidung
   als die Logik, beispielsweise wenn wir wissen,     Langfristige Bedürfnisbefriedigung hat er nicht     unbewusste intuitive Intelligenz zu synchronisie-       beteiligt sind, wird diese sicher besser und
   dass ein medizinischer Untersuch notwendig         im Blick. Wenn wir immer nur momentane Be-          ren versuchen. Das bedeutet, dass sowohl die            ausgewogener, jedoch nur dann, wenn eine
   ist, was dem Wurm aber nicht gefällt. Im Un-       dürfnisse nach dem Lustprinzip befriedigen, sit-    Impulse aus dem Unbewussten als auch Gedan-             Kultur herrscht, in der Intuitionen Einzelner
   terschied zu Tieren haben wir Menschen dafür       zen wir irgendwann in der Sackgasse.                ken aus dem bewussten Verstand eine gleichbe-           ernst genommen und gemeinsam rational
   eine spezielle Fähigkeit: Wir können unseren                                                           rechtigte Stimme haben und ernst genommen               überprüft werden. Damit haben wir Zugriff
   Wurm mit dem Verstand würgen. Wissen-              Entscheiden mit dem bewussten Verstand              werden. Es wird nach einer Entscheidung ge-             auf viele und verschiedene Erfahrungsschätze,
   schaftlicher ausgedrückt: Mit dem Cortex kön-      Vorteile: Entscheidungen sind rational begründ-     sucht, die beidem gerecht wird.                         kön­nen aber leichter erkennen, was davon
   nen wir Impulse aus dem Unbewussten hem-           bar und durchdacht. Auch langfristige Ziele blei-                                                           hilfreich ist. Ich plädiere für eine Teamkultur,
   men (ignorieren oder übergehen) zugunsten          ben im Blick. Unabhängigkeit von diffusen mo-       Wie machen wir das? In Entscheidungssituatio-           in der – vor allem bei Entscheidungsfindungs-
   von vernünftiger oder langfristiger Planung.       mentanen Gefühlen.                                  nen lenken somatische Marker die Aufmerksam-            prozessen – beide Intelligenzen gleichermas-
   Es gibt Entscheidungen, die muss man nur ra-                                                           keit automatisch auf heikle oder günstige Wahl-         sen akzeptiert sind, gepflegt und geachtet
   tional angehen.                                    Nachteile: Der bewusste Verstand hat eine be-       möglichkeiten, auf die relevanten Elemente von          werden.
                                                      grenzte Kapazität. Wenn er Entscheidungen mit       Szenarien. Das erleichtert uns die Durchmuste-
Wichtig sind beide Arten von Entscheidungsfin-        mehr als zwei Faktoren berücksichtigen muss,        rung einer Fülle von Einzelheiten. Mit dem be-       Wir haben jetzt immer von uns selber in Ent-
dung, beides muss gelernt werden. Variante 1          kommt er an seine Grenzen und ist überfordert.      wussten Verstand müssen wir dann aber über-          scheidungssituationen gesprochen. Ich möchte
bedingt, dass ich somatische Marker überhaupt         Bei komplexen Entscheidungen sind deshalb un-       prüfen, woher diese somatischen Marker kommen        den Fokus aber auch noch auf unsere Klien-
spüre, dass ich also über die Fähigkeit zur Selbst-   ter Umständen nicht alle wichtigen Faktoren be-     und ob sie für die gegenwärtige Entscheidungs-       tinnen und Klienten richten. Nach den vorhe-
wahrnehmung verfüge. Aber auch Variante 2 ist         rücksichtigt.                                       situation auch wirklich relevant und hilfreich       rigen Ausführungen sollte klar geworden sein,
wichtig, und wir tun unseren Kindern einen Ge-                                                            sind. Prozesse der rationalen Entscheidungsfin-      dass unsere Entscheidungen für unsere Klientel,
fallen, wenn wir ihnen beibringen, auch einmal        Wenn es aber um Entscheidungen vor allem für        dung werden durch somatische Marker also un-         die ja meist auf Langfristigkeit angelegt sind
etwas tun zu können, das nicht eigenen Bedürf-        sich selber geht, fallen noch weitere Nachteile     terstützt, jedoch nicht ersetzt.                     oder tief in ihre Persönlichkeit eingreifen, wertlos
nissen entspricht.                                    ins Gewicht: Dauerhafte Vernachlässigung eige-                                                           sind, wenn sich unsere Klientinnen und Klienten
                                                      ner Bedürfnisse macht erwiesenermassen krank.       Ich könnte an dieser Stelle jetzt einen Tag darü-    nicht auch selber mit Unterstützung ihres Unbe-
Aber Achtung: Beide Entscheidungsformen ha-           «Chronische Wurmwürgung», wiederholte Miss-         ber referieren, wie, auch mit welchen Hilfsmit-      wussten für eine Massnahme entscheiden kön-
ben Vorteile, aber auch ihre Tücken.                  achtung von eigenen Bedürfnissen, ist verant-       teln, diese Synchronisierung genau bewerkstel-       nen. Diese Entscheidung darf nicht nur vom

6      Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014                                                                                              Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014          7
Nicole Bruggmann
b­ ewussten Verstand her geschehen, sondern es         vermittelt werden, wenn wir Klientinnen und

                                                                                                           Les secrets d’une décision judicieuse
 ist unbedingt notwendig, dass sie auch von ih-        Klienten auf der Ebene des Unbewussten errei-
 rem Unbewussten unterstützt wird. Meistens ist        chen wollen.
 es aber im besten Fall so, dass das Unbewusste
 unserer Klientel überhaupt nicht involviert ist       Zum Beispiel: Weg mit seinen zukünftigen Folgen,    Qui décide? Qui est concerné?
