Genfer Depesche Wochenspiegel zu Vorgängen im multilateralen Genf zu COVID-19 (28.5.-11.6.) - Konrad-Adenauer-Stiftung

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Genfer Depesche Wochenspiegel zu Vorgängen im multilateralen Genf zu COVID-19 (28.5.-11.6.) - Konrad-Adenauer-Stiftung
Juni 2020

Multilateraler Dialog Genf

 Genfer Depesche

Wochenspiegel zu Vorgängen im multilateralen Genf zu COVID-19 (28.5.-11.6.)
Olaf Wientzek, Diana Peters, Sarah Ultes
Die „Genfer Depesche“ geht in Kurzform auf Vorgänge in den Genfer multilateralen Organisationen zu ei-
nem aktuellen Thema ein. In diesen Monaten widmet sie sich Entwicklungen in den Genfer Organisationen
mit Bezug auf COVID-19. Die Pandemie hat neben ihrer gesundheitspolitischen Dimension auch Auswir-
kungen auf die Zukunft der Weltwirtschaft, des Welthandels, der Arbeit, Flucht und Migration, Menschen-
rechte, die humanitäre Hilfe sowie den Multilateralismus als Ganzes.

Während sich der Fokus in der EU auf das Herun-       tritt aus der WHO zu vollziehen. Vor einem Aus-
terfahren einschränkender Maßnahmen und den           tritt stünde wohl auch die Zahlung aller ausste-
Neustart der Wirtschaft verlagert, erinnern Vorgän-   henden Beiträge an die Behörde an. Der Schritt
ge in den multilateralen Organisationen in Genf       des Präsidenten wurde von führenden Politikern
daran, dass die Pandemie weltweit nichts von ihrer    der EU und von vielen Gesundheitsexperten in
Gefahr und ihrer verheerenden Wirkung auf Ge-
                                                      den USA und im Ausland kritisiert: ein Rückzug
sundheit, Wirtschaft und Gesellschaft verloren hat.
                                                      sei kontraproduktiv für die Ziele der USA. Inner-
                                                      halb der WHO wird der Schritt als Wahlkampf-
Zwischen Hiobsbotschaften und Hoffnungs-
                                                      manöver Trumps bewertet. Offene Kritik aus der
schimmern
                                                      WHO gab es keine — getreu ihrer Maxime, ihre

Austrittsankündigung der USA aus der WHO              Mitgliedstaaten nicht öffentlich zu schelten. Viel-
                                                      mehr lobte WHO-Generaldirektor Dr. Tedros
Für die WHO liegen in diesen Wochen hoffnungs-        Ghebreyesus den "immensen" und "großzügigen"
volle Fortschritte und Hiobsbotschaften eng bei-      Beitrag der USA zur globalen Gesundheit, mit der
einander.                                             Hoffnung, die langjährige Zusammenarbeit fort-
Zu letzteren ist die Ankündigung von US-              setzen zu können. Die WHO hatte die US-
Präsident Donald Trump am 29. Mai zu zählen,          Entscheidung nur aus den Medien erfahren, ein
die Beziehungen der USA mit der Weltgesund-           formelles Austrittsgesuch wurde bislang nicht
heitsorganisation (WHO) beenden zu wollen,            hinterlegt. Beobachter berichten von Hinter-
verbunden mit der Behauptung, dass "China die         grundgesprächen zwischen der US-Vertretung in
vollständige Kontrolle über die Weltgesundheits-      Genf und der WHO, wie der Vollzug eines Aus-
organisation" habe.                                   tritts noch vermieden werden kann.
Die Begründung: Die WHO habe es versäumt, die
von Trump geforderten Reformen durchzuführen          Neue Initiative "C-TAP"
—daher werden nun die Mittel auf andere globa-
                                                      Parallel zur Ankündigung Trumps startete der
le öffentliche Gesundheitsbedürfnisse umgelei-
                                                      von Costa Ricas Präsident Carlos Alvarado initiier-
tet. Dieser Schritt kam nicht einmal elf Tage nach
                                                      te COVID-19 "Technology Access Pool" (C-TAP) der
Trumps — am Rande der WHA veröffentlichtem
                                                      WHO, einer Initiative, die Impfstoffe, Tests, Be-
— Brandbrief, in welchem er der WHO eine 30-
                                                      handlungen und andere Gesundheitstechnolo-
Tage Frist eingeräumt hatte, um nicht näher ge-
                                                      gien, die zur Bekämpfung von COVID-19 benötigt
nannte Reformen durchzuführen. Unklar ist, ob
                                                      werden, weltweit zugänglich machen soll und die
es für den US-Präsidenten überhaupt ohne Zu-
stimmung des Kongresses möglich ist, den Aus-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                      Juni 2020   2

