Generalsekretärin zu den vier "i"s - Senat-Magazin
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Ma g a z in f ür eine welt weite Ökosoz ia le Markt wir tschaf t Jens Spahn Zur neuen Generation Julia Klöckner Zum Wettbewerb Ulf D. Posé Zur Verantwortung Yasmin fahimi Ausgabe 2 / 14 Einzelpreis 5 Generalsekretärin zu den vier „i“s
Frühlingsgefühle in den Alpen SONNENALP RESORT · SONNENALP 1 · D-87527 OFTERSCHWANG /ALLGÄU TEL. + 49 (0)83 21 / 272 - 0 · FAX - 242 Gebührenfreie Reservierung aus Deutschland: 0800 / 272 29 29 · Aus Österreich und Schweiz: 008000 / 29 29 29 29 info@sonnenalp.de · www.sonnenalp.de
Editorial Herausgeber Dieter Härthe Wie gut sind die Alten Wie oft schon wurde sie öffentlich ausgerufen, die „so viel Staat wie nötig“ ebenso anerkannt wird. Zeit der Erneuerung. Dann wenn alles auf den Prüf- Nur so ist eine Balancierung im Gemeinwohlsinn stand muss, neue Ideen, neue Wege, andere Begriffe, auch möglich. frische Lösungen. Das kommt einem doch bekannt Die Forderungskataloge der Medien und politi- vor. Der Drang nach Fortschritt und Wachstum, schen Akteure sollten nicht alleine mit Überle- Verbesserung und Erneuerung ist in uns und es ist gungen über Ausgleich, Nachhaltigkeit, Umwelt- auch wichtig, denn es hilft Lösungen finden zu wol- gerechtigkeit und ethischer Verantwortung gefüllt len, wo Lösungen gefragt sind. sein. Verantwortung für eine zukunftsgerechte Ge- Doch sind es nicht die guten alten Worte, die so sellschaft kann nicht verordnet werden. Nicht alles überraschend zutreffend in jeder Zeit die Situation und jeder einzelne Schritt sind regulierbar. Nur mit beschreiben können. Würde der stete Drang nach, der Eigeninitiative und der selber erkannten Ver- nicht immer Ergebnis bringenden, Neuerungen antwortung sind letztlich die richtigen Lösungen gelegentlich durch eine Beachtung dieser Leitsätze zu leben. In diesem Sinne darf der gute alte Spruch hilfreiche Unterstützung finden? von der „Leistung, die sich wieder lohnen muss“ Es kann den Blick schärfen, wenn bei politischen nicht geächtet werden. Diskussionen Basisgedanken bewusst sind, wie Im Gegenteil, es ist der Kerngedanke. Leistung, nicht „keine Leistung ohne Gegenleistung“ oder „staatli- nur als geldwerte Zielsetzung, Leistung als Anspruch che Hilfe muss immer Hilfe zur Selbsthilfe sein“. an alle. Die Leistung des „kleinen Mannes“, der in Ein einfaches Prinzip, das aber die Parlamentarier seinem Job gewissenhaft und ehrlich seinen Dienst zu immerwährenden Streitigkeiten treibt, ist eine erbringt, die Leistung der selbstständigen Unter- Erkenntnis, die wir im Privatleben alle beherzigen nehmerin, die Arbeitsplätze schafft, die Leistung sollten: „Erarbeiten kommt vor Verteilen“. Nach des Konzernvorstandes, der nicht „steueroptimiert“ diesem Motto hätte die Schuldenfalle des Staates agiert, sondern die Beiträge zur Gemeinschaft leistet, keine Chance. Wenngleich es auch volkswirtschaft- die erforderlich sind. Ebenso wie die Leistung der lich zahlreiche Argumente und Modelle gibt, die Mehrheit der Bürger, die ehrlich nur solche Unter- ein Investment des Staates in die Gesellschaft und stützung oder sozialen Gaben in Anspruch nehmen, Wirtschaft als erforderlich darstellen, wird in Zei- die zwingend erforderlich sind. Denn „wer Hilfe ten des Überflusses doch zu wenig über Rückzah- braucht, bekommt Solidarität“, sagt ein weiterer lung und zu viel über die Verteilung der Mehrein- Grundsatz, aber meint auch tatsächlich nur den, der nahmen nachgedacht. Da könnten die guten alten es braucht. Gemeint sind nicht die, die in den sozi- Leitsätze helfen. alen Errungenschaften einen „Anspruch“ zur Nut- Das gilt jedoch nicht nur für die Parlamentarier, zung erkennen wollen. Jedoch gilt dieser Grundsatz auch die gesellschaftlichen Vertreter aus Wirtschaft auch für die Wirtschaft. Wir müssen uns erinnern, und Wissenschaft sind gehalten, den Grunder- „Subventionen sind immer zeitlich zu begrenzen kenntnissen mancher „Sprüche“ Wert zuzubilli- und degressiv zu gestalten“. gen. Es muss auf beiden Seiten akzeptiert werden, So lehrreich, so einfach. Die guten alten Leitsätze, sie dass „so viel Freiheit wie möglich“ immerhin nur helfen den Blick für das Wesentliche zu schärfen. So dann funktioniert, wenn der zweite Teil, nämlich gesehen sind „die Alten“ doch wirklich dieGuten. Seite 3 SENATE
iNhAlTSVErZEichNiS rheinischer kapitalismus – das Buch POLITIK UND PARLAMENT Neue Generation die neue Generation sucht nach neuem Gehör .........20 sucht nach neuem ruf nach einer Agenda 2020 Gehör Weltweit gibt es mehr ideen als Probleme ..................24 Von hans-Jürgen Beerfeltz Seite 20 Vier „i“s für die soziale Marktwirtschaft ......................28 Yasmin fahimi Transatlantische Partnerschaft ist wichtiger denn je! .....38 Von Thomas Straubhaar Politikerinnen im Wettbewerb ....................................50 interview mit Julia klöckner Politikerinnen im Wettbewerb WIRTSCHAFTSWELT Jung zum Abitur – und dann? .....................................6 fächervielfalt und sehr junge Absolventen führen zu ratlosigkeit rheinischer kapitalismus ..........................................10 Seite 50 Buchvorstellung von christoph Brüssel Moralisches Missverständnis: „dafür bin ich nicht zuständig“ ...............................................................14 Von ulf d. Posé Akademie des Senats ...............................................16 Seminar zur Vertrauenskultur Transatlantische Partnerschaft wichtiger denn je! Seite 38 SENATE Seite 4
iNhAlTSVErZEichNiS IMPRESSUM Redaktion: Herausgeber: Dr. Christoph Brüssel Dieter Härthe, ViSdP (Chefredaktion) Jennifer Simon (RvD) Platz der Vereinten Nationen 7 Annette Ahlborn 53111 Bonn Constantin Härthe Tel: +49 (0)228-915-605-0 Maria C. Wilhelm www.senat-deutschland.de Doris Mäder (Redaktionsassistenz) Hauptstadtbüro: Layout: Heiner Stellmach Schiffbauerdamm 40 Lektorat: Alectis, Bonn 10117 Berlin Druckerei: Saxoprint Tel: +49 (0)30-310-195-95 Auflage: 10.000 Exemplare Gastbeiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. Trotz größtmöglicher Sorgfalt kann der Herausgeber keinerlei Gewähr für die Aktua- lität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der be- reitgestellten Informationen übernehmen. Nachdruck, auch auszugsweise unter Angabe der Quelle gestattet. Belegexemplar erbeten. die langen Wellen der konjunktur ............................26 Soziale Von Erik händeler Marktwirtschaft Ein Steilpass für die umwelt ......................................36 deutschland klimaschutz im fußball Österreich – die nahen Nachbarn als Standort und Seite 28 investitionsmöglichkeit ..............................................42 die Suche nach mehr Werten in der Wirtschaft: last oder lösung? ....................................................54 Von constantin härthe „dürfen unternehmer nicht mehr ans Geldverdienen denken?“ .................................................................60 Ehrensenator wird fragen an den parlamentarischen Staatssekretär Eu-Präsident hans-Joachim fuchtel MdB AUS DEM SENAT Seite 49 Zukunftssicherheit für familienunternehmen und Mittelstand ..............................................................46 @derSenat ergänzt seine kommunikation .................47 Senat der Wirtschaft wählte Präsidium .......................48 Zukünftiger Eu-chef ist Mitglied des Senats ................49 Moralisches Missverständnis Seite 14 Seite 5 SENATE