 und sie sich völlig passiv verhalten. Oder sie        mit oder ohne Massnahme, in sehr bildhafter
 stimmen mit dem bewussten Verstand einer Ent-         Sprache beschreiben, inkl. Vor- und Nachteile,
 scheidung zu, ihr Unbewusstes ist aber anderer        ohne zu werten! So kann sich unsere Klientel ein
 Meinung und deshalb im Widerstand.                    klareres Bild ihrer Situation machen. Sie spüren    Résumé                                                      s­ emaine de gestation, toutes les expériences
                                                       besser, welcher Weg auch längerfristig wichtige                                                                  importantes pour l’organisme et qui associe
Was braucht es, damit Veränderungen gelingen?          Bedürfnisse befriedigt und somit für sie sinn­      Lorsque nous sommes amenés à prendre des                     chaque expérience individuelle à un sentiment
Wir brauchen nicht nur das «vernünftige, ge-           voller ist.                                         décisions, notre cerveau dispose pour l’essentiel            de valeur. L’intelligence intuitive intègre très
dachte Ja» ihres bewussten Verstandes, sondern                                                             de deux systèmes qui régissent nos actions dont              rapidement, en réseaux parallèles, des quan-
vor allem auch das «gefühlte Ja», das dann ent-        Es ist also nicht hilfreich, nur an den bewussten   les modalités de fonctionnement sont très diffé-             tités énormes de données et dispose d’un mode
steht, wenn das Unbewusste erkennt, dass eine          Verstand der Klientinnen und Klienten zu appel-     rentes. L’un des deux systèmes décisionnels –                holistique de reconnaissance des modèles qui
Entscheidung sinnvoll ist und auch wichtige un-        lieren. Erst wenn unsere Klientel spürt, was ihr    que l’on pourrait aussi appeler système d’appré­             fonctionne selon le principe des similitudes.
bewusste Bedürfnisse berücksichtigt. Unsere Kli-       Gewinn sein wird – wenn nicht kurzfristig, so       ciation ou de classification – relève de l’intelligence      Lorsqu’une image connue (ou un stimulus)
entinnen und Klienten müssen einen persönlichen        doch wenigstens langfristig –, lösen sich ihre      analytique consciente et l’autre de l’intelligence           émanant du monde extérieur est reconnue, le
Sinn für sich spüren können. Wie kann aber das         unbewussten Widerstände auf und sie sind zur        intuitive inconsciente:                                      cerveau active l’expérience qui lui est asso-
Unbewusste erkennen und spüren, was sinnvoll           Kooperation bereit. Und erst dann können un­                                                                     ciée et, parallèlement, le sentiment personnel
ist? Erinnern wir uns: Wir sind vorwiegend von         sere Entscheidungen bei unseren Klientinnen         • L’intelligence analytique consciente (ap-                  de valeur qu’elle avait alors suscité. Celui-ci
unserem Unbewussten gesteuert und das Unbe-            und Klienten auch wirklich nachhaltig etwas Po-       pelé par d’autres théories raison consciente,              déclenche dans le corps un signal émotionnel
wusste spricht eine Bilder- und Gefühlssprache.        sitives bewirken. Das bedeutet für uns Fach­          logique ou ratio) entre en fonction au plus tôt            qui nous indique si la situation nous plaît ou
Wenn wir Klientinnen und Klienten eine Mass-           personen natürlich einen Mehraufwand und es           à l’âge d’un an et demi; développée au mieux               non. Par conséquent, ce processus d’inté­
nahme verordnen, ist für uns Fachpersonen meist        bedingt auch, dass wir selber den möglichen           de ses capacités, elle permet de venir à bout              gration inhérent au système inconscient ne
klar und vermeintlich «selbstverständlich», was        Gewinn und die Vorteile einer Massnahme ken-          des tâches les plus complexes et d’accomplir               produit que des impulsions émotionnelles
der Zweck und der Vorteil dieser Massnahme             nen. Ich bin aber überzeugt, dass sich dieser         des performances maximales. Elle intègre                   diffu­ses et imprécises («sentiment viscéral»,
oder Veränderung ist. Unser Klientel sieht aber        Mehraufwand lohnt und langfristig bei weitem          lente­ment et successivement, l’une après l’autre          intuition). Inconsciemment, les situations sont
im wahrsten Sinne des Wortes nicht ein, was dies       auszahlt!                                             (de manière analogue, sérielle, séquentielle)              toujours évaluées en fonction des sentiments
ihnen bringen soll, weil sie sich kein Bild der Kon-                                                         chaque information reçue et un nombre de                   agréables ou désagréables qu’elles suscitent
sequenzen einer Entscheidung machen können.            Treffen Sie also in Zukunft für sich möglichst        données limitées. Il résulte de ce processus               dans l’immédiat.