                        1
von rund 37 Ländern unmittelbare Unterstüt-              WHO-Stiftung gegründet
zung erhielt. Die Länder verpflichten sich, Patente
                                                         Parallel zur Rücktrittsankündigung Trumps er-
und Daten für COVID-19-Behandlungen und
                                                         folgte auch die Gründung der neuen WHO-
Impfstoffe als "globale öffentliche Güter" frei                     2
                                                         Stiftung am 27. Mai. Die Stiftung mit Sitz in Genf,
verfügbar zu machen. Die Initiative wird vor allem
                                                         die rechtlich von der WHO getrennt ist, wird Bei-
von Ländern des globalen Südens, aber auch von
                                                         träge der breiten Öffentlichkeit, einzelner Groß-
vier EU-Ländern und Norwegen gestützt. Gleich-
                                                         spender und Unternehmenspartner der WHO
wohl fehlen zahlreiche zentrale Akteure wie die
                                                         zugänglich machen, um die globalen Bedürfnisse
USA, die Milliarden in die COVID-19-
                                                         im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu unter-
Impfstoffforschung investiert haben. Ebenfalls
                                                         stützen. Ziel ist es, die Spenderbasis der WHO zu
abwesend: das Vereinigte Königreich, die Schweiz
                                                         verbreitern und auf eine nachhaltigere und vor-
und andere wichtige Länder der Europäischen
                                                         hersehbarere Finanzierung hinzuarbeiten. Nach
Union, in denen viele der weltweit größten Phar-
                                                         mehr als zwei Jahren Vorbereitung wird Thomas
makonzerne angesiedelt sind, wie Frankreich,
                                                         Zeltner die Stiftung leiten, ehemaliger Gesund-
Deutschland und Italien. Die Staats- und Regie-
                                                         heitsminister der Schweiz und Generaldirektor
rungschefs der drei letztgenannten Länder haben
                                                         der Schweizerischen Gesundheitsbehörde.
kürzlich gefordert, dass jeder COVID-19-Impfstoff
als "globales öffentliches Gut" behandelt werden
                                                         Steigende Zahl von Neuinfektionen
müsse, jedoch gehen ihnen einzelne Aspekte der
Initiative bislang zu weit. China und Indien haben       Der WHO wurden inzwischen fast sieben Millio-
ebenfalls noch nicht ihre Unterstützung zugesagt.        nen Fälle von COVID-19 und fast 400.000 Todes-
Gleichzeitig baten die WHO und die Co-                   fälle gemeldet. Obwohl sich die Situation in Euro-
Sponsorenländer auch Geber, Forscher, Industrie          pa verbessert, verschlechtert sie sich weltweit
und Zivilgesellschaft, sich der Initiative anzu-         zunehmend. Am 7. Juni wurden mehr als 136.000
schließen und sie zu unterstützen. "Der Aufruf           Fälle gemeldet, bisher die höchste Zahl an einem
geht weit über den Anwendungsbereich von                 einzigen Tag. Fast 75% davon wurden aus Nord-
Patenten hinaus und fordert dazu auf, im We-             und Südamerika und Südasien gemeldet. Ent-
sentlichen alles zu teilen, was notwendig ist, da-       sprechend mahnte Tedros, dass es nach mehr als
mit weitere Unternehmen auch jene Produkte               sechs Monaten Pandemie für kein Land der rich-
herstellen können, die sich als wirksam gegen            tige Zeitpunkt sei, "den Fuß vom Pedal zu neh-
COVID-19 erwiesen haben", sagte ein Sprecher             men". In den meisten Ländern der afrikanischen
von Unitaid, Gründer des Patentpools für Arz-            Region ist nach wie vor ein Anstieg der Zahl der
neimittel und einer der wichtigsten Partner der          neuen COVID-19-Fälle zu verzeichnen, ebenso in
WHO bei der Initiative. Die Reaktion der Pharma-         Teilen Osteuropas und Zentralasiens. Gleichzei-
industrie war hingegen abweisend. Kritisch wer-          tig sind in mehreren Ländern positive Entwick-
den Forderungen im Rahmen des Aufrufs gese-              lungen zu beobachten. Dort ist laut Tedros aller-
hen, die auf eine globale Lizenzvergabe, u.a. den        dings die größte Bedrohung die Selbstzufrieden-
Verzicht auf geistige Eigentumsrechte, drängen.          heit. Die WHO drängt weiterhin auf eine aktive
C-TAP ist eine Schwesterinitiative zu dem Ende           Überwachung von Fällen um sicherzustellen, dass
April von der Europäischen Kommission und der            sich das Virus nicht wieder ausbreitet, insbeson-
WHO angekündigten "Accelerator Access to CO-             dere da in einigen Ländern wieder Massenan-
VID-19 Tools (ACT)", der über 7,4 Milliarden Euro        sammlungen stattfinden.
für die Entwicklung und Verteilung von Medika-           Angesichts der Tatsache, dass Millionen von
menten und Impfstoffen aufgebracht hat.                  Menschen bei Protesten gegen Rassismus auf die
                                                         Straße gehen, unterstreicht die WHO die Bedeu-
                                                         tung der Beachtung von Abstands- und Hygiene-

