Thema Die Polizei und ihre Netzwerke - 1 | 2018 - Schweizerische ...

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Thema Die Polizei und ihre Netzwerke - 1 | 2018 - Schweizerische ...
SKP INFO
            Thema
            Die Polizei und
 1 | 2018   ihre ­Netzwerke
Thema Die Polizei und ihre Netzwerke - 1 | 2018 - Schweizerische ...
EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser

 Die Bildung von Netzwerken                                und Institutionen aus fremden
 ist von grosser Bedeutung –                               Kulturkreisen in Kontakt tritt.
 auch in der Polizeiarbeit. Es                             Die Zusammenarbeit der
 ist eine Tatsache, dass die                               K antonspolizei St. Gallen mit
                                                           ­
 ­Polizei in ihrer täglichen Ar­                           österreichischen und deut­
                                                           ­
  beit auch auf andere Akteure                             schen Kolleginnen und Kolle­
  angewiesen ist und sich kom­                             gen im Bereich der Prävention

                                                        SKP
  plexe kriminologische Prob­                              verdeutlicht, dass die Polizei
  lemstellungen nur in Zusammenarbeit             auch international ihre Fühler zu ande­
  mit anderen lösen lassen. Interdiszipli­      ren Polizeistellen ausgestreckt haben
  näre Zusammenarbeit ist heute Teil des        muss. Die Beiträge über den runden
  Polizeialltags.                               Tisch im Bereich häusliche G      ­ ewalt in
         Um also ein bestimmtes Problem zu        Basel, über die nationale ­A rbeitsgruppe
  lösen, sei es die regelmässige Nacht­         «Zusammenarbeit zwischen Suchthilfe
  ruhestörung durch Jugendliche in              und Polizei» sowie über die mobile
  einem Wohnquartier oder die ord­
  ­                                             Inter­ventionsgruppe Pinto in Bern zei­
  nungsgemässe Abgabe von Drogen an             gen, wie erfolgreich die Polizei dank
  suchtkranke Menschen, sollten die             ­ihrer Netzwerkarbeit ist.
  ­beteiligten Akteure zusammenkommen                Wir danken den Autorinnen und
   und ein Netzwerk bilden. Dank der             ­Autoren dieser Ausgabe an dieser ­Stelle
­unterschiedlichen Netzwerkmitglieder             ganz herzlich für ihre interessanten
   lernt man die verschiedenen Sicht­             Beiträge und wünschen Ihnen, liebe
   weisen auf ein Problem kennen. Ein             Leserin und lieber Leser, viel Ver­
   ­gemeinsames Verständnis für die vor­          gnügen bei der Lektüre.
    handene Herausforderung ist eine                                        Martin Boess
    ­wesentliche Voraussetzung dafür, mög­                               Geschäftsleiter der
     liche Lösungsansätze entwickeln zu                 Schweizerischen ­Kriminalprävention
     können.
         Selbstverständlich ist die Arbeit in
     Netzwerken nicht frei von Schwie­
     rigkeiten und oft genug eine grosse
     Heraus­ forderung: Scheinbar unüber­
 brückbaren Differenzen in der Wahr­                                                           IMPRESSUM
 nehmung eines Problems, gegensätz­
                                                                                               Herausgeberin und Bezugsquelle
 liche Motive sowie fehlendes Engage­                                                          Schweizerische Kriminalprävention SKP
 ment oder Vorurteile und Ideologien                                                           Haus der Kantone
                                                                                               Speichergasse 6
 führen dazu, dass Netzwerkarbeit teil­                                                        Postfach
 weise kräfteraubend und mühselig ist.                                                         CH-3001 Bern
 Die unterschiedlichen im aktuellen SKP                                                        info@skppsc.ch
 INFO b     ­eschriebenen Formen der Zu­                                                       Tel. +41 31 320 29 50

 sammenarbeit in Netzwerken zeigen                                                             Das SKP INFO 1 | 2018 ist als PDF-Datei zu finden
 jedoch, dass sich die bisweilen anstren­                                                      unter: www.skppsc.ch/skpinfo. Es erscheint auch
                                                                                               in ­französischer und italienischer Sprache.
 gende Netzwerkpflege durchaus lohnt.
         Die Polizei initiiert immer wieder                                                    Verantwortlich		        Martin Boess,
                                                                                               		                      Geschäftsleiter SKP
 selbst Netzwerke oder wird angefragt,
                                                                                               Übersetzungen F ADC, Vevey
 um in einem neuen oder bestehenden
                                                                                                                 I     Annie Schirrmeister, M
                                                                                                                                            ­ assagno
 Netzwerk mitzuwirken. Das Beispiel
                                                                                               Layout		                Weber & Partner, Bern
 der «Brückenbauer» Kantonspolizei                                                             Druck		                 Vetter Druck AG, Thun
 Zürich zeigt, wie die Polizei ein inter­                                                      Auflage		               D: 1350 Ex. | F: 300 Ex. | I: 150 Ex.
 kulturelles Netzwerk aufbaut und mit                                                          Erscheinungsdatum Ausgabe 1 | 2018, April 2018
 im Kanton Zürich lebenden Menschen                                                            © Schweizerische Kriminalprävention SKP, Bern

2                    SKP INFO 1 | 2018
Thema Die Polizei und ihre Netzwerke - 1 | 2018 - Schweizerische ...
DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

Kooperation zwischen                                                                        len, auch noch einen vermittelnden und
                                                                                            im weitesten Sinne ordnungsdienst­

Polizei und aufsuchender
                                                                                            lichen Auftrag haben.
                                                                                                  Der soziale Auftrag besteht darin,
                                                                                            Personen, die sich in schwierigen
Sozialarbeit                                                                                ­Lebenssituationen befinden, auf nieder­
                                                                                             schwellige und direkte Art dabei zu
                                                                                             ­unterstützen, ihre Situation nachhaltig
                                                                                              zu verbessern. Oft handelt es sich bei
Eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und                                                      den Klienten und Klientinnen um Per­
aufsuchender Sozialarbeit erscheint anhand                                                    sonen mit einer Suchmittelerkrankung
unterschiedlicher Grundaufträge und Haltungen                                                 oder einer psychischen Erkrankung.
                                                                                              Die Unterstützung erfolgt anhand der
schwierig. Ein Beispiel aus Bern zeigt, wie es                                                individuellen Bedürfnisse der Klienten
funktionieren kann.                                                                           und Klientinnen. Am häufigsten erfolgt
                                                                                              die Unterstützung in den Bereichen
                                                                                              Wohnen, Gesundheit/Entzug/Therapie,
                                                                                              Finanzen, Umgang mit Behörden etc.
                                                                                              2017 wurden 5214 soziale Interventio­
                                                                                              nen geleistet.
                                                                                                  Die vermittelnde Arbeit betrifft
                                                                                              meist die Bearbeitung von Beschwer­
                                                                                              den, die Personen und ihr Verhalten im
                                                                                              öffentlichen Raum betreffen. Pinto ist
                                                                                              seitens der Stadt Bern der erste An­
                                                                                              sprechpartner für solche Beschwer­
                                                                                              den. Die Bearbeitung erfolgt im direk­
                                                                                              ten Kontakt mit den Personen, die sich
                                                                                              beschweren, und den Personen, welche
                                                                                              die Beschwerde ausgelöst haben. Ziel
                                                                                              ist es, eine Lösung zu finden, die keine
                                                                                              polizeiliche Intervention nötig macht
                                                                                              und die Interessen aller Parteien
                                                                                              gleichberechtigt berücksichtigt. Meist
                                                                                    Pinto

                                                                                              betreffen die Beschwerden Nutzugs­
Beschwerden, die Personen und ihr Verhalten im öffentlichen Raum betreffen,                   konflikte zwischen Jugendlichen und
­gelangen oft zu Pinto.                                                                       Anwohnenden oder Randständigen, der
                                                                                              Bevölkerung oder Gewerbetreibenden.
                                                                                              2017 wurden 1153 Stunden vermitteln­
Über die Jahre hat sich in Bern eine gut     gebildet. Eine Kooperation, die für bei­         de Arbeit geleistet.
funktionierende Kooperation zwischen         de Seiten gewinnbringend ist, und eine               Sogenannt ordnungsdienstliche In­
der Kantonspolizei Bern und Pinto,           Zusammenarbeit, die sowohl zu einer              ter­ventionen erfolgen ausschliesslich
­einer aufsuchend tätigen sozialen Insti­    Verbesserung der Sicherheit im öffent­           mit kommunikativen Mitteln. Pinto ver­
 tution des Jugendamts der Stadt Bern        lichen Raum wie auch zu einer Verbes­            fügt über keinerlei Sonderrechte. Fehl­
                                             serung der sozialen Situation von Ein­           verhalten wird angesprochen, Regeln
                                             zelpersonen und Gruppen führt.                   werden vermittelt oder in Erinnerung
                                                                                              ­
 Autor                                                                                        gerufen und von den betroffenen Per­
                                             Der Auftrag von Pinto                            sonen werden Verhaltensanpassungen
 Silvio Flückiger
                                             Pinto (Prävention, Intervention, Tole­           gefordert. Die häufigsten Interven­tions­
 Leiter Pinto
                                             ranz) arbeitet nach dem sozialen allpar­         gründe sind Drogenkonsum, Klein­deal,
                                             teilichen Ansatz mit einem Doppelman­            Lärm und Littering. 2017 wurden 4754
                                             dat. Dies bedeutet, dass die Mitarbei­           ordnungsdienstliche Interventionen ge­
                                       zvg

                                             tenden neben dem klassischen sozia­              tätigt.