Aussagen wie «Das ist für Ihre Zukunft wichtig!»       ­kluge Entscheidungen – und helfen Sie Ihren          d’intégration des idées précises, formulables
sind abstrakt und nicht abbildbar und können            ­Klientinnen und Klienten, auch für sich kluge       en mots. L’intelligence analytique évalue les           Étant donné que notre inconscient fonctionne
vom Unbewussten deshalb nicht «erkannt» und              Entscheidungen zu treffen.                          situations en fonction de critères logiques et          beaucoup plus vite que la raison consciente, et
verstanden werden. Oder die Klientinnen und                                                                  les juge soit justes soit fausses. L’activation         en outre sans efforts, ce sont avant tout des
Klienten haben negative Bilder und Befürchtun-                                                               de ce système nécessite toutefois des efforts           impulsions inconscientes qui pilotent nos prises
gen im Kopf und lehnen eine Massnahme des-             Literatur                                             et s’avère sensible aux perturbations; son              de décisions. Il serait particulièrement bénéfique,
halb ab.                                                                                                     fonc­tionnement dépend des dispositions per-            notamment lorsque nous prenons des décisions
                                                       Damasio, A. (1995). Descartes’ Irrtum. Paul List      sonnelles du moment, des circonstances exté­            concernant nos clients, que nous ayons conscience
                                                       Verlag, München
Das Unbewusste unserer Klientel braucht also                                                                 rieures et de la présence de conditions envi-           du fait que les motifs sur lesquels se fonde notre
realistische Informationen über die Konsequen-                                                               ronnementales optimales.                                évaluation de la situation ne sont pas toujours
zen einer Entscheidung. Deshalb ist es für sie                                                             • L’intelligence intuitive inconsciente, en               aussi rationnels que nous croyons, mais qu’ils dé­
hilfreich, wenn wir die Zusammenhänge aus-                                                                   revanche, est très stable, fiable et guère per-         coulent dans une large mesure de nos expéri­
sprechen und unsere Gedanken transparent ma-                                                                 turbable, elle fonctionne automatiquement et            ences inconscientes. Seule une prise de conscience
chen. Und diese Informationen müssen bildhaft                                                                sans efforts. Elle a recours à la mémoire émo-          de nos sentiments inconscients et leur évalua-
                                                                                                             tionnelle du vécu qui engrange, dès la 5e               tion par notre intelligence analytique du point

8      Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014                                                                                               Integras – Plate-forme de placement extrafamilial 2014         9
de vue de leur utilité présente nous permet de                   Stefan Blülle
savoir si nos expériences passées nous aident
également à jauger la situation actuelle. Les                    Kinder und Jugendliche platzieren –
secrets d’une décision judicieuse résident dans
la synchronisation de l’intelligence analytique                  Ein Handlungsleitfaden für platzierungs-
consciente avec l’intelligence intuitive incons-
ciente!                                                          begleitende Fachpersonen
Si l’on veut que les mesures aient réellement un
impact positif et durable chez nos clients, il est
important que ces derniers puissent à leur tour                  Einleitung                                          1. Wo steht die Kinder- und
décider d’y adhérer. Or, cette acceptation ne doit                                                                   Jugendhilfe in der Schweiz?
pas relever de leur seule raison consciente, mais                Bereits 1996 hatte Integras einen Leitfaden für
elle nécessite obligatoirement le soutien de leur                ausserfamiliäre Platzierung herausgegeben. Er       Heime und Pflegefamilien gehören zur Kinder-
inconscient. L’inconscient de notre clientèle a                  war über all die Jahre gefragt und wurde an         und Jugendhilfe, dem Handlungsbereich des
besoin, afin que ce «oui ressenti» puisse émer-                  Fachhochschulen als Grundlage genutzt. Der          Wohlfahrtsstaats – und da zitiere ich Prof. Stefan
ger, d’informations transmises de façon aussi                    Leitfaden war aber inzwischen in verschiedener      Schnurr – der zusätzlich zur Schule und zusätz-
imagée que possible; c’est ainsi qu’il parvient                  Hinsicht veraltet.                                  lich zu privaten Leistungen von Familien und
à reconnaître qu’une décision est judicieuse et                                                                      Verwandtschaftssystemen die sozialen Bedin-
qu’elle répond en plus à des besoins incons-                     Anfang 2012 trafen wir uns als neue Redaktions-     gungen des Aufwachsens von Kindern und Ju-
cients essentiels. Dès lors que nos clients sentent              gruppe bei Integras, um einen neuen Leitfaden       gendlichen gestaltet. (Schnurr 2012). Was aber
quel bénéfice ils pourront retirer d’une mesure                  in Angriff zu nehmen und diesen so zu gestalten,    ist die Kinder- und Jugendhilfe? Die Antwort ist
– si ce n’est à court terme, du moins à long                     dass er insbesondere die Verpflichtungen der        einfach: die Kinder- und Jugendhilfe im Sinne
terme –, leurs résistances se lèvent et ils se                   UN-Kinderrechtskonvention aufnimmt und ne-          einer kohärenten Struktur gibt es in der Schweiz
montrent disposés à coopérer.                                    ben der Aufgabenbeschreibung der zuweisenden        nicht – dies etwa im Gegensatz zu unseren
                                                                 und platzierungsbegleitenden Fachpersonen           deutschsprachigen Nachbarländern. Das betrifft
                                                                 auch Perspektiven der pädagogischen Praxis ein-     die Ebene der Gesetze, die der institutionellen
                                                                 bringt.                                             Ausgestaltungen, der professionellen Zuständig-
                                                                                                                     keiten, des methodischen Handelns und der die-
                                                                 Nun liegt der Leitfaden vor. Er bildet ein Stück    sem zugrundliegenden Rollenverständnisse.
                                                                 aktuelle Wirklichkeit ab und enthält Vorschläge
                                                                 dazu, wie wir in dieser Wirklichkeit kompetent      Wir haben mit dem revidierten ZGB zwar ein
                                                                 handeln können. Ich werde Ihnen heute acht          starkes Anordnungsgesetz erhalten, das zum Tra-
                                                                 ausgewählte Schwerpunkte aus meinem Leit­           gen kommt, wenn Kinder erheblich gefährdet
                                                                 faden-Beitrag vorstellen, mit Bezügen zu den        sind, aber es fehlt ein Leistungsgesetz, das den
                                                                 Beiträgen der Co-Autorinnen und -autoren. Ich       Zugang zu Hilfeleistungen garantiert, wenn die
                                                                 tue dies exemplarisch, fragmentarisch, nicht ab-    Kinder (noch) nicht unmittelbar gefährdet sind
                                                                 schliessend. Dabei gehe ich inhaltlich weiter als   (Blülle / Schnurr 2013). Diese Ausgangslage un-
                                                                 der Buchtext und formuliere mögliche Ziele für      terstützt eine Sichtweise, die stärker auf Anord-
                                                                 eine zukünftige Denkweisen und Handlungs­           nung und Zwang eingestellt ist «als auf Erzie-
                                                                 praxen.                                             hungspartnerschaften zwischen Erziehenden,
                                                                                                                     Fachpersonen und Behörden / Fachstellen», «Zu-
                                                                 Ich beginne mit dem ganz grossen Rahmen der         gänge zu früh einsetzenden (…) Leistungen im
                                                                 Kinder- und Jugendhilfe als Ganzes:                 Modus der Vereinbarung oder als Antwort auf
                                                                                                                     aktive Nachfrage sind strukturell erschwert»
                                                                                                                     (Blülle / Schnurr 2013). Das Prinzip der Subsidia-

10      Integras – Plate-forme de placement extrafamilial 2014                                             Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014        11
rität kann daher de facto nur eingeschränkt zur     intensiv sind, werden sie durch Fachdienste im        mehrt zwischen Leistungsalternativen abwägen.       Ziele
Anwendung kommen. In Deutschland etwa ist           Sinne von Fallführung (Case Management) indi-         Diese entstandenen Alternativen haben aber auch     • Wir verstehen die Platzierungsangebote als
die Anlage genau umgekehrt: Es gibt ein Leis-       ziert und begleitet.                                  Auswirkungen auf den Auftrag der Heime und            Teile im Gefüge der Leistungen der Kinder-
tungsgesetz und darauf basierende Angebote.                                                               Pflegefamilien, weil die Kinder und Jugendlichen,     und Jugendhilfe.
