It's a man's world? Expertinnen 01/2021 - LIST Gruppe
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Expertinnen Editorial Worum es geht. Diese Ausgabe versteht sich ausdrück- Die eigentliche Intention dieser Ausgabe lich NICHT als Beitrag zur aktuellen Gen- ist viel schlichter, pragmatischer: Wir sind der-Debatte. Das Terrain ist unübersichtlich darauf angewiesen, top ausgebildete, klu- und der Diskurs bisweilen widersprüchlich. ge und zupackende Menschen für unser Einerseits soll ja Geschlecht nur eine „sozi- Unternehmen zu gewinnen. Wenn jedoch ale Konstruktion“ sein – da fragt man sich, nur 30 Prozent davon derzeit Frauen sind, weshalb sich die Evolution überhaupt so ihr Anteil an der Bevölkerung aber bekann- viel Mühe gemacht hat, zwei Geschlechter termaßen viel höher liegt, dann ist das hervorzubringen. Andererseits hören und schlicht Ausdruck von Pragmatismus und lesen wir ständig, dass Frauen dieses oder unternehmerischer Weitsicht, sich darum jenes besser können als ihre männlichen zu bemühen, dieses „Reservoir“ besser zu Pendants, also eben gerade anders sind. erschließen. Oder anders ausgedrückt: Wir Ja was denn nun? müssen Frauen inspirieren und motivieren, ihre Talente und Fähigkeiten, ihr Wissen Die Debatte auf gesellschaftlicher Ebe- und Können in Unternehmen wie unseres ne auf die Unterschiede zwischen Män- einzubringen, um unseren Erfolg langfristig nern und Frauen zu verengen, geht dazu abzusichern. Hierbei ist es wichtig, Rah- oft an der sozialen Realität vorbei. Eine menbedingungen zu schaffen, die allen junge, gut ausgebildete Ingenieurin hat – Frauen wie Männern – die Möglichkeit wahrscheinlich mehr Gemeinsamkeiten zur Vereinbarung von Familie und berufli- mit ihren männlichen Kollegen als mit ih- cher Tätigkeit ermöglichen. Darum geht es. rer Geschlechtsgenossin, die seit Jahren Ganz un-ideologisch. Dienst im Supermarkt an der Kasse ver- sieht. Da stellen sich ganz andere soziale Gute Beispiele gibt es viele. und gesellschaftliche Fragen als die nach Weiblein oder Männlein. Ihr Gerhard List Foto a|w|sobott, Cover croisy- stock.adobe.com Liebe Leser:innen, im Dezember titelte die Immobilien Zeitung: „Das Frauenquötchen“ – und das mitten in unsere Diskussion dazu, ob das Thema „Frauen“ ein Ausgabenthema für die Bauwerk sein kann oder eben genau nicht. Für uns ein Glücksfall. Denn wir erkannten: Uns geht es überhaupt nicht um die Quotenfrau. Uns geht es um Expertinnen. 2|3
Expertinnen Inhalt S. 6 S. 48 So kanns gehen Im Gespräch OKAPI:Orbits hat eine Software entwi- Jenny Gesterkamp und Sandra Lengel- ckelt, die Zusammenstöße im Weltraum sen sind sich einig: Risiko gehört dazu. verhindert. S. 54 S. 12 Im Fokus Hinter den Kulissen Sabine Töpperwien war 30 Jahre lang Wie steht es eigentlich um unsere eine der wenigen Frauen unter den S. 62 eigene Frauenquote? Sportreporter:innen. S. 16 S. 56 Andere Blickwinkel Was geht? Wir versuchen es mit dem Doppelpunkt. Vanessa Jobst-Jürgens hat hinterfragt, was Arbeitnehmer:innen wirklich wollen. S. 18 Entdeckungsreise S. 62 Verena Mohaupt verantwortete die Im Gespräch Logistik einer Arktis-Expedition. Sabine Eckhardt ist aus der Medien- welt in die Immobilienwelt gewechselt. S. 24 Gastbeitrag von Prof. Dr. rer. pol. Astrid Szebel-Habig. S. 66 Schon gewusst? Weil sich Frauen emanzipieren, S. 18 S. 68 sprechen sie tiefer. S. 28 Schon gewusst? Bei den Mosuo in China sind die S. 68 Impressum Frauen das „starke“ Geschlecht. Hinter den Kulissen Herausgeber Einblick in die Planungspraxis im LIST AG Bestandsbau. Hagenstraße 41 S. 30 48529 Nordhorn Entdeckungsreise T +49 5921 8840-0 Eintauchen in die Welt guten Essens – S. 74 info@list-ag.de www.list-ag.de mit Antje de Vries. Genau hingeschaut Zahlen und Fakten über die Entwicklung Sitz der Gesellschaft von Frauen in Wirtschaft, Politik und Nordhorn S. 36 Bildung. AG Osnabrück HRB 207548 USt.-Id.-Nr. DE160541353 Standpunkte Natalie Bräuninger und Angela Rüter Vorstand S. 30 sind Netzwerk-Profis. S. 78 Dipl.-Ing. Gerhard List (Vorsitz) Dipl.-Kfm. Markus Figenser Nachgefragt Dipl.-Ing. Dirk Rehaag, MBA Nadine Lapczyna steht uns Rede S. 42 und Antwort. Vorsitzender des Aufsichtsrats Prof. Dr. Manfred Helmus Andere Blickwinkel Die Legende von Päpstin Johanna lebt Redaktion und Layout bis heute. Laura Raasch Inga Rahmsdorf Thore Vogelsang S. 44 Jens Hasekamp (V. i. S. d. P.) Genau hingeschaut LIST AG Die Gendermedizin stellt die geschlechts- Hagenstraße 41 48529 Nordhorn spezifischen Ungleichheiten in den Mittel- T +49 5921 8840-893 punkt. jens.hasekamp@list-ag.de Anzeige und Abo S. 6 Druck Druckerei J. F. Niemeyer GmbH & Co. KG laura.raasch@list-ag.de Hohlweg 6 T +49 5921 8840-75 49179 Ostercappeln Bauwerk 01 | 2021 4|5
Expertinnen So kanns gehen Unfallfrei im Weltall. Die Raumfahrtindustrie boomt. Doch je mehr Satelliten ins All geschickt werden, desto mehr Schrott hinterlassen sie auch im Weltraum. Damit wächst das Risiko für Kollisi- onen im All. Wir haben mit Kristina Nikolaus gesprochen, Geschäftsführerin und Mitgründerin von OKAPI:Orbits. Das junge Unternehmen hat eine Software entwickelt, die Zusammenstöße im Weltraum verhindern soll. Glaab STUDIOS - stock.adobe.com ©LIGHTFIELD Foto Julian Bauwerk 01 | 2021 6|7
Expertinnen So kanns gehen Tausende von Satelliten ziehen ihre Kreise um die Erde. Immer mehr Unternehmen investieren im Weltraum und schießen Satelliten ins All, um Mobiltelefone, Internet und Navigationsgeräte zu betreiben oder hochaufgelöste Bilder von der Erde aufzunehmen. Doch das Geschäft im Weltraum hinterlässt auch Trümmerteile und Schrott, und so fliegen abgeschaltete Satelliten und nicht entsorgte Raketenteile unkontrolliert durch den Orbit – von Staubkörnern bis hin zu tonnenschweren Objekten. D ie Trümmermenge im Weltraum wächst stetig und damit steigt auch das Risiko für Kollisionen. „Es gibt keine Weltraummüllabfuhr“, sagt Kristina Nikolaus, 26 Jahre alt und Geschäftsführerin des Unternehmens OKAPI:Orbits. „Vielen ist noch nicht bewusst, wie wichtig das Thema Umweltschutz im Weltraum ist“, sagt Nikolaus. Um das zu ändern, hat sie 2018 gemeinsam mit drei Raumfahrtwissen- schaftlern das Unternehmen OKAPI:Orbits gegründet. Ihre Mis- sion: eine intelligente Software zu entwickeln und zu vermarkten, die Kollisionen im Weltraum verhindert. In den Erdumlaufbahnen fliegen bereits 900.000 Bruchstücke umher, die größer als einen Zentimeter sind, meldet die Europe- an Space Agency (ESA). Etwa 30.000 der Objekte sind demnach sogar größer als zehn Zentimeter. Kommt es zu einem Zusam- menprall zwischen Satellit und Objekt, entstehen weitere Tausen- de Schrottteile, die unkontrolliert um die Erde kreisen und das Navigieren und Operieren im Orbit immer schwieriger machen. Die Objekte können mit einer Geschwindigkeit von bis zu 40.000 OKAPI:Orbits hat eine Software entwickelt, die Kilometern pro Stunde aufeinandertreffen. verhindert, dass Satelliten wie dieser in den Erdumlaufbahnen mit Weltraumschrott kollidieren. „Wenn Objekte, die größer als einen Zentimeter sind, mit einem Satelliten zusammenprallen, ist das schon eine schwerwiegen- de Kollision und führt in der Regel zur vollständigen Zerstörung“, erklärt Nikolaus. Umfliegen die Satelliten stattdessen die Objek- te, können die Unternehmen sie effizienter und länger betreiben. „Wir wollen zeigen: Nachhaltigkeit kann auch ökonomisch sinn- Fotos Institut für Raumfahrtsysteme/ TU Braunschweig, B&B. Markenagentur/NBank voll sein“, sagt Nikolaus. Seit vergangenem November ist die Software scharf gestellt und wird nach Angaben von Nikolaus bereits von 150 Personen genutzt. ‣ Darstellung von Weltraumschrott. Bauwerk 01 | 2021 8|9