WirTSchAfTSWElT Jung zum Abitur – und dann? fächervielfalt und sehr junge Absolventen führen zu ratlosigkeit Von Maria c. Wilhelm Das Schloss Salem Kolleg will Biografien, keine Kar- rieren fördern Die Orientierungslosigkeit unter deutschen Abitu- rienten ist groß angesichts von mittlerweile allein über 9.500 Bachelor-Studiengängen. Wer nicht weiß, was er oder sie kann und will, läuft Gefahr, im Dickicht der Möglichkeiten hängenzubleiben. Ein Drittel aller Studierenden bricht ab, unter den Inge- nieuren und Mathematikern ist es sogar die Hälfte. Angebote, die den jungen Menschen vor Eintritt ins akademische Leben einen systematischen Über- blick über die wissenschaftlichen Fachrichtungen verschaffen und gleichzeitig Persönlichkeitsbildung und Querdenkertum im besten Sinne fördern, wa- ren in Deutschland bislang nicht vorhanden. Das Salem Kolleg, das im September 2013 gestartet ist, hat sich zum Ziel gesetzt, diese Lücke zu schließen. A biturienten sind nicht ausreichend vorbe- reitet Geschäftsführerin claudia Groot „Heute sind Studienberechtigung und Studienbe- fähigung nicht mehr eins“, so Robert Leicht, Auf- sichtsratsvorsitzender des Salem Kollegs. Unterneh- men beklagen die mangelnde Ausbildungsreife von Schulabgängern, Universitäten die schlechte Vorbil- dung der Studienanfänger, Eltern die Wankelmütig- keit ihrer Sprösslinge – und die jungen Menschen selbst? Sie fühlen sich nicht ausreichend vorbereitet auf das, was nach der Schule kommt, und überfor- dert mit dem, was sie im Studium erwartet. Immer- hin gut 30 Prozent der Studienabbrecher geben Überforderung als Grund an. Zwar gewinnen Jungen wie Mädchen durch die ver- kürzte Schulzeit im Zuge von G8 und die Ausset- zung der Wehrpflicht ein Jahr, doch was tun damit und den vielen kommenden Jahren? Eine schwierige Entscheidung, zumal für Abiturienten, die immer jünger werden und denen es an Erfahrung fehlt. SENATE Seite 6
Wirtschaftswelt Aber auch die allmähliche Aufweichung herkömm- licher Berufsbilder, die Frage, welcher Weg zu einem dauerhaft sicheren Arbeitsplatz führt und die Fül- le der Möglichkeiten, die sich in den vergangenen zehn Jahren durch die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge ergeben hat, tragen zur Verunsicherung der 17- bis 20-Jährigen bei. Schule, Eltern und Beratungsstellen können nicht immer oder nicht mehr weiterhelfen. G anzheitliches Lernen und Verstehen schafft Entscheidungskompetenz Und genau dort setzt das vom bekannten Internat Schule Schloss Salem entwickelte neue Angebot für Schulabgänger mit (Fach-)Abitur an. Es versteht sich als ganzheitliches Lern- und Erfahrungspro- gramm und so lautet das Motto der einjährigen Stu- dien- und Berufswahlorientierung mit Persönlich- keitsbildung und Leadership-Training nicht zufällig „Erleben. Verstehen. Entscheiden“. Neben einem Einblick in wissenschaftliche Cur- ricula im Sinne des Studium Generale und einer Einführung in das wissenschaftliche und interdis- ziplinäre Arbeiten geht es auch um die Förderung der persönlichen Reife, um das Meistern von Her- ausforderungen, das Erleben und Überwinden von und dem Franz von Sales Kolleg in Jülich kann der Grenzen, sprich: um eine gründliche Vorbereitung akademische Nachwuchs im Rahmen von mehreren auf Studium und Beruf. Wochen bis zu einem Jahr eine Vorbildung in einem Das Konzept eines universitären Vorkurses ist nicht speziellen Fachbereich erwerben oder fachübergrei- neu, ein Angebot wie das des Salem Kollegs schon. fend Studienluft schnuppern. Doch begnügen sich Das bekannte Leibniz Kolleg, seit über 60 Jahren diese Angebote mit der reinen Wissensvermittlung fast schon ein Synonym für das Studium generale, und wissenschaftlichen Orientierung. Das Salem bietet in Zusammenarbeit mit der Universität Tü- Kolleg aber will mehr und folgt damit dem Credo bingen in jedem Jahr rund 50 jungen Menschen des Salem-Gründers Kurt Hahn, der eine Erziehung die Möglichkeit, ihre wissenschaftlichen Interessen zur Verantwortung in ihrer Gesamtheit propagierte. zu entdecken und zu entwickeln. Auch an anderen „Das Salem Kolleg ist eine wichtige Weichenstellung (Fach-)Hochschulen und Instituten wie der TU für die Zukunft“, ist Dr. Gerhard Teufel, Rektor des München, der Leuphana Universität in Lüneburg, Salem Kollegs und ehemaliger Generalsekretär der dem European College of Liberal Arts in Berlin Studienstiftung, überzeugt. Seite 7 SENATE
Wirtschaftswelt Salem-Mende S tudium generale mit Persönlichkeitsbildung und Talentförderung und mit der Natur Teamentwicklung und Füh- rungsverantwortung gefördert, Grenzen erfahren und überwunden. Darüber hinaus nehmen die Kol- legiaten an einer intensiven und individuellen Stu- Die Kollegiaten leben zusammen auf dem moder- dien- und Berufswahlberatung teil. nen Campus in der Nähe des Bodensees bei Über- Bewerbungsgespräche, Potenzialanalysen, Bewer- lingen und werden von Doktoranden und jungen bungstrainings und viele Informationen aus ers- Wissenschaftlern, allesamt Stipendiaten der Studi- ter Hand von Persönlichkeiten aus der Wirtschaft enstiftung des deutschen Volkes, in drei Trimestern helfen den jungen Menschen, einen Überblick zu in die Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissen- bekommen und sich von Beginn an „richtig“ zu ent- schaften eingeführt. scheiden. Das spart Zeit und Geld. Neben Fächern wie Psychologie, Wirtschaft, Recht, B Mathematik, Literatur und Geschichte stehen auch Bewaffnete Konflikte, Chemie des Gehirns, Bild eim Auswahlseminar für Bewerber geht es und Bewegung im Film u.v.m. auf dem Plan – The- um mehr als gute Noten men, die den Einzelnen und die Welt bewegen. Hinzu kommt das Projekt „Soziale Wirklichkeit“, bei dem sich Teams von jeweils fünf Kollegiaten Für das Salem Kolleg kann sich jeder Interessierte einer selbst gewählten, aktuellen Fragestellung zum mit (Fach-)Hochschulreife bis zu einem Alter von „Brennpunkt Europa“ und seinem wirtschaftlichen, 22 Jahren bewerben. Bei der Auswahl der 40 Kol- gesellschaftlichen und sozialen Wandel widmen. legiaten des am 6. September startenden Kollegjah- Geforscht wird dabei auch vor Ort im Rahmen ei- res sind nicht allein die Schulnoten, sondern viele ner Recherchereise. weitere Kriterien wie Engagement, Leistungswille, Neben Vorlesungen und Projektarbeit bleibt Zeit Kreativität und kritischer Geist ausschlaggebend. für Theater, Musik, Sport und Sprachen, für Eigen- Denn es geht nicht um die Förderung von Karrie- arbeit, Erfahrungsaustausch und Outdoor-Training. ren, sondern von Biografien. Die Bewerbungsun- Ganz im Sinne des Erlebnispädagogen Kurt Hahn terlagen finden Interessierte zum Download unter werden beim Wandern, Klettern, Kanufahren in www.salemkolleg.de. SENATE Seite 8