1                                                        2
 Zentrale Elemente der Initiative und die Liste der 37       Mehr Informationen hier.
Unterstützer finden sich hier
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                       Juni 2020   3

                              3
regeln bei einer Teilnahme.                            folgt auf den erfolgreichen Berliner Gipfel im
                                                       Januar 2015. Die Staats- und Regierungschefs der
Empfehlungen für Maskennutzung                         Welt zeigen angesichts der COVID-19-Pandemie
                                                       ein bemerkenswertes Engagement für gerechte
Unterdessen veröffentlichte die WHO am 5. Juni
                                                       Impfkampagnen und globale Gesundheitssicher-
in einer separaten Pressekonferenz aktualisierte
                                             4         heit. Neben der Unterstützung der routinemäßi-
Leitlinien für die Verwendung von Masken zur
                                                       gen Impfung von Hunderten von Millionen Kin-
Verhinderung der Übertragung von COVID-19 in
                                                       dern in einkommensschwächeren Ländern gegen
der Öffentlichkeit und im Gesundheitswesen.
                                                       Infektionskrankheiten wie Masern, Polio und
Regierungen in Gebieten mit weit verbreiteter
                                                       Diphtherie soll die neue Unterstützung auch dazu
COVID-19-Übertragung sollten die Verwendung
                                                       dienen, einkommensschwächeren Ländern bei
nichtmedizinischer Masken in öffentlichen Ver-
                                                       der Bewältigung der Herausforderung der
kehrsmitteln, in Geschäften und an anderen Or-
                                                       Coronavirus-Pandemie zu helfen, indem die Ge-
ten, an denen eine physische Entfernung schwie-
                                                       sundheitssysteme und die Verteilung von Impf-
rig ist, fördern, empfiehlt die WHO in einem aktu-
                                                       stoffen gestärkt werden.
alisierten Leitfaden. Zum ersten Mal veröffent-
lichte die WHO auch Anweisungen zur Herstel-
lung von Stoffmasken zur Verwendung durch die
                                                       Menschenrechte
Allgemeinheit, die einen angemessenen Schutz
vor einer Weiterübertragung des Virus bieten           Nachdem der 43. Menschenrechtsrat Mitte März
würden. Gleichwohl betont die WHO weiterhin,           COVID-bedingt unterbrochen werden musste, ist
dass Masken Teil einer umfassenden Strategie           die Wiederaufnahme — physisch und virtuell —
von Maßnahmen zur Unterdrückung der Über-              für den 15. Juni vorgesehen, bevor sich am 22.
tragung und zur Rettung von Leben sein müss-           Juni unmittelbar die 44. Sitzung des Rates an-