                                                                                            SKP INFO 1 | 2018                        3
Thema Die Polizei und ihre Netzwerke - 1 | 2018 - Schweizerische ...
DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

Zusammenarbeit mit                             eine vielfältig zusammengesetzte Grup­        Betroffenen und Beteiligten Lösungen
der Polizei                                    pe gebildet, die sich monatlich trifft.       gefunden werden. Diese sollten sowohl
 Da Pinto als aufsuchende Organisation         Die Gruppe setzt sich aus Vertretern          den Jugendlichen den Aufenthalt er­
 vorwiegend im öffentlichen Raum und           der Quartierorganisation (QBB), der           möglichen, wie auch den Anwohnenden
 in der Bearbeitung von Beschwerden            ­Jugendarbeit (TOJ), der offenen Arbeit       die gewünschte Ruhe bringen und die
 sowie ordnungsdienstlich tätig ist, er­        mit Kindern (DOK), der reformierten          polizeiliche Interventionen auf ein Mini­
 geben sich täglich Berührungspunkte            Kirche, der Gemeinwesenarbeit (vbg),         mum beschränken können.
 mit der Polizei.                               der Kantonspolizei Bern (Abteilung
     Obwohl die Aufträge und die Mittel         Prävention) und Pinto zusammen.              Brennpunkt öffentlicher
 zu deren Erfüllung zwischen aufsuchen­              Einer der grossen Vorteile dieser       Raum
 der Sozialarbeit und der Polizei sehr          Kooperation ist es, dass Probleme            Eine weitere, sehr gut funktionierende
 unterschiedlich sind, verfolgen doch           ­koordiniert bearbeitet werden können.       Kooperation besteht mit der Einsatz­
 beide Organisationen partiell ähnliche          Meist handelt es sich um Nutzungskon­       gruppe «Krokus» der Kantonspolizei
 Ziele. Eine konfliktfreie Koexistenz            flikte zwischen Jugendlichen/jungen         Bern, die sich schwergewichtig mit
 aller Bevölkerungsgruppen soll mög­
 ­                                               Erwachsenen und Anwohnenden. Die            Drogendeals und -konsum beschäftigt.
 lich sein, Gesetze und Regeln sollen            Jugend- und Gemeinwesenarbeit kann          In regelmässigen Abständen findet ein
 eingehalten werden und Nutzungskon­             bei Interesse alternative Aufenthalts­      Austausch über die Lage im öffent­
 flikte sollen so weit wie möglich verhin­       orte anbieten, währenddessen die            lichen Raum statt. Identifizierte Brenn­
 dert oder gütlich geregelt werden.              Quartierorganisation und die Kirche         punkte können durch die Kooperation
     Dass eine Kooperation anhand der            dank ihres grossen Netzwerkes darü­         weit umfassender bearbeitet werden
 Berührungspunkte und der ähnlichen              ber informieren können, dass die Be­        als dies eine der Organisationen alleine
 Ziele sinnvoll ist, liegt auf der Hand. Sie     schwerde bearbeitet wird und somit          kann.
 ist sinnvoll und lohnenswert, wo die            der öffentliche Druck abnimmt. Pinto            Der Beitrag von Pinto zur Eindäm­
 Ziele übereinstimmen. Der Kooperation           vermittelt zwischen den verschiedenen       mung des Drogenkonsums im öffent­
 sind aber deutliche Grenzen gesetzt,            Anspruchsgruppen und wird auch ord­         lichen Raum sind einerseits ordnungs­
 die von beiden Seiten zu respektieren           nungsdienstlich tätig. Die Polizei inter­   dienstliche Interventionen, viel wichti­
 sind, und in Bern auch respektiert              veniert, wenn die Lage zeitweise into­      ger sind aber andererseits in diesem
­werden.                                         lerable Ausmasse annimmt, oder ver­         Bereich die sozialen Interventionen.
     Für Pinto ist in der sozialen Arbeit        stärkt die präventive Präsenz.              Warum konsumieren die drogenabhän­
 das Vertrauen der Klienten und Klien­               Durch dieses koordinierte Vorgehen      gigen Personen im öffentlichen Raum?
 tinnen Voraussetzung für eine kons­             gelingt es immer wieder, bestehende         Haben sie keinen Zugang zu den be­
 truk­tive Zusammenarbeit. Dies bedeu­           Beschwerden so zu bearbeiten, dass          stehenden Angeboten wie Anlaufstelle,
 tet, dass niemals vertrauliche Daten            Jugendliche nicht vertrieben werden         Substitution etc.? Sind sie obdachlos
 wie Aufenthaltsort, Konsum, Lebens­             müssen und dass gemeinsam mit allen         und deshalb gezwungen draussen zu
 geschichte etc. an die Polizei weiterge­
 leitet werden. Die klassische soziale
 Arbeit ist von aktiver Kooperation also
 weitgehend ausgeschlossen.
     Wo hingegen eine aktive Koopera­
 tion stattfindet, ist im Bereich der Beur­
 teilung und Bearbeitung der Situation
 im öffentlichen Raum. Hier ist die Poli­
 zei für Pinto neben anderen Institutio­
 nen ein wichtiger Partner.

Vorteil von Kooperationen
Ein gutes Beispiel für die Kooperation
ist das Beschwerdemanagement für
den Stadtteil VI in Bern. Zur Beurtei­
lung der Lage im öffentlichen Raum,
zur Erkennung von Handlungsbedarf
                                                                                                                                     Pinto

und zur konkreten Bearbeitung von Be­
schwerden und Brennpunkten hat sich            Zwei Mitarbeitende von Pinto unterwegs in der Berner Altstadt

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DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

                                                                                                                               Pinto
Die Interventionen von Pinto erfolgen ausschliesslich mit kommunikativen Mitteln.

konsumieren? Wenn es gelingt, die           • Absprache darüber, dass wenn Pinto      bearbeiten und damit sowohl einen ge­
Personen an die Drogenanlaufstelle zu         oder die Polizei am Intervenieren       meinsamen Beitrag zur Sicherheit im
bringen, ihnen einen geeigneten Wohn­         sind, hält sich die andere Organisa­    öffentlichem Raum wie auch zur Ver­
raum in einer Institution oder Wohnung        tion zurück                             besserung der sozialen S­ituation von
zu vermitteln, ist dies primär eine         • Gemeinsame Interventionsstrategien      Personen zu leisten.
­soziale Intervention. Sie ermöglicht es      auf die jeweilige Situation angepasst
 den betroffenen Personen aber auch,        • Klärung, dass Pinto im ordnungs­
 nicht mehr im öffentlichen Raum kon­         dienstlichen Sektor vor allen auf
 sumieren zu müssen. Eine gelungene           Fehlverhalten aufmerksam macht
                                                                                       Pinto
 soziale Intervention trägt damit nicht       und verhandelt                           Pinto ist eine Organisation der Stadt
 nur zur Verbesserung der Lebensum­         • Verständnis und Wohlwollen, wenn         Bern und dem Jugendamt innerhalb
 stände des Klienten oder der Klientin        es zu Missverständnissen kommt           der Direktion für Bildung Soziales
 bei, sie verhindert auch Dutzende von      • Klarer Ablauf, was zu tun ist, wenn      und Sport angegliedert.
 polizeiliche Interventionen.                 Vereinbarungen nicht eingehalten         • Einsatzzeiten: Mo–Sa zwischen
     Dass es in Bern eine Kooperation         werden                                     09:00 und 23:45
 zwischen Pinto und der Polizei gibt, ist                                              • Einsätze generell in 2er-Teams
 keine Selbstverständlichkeit. Es hat       Eine Kooperation bedeutet immer Auf­       • Einsatzorte: Gesamtes Stadtgebiet,
 Jahre gedauert, bis auf beiden Seiten      wand und zumindest zu Beginn einen           schwergewichtig Innenstadt
 das Vertrauen vorhanden und die ver­       ­unklaren Nutzen. Aufträge müssen ge­      • Ausbildung der Mitarbeitenden:
 schiedenen Aufträge und der Umgang          klärt werden, Vertrauen muss auf­  ge­      Soziale Arbeit, Sozialpädagogik,
 damit geklärt waren.                       baut werden und Grenzen einer Zusam­         Psychiatriepflege, Quereinsteiger
 Die wichtigsten Eckpunkte der Koopera­     menarbeit müssen definiert werden. Es        aus medizinischen und kaufmänni­
 tion sind:                                 hat lange gedauert bis die ­Kooperation      schen Berufen
 • Austausch nur über die Situation im      zwischen Pinto und der Polizei gut
                                                                                       E-Mail: pinto@bern.ch
    öffentlichen Raum                       funktioniert hat. Der Aufwand hat sich
                                                                                       Tel.: 031 321 75 54
 • Keinerlei Austausch von persönli­        aber gelohnt. Gemeinsam ist es mög­
                                                                                       www.bern.ch/pinto
    chen Informationen oder Daten von       lich, anstehende Herausforderungen
    Klienten und Klientinnen                umfassender und auch langfristiger zu