Unser Ziel ist eine ökologische und soziale Marktwirt- schaft. Wir müssen dabei die Nutzung der Umwelt aus einem Rahmenkonzept heraus begrenzen. das hat mit Planwirtschaft überhaupt nichts zu tun. Klaus Töpfer Ehrensenator des Senats der Wirtschaft Für Nachhaltigkeit und eine Ökosoziale Marktwirtschaft www.bowa.de www.steute.de www.leschaco.com www.taylorwessing.com www.thormontagen.de www.e-h-group.com www.takko-fashion.com www.infineon.com www.hochland-group.com Eine Initiative des Senats der Wirtschaft
WirTSchAfTSWElT rheinischer kapitalismus Von christoph Brüssel Die Redaktion hat die Idee, über das frisch gedruckte Buch zum rheinischen Kapitalismus einen Bericht zu bringen. Also mach ich mich ans Thema und seh´ mir erstmal die Autorenliste des Buchs an. Drei Autoren für ein Buch – aber welche. Kein Invest- mentbanker oder Uniprofessor. Ein Pfarrer, den man auch aus den Medien kennt, prägnant seine Stimme, der rheinische Akzent und die teils deftige Argumen- tation. Ein Politiker, der als SPD-Mann im Landtag sitzt. Ein Journalist und Redenschreiber von Spitzen- managern. Welch Kombination, was hat den Leser da zu erwarten, wie gehe ich das Thema einer Rezension denn an? Also lese ich mal in dem Buch, suche den Anpackpunkt, die kritischen Stellen, die rheinischen Besonderheiten, die Spannung oder die Langeweile. Immer mit den Ge- danken im Hinterkopf, wie schreib ich denn darüber Pfarrer franz Meurer und wie fang ich´s denn an. Ganz ehrlich, zu Beginn ist ein kleiner Widerstand in mir, Skepsis und Misstrauen. Wie sachlich, fachlich oder politisch sind die Zeilen, die mich erwarten, wie erhellend die Kapitel über die rheinische Art der Wirt- schaft. Schon die Einleitung aber beginnt so gefällig, mit so viel Schreibfreude, mit einer erkennbar rheinischen In- telligenz, dass es plötzlich statt Widerstand das Gefühl der Neugier in mir gibt. Es macht Freude und es ent- stehen Bilder im Kopf. Plötzlich muss ich nicht mehr dieses Buch lesen – ich will es lesen. Ich will wissen, was die drei rheinischen Autorentypen mir denn er- Politiker Jochen ott zählen wollen. Und dann denk ich, ganz wie der Rheinländer nun mal so denkt, wenn er vor einer wichtigen Aufgabe steht: „ Et es wie et es“. Die beste Beschreibung des Buchs über den rheini- schen Kapitalismus ist das Buch über den rheinischen Kapitalismus. Das Vorwort hat mich so gepackt, besser kann ich das Buch nicht beschreiben. Und eine objek- tivere Vorlage für unsere Leser kann es nicht geben, als direkt in den Text reinzuschnuppern. „Et kütt wie et kütt“ – meine Rezension soll das Vor- wort selber sein, bitte ... Autor Peter Sprong Seite 11 SENATE
Wirtschaftswelt Der rheinische Kapitalismus als ein „dritter Weg“ Das Vorwort des Buchs Wir werfen die Leinen los: Drei Mann in einem Auch Jochen Ott (39) kann nicht bis Basel bleiben. Boot. Raus geht’s aus dem Kölner Yachthafen, Der gebürtige Kölner, dreifache Familienvater und gleich danach drehen wir stromaufwärts. Ein betag- Oberstudienrat a.D. engagiert sich schon seit über tes Motorboot, gebaut vor 80 Jahren in Rotterdam, zwei Jahrzehnten in der Politik. arbeitet sich den Rhein hinauf. Wer zu den Quel- len will, muss gegen den Strom fahren. Das ist hier Seit 2001 ist er Vorsitzender der SPD in Köln ganz zu wörtlich zu nehmen. und hat ihre Erneuerung vorangebracht, nachdem Allerdings: Bei einer Geschwindigkeit von maximal sie sich durch falschen Klüngel und Korruption bei- sieben Kilometern pro Stunde wären wir da ziem- nah selbst zerstört hätte. Zugleich unterhält Jochen lich lange unterwegs. Rund 1.000 Kilometer legt Ott beste Beziehungen rheinabwärts nach Düs- der Rhein, Europas längste Schifffahrtsstraße, von seldorf. Dort führt er seit 2008 stellvertretend die Konstanz bis Rotterdam zurück und bis zu seinen NRW-SPD und seit 2012 auch die SPD-Fraktion Quellen in den Schweizer Alpen könnten wir oh- im Landtag und streitet von dort aus für mindestens nehin nicht vordringen. Aber immerhin bis Basel drei seiner Herzensthemen: den geförderten Woh- könnten wir kommen. Das wären noch genau 521 nungsbau im Rahmen einer stabilen Quartiersent- Kilometer, also rund 75 Stunden oder mehr als drei wicklung, die Instandsetzung von Brücken und Tage bei ununterbrochener Fahrt. Straßen sowie die kommunale Selbstverwaltung. Keiner von uns hat so viel Zeit: Auf Pfarrer Franz Peter Sprong ist der einzige, der bis Basel an Bord Meurer (62) wartet die Gemeinde St. Elisabeth und bleiben könnte, denn das Oldtimer-Boot ist oh- St. Theodor, gelegen im rechtsrheinischen Kölner nehin sein Arbeitsplatz. Als hauptberuflicher Re- Stadtteil Höhenberg-Vingst – einem Viertel, das denschreiber und freier Autor hat der 47-Jährige man früher als sozialen Brennpunkt bezeichnet vor fünf Jahren das Büro an Land gegen die schwim- hätte. Heute nennen es die Bewohner selbst lie- mende Schreibstube eingetauscht. Gemeinsam mit ber „Viertel mit Erneuerungsbedarf “. Den Total- zwei Mitarbeitern versorgt er von Bord aus Männer absturz kann Pfarrer Meurer dort zusammen mit und Frauen der Wirtschaft mit Redemanuskripten, vielen engagierten Helfern und Unterstützern aus denn Vorstände und Verbandspräsidenten können Gesellschaft und Politik seit Jahrzehnten erfolg- nicht alles selbst schreiben. Deshalb begleitet er sie reich verhindern. nicht nur redaktionell, sondern auch als Berater und Coach auf ihrem oft risikoreichen Weg ans Redner- Der „Alternative Ehrenbürger“ der Stadt Köln pult. Von ihnen hat der studierte Historiker und stemmt die Herkules-Aufgabe mit kircheneige- Literaturwissenschaftler gelernt, „wie Wirtschaft ner Kleiderkammer, selbstorganisierter, ökumeni- geht“, und dass Geld nicht zwangsläufig der Feind scher Ferienfreizeit vor der Haustür und selbstge- des Guten ist. Der Unternehmensberater, der Poli- machter Arbeitsagentur, die auch Schulabbrecher tiker und der Pfarrer: Da sitzen Wirtschaft, Politik und Hauptschüler in Ausbildungen oder Jobs ver- und Gesellschaft in einem Boot. mittelt. Zwischendurch tingelt der „Ghetto-Predi- Ein Bild, das mittlerweile sogar im konsensverlieb- ger“ durch die TV-Talks der Republik und wirbt für ten Köln selten geworden ist. Auch in der restlichen Unterstützung. Republik sind Wirtschaft, Politik und Gesellschaft SENATE Seite 12
