Fundstück: Die Frauenkirche in Görlitz

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Fundstück: Die Frauenkirche in Görlitz
Abschrift: Oberlausitzer Gemeinde-ABC. (Artikelreihe in "Die Kirche", 1950 bis 1952)

Mitten im Zentrum von Görlitz steht die Frauenkirche, ein Zeuge spätmittelalterlicher Kunst.
Wer einmal nur ein paar Minuten lang zugeschaut hat, wie die Straßenbahnen da
vorbeiklingeln, die Autos entlang sausen, das geschäftige Durcheinander von Fußgängern,
Radfahrern und Fuhrwerken aller Art an den alten Kirchenmauern vorbeiflutet, und wer dann
als nachdenklicher Beobachter den Blick vom massigen Kaufhaus an der Nordseite zum
stattlichen Postgebäude an der Südseite schweifen lässt und weiß, daß dicht hinter der Kirche
ein großes Lichtspieltheater täglich viele hunderte von Menschen in seine Tore einläßt,
während dem Kirchenportal gegenüber große Geschäftshäuser ihre Waren anbieten – der wird
es kaum für möglich halten, daß diese Kirche, die Kirche "Unserer lieben Frauen", vor rund
100 Jahren noch vor den Toren der Stadt lag. Ein Bild aus den Jahren um1850 zeigt sie uns
inmitten großer Rasenflächen, von Buschwerk und prächtigen alten Bäumen umgeben.
Kommerzienrat Bauer besaß hier bis 1859 einen Garten, der sich "schier endlos" vom
heutigen Marienplatz, dem alten "Taubenmarkt", nach Osten breitete. Ein paar niedere
Häuschen, die im weiten Bogen das Chor der Kirche umrahmen, sind Vorboten der jetzigen
Struvestraße.
An der äußeren Gestalt der Kirche können wir jedoch im Vergleich zu heute keine
wesentlichen Unterschiede wahrnehmen. Wie aber mag sie kurz nach ihrer Erbauung
ausgesehen haben? Ihr Geburtstag fällt in das Jahr 1349. Friedrich von Biberstein, der
Besitzer der Herrschaft Friedland, der Dörfer Tauchritz, Kunnerwitz, Neundorf und Biesnitz
und Herr der Landeskrone, mussten für eine Bluttat 200 Schock Groschen Sühnegeld zahlen.
Und alte Urkunden berichten uns: "Davon begann man die Kirche 'Unserer lieben Frauen', zu
den Seelen zu genaden, die er erschlagen hatte. Da begriff (plante) man die Kirche zu Unser
Frauen also köstlich, daß man mit dem Gelde keines (nichts) vollende mochte (konnte). Da
hub sich ein großes Sterben (gemeint ist der 'schwarze Tod', die Pest), da beschied manch
Mensch groß Geld darzu, daß die Kirche vollbracht ward." Aus einer anfangs unansehnlichen,
wahrscheinlich hölzernen Kapelle wurde eine Kirche, die die Spätgotik äußerlich und
innerlich zu einem Bau gestaltete, der einen schlichten und doch feierlichen Eindruck auslöst.
Die Mauern sind ganz aus Bruchsteinen aufgeführt, die in der Sonne in warmen braun-rot-
goldenen Tönen aufleuchten. Nur die Strebepfeiler, deren Wimperge (die giebel-förmigen
Überdachungen) in einer schönen Kreuzblume endigen, sind mit Werksteinen verblendet. An
den hohen dreifach geteilten Fenstern fesselt das schöne Maßwerk in den Spitzbögen. Von
besonderer Wirkung aber ist das Westportal mit dem darüber liegenden großen Fenster, wie
man sonst eigentlich nur an englischen Kirchen gewöhnt ist. Die mittelalterlichen
Steinmetzen haben hier ein Meisterwerk vollbracht. Die im obersten Teil geknickten
Säulenschäfte - "eigentlich ein Widerspruch gegenüber dem Tragedienst der Säulen" - geben
den beiden Türen eine reizvolle lebendige Umrahmung und laufen in drei zierliche Fialen,
gekrönt von Kreuzblumen, aus. Aus den Profilen der Türumwölbungen gucken vier
musizierende Engelchen hervor, die eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem an der gotischen
Tür des alten Ratssitzungssaales im Rathause zeigen. Der aufmerksame Beobachter kann hier
auch alte Steinmetzzeichen, an denen die Frauenkirche reich ist, finden. Man hat im ganzen