                                                                                      SKP INFO 1 | 2018                        5
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DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

Zusammenarbeit                                                                                 sonen in einigen Kantonen bis weit in
                                                                                               die 1980er hinein untersagt.

zwischen Suchtfachleuten
                                                                                                   Schadensminderung – und insbe­
                                                                                               sondere die Möglichkeit, Drogen in
                                                                                               Kontakt- und Anlaufstellen unter hygie­
und der Polizei                                                                                nischen Bedingungen ohne Angst vor
                                                                                               Strafverfolgung zu konsumieren –
                                                                                               schützt nachweislich die Gesundheit
                                                                                               von Drogenkonsumierenden und kann
Die Arbeitsgruppe «Zusammenarbeit zwischen                                                     zur Reduktion von Szenenbildung und
                                                                                               Kleinkriminalität beitragen. Polizei­
Suchthilfe und Polizei» (AG SuPo) fördert die                                                  liche Interventionen, die den Betrieb
Zusammenarbeit der Polizei mit ihren Partnern                                                  von schadensmindernden Angeboten
aus Suchttherapie und Schadensminderung.                                                       behindern oder gar verunmöglichen,
                                                                                               waren und sind deshalb nicht im öffent­
                                                                                               lichen Interesse. Auf der anderen Seite
                                                                                               muss die Polizei sicherzustellen, dass
Eine gute Zusammenarbeit zwischen                 Ursprünge in der Heroinkrise                 keine rechtsfreien Räume entstehen.
Polizei und Suchthilfe ist von grosser            der 1980er und 1990er                        Dass schadensmindernde Angebote
Bedeutung für den Erfolg der Vier-Säu­            Ihren Ursprung hat die AG SuPo in            die öffentliche Ordnung nicht stören
len-Drogenpolitik des Bundes. Getra­              der Schweizer Heroinkrise der 1980er         dürfen, wird deshalb als Minimalan­
gen wird die AG SuPo gemeinsam vom                und 1990er Jahre. In dieser Zeit ent­        forderung angesehen. Besonders in
Bundesamt für Gesundheit (BAG) und                standen die ersten behördlich tole­          den Anfangsjahren der Schadensmin­
dem Bundesamt für Polizei (fepdol). In            rierten schadensmindernden Angebote          derung in der Schweiz sorgte aber auch
der Arbeitsgruppe vertreten sind der              wie Spritzentausch oder Kontakt- und         der Fakt, dass in Kontakt- und Anlauf­
Verband Schweizerischer Polizeibeam­              ­A nlaufstellen mit Konsumräumen, die        stellen offensichtlich Drogen konsu­
ter (VSPB), die Schweizerische Krimi­              sogenannten «Fixerstübli». Diese An­
                                                   ­                                           miert werden, zu Konflikten zwischen
nalprävention (SKP), die Städtischen               gebote standen oft im Widerspruch           der Polizei und den Betreibern von
Konferenz der Beauftragten für Sucht­              zu Weisungen anderer Behörden und          ­solchen Angeboten.
fragen (SKBS), die Suchtfachverbände               zum Betäubungsmittelgesetz. So war              In diesem Spannungsfeld haben
(GREA und Ticino Addiction) und Infodrog.          die Abgabe von Spritzen an Privatper­       Polizei und Suchthilfe in den letzten
                                                                                               ­
    Da die Zusammenarbeit zwischen
der Polizei und Einrichtungen, die
Suchttherapie und Schadensminderung
anbieten, oft auf Gemeindeebene gere­
gelt ist, ist der Transfer von Erfahrung
und Wissen zur guten Praxis der Zu­
sammenarbeit eine wichtige Aufgabe
der AG SuPo. Als nationale Arbeits­
gruppe ist ihr Ziel, erfolgreiche Praxis­
beispiele zu identifizieren und interes­
sierten Kreisen zugänglich zu machen.
                                                                                                                                      Schweizerisches Sozialarchiv / Gertud Vogler

Dazu gehört auch, dass die Arbeits­
gruppe aktiv nach neuen Themen und
Herausforderungen in der Zusammen­
arbeit sucht und ihr Weiterbildungsan­
gebot weiterentwickelt.

    Dieser Artikel wurde vom Leitungsteam
    der Arbeitsgruppe «Zusammenarbeit
    ­zwischen Suchtfachleuten und der ­Polizei»
     (AG SuPo) verfasst.                          Die Lage am Platzspitz 1989 verdeutlicht die Auswüchse der Heroinkrise der 1980er
                                                  und 1990er Jahre.

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DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

25 Jahren in vielen Gemeinden Abläufe        organisiert die AG SuPo alle zwei Jahre    Unterschiedliche Berufs­
und gut funktionierende Kooperations­        ein nationale Fachtagung, an der Fach­     kulturen
modelle entwickelt, welche die gleich­       leute aus Polizei und Suchthilfe ihre      Oft liegt das Problem eher darin, dass
zeitige Wahrung der Interessen der           Zusammenarbeitsmodelle für ihre Kolle­     die richtigen Abläufe noch nicht gefun­
öffentlichen Gesundheit, der öffentli­
­                                            ginnen und Kollegen aus anderen Ge­        den wurden, als dass der Wille zur Zu­
chen Ordnung und der Umsetzung des           meinden selbst präsentieren. In den ver­   sammenarbeit fehlen würde. Der regel­
Rechts gewährleisten. So gelang es           gangenen Jahren haben jeweils zwischen     mässige Kontakt mit der anderen Be­
beispielsweise den meisten Schweizer         150 und 250 Personen an den Fach­          rufsgruppe ist ein wichtiger Faktor für
Städten, in denen solche Angebote            tagungen der AG SuPo teilgenommen.         eine gute Zusammenarbeit. In der Pra­
existieren, das Umfeld der Kontakt-              Darüber hinaus erarbeitet die Ar­      xis ist der Austausch meistens informell
und Anlaufstellen so zu gestalten, dass      beitsgruppe fachliche Stellungnahmen       geregelt und findet ad hoc im Feld statt.
die Bedürfnisse der Konsumierenden           und versucht, neue Erkenntnisse in die     Nur eine Minderheit der Organisationen
wie jene der Anwohner gewahrt werden         Aus- und Weiterbildung der Fachleute       hat dazu interne Weisungen oder Leitbil­
können. Die konkrete Ausgestaltung           beider Bereiche einzubringen. Um neue      der verabschiedet oder gar gegenseitige
der Zusammenarbeitsmodelle hängt             Themen zu identifizieren und das Wei­      Kooperationsvereinbarun­gen getroffen.
dabei nicht zuletzt von den spezifischen     terbildungsangebot an die Bedürfnisse      Jeweils mehr als 50% der befragten
lokalen Herausforderungen und politi­        der Realität in der Praxis anzupassen,     Polizeiorganisationen und Suchthilfe­
                                                                                        ­
schen Schwerpunkten ab                       hat die AG SuPo 2016 eine umfassende       institutionen sehen aber einen Bedarf für
                                             Befragung von Polizeikorps und Sucht­      vermehrten Absprachen und Austausch.
Aktivitäten der Arbeits­                     hilfeinstitutionen durchgeführt. Die Er­       Die Zusammenarbeit zwischen Sucht­
gruppe                                       gebnisse zeigen, dass sowohl die Poli­     hilfe und Polizei ist jedoch nicht nur
Der Bund hat weder ein Interesse noch        zei als auch die Suchthilfe mit der be­    eine technische Angelegenheit, die sich
die Möglichkeiten, diese Abläufe zu          rufsübergreifenden Zusammenarbeit          mit der Etablierung von geregelten Ab­
vereinheitlichen. Die AG SuPo ist aber       mehrheitlich zufrieden sind und dass       läufen effizient gestalten lässt. Neben
überzeugt, dass sich in lokalen Zusam­       diese Zusammenarbeit sich in den letz­     dem regelmässigen Austausch sind auch
menarbeitsmodellen zwischen Sucht­           ten Jahren bewährt hat. Aber nicht         gegenseitiger Respekt, Verlässlichkeit
hilfe und Polizei viel gute Praxis ent­      überall funktioniert die Zusammen­         und die Vereinbarkeit (trotz unterschied­
wickelt hat, die über politische und the­    arbeit gleich gut. Und die Zufriedenheit   licher Ziele und Weltbilder) der jeweiligen
matische Grenzen hinaus von Nutzen           mit der Zusammenarbeit ist bei der         Aufträge wichtige Aspekte einer guten
sein kann. Um den Austausch zwischen         Suchthilfe höher als bei der Polizei und   Zusammenarbeit. Das gegenseitige Ver­­
den Städten und Kantonen zu fördern,         sie misst ihr auch mehr Bedeutung zu.      ständnis zwischen den Berufsgruppen