WirTSchAfTSWElT meist weit davon entfernt, das gemeinsame Schiff als Team zu steuern, es sicher durch die Wogen der Zeit und gemeinsamen Zielen entgegen zu führen. Das war doch mal anders! Wo ist die vielgerühmte Integrationskraft des Rhei- nischen Kapitalismus geblieben? Also jener für Deutschland typischen Spielart der Marktwirt- schaft, in der soziale Ansprüche und die Freiheitsbe- dürfnisse des Marktes miteinander zum Ausgleich kommen; wo Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bei allem Streit über Details sich doch immer be- wusst sind, dass sie im selben Boot sitzen? Wie rhei- nisch kann und soll der Kapitalismus im 21. Jahr- hundert noch sein? Um das herauszufinden, sind die drei Autoren im Kölner Oldtimer-Boot zwar nicht bis nach Basel gefahren. Die Idee, es doch zu tun, gefiel ihnen allerdings so gut, dass sie zumindest in Gedanken auf die Rei- se und auf Spurensuche gegangen sind: Über 800 einem jeweils subjektiven Standpunkt aus unter kurvenreiche Rhein-Kilometer von Basel nach die Lupe. Persönliche Fußnoten und launige An- Rotterdam haben sie der Antwort auf diese Fragen merkungen der Autoren ergänzen hier und da den näher gebracht. Dabei waren nicht alle Nebenflüsse Lauftext, um deutlich zu machen: Auch wer im und Windungen der wechselvollen Geschichte von selben Boot sitzt, muss nicht immer einer Meinung Interesse, die der Rheinische Kapitalismus bis heute sein. Darüber hinaus präsentiert das Buch zahlrei- hinter sich gebracht hat. Wichtiger war die Welt, che Beispiele aus dem ganz alltäglichen Leben, die die direkt vor der eigenen Haustür beginnt, dort veranschaulichen, was der Rheinische Kapitalis- aber nicht endet. mus als ein „dritter Weg“ in der Praxis leisten kann Die Fragen von Reichtum und Armut, von Wachs- – auch wenn dieser Weg nicht immer neu, sondern tum und Versorgung, von Gestaltung und Teilha- im Gegenteil wohlbekannt ist. be – das alles ist in Köln-Vingst so aktuell wie in Doch ganz gleich, von wo man schaut: Es sieht den Favelas von Rio de Janeiro, im deutschen DAX- ganz so aus, als müsste die Welt „rheinischer“ wer- Unternehmen ebenso wie beim US-Multi, im Stadt- den, wenn sie besser werden soll. rat genauso wie bei den Vereinten Nationen. Rheinischer Kapitalismus Nach einer Zeitreise durch Theorie und Praxis des Franz Meurer, Jochen Ott, Peter Sprong Rheinischen Kapitalismus nimmt dieses Buch des- Eine Streitschrift für mehr Gerechtigkeit halb in drei Kapiteln die politische, die wirtschaft- Greven Verlag Köln liche und die soziale Situation in Deutschland von 978-3-7743-0631-8 Seite 13 SENATE
WirTSchAfTSWElT Moralisches Missverständnis: „dafür bin ich nicht zuständig“ Von ulf d. Posé ,,Da sind die Kollegen zuständig. Ich versuche, Sie zu verbinden.“ Ein Knacken, Wartemelodie, Besetzt- zeichen, aus. Dergleichen hat sicher jeder schon ein- mal erlebt, der mit einem Unternehmen oder einer Behörde telefonieren wollte. Selbst wenn das Wort Service groß auf der Homepage steht, fühlt sich längst nicht jeder Mitarbeiter gleichermaßen für den Kunden verantwortlich, schon gar nicht, wenn die Anfrage nicht in die eigene Zuständigkeit fällt. Für den Kunden ist das ärgerlich, aber Hand aufs Herz: Wer macht schon gerne Arbeit, für die man nicht bezahlt wird? Haben Sie sich nicht viel- leicht auch schon mal damit begnügt, eine Anfrage einfach an die zuständige Abteilung weiterzuleiten? Und warum auch nicht, man hat ja selbst genug zu tun. Das ist zwar technisch gesehen richtig, verant- wortlich ist es nicht. Denn Verantwortlichkeit geht über die eigene Zuständigkeit hinaus. Dafür genügt es nicht, an die nominell zugeord- nete Stelle zu verweisen und sich um alles Weitere nicht zu scheren. Das Mindeste wäre es, sicher- zustellen, dass der Kunde mit seinem Anliegen auch ankommt, oder einen Rückruf zu organisie- ren, auch wenn das eine Mehrarbeit bedeutet, für die man streng genommen nicht bezahlt wird. Aber für Kundenzufriedenheit ist jeder verantwortlich, nicht nur diejenigen, deren Job „Kundenbetreuung“ heißt. Das ist der Unterschied zwischen einem blo- ßen Tätigkeitsprofil, das festlegt, was jemand zu tun hat, und einer Funktionsbeschreibung, die besagt, welche Ziele man erreichen soll und was man tun muss, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Es sind also vor allem die Ergebnisse, für die wir ver- antwortlich sind, nicht die Ausführung bestimmter Tätigkeiten. SENATE Seite 14
Wirtschaftswelt Verantwortung endet nicht bei der Zuständigkeit Genau hier liegt aber das Problem: Statt uns unse- rer Verantwortung zu stellen, verstecken wir uns nur zu gerne hinter unseren Tätigkeiten und entschul- digen fehlende Ergebnisse mit der Aufzählung von Maßnahmen, die leider nicht zum gewünschten Er- gebnis geführt haben. Manchmal geht das so weit, dass Menschen ihre Ziele ändern, nur weil ihre Maßnahmen nicht er- folgreich sind, anstatt die Maßnahmen so zu än- dern, dass das gewünschte Ergebnis doch noch er- reicht werden kann. Dass Verantwortung bei der Zuständigkeit nicht aufhört, gilt übrigens nicht nur für Kleinigkeiten wie einen verirrten Anruf, sondern bei allem. Denn es gibt so etwas wie eine Gesamtverantwortung: nicht nur für den eigenen Erfolg, sondern auch für den der Mitarbeiter, der Kollegen und Vorgesetz- ten. Wie sonst könnte wohl erfolgreiche Teamarbeit nicht teilbar, wer verantwortet, entscheidet, und wer gelingen? Übergreifende Verantwortung gilt insbe- entscheidet, verantwortet. Allzu gerne versuchen sondere bei Führungsaufgaben, die immer auch die wir zwar, die Verantwortung abzuwälzen, auf die gesamte Organisation betreffen. Wer seine Verant- Umstände, den Chef, die Märkte, die Kunden, den wortung ernst nimmt, kann Fehlverhalten ande- Herrgott. Aber in was für einer Welt würden wir le- rer Mitarbeiter oder Abteilungen nicht schulter- ben, wenn wir uns unserer Verantwortung nicht stel- zuckend hinnehmen oder bei einem Schaden, den len? Wenn wir alle uns ausschließlich auf das zu- sein Unternehmen verursacht hat, einfach sagen: rückziehen, wofür wir meinen, zuständig zu sein? Betrifft mich nicht. Verantwortlichkeit heißt, sich Missstände würden Missstände bleiben, geht uns ja um Dinge zu kümmern, nach dem Motto: „Ich bin nichts an. Lassen Sie uns also Verantwortung zeigen, zwar nicht zuständig, aber es geht mich trotzdem auch dann noch, wenn wir nicht ausdrücklich zustän- etwas an.“ dig sind. Das macht uns zu wertvollen Partnern unse- In der Management-Literatur heißt es manchmal: rer Kunden, Lieferanten, Vorgesetzten. Man delegiert Aufgaben, nicht die Verantwortung. Wer aber entscheiden darf, ohne Verantwortung Ulf D. Posé zu übernehmen, wird schnell zur Gefahr. Und Experte für Wirtschaftsethik wer verantworten soll, was er nicht entschieden und Unternehmenskultur hat, gerät selbst in höchste Not. Verantwortung ist Erschienen in: Der ethische Kompass Seite 15 SENATE