77 verschiedene gezählt. Die beiden reichverzierten Archivolten geben dem Gesamtportal
eine schwebende Leichtigkeit, während in ihren Zwickeln wie oben im Flachbogen der
unbekümmerte Humor der damaligen Zeit in ein paar neckischen Hundegruppen seinen
Niederschlag gefunden hat. Die Nische unter den weitgespannten Flachbogen wird beherrscht
von zwei Figuren: Maria, am Betpult knieend, läßt in uns die uralt schönen Worte des
Leblieds der Maria aus dem Lukas-Evangelium aufklingen: "Meine Seele erhebet den Herrn,
und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilands, denn er hat die Niedrigkeit seine Magd
angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder, denn er hat große
Dinge an mir getan." In gespannt lauschender, leicht erschreckender Haltung wendet sie den
Kopf dem hinter ihrem Rücken erscheinenden Engel Gabriel zu, der ihr die Verheißung ihrer
Gottesmutterschaft überbringt. Die Gottesdienstbesucher sollten vor ihren Eintritt in den
Kirchenraum sich von dieser Maria, die zwar heute in der Frauenkirche nicht mehr
Gegenstand der Verehrung ist, etwas sagen lassen von der rechten Hinwendung zum Worte
Gottes und von dem gesammelten Hören auf seine Verkündigung. In der Konsolen und den
Baldachinen der beiden Gestalten haben die alten Steinbildhauer dem Stein alle Schwere
genommen und ihn zum kunstvoll verschlungenen Rankenwerk gewandelt. Als
abschließender Schmuck weist der Torbogen, der das ganze Portal in weit ausholendem
Schwunge zusammen rafft, das Schweißtuch der heiligen Veronika auf. Über dieser
Eingangspforte baut sich der Turm auf, an dessen Stelle zuerst ein Kreuz den Westgiebel
zierte. Sein Unterbau ist ganz aus Werkstücken mit Quaderadern gefertigt, die aus Langenau
stammen. Der obere Teil wurde erst in der Barockzeit aufgesetzt. Die Knopfinschrift besagte:
"1696 (ein Datum, das eingemeißelt am Turm oben zu lesen ist) wurde der Turm, welchen die
Vorfahren von schönen Quaderstücken zu 32 ½ Ellen hoch zu bauen angefangen, mit
dergleichen Steinen 10 ½ Ellen erhöht und ein Holzwerk 40 Ellen kostbar aufgeführt. 1735
wurde ..., geben dem Äußeren der Kirche eine reizvolle Note.
Hoch vom Turm erklingt jeden Sonntag und oft auch wochentags mitten in das Hasten und
Treiben des sich unten abspielenden Großstadtverkehrs das machtvolle und doch weiche
Geläut der drei Gußstahlglocken, die auf den Akkord eis-e-g abgestimmt sind. Manche
Gemeindemitglieder werden sich noch des 1. Adventssonntag 1922, des 3. Dezember,
erinnern, an dem die Glockenweihe stattfand. Nachdem um 8 Uhr früh vier
Gemeindemitglieder vom Turm Choräle geblasen hatten, folgte um ½ 10 Uhr in der festlich
geschmückten Kirche der Weihegottesdienst. Pastor Gerlach hielt die Weiherede über das
Adventswort: "Mache dich auf, werde licht!" Diese Glocken, die eine opferwillige Gemeinde
sich als Ersatz für die im ersten Weltkriege abgegebenen Bronzeglocken beschafft hat, sollen,
wie Pastor Gerlach sagte: "entsprechend ihrem Namen, Erkenntnis wecken der tiefsten Not,
des rechten Glaubens und der herrlichen Hoffnung, damit als Antwort von den Hörern
zurückschalle, was auf ihrer Vorderseite steht:

Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir. Psalm 130. (kleine Glocke)
Dennoch bleibe ich stets an Dir. Psalm 73, 32.   (mittlere Glocke)
Freuet euch in den Herrn allewege. Phil.4,4.      (große Glocke)

und so Wirklichkeit werde, was auf der Rückseite zu lesen ist:

In ernster Zeit
dem Herrn geweiht
uns zur Seligkeit."

Seit 1930 werden sie durch ein elektrisches Läutewerk geschwungen, weil man die
Verantwortung für die Läuter, die unter den Glocken stehen mussten, nicht mehr tragen
konnte.