Expertinnen So kanns gehen Anzeige IMMOBILIENFINANZIERUNG „Oft bin ich da LOKAL. REGIONAL. die einzige Frau am Tisch.“ UND DARÜBER HINAUS. D as mittlerweile elfköpfige Team von OKAPI:Orbits führt dafür die Daten verschiedener Beobachtungsanla- gen zusammen und errechnet so die Laufbahnen von Objekten im Weltall. „Wir haben keine eigenen Beob- achtungsanlagen, sondern sammeln so viele Daten wie möglich und legen den Fokus auf Data Intelligence“, sagt Nikolaus. Und woher beziehen sie dann die Daten? „Wir nutzen Daten aus Open- Source-Datenbanken, die von unterschiedlichen Orten aus den Orbit beobachten und daraus Kataloge erstellen“, sagt die Ge- schäftsführerin. Es gebe kommerzielle und militärische Betrei- ber:innen, die solche Datenkataloge erstellen und die sie dann kaufen könnten. „Das Einzigartige an unserer Software ist, dass wir alle Daten, die wir erhalten, so fusionieren und übereinander- legen können, dass wir berechnen können, wann und wo Ob- jekte sich im Weltall bewegen werden. In Simulationen können wir erkennen, wann es Kollisionen gab, wie sich die Objekte ver- halten haben und welche Schrottwolken sich entwickelt haben.“ Abonniert ein Unternehmen die Software von OKAPI:Orbits, kann es von der Bodenstation aus Manöver an den Bordcomputer seines Satelliten schicken. Hat die Software zuvor berechnet, dass Objekte in seiner Bahn auftauchen werden, bekommt der Satellit das Signal, seine Laufbahn zu ändern, um die Objekte zu umfliegen. Es sei schade, dass sie als Frau immer noch eine Ausnahme sei, sowohl in der Raumfahrtbranche als auch in Konferenzen und NATIONAL-BANK – Ihr Projektpartner auf Augenhöhe Gesprächen mit Investor:innen und anderen Gründer:innen. „Oft bin ich da die einzige Frau am Tisch“, sagt sie. Nervig seien Sprü- Als Projektentwickler oder Bauträger wollen Sie Ihr Immobilienprojekt auf ein sicheres Fundament che wie: „Dafür, dass du eine Frau bist, machst du das echt gut.“ Entmutigen lässt sie sich davon aber nicht. Das habe sie auch stellen – auch in der Finanzierung. Dabei sind Ihnen Expertise, Vertrauen und Verlässlichkeit von ihren Eltern gelernt, die in den 1990er Jahren aus Kasach- besonders wichtig. Als eine der bundesweit führenden konzernfreien Regionalbanken sind wir ein stan nach Deutschland gekommen sind. Ob sie gern mal selbst Über Kristina Nikolaus. ins All fliegen würde? „Klar“, sagt Nikolaus und lacht. „Unbedingt. solider Finanzierungspartner, der Sie bei Ihren Projekten in Nordrhein-Westfalen gerne begleitet. Wer würde das nicht gern machen?“ Nikolaus ist 2020 von dem Wirtschaftsmagazin Profitieren Sie von unserer 100-jährigen Erfahrung, unseren exzellenten Marktkenntnissen sowie Forbes zu den 30 vielversprechendsten Persön- OKAPI:Orbits soll in Zukunft auf jeden Fall noch weiterentwickelt einem umfassenden Netzwerk leistungsfähiger, starker Partner. lichkeiten unter 30 Jahren gewählt worden. Als werden. „Wir wollen nicht nur Kollisionen vermeiden. Unser Ziel Geschäftsführerin kümmert sie sich vor allem um ist es auch, uns noch mehr auf ‚Space Traffic Management‘ Finanzen sowie Kunden- und Investorengespräche. zu konzentrieren. Die Vision ist es also, nicht nur Satelliten un- Wir freuen uns auf Frank auf der Lake Sebastian Hoffmann Dafür braucht sie aber auch technisches Wissen. tereinander zu steuern, sondern auch andere Beteiligte im den Dialog. Rufen Sie Leiter Gewerbliche Immobilienfinanzierungen Leiter Niederlassung Münster Während ihres BWL-Studiums hat sie bei Daimler Bereich Raumfahrt mit einzubeziehen. Das können beispielswei- und Siemens gearbeitet und danach an der Techni- se kleine Trägerraketen oder Sensoren sein.“ Somit sollen die uns an oder senden Telefon: 0201 8115-331 Telefon: 0251 414417-10 schen Universität (TU) Braunschweig einen Master Interaktionen zwischen allen Akteur:innen des Raumfahrtökosys- Sie uns eine E-Mail: frank.auf-der-lake@national-bank.de sebastian.hoffmann@national-bank.de in Technologie-orientiertem Management gemacht. tems in Abhängigkeit voneinander geplant und durchgeführt Foto Julian Glaab Programmieren hat sie sich selbst beigebracht und werden können. • an der TU Braunschweig Raumfahrt-Vorlesungen besucht, wo sie auch die anderen drei Mitgründer ihres Start-ups kennenlernte. Bauwerk 01 | 2021
Expertinnen Hinter den Kulissen Ein ehrlicher Alle Ausflüchte beiseite, fertig, los! Werfen wir als Erstes einen genaueren Blick in unsere eigenen Blick auf den Zahlen. Unter den aktuell 478 fest angestellten Mitarbeiter:innen der LIST Gruppe sind 151 Frauen. Das macht eine Quote von gerundeten 31,6 Prozent. Aber wie verteilt sich das auf die ver- Frauenanteil schiedenen Bereiche? Eine erste Unterscheidungsmöglichkeit bietet die Anstellungsart. Unter den Vollzeit-Angestellten liegt die Frauenquote bei rund 25 Prozent. Das hängt unmittelbar da- bei LIST. mit zusammen, dass wir uns bei den Teilzeitangestellten im Ge- genzug mehr als deutlich über dem Durchschnitt befinden. Hier verzeichnen wir die höchste Frauenquote, die diese Auswertung beinhaltet: 77 Prozent. Im Bereich der Auszubildenden landen wir mit rund 30 Prozent wieder beim Durchschnitt. Dann lohnt Ein Magazin, in dem wir ausschließ- sich ein Blick auf unsere Leistungsbereiche. In unserer Holding beträgt der Frauenanteil gut 56 Prozent. Mit knapp 48 Prozent lich Frauen zeigen – die Idee gefiel hat unsere Develop-Sparte den Ausgleich fast geschafft. Der En- uns in unserer Redaktionskonferenz gineering-Bereich liegt mit gut 31 Prozent genau im Durchschnitt. Und der Baubereich zählt mit knapp 20 Prozent die wenigsten sofort. Schließlich wissen wir, wie Frauen in den eigenen Reihen. In den Teams, die vor Ort auf der viele Expertinnen wir für verschie- Baustelle sind, sinkt die Quote weiter – hier ist nur jede zehnte Person