                                                                                                                                  Wikimedia Commons/Roland zh

Naherholungsgebiet mitten in Zürich – der Platzspitz fast drei Jahrzehnte später.

                                                                                        SKP INFO 1 | 2018                        7
Thema Die Polizei und ihre Netzwerke - 1 | 2018 - Schweizerische ...
DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

                                                                                           sie könnte sich als ähnlich notwendig
                                                                                           und wirksam erweisen, wie seinerzeit
                                                                                           beim Umgang mit der Heroinabhängig­
                                                                                           keit.

                                                                                           Die Zukunft der AG SuPo
                                                                                           Die Lösungen der Vergangenheit lassen
                                                                                           sich denn auch nicht ohne weiteres auf
                                                                                           die Probleme der Gegenwart und Zu­
                                                                                           kunft übertragen. Lange standen die
                                                                                           Vorbeugung von übertragbaren Krank­
                                                                                           heiten und Überdosen, die Bekämpfung
                                                                                           von offenen Szenen und des Drogen­
                                                                                           handels im Vordergrund. Heute kommt
                                                                                           der Prävention und Frühintervention
                                                                                           eine stärkere Bedeutung zu. Die beiden
                                                                                           Berufsgruppen wünschen in diesem
                                                                                           Bereich denn auch eine vermehrte Zu­
                                                                                           sammenarbeit. Hier gibt es Beispiele
                                                                                           aus Biel und Neuenburg, wie ein geziel­
                                                                                           ter Austausch zwischen der Polizei und
                                                                                           der Suchthilfe dazu beitragen kann, ge­
                                                                                     zvg
Prävention und Frühintervention haben heute eine stärkere Bedeutung: Auf                   fährdete Konsumierende von Cannabis
www.saferparty.ch findet man u.a. Warnungen vor Drogen, die gerade im Umlauf sind.         bzw. Methamphetamin frühzeitig zu er­
                                                                                           kennen. Dabei ist auch der Einbezug
                                                                                           der Justiz bzw. der Jugendanwaltschaft
ist in den vergangenen Jahrzehnten          heitspolitik verschwunden. Heute findet        und weiterer Akteure wichtig. Ein weite­
eindeutig gewachsen. Aber die ­Resultate    der Konsum psychoaktiver Substanzen            res Beispiel, bei dem Absprachen not­
der Umfrage zeigen, dass die unter­         im öffentlichen Raum oft im Nacht­-            wendig sind, ist das so genannte «drug
schiedlichen Aufträge, Rollen und Berufs­   leben statt. Stichworte wie Nachtruhe­         testing», bei dem Konsumierende auf
kulturen auch heute noch zu Proble­         störung, Littering, «Komasaufen» oder          dem Schwarzmarkt gekaufte Substan­
men und Konflikten bei der Zusammen­        alkoholassoziierte Gewalt prägen die
                                            ­                                              zen auf Streckmittel und Reinheitsgrad
arbeit führen können. Eine Mehrheit bei     Debatten rund um das Thema. Dort, wo           testen lassen können. Dieses schadens­
beiden Berufsgruppen ist denn auch          Substanzkonsum Probleme schafft, ist           minderende Angebot, das zurzeit in vier
der Meinung, dass die andere Seite          Alkohol für die Polizei und die Sucht­         Schweizer Städten angeboten wird, kann
mehr über ihre Aufgaben, Berufsidenti­      hilfe heute oft das Hauptthema. Hinzu          nur funktionieren, wenn die Nutzer und
täten und gesetzlichen Grundlagen           kommt, dass die Diversität der An­             Nutzerinnen nicht befürchten müssen,
wissen sollte, damit die Zusammen­          sprechgruppen zunimmt: Beide Berufs­           bei der Abgabe von illegalen Substan­
arbeit noch besser funktionieren kann.      gruppen sind zunehmend mit P ­ ersonen         zen polizeilich verfolgt zu werden.
Die Förderung dieses gegenseitigen          konfrontiert, die nicht nur mit Subs­              Die AG SuPo wird diesen neuen
Verständnisses unter der Berücksichti­      tanzabhängigkeit sondern auch mit              Herausforderungen Rechnung tragen,
                                                                                           ­
gung der Tatsache, dass sich das Span­      weiteren psychischen und physischen            indem sie solche Themen verstärkt in
nungsfeld zwischen den beiden gesell­       Gesundheitsproblemen kämpfen. Vor              ihr Weiterbildungsangebot aufnimmt
schaftlichen Aufträgen vermutlich nie       allem im Nachtleben ist besonders die          und das Netzwerk der Zusammenarbeit
ganz auflösen lässt, wird für die AG        Polizei mit jugendlichen Problemkon­           im Bereich des Suchtmittelmissbrauchs
SuPo langfristig eine wichtige Heraus­      sumierenden konfrontiert, wogegen die          im öffentlichen Raum nach Bedarf er­
forderung bleiben.                          Klientinnen und Klienten in der nieder­        weitert. Im Einklang mit der Strategie
                                            schwelligen Suchthilfe immer älter             Sucht 2017–2024 des Bundesrates gilt
Herausforderungen in der                    werden. Hinzu kommen sprachliche               der F
                                                                                               ­ okus dabei nicht nur den illegalen
Zusammenarbeit                              und kulturelle Hürden im Umgang mit            Drogen, sondern der Suchtproblematik
Mit den offenen Drogenszenen ist auch       Personen mit Migrationshintergrund.            insgesamt.
die Heroinproblematik aus dem Fokus         Bei diesen neueren Themen ist die              Weitere Informationen:
städtischer Gesundheits- und Sicher­        Zusammenarbeit noch marginal, aber
                                            ­                                              www.infodrog.ch/supo.html

8                  SKP INFO 1 | 2018
Thema Die Polizei und ihre Netzwerke - 1 | 2018 - Schweizerische ...
DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

Gemeinsam gegen Häusliche                                                                     verbessern. So bildete dann auch der
                                                                                              Runde Tisch Häusliche Gewalt das

Gewalt: Der Runde Tisch
                                                                                              Kernstück des Basler Interventions­
                                                                                              projekts. Als interinstitutionelles Gre­
                                                                                              mium konzipiert, bot der Runde Tisch
                                                                                              den Vertreterinnen und Vertretern der
Häusliche Gewalt geht den Staat nichts an? Was                                                Justiz, der Kantonspolizei, der Opfer­
                                                                                              beratungsstellen und der Gerichte alle
heute undenkbar ist, war vor 20 Jahren Realität.                                              zwei Monate Gelegenheit zur Koopera­
Wie ein Runder Tisch das in Basel-Stadt änderte.                                              tion und Schnittstellenüberprüfung.