Nur wenn die Zugänge nicht einvernehmlich ge-       Mit dem Leistungskatalog wird vorausgesetzt,          die heute platziert werden zum Teil andere Ver-     • Wir beschreiben die Lebensgeschichten unse-
schaffen werden können, verpflichtet das Fami-      dass ambulante Alternativen zu Platzierung ver-       haltenswiesen zeigen als früher. Die Heime sind       rer Klientel einschliesslich der «Gründe und
liengericht die Klientel zur Inanspruchnahme der    fügbar sind, und dass Kinder und Eltern im Vor-       aufgefordert, vermehrt die eigenen pädagogischen      Ziele der Platzierung» so, dass ihre Würde ge-
Leistungen.                                         feld von (teuren) ergänzenden Hilfen Beratung         Angebote mit externen Leistungen zu verknüpfen,       wahrt bleibt.
                                                    und Unterstützung zur Bewältigung allgemeiner         Mischformen und Übergänge zu gestalten.
Die regionalen Unterschiede sind in der Schweiz     Herausforderungen und schwieriger Lebens­
erheblich. Viele Angebote haben sich situativ       lagen erhalten.                                       Das führt mich zu einer weiteren Frage, nämlich     3. Welche Platzierungsangebote
entwickelt. Gross sind die Unterschiede auch bei                                                          zu der, in welchem Narrativ wir über Platzierung    sind verfügbar?
den fallführenden Stellen, den Diensten also, die   Diese Voraussetzung ist aber vielerorts erst sehr     sprechen. Anders gefragt: In welchen Begrün-
Platzierungen begleiten. Da haben wir speziali-     begrenzt erfüllt. Etwas überspitzt lässt sich sa-     dungsmustern beschreiben wir Platzierungsindi-      Die Unterbringungsmöglichkeiten sind heute stark
sierte und polyvalente, grosse und kleine, auf      gen, dass Platzierungen lange Zeit die einzige        kationen?                                           ausdifferenziert. Jedes Heim beschreibt seine
freiwillige Vereinbarung mit den Klientel oder      faktisch verfügbare Hilfeform und damit das           • Das Kind ist platziert,weil ihm seine Familie     Zielgruppe wie auch sein Auftragsverständnis in
auf Anordnung basierende, etwas besser oder         eigentliche Rückgrat der Kinder- und Jugend­hilfe       nicht ausreichend Rückhalt, Schutz und För­       eigenen Begrifflichkeiten. Das spiegelt sich etwa
ganz knapp ausgestatte Dienste. Je nachdem          waren und bis zu einem gewissen Grad auch               derung zu geben vermag. Es findet ein alter-      auf der Heimliste der Interkantonale Vereinba-
sind von diesen Stellen sehr unterschiedliche       heute noch sind. Es gab – und gibt teilweise            natives Zuhause!                                  rung für soziale Einrichtungen (IVSE). Zwar sind
Leistungsphilosophien und demnach auch unter-       heute noch – wenig Alternativen. Aufsuchende          • Das Kind verhält sich problematisch. Es lebt      die Angebotsbezeichnungen gut verständlich,
schiedliche Zugänge zu erwarten.                    Familienarbeit begann sich erst seit Ende der           im Heim, um anders zu werden, als es heute        aber sie entsprechen keiner übergeordneten
                                                    1990er Jahre zu verbreiten. Sozialdienste und           ist. Das Heim ist eine Art Klinik.                Systematik. Eine einigermassen aussagekräftige
Ziele                                               Jugendsekretariate führten zwar Beratung als          • Das Kind wird platziert, weil eine spezifische    Platzangebots-Statistik ist daher nicht möglich,
• Die Kantone orientieren sich an einem über-       Angebot, konnten – und können – dieses Ver-             FörderForm nur stationär verfügbar ist            und für die zuweisende Fachpersonen ist das
  geordneten Katalog an Grundleistungen (Bun­       sprechen aber wegen hoher Fallzahlen und an-          • Sowie Kombinationen dieser Begründungs­           System-Verstehen nicht ganz einfach. Im Leit­
  desrat, 2012)                                     derer Aufgabenprioritäten nur punktuell einlösen.       ansätze.                                          faden schlägt Karl Diethelm Dimensionen vor,
• Die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe        Diese Tatsachen spiegeln sich auch in den Budgets                                                         anhand derer eine systematische Zuordnung er-
  werden in den einzelnen Kantonen ganzheit-        der Kinder- und Jugendhilfe. Im Kanton Basel-         Die Art und Weise, wie wir Fremdplatzierungen       folgten könnte. Die Kantone Basel-Stadt und
  lich geplant und koordiniert                      Stadt gehen im Bereich der ergänzenden Hilfen         generell und im Einzelfall begründen, hat ge-       Basel-Landschaft pflegen seit vielen Jahren eine
• Eltern und Kinder erhalten ein Recht auf Leis-    zur Erziehung etwa 9 von 10 Jugendhilfe-Fran-         wichtige Implikationen: angefangenen bei den        bewährte Systematik und Statistik. Auch andere
  tungen der Kinder- und Jugendhilfe «unter-        ken in die stationäre Kinder- und Jugendhilfe.        sozialpolitischen Legitimationsmustern (Bsp:        Kantone tun dies, aber eben in eigenen Kate­
  halb der Schwelle manifester Gefährdung des                                                             «Justizheim»), über die Selbstkonzepte, die an      gorien.