ten. Die Verwendung einer Maske allein reiche          schließen soll. In den vergangenen Wochen hat-
nicht aus, um einen angemessenen Schutz gegen          ten die Sonderverfahren (Special Procedures) bis
COVID-19 zu bieten. Nötig sei auch ein physischer      zu 90 Statements veröffentlicht und der Rat
Mindestabstand von mindestens einem Meter zu           selbst drei virtuelle Sitzungen abgehalten. Zuletzt
anderen Personen, häufiges Händereinigen und                                                5
                                                       wurde eine Erklärung zu COVID-19 verabschie-
die Vermeidung der Berührung von Gesicht und                                                    6
                                                       det, welche die umfassenden Leitlinien der
Maske. Umfassendere Maßnahmen im Bereich               Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle
der öffentlichen Gesundheit wie Kontaktverfol-         Bachelet, zur Kenntnis nimmt und sie mit der
gung ("test & trace"), Quarantäne und Behand-          Untersuchung der Auswirkungen der Pandemie
lung von Fällen sowie die Isolierung von Ver-          auf Menschenrechte weltweit beauftragt.
dachtsfällen dürften nicht aufgegeben werden.          Auch mit Blick auf die aktuellen weltweiten Pro-
                                                       teste gegen Rassismus fordern rund 30 Experten
Globaler Impfstoffgipfel
                                                       des Menschenrechtsrats systemische Reformen
Der von Großbritannien ausgerichtete globale           und Gerechtigkeit ein, da nicht zuletzt COVID-19
Impfstoff-Gipfel am 4. Juni brachte 8,8 Milliarden     die überproportionale Benachteiligung von Men-
US-Dollar von 32 Geberregierungen und zwölf            schen afrikanischer Herkunft verdeutliche. Da
Stiftungen, Unternehmen und Organisationen             ethnische Minderheiten nicht nur in den USA,
auf und übertrifft damit deutlich das Ziel von 7,4     sondern auch in Brasilien, Frankreich oder Groß-
Milliarden US-Dollar. Der Gipfel ist die dritte Ge-    britannien unverhältnismäßig stark von den CO-
berkonferenz für die Impfstoffallianz Gavi und         VID-19 Auswirkungen betroffen seien, forderte
                                                       Bachelet Regierungen auf, Daten nach ethnischer
3
  Empfehlungen zum Verhalten bei Massenansamm-         Zugehörigkeit und Geschlecht zu erheben, sowie
lungen sind hier abrufbar.                             mit diesen in Dialog zu treten.
4
  Fragen und Antworten zu Masken und COVID-19 sind
hier zu finden. Informationen zur Nutzung von Masken
finden sich hier.                                      5
                                                        Das komplette Statement findet sich hier
                                                       6
                                                        Die Leitlinien der UN-Hochkommissarin finden sich
                                                       hier
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                        Juni 2020   4