eine Frau. Und noch ein letzter Blick aufs Management. In denste Themen in unseren Reihen den Bereichen Vorstand, Geschäftsführung und Bereichsleitung haben. Außerdem ist das Thema unterschreitet die Frauenquote knapp die Zehn-Prozent-Marke. superaktuell. Haken dran. Also ging es weiter ins Detail. Und bei einer Sache waren wir uns – vor allem Erfahrene Frauen waren bald eine Rarität. auch die männlichen Kollegen in der Eine wichtige Frage, die man sich in diesem Zusammenhang stel- len sollte: Wer bewirbt sich überhaupt bei uns? Im letzten Jahr Runde – schnell einig: Wir müssen waren 27,6 Prozent der Bewerber:innen weiblich und 72,4 Pro- auch selbstkritisch auf unsere eige- zent männlich. Das entspricht ja in etwa unserer durchschnittli- chen Frauenquote. Und wie viele dieser Bewerbungen führten ne Frauenquote gucken. Mit einem tatsächlich zum Erfolg? Bei den Männern waren es rund neun Frauenanteil von gut 30 Prozent und bei den Frauen rund acht Prozent. Heißt: Im Jahr 2020 haben wir zumindest prozentual gesehen fast gleichermaßen eingestellt. sind wir in der Branche vermutlich Aber auch hier darf natürlich nicht der Blick fürs Detail fehlen. guter Durchschnitt, aber natürlich Denn die Frage ist ja auch, auf welche Stellen sich die Männer und Frauen beworben haben. Und hier zeigt sich ganz klar, was die trotzdem vom Idealbild noch deut- typischen Frauen- und was die Männerdomänen sind. Während lich entfernt – obwohl wir doch sehr sich fast 25 Prozent der Frauen auf die Stelle der Teamassistenz beworben haben, interessierten sich gerade einmal fünf Prozent genau um die Vorteile gut gemisch- der Bewerberinnen für die Baustellen-, Bau- oder Projektleitung. ter Teams wissen. Also: Warum Bei den Männern das umgekehrte Bild. Knapp 26 Prozent bewar- ben sich auf die Baustellen-, Bau- oder Projektleitung, aber nicht besteht unser Kollegium zu zwei einmal zwei Prozent wollten Teamassistent werden. Dritteln aus Männern? Das wollten Worauf sich Menschen bewerben, ist stark abhängig von der Fra- wir genauer wissen und haben Ursa- ge nach der Ausbildung. Und ja, an den Unis hatten die Männer chenforschung betrieben. lange die Oberhand. Laut Daten des Statistischen Bundesamtes war Studieren in den Fünfzigerjahren vor allem etwas für Männer. Nicht einmal ein Viertel der Studienanfänger:innen war damals weiblich. Ein Indiz dafür, dass es heute zum Beispiel deutlich weni- ger erfahrene Ingenieurinnen gibt. Aber die Wende ist eingeläutet. Zeit Campus titelte im Oktober 2019: „Studienanfängerinnen – so viele Frauen wie noch nie.“ Demnach näherte sich die Zahl der Frauen jener der Männer in den Neunzigerjahren an, das Verhält- nis wurde erst grob ausgeglichen und seit ein paar Jahren haben die Frauen die Männer sogar überholt, mit steigender Tendenz. Eine besondere Rolle für die Immobilienbranche nimmt dabei die Architektur ein. Kurz vor der Jahrtausendwende waren die Männer noch leicht in der Überzahl. Es gab aber immer mehr Frauen, ‣ Bauwerk 01 | 2021 12 | 13
Expertinnen Hinter den Kulissen die sich für ein Architektur-Studium entschieden. Hier liegt die tig der Verantwortung gegenüber ihrem Kind nachkommen kön- Frauenquote seit etwa 15 Jahren bei rund 60 Prozent. Muss hier nen. Aber ist es wirklich das, was unsere Mütter brauchen? Eine also die Frage heißen: Wie bekommt man mehr Männer an die Frage, die wir nur in Gesprächen klären können. Und auch aufs Hochschule? Eine Frage – um einmal kurz über den Tellerrand zu liebe Geld wollen wir einen Blick werfen. Gibt es bei uns einen schauen –, die gerade in Skandinavien studienfachübergreifend Pay-Gap zwischen Männern und Frauen? Wie aber findet man schon sehr präsent ist. Hier sind viele Studiengänge, auch techni- das wirklich heraus? Der erste Impuls: das Durchschnittsgehalt sche, in weiblicher Hand. Im Bauingenieurwesen in Deutschland der Männer mit dem der Frauen vergleichen. Da wird einem aber ist der Frauenanteil in etwa seit 2008 ebenfalls gewachsen, zwar schnell klar, dass Themen wie zum Beispiel „wenig Frauen in der langsam, aber stetig: von 20 auf mittlerweile 30 Prozent. Tenden- Führung“ und im Gegenzug „keine Männer in der Teamassistenz“ zen, die zeigen, dass die Grenzen im Kopf zwischen „Das ist doch das Ergebnis verfälschen. Hinzu kommt, dass sich unsere knapp ein Männerjob“ und „Das ist doch ein Frauenjob“ langsam anfan- 480 Mitarbeiter:innen auf neun Standorte verteilen, an denen sich Eigentlich versuche ich, das Gleiche Vor 20 Jahren war ich eine Exotin, gen zu bröckeln. unterschiedliche Arbeitnehmermärkte entwickelt haben. Wir ver- in weniger Zeit zu machen. heute spielt das Frauenthema keine raten kein Geheimnis, wenn wir preisgeben, dass unsere Gehälter Rolle mehr. in München höher sind als die in Nordhorn. Das hängt mit den „Ich bin gelernte Wirtschaftsingenieurin mit Schwer- punkt Bau, da war der Einstieg in die Bauleitung Lebenshaltungskosten und vielen anderen Faktoren zusammen. „Ich hatte 1998 meinen Techniker in der Tasche und für mich wie ein Sprung ins kalte Wasser – ganz Der Umbruch ist spürbar. Bleibt also nur der Vergleich innerhalb einer Gesellschaft. Dort war zu dem Zeitpunkt als Frau wirklich so etwas wie unabhängig von meinem Geschlecht. Ich musste noch eine Exotin. In die Bauleitung hat es mich nie gezogen, sind die Teams jedoch nicht so groß, dass wir mehrere Personen viel Praktisches lernen und meinen Verantwortungs- unter anderem auch deshalb, weil ich mir das als Frau bereich gleichzeitig ausfüllen. Aber das habe ich mit Im Recruiting spüren unsere Kolleg:innen genau diesen Umbruch. in der gleichen Position und mit der gleichen Erfahrung miteinan- nicht antun wollte. Über kleine Umwege bin ich dann Unterstützung meines Teams geschafft und mir meinen Auf Präsenz- oder Online-Messen sind wir nicht nur mit den Per- der vergleichen können. Am ehesten realistisch ist ein Abgleich schon bald im Einkauf gelandet. Es gab tatsächlich Wunschjob im Vertrieb erarbeitet. Vor dreieinhalb Unternehmen, die ich verlassen habe, weil ich mich als Jahren kam dann unsere Tochter zur Welt und wir sonaler:innen, sondern auch mit Kolleg:innen aus der Praxis vor unter den Bauleiter:innen. Hier konnten wir bereits einige Frau- Frau nicht wohlgefühlt habe. Heute spielt das Thema hatten vereinbart, dass ich relativ schnell mit einer Ort. Mit dabei und sehr gefragt ist immer auch eine unserer Bau- en für uns gewinnen. Und diese decken den kompletten Bereich aber gar keine Rolle mehr. Im Team bin ich eine der halben Stelle wieder einsteige, um in meiner Position leiterinnen. Wir erleben, dass sich die Einstellung zu Berufsbildern von Anfänger:in bis erfahren ab. Das Ergebnis zeigen wir mehr Erfahrenen und extern habe ich mir auch ein großes nicht zurückgestuft zu werden. Das war mir einfach Netzwerk aufgebaut.