Wirtschaftswelt Akademie des Senats Zur Vertrauenskultur in Wirtschaft und Gesellschaft Ministerpräsident a.D. Dr. Jürgen Rüttgers, Ethikle- lungsideen für die eigenen Unternehmen erkannt. gende Prof. Dr. Rupert Ley und UN-Sonderbeauf- Ein Senator erklärte, direkt in diesen Tagen bei ei- tragter Prof. Dr. Leisinger. Unternehmer sind die be- ner Vorstandsklausur Impulse zur Umsetzung ein- wussten Gestalter dieser Welt, in der sie auch leben zuleiten. und die sie für ihre Nachkommen sichern wollen. Prof. Dr. Rupert Lay ist Jesuitenpater und Wissen- Mit dieser Vorgabe ist ein Auftrag verbunden, Wer- schaftler, der als „moralische“ Instanz gilt und die te zu setzen und in eine plausible, Vertrauen erzeu- nachmoderne Ethik der Biophilie geschaffen hat. Er gende Form zu gießen. begleitete Hunderte von Managerinnen und Mana- Daher folgt aus gern jahrzehntelang als Berater. dem Unterneh- Dr. Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident und Bundes- mertum selbst die minister a.D., der sehr praktisch die Notwendigkeit ethische Vorgabe einer Vertrauenskultur auf höchster Ebene und un- für eine Vertrau- ter anspruchsvollsten Bedingungen erfahren hat. Er enskultur. gilt als der Vordenker vieler wichtiger Gesetze und Vertrauen erleich- politischer Gestaltungen. tert Interaktionen Prof. Dr. Dr. Klaus M. Leisinger, Präsident der Stif- mit anderen, hilft, tung „Global Values Alliance“, Professor für Business neue Chancen zu Ethics und Corporate Responsibility (Universität nutzen, um Ent- Basel), früherer Sonderberater des UN-Generalse- scheidungen aus- kretärs und heute Senior Advisor der Vereinten Na- gewogen und sitt- tionen für den Global Compact. lich verantwortet Norbert Reithmann, erfahrener Unternehmensma- vorbereiten und nager und Gründer des ENR Social Projects. durchführen zu Das Konzept dieses Exzellenzseminars wurde durch können. Ulf D. Posé, der gemeinsam mit Dr. Christoph Brüs- Vertrauen hilft, sich selbst und einem Unternehmen sel die Akademie des Senats der Wirtschaft leitet, eine Identität und damit Sinn zu geben. entwickelt. Selber war er auch einer der wichtigen Das waren die Grundannahmen des Seminars. Referenten und führte die Diskussionen. Die Referenten begeisterten die Teilnehmer aus Das Programm wurde unterstützt durch die ge- dem Senat. Teilweise wurden auch konkrete Hand- meinnützige Karl-Schlecht-Stiftung. Wir sitzen alle in einem Boot – Werte in der Mitarbeiterführung „ … wenn man von anderen hört, dass es die glei- lichen Effekt durch Respekt, Verantwortung und chen Probleme im Management gibt, dann kann das Anerkennung gegenüber Mitarbeitern durch Ulf D. schon helfen“ – Posé vorgestellt. „ … es sind schon spannende Anregungen, an die Vertrauen und Respekt wurden als zeitgemäßes Ma- ich so auch nicht gedacht hatte“ – nagementinstrument erörtert. Der Unternehmer „ … der persönliche Einblick in ganz praktische Bei- Frank Breckwoldt schilderte aus eigener Erfahrung, spiele und Erlebnisse im Unternehmen … “ wie Hochleistung und Menschlichkeit als Heraus- forderung an Führungskräfte zusammengeführt Als spannend und zielorientiert wurde das Exzellenz- werden sollten. seminar zur werteorientierten Mitarbeiterführung Dr. Christoph Brüssel zeigte unter der These: Weni- kommentiert. Die Akademie des Senats hatte einen ger Stress für Chefs durch Kenntnis der natürlichen kleinen Kreis auf ein Boot nach Friesland eingeladen Instruktionen der Mitarbeiter die Wirkungen des und an zwei Tagen konzentriert, aber sehr praxisnah Limbischen Systems. über Vertrauenswerte, Verantwortung, Verlässlichkeit Die Erkenntnisse der Neurologie über Dominanz, und Menschlichkeit im Unternehmen gesprochen. Stimulanz und Balance der Menschen als sinnvolles Dabei wurden Erkenntnisse zum betriebswirtschaft- Instrument einer Mitarbeiterführung. SENATE Seite 16
Es gilt, den technischen Fortschritt ganz gezielt zum instrument für den humanen fortschritt zu machen. Hans-Dietrich Genscher Ehrensenator des Senats der Wirtschaft Für Nachhaltigkeit und eine Ökosoziale Marktwirtschaft www.zim-flugsitz.de www.messe-muenchen.de www.novero.com www.schiedel.de www.sonotronic.com www.sparkasse-koelnbonn.de www.dbnetz.de www.resmed.de www.schmittergroup.de Eine Initiative des Senats der Wirtschaft
WirTSchAfTSWElT crew aus Senatoren bereit zum Ablegen Werte in der Mitarbeiterführung als Seminar in einem Boot auf der fahrt durch die kanäle frieslands SENATE Seite 18
WirTSchAfTSWElT Exzellenzseminare der Akademie sind immer Erfahrung und Erlebnis Seite 19 SENATE
PoliTik uNd PArlAMENT die neue Generation sucht nach neuem Gehör Junge Abgeordnete der regierungspartei cdu rufen nach einer Agenda 2020 Es ist unser Land! Von Jens Spahn MdB Der Realismus der Krisenabwehr und die Wer die aktuellen innenpolitischen Debatten ver- erforderlichen Entscheidungen in akuten folgt, kann leicht das Gefühl bekommen, dass es Situationen haben die CDU-Kanzlerin bei eigentlich nur noch darum geht, wie wir unseren den Deutschen zu einem hohen Sicherheits- Wohlstand verteilen. Auch im zurückliegenden Europawahlkampf war es schwer, unterschiedliche faktor werden lassen. So stark ist das Gefühl, Vorstellungen für die gemeinsame Europäische dass die Partei CDU schon mehrfach als Union zu erkennen. Wahlkampfargumente voll auf das „Pro- gramm Merkel“, also die Person als In- Während am Rande Europas die Nachwirkungen des Kalten Krieges deutlich zu sehen sind und Ge- haltsschwerpunkt gesetzt hat. Das hat auch sellschaften um ihre Identität ringen, kann man im funktioniert, denn die Deutschen wissen, bevölkerungsreichsten Land der EU den Eindruck was sie an Merkel haben. Einigen, gerade bekommen: Es geht um nichts mehr. Wir leben in jüngeren Profipolitikern in der Union reicht Frieden, Freiheit und Wohlstand, sind eine der be- liebtesten Nationen der Welt und mittlerweile nach das aber längst nicht mehr aus. Für die Jun- den USA das zweitgefragteste Einwanderungsland gen ist die Zukunftsfrage eben nicht durch der Welt. Was wollen wir noch mehr? das Tagesgeschäft oder eine einzelne Person zu lösen. Die Forderung nach einer Agenda Jahrzehntelang galt in Deutschland: „Unsere Kin- der sollen es einmal besser haben als wir.“ Dieses 2020 wird erhoben, keine Revolution, kein Aufstiegsversprechen war für die Generationen Umsturz – aber ein weiterer Ansatz, die nach dem Krieg die Motivation, sich einzubringen GROKO-Gleichschrittmaschine in Wallun- und sich zu engagieren. Dadurch wurde der Grund- gen bringen zu wollen. stein für das Deutschland von heute gelegt. Was wir brauchen, ist ein neues Aufstiegsversprechen für das 21. Jahrhundert, das dem Einzelnen als Motivation Der wohl prominenteste Vertreter dieser dient und gleichzeitig die Gesellschaft als Ganzes Gruppe agiler MdBs in der Union ist Jens hinter diesem Ziel eint. Spahn. Bekannt durch zahlreiche TV-State- Die Auseinandersetzungen über Zukunftsprojekte ments und mutige Auftritte, wenn es nicht – Stuttgart 21, Bau von Überlandleitungen für die immer im Gleichschritt lief. Er schreibt Energiewende oder zuletzt die Volksabstimmung exklusiv in SENATE zu den Denkansätzen über die Bebauung des Tempelhofer Feldes in Berlin und Ideen dieser Agenda 2020. – zeigen, dass die Zahl derer, die lautstark den Sta- tus quo verteidigen, deutlich zunimmt und sich zur scheinbaren Mehrheit formt. Wichtige Teile unserer Industrie investieren seit einigen Jahren weniger, als sie abschreiben, das ist eine schleichende Deindust- SENATE Seite 20