  Kindeswohls» (Blülle / Schnurr 2013)              In den vergangen Jahren hat sich die Landschaft       die Kinder einerseits, an die Familien anderer-
                                                    aber doch deutlich verändert. Die Sensibilität für    seits vermittelt werden, bis hin zu den Einstel-    Diese Ausdifferenzierung schliesst mit ein, dass
                                                    alle Formen der Kindeswohlbeeinträchtigung ist        lungen und Motivationen, die Eltern und Kinder      die meisten Heime nur für eine begrenzte Lebens­
2. Welche Bedeutung hat                             stark gewachsen. Wir haben seit den 1990er Jah-       zur biografischen Tatsache der Platzierung ent-     phase der Kinder und Jugendlichen und/oder nur
Platzierung als Teil der Kinder-                    ren viele Initiativen im Frühbereich. Schulsozial-    wickeln. Beschreibungen von Lebenswirklichkeit      für einen bestimmten Auftrag – etwa Abklärung
und Jugendhilfe?                                    arbeit wurde breit eingeführt. Angebote für so-       sind immer sozial konstruiert. Platzierungsver-     – zuständig sind. Das führt zur Notwendigkeit
                                                    zialpädagogische Familienbegleitung wurden            antwortliche sind an den Erzählweisen der Le-       von Umplatzierungen. Wir haben also damit
Nach dem erwähnten Leistungskatalog der Kin-        ausgebaut. Die Schulen entwickeln ein integra-        bensgeschichten beteiligt. Sie tragen dabei eine    ­einen systemimmanent angelegten Faktor der
der- und Jugendhilfe gehören die Platzierungen      tives Verständnis im Umgang mit behinderten           grosse Verantwortung, weil diese Geschichten         Diskontinuität– und das gegenüber Kindern, die
zu den ergänzenden Hilfen zur Erziehung. Mit        und auffälligen Kindern. Die Schnittstelle Schule-    für die Klientel zu subjektiver Wirklichkeit wer-    meistens im Leben schon sehr viel Diskontinuität
«ergänzend» ist das komplementäre Verständnis       Berufseinstieg wird systematisch gepflegt. Die Ver­   den können.                                          erfahren haben. Etwa jedes dritte der platzierten
dieser Hilfen angesprochen: komplementär zu         fügbarkeit der breiteren Leistungsangebote stellt                                                          Kinder ist ein- oder mehrmals umplatziert wor-
Leistungen, die die Eltern und das soziale Umfeld   neue Anforderungen an die Fallführung der zuwei­                                                           den. Bei kleinen Kindern wissen wir aus den
erbringen können. Da diese Leistungen kosten-       senden Dienste. Diese können und müssen ver-                                                               ­Erkenntnissen der Bindungsforschung, welche

12      Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014                                                                                           Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014        13
nachteiligen Konsequenzen unzuverlässige Be-        1. Diagnose und Indikation sind Prozesse, die             Sozialdienst durchgeführte – allerdings nicht       sonders bei Familienplatzierungsorganisationen.
ziehungsabbrüche haben. Bei grösseren Kindern           möglichst partizipativ mit den Betroffenen ge-        nur auf Platzierungen beschränkte – Studie          Im Leitfaden spiegelt sich das im Bericht von
und Jugendlichen ist bis dahin noch kaum be-            staltet werden sollen. Dies ist übrigens auch         hat gezeigt, dass Alternativen wohl meist dis-      Andrea Keller.
forscht, welche Wirkungen Umplatzierungen               das zentrale Merkmal des Hilfeplangedankens           kutiert, aber nur selten dokumentiert werden.
letztlich haben.                                        im deutschen Kinder- und Jugendhilferecht.                                                                Das grundsätzliche Dilemma liegt darin, dass wir
                                                        Die wenigen Studien, die es zum Erfolg von          Ziele                                                 entweder sehr viele Rollenträgerinnen und -trä-
Auch bei den Pflegefamilien sind die Angebote           Platzierungen gibt, weisen darauf hin, dass         • In der Schweiz sind evidenzbasierte Instru-         ger haben, die sich in ihrem Zuständigkeits- oder
komplex geworden. Jede Pflegefamilie orientiert         der Grad der Partizipation der jungen Men-            mente zur Beurteilung des Kindeswohls und           Nichtzuständigkeitsverständnis überschneiden
sich aufgrund ihrer Lebenslage, den eigenen Vor-        schen und der Eltern am Platzierungsprozess           des Hilfebedarfs verfügbar und in Anwen-            und sich möglicherweise gegenseitig behindern,
stellungen und dem gegebenen Markt, als was             den Erfolg der Hilfe beeinflussen (Gabriel et.        dung. Sie beinhalten: 1. die relevanten Dimen-      oder aber dass wir uns auf wenige Rollen be-
genau sie sich in Bezug auf die Aufnahme eines          al. 2007).                                            sionen von Kindeswohl; 2. die Gestaltung des        schränken, damit aber Interessenskollisionen
Kindes versteht. Insgesamt haben das Auftreten      2. Indikationsprozesse sind ergebnisoffen anzu-           Abklärungs- und Indikationsprozesses; 3. die        oder einseitige Parteilichkeiten in Kauf nehmen.