“ wichtig. Ich habe mir gar nicht so viele Gedanken dazu ändert. Aber es ist auch deutlich, dass wir erst auf dem Weg sind. als gerne: An einem Standort verdienen die Männer im Schnitt gemacht, ob und wie das funktioniert. Und heute sage Ein Indiz dafür ist beispielsweise die erste Frage, die die meis- 88 Prozent von dem, was die Frauen verdienen. An einem ande- Simone Rausch ich ganz offen: Es ist oft eine Herausforderung. Wenn ten weiblichen Messebesucher:innen unserer Bauleiterin stellen: ren Standort verdienen die Frauen 91 Prozent von dem, was die Einkäuferin ich die Akquisition neuer Projekte komplett eigen- ständig verantworten will, kann ich nicht immer den Wie ist das eigentlich so als Frau auf der Baustelle? Gerade bei Männer verdienen. Und über den Daumen gepeilt spiegeln die Stift nach 20 Wochenstunden fallen lassen. Und das jungen Ingenieurinnen scheint der Respekt davor, sich in dieser Zahlen die Erfahrung der hinter den Zahlen stehenden Personen Arbeiten an festen Wochentagen haut auch nicht wirk- Männerdomäne durchsetzen zu können, noch groß. Ein anderes wider. Da, wo die Frauen im Schnitt etwas mehr Erfahrung haben, lich hin. Die Abgabefristen und Co richten sich ja nicht nach meinem Terminplan. Trotzdem ist das mein Weg Beispiel: In einem Expertenforum eines Gymnasiums, mit dem verdienen sie auch mehr. Und umgekehrt genauso. Individuelle und ich würde es ein zweites Mal wieder so machen.“ wir kooperieren, geben unsere Kolleg:innen einen Einblick in ih- Förderung gibt es dabei für alle – das Geschlecht spielt hierfür ren Berufsalltag. Die Schüler:innen sollen so eine Vorstellung von aber keine Rolle. In den jährlich stattfindenden Talenttalks hat je- Kerstin Himmeldirk verschiedenen Berufsbildern bekommen. Die jüngste Anfrage des de:r von uns die Möglichkeit, die persönliche Weiterentwicklung Vertriebsingenieurin verantwortlichen Lehrers zielte ausdrücklich darauf ab, dass die mitzugestalten. Und der eingeschlagene Weg zahlt dann langfris- Wissen oder Lernbereitschaft – entsprechenden Berufe von Frauen vorgestellt werden. Er habe tig natürlich auch auf das Gehalt ein. etwas dazwischen ist auf der aus Gesprächen mit seinen Schüler:innen mitgenommen, dass Baustelle schwierig. ein weibliches Vorbild die Hemmschwelle für die Mädchen für ei- nen technischen Beruf verringert. „Ich war schon ein paar Mal auf Job-Messen für Strich drunter. Studierende mit und stand den Interessierten Rede und Antwort, weil ich mich noch gut an meine Fragen im Studium erinnern kann. Und natürlich habe auch Ein Fazit bei diesem Thema ist nicht einfach. Die Ursachen sind ich mir einen Kopf gemacht, ob ich als Frau respektiert Wir haben unseren Bereich Gleichberechtigung ist gar nicht so einfach. sehr vielfältig und bedingen sich gegenseitig. Die Haltung scheint werde. Bei uns im Kollegium war das zum Glück zusammen aufgebaut, das bei uns zu passen – das kann man auch den Zitaten der Kollegin- nie ein Thema und ich bin ja auch nicht die einzige macht einen Unterschied. In puncto Studienauswahl scheinen wir in Deutschland beim The- nen entnehmen, mit denen wir in diesem Zusammenhang gespro- Bauleiterin. Auf meiner allerersten Baustelle hatte ich mit ein paar der beauftragten Handwerker aber schon ma Gleichberechtigung also zumindest auf einem guten Weg. chen haben. Viel wichtiger aber ist ja: Was können oder müssen so meine Probleme. Ich war weiblich und unerfahren in „Die 3D-Modellierung ist ja eine noch recht junge einem, das war, glaube ich, deren Problem. Wenn ich Disziplin. Unsere Arbeitsbereiche sind weder typisch Was ist aber mit anderen Themen? Dass die in Teilzeit angestell- wir als Unternehmen tun, um mehr Frauen ins Unternehmen und A gesagt habe, haben die B gemacht – so ungefähr männlich noch typisch weiblich. Außerdem habe ich ten Kolleg:innen zu einem großen Teil Frauen sind, kommt zum auch ins Management oder den Vorstand zu holen? Die eine Ant- lief das. Meine Kollegen haben mir aber viele Tipps unsere Abteilung von Beginn an mit aufgebaut. Wir Beispiel ja nicht von ungefähr. Bei uns im Kollegium gibt es bisher wort gibt es wohl leider nicht. Die Frauenquote ist der verordnete gegeben und mit der Zeit kam dann auch mein Selbst- wachsen gemeinsam und versuchen immer, noch bewusstsein. Und was ich gelernt habe: Niemand besser zu werden. Es gibt so viele Möglichkeiten, die keinen Kollegen, der nach der Geburt eines Kindes die komplet- Weg, der in der Praxis der meisten wohl erst einmal keine Rolle verlangt, dass man perfekt ist und alles weiß. Wenn wir am liebsten alle sofort ausschöpfen wollen. Das ist te Elternzeit angetreten hat. Kolleginnen hingegen gibt es einige, spielen wird. Uns selbst also eine Frauenquote auferlegen? Wir jemand einen besseren Vorschlag hat, nehme ich den einfach cool.“ die dann in Teilzeit wiederkommen. Und gerade in sehr verant- geben zu, das fällt uns aktuell bei der Auswahl gerade an erfahre- auch gerne an. Damit fahre ich bis heute super.“ wortungsvollen Positionen stoßen sie in Sachen Vereinbarkeit von nen Bewerber:innen noch schwer. Deshalb sind es wohl eher die Linda Ferreira Familie und Beruf an ihre Grenzen. Denn wollen sie ihre Projekte kleinen Schritte, mit denen wir das Thema vorantreiben können. Nane Roetmann Planungsmanagerin Bauleiterin etwa im Vertrieb oder in der Projektentwicklung voll verantworten Zum Beispiel Schülerinnen schon vor der Berufswahl zeigen, wel- und eigenständig abwickeln, ist es schwer, an zum Beispiel zwei che Türen ihnen offenstehen. Mit Müttern sprechen, welche Un- Tagen in der Woche nicht verfügbar zu sein. Haben Kund:innen terstützung sie sich von uns als Arbeitgeber wirklich wünschen. ein dringendes Anliegen, klingelt das Telefon – egal ob man frei Oder die gleiche Bezahlung sicherstellen. Nur so kann es uns hat oder nicht. Und die Corona-Pandemie hat die Situation alles gelingen, mehr Frauen für die Welt der Immobilien auch außerhalb andere als entschärft. Eine Herausforderung, bei der man seinen der klassischen „Frauenberufe“ zu begeistern. • Arbeitnehmerinnen unter die Arme greifen sollte, auch wenn das Fotos a|w|sobott gar nicht so einfach ist. So könnte man zum Beispiel überlegen, ob in unseren Neubauten ein Platz für Kinder Sinn macht – vielleicht sogar mit einer Betreuungsmöglichkeit. Damit könnten wir etwas Flexibilität für Mütter schaffen, die somit arbeiten und gleichzei- Bauwerk 01 | 2021 14 | 15