                                                                                              Von Polizeirapporten und
Die Gründung des Runden Tisches             Schutz von Frauen vor Gewalt – etwa               gelben Karten
Häusliche Gewalt Basel-Stadt stand          durch die strafrechtliche Verfolgung              Parallel zum Zürcher Pendant leistete
ganz im Zeichen ihrer Zeit: Als sich im     von Amtes wegen von Vergewaltigun­                das Basler Interventionsprojekt Pio­
Oktober 1997 zum ersten Mal Vertrete­       gen auch innerhalb der Ehe. Gemein­               nierarbeit: Am 30. Oktober 1997 trafen
rinnen und Vertreter aus der basel­         sam war all den Vorstössen und Be­                zum ersten Mal Vertreterinnen und
städtischen Verwaltung und Zivilgesell­     mühungen die Forderung nach einem                 Vertreter aus unterschiedlichen, mit
schaft zum Thema zusammen­      fanden,     Perspektivenwechsel: Gewalt in der                Häuslicher Gewalt befassten privaten
war die Bekämpfung von Gewalt gegen         Ehe ist nicht Privatsache, sondern be­            und öffentlichen Institutionen an einem
Frauen national und international be­       trifft die ganze Gesellschaft! Eine 1995          Ort zusammen, um gemeinsam Lösun­
reits in aller Munde. In Peking wurde       veröffentlichte Studie verdeutlichte              gen für einen besseren Opferschutz
1995 anlässlich der 4. UN-Weltkon­          denn auch, was in den Frauenhäusern               und eine konsequentere Täterver­
ferenz ein Forderungskatalog verab­         bereits lange bekannt war: Das Aus­               folgung zu erarbeiten. In hitzigen De­
schiedet, der Häusliche Gewalt als          mass der Häuslichen Gewalt war (und               batten und eisernen Verhandlungen
Menschenrechtsverletzung definierte         ist) auch in der Schweiz erschreckend.            begannen die Mitglieder des Runden
und weltweit für viel Auf­sehen sorgte.     Anhand der telefonischen Befragung                Tisches Vorurteile ab- und Handlungs­
Auch in der Schweiz diskutierten Fach­      von 1500 Frauen kamen die Forscherin­             spielräume auszubauen. Erste Erfolge
leute Gewalt in Ehe und Familie zu­         nen zum Schluss, dass jede fünfte Frau            konnten bereits nach wenigen Sitzun­
nehmend als Menschenrechts- und             in der Schweiz in ihrem Leben bereits             gen verbucht werden: So erarbeitete
Gleichstellungsfrage.    Politikerinnen     sexuelle oder körperliche Gewalt in der           die Kantonspolizei ein spezielles Rap­
und ­ Politiker forderten auf Bundes-       Partnerschaft erleben musste.1                    portsystem, das bei Polizeiinterven­
und K  ­antonsebene einen besseren              Vor diesem Hintergrund sahen sich             tionen wegen Häuslicher Gewalt ab
                                           das Frauenhaus Basel, das Männer­                  1999 direkt zum Einsatz kam. Auch die
                                           forum Basel (heute: Männerbüro), das               Staatsanwaltschaft entwickelte einen
 Autorinnen                                Basler Gleichstellungsbüro und weitere             Fragekatalog für die Einvernahme von
                                           Beteiligte veranlasst, gemeinsam die               Opfern Häuslicher Gewalt. Begleitet
 Yara Gut
                                           Bekämpfung von Häuslicher Gewalt im                wurden diese Massnahmen durch
 Mitarbeiterin Fach­
 referat und Fachstelle                    Kanton Basel-Stadt voranzutreiben. Im              Schulungen und Weiterbildungen der
 Häusliche Gewalt,                         Rahmen des Nationalen Forschungs­                  Polizei und der Strafverfolgungsbe­
 Generalsekretariat,                       programms zu «Gewalt im Alltag und                 hörden.
 Justiz- und Sicher­                       organisierte Kriminalität» lancierten                  Handlich und informativ kommt ein
 heitsdepartement
                                           sie deswegen 1997 das Basler Inter­                anderer grosser Erfolg des Runden
                                     zvg

 Basel-Stadt
                                           ventionsprojekt «Halt-Gewalt». Das                 ­Tisches daher: Die gelben «Notfallkar­
 Miko Iso                                  Pilotprojekt verfolgte neben der Ver­
                                           ­                                                   ten», auf denen alle wichtigen Adressen
 Leiterin Runder Tisch                     minderung von Partnergewalt und                     und Telefonnummern vermerkt sind,
 Häusliche Gewalt und                      ­einem verbesserten Schutz betroffener              können niederschwellig und unauffällig
 Leiterin Fachstelle                                                                           an Betroffene verteilt werden. 1999
                                            Frauen insbesondere auch das Ziel, die
 Häusliche Gewalt des
                                            Zusammenarbeit zwischen den priva­                 noch nur in Deutsch verfügbar, wurden
 Kantons Basel-Stadt,
 Generalsekretariat,                        ten und staatlichen Institutionen zu               sie zwischenzeitlich in elf Sprachen
                                     zvg

 Justiz- und Sicher­
 heitsdepartement Basel-Stadt
                                           1 Gillioz, Lucienne/De Puy Jacqueline/Ducret Véronique: Domination et violence envers la femme
                                             dans le couple. Editions Payot, Lausanne 1997.

                                                                                              SKP INFO 1 | 2018                             9
Thema Die Polizei und ihre Netzwerke - 1 | 2018 - Schweizerische ...
DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

                                                                                                                    an Staatsaufgabe – und nicht mehr
                                                                                                                    alleinige Sache des Opfers und privater
                                                                                                                    Institutionen. Das wirkte sich auch auf
                                                                                                                    die Arbeit des Runden Tisches aus. Ob­
                                                                                                                    wohl schon früh diskutiert, begann erst
                                                                                                                    jetzt die konkrete Ausarbeitung einer
                                                                                                                    Wegweisungsregelung. Nach dem Vor­
                                                                                                                    bild anderer Kantone sollte künftig
                                                                                                                    nicht mehr das Opfer den gemeinsa­
                                                                                                                    men Wohnraum verlassen müssen,
                                                                                                                    sondern vielmehr derjenige, der die
                                                                                                                    Gewalt ausgeübt hatte. Dem liegt eine
                                                                                                                    einfache Erkenntnis zu Grunde: Will
                                                                                                                    man Häusliche Gewalt effizient be­
                                                                                                                    kämpfen, muss dort angesetzt werden,
                                                                                                                    wo sie beginnt – beim Täter oder der
                                                                                                                    Täterin. In diesem Sinne beinhaltete
                                                                                                                    der 2007 erlassene Wegweisungsarti­