Gemeinsam mit dem Menschenrechtsbeauftrag-             brechen, u.a. das Aushungern der Bevölkerung
ten der Afrikanischen Kommission der Men-              und die Bombardierung von zivilen Einrichtungen
                                                                                                           8
schenrechte und der Rechte der Völker (ACHPR),         inklusive Krankenhäusern, vorgeworfen werden ,
Solomon Dersso, warnte sie zudem vor der Hoff-         stieß im Vorfeld auf Kritik. OCHA verteidigte dies
nung, dass COVID-19 am afrikanischen Kontinent         mit dem Verweis, dass das Königreich der größte
vorbeiziehen werde. Der Virus sei bereits in allen     humanitäre Geber für den Jemen sei.
54 afrikanischen Staaten angekommen, hunderte
Millionen Menschen stünden in Gefahr insbe-
sondere durch die wirtschaftlichen Auswirkungen        Wirtschaftlicher "Neustart" in Davos?
der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus
                                                       Das Weltwirtschaftsforum (WEF) kündigte un-
mittellos zu werden.
                                                       längst einen Doppelgipfel zum Thema "Der Große
                                                       Neustart" für Januar 2021, d.h. zum 51. Jahres-
Humanitäres – Jemen am Rande des Ab-                   treffen des Forums in Davos, an. Hier sollen in
grunds                                                 persönlichen und virtuellen Dialogen führende
                                                       Vertreter aus Politik und Wirtschaft mit Vertre-
"Ist die Welt bereit zuzusehen, wie der Jemen in
                                                       tern der Zivilgesellschaft und insbesondere der
den Abgrund stürzt?", fragte Mark Lowcock, Lei-
                                                       jungen Generation in einen Austausch treten.
ter des Amtes der Vereinten Nationen für die
                                                       Das Format soll mithin erheblich geöffnet wer-
Koordinierung humanitärer Angelegenheiten
                                                       den. Diskutiert werden sollen die Grundlagen für
(OCHA), auf der diesjährigen Geberkonferenz für
                                                       neue Wirtschafts- und Sozialsysteme, die den
den Jemen am 2. Juni, welche traditionell in Genf
                                                       Weg in eine gerechtere, nachhaltigere und resili-
tagt und dieses Jahr erstmals virtuell zusammen-
                                                       entere Zukunft ebnen. Ebenso wird ein neuer
trat — auf Einladung der UN und Saudi-Arabiens
                                                       Gesellschaftsvertrag gefordert, in dessen Mitte
(!). Seit Jahren gilt das Land als die größte huma-
                                                       Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit ver-
nitäre Krise weltweit; 24 Millionen Menschen,
                                                       ankert sind. Im Vorfeld sind bereits erste virtuelle
rund 80% der Bevölkerung, sind auf lebensret-
                                                       Dialoge geplant.
tende Hilfe angewiesen. Zu dem seit 2015 wü-
tenden internationalisierten Bürgerkrieg, dem
                                                       Handel – Sorge um Nachhaltigkeit und Nah-
Ausbruch von Cholera, Malaria, dem Dengue-
Fieber, zu Massenvertreibungen und
                                                       rungsmittellieferketten
verheerenden Überschwemmungen, trifft nun
                                                       Die WTO hat nach der Rücktrittsankündigung
noch COVID-19. Mit einem Gesundheitssystem,
                                                       ihres Generaldirektors Roberto Azevedo zum 31.
welches sich im Zusammenbruch befindet und                                                       9
                                                       August turbulente Wochen hinter sich. Obwohl
kranke Menschen abweist, zählt die Sterblich-
                                                       die Suche nach der Nachfolge Ressourcen bindet,
keitsrate bereits jetzt zu den höchsten weltweit.
                                                       ist man auch dort mit Überlegungen zum "wirt-
Mehr als 30 von 41 UN-gestützten Programmen
                                                       schaftlichen Neustart" nach der Krise befasst. Als
drohe die Schließung, so Lowcock. Noch nie sei
                                                       ein mögliches Instrument zur Stärkung der Nach-
so spät im Jahr so wenig Geld vorhanden gewe-
                                                       haltigkeit im Bereich des Handels gilt ein mögli-
sen. Von einem Bedarf von 2,41 Mrd. US-Dollar
                                                       ches Abkommen zur Liberalisierung des Handels
bis Ende des Jahres (mindestens aber den 2,3
                                                       von Umweltgütern und Dienstleistungen. Viele
Mrd., dem Betrag vom letzten Jahr), kamen letzt-
                                                       Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland,
lich nur 1,35 Mrd. US-Dollar an Zusagen zusam-
                                                       drängen zudem auch auf eine Fortführung der
men, von welchen Saudi-Arabien gut die Hälfte
                                                       Diskussionen über Regeln für den elektronischen
zuschoss, gefolgt von den USA, Großbritannien
                      7
                                                       Handel, dessen Bedeutung im Rahmen der Krise
und Deutschland .
                                                       überdeutlich wurde.
Die Rolle Saudi-Arabiens als Co-Ausrichter der
Konferenz und aktive Kriegspartei, welcher Ver-
brechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsver-        8
                                                         Der Bericht der Expertengruppe für den Jemen findet
                                                       sich hier
                                                       9
                                                         Mehr zu den Hintergründen in der letzten Genfer
7
    Eine Übersicht über die Zusagen findet sich hier   Großwetterlage der KAS
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                              Juni 2020   5