und die starke Verbreitung der Familienplatzie-         gehen. Fremdplatzierung ist dabei ein mög­            Anforderungen an die Sachverhalts- und Pro-         Wie können wir zu Rollen finden, die funktional
rungsorganisationen starke Impulse gesetzt. Es          liches Ergebnis, das wir aber erst am Schluss         zessdokumentation.                                  sind und die sowohl zu Vertrauen der Klientel in
hat gezeigt, dass Familien sehr tragfähig sein          des Verfahrens kennen. Ergebnisoffenheit kön­       • Voraussetzung für die Finanzierung und ggf.         die Fachpersonen als auch der Fachpersonen un-
können, wenn sie eng in unterstützende Struk-           ­nen wir unter anderem dadurch unterstützen,          Anordnung von Platzierungen ist die Einhal-         tereinander führen? Dazu gibt es verschiedene
turen eingebunden sind. Und es hat die Vorstel-          dass wir die beiden Schritte Diagnose und            tung dieser Standards.                              Wege. Einer davon ist, dass wir in der konkreten
lung, dass Pflegeelternschaft nur als de facto           ­In­dikation auseinanderhalten. In der Diagnose­                                                         Zusammenarbeit immer wieder gemeinsam reflek­
unentgeltliche Leistung moralisch zulässig ist,           phase erfassen und beschreiben wir die Lebens­                                                          tieren, wer wem gegenüber in welchem Auftrag
in Frage gestellt.                                     ­lage des Kindes und die auf das Kind zutref-        5. Welche Rollen sind im Kontext von                  und damit in welcher Art von Beziehung steht.
                                                          fenden Schutz- und Risikofaktoren. Dar­aus        Platzierungen erforderlich?                           Ein zweiter liegt darin, dass wir uns bezüglich der
Ziele                                                     ergibt sich, in welchem Versorgungsbereich                                                              zentralen Rollen auf Kernprofile verständigen.
• Es gibt eine landesweit gültige Systematik der          ein Schutz-, Förder- oder Kompensations­be­       Bei Fremdplatzierungen gibt es verschiedene be-
  Platzierungsangebote                                    darf besteht. Erst im zweiten Schritt bestim-     rufliche Rollen. Formal lassen sie sich unterschei-   Ziele
• Die Platzierungspraxis für Säuglinge und Klein­         men wir, welche Hilfeform diesem Bedarf am        den bezüglich                                         • Wir verfügen über allgemein akzeptierte Kern-
  kinder ist im Licht der Erkenntnisse der Bin-           besten entsprechen kann. Dabei wägen wir          a) der Adressatinnen und Adressaten des Han-            profile der Rollen 1. der fallführenden (zu­
  dungsforschung sorgfältig evaluiert                     die positiven und negativen Implikationen der        delns der Rollenträger, zum Beispiel: das Kind,      weisende, mandatsführende etc.) Person;
• Formen der Gruppenpädagogik sind durch in-              verschiedenen in Frage kommenden Hilfen ab.          die Eltern, die Familie, das Heim, das grössere      2. der Erziehenden / erziehungsverantwort­
  dividualisierende Erziehungsformen ergänzt        3. Indikationen auf Fremdplatzierung dürfen                (Familien- und Hilfesystem) und                      lichen Person; 3. der Aufsichtsstellen; 4. der
• Die Kriterien für stationäre Unterbringung mit          nicht von Einzelpersonen allein gestellt wer-     b) der Art der Beziehung, welche die Rollen­            Support-Dienste.
  interner Schule sind vor dem Hintergrund des            den. Es braucht qualitätssichernde Verfahren.        träger diesen Adressatinnen und Adressaten         • Jedes platzierte Kind hat mindestens eine ex-
  integrativen Anspruchs der öffentlichen Schu-           Peer-to-Peer-Rückversicherungen sind dazu            gegenüber anbieten und eingehen, etwa: Ma-           terne Vertrauensperson.
  len neu definiert.                                      unzureichend, weil sie ein zu grosses Sugges-        nagement, Beratung, parteiliche Interessen­
                                                          tivrisiko beinhalten. Für diese Forderung nach       wahrnehmung, rechtliche Vertretung, Aufsicht,
                                                          standardisierten 4-Augen-Verfahren gibt es           Alltagsbeziehung etc.                              6. Nach welchen Mustern
4. Wie kommen wir zur                                     mehrere Gründe. Etwa die Eingriffsstärke, die                                                           kooperieren Fachpersonen und
Indikation «Platzierung»?                                 Kosten, aber auch der Umstand, dass platzie-      Schon aus diesen Variablen – die Aufzählungen         Klientel bei Platzierungen?
                                                          rende Fachpersonen oft grossem Druck von          sind nicht abschliessend – wird deutlich, dass
Im Leitfaden äussern sich fast alle Autorinnen            fachlichen Partnern und Klientel ausgesetzt       sich ein grosser Raum für unterschiedlichste Rol-     Neben den platzierungsvorbereitenden Abspra-
und Autoren zur Frage der Indikationen. Alle sind         sind.                                             lendefinitionen und Rollenkombinationen öffnet.       chen zwischen zuweisenden und aufnehmenden
wir uns darin einig, dass die Indikationsstellun-   4. Indikationen sind zu dokumentieren. Auch             Das schafft Gestaltungsmöglichkeiten, führt aber      Stellen und Kennenlerngesprächen haben sich
gen methodisch und kriteriengeleitet erfolgen             die in Erwägung gezogene Alternativen zur         auch zu Beliebigkeiten und lässt den Wunsch           die sogenannten Standortsitzungen als äussere
sollen. Die gewählten Zugänge ergänzen und                Platzierung und deren Bewertung müssen            aufkommen nach allgemein verbindlichen Vor-           Form der Kooperation etabliert. Oft steht der Be-
überschneiden sich. Vier mir wichtige Aspekte             ­dokumentiert sein, denn nur so werden Ent-       gaben dazu, wer was zu tun hat. Die Irritationen      griff «Stao» fast als Synonym für Kooperation.
