Gesundheitsförderung for future Klima- und Gesundheits-politik gehören zusammen! - Gesunde Städte - Das Gesunde Städte ...

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Gesunde Städte

                                 Gesunde Städte-Netzwerk
                          2020   der Bundesrepublik Deutschland

   Gesundheitsförderung
   for future

   Klima- und Gesundheits-
   politik gehören zusammen!
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2   Impressum

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              gesunde-staedte-netzwerk.de

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    Impressum
    Ausgabe Nr. 1 / Mai 2020

    Anschrift Herausgeber und Redaktion              Redaktion                                       Die Gesunde Städte-Nachrichten sind ein Forum des Infor-
    Gesunde Städte-Sekretariat                       Reiner Stock, Marion Wolf,                      mationsaustausches. Die Beiträge müssen daher nicht der
                                                                                                     Meinung der Redaktion und des Herausgebers entsprechen.
    c/o Stadt Frankfurt am Main                      Dr. Hans Wolter (V.i.S.d.P.)
    - Der Magistrat -                                                                                Gender-Formulierung
    Gesundheitsamt                                   Gestaltung und Konzeption
                                                                                                     Die Redaktion hat darauf verzichtet, in den Texten eine einheit-
    Breite Gasse 28 · 60313 Frankfurt am Main        Kathrin Blumentritt, joost@blume-im-inter.net   liche Verwendung geschlechtsbezogener Sprachformen festzu-
                                                                                                     legen. Wir möchten damit die bevorzugten Schreibweisen der
                                                     Titelbild                                       unterschiedlichen Autor*innen respektieren.
    Gesunde Städte-Telefon: 069 212-37798            dieterkowallski, photocase.de
    gesunde.staedte-sekretariat@stadt-frankfurt.de                                                   Nachdruck einzelner Artikel nur mit ausdrücklicher Genehmi-
    www.gesunde-staedte-netzwerk.de                  ISSN 2509-3045, 23. Jahrgang,                   gung der Redaktion und der Autorinnen und Autoren.
    Twitter: Salutogenese@gesunde_staedte            1. Auflage 3.500 Stück
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Inhalt   3

Inhalt
Titel                                 18 Der 1. Mittelfränkische        Aus dem Netzwerk
                                         Selbsthilfepreis ist in
4   Editorial                            Nürnberg verliehen worden:     33 Neu dabei im
                                         Engagement –                      Gesunde Städte-Netzwerk
6   Gesundheit und Klimaschutz           darauf kommt es an!               - Bremen
    in der GesundRegion
                                                                           - Rhein-Sieg-Kreis
    Wümme-Wieste-Niederung            20 Neue Initiative gegen
                                                                           - Schlangenbad
                                         Altersarmut
8   Erste Schritte auf einem langen                                        - Schwerin
                                         Gesunde Stadt Kiel
    Weg zur Klimaanpassung
                                                                        41 Gesunde Städte-Netzwerk
    Gesunde Stadt Dresden             21 Eine gute
                                                                           Gute Gründe für Ihren Beitritt
                                         Impfentscheidung treffen
10 Hitzeaktionsplan                      Amt für Gesundheit startet
   für Menschen im Alter für die         Kampagne in Kiel
   Stadt Köln                                                           Der Blick über den Tellerrand
                                      22 „Es gab ein kaum stillbares
12 Lebensweltliche                       Bedürfnis gemeinsam zu
                                                                        43 Dr. Heinrich Hoffmann:
   Profile für Gesundheit                lernen“
                                                                           Arzt, Demokrat, Gesundheits-
   Stadtteilbezogene Planung             Klaus-Peter Stender über
                                                                           förderer und Erfinder des
   in Nürnberg                           Entstehung und Entwicklung
                                                                           Struwwelpeter aus Frankfurt
                                         des Gesunde Städte-Netzwerks
14 GRAU ist BUNT oder                                                      am Main
   Forever Young?                     27 Strategie-Treffen des
   Klimawandel und                       Gesunde Städte-Netzwerks
   die Generation Ü-55                   in München
   in Saarbrücken                        - Die Zukunftsfähigkeit des
                                            Gesunde Städte-Netzwerks
                                            stärken
Aus den Kommunen                         - Die Wirksamkeit des
                                            Netzwerks erhöhen
16 Arztpraxisinterne Sozialberatung      - Die weitere Entwicklung
   als Modellprojekt im gesunden            gestalten!
   Bezirk Berlin-Lichtenberg
                                      30 Kommunale Gesundheits-
   Raus aus der Unsichtbarkeit –
                                         förderung
   Für mehr Lebensqualität und
                                         als gesundheitspolitische
   Teilhabe im hohen Alter
                                         Aufgabe in Deutschland