Durch das Westportal gelangt man in eine schmale Vorhalle. Sie besitzt in den fein
durchgestalteten sechs kleinen Seitennischen eine dem architektonisch empfindenden
Menschen wohltuende Schönheit. Das Stein-Netzgewölbe mit seiner reichen Steinmetzarbeit
und den beiden Schlusssteinen, die die Symbole der damaligen Landeshoheit, den
doppelköpfigen Reichsadler und den böhmischen Löwen tragen, leitet über zu den Innern der
Kirche. Ein hohes dreiteiliges Langhaus mit einer Empore und ein einschiffiges Chor bieten
rund 1000 Sitzplätze. Wie schlanke Baumstämme streben 6 Pfeiler zu der feinen
Gewölbekonstruktion empor, die in ihren Schlusssteinen vier Heilige (Dorothen, Margarete,
Barbara, Katherina) und sieben reizvolle, zum Teil sehr figurenreichen Begebenheiten aus
dem Marienleben zeigt. Aus dem strenger gehaltenen Rippenwerk des lichten Altarraumes
kann der Kundige schließen, daß dieser Teil der Kirche etwas früher als das Schiff eingewölbt
wurde. Von künstlerischem Reiz sind hier die figürlichen Kragsteine, die verschiedenen
Köpfe, u.a. den des Moses, eines Narren, eines plärrendes Mönchens, eines Mannes
(wahrscheinlich den Baumeister der Kirche) darstellen. Die Gewölbeschlußsteine sind mit den
Symbolen der vier Evangelisten geschmückt. Eine besondere Kostbarkeit besitzt unsere
Frauenkirche in der aus der Obersakristei, den eigentlich fälschlicherweise als "Turmzimmer"
bezeichneten Raum, vorgeschobenen kleinen Empore oberhalb der Kanzel. An ihr ist noch
das schöne hölzerne Maßwerk aus dem Mittelalter erhalten. Die weit verbreitete Ansicht, daß
sie zum Vorzeigen von Reliquien in der vorreformatorischen Zeit benutzt wurde, ist durch die
Urkundenforschung von Pastor Zobel widerlegt worden. Hier hat einmal die älteste kleine
Orgel der Kirche gestanden, die 1696 an die ausgebrannte Peterskirche abgegeben wurde und
dort bis zur Fertigstellung der Caspariniorgel erklungen ist. Ehe wir unseren Blick zur
Orgelempore wenden, müssen wir unser Auge noch einen Moment auf dem Abschluß der
Gewölberippen an der Nordwand ruhen lassen.. Dort hat der Steinmetz ein innig feines
Blätterwerk geschaffen, dessen hauchzarte Schönheit erst durch das bei der letzten
Renovation untergelegte satte Rot recht zur Geltung kommt. An dem Brüstungsgeländer der
Orgelempore aber haben die mittelalterlichen Bildhauer ein steinernes Filigranwerk
gemeißelt, das uns die Wahrheit der Werte verdeutlich: "Architektur ist in Stein erstarrte
Musik". Die ganze Orgelbühne stützt sich auf einen Mittelpfeiler zwischen zwei gotischen
Bogen, entsprechend dem doppelten Portal. Wohl den wenigsten Besuchern des Gotteshauses
mag es aufgefallen sein, daß unsern Altvorderen die eine Säule hier wuchtiger als die anderen
gestaltet haben, ohne den Gesamteindruck dadurch im geringsten zu stören. Geplant war hier
wohl einmal der Aufsatz des Turmes, der ja später als die Kirche erbaut wurde. Am
Mittelpfeiler hatte früher eine Maria mit dem Christuskinde, eine besondere feine, lebendige
Darstellung in Sandstein, vermutlich eine Arbeit von Meister Briecius aus dem 15.
Jahrhundert, ihren Standort. Alte Urkunden bezeugen, daß sie ursprünglich ihren Platz an der
Friedhofsmauer gehabt hatte, später in der Sakristei aufbewahrt und wohl erst um 1840 in die
Kirche gebracht worden war. Leider ist seit der Auslagerung in den letzten Kriegsjahren noch
nicht wieder zu uns zurückgekehrt.
Künstlerische Initiative und gediegene Handwerksarbeit haben im Jahre 1934 die schlichte
Schönheit das Innern des Gotteshauses wieder hergestellt. Die Wirkung des Raumes war
durch den Unverstand vergangener Geschlechter vielfach verdorben worden. Wenn wir in die
Berichte über die Instandsetzungsarbeiten hineinschauen, bekommen wir einen Begriff von
den vielen, zum Teil recht schwierigen Aufgaben, die ihr zu lösen waren. Die sich jetzt in
klarem Natursandstein unserem Blick bietenden Säulen mußten mittels stärkster Lauge von
sechs bis sieben übereinanderliegenden Ölfarbschichten befreit werden. Die "Neugotischen
Ausstattungen" der Emporen mußte unauffällig gemacht werden und vieles andere mehr. Der
leider noch vermißte Görlitzer Kunstmaler und Graphiker Arne Henschel hat es damals
verstanden, mit feinstem Einfühlungsvermögen die rechte Farbgebung für Säulen,
Schlusssteine, Kanzel, Altar, Orgelgehäuse usw. zu finden, sodaß nun für die
Frauenkirchgemeinde ein Gotteshaus in lichter, durchsichtiger Klarheit bereit steht.