Nach wie vor ist die WTO jedoch auch mit dem              tal 2019 um insgesamt 10,7% zurück (das Äquiva-
Monitoring handelsbeschränkender Maßnahmen                lent von 305 Millionen Jobs). Besonders betroffen
im Zuge der COVID-19-Krise beschäftigt. Am 29.            sind die ILO-Regionen Nordamerika (17%) und
Mai stützten 55 Länder einen von Kanada lancier-          Südeuropa (17,3%), doch auch in den meisten
ten Aufruf, sich für offenen Handel von landwirt-         übrigen Regionen sind Rückgänge von 8-14% zu
schaftlichen Produkten einzusetzen, um eine               verzeichnen. Überproportional betroffen sind
Beeinträchtigung von Lebensmittelsicherheit               junge Menschen (die ILO warnt vor einer „Lock-
durch Preisschwankungen und Lebensmittel-                 down-Generation“), da sie häufiger im besonde-
knappheit zu vermeiden. Entsprechend verpflich-           res betroffenen informellen Sektor beschäftigt
ten sich die Unterstützer, Lebensmittellieferket-         sind. Wichtig: Die ILO befürwortet mit Nachdruck
ten aufrechtzuerhalten, von Exportbeschränkun-            den bereits seit Monaten von der WHO prokla-
gen und anderen Handelsbarrieren Abstand zu               mierten Ansatz von „Testing & Tracing“, also
nehmen. Zudem wolle man bei Maßnahmen                     Ausweitung von Tests und Nachverfolgung von
darauf achten, dass sie zielführend, zeitlich be-         Kontakten. Schätzungen der ILO suggerieren,
grenzt, verhältnismäßig und transparent sind.             dass diese Strategie die Zahl der verlorenen Ar-
Unter den Unterstützern findet sich neben der             beitsstunden um bis zu 50% reduzieren kann.
EU auch die USA, Australien, zahlreiche latein-
amerikanische Länder und Taiwan — nicht aber              Chance für neuen Ansatz gegenüber Migran-
China. Insgesamt decken die Unterzeichnerlän-             ten und Geflüchteten?
der 67% der globalen Exporte landwirtschaftli-
cher Produkte ab.
                                                          Auf der Basis zahlreicher Empfehlungen von
Bis zum 5. Juni hatten die Mitglieder insgesamt
                                                          Genfer Organisationen, wie der Internationalen
151 Handelsmaßnahmen bei der WTO gemeldet.
                                                          Arbeiterorganisation (ILO), dem Flüchtlingshilfs-
Bei den meisten handelt es sich entweder um
                                                          werk (UNHCR) und der Internationalen Organisa-
technische Handelsbeschränkungen (60), ge-
                                                          tion für Migration (IOM), stellte UN-
sundheitliche oder pflanzenschutzrechtliche                                                                12
                                                          Generalsekretär Guterres neue Leitlinien              zu
Maßnahmen (40) oder um quantitative Handels-
                                                          Flucht und Migration vor. COVID-19 stelle eine
beschränkungen (27). Nur bei wenigen handelt es
                                                          Chance für Gesellschaften dar, ihren Umgang mit
                                                     10
sich um handelserleichternde Maßnahmen.
                                                          Migranten und Geflüchteten zu überdenken.
Ein am 10. Juni von der WTO publiziertes Papier
                                                          Auch das bisherige System von Familienüberwei-
warnt, dass die am wenigsten entwickelten Län-
                                                          sungen stehe vor einer Zäsur. Allein im vergan-