Expertinnen Andere Blickwinkel Versuch macht klug – auch beim Gendern. Doppelpunkte, Sternchen, Sprech- pausen und Co sind kleine Details, die dafür sorgen sollen, dass unsere Spra- che geschlechtergerechter wird. Das gelernte generische Maskulinum steht infrage. Geführt werden Diskussionen um Gewohnheit, Komplexität und Haltung. Die eine etablierte Lösung gibt es noch nicht. Liebe Leser:innen, ist Ihnen beim Lesen bis hierher aufgefallen, dass wir erstmals gendern? Wir haben uns beim Erstellen dieser Ausgabe irgendwie schon an den Doppelpunkt gewöhnt – auch wenn wir ihn eigentlich erst einmal nur testen möchten. Die Idee dahinter unterstützen wir zu 100 Prozent: Gleichberechtigung. Aber ob es dafür die Sprache braucht, wissen auch wir nicht. Außerdem müssen wir zugeben, dass selbst wir ein Stück weit mit den Gewohnheitstieren in uns kämpfen mussten. Schreibt man sie zum ersten Mal aus, verkomplizieren Worte wie Inves- tor:innen, Bauherr:innen oder auch Partnerunternehmer:innen den Text augenscheinlich. Auf den gesamten Text verteilt, fallen die Worte aber ja nur wenig ins Gewicht. Trotzdem bleibt die Fra- ge: Was machen wir da mit unserer Sprache – sind wir korrekt oder überkorrekt? Da scheiden sich die Geist:innen ;-) • Foto ©DragonImages - stock.adobe.com Bauwerk 01 | 2021 16 | 17
Expertinnen Entdeckungsreise EINGEFROREN INDERARKTIS. Interview mit der Logistikerin der aufwendigsten Polar- expedition aller Zeiten. Foto Alfred-Wegener-Institut / Esther Horvath (CC-BY 4.0) Verena Mohaupt war insgesamt neun Monate mit an Bord des Forschungsschiffes „Polarstern“. Bauwerk 01 | 2021 18 | 19
A Expertinnen Entdeckungsreise ngedockt an eine riesige Eis- Frau Mohaupt, MOSAiC war die auf- scholle driftete das Forschungs- wendigste Polarexpedition aller Zeiten. schiff „Polarstern“ bei der Etwa 100 Menschen lebten und arbei- MOSAiC-Expedition ein Jahr teten immer gleichzeitig an Bord der lang durch die Arktis. Bei Tem- „Polarstern“. Wie bereitet man so eine peraturen bis minus 42 Grad Reise vor? legte es eine Strecke von 3.400 V. M.: „Ich habe das ja nicht allein gemacht. Kilometern zurück. Die Wissen- Wir haben ein tolles Team am AWI und eine schaftler:innen bauten auf der Logistikabteilung, die seit Jahrzehnten Ex- Eisscholle neben dem Schiff ihr peditionen managt. Einer der Schlüssel- Forschungscamp mit Messstationen auf. Ihr Ziel war es, den punkte im Vorfeld war die Kommunikation. Einfluss der Arktis auf das globale Klima besser zu verste- Wir haben mit Leuten aus der ganzen Welt hen. 150 Tage verbrachten sie in polarer Dämmerung und zusammengearbeitet und mussten alle in- Dunkelheit. Kein Schiff ist dem Nordpol im Winter je näher formieren, was auf sie zukommt, was von gekommen. Wir haben mit Verena Mohaupt, der Logistikkoor- ihnen erwartet wird, was sie erwarten kön- dinatorin des Projektes, gesprochen. nen und was wir für Vorgaben haben.“ MOSAiC war die aufwendigste und teuerste Arktis-Expedition aller Der Platz an Bord des Forschungsschif- Zeiten. Während der einjährigen Expedition, die vom Alfred-We- fes war begrenzt. gener-Institut (AWI) geleitet wurde, versorgten sechs Eisbrecher V. M.: „Ja, wir mussten gucken, was die das Forschungsschiff „Polarstern“ mit Lebensmitteln und Treib- einzelnen Projekte an Fracht mitbringen, stoff, und die Mannschaft wurde viermal ausgewechselt. Insge- was es für Redundanzen gab und wo wir samt 442 Wissenschaftler:innen lebten und arbeiteten während Engpässe bekommen könnten. Als Vorbe- des Jahres auf dem Forschungsschiff. Eine riesige logistische reitung haben wir auch Workshops orga- Herausforderung. nisiert, Sicherheitstrainings gegeben und für alle Teilnehmenden ein Handbuch ent- Verena Mohaupt arbeitet am Alfred-Wegener-Institut und hat die wickelt mit vielen praktischen Tipps zum Expedition als Logistikkoordinatorin vorbereitet und begleitet. Die Arbeiten und Leben in der Arktis.“ 37-Jährige hat dafür gesorgt, dass die Wissenschaftler:innen der MOSAiC-Expedition geschützt vor Eisbären, Kälte und Unfällen Was sollte man vorab über den Alltag in sicher im Polareis arbeiten konnten. Mohaupt war insgesamt der Arktis wissen? neun Monate mit an Bord des Forschungsschiffes. Die Physike- V. M.: „Dass alle Installationen mit Re- rin hatte zuvor bereits vier Jahre lang die deutsch-französische flektoren ausgestattet sind, damit man Oben Forschungsstation im norwegischen Spitzbergen geleitet. Vom sie im Dunkeln wiederfindet. Dass im tie- Fotos picture alliance / ZUMAPRESS.com | Esther Horvath, Alfred-Wegener-Institut / Esther Horvath (CC-BY 4.0) Ziel der MOSAiC-Expedition war es, die Arktis als britischen Fachmagazin Nature ist Mohaupt als einer von zehn fen Schnee Schneeschuhe helfen. Dass Epizentrum der globalen Erwärmung so genau wie Menschen geehrt worden, die im Jahr 2020 eine entscheidende man nie ohne Kopflampe nach draußen möglich zu betrachten – für ein besseres Verständ- Rolle für die Wissenschaft spielten. geht. Dass Skier eine gute Alternative zu nis des globalen Klimawandels. Skidoos sind, weil man damit den Fußab- Links druck verringert, den wir hinterlassen, und Im Oktober 2019 kamen diese zwei Eisbären weil wir die Messungen nicht verfälschen der „Polarstern“ nahe. Als sie auftauchten, war wollen. Dass es keine Toilette auf dem Eis niemand auf dem Eis und es bestand keine Gefahr gibt. Man kann da nicht einfach hinpin- für die Teilnehmer:innen der Expedition. keln, wenn man dort ein Jahr lang arbeitet. Auch, um keine Eisbären anzulocken.“ Und was macht man auf dem Eis, wenn man pinkeln muss? V. M.: „Wenn man nah am Schiff ist, geht man zurück aufs Schiff. Aber wer weiter Man kann auch bei minus entfernt auf die Eisscholle geht, muss eine Pinkelflasche mitnehmen.“ 30 Grad draußen arbeiten. Sind Sie während der Arktis-Expedition Wenn man gute Kleidung Eisbären begegnet? V. M.: „Ja, wir hatten viele Begegnungen, hat, sich schützt und auf- zum Teil täglich.“ einander achtet, dann ist Gab es auch brenzlige Situationen? V. M.: „Nein, brenzlig nicht. Was als brenzlig das nicht gefährlich. Während der Expedition war eine klare und stän- beurteilt wird, hängt natürlich auch immer dige Kommunikation sehr wichtig. Deshalb war sehr von den Betrachtenden ab. Wenn Eis- dies auch Bestandteil der vorab durchgeführten bären auftauchten, haben wir die Eisschol- Schneescooter-Trainings. le evakuiert. Das heißt, alle Leute, die ‣ Bauwerk 01 | 2021 20 | 21