Nicht nur damals beim Einweihungsgottesdienst am 15.April 1934, wo Pfarrer Preiser über
1.Mos.28, 12 und 17 predigte, war die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch heute
zeigen die sonntäglichen Besucherzahlen, daß eine lebendige Gemeinde weiß, wo sie sich
Kraft, Trost und Wegweisung zu holen hat. Erst seit 80 Jahren, nämlich seit dem 4. Juni 1871,
wird in der Frauenkirche regelmäßig Gottesdienst gehalten. Vorher war sie im wesentlichen
Beerdigungskirche. Nur der Archidiakons, dem die Seelsorge in dem gegenüberliegenden
Hospital oblag, predigte 4 – 5 Mal jährlich in der Frauenkirche, "während täglich der
Vorleser, der zugleich deutscher Schulhalter auf dem Frauenviertel und Glöckner an der
Frauenkirche, Sing- und Betstunden abhielt." Jetzt öffnet sie außer zu dem sonntäglichen
Haupt- und Kindergottesdienst am Vormittag noch jeden Sonntag-Nachmittag ihre Pforten zu
einem Gottesdienst, der allen am Vormittag Verhinderten die Möglichkeit gibt, am Sonntag
Gottes Wort zu hören. Jeden Sonnabend Abend um 18 Uhr wird in ihr eine liturgische
Vesperstunde gehalten, die ihren Ursprung in dem von Pastor Ernst Albrecht im Jahre 1920
eingeführten "Abendsegen" hat. Und jeden Wochentag sammelt sich um ½ 8 Uhr früh eine
kleine, aber wachsende Schar zum kurzen Morgengebet. Bibelstunden am Montag und
Freitag, die Zusammenkünfte der Frauenhilfe, des Mütter-, des Großmütter- und des
Elternkreises, die vielfältige Arbeit der Jungen Gemeinde legen Zeugnis davon ab, daß die
Frauenkirche jetzt eine wirklich lebendige Gemeinde umschließt. Im Kirchenchor unter
Leitung von Kantor Deunert, in der Helferschaft des Kindergottesdienst und in den
Helferinnenkreisen der drei Pfarrbezirke haben sich viele Gemeindemitglieder zu
einsatzbereiten Dienst zusammengefunden. Die Gemeindeabende im Wichernhaus vereinen
stets eine große Anzahl Gemeindemitglieder bei ernsten und fröhlichen Darbietungen. Eine
besondere Freude und Überraschung wurde der Gemeinde einmal an solch einem Abend
zuteil, als Pastor Walter Schmidt ihr einen von ihm selbst gedrehten Gemeindefilm "Ein
Ausschnitt aus dem Leben der Frauenkirchgemeinde im Jahre 1932" zeigte, ein Dokument zur
Geschichte der Gemeinde, wie es wohl kaum eine andere Kirchengemeinde in Deutschland
aufweisen mag. Dankbar und froh ist die Gemeinde, daß sie im letzten Jahre ein eigenes
Gemeindehaus, das frühere Christliche Hospiz, Jakobstraße 24, bekommen hat, wo auch der
kirchliche Kindergarten untergebracht ist.
Wir können aber nicht von der Gemeinde sprechen, ohne ihrer Pfarrer zu gedenken. Die
Reihe derer, die hier in evangelischer Zeit ihres Amtes walteten, ist noch nicht so sehr lang.