möchte ich auflisten:                                      scheidungsprozesse als solche auch später        treten nach meiner Wahrnehmung am deutlichs-          Die Form der meist grossen Hilfekonferenzen
                                                           rekonstruierbar. Eine 2012 in einem grossen      ten bei Familienplatzierungen hervor, ganz be-        werden damit begründet, dass Transparenz ge-

14      Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014                                                                                              Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014          15
währleistet ist, dass die Entscheidungen schnell      In der Praxis beziehen sich die Ziele einer Ziel-   haben, können zuweisende Sozialarbeitende eine        Literatur
getroffen werden können und dass die weitere          vereinbarung oft auf Vorstellungen davon, was       Brücke zwischen den verschiedenen Welten
Planung effizient erfolgen kann. Solche Runden        das Kind / der Jugendliche aus der Sicht der Päd-   für die Kinder werden. Die Beziehung sollte so        Blülle, S. / Schnurr, S. (2013). Wo steht die Kinder-
                                                                                                                                                                und Jugendhilfe in der Schweiz? Jour fixe Familie
beinhalten jedoch auch das Risiko, dass sich die      agoginnen und Pädagogen lernen und anstreben        gestaltet sein, dass immer wieder persönliche         vom 5. Dezember 2013, Centrum für Familienwissen-
Klientinnen und Klienten von der «Übermacht»          müsste. Solche Ziele sind dann auch oft aus der     Gespräche zwischen dem Kind und der platzie­          schaften. URL: http://www.famwiss.ch/veranstaltun-
                                                                                                                                                                gen/vergangene-veranstaltungen/archiv-basel-2013/
der Fachpersonen unter Druck gesetzt fühlen.          Perspektive auf bisherige Defizite heraus formu-    rungs­begleitenden Fachperson stattfinden. Es ist
Eltern wie auch Kinder und Jugendliche sind           liert. Problematisch wird es, wenn pädagogische     anzustreben, dass die platzierungsbegleitende         Gabriel, T. / Keller, S. / Studer, T. (2007): Wirkungen
                                                                                                                                                                erzieherischer Hilfen – Metaanalyse ausgewählter
dann leicht disponiert, «Lösungen» vorschnell         Erwartungen den Wünschen der Klientinnen und        Person auch externe Vertrauensperson des Kin-         Studien. Wirkungsorientierte Jugendhilfe. Band 03.
vordergründig zuzustimmen, ohne sie nachvoll-         Klienten übergestülpt werden, oder schlimmer:       des ist. Auf diese Weise erhalten platzierte Kinder   Schriftenreihe zum Modellprogramm des Bundesmi-
ziehen und wirklich akzeptieren zu können. Sie        wenn Kinder und Jugendliche manipuliert werden,     und Jugendliche Gelegenheiten, sich über ihre         nisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
                                                                                                                                                                (BMFSFJ) zur Qualifizierung der Hilfen zur Erziehung
fühlen sich manipuliert und bleiben innerlich         die Erwartungen der Helfenden als ihre eigenen      Alltagserfahrungen auszusprechen und gege­            durch wirkungsorientierte Ausgestaltung der Leis-
ambivalent. Oder aber sie setzen sich gegen die       Ziele zu bezeichnen. Insbesondere bei traumati-     benenfalls auch unangenehme Erlebnisse, Miss-         tungs-, Entgelt- und Qualitätsvereinbarungen nach
                                                                                                                                                                §§ 78a ff SGB VII. Münster: Bundesministerium für
«Lösungsangebote» der Helfenden zu Wehr, um           sierten Kindern und Jugendlichen reaktiviert dies   stände oder gar Misshandlungen im Vier-Augen-
                                                                                                                                                                Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
den Preis, dann möglicherweise als unkooperativ       alte Hilflosigkeitsgefühle und Ohnmachtserfahrun­   Gespräch mitzuteilen. Zudem stellen sich Kinder
                                                                                                                                                                Integras (Hrsg.) Leitfaden Fremdplatzierung.
qualifiziert zu werden.                               gen. Traumatisierte Kinder und Jugendliche, die     und Jugendliche im Zug ihrer fortschreitenden         Eigenverlag, Zürich
                                                      häufig eine lange Geschichte von Misserfolgen       Entwicklung die Frage nach dem Warum ihres
                                                                                                                                                                Schnurr, S. (2012): «Grundleistungen der Kinder-
Ziele                                                 hinter sich haben, sollten sehr behutsam, jedoch    Platziert-Seins auch immer wieder neu. Sie sind       und Jugendhilfe», in: Bundesrat (2012): Gewalt und
• Ausgangspunkt für die Kooperationsformen            gezielt, zu eigenen Zielfindungen ermutigt wer-     darauf angewiesen, in der Auseinandersetzung          Vernachlässigung in der Familie: notwendige Mass-
  sind die konkreten Erfordernisse des Einzel-        den. Das Wort «Ziel» ist da vielleicht schon viel   damit erwachsene Bezugspersonen zu haben,             nahmen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe
                                                                                                                                                                und der staatlichen Sanktionierung – Bericht
  falls, (nicht die administrativen Funktionsprin-    zu gross, und es wäre passender, Fragen zu stel-    die ihre Herkunft und Lebensgeschichte kennen         des Bundesrates im Erfüllung des Postulats Fehr
  zipien der Organisationen). Das bedeutet, dass      len wie: Was ist dir wichtig? Was möchtest du       und diese wertschätzend zu deuten wissen.             vom 5. Oktober 2007, Bern
  Settings, Durchführungsorte, Moderationsver-        lernen? Von wem wünschst du dir, dass er / sie
  antwortung, Planungszeiträume und Gegen-            stolz auf dich ist oder dich toll findet? Und was   Ziele
  stände / Themen der Kooperation vermehrt            müsstest du tun, damit dies so wäre? Mit dieser     • Platzierungsbegleitende Fachpersonen pflegen
  individualisierend zu gestalten sind.               Haltung respektieren wir das Kind als Subjekt         einen eigenständigen Zugang und Kontakt
                                                      seiner eigenen Entwicklung.                           zum Kind / Jugendlichen – dies auch dann, wenn
                                                                                                            die Platzierung «unproblematisch» verläuft.