Expertinnen Entdeckungsreise auf der Scholle gearbeitet haben, wurden nicht in die Tiefe ziehen. krasse Dynamik bei allen Leuten, die an Das ganze Projekt basiert auf so vielen wieder zurück auf das Schiff beordert. Das V. M.: „Das Problem war, dass wir so viele dem Projekt beteiligt waren. Und die ist im- kleinen Einzelheiten, die nur als Team funk- kam regelmäßig vor. Aber das ist ja auch Leute ausstatten mussten, die tagtäglich mer weiter gestiegen. Es gab da so viel zu tionieren konnten. Das hätte niemand al- Teil des Gesamtkonzeptes, dass man die über ein Jahr hinweg bei verschiedenen tun, dass man in einem Sog war. Das hat lein stemmen können.“ Eisbären so früh wie möglich sieht, und Gegebenheiten und Temperaturen auf dem zu der Zeit auch mein ganzes Leben einge- dann ist Regel Nummer eins der geordnete Eis gearbeitet haben. Innerhalb des Jahres nommen. Als wir dann losfuhren, hatte ich Ziel der Expedition war es, die Zusam- Rückzug, damit es gar nicht erst zur wirkli- hatten wir aber komplett unterschiedliche schon Sorge, dass wir etwas Essentielles menhänge des Klimawandels zu unter- chen Konfrontation kommt.“ Bedingungen. Es ist etwas anderes, ob vergessen haben. Trotzdem war es auch suchen. Welche Erkenntnisse haben man minus 20 oder plus vier Grad hat und eine gewisse Erleichterung, denn in dem Sie persönlich mitgenommen? Und kam es zu Konfrontationen mit Eis- ob das Meereis sehr dynamisch ist oder Augenblick war klar: Wenn wir etwas ver- V. M.: „Ich habe ja selbst nicht wissen- bären? nicht. Im Winter ist die Gefahr, wirklich gessen haben, können wir es nicht mehr schaftlich gearbeitet und keine Messda- V. M.: „Es kam so weit, dass wir die Eisbä- nass zu werden, nicht sehr groß. Wenn ändern und müssen damit klarkommen. ten genommen, aber trotzdem bekommt ren mit Signalmunition verscheucht haben. das Eis im Sommer schmilzt, braucht man Ein gewisser Druck ist da schon abgefal- man viel mit von den Projekten. Es war Einmal war ich mit einem Team auf einer Anzüge, die wasserdicht sind. Wir haben len.“ mein erstes fast volles Jahr im arktischen anderen Scholle unterwegs. Dort kam ein Anzüge gesucht, die alles abdecken.“ Meereis, und es war schon schockierend Eisbär, der wirkte interessiert. Den haben Und haben Sie etwas Essentielles ver- zu erleben, wie schnell und krass sich die- wir dann mit Signalmunition versucht zu Die Wissenschaftler:innen haben im gessen? se Region verändert hat und wie rapide der verscheuchen. Aber der war bestimmt Sommer und Winter die gleichen Anzü- V. M.: „Nein, nichts Essentielles. Bestimmt Klimawandel sich zeigt. Selbst diejenigen, noch 100 Meter entfernt. Wir wurden dann ge getragen? Kleinigkeiten. Es gab immer mal Momen- die seit Jahren aktiv im Meereis forschen, vom Helikopter wieder eingesammelt. Es V. M.: „Wir hatten immer die Vorgabe: te, wo man dachte, ach Mist, aber nichts waren erstaunt, wie schnell der Klima- war bei allen Ausflügen so, dass immer je- Wenn jemand sich über das offene Was- wirklich Wichtiges.“ wandel die Region verändert. Wenn man mand mit dabei war, der nur zuständig für ser bewegt oder irgendwo arbeitet, wo die hautnah erlebt, was auf dem Spiel steht, die Eisbärenwacht war. Wenn alle vertieft Gefahr eminent ist, im Wasser zu landen, Ist es nicht anstrengend, monatelang bekommt der Klimawandel noch einmal in ihre Arbeit sind, kann es sein, dass der muss man auch im Winter den wasserdich- im Dunkeln zu leben? eine ganz andere Dringlichkeit.“ Eisbär plötzlich drei Meter neben dir steht, ten Überlebensanzug anziehen, in dem V. M.: „Was die Polarnacht mit dem Körper und niemand hat ihn gesehen.“ man nicht untergeht. Das kam aber im und der Psyche macht, ist individuell sehr Wann geht es wieder in die Arktis? Winter wesentlich seltener vor.“ unterschiedlich. Mich stört die Polarnacht V. M.: „Ich hoffe, dieses Jahr wieder. Aber Mussten alle Wissenschaftler:innen vor- überhaupt nicht. Ich habe auch noch nie das steht noch nicht fest, auch wegen Co- her lernen, auf Eisbären zu schießen? Haben Sie die Anzüge unter arktischen gemerkt, dass sie mich müde macht.“ rona. Ich kümmere mich noch um die Sta- V. M.: „Die Teilnahme an den Kursen war Bedingungen vorab getestet? tion in Spitzbergen, in der ich lange war, freiwillig. Wir haben gesagt, dass es na- V. M.: „Ja, im Januar 2019 haben wir in Woher hatten Sie das Wissen über das und möchte auch gern dort wieder hin.“ • türlich Sinn macht, wenn möglichst viele Spitzbergen verschiedene Modelle aus- Leben in der Arktis? Im Physikstudium Leute an den Kursen teilnehmen. Wir vom probiert, um zu sehen, ob man darin arbei- lernt man das ja nicht. Logistik-Team waren schon vorrangig für ten kann, ob man nass wird oder zu sehr V. M.: „Das habe ich tatsächlich vom Leben die Eisbärenwacht zuständig, aber mit sie- schwitzt. Wir haben uns in den Anzügen und Arbeiten in Spitzbergen. Dort habe ich ben, acht Leuten konnten wir allein nicht im Fjord herumtreiben lassen und geguckt, vier Jahre lang die Klimaforschungsstation den ganzen Tag abdecken. Man kann wie lange man das aushält.“ des AWI geleitet. Ich bin auch nicht Exper- Die MOSAiC-Expedition. nicht zehn Stunden am Stück auf Eisbä- tin für alles, es gibt viele erfahrene und gute renwache gehen, dann ist man nicht mehr Für so eine Expedition eine Packliste Leute, die ich fragen konnte.“ Das Forschungsschiff „Polarstern“ war von wachsam.“ zu erstellen, ist ja wesentlich komple- September 2019 bis Oktober 2020 unter der xer als bei einer üblichen Reise. Um Wollten Sie immer schon in der Arktis Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Was war die größte Gefahr für das welches Gepäck mussten Sie sich küm- arbeiten? der Arktis unterwegs. Es ließ sich an einer zwei Team? mern? V. M.: „Nein, es hat sich so entwickelt. Teil mal drei Kilometer großen Eisscholle festfrieren, V. M.: „Das ist schwer zu sagen. Die größ- V. M.: „Wir waren zuständig für die gene- der Expedition zu sein, war schon ziem- um mit ihr durch den Polarwinter zu driften. Als te Gefahr, weil ständig da und für alle emi- relle Logistik auf der Eisscholle. Für die lich gigantisch und großartig, aber ich die Corona-Pandemie ausbrach, stand nent, ist die Kälte. Vielleicht war sie aber Schneemobile, die Wegemarkierungen, habe keinen lebenslangen Plan verfolgt. das aufwendige und jahrelang vorbereitete auch am einfachsten zu bekämpfen, weil das Datennetzwerk, das Stromnetzwerk, Im Nachhinein gesehen baut schon alles Forschungsprojekt zwischenzeitlich vor dem man sich gegen die Kälte einfach richtig die Pistenbullis, Kettenfahrzeuge und die irgendwie aufeinander auf, aber das waren Abbruch. Eigentlich sollte das Team auf dem Foto Alfred-Wegener-Institut / Esther Horvath (CC-BY 4.0) anziehen muss. Man kann auch bei minus Schutzanzüge für die Teilnehmenden.“ einfach Gelegenheiten, die ich wahrge- Forschungsschiff Anfang April 2020 ausgewech- Mich stört die Polarnacht 30 Grad draußen arbeiten. Natürlich merkt nommen habe.