Wenn wir durch die kleine gotische Tür an der Nordseite in die Sakristei eintreten, grüßen uns
dort die Bilder der schon in die Ewigkeit gerufenen Pastoren: Superintendent Kirchhofer, der
bis 30. September 1911 hier amtierte, Pastor Dr. Festner, der von 1896 bis 1919 , wo ihn auf
der Kanzel ein Schlaganfall traf, an der Frauenkirche tätig war, Pastor Heinrich Gerlach, der
von 1911 bis 1935 der Gemeinde diente, Pastor Ernst Albrecht, der nach nur 11jähriger
segensreicher Amtszeit am 8. Dezember 1931 heimgerufen wurde, und Superintendent Karl
Langer, der in den schweren Jahren des Krieges und des Zusammenbruchs von 1937 an als
Pfarrer unserer Frauenkirche, von 1939 ab zugleich als Superintendent des Kirchenkreises
Görlitz, der Gemeinde Seelsorger und Prediger war. Sie alle, die hier genannt wurden, haben
wohl mit mancherlei Gaben und mancherlei Kräften der Gemeinde gedient, aber doch alle für
und durch den einen Herrn und Gott, von dem sie Auftrag und Amt empfangen hatten. Sie
haben leuchtende Spuren im Gemeindeleben und in vielen Menschenherzen hinterlassen, und
von manch einen gilt das Wort: "Er war nicht nur in seiner Gemeinde beliebt, er wurde von
seiner Gemeinde geliebt".
Aber wir wollen über den Heimgegangenen nicht die Lebenden vergessen. Am 1. April 1926
kam Pfarrer Hermann Freiser nach Görlitz, der zunächst als Jugendpfarrer, nach dem
Heimgang von Pastor Ernst Albrecht auch als Gemeindepfarrer bis 1945 hier tätig war. Jetzt
amtieren an der Frauenkirche Pfarrer Walter Schmidt, der in Januar 1928 von Berlin zu uns
kam, Pfarrer Gottfried Leder, der im Herbst 1947 als Flüchtling aus Breslau hier eine neue
Gemeinde fand und nach anfangs kommissarischer Tätigkeit am 24. April 1949 in sein Amt
eingeführt wurde, und Pfarrer Wolfgang Funke, der erst am 1. Mai dieses Jahres hier die
Arbeit übernahm.
Wir wollen von der Frauenkirche nicht Abschied nehmen, ohne noch ein paar Minuten auf
dem kleinen Restfriedhof verweilt zu haben, der sich an der Südostseite an die Kirche
schmiegt. Daß gleich bei der Entstehung der Frauenkirche hier ein Friedhof angelegt wurde,
bewies der Grabstein des Altaristen Marinus Martini der 1303 starb. Er ist später ins innere
der Kirche gebracht worden, wo man ihn noch 1850 sah. Leider ist er verschwunden, und
damit hat Görlitz eines seiner ältesten Grabmäler verloren. Aber unter den Grabsteinen, die
heute teils an der Kirchenmauer, teils auf dem schmalen Rasenstreifen um das Chor herum
erhalten geblieben sind, ist noch manches Schöne und Besinnliche zu entdecken. Unsere
Vorfahren haben es verstanden, die Gedenksteine ihrer Toten nicht nur zu Zeugen alter
Handwerkskunst zu machen, sondern in tiefgemeißelter, klarer Schrift und reichen figürlichen
Schmuck den Lebenden die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Erdendaseins wie den Ernst
und die Herrlichkeit der Ewigkeit vor Augen zu stellen. Früher war diese Ruhestätte der
Entschlafenen von einer hohen Mauer mit Schießscharten und zwei Basteien umgeben. Das
eine der beiden Rondelle trug eine Inschrift, die Bürgermeister Mag. Joh. Frauenburg hatte
anbringen lassen: "Cava faxis te quicquam indigni" (Hüte dich, etwas Unwürdiges zu tun).
Die sich ausdehnende Stadt forderte gebieterisch das Verschwinden dieser sie einengenden
Mauer. 1840 fiel sie samt den Basteien der Spitzhacke zum Opfer. Die Gräber wurden
eingeebnet, denkwürdige Grabsteine wurden an das Chor der Kirche gebracht. Der sich
schnell entwickelte Verkehr verlangte den Bau einer Straße, die heute dicht hinter der Kirche
vorbeiführt. Die niedere Steinfassung, die erst vor kurzem angelegt wurde, bildet zusammen
mit dem gärtnerischen Schmuck jetzt die rechte Umrahmung für den verbliebenen letzten
Rest des alten Kirchhofs. Herausgerissen aus der von Mauer und schattigen Bäumen umhütete
Stille, steht die Frauenkirche nun inmitten des Getriebes einer modernen Stadt. Ihre Aufgabe
ist aber trotz des Wandels der Zeit die gleiche wie vor Jahrhunderten geblieben: die Menschen
zur Stille, zur Besinnung, zum Haltmachen vor den letzten Fragen des Lebens, zum
Dreieinigen Gott zu rufen, wie es das Lied ausdrückt, das die Gemeinde so gern an den
Höhenpunkten ihrer Geschichte singt: "Allein Gott in der Höh sei!"
M.G. (Marg Gieser)
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