Politik und Parlament rialisierung. Auch der Bundeshaushalt spricht leider die gleiche Sprache: Wir geben bereits heute über die Hälfte des Budgets für soziale Aufgaben aus, mit dem kürzlich im Bundestag beschlossenen Renten- paket dürfte sich dieser Anteil noch erhöhen. Die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Mehrausgaben für Bildung und Forschung sind zwar der richti- ge Weg, aber bei Weitem noch nicht ausreichend. Auch der Zustand der Infrastruktur lässt mehr als zu wünschen übrig, der Investitionsbedarf wächst stetig. Hinzu kommt die Herausforderung des demogra- fischen Wandels, der unsere Gesellschaft, unseren Alltag, unsere Arbeit, unser alltägliches Zusammen- leben stärker verändern wird, als wir heute glauben. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir alle im- mer älter werden und die Lebenserwartung täglich steigt. Das darf aber nicht zulasten der Zukunftsfä- higkeit unseres Landes gehen. anstrengen, innovativ sind und Arbeit schaffen, aber gleichzeitig auch ein Land, in dem die Erfolgreichen Deutschland ist ein großartiges Land und heute die die Schwachen nicht hängen lassen. wirtschaftliche Lokomotive Europas. Die Aussicht für junge Menschen auf einen Job steht aufgrund Dafür lohnt sich jedes Engagement. Wir als Initia- des Fachkräftemangels und des demografischen toren von CDU 2017 glauben fest daran, dass wir Wandels so gut wie nie infrage. Und das Alter mit bereits heute in einer Phase der Stärke Strukturen einer für diese Generation erwartbar geringeren und Abläufe verändern müssen, damit dieses Bild Absicherung beispielsweise in der Rente ist noch von Deutschland wahr werden kann. Wer sich weit weg. Es gibt kaum ein Land auf der Welt, des- an die fünf Millionen Arbeitslose von 2004, die sen Jugend sich in dieser relativen Sicherheit sonnen schmerzhaften Einschnitte der Agenda 2010 und könnte. die damit verbundenen Unsicherheiten erinnert, wird alles tun, damit Deutschland nicht erst wieder Und genau darum geht es: Auch in zehn oder 20 in eine solche Situation kommen muss, damit sich Jahren soll es Deutschland noch so gut gehen wie Dinge ändern. Deshalb ist eine Agenda 2020 auch heute, soll es sich lohnen, kreativ zu sein und persön- kein Radikalreformpaket, sondern eine Kurskorrek- liche und berufliche Chancen zu nutzen. Deutsch- tur in zentralen Politikfeldern, um den Blick von land soll ein Land sein von möglichst großer per- der Vergangenheit und Gegenwart in die Zukunft sönlicher Freiheit, das diejenigen belohnt, die sich zu lenken. Seite 21 SENATE
Politik und Parlament Die Wahrheit ist, Pflege wird teurer Sozialsysteme müssen auch künftigen Gene- ten zu beseitigen, die durch die kalte Progression rationen Sicherheit bieten verursacht werden. Es darf nicht sein, dass bei jeder kleinen Lohnerhöhung nicht der Arbeitnehmer, Im Jahr 1991 kamen auf einen Rentner noch vier sondern der Staat der wahre Profiteur ist. „Wer Arbeitnehmer. Während es im Jahr 2008 noch drei mehr leistet, soll auch mehr haben“ – sorgen wir Arbeitnehmer waren, werden im Jahr 2030 weniger dafür, dass dieser Satz wieder zur Realität wird. als zwei Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen für einen Rentner aufkommen. Fakt ist, dass die heute ohne- Mammut-Thema Pflege hin schon stark belastete junge Generation so noch mehr und – das macht mir am meisten Sorgen – Im Jahr 2050 werden über 5,5 Millionen Men- weit über ihre Möglichkeiten hinaus ein teures Erbe schen über 85 Jahre alt sein. Heute sind es ca. zwei aufgezwungen bekommt. Millionen Menschen und bereits verfügen wir über zu wenig Pflegekräfte und blicken auf die Heraus- Meine Erfahrung ist, dass es viele Menschen gar forderung einer nicht ausreichenden finanziellen nicht so sehr umtreibt, ob sie ab 63 Jahren in Rente Ausstattung der Pflegeversicherung. Wir stellen gehen können. Die meisten Arbeitnehmer über 50 uns dieser Herausforderung und werden deshalb interessiert vielmehr, ob und wie sie ihren Renten- innerhalb der Pflegeversicherung für diese Zeit eintritt flexibler gestalten können. Den Einstieg in vorsorgen, indem wir jährlich eine Milliarde Euro die Flexi-Rente haben wir geschafft. Diesen Weg in einen Vorsorgefonds legen. Dieser Kapitalstock müssen wir jetzt konsequent weitergehen. Heute muss zweckgebunden sein und dauerhaft vor einer haben wir viel zu starre Altersgrenzen, die weder der nicht vorgesehenen Verwendung geschützt werden. Arbeitgeberseite noch der Arbeitnehmerseite wirk- So werden enorme Beitragssteigerungen in den lich attraktiv erscheinen können. Hier muss es zu ei- kommenden Jahren verhindert und zugleich wird nem Paradigmenwechsel kommen. Es muss ebenso sichergestellt, dass künftige Generationen nicht möglich sein, eine Beschäftigung bei Überschreiten überfordert werden. der Regelaltersgrenze zu befristen, wie es auch mög- lich sein muss, ein solches Beschäftigungsverhältnis Die Wahrheit ist also: Pflege wird teurer. Mit der Er- von Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträ- höhung des Beitrages zur Pflegeversicherung um 0,5 gen zu befreien. Prozent muss aber auch zugleich klar gemacht wer- den, welche Leistungen wir ausbauen wollen und Stellen wir uns der Verantwortung! welche Verbesserungen wir uns davon erhoffen. Wenn wir im Jahr 2015 einen ausgeglichenen Bun- Viele Länder der Welt beneiden uns für unser gutes deshaushalt erreicht haben, darf das nicht die Aus- Gesundheitssystem. Es ist geprägt von Transparenz, nahme sein. Es muss zur Regel werden! Deutsch- Qualität und Wettbewerb. Während in den USA land hat ein rekordverdächtiges Steueraufkommen. derzeit noch um eine flächendeckende und gerechte Es muss also möglich sein, zu versprechen, dass es Absicherung für den Krankheitsfall gerungen wird, absehbar keine neuen Steuern gibt. Vielmehr noch sind wir ein Vorbild für die anderen. Sorgen wir also müssen wir es uns im Laufe dieser Legislaturperio- heute schon dafür, dass wir auch in Zukunft noch de zum festen Vorsatz machen, die Ungerechtigkei- diese Vorreiterrolle einnehmen. SENATE Seite 22