“ selt werden. Auf der treibenden Eisscholle war man, dass man mehr Energie verbraucht, Wie lange haben die Vorbereitungen dafür bereits eine Landebahn präpariert worden. überhaupt nicht. Ich habe dass man abends ganz schön müde ist, gedauert? Was war für Sie im Rückblick das Be- Doch wegen der Pandemie waren alle Flughä- wenn man den ganzen Tag draußen war V. M.: „Ich habe 2018 angefangen, für die sondere an der MOSAiC-Expedition? fen rund um den Nordpol geschlossen und auch auch noch nie gemerkt, bei den Temperaturen. Aber wenn man MOSAiC-Expedition zu arbeiten. In Voll- V. M.: „Es war schon sehr beeindruckend kein Eisbrecher durfte mehr ablegen. Nach eini- gute Kleidung hat, sich schützt und aufein- zeit. Aber die ersten Planungen haben zu erleben, wie alle Dinge zusammen- gen Wochen des Bangens konnte das Team für dass sie mich müde macht. ander achtet, dann ist das nicht gefährlich. schon vor zehn oder elf Jahren begonnen. hängen. Zu sehen, wie die verschiede- den letzten Abschnitt der Expedition schließlich Wenn man das nicht tut, ist das allerdings Die Expedition hatte eine sehr lange Vor- nen wissenschaftlichen Disziplinen über mit einem Eisbrecher im Mai in Bremerhaven schnell wirklich gefährlich.“ laufzeit.“ diesen Zeitraum hinweg kontinuierlich die losfahren und erreichte das Forschungsschiff im Region untersucht und so gut zusammen- Juni, um die Besatzung und Wissenschaftler:in- Wie findet man die richtige Kleidung Wie war das nach eineinhalb Jahren gearbeitet haben. Die Interdisziplinarität ist nen für den letzten von fünf Fahrtabschnitten für solch eine Expedition? Sie muss die Vorbereitung, als das Schiff ablegte? unglaublich wichtig. Der Klimawandel wird auszutauschen. Weitere Informationen zu der Teilnehmer:innen wärmen, wenn sie ins V. M.: „Anstrengend und auch toll. Wäh- durch so viele Dinge beeinflusst, dass man Expedition: Wasser fallen, darf sie aber gleichzeitig rend der Vorbereitung gab es schon eine immer über den Tellerrand blicken muss. www.mosaic-expedition.org Bauwerk 01 | 2021 22 | 23
Expertinnen Gastbeitrag Warum gemischte Teams erfolgreicher sind als homogene. Schon der Blick in einen Schulbus bringt die Erkenntnis, dass sich Jungen und Mädchen unterschiedlich in Grup- pen verhalten. Der einzelne Junge kämpft um eine gute Position in der Rangordnung seiner Peergroup, während Mädchen eher daran interessiert sind, sich mit einer engen Freundin austauschen zu können. Gastautorin Astrid Szebel-Habig Über die Autorin. Prof. Dr. rer. pol. Astrid Szebel-Habig studierte an den Universitäten Fribourg (Schweiz) und Münster Betriebswirtschaftslehre. Nach ihrer Promotion arbeitete sie zehn Jahre in einem IT-Unternehmen in den Bereichen Personal, Einkauf und Vertrieb. Es folgten drei Jahre als kaufmännische Direkto- rin in einem deutschen Pharmaunternehmen. Am 1. September 1995 wurde sie zur Professorin für Betriebswirtschaftslehre an die Hochschule Aschaffenburg berufen und übte die Ämter Deka- nin und Frauenbeauftragte der Hochschule aus. 2014 leitete sie ein BMF/ESF-Forschungsprojekt zum Thema „Mixed-Leadership“, 2018 die Stu- Foto Prof. Dr. rer. pol. Astrid Szebel-Habig die „Der Personalvorstand der Zukunft“ für eine internationale Personalberatung. Prof. Szebel-Habig war von 2001 bis 2016 Aufsichtsratsvorsitzende eines deutschen IT- Unternehmens. Sie ist Mitglied in mehreren Frau- enberufsverbänden. Sie schreibt Bücher, hält Vorträge und veröffentlicht Artikel auf den Ge- bieten der Mitarbeiterbindung und des Gender- Managements. Bauwerk 01 | 2021 24 | 25
D Expertinnen Gastbeitrag eborah Tannen weist in ihrem berühmten wie Teamfähigkeit, altruistisches Denken und Empathie gewinn- ter dem Gruppeninteresse zurück, handelten also altruistischer dings wird hierbei immer wieder hinterfragt, ob die positive Kor- Buch „Du kannst mich einfach nicht ver- bringend miteinander kombiniert werden. Frauen werden im als die von männlichen Studierenden geführten Teams. relation zwischen Frauenanteilen in den Entscheidungsgremien stehen – Warum Männer und Frauen an- Durchschnitt als risikoscheuer und weniger wettbewerbsorien- und den betriebswirtschaftlichen Erfolgskennzahlen eine Kausa- einander vorbeireden“ nach, dass Männer tiert als Männer angesehen. Dafür wird ihnen eine höhere soziale lität beweisen kann. in der Regel in ihrem Kommunikationsver- Verantwortlichkeit zugeschrieben. Erkenntnisse zu Gender- halten nach Status streben, während die gemischten Aufsichtsräten. Auch wenn die Renditefrage noch nicht wissenschaftlich schlus- meisten Frauen eher einen beziehungs- In diesem Kontext analysierte eine Studie des IfW Kiel 2017 die sendlich bewiesen ist, lohnt es sich für Unternehmen, eine orientierten Sprechstil pflegen. Dies schlägt sich verändernde Risikobereitschaft in gemischten Teams: Je In Norwegen wurde 2008 eine Zwangsquote für Frauen in den Geschlechtermischung in der Belegschaft und Führungsebe- sich beim weiblichen Geschlecht im Gruppenverhalten häufig in höher der Anteil der männlichen Teammitglieder war, desto hö- Aufsichtsräten (Board of Directors) eingeführt. Prof. Aaron Dhir ne anzustreben, da zum einen die Veränderungs- und Inno- Fürsorge, Empathie und Hilfsbereitschaft nieder, mit dem Ziel, her stellte sich die Risikobereitschaft im Team dar. So war die zeigt in seinem Buch „Challenging Boardroom Homogeneity“ vationskompetenz der Organisation wächst und zum anderen möglichst alle zu beteiligen und von vielen gemocht zu werden. durchschnittliche Risikobereitschaft einer reinen Männergruppe (2015) auf, wie vorteilhaft die 40-Prozent-Frauenbeteiligung sich ein besseres Reputations- und Risikomanagement mit weniger circa 50 Prozent höher als die einer reinen Frauengruppe. Der auf die Zusammenarbeit in diesem Kontrollgremium ausgewirkt Konfliktpotenzial zu beobachten ist. Auch davon profitieren Hingegen ist es Männern oft sehr wichtig, sich in der Gruppe gut spannende Punkt war, dass die Risikobereitschaft einer reinen hat: Er stellte unter anderem eine bessere Arbeitskultur und ein die Männer. • behaupten zu können, mit dem Ziel der Gewinnung von Status, Männergruppe die Risikobereitschaft jedes einzelnen männlichen besseres Risiko- und Krisenmanagement fest. Anerkennung und Macht. Hierbei spielen Situationskontrollen, Gruppenmitglieds überstieg. Das gleiche Ergebnis – nur mit um- zum Beispiel durch Witzeerzählen und das Nichtzugeben eigener gekehrten Vorzeichen – ergab sich für reine Frauenteams: Hier Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Forschungsgruppe der Schwächen, eine große Rolle. war die Risikobereitschaft im Team geringer im Vergleich zu der FU Berlin. Seit 2015 ist eine Frauenquote von 30 Prozent für die jeder einzelnen Frau. Die Forschenden kamen zu dem Ergebnis, börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen 107 Unter- dass eine Gender-gemischte Gruppe ausgewogenere und bes- nehmen in Deutschland in Kraft. Die Forschenden führten 60 In- Auslaufmodell ser überlegte Entscheidungen