                                                                                     Katarzyna Białasiewicz/123RF
                                                                                                                    kel im baselstädtischen Polizeigesetz
                                                                                                                    auch die Grundlage für die sogenannte
                                                                                                                    Gefährderansprache. Im Anschluss an
                                                                                                                    eine Polizeiintervention wegen Häusli­
                                                                                                                    cher Gewalt wird die gewaltausübende
                                                                                                                    Person von Gewaltberatern der Bewäh­
«Will man Häusliche Gewalt effizient bekämpfen, muss dort angesetzt werden, wo sie                                  rungshilfe kontaktiert und zu einer
beginnt – beim Täter oder der Täterin.»                                                                             freiwilligen und kostenlosen Beratung
                                                                                                                    eingeladen. Gleichzeitig informiert die
übersetzt und dienten vielen Kantonen      der Interventionsstelle organisierten                                    Opferhilfestelle die gewaltbetroffene
als Vorlage für eigene Notfallkarten.      Informationsveranstaltungen Rechnung                                     Person über ihr Beratungsangebot.
    Gleichzeitig war der Runde Tisch       getragen.                                                                    Seit Anfang 2016 gibt es – als
Häusliche Gewalt am Aufbau eines               Neben diesen konkreten Verbesse­                                     schweizweites Pilotprojekt – auch eine
Lernprogramms für gewalttätige Män­        rungen der operativen Prozesse er­                                       Gefährderansprache ohne Wegwei­
ner beteiligt. Dank der Pionierarbeit      zielte das Basler Interventionsprojekt                                   sung. So erhalten Gewaltausübende
der basellandschaftlichen Interventi­      weniger messbare, doch mindestens                                        und ­-betroffene ein Unterstützungs­an­
onsstelle können Männer, die in der        genauso bedeutende Erfolge: Die                                          gebot im Moment, in dem sie im Hell­
Partnerschaft oder Familie Gewalt          regel­mässigen Sitzungen des Runden                                      feld auftauchen.
ausgeübt haben, seit 2001 in die Kurse     Tisches förderten das gegenseitige
                                           ­
des Lernprogramms zugewiesen wer­          Verständnis für die Aufgaben anderer                                     Der Runde Tisch gestern,
den. Dort lernen sie in Gruppensettings    Institutionen, die persönlichen Kontak­                                  heute und morgen
neue, konstruktive Konfliktlösungs­        te verkürzten die Kommunikationswege                                     Heute blickt der Runde Tisch Häusliche
strategien kennen – jenseits von Ge­       und dank gemeinsam definierten Her­                                      Gewalt auf mehr als zwanzig Jahre
walt.                                      ausforderungen und Lösungen konnten                                      Vernetzungs- und Aufbauarbeit zurück,
    Nicht zu unterschätzen ist ausser­     Hemmschwellen und Berührungsängs­                                        im Juni 2018 wird zur 50. Sitzung gela­
dem die Rolle des Gesundheitsbe­           te abgebaut werden.                                                      den. Während zu Beginn nur zehn Mit­
reichs: Eine 2003 vom Runden Tisch                                                                                  glieder regelmässig zusammen kamen,
Häusliche Gewalt initiierte und von        Gewaltausübende in der                                                   sind inzwischen rund 25 Fachpersonen
der Interventionsstelle lancierte Studie   ­Verantwortung                                                           in Leitungsfunktionen aus Justiz, Kan­
im Universitätsspital Basel-Stadt konn­    Zum Zeitpunkt der Lancierung wurde                                       tonspolizei, den Opferberatungsstellen,
te aufzeigen, wie häufig das Spital­       das Basler Interventionsprojekt von                                      den Kindesschutzbehörden und dem
personal mit Opfern Häuslicher Gewalt      einem privaten Verein getragen. Die
                                           ­                                                                        Gesundheitsbereich vertreten. Die ver­
in Kontakt kommt. Dem entsprechend         ­Integration in die Verwaltung 2003 war                                  änderte Zusammensetzung spiegelt die
grossen Weiterbildungsbedarf in die­        entsprechend symbolträchtig: Die Be­                                    historischen Entwicklungen im Bereich
sem Bereich wurde mit mehreren von          kämpfung Häuslicher Gewalt war fort­                                    Häusliche Gewalt der letzten 20 Jahre:

10                 SKP INFO 1 | 2018
DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

                                                                                                                                     Vadim Guzhva/123RF
«Gerade für Kinder ist Gewalt von oder zwischen ihren Eltern immer einschneidend und häufig traumatisierend.»

Zunächst ging es darum, Gewalt gegen        Dank zahlreichen Sensibilisierungs­
Frauen in Partnerschaft und Familie         massnahmen gegen innen und aussen
aus den Privathaushalten in die Öffent­     ist das Thema Häusliche Gewalt heute
lichkeit zu tragen. Es waren deswegen       mehr denn je bei staatlichen Institutio­
Opferhilfestellen wie das Frauenhaus,       nen und in der breiten Öffentlichkeit
die in den Anfängen des Runden              präsent. Dennoch ist die Arbeit des
­Tisches mit der Polizei und den Justiz­    Runden Tisches noch lange nicht getan.
 behörden über Massnahmen verhan­           Nach wie vor ist Häusliche Gewalt weit
 delten. Im Zuge des Perspektivenwech­      verbreitet und es gibt tausende Opfer,
 sels hin zu mehr Täterverantwortung        die weder bei der Polizei noch bei den
 wurde der Runde Tisch in den vergan­       Opferberatungsstellen bekannt sind.
                                                                                                                               zvg

 genen Jahren gezielt durch Institutionen   Noch immer suchen zahlreiche Frauen
 ergänzt, die direkt mit Gefährdenden       im Frauenhaus Zuflucht – so viele, dass      Fachtagung «Trauma
 zu tun haben – wie beispielweise die       einige zeitweise wegen Überbelegung          durch Häusliche Gewalt»
 Bewährungshilfe. Die Kindesschutz­         abgewiesen werden müssen. Den Ge­
 stellen waren zwar früh am Runden          waltausübenden fehlen indes oft die          Der Frage, wie mit traumatisierenden
 Tisch vertreten, ihre bedeutende Rolle     Einsicht und die Bereitschaft, am eige­      Gewalterfahrungen innerhalb von
 bei der Bekämpfung von Häuslicher          nen Gewaltproblem zu arbeiten. Und           Partnerschaft und Familie umge­
 Gewalt wird heute aber stärker wahr­       gerade für Kinder ist Gewalt von oder        gangen werden kann, widmet sich
 genommen, denn je zuvor – schliesslich     zwischen ihren Eltern immer ein­             auch die Fachtagung «Trauma durch
 sind Kinder die verletzlichsten Opfer      schneidend und häufig traumatisie­           ­Häusliche Gewalt» am Donnerstag,
 von gewalttätigen Be­ziehungen und es      rend. Diesen Herausforderungen gilt es        7. Juni 2018, ab 14 Uhr, im Grossrats­
 ist von zentraler B­ edeutung, dass sie    sich anzunehmen – in den nächsten 20,         saal des Rathaus Basel.
 zeitnah und niederschwellig Unterstüt­     50 und vielleicht sogar 100 Sitzungen        Mehr Informationen dazu unter:
 zung bei der Verarbeitung des Erlebten     des Runden Tisches Häusliche Gewalt          www.halt-gewalt.bs.ch
 erhalten.                                  Basel-Stadt.

                                                                                       SKP INFO 1 | 2018                       11
DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

«Polizei zum Anfassen» –                                                                      eine b
                                                                                                   ­reite und offene Vernetzung zu
                                                                                              Exponenten diverser Religionen und

die Brückenbauer/innen
                                                                                              Kulturen.

                                                                                              Aufbau und Pflege des inter­
der Polizei                                                                                   kulturellen Netzwerkes
                                                                                              Gegenseitige Vorurteile werden durch
                                                                                              persönliche, wiederkehrende Kontakte
                                                                                              abgebaut. In Gesprächen, oftmals bei
Polizeiliche Netzwerke über Kulturgrenzen hinaus                                              Apfeltee oder fremdländischem Mine­
                                                                                              ralwasser, fördern wir bei Verantwor­
pflegen – dieser Aufgabe nimmt sich das                                                       tungsträgern das Verständnis für poli­
16-köpfige Team der Fachstelle «Brückenbauer»                                                 zeiliches Handeln und erhalten wichtige
der Kantonspolizei Zürich seit 10 Jahren an.                                                  Informationen zur Erfüllung unserer
                                                                                              Aufgaben. Dabei dürfen von der Polizei
                                                                                              wie auch ihrem Gegenüber kritische
                                                                                              Fragen gestellt werden. Desgleichen
Notwendigkeit der Fachstelle                      ­ eschweige denn, mit der Polizei heikle
                                                  g                                           fassen wir heisse Eisen an: Gespräche
«Brückenbauer» innerhalb                          Themen – u.a. Radikalisierung – anzu­       über islamistische Radikalisierung
der Polizei                                       gehen. Brückenbauer/innen setzen sich       ­führen wir mit Fingerspitzengefühl und
Die zunehmend multikulturelle Bevöl­              dafür ein, dass dies kulturübergreifend      nehmen uns viel Zeit, um die gesetz­
kerung im Kanton Zürich verlangt, dass            geschieht. Unsere Partner und Kunden,        liche Grundlage wie auch mögliche
interkulturelle Zusammenhänge er­                 sie nennen sich zum Beispiel «Kultur­        polizeipräventive Handlungsfelder zu
                                                                                               ­
kannt, beurteilt und beim polizeilichen           verein IKRE», «Islamisch Albanische          erklären. Bei Bedarf können wir so
Handeln berücksichtigt werden. Vor                Gemeinschaft», «Iman-Zentrum» oder           auch Klartext sprechen: Zum Beispiel
zehn Jahren wurde in der Kantonspoli­             «Libanesischer Kulturverein» sind            in Form von kollektiven Ansprachen an
zei Zürich die Fachstelle «Brücken­               meist als Verein oder als Stiftung orga­     Vereinsmitglieder, um sie auf ihr straf­
bauer» gegründet. Von damals einem                nisiert. Diese unterschiedlichsten Ver­      rechtlich relevantes Verhalten und
Fachverantwortlichen mit elf Polizistin­          einigungen im Kanton Zürich prägen           mögliche Konsequenzen hinzuweisen.
nen und Polizisten im Nebenamt wuchs              durch ihre Aktivitäten massgeblich den       Das polizeiliche Netzwerk dient dazu,
das Team bis heute auf 16 Mitglieder,             Tages-, Jahres- und Lebensrhythmus           strafbare Handlungen frühzeitig zu er­
davon drei Frauen, an. Durch die Fach­            ihrer a
                                                        ­ktiven Mitglieder und sind da-        kennen und zu verhindern. Den Mitglie­
stelle «Brückenbauer» werden auslän­              mit wichtige Ansprechpartner für die         dern der Fachstelle ist ein geographi­
dischstämmigen Personen die Anliegen              Polizei. Gerade die Entwicklungen im         sches Gebiet mit kulturell-religiösen
und Aufgaben der hiesigen Polizei                 Dunkelfeld ­ extremistischer und ge­         Gemeinschaften im Kanton Zürich zu­
nähergebracht. Gleichzeitig erfahren
­                                                 waltbereiter Gruppierungen verlangen         gewiesen. Dabei handelt es sich bei­
die Polizistinnen und Polizisten mehr
über fremde Kulturen und Bräuche.
    Für etliche ausländischstämmige
Personen sind die Hürden, mit der
Polizei in Kontakt zu treten, hoch,
­