PoliTik uNd PArlAMENT Für eine Renaissance der Industriepolitik Deutschland ist ein Industrieland. Weltweit werden wir um unseren starken industriellen Mittelstand beneidet. Wir müssen endlich wieder die wichtigste Voraussetzung für Investition schaffen: Planbarkeit. Schon die Stichworte EEG-Umlage oder Daten- schutz machen da deutlich, wo die Probleme liegen. Deutschland muss ein Musterland der Industrie 4.0 werden, dem völlig neu gedachten Zusammenspiel von Mensch, Maschine und Technik. Wir müssen Gründer unterstützen und in Deutschland eine Start-up-Kultur etablieren, die mit anderen erfolg- reichen Regionen in der Welt mithalten kann. Durch eine Änderung der Anlageregeln sollten Le- bensversicherer und Pensionsfonds bis zu ein Pro- zent ihrer Anlagen in Start-ups investieren dürfen. Das setzt Milliarden für gute Ideen frei. Darüber hinaus müssen wir die Digitalisierung noch mutiger und konsequenter vorantreiben. Die nötige Infra- struktur – Breitband und WLAN in Städten – ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern in vielen ande- ren Ländern bereits Alltag. Die CDU als Volkspartei im Wandel Die CDU hat es in ihrer Geschichte immer verstan- den, als Partei mit der Werte- und Wirtschaftskom- petenz die richtigen Impulse zu setzen. Gerade bei den jungen Menschen konnten wir bei der Bundes- tagswahl und bei den U18-Wahlen im Vorfeld der Europawahl enorm punkten. Sie dürfen wir nicht enttäuschen, in dem wir lediglich das Heute verwal- ten. Es ist unsere Pflicht, Ideen für die Zukunft zu entwerfen, an denen man sich orientieren kann und an deren Umsetzung man mitwirken will. Dann werden wir zurecht erfolgreich bleiben – als Land und als Volkspartei. Packen wir es gemeinsam an! Seite 23 SENATE
Politik und Parlament Weltweit gibt es mehr Ideen als Probleme Die Westerwelle Stiftung mit hohen Zielen Von Hans-Jürgen Beerfeltz Der ehemalige Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz Unsere vier Werte: Demokratie und Marktwirt- ist heute Generalsekretär der Westerwelle Foundation schaft, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz – Stiftung für internationale Verständigung. Er schil- dert in einem Gastbeitrag die Idee, die Aufgaben und Auf diesem Werte-Quartett beruhen auch die Bio- die konkrete Umsetzung. grafien unserer beiden Gründer, Dr. Guido Wes- terwelle und Ralph Dommermuth als deutscher „Als neue und einzige Stiftung in Deutschland Erfolgsunternehmer im Internet. Demokratische wollen wir weltweit mittelständische Strukturen Vielfalt und marktwirtschaftlicher Erfolg sind für fördern. In wichtigen Um- und Aufbruchländern uns zwei Seiten derselben Medaille. Freilich gibt es der Erde sehen wir genau darin die große Chance, zeitweilig Marktwirtschaft an manchen Orten auch mit mehr Mittelstand auch für mehr Demokratie, ohne Demokratie, aber niemals stabile Demokratie Rechtsstaat und Toleranz zu sorgen. Zu unseren ohne marktwirtschaftliche Strukturen. Maßnahmen dafür gehören Stipendien für Ta- lente aus Chancenländern für Lernaufenthalte in Wir stärken Demokratie, indem wir wirtschaftli- Deutschland ebenso wie die Förderung von Start- che Entwicklung fördern. Mittelstand und Mittel- ups, die Durchführung internationaler Konferenzen schicht stehen für uns im Mittelpunkt, um Länder rund um das Thema „Entrepreneurship Education“ zugleich erfolgreicher und demokratischer zu ma- ebenso wie die Organisation von Reisen mit deut- chen. Wir verstehen uns als Plattform, um Mittel- schen Mittelständlern. stand als Wirtschaftsform und als Gesellschaftsmo- dell zu verbreiten. Deshalb fördern wir zum Beispiel in Tunesien berufliche Bildung und Existenzgrün- dungen. Wir wollen internationale Partnerschaften zwi- schen Politik und Wirtschaft stiften, zwischen Re- gierungen und Zivilgesellschaften. Wir knüpfen neue Verbindungen – weltweit. Wir stiften grenz- überschreitende Partnerschaften zwischen jungen Start-ups in Um- und Aufbruchländern und erfah- renen deutschen Unternehmen, zum Beispiel durch Förderung des filmwirtschaftlichen Ausbaus der Filmhochschule von Volker Schlöndorff in Ruanda in Verbindung mit dem Europäischen Filmzentrum in Babelsberg. Wir vernetzen neue Ideen in der Globalisierung miteinander und schaffen Raum für Begegnung und Innovation. Wir machen aus Umbruch Auf- bruch, aus Konflikt Konsens und aus Gegeneinan- SENATE Seite 24
Politik und Parlament der Miteinander, zum Beispiel durch Konferenzen wie jetzt gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung auf Mallorca zu Jugendarbeitslosigkeit rund ums Mittelmeer sowie zu beruflicher Bildung und neuen Wegen in berufliche Selbstständigkeit von jungen Menschen. Vor allem wollen wir Impulse für praktische Verbes- serungen geben. Deshalb möchten wir bei Stipen- reichen Ländern unserer Erde, wo wir mit unseren dien nicht nur den Studienaufenthalt von Talenten Maßnahmen einen Unterschied auf dem weiteren in Deutschland finanzieren, sondern das immer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Weg dieser mit möglichst längeren Praktika in deutschen mit- Staaten machen können. Wir wollen wie ein „in- telständischen Firmen verbinden. Wir wollen du- ternationales Institut“ des deutschen Mittelstandes ales Lernen fördern. Es steigert eben leider nicht unseren Beitrag dazu leisten. die Wertschöpfung in Entwicklungsländern, wenn immer mehr akademisch ausgebildete junge Leute Uns reicht es nicht, vor Risiken zu warnen und Miss- wunderbar über Probleme diskutieren können, aber stände zu beklagen. Wir wollen Ideen für Lösungen keiner mehr einen Nagel gerade in die Wand schla- beisteuern. Wir haben deshalb über Erkenntnisse gen kann. und Dialog hinaus immer auch praktische Ziele und konkrete Verbesserungen im Blick. Natürlich wollen wir Plattform sein für den Aus- tausch von Ideen und Kontakten sowie Brücken für Wir vertrauen darauf, dass es weltweit mehr Ideen die Nutzung der unterschiedlichsten Hilfestellun- als Probleme gibt und dass die Bereitschaft größer gen bauen. Dabei fördern wir mit unseren Mitteln ist, das Leben für viele zu verbessern, als schlechte auch Ideen, für die es woanders eher selten Mittel Zustände zu erdulden. Wir wissen, dass oft ein Im- gibt, zum Beispiel einen jungen Designer aus Afri- puls oder Anschub reicht, um aus bloßen Gedanken ka, dem wir hier bei der Berlin Fashion Week einen und Plänen wirkungsvolle Taten und Unterneh- Lernaufenthalt gemeinsam mit dem Modemessen- mungen werden zu lassen. veranstalter Premium ermöglichen. Auch hier geht es uns für den Lernerfolg ausdrücklich nicht um Wir sind uns bewusst, dass man nur verstärken kann, noch besseres Design, sondern um die kaufmänni- was im Kern schon da ist. Aber weil wir fest davon schen, technischen und insgesamt modewirtschaft- überzeugt sind, dass im Kern unzählige Aussichten lichen Aspekte einer sich selbst tragenden berufli- auf Veränderungen und Verbesserungen vorhan- chen Existenz. den sind, sehen wir es als unsere Verantwortung an, mehr faire Chancen für eine erfolgreiche Entwick- Eines unserer wichtigen Ziele ist: Wir machen selbst- lung durch mehr Mittelstand weltweit zu schaffen, ständig. Beruflich und individuell. Wirtschaftlich als sicherste und stabilste Voraussetzung für mehr und gesellschaftlich. Und das besonders in chancen- Freiheit und Verantwortung. Seite 25 SENATE