7. Was kann Partizipation bei                         Ziele
Fremdplatzierungen beinhalten?                        • Wir unterscheiden stets klar zwischen den Zie-
                                                        len der Kinder / Jugendlichen und den Forde-      Zum Schluss
«Partizipation» ist im Leitfaden gut vertreten. Ich     rungen, Grenzen, Erwartungen und Wünschen
habe es gezählt: insgesamt 57 Mal kommt der             der Erwachsenen.                                  Nun lade ich Sie ein, den «Leitfaden Fremdplat-
Begriff vor. Alle Autorinnen und Autoren setzen       • Wir ermöglichen bei Platzierungen Kindern,        zierung» zu lesen. Es freut mich, wenn Ihnen
sich mit der Frage der Beteiligung der Kinder am        Jugendlichen (und Eltern) Wahlmöglichkeiten.      Inhalte daraus für Ihre eigene Praxis nützlich
Platzierungsgeschehen auseinander. Thomas Ga-           Damit anerkennen wir sie als Expertinnen und      werden. Und es freut mich ganz besonders, wenn
briel hat dazu ein eigenes Essay beigetragen. Er        Experten ihres eigenen Lebens.                    Sie die mit dem Leitfaden aufgenommene Diskus­
verweist auf das grundsätzlich asymmetrische                                                              sion zu Platzierungsfragen kritisch weiterführen.
Machtverhältnis in Erziehungsprozessen. Dieses
ist einerseits wegen der eingeschränkten Reife der    8. Wie viel externe Begleitung                      Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Heranwachsenden erforderlich. Es muss sich aber       benötigen fremdplatzierte Kinder?
stets situativ zeitlich und inhaltlich begründen.
Einer meiner Anknüpfungspunkte an den Partizi­        Platzierungsbegleitende Fachpersonen unter-
pationsgedanken ist die Frage, wie wir mit Kin-       schätzen meist die Bedeutung, die sie im Leben
dern und Jugendlichen zu Zielvereinbarungen           der fremdplatzierten Kinder erhalten, wenn sie
kommen.                                               die Begleitung aktiv und aufmerksam gestalten.
                                                      Wenn sie das Vertrauen der Kinder gewonnen

16      Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014                                                                                            Integras – Tagung Plattform Fremdplatzierung 2014              17
Stefan Blülle
                                                                                                            La troisième partie met l’accent sur le rôle et les
Placement d’enfants et de jeunes                                                                            diverses tâches des professionnels qui accom-
                                                                                                            pagnent les placements. Leur mission consiste
Guide d’action destiné aux professionnels                                                                   non seulement à poser des diagnostics avec soin,

qui accompagnent les placements                                                                             mais aussi à trouver des options de placements
                                                                                                            appropriées, à soutenir en permanence enfants,
                                                                                                            adolescents et parents dans leur recherche
                                                                                                            d’objectifs, à assurer une planification coopéra-
                                                                                                            tive des aides nécessaires afin d’atteindre les
Résumé                                               Un premier aspect consiste à jeter un coup d’œil       objectifs, à co-aménager les transitions, à deve-
                                                     sur le paysage de l’aide à l’enfance et à la jeu-      nir et à rester des personnes de confiance pour
Lorsque les parents ne sont pas en mesure            nesse en Suisse, qui est d’essence fédéraliste. Ce     l’enfant et à accompagner les parents de façon
d’assumer leurs tâches éducatives ou que les         sont les circonstances locales qui déterminent         constructive.
dysfonctionnements relationnels au sein de la        quelles sont les prestations existantes, acces-
famille ont pris de telles dimensions qu’ils en-     sibles et finançables. L’introduction du nouveau
travent le développement de l’enfant, les place-     droit de protection de l’enfant et de l’adulte a
ments en foyers ou en familles d’accueil offrent     eu pour effet d’améliorer sensiblement le niveau
aux enfants et adolescents un espace d’expé-         de professionnalisme des procédures visant à
riences propice à leur développement. Pendant        ordonner des placements, et par conséquent
de nombreuses années, les placements extra­          également la sécurité juridique de la clientèle.
familiaux représentaient, faute de démarches         L’autorité de protection de l’enfant et de l’adulte
alternatives, le noyau de l’aide à l’enfance et à    APEA est devenue, dans toute la Suisse, l’ins-
la jeunesse. Aujourd’hui, l’éventail des actions     tance qui fait autorité dans le domaine de la
est plus large. Les exigences posées aux profes-     protection de l’enfance. Cela amène d’autant
sionnels chargés d’évaluer les situations de vie     plus à se poser la question de savoir dans quelles
des enfants et des jeunes, puis de déterminer, en    circonstances il est possible et nécessaire de
fonction de l’évaluation, les indications pour des   convenir d’un placement en accord avec la fa-
aides appropriées, sont d’autant plus élevées.       mille et quand un placement doit être ordonné
C’est particulièrement le cas lorsque des place-     par l’autorité.
ments sont envisagés.
                                                     Le deuxième axe prioritaire concerne l’aménage­
Integras a publié un guide afin de permettre à       ment participatif des processus d’assistance, tel
toutes les parties concernées de mieux s’y re-       que développé par exemple par les méthodes
trouver. Les auteur-e-s abordent le thème des        du diagnostic sociopédagogique, de la procédure
offres de placement ainsi que des processus dé-      concernant le plan d’aide ou de la gestion des
cisionnels et manières de procéder qui s’avèrent     cas. L’accord des personnes concernées sur les
nécessaires. Dans son exposé, Stefan Blülle pré-     prestations envisagées est reconnu comme un
sente les éléments essentiels de son article dans    facteur essentiel de réussite, tout particulière-
le guide d’action destiné aux professionnels qui     ment lors de placements. Le défi posé aux pro-
accompagnent les placements. Cet instrument          fessionnels accompagnants et chargés de dé­
contribue au succès de la coopération entre les      cider d’une indication réside dans la nécessité
parties impliquées dans un placement – enfants,      d’obtenir la confiance de la famille du client ou
parents et professionnels.                           de la cliente, et de lui ouvrir des perspectives qui
                                                     lui permettent de concevoir le placement comme
                                                     une démarche ayant du sens.

18      Integras – Plate-forme de placement extrafamilial 2014                                                                                      Integras – Plate-forme de placement extrafamilial 2014   19
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