trifft. terviews mit männlichen und weiblichen Aufsichtsratsmitgliedern Monokultur. zu den Auswirkungen des höheren Frauenanteils in diesem Kon- Eine im Harvard Business Manager 2020 veröffentlichte Studie trollgremium. Als Vorteile dieser zuerst sehr umstrittenen gesetz- In vielen deutschen Unternehmen ist heute immer noch eine aus den USA schlägt in die gleiche Bresche: Danach verfolg- lichen Vorgabe wurden ein besseres Miteinander und qualitativ männlich geprägte Monokultur vorzufinden mit einer klaren Rang- ten CEOs von 1.629 untersuchten US-Unternehmen weniger bessere Entscheidungsprozesse sowohl von Frauen als auch von ordnung und hierarchischen Strukturen, in der Statusgerangel, riskante Strategien, wenn Frauen im Vorstand „das übermäßi- befragten Männern genannt. Die Sitzungen laufen in einer freund- Machtkämpfe, Old-Boys-Netzwerke und geheime Spielregeln die ge Selbstbewusstsein des CEO mäßigten“ und somit bessere licheren Atmosphäre, mit einem rücksichtsvolleren Umgang und wettbewerbsorientierte Zusammenarbeit prägen. Entscheidungen über Akquisitionen und Investitionen getroffen einer höheren Wertschätzung für die Arbeitnehmerseite ab. werden konnten. In der Finanzkrise 2007–2009 wiesen diese Un- Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung werden aber ternehmen mit Frauen im Board geringere Aktienkursverluste auf Zudem würde sachorientierter, facettenreicher und umfassender diese Monokulturen mit ihren eingefahrenen Abläufen und ver- (Harvard Business Manager 3/2020). miteinander diskutiert, weil Frauen wesentlich furchtloser geplan- krusteten Strukturen immer mehr infrage gestellt, weil aufgrund te Entscheidungen des Vorstandes hinterfragten. der komplexen und sich stark verändernden VUCA-Umwelt mehr Zum gleichen Ergebnis kam Prof. Ferrari bei der Analyse des Agilität und Flexibilität gefordert sind. Das Überleben der Unter- französischen Aktienindexes CAC 40 während der Finanzkrise: nehmen im Markt wird über Schnelligkeit und Innovationskraft Unternehmen mit Frauen im Vorstand fuhren signifikant geringere Männer profitieren gesichert, wozu ein „Miteinander“ in Form von gemischten Teams Verluste des Aktienkurses ein als solche, deren Vorstandsposten von mehr Frauen im Team. eine bessere Ausgangsposition bildet, als es homogene Gruppen nur mit Männern besetzt waren. vermögen. Es ist nachvollziehbar, dass Männer erst einmal Veränderungen Die drei US-Forschenden Chabris, Mallone und Wooley kamen kritisch gegenüberstehen, die sie in ihren bisherigen Machtbefug- Homogene Teams zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Mitglie- in ihren MIT-Langzeitstudien in den USA 2015 zu dem Ergebnis, nissen einschränken könnten. Zudem sind es Männer gewohnt, der aufgrund einer Vertrauensbasis ausgewählt wurden und ein dass ein höherer Frauenanteil in einem Team die Gruppenintel- sich nur mit Männern zu vergleichen. Jetzt treten Frauen als neue starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt werden kann. ligenz signifikant ansteigen lässt. Dieses Phänomen führten sie Konkurrenz auf und werden trotz des Postulats der Chancen- Man kennt sich. Eine Sitzung wird wenig an Überraschungen auf das bessere „Mindreading“ der weiblichen Teammitglieder gerechtigkeit als Störfeuer empfunden. Zudem induziert soziale bringen, weil die Tagesordnungspunkte routinemäßig abgear- zurück. Dieses empathische Verhalten bewirkt in der Gruppe, Vielfalt oft zusätzliche kognitive Anstrengungen in der Vorbe- beitet werden können. Homogene Gruppen haben ihre Berech- dass jedes Mitglied aufgefordert wird, seine Meinung zu äußern reitung von Teamsitzungen und in der Konsensfindung, da mit tigung in stabilen Märkten, die keine Veränderungsbereitschaft und sich an der schlussendlichen Entscheidung zu beteiligen, unterschiedlichen Sichtweisen und Widerspruch gerechnet des Unternehmens erfordern. sodass niemand übergangen wird. werden muss, wie die Forscherin Katherine W. Phillips von der Columbia Business School New York in ihren Studien 2018 Der Innovationsforscher Prof. Dr. Sascha Friesike entdeckte, Diese „smarteren“ Teams könnten auch in Deutschland zu beob- feststellen konnte. Allerdings ist die männliche Abwehrhaltung dass homogene Teams niedrige Diskussionskosten, aber auch achten sein, da sich hierzulande eine weibliche Bildungselite ab gegenüber den neuen Herausforderungen durch das Ungewohn- ein geringes Innovationspotenzial haben. Hingegen stellte er bei dem Jahrgang 1973 herausgebildet hat, das heißt, dass heute te zu kurz gedacht, denn Frauen bringen viele Vorteile in das gemischten Teams eine größere Veränderungs- und Innovations- 48-jährige Frauen und jünger über ein höheres Bildungsniveau Arbeitsleben ein, wovon auch Männer langfristig profitieren kön- Gemischt ist besser als kompetenz fest. verfügen als gleichaltrige Männer. Der Anteil der Hochschulreife nen wie zum Beispiel mehr Flexibilität, neue Ideen, Teamgeist liegt bei den heute 30- bis 35-jährigen Frauen mit 51 Prozent und zunehmende Rücksichtnahme auf das Privatleben. In unse- homogen, wenn auch deutlich über dem der Männer mit 46 Prozent. In dieser Alters- rem 2016 abgeschlossenen BMBF/ESF-Forschungsprojekt „Mit Studien zu gruppe haben 31 Prozent der Frauen einen Hochschulabschluss, Mixed Leadership an die Spitze“ stellten wir Professoren Kaps, gemischten Teams. nicht immer so bequem! aber nur 28 Prozent der Männer. Ruppert und Szebel-Habig eine signifikant niedrigere männliche Fluktuationsquote über alle Unternehmensebenen bis hin zum Die Gründe für den Erfolg geschlechtergemischter Teams lie- Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) veröffentlichte 2018 eine Top-Management fest, wenn Work-Life-Balance-Angebote von gen hauptsächlich in den Synergieeffekten, die sich aus den interessante Vergleichsstudie zum Teamverhalten von 430 Stu- Frauen und Männern sanktionsfrei in Anspruch genommen wer- unterschiedlichen Sicht- und Arbeitsweisen von Mann und Frau dierenden der Universität Kalabrien: Danach schnitten die von den konnten. Unternehmensberatungen wie McKinsey, Boston ergeben. So können eher männliche Eigenschaften wie Durch- weiblichen Studierenden geführten Teams besser bei den Prü- Consulting, Ernst & Young etc. weisen seit Jahren in unzähligen setzungsstärke, Risikobereitschaft und eine Fokussierung auf fungsvorbereitungen ab, weil die Hausaufgaben gewissenhafter Studien darauf hin, dass gemischte Teams im Top-Management das Wesentliche (Big Picture) mit den eher weiblichen Stärken erledigt wurden. Zudem stellten sie oft ihr eigenes Interesse hin- von Unternehmen auch eine höhere Rendite einbringen. Aller- Bauwerk 01 | 2021 26 | 27
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