der (LDC) zu den wirtschaftlich am schwersten                                                         13
                                                          genen Jahr wurden 554 Mrd. US-Dollar             an 800
von der Pandemie betroffenen Ländern zählen
                                                          Millionen Menschen in mehr als 125 Länder mit
könnten. Ein Grund: einige dieser Länder sind
                                                          niedrigen und mittleren Einkommen überwiesen.
stark von Exporten in Länder abhängig, die wie-
                                                          Würde sich der erwartete Rückgang von
derum besonders intensiv von COVID-19 heimge-
                                                          Transfers um ca. 20% (110 Mrd. US-Dollar) auf-
sucht worden waren.
                                                          grund von COVID-19 materialisieren, könnten
                                                          mehrere zehn Millionen Menschen unter die
ILO: Testen und Nachverfolgung verringert                 Armutsgrenze fallen. In Kooperation mit IOM
Beschäftigungsrückgang                                    setzte sich die Schweiz daher mit Großbritannien
                                                                                                     14
                                                          für niedrigere Transaktionskosten ein .
Ende Mai veröffentlichte Zahlen der Internationa-
len Arbeitsorganisation (ILO) illustrieren die er-        Kommentar
heblichen Auswirkungen der Pandemie auf die
globale Beschäftigungsquote und die Arbeits-
       11
welt . Für das 2. Quartal 2020 ging die Zahl der          12
                                                             Die Leitlinien sind hier abrufbar
Arbeitsstunden weltweit gegenüber dem 4. Quar-            13
                                                             mehr als die Summe ausländischer Direktinvestitio-
                                                          nen oder der offiziellen Entwicklungshilfe
                                                          14
                                                             Weitere Unterstützer des Aufrufs sind u.a. u.a. Ägyp-
10
     Eine komplette Aufstellung ist hier abrufbar         ten, Ecuador, El Salvador, Jamaika, Mexiko, Nigeria,
11
     Der gesamte Bericht der ILO findet sich hier.        Pakistan
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                 Juni 2020   6

Im Kampf gegen die Pandemie aber auch bei der
Wiederankurbelung der Wirtschaft können inter-
nationale Organisationen wie die WHO oder auch
die WTO eine entscheidende Rolle spielen, wenn
man ihnen den Raum lässt. Nicht zuletzt die Aus-
trittsankündigung des größten Beitragszahlers
der WHO ist eine Erinnerung daran, wie dringlich
die Frage ihrer nachhaltigen Finanzierung und
größeren Unabhängigkeit von geopolitischen
Großwetterlagen und Launen einzelner Staats-
chefs ist. Auch dies muss zentraler Teil der Ge-
samtevaluierung der Krisenreaktion sein. Interna-
tionale Organisationen durch Blockaden und
Finanzkürzungen zu besseren Think Tanks zu
degradieren, wäre auch mit Blick auf künftige
Krisen ein gefährlicher Schritt.

Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Dr. Olaf Wientzek
Leiter Multilateraler Dialog Genf
Europäische und Internationale Zusammenarbeit
olaf.wientzek@kas.de

Der Text dieses Werkes ist lizenziert unter den Bedingungen
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gleichen Bedingungen 4.0 international”,
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