 Autor
 Thomas Gerber
 Polizist, Fachstelle
 ­«Brückenbauer»,
  Co-Fachverantwort­
  licher im Dienst
                                            zvg

  Gewaltschutz der
                                                                                                                                         zvg

  Präventionsabteilung der Kantonspolizei
  Zürich                                          Führung für Angehörige der Polizei in einer Moschee – organisiert durch die Brücken-
                                                  bauer/innen in Zusammenarbeit mit dem Vorstand der Moschee

12                   SKP INFO 1 | 2018
DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

 spielsweise um islamische Einrichtun­
 gen (u.a. Moscheen) in einem oder
 mehreren Bezirken oder um die soma­
 lischen/eritreischen Vereine im ganzen
 Kanton Zürich. Auch zur koptischen
 Kirche, zu arabischen Schulen, islami­
 schen Männer- oder Jugendvereinen
 etc. pflegen wir den Kontakt.
     Um das gegenseitige Verständnis zu
 fördern, unterbreiten die Brückenbau­
 er/innen seit dem Gründungsjahr 2008
 ein interessantes Angebot: Brücken­
 bauer/innen halten kostenlos Informa­
 tionsreferate. Teilnehmende erhalten
 Informationen zur Begegnung mit der

                                                                                                                                       zvg
 Schweizer Polizei. Im Jahr 2017 hielten           «Bürgernahe Polizei» – Einsatz ohne gegenseitige Berührungsängste mit dem
 wir diese Informationsstunden vor ca.             ­Präventionsmobil an einem Kulturfestival
 40 Gruppen, meist Integrationsklassen.
 Wir sprechen in einfachem Deutsch
 über gegenseitige Erwartungen, über               wusst. Das Wissen um mögliche Irrita­       durchgeführt. Die Kursdirektion obliegt
 Polizeikontrollen oder über gegensei­             tionen in den interkulturellen Begeg­       Hptm Reinhard Brunner, Chef Präven­
 tige Ausweispflicht. Die Gefässe für              nungen und grundlegendes Wissen in          tionsabteilung der Kantonspolizei Zürich.
­Informationsveranstaltungen werden                interkultureller Kompetenz (unter an­
 von Asylorganisationen, Kulturvereinen,           derem eine Vertrautheit mit Mechanis­       Mögliche Schwierigkeiten
 kirch­lichen Hilfswerken über private             men der interkulturellen Kommunika­         der polizeilichen Tätigkeiten
 Initiativen organisiert: Als Brücken­             tion) bildet die Grundlage der Begeg­       In der interkulturellen Netzwerkpflege
 bauer/in führen wir dort Gespräche, wo            nungen als Brückenbauer/in. Die Kom­        gewinnen wir Informationen, die für
 Vorurteile abgebaut und Vertrauen auf­            petenz, welche Brückenbauer/innen           polizeiliche Tätigkeiten relevant sind.
                                                                                               ­
 gebaut werden sollen.                             auszeichnet, ist jedoch keine kultur­       Diese spezifischen Informationen zu
                                                   spezifische. Die eigene persönliche         Kulturen und religiösen Strömungen
                                                   kulturelle Prägung in den Vordergrund       werden durch Mitglieder der Fachstelle
                                                   zu stellen, birgt gar das Risiko, dass      «Brückenbauer» aufbereitet, festge­
                                                   ­ihnen Zugänge zu etlichen Kulturen er­     halten (beispielsweise in Form von In­
                                                    schwert würde: Spannungen innerhalb        formationsveranstaltungen oder Fact­
                                                    für uns pauschal wahrgenommener            sheets) und allen Korpsangehörigen
                                                    Gruppierungen (bspw. Auseinander­          zugänglich gemacht. Folgende polizeili­
                                                    setzungen unter «den Eritreern» oder       chen Handlungsfelder führen immer
                                                    «den Türken») zeigen die grosse Band­      wieder zu Fragen oder Irritationen in
                                             zvg

Die Polizei zum Anfassen. Einblick in das           breite von Lebensumständen, Wert­          der polizeilichen Praxis:
Referat «Die Polizei» in einem Zentrum für          vorstellungen und Herausforderungen        • Hausdurchsuchungen (beispielsweise
unbegleitete minderjährige Asylbewerber             unterschiedlicher Gruppierungen. Als         im Umgang mit den Erwartungen,
                                                    ­Polizei sind wir weder Partei noch er­      wie mit rituellen, «heiligen» Gegen­
                                                     greifen wir diese – auch nicht in unse­     ständen zu verfahren sei);
Fähigkeiten und Ausbildung                           rer Funktion als Brückenbauer/innen.      • Fälle Häuslicher Gewalt (wobei für
der Brückenbauer/innen                                   Die Wahrnehmung dieser Aufgaben         Funktionäre ein grundlegendes
 Manchmal werden wir gefragt: «Habt                  ist herausfordernd und anspruchsvoll.       ­kulturelles Verständnis vom Umgang
 ihr in eurem Brückenbauer-Team auch                 Um das nötige Rüstzeug dafür zu erlan­       zwischen Frau, Mann und Kindern
Muslime?» Als Vertreter der Kantons­                 gen, wird in Ergänzung zu bestehen-          hilfreich sein kann);
polizei treten wir sachlich, unabhängig              den SPI-Kursen, bspw. «interkulturelle    • Aussergewöhnliche Todesfälle
sowie neutral auf. Wir sind uns der                  Kom­ petenz» oder «Bedrohungsmana­           ­(Bedürfnisse und Erwartungen an
­eigenen kulturellen Prägung wie auch                gement» ein neuer SPI-Kurs «Brücken­          die Polizei sind oft geprägt von
 der möglichen Prägung der Zielgruppe                bauer» konzipiert. Der Kurs dauert drei       ­traditionellem Verständnis aus Her­
 des interkulturellen Netzwerks be­                  Tage und wird erstmals im Herbst 2018          kunftsländern);

                                                                                               SKP INFO 1 | 2018                     13
DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

                                                                                                                                 zvg
 «Ich habe da mal etwas zu sagen» – Einblick in das Referat «Die Polizei» in einem Zentrum für unbegleitete minderjährige
­Asylbewerber