                                      32 Norbert Lettau
                                         Nachruf
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4   Editorial

    Editorial
    Liebe Leserinnen und Leser,

    das Schwerpunktthema dieses Heftes, das wir vor der           benannte Gefahrenabwehr, insbesondere auf schnelle
    Corona-Krise festgelegt und bearbeitet haben, ist der         und effiziente Klimaschutz-Maßnahmen mit Blick auf das
    Zusammenhang von Klima- und Gesundheitspolitik.               im Weltklimaabkommen beschlossene 1,5-Grad-Ziel der
    Beide verliefen jahrelang getrennt voneinander. Das           Vereinten Nationen.
    war und ist nicht nachhaltig, wie wir heute sehr genau
    wissen. Auch auf das häufigere Auftreten von Pande-           Durch die Corona-Krise ist – wie durch die globale Klima-
    mien durch Arten- und Umweltvernichtung wird in der           krise – aufs Neue sehr deutlich geworden, dass Wohl-
    Wissenschaft schon länger hingewiesen. Eine schein-           stand, Gesundheit und Sicherheit im 21. Jahrhundert
    bar aus dem Nichts entstandene „basisdemokra-                 von öffentlich bereitgestellten Gütern abhängen. Ohne
    tische Graswurzelbewegung“ von unten, wie „Fri-               ausreichende kommunale Daseinsvorsorge werden pre-
    days for Future“ sich selbst bezeichnet, hat den              käre Lebenslagen immer weiter zunehmen. Das Gesunde
    Blick auf vieles bereits verändert. Dabei drängt diese        Städte-Netzwerk tritt deshalb seit Jahren für eine ver-
    Bewegung auf eine seit Jahrzehnten von der Wissenschaft       hältnispräventive Politik ein – lokal und global, eine

    Stadtansicht aus Hamburg © Bild: Gesunde Städte-Sekretariat
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Editorial                                     5

Politik, die die Menschen in den Lebenswelten unter-        und muss Kommunalpolitik sich artikulieren. Dass Städte
stützt und demokratische Beteiligung ermöglicht. Der        und Gemeinden zum Beispiel nicht selbstständig inner-
berühmte Tunnelblick von Experten führt häufig dazu         örtliche Tempolimits verhängen dürfen (nur in sensiblen
– so auch in der Corona-Krise – dass viele wichtige         Bereichen), geht gar nicht. Die 17 globalen Ziele für nach-
Aspekte des Lebens, manchmal sogar die wichtigsten,         haltige Entwicklung der Agenda 2030 (SDGs) sind von
aus dem Auge verloren werden. Gesundheitschancen            großer Bedeutung, müssen aber in Städten, Kreisen und
und Erkrankungswahrscheinlichkeiten können aber             Gemeinden umgesetzt werden. Bestimmte gesundheits-
schlüssig nur interdisziplinär begründet werden. Dies       fördernde Maßnahmen, wie z. B. die Wiedereinführung
kann am besten in demokratischen Verfahren erreicht         der in Deutschland abgeschafften Zuckersteuer, die zu-
werden. Das benötigt zwar Zeit, entspricht aber unseren     letzt beim Mitgliedertreffen des Gesunde Städte-Netz-
gesellschaftlichen Werten und liefert Ergebnisse und        werks am 24. Januar 2020 in München gefordert wurde,
Entscheidungen, die jede/r Einzelne mittragen kann.         können nur zentralstaatlich getroffen werden. Aber alle
                                                            nachhaltigen Maßnahmen für die menschliche Gesund-
Menschliche Selbstbestimmung, Chancengleichheit und         heit müssen alltagstauglich und lebensweltnah vermittelt
Lebensweltorientierung haben wir deshalb in unseren ge-     werden, damit die Mehrheit mitzieht.
sundheitsfördernden Konzepten als handlungsleitend her-
ausgearbeitet. Im Interview mit Klaus-Peter Stender gehen   Ob Corona- und Klimakrise dazu beitragen, dass die
wir auf diese Zusammenhänge ein, die unser Netzwