Genfer Depesche Wochenspiegel zu Vorgängen im multilateralen Genf zu COVID-19 (28.5.-11.6.) - Konrad-Adenauer-Stiftung
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Juni 2020 Multilateraler Dialog Genf Genfer Depesche Wochenspiegel zu Vorgängen im multilateralen Genf zu COVID-19 (28.5.-11.6.) Olaf Wientzek, Diana Peters, Sarah Ultes Die „Genfer Depesche“ geht in Kurzform auf Vorgänge in den Genfer multilateralen Organisationen zu ei- nem aktuellen Thema ein. In diesen Monaten widmet sie sich Entwicklungen in den Genfer Organisationen mit Bezug auf COVID-19. Die Pandemie hat neben ihrer gesundheitspolitischen Dimension auch Auswir- kungen auf die Zukunft der Weltwirtschaft, des Welthandels, der Arbeit, Flucht und Migration, Menschen- rechte, die humanitäre Hilfe sowie den Multilateralismus als Ganzes. Während sich der Fokus in der EU auf das Herun- tritt aus der WHO zu vollziehen. Vor einem Aus- terfahren einschränkender Maßnahmen und den tritt stünde wohl auch die Zahlung aller ausste- Neustart der Wirtschaft verlagert, erinnern Vorgän- henden Beiträge an die Behörde an. Der Schritt ge in den multilateralen Organisationen in Genf des Präsidenten wurde von führenden Politikern daran, dass die Pandemie weltweit nichts von ihrer der EU und von vielen Gesundheitsexperten in Gefahr und ihrer verheerenden Wirkung auf Ge- den USA und im Ausland kritisiert: ein Rückzug sundheit, Wirtschaft und Gesellschaft verloren hat. sei kontraproduktiv für die Ziele der USA. Inner- halb der WHO wird der Schritt als Wahlkampf- Zwischen Hiobsbotschaften und Hoffnungs- manöver Trumps bewertet. Offene Kritik aus der schimmern WHO gab es keine — getreu ihrer Maxime, ihre Austrittsankündigung der USA aus der WHO Mitgliedstaaten nicht öffentlich zu schelten. Viel- mehr lobte WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Für die WHO liegen in diesen Wochen hoffnungs- Ghebreyesus den "immensen" und "großzügigen" volle Fortschritte und Hiobsbotschaften eng bei- Beitrag der USA zur globalen Gesundheit, mit der einander. Hoffnung, die langjährige Zusammenarbeit fort- Zu letzteren ist die Ankündigung von US- setzen zu können. Die WHO hatte die US- Präsident Donald Trump am 29. Mai zu zählen, Entscheidung nur aus den Medien erfahren, ein die Beziehungen der USA mit der Weltgesund- formelles Austrittsgesuch wurde bislang nicht heitsorganisation (WHO) beenden zu wollen, hinterlegt. Beobachter berichten von Hinter- verbunden mit der Behauptung, dass "China die grundgesprächen zwischen der US-Vertretung in vollständige Kontrolle über die Weltgesundheits- Genf und der WHO, wie der Vollzug eines Aus- organisation" habe. tritts noch vermieden werden kann. Die Begründung: Die WHO habe es versäumt, die von Trump geforderten Reformen durchzuführen Neue Initiative "C-TAP" —daher werden nun die Mittel auf andere globa- Parallel zur Ankündigung Trumps startete der le öffentliche Gesundheitsbedürfnisse umgelei- von Costa Ricas Präsident Carlos Alvarado initiier- tet. Dieser Schritt kam nicht einmal elf Tage nach te COVID-19 "Technology Access Pool" (C-TAP) der Trumps — am Rande der WHA veröffentlichtem WHO, einer Initiative, die Impfstoffe, Tests, Be- — Brandbrief, in welchem er der WHO eine 30- handlungen und andere Gesundheitstechnolo- Tage Frist eingeräumt hatte, um nicht näher ge- gien, die zur Bekämpfung von COVID-19 benötigt nannte Reformen durchzuführen. Unklar ist, ob werden, weltweit zugänglich machen soll und die es für den US-Präsidenten überhaupt ohne Zu- stimmung des Kongresses möglich ist, den Aus-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht Juni 2020 2 1 von rund 37 Ländern unmittelbare Unterstüt- WHO-Stiftung gegründet zung erhielt. Die Länder verpflichten sich, Patente Parallel zur Rücktrittsankündigung Trumps er- und Daten für COVID-19-Behandlungen und folgte auch die Gründung der neuen WHO- Impfstoffe als "globale öffentliche Güter" frei 2 Stiftung am 27. Mai. Die Stiftung mit Sitz in Genf, verfügbar zu machen. Die Initiative wird vor allem die rechtlich von der WHO getrennt ist, wird Bei- von Ländern des globalen Südens, aber auch von träge der breiten Öffentlichkeit, einzelner Groß- vier EU-Ländern und Norwegen gestützt. Gleich- spender und Unternehmenspartner der WHO wohl fehlen zahlreiche zentrale Akteure wie die zugänglich machen, um die globalen Bedürfnisse USA, die Milliarden in die COVID-19- im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu unter- Impfstoffforschung investiert haben. Ebenfalls stützen. Ziel ist es, die Spenderbasis der WHO zu abwesend: das Vereinigte Königreich, die Schweiz verbreitern und auf eine nachhaltigere und vor- und andere wichtige Länder der Europäischen hersehbarere Finanzierung hinzuarbeiten. Nach Union, in denen viele der weltweit größten Phar- mehr als zwei Jahren Vorbereitung wird Thomas makonzerne angesiedelt sind, wie Frankreich, Zeltner die Stiftung leiten, ehemaliger Gesund- Deutschland und Italien. Die Staats- und Regie- heitsminister der Schweiz und Generaldirektor rungschefs der drei letztgenannten Länder haben der Schweizerischen Gesundheitsbehörde. kürzlich gefordert, dass jeder COVID-19-Impfstoff als "globales öffentliches Gut" behandelt werden Steigende Zahl von Neuinfektionen müsse, jedoch gehen ihnen einzelne Aspekte der Initiative bislang zu weit. China und Indien haben Der WHO wurden inzwischen fast sieben Millio- ebenfalls noch nicht ihre Unterstützung zugesagt. nen Fälle von COVID-19 und fast 400.000 Todes- Gleichzeitig baten die WHO und die Co- fälle gemeldet. Obwohl sich die Situation in Euro- Sponsorenländer auch Geber, Forscher, Industrie pa verbessert, verschlechtert sie sich weltweit und Zivilgesellschaft, sich der Initiative anzu- zunehmend. Am 7. Juni wurden mehr als 136.000 schließen und sie zu unterstützen. "Der Aufruf Fälle gemeldet, bisher die höchste Zahl an einem geht weit über den Anwendungsbereich von einzigen Tag. Fast 75% davon wurden aus Nord- Patenten hinaus und fordert dazu auf, im We- und Südamerika und Südasien gemeldet. Ent- sentlichen alles zu teilen, was notwendig ist, da- sprechend mahnte Tedros, dass es nach mehr als mit weitere Unternehmen auch jene Produkte sechs Monaten Pandemie für kein Land der rich- herstellen können, die sich als wirksam gegen tige Zeitpunkt sei, "den Fuß vom Pedal zu neh- COVID-19 erwiesen haben", sagte ein Sprecher men". In den meisten Ländern der afrikanischen von Unitaid, Gründer des Patentpools für Arz- Region ist nach wie vor ein Anstieg der Zahl der neimittel und einer der wichtigsten Partner der neuen COVID-19-Fälle zu verzeichnen, ebenso in WHO bei der Initiative. Die Reaktion der Pharma- Teilen Osteuropas und Zentralasiens. Gleichzei- industrie war hingegen abweisend. Kritisch wer- tig sind in mehreren Ländern positive Entwick- den Forderungen im Rahmen des Aufrufs gese- lungen zu beobachten. Dort ist laut Tedros aller- hen, die auf eine globale Lizenzvergabe, u.a. den dings die größte Bedrohung die Selbstzufrieden- Verzicht auf geistige Eigentumsrechte, drängen. heit. Die WHO drängt weiterhin auf eine aktive C-TAP ist eine Schwesterinitiative zu dem Ende Überwachung von Fällen um sicherzustellen, dass April von der Europäischen Kommission und der sich das Virus nicht wieder ausbreitet, insbeson- WHO angekündigten "Accelerator Access to CO- dere da in einigen Ländern wieder Massenan- VID-19 Tools (ACT)", der über 7,4 Milliarden Euro sammlungen stattfinden. für die Entwicklung und Verteilung von Medika- Angesichts der Tatsache, dass Millionen von menten und Impfstoffen aufgebracht hat. Menschen bei Protesten gegen Rassismus auf die Straße gehen, unterstreicht die WHO die Bedeu- tung der Beachtung von Abstands- und Hygiene- 1 2 Zentrale Elemente der Initiative und die Liste der 37 Mehr Informationen hier. Unterstützer finden sich hier
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht Juni 2020 3 3 regeln bei einer Teilnahme. folgt auf den erfolgreichen Berliner Gipfel im Januar 2015. Die Staats- und Regierungschefs der Empfehlungen für Maskennutzung Welt zeigen angesichts der COVID-19-Pandemie ein bemerkenswertes Engagement für gerechte Unterdessen veröffentlichte die WHO am 5. Juni Impfkampagnen und globale Gesundheitssicher- in einer separaten Pressekonferenz aktualisierte 4 heit. Neben der Unterstützung der routinemäßi- Leitlinien für die Verwendung von Masken zur gen Impfung von Hunderten von Millionen Kin- Verhinderung der Übertragung von COVID-19 in dern in einkommensschwächeren Ländern gegen der Öffentlichkeit und im Gesundheitswesen. Infektionskrankheiten wie Masern, Polio und Regierungen in Gebieten mit weit verbreiteter Diphtherie soll die neue Unterstützung auch dazu COVID-19-Übertragung sollten die Verwendung dienen, einkommensschwächeren Ländern bei nichtmedizinischer Masken in öffentlichen Ver- der Bewältigung der Herausforderung der kehrsmitteln, in Geschäften und an anderen Or- Coronavirus-Pandemie zu helfen, indem die Ge- ten, an denen eine physische Entfernung schwie- sundheitssysteme und die Verteilung von Impf- rig ist, fördern, empfiehlt die WHO in einem aktu- stoffen gestärkt werden. alisierten Leitfaden. Zum ersten Mal veröffent- lichte die WHO auch Anweisungen zur Herstel- lung von Stoffmasken zur Verwendung durch die Menschenrechte Allgemeinheit, die einen angemessenen Schutz vor einer Weiterübertragung des Virus bieten Nachdem der 43. Menschenrechtsrat Mitte März würden. Gleichwohl betont die WHO weiterhin, COVID-bedingt unterbrochen werden musste, ist dass Masken Teil einer umfassenden Strategie die Wiederaufnahme — physisch und virtuell — von Maßnahmen zur Unterdrückung der Über- für den 15. Juni vorgesehen, bevor sich am 22. tragung und zur Rettung von Leben sein müss- Juni unmittelbar die 44. Sitzung des Rates an- ten. Die Verwendung einer Maske allein reiche schließen soll. In den vergangenen Wochen hat- nicht aus, um einen angemessenen Schutz gegen ten die Sonderverfahren (Special Procedures) bis COVID-19 zu bieten. Nötig sei auch ein physischer zu 90 Statements veröffentlicht und der Rat Mindestabstand von mindestens einem Meter zu selbst drei virtuelle Sitzungen abgehalten. Zuletzt anderen Personen, häufiges Händereinigen und 5 wurde eine Erklärung zu COVID-19 verabschie- die Vermeidung der Berührung von Gesicht und 6 det, welche die umfassenden Leitlinien der Maske. Umfassendere Maßnahmen im Bereich Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle der öffentlichen Gesundheit wie Kontaktverfol- Bachelet, zur Kenntnis nimmt und sie mit der gung ("test & trace"), Quarantäne und Behand- Untersuchung der Auswirkungen der Pandemie lung von Fällen sowie die Isolierung von Ver- auf Menschenrechte weltweit beauftragt. dachtsfällen dürften nicht aufgegeben werden. Auch mit Blick auf die aktuellen weltweiten Pro- teste gegen Rassismus fordern rund 30 Experten Globaler Impfstoffgipfel des Menschenrechtsrats systemische Reformen Der von Großbritannien ausgerichtete globale und Gerechtigkeit ein, da nicht zuletzt COVID-19 Impfstoff-Gipfel am 4. Juni brachte 8,8 Milliarden die überproportionale Benachteiligung von Men- US-Dollar von 32 Geberregierungen und zwölf schen afrikanischer Herkunft verdeutliche. Da Stiftungen, Unternehmen und Organisationen ethnische Minderheiten nicht nur in den USA, auf und übertrifft damit deutlich das Ziel von 7,4 sondern auch in Brasilien, Frankreich oder Groß- Milliarden US-Dollar. Der Gipfel ist die dritte Ge- britannien unverhältnismäßig stark von den CO- berkonferenz für die Impfstoffallianz Gavi und VID-19 Auswirkungen betroffen seien, forderte Bachelet Regierungen auf, Daten nach ethnischer 3 Empfehlungen zum Verhalten bei Massenansamm- Zugehörigkeit und Geschlecht zu erheben, sowie lungen sind hier abrufbar. mit diesen in Dialog zu treten. 4 Fragen und Antworten zu Masken und COVID-19 sind hier zu finden. Informationen zur Nutzung von Masken finden sich hier. 5 Das komplette Statement findet sich hier 6 Die Leitlinien der UN-Hochkommissarin finden sich hier
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht Juni 2020 4 Gemeinsam mit dem Menschenrechtsbeauftrag- brechen, u.a. das Aushungern der Bevölkerung ten der Afrikanischen Kommission der Men- und die Bombardierung von zivilen Einrichtungen 8 schenrechte und der Rechte der Völker (ACHPR), inklusive Krankenhäusern, vorgeworfen werden , Solomon Dersso, warnte sie zudem vor der Hoff- stieß im Vorfeld auf Kritik. OCHA verteidigte dies nung, dass COVID-19 am afrikanischen Kontinent mit dem Verweis, dass das Königreich der größte vorbeiziehen werde. Der Virus sei bereits in allen humanitäre Geber für den Jemen sei. 54 afrikanischen Staaten angekommen, hunderte Millionen Menschen stünden in Gefahr insbe- sondere durch die wirtschaftlichen Auswirkungen Wirtschaftlicher "Neustart" in Davos? der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus Das Weltwirtschaftsforum (WEF) kündigte un- mittellos zu werden. längst einen Doppelgipfel zum Thema "Der Große Neustart" für Januar 2021, d.h. zum 51. Jahres- Humanitäres – Jemen am Rande des Ab- treffen des Forums in Davos, an. Hier sollen in grunds persönlichen und virtuellen Dialogen führende Vertreter aus Politik und Wirtschaft mit Vertre- "Ist die Welt bereit zuzusehen, wie der Jemen in tern der Zivilgesellschaft und insbesondere der den Abgrund stürzt?", fragte Mark Lowcock, Lei- jungen Generation in einen Austausch treten. ter des Amtes der Vereinten Nationen für die Das Format soll mithin erheblich geöffnet wer- Koordinierung humanitärer Angelegenheiten den. Diskutiert werden sollen die Grundlagen für (OCHA), auf der diesjährigen Geberkonferenz für neue Wirtschafts- und Sozialsysteme, die den den Jemen am 2. Juni, welche traditionell in Genf Weg in eine gerechtere, nachhaltigere und resili- tagt und dieses Jahr erstmals virtuell zusammen- entere Zukunft ebnen. Ebenso wird ein neuer trat — auf Einladung der UN und Saudi-Arabiens Gesellschaftsvertrag gefordert, in dessen Mitte (!). Seit Jahren gilt das Land als die größte huma- Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit ver- nitäre Krise weltweit; 24 Millionen Menschen, ankert sind. Im Vorfeld sind bereits erste virtuelle rund 80% der Bevölkerung, sind auf lebensret- Dialoge geplant. tende Hilfe angewiesen. Zu dem seit 2015 wü- tenden internationalisierten Bürgerkrieg, dem Handel – Sorge um Nachhaltigkeit und Nah- Ausbruch von Cholera, Malaria, dem Dengue- Fieber, zu Massenvertreibungen und rungsmittellieferketten verheerenden Überschwemmungen, trifft nun Die WTO hat nach der Rücktrittsankündigung noch COVID-19. Mit einem Gesundheitssystem, ihres Generaldirektors Roberto Azevedo zum 31. welches sich im Zusammenbruch befindet und 9 August turbulente Wochen hinter sich. Obwohl kranke Menschen abweist, zählt die Sterblich- die Suche nach der Nachfolge Ressourcen bindet, keitsrate bereits jetzt zu den höchsten weltweit. ist man auch dort mit Überlegungen zum "wirt- Mehr als 30 von 41 UN-gestützten Programmen schaftlichen Neustart" nach der Krise befasst. Als drohe die Schließung, so Lowcock. Noch nie sei ein mögliches Instrument zur Stärkung der Nach- so spät im Jahr so wenig Geld vorhanden gewe- haltigkeit im Bereich des Handels gilt ein mögli- sen. Von einem Bedarf von 2,41 Mrd. US-Dollar ches Abkommen zur Liberalisierung des Handels bis Ende des Jahres (mindestens aber den 2,3 von Umweltgütern und Dienstleistungen. Viele Mrd., dem Betrag vom letzten Jahr), kamen letzt- Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, lich nur 1,35 Mrd. US-Dollar an Zusagen zusam- drängen zudem auch auf eine Fortführung der men, von welchen Saudi-Arabien gut die Hälfte Diskussionen über Regeln für den elektronischen zuschoss, gefolgt von den USA, Großbritannien 7 Handel, dessen Bedeutung im Rahmen der Krise und Deutschland . überdeutlich wurde. Die Rolle Saudi-Arabiens als Co-Ausrichter der Konferenz und aktive Kriegspartei, welcher Ver- brechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsver- 8 Der Bericht der Expertengruppe für den Jemen findet sich hier 9 Mehr zu den Hintergründen in der letzten Genfer 7 Eine Übersicht über die Zusagen findet sich hier Großwetterlage der KAS
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht Juni 2020 5 Nach wie vor ist die WTO jedoch auch mit dem tal 2019 um insgesamt 10,7% zurück (das Äquiva- Monitoring handelsbeschränkender Maßnahmen lent von 305 Millionen Jobs). Besonders betroffen im Zuge der COVID-19-Krise beschäftigt. Am 29. sind die ILO-Regionen Nordamerika (17%) und Mai stützten 55 Länder einen von Kanada lancier- Südeuropa (17,3%), doch auch in den meisten ten Aufruf, sich für offenen Handel von landwirt- übrigen Regionen sind Rückgänge von 8-14% zu schaftlichen Produkten einzusetzen, um eine verzeichnen. Überproportional betroffen sind Beeinträchtigung von Lebensmittelsicherheit junge Menschen (die ILO warnt vor einer „Lock- durch Preisschwankungen und Lebensmittel- down-Generation“), da sie häufiger im besonde- knappheit zu vermeiden. Entsprechend verpflich- res betroffenen informellen Sektor beschäftigt ten sich die Unterstützer, Lebensmittellieferket- sind. Wichtig: Die ILO befürwortet mit Nachdruck ten aufrechtzuerhalten, von Exportbeschränkun- den bereits seit Monaten von der WHO prokla- gen und anderen Handelsbarrieren Abstand zu mierten Ansatz von „Testing & Tracing“, also nehmen. Zudem wolle man bei Maßnahmen Ausweitung von Tests und Nachverfolgung von darauf achten, dass sie zielführend, zeitlich be- Kontakten. Schätzungen der ILO suggerieren, grenzt, verhältnismäßig und transparent sind. dass diese Strategie die Zahl der verlorenen Ar- Unter den Unterstützern findet sich neben der beitsstunden um bis zu 50% reduzieren kann. EU auch die USA, Australien, zahlreiche latein- amerikanische Länder und Taiwan — nicht aber Chance für neuen Ansatz gegenüber Migran- China. Insgesamt decken die Unterzeichnerlän- ten und Geflüchteten? der 67% der globalen Exporte landwirtschaftli- cher Produkte ab. Auf der Basis zahlreicher Empfehlungen von Bis zum 5. Juni hatten die Mitglieder insgesamt Genfer Organisationen, wie der Internationalen 151 Handelsmaßnahmen bei der WTO gemeldet. Arbeiterorganisation (ILO), dem Flüchtlingshilfs- Bei den meisten handelt es sich entweder um werk (UNHCR) und der Internationalen Organisa- technische Handelsbeschränkungen (60), ge- tion für Migration (IOM), stellte UN- sundheitliche oder pflanzenschutzrechtliche 12 Generalsekretär Guterres neue Leitlinien zu Maßnahmen (40) oder um quantitative Handels- Flucht und Migration vor. COVID-19 stelle eine beschränkungen (27). Nur bei wenigen handelt es Chance für Gesellschaften dar, ihren Umgang mit 10 sich um handelserleichternde Maßnahmen. Migranten und Geflüchteten zu überdenken. Ein am 10. Juni von der WTO publiziertes Papier Auch das bisherige System von Familienüberwei- warnt, dass die am wenigsten entwickelten Län- sungen stehe vor einer Zäsur. Allein im vergan- der (LDC) zu den wirtschaftlich am schwersten 13 genen Jahr wurden 554 Mrd. US-Dollar an 800 von der Pandemie betroffenen Ländern zählen Millionen Menschen in mehr als 125 Länder mit könnten. Ein Grund: einige dieser Länder sind niedrigen und mittleren Einkommen überwiesen. stark von Exporten in Länder abhängig, die wie- Würde sich der erwartete Rückgang von derum besonders intensiv von COVID-19 heimge- Transfers um ca. 20% (110 Mrd. US-Dollar) auf- sucht worden waren. grund von COVID-19 materialisieren, könnten mehrere zehn Millionen Menschen unter die ILO: Testen und Nachverfolgung verringert Armutsgrenze fallen. In Kooperation mit IOM Beschäftigungsrückgang setzte sich die Schweiz daher mit Großbritannien 14 für niedrigere Transaktionskosten ein . Ende Mai veröffentlichte Zahlen der Internationa- len Arbeitsorganisation (ILO) illustrieren die er- Kommentar heblichen Auswirkungen der Pandemie auf die globale Beschäftigungsquote und die Arbeits- 11 welt . Für das 2. Quartal 2020 ging die Zahl der 12 Die Leitlinien sind hier abrufbar Arbeitsstunden weltweit gegenüber dem 4. Quar- 13 mehr als die Summe ausländischer Direktinvestitio- nen oder der offiziellen Entwicklungshilfe 14 Weitere Unterstützer des Aufrufs sind u.a. u.a. Ägyp- 10 Eine komplette Aufstellung ist hier abrufbar ten, Ecuador, El Salvador, Jamaika, Mexiko, Nigeria, 11 Der gesamte Bericht der ILO findet sich hier. Pakistan
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht Juni 2020 6 Im Kampf gegen die Pandemie aber auch bei der Wiederankurbelung der Wirtschaft können inter- nationale Organisationen wie die WHO oder auch die WTO eine entscheidende Rolle spielen, wenn man ihnen den Raum lässt. Nicht zuletzt die Aus- trittsankündigung des größten Beitragszahlers der WHO ist eine Erinnerung daran, wie dringlich die Frage ihrer nachhaltigen Finanzierung und größeren Unabhängigkeit von geopolitischen Großwetterlagen und Launen einzelner Staats- chefs ist. Auch dies muss zentraler Teil der Ge- samtevaluierung der Krisenreaktion sein. Interna- tionale Organisationen durch Blockaden und Finanzkürzungen zu besseren Think Tanks zu degradieren, wäre auch mit Blick auf künftige Krisen ein gefährlicher Schritt. Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Dr. Olaf Wientzek Leiter Multilateraler Dialog Genf Europäische und Internationale Zusammenarbeit olaf.wientzek@kas.de Der Text dieses Werkes ist lizenziert unter den Bedingungen von „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international”, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecom mons.org/licenses/ by-sa/4.0/legalcode.de) www.kas.de
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