Wirtschaftswelt Die langen Wellen der Konjunktur Warum der Wohlstand von Sozialverhalten und Gesundheit abhängen wird Von Erik Händeler Finanz- und Wirtschaftskrisen wer- den nicht von finsteren Mächten Arbeit wird zu einer immateriellen auf den Finanzmärkten verursacht. Sie sind ganz normale Erscheinun- Gedankentätigkeit gen einer freien Marktwirtschaft, die sich in einem ungleichmäßi- gen Tempo wandelt. Nachdem der Denn Arbeit ist, Probleme zu lösen. Und weil wir Computer uns nun all die struk- Gott sei Dank immer Probleme haben werden, wird turierten Wissensarbeiten weitge- uns die bezahlte Arbeit niemals ausgehen. Sie wan- hend abgenommen hat, die er uns delt sich lediglich: Arbeit ist nicht mehr so sehr die abnehmen konnte, fehlen jetzt die materielle Welt direkt mit den Händen zu bearbei- Kosten senkenden Produktivi- ten – schrauben, fräsen, montieren haben uns die tätsfortschritte. Gewinne sinken, Roboter weitgehend abgenommen. Schulden können nicht mehr so In Zukunft ist Arbeit vor allem immateriell: Eine Si- leicht bedient werden. Es fehlt an tuation analysieren, Neues entwickeln, entscheiden, rentablen Investitionsmöglich- Information verständlich aufbereiten, in der gigan- keiten, deswegen sind die Zinsen tischen Wissensflut das Wissen finden und anwen- niedrig, das freie Geld fließt in die den, das man braucht, um ein Problem zu lösen. Spekulation und treibt die Vermö- genspreise. Es wird ungemütlich, Dabei geht es nicht mehr so sehr um Einzelleistun- bis es uns gelingt, die nächste Stufe gen wie früher, sondern um die Produktivität von des Wohlstandes zu erschließen. Gruppen, um deren Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Weil der Einzelne ein Fachgebiet immer weniger Die Finanz- und Schuldenkrise ist überblicken kann, sind wir zunehmend auf das daher ein Symptom eines zu Ende Wissen anderer angewiesen. Statt des gehorsamen, gegangenen Strukturzyklus, wie es austauschbaren Rädchens der alten Industriegesell- der Ökonom Nikolai Kondratieff schaft wird so jeder einzelne auf einmal zu einem un- (1892–1938) 1926 beschrieb, als verzichtbaren Spezialisten für einen Zwischenschritt er die Weltwirtschaftskrise vorher- in der Produktion oder für ein Wissensgebiet. Er ist sagte. auf einmal für die ganze Firma verantwortlich – zu- Ähnliches passierte 1873 beim mindest was sein Fachgebiet angeht. Seine tatsäch- Gründerkrach, nachdem die Eisen- liche Bedeutung ist nicht mehr von einer formalen bahnen zwischen den damaligen Hierarchie abhängig, sondern schwankend von der Gewerbezentren weitgehend gebaut waren, oder tagesaktuell geforderten Kompetenz. 1929 und in den Folgejahren, nachdem die Wirt- schaft weitgehend durchelektrifiziert war. Das verändert die Strukturen: Auf einmal müssen Da Finanzmärkte die Folge, aber nicht die Ursache auch die formal Gleichrangigen ihr Verhältnis un- der wirtschaftlichen Entwicklung sind, liegt die Lö- tereinander neu ordnen. Doch das wirklich Neue sung in der Realwirtschaft: Nach Kondratieff ent- ist nicht so sehr diese Strukturveränderung als viel- steht der Veränderungsdruck an den relativ knapps- mehr etwas Soziales: In einer globalisierten Wirt- ten Produktionsfaktoren. Den Weg aus der aktuell schaft sind Kapital, Wissen, Maschinen weltweit instabilen Lage der Weltwirtschaft ist in einem prä- für jeden verfügbar und austauschbar. Der einzige ventiven Gesundheitssystem und in einer besseren entscheidende Standortfaktor wird die Fähigkeit Arbeitskultur in den Unternehmen zu suchen – bei- der Menschen vor Ort, mit Information umzuge- des erhöht die Produktivität der Wissensarbeiter. hen. Umgang mit Wissen ist aber immer Umgang SENATE Seite 26
Wirtschaftswelt mit anderen Menschen, die wir unterschiedlich gut kennen, unterschiedlich gerne mögen und mit denen wir unterschiedlich viele berechtigte Interes- senskonflikte haben. Die nötige Teamarbeit erzeugt dabei ein vermeintliches Machtvakuum, weil nicht mehr klar zu sein scheint, wer das Sagen hat. Die für Informationsarbeit nötigen, flachen Organi- sationsstrukturen und projektbezogene Teamarbeit vervielfältigen die Schnittpunkte in den Unterneh- men und damit die Gründe für Interessenskollisi- onen und persönliche Spannungen, die nicht nur Zeit und Geld kosten, sondern auch die Beschäf- tigten krank machen. Meinungsverschiedenheiten arten zu Machtkämpfen aus, die bis zur Verrentung anhalten und den Informationsfluss unterbinden. Erik Händeler ist als Buchautor und Zukunftsfor- Unmengen an Energie verpuffen bei der Selbstbe- scher vor allem Spezialist für die Kondratiefftheo- hauptung. Der Krieg im Büro verursacht Produkti- rie der langen Strukturzyklen. Nach Tätigkeit als vitätsverluste, die jedes Jahr in die Milliarden gehen. Stadtredakteur in Ingolstadt studierte er in München Wer meint, daran werde sich nichts ändern, weil Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik. 1997 wurde der Mensch eben so sei, der verkennt die formende er freier Wirtschaftsjournalist, um die Konsequenzen Kraft des Marktes. der Kondratiefftheorie in die öffentliche Debatte zu bekommen. 2010 zeichnete ihn die russische Akade- Wer Informationsarbeit nicht ausreichend effizi- mie der Wissenschaften mit der Bronze-Medaille für ent löst, der bekommt in Zukunft vordergründig wirtschaftswissenschaftliches Arbeiten aus. ein „Kostenproblem“ – und wird vom Markt ver- schwinden. Unter diesem Veränderungsdruck bil- den sich neue Verhaltensmaßstäbe heraus. Sie haben weniger mit Fachkompetenz oder Organisation zu Erik Händeler, Die Geschichte der tun, sondern damit, wie weit das Verantwortungsge- Zukunft – Sozialverhalten heute fühl eines Menschen reicht und ob man ausreichend und der Wohlstand von morgen selbstbewusst ist, ohne Statussymbole und firmenöf- (Kondratieffs Globalsicht), Bren- fentliche Machtbeweise auszukommen. Hinter den dow-Verlag, 9. Auflage 2013, 478 Preisunterschieden gleicher Produkte verschiedener Seiten, 19,95 Euro. Firmen verbergen sich Produktivitätsunterschiede Nikolai Kondratieff / Erik Händeler – und das sind künftig in erster Linie Verhaltensun- (Hrsg.) terschiede. Die langen Wellen der Konjunktur. Nötig sind: Transparenz statt Kungelei, Versöh- Die Essays von Kondratieff aus den nungsbereitschaft statt ewiger Fehden, Authenti- Jahren 1926 und 1928, herausge- zität statt Blendung, Kompetenz statt Statusorien- geben und kommentiert von Erik tierung, Kooperationsfähigkeit statt Machtkämpfe, Händeler. langfristige Orientierung statt Kurzfristigkeit und Paperback, 160 Seiten, 9,95 Euro, eine Verantwortung, die über die eigene Karriere ISBN 978-3-943172-36-2. und die eigene Kostenstelle hinausgeht. Wird die www.neuearbeitskultur.de Welt vielleicht doch immer besser? www.erik-haendeler.de Seite 27 SENATE
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