• Verhaftungen (wobei kulturell ge­          gewalttätigen Extremismus. Diese             ferate und der Aufbau von vertrauens­
  prägtes Verständnis von Nahrung,           Stelle wird – ergänzend zu den Netz­         vollen Beziehungen mit den auslän­
  Unterbringung, Reinheitsvorstellungen      werk-Aufgaben der Brückenbauer-Vor­          dischstämmigen Gemeinschaften wer­
  etc. mit westlichen Vorstellungen          haben Massnahmen zur Verhinderung            den schweizweit als wirkungsvolle
  aufeinander prallen können).               von Radikalisierung mit weiteren Part­       Massnahme zu einer frühen Erkennung
                                             nerorganisationen anstossen.                 und frühzeitigen Einflussnahme hin­
                                                                                          sichtlich Erkennen und Verhindern von
Präventive Polizeiarbeit                     Wirkung der Fachstelle                       Radikalisierung bewertet. Es ist wün­
 Eine grosse Herausforderung liegt           «Brückenbauer»                               schenswert, dass weiterhin polizeiliche
 darin, präventive Polizeiarbeit durch
 ­                                           Eine wichtige Aktivität der Fachstelle       Fachstellen eingerichtet werden, die
 die Brückenbauer/innen greifbar zu          «Brückenbauer» umfasst das Referie­          sich diesen Herausforderungen stellen.
 machen. Oft wünschen sich Vertreter/        ren an polizeiinternen Aus-und Weiter­       Diese Empfehlung ist auch im Natio­
 innen diverser Vereinigungen mehr           bildungsveranstaltungen. Die Vermitt­        nalen Aktionsplan zur Verhinderung
 personenbezogene Information seitens        lung von spezifischem Fachwissen und         und Bekämpfung von Radikalisierung
 der Behörden, um auch frühzeitig ein­       das Informieren über interkulturelle         und gewalttägigem Extremismus des
 greifen zu können. Die Polizei ist jedoch   und interreligiöse Belange ist gerade        Sicher­heitsverbundes Schweiz (SVS)
 an das Amtsgeheimnis gebunden; sie          vor dem Hintergrund der zunehmend            vom 4. Dezember 2017 enthalten.
 darf keine Angaben über konkrete Fälle      multikulturellen Bevölkerung von enor­
 machen. Somit zeigt sich die Informa­       mer Bedeutung. Durch die Brücken­
 tionsweitergabe    personenbezogener        bauer/innen der Kantonspolizei Zürich
 An­gaben regelmässig als Einbahn­           wurden Lektionen im Bereich der Inter­        SPI-Kurs
 strasse, dennoch wollen wir das Ver­        kulturellen Kompetenz an der Zürcher          Für Polizistinnen und Polizisten
 ständnis wecken, dass die Polizei mit­      Polizeischule ausgearbeitet. Dabei geht       aller Polizeikorps der Schweiz, die
 tels wirkungsvollen Co-Creation-An­         es nicht darum, dass sich die Polizei in      eine Brückenbauer-Tätigkeit bereits
sätzen helfen kann, beispielsweise           ihren Handlungen an das Gegenüber             wahrnehmen oder antreten werden,
­sogenannte Gegen-Narrative zu entwi­        anpasst, sondern darum, das grundle­          bietet das Schweizerische Polizei­
 ckeln. Das fordert uns heraus. Denn:        gende Verständnis über Kulturen sowie         institut (SPI) den Kurs «Brücken­
 Wir sind daran interessiert, dass auch      Religionen und das Basiswissen, bei­          bauer» an.
 kulturelle Vereinigungen sicher sind.       spielsweise über den Islam und seine          Weitere Informationen:
 Die Kantonspolizei Zürich verfügt ab        Erscheinungsformen, zu vermitteln.            www.edupolice.ch > Kurse >
 dem 1. März 2018 über eine Interven­        Die Tätigkeiten der Brückenbauer/in­          Kursangebot > Brückenbauer
 tionsstelle gegen Radikalisierung und       nen, insbesondere die Informationsre­

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DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

Netzwerkarbeit –                                                                        sonalressourcen auf. Die Faust im Sack
                                                                                        machen, entspricht nicht dem Naturell

Ein wirksames Mittel für
                                                                                        der Polizistin und des Polizisten. Was
                                                                                        tun? Warum nicht ein breit aufgestell­
                                                                                        tes Netzwerk aufbauen oder sich einem
die Polizei                                                                             anschliessen? Diese Form der Zusam­
                                                                                        menarbeit führt erfahrungsgemäss bei
                                                                                        allen Kooperationspartnern zu einer
                                                                                        Entlastung.
Aufgrund ihrer Tätigkeit schliesst sich die Polizei                                     Vertrauen und Verständnis
lokalen, kantonalen, nationalen oder i­nter­                                            statt Gärtchendenken
nationalen Netzwerken an. Die Polizei ist mit                                           Steht die Polizei vor der Herausforde­
Amts­stellen ebenso vernetzt wie mit privaten                                           rung, soziale Probleme zu lösen oder

Organisationen.                                                                         verhaltensorientierte Präventionsarbeit
                                                                                        umzusetzen, bietet sich die Netzwerk­
                                                                                        arbeit als hilfreiches Instrument an.
                                                                                        Ausgehend vom Ankerpunkt, meist der
                                            Die Problemlösung an Brennpunkten           Initiantinnen und Initianten, verbreitet
 Autor                                      erfordert je nach Komplexität von allen     sich eine spinnennetzartige Organisa­
                                            Beteiligten einen mehr oder weniger         tion mit Personen, die sich für die Zu­
 Bruno Metzer
                                            grossen Aufwand. Dabei ist die ge­          sammenarbeit anbieten oder gewonnen
 Sicherheitsberatung/
 Kriminalprävention                         wünschte Wirkung nicht von vornherein       werden. Die Arbeit in einem Netzwerk
 der Kantonspolizei                         einschätzbar. Werden Polizeikorps mit       verlangt viel Vertrauen und Verständnis
 St. Gallen                                 der Problemlösung beauftragt, kom­          zu- und füreinander. Ein eigensüchtiges
                                      zvg

                                            men schnell einmal Fragen zu den Per­       Verhalten oder Gärtchendenken bringt

                                                                                                                               rido/123RF

Netzwerkarbeit schafft einen schnellen Zugang zu neuen Kontakten oder Organisationen.

                                                                                        SKP INFO 1 | 2018                    15
DIE POLIZEI UND IHRE NETZWERKE

                                                                                                                                    stokkete/123RF
Die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und dem Detailhandel ist wichtig bei Betrugsfällen und Diebstählen.

die Sache nicht weiter, sondern gefähr­     jektes erfordert. Dürfen Ideen oder gar     Rolle der Koordination und als Ver­
det die Kooperationsarbeit. Die Gren­       Produkte im Netzwerk übernommen             mittler. Die einbezogenen Partner und
zen dieser Netz­    werk­arbeit können      werden, können Entwicklungskosten           ­Organisationen wahren die Verantwor­
fliessend sein. Ein derartiges Netzwerk     eingespart werden. Primär geht es bei        tung und Entscheidungskompetenz in
kann grösser werden oder sich mit der       der Netzwerkarbeit nicht um das «Ab­         ihrem Zuständigkeitsbereich. Beim Er­
Entwicklung der Lage verkleinern.           kupfern», sondern um einen schnellen         kennen von strafbaren Handlungen tritt
Während der Begriff «Vitamin B haben»       und lückenlosen Zugang zur Interes­          die Polizei aus der Rolle des Vermitt­
eher abwertend ist und eine Person be­      sensgruppe.                                  lers und muss kurzfristig ahnden.
zeichnet, die durch persönliche Bezie­                                                   Durch ein aktives Netzwerk werden die
hungen Vorteile hat, wird diese in der      Community Policing – Praxis­                 Kontakte gepflegt und gestärkt. Ein Ziel
Netzwerkarbeit selber initiiert, aufge­     ansatz gemäss SPI                            ist es, wiederkehrende Kriminalitäts­
baut und erhalten. Besteht kein Bedarf      Das Schweizerische Polizei-Institut          phänomene abzubauen oder Probleme
mehr, müssen die Exponenten bereit          (SPI) definiert Community Policing als       an Unorten zu beseitigen. Zu diesem
sein, das Netzwerk aufzulösen.              eine partnerschaftliche Zusammen­            Zweck braucht es ein funktionierendes
    Netzwerkarbeit schafft einen schnel­    arbeit zwischen der Polizei, der Bevöl­      Netzwerk (vgl. SPI Kursordner «Commu­
len Zugang zu neuen Kontakten oder          kerung, den Behörden, Vereinen, kirch­       nity Policing», Seite 35–39, Version 02.16).
Organisationen. Dabei werden «Türen         lichen Organisationen (nicht abschlies­
geöffnet», Erfahrungen übernommen,          sende Aufzählung), die dazu beiträgt,       Beispiele aus der Praxis
Grenzen erkannt oder vor Stolperstei­       dass die Verantwortung der Sicherheit        «sicher!gsund!» – Netzwerk im
nen gewarnt. Netzwerkarbeit mindert         von allen auf ihren unterschiedlichen       ­Kanton St. Gallen
den Aufwand enorm, den beispiels­           Ebenen wahrgenommen wird. Dabei              Am 11. Januar 1999 wurde in St. Gallen
weise die Entwicklung eines eigenen         übernimmt die Polizei im Rahmen ihres        eine Lehrperson vom Vater einer Schü­
verhaltensorientierten Präventionspro­      rechtlichen Auftrages eine wichtige          lerin ermordet. Ein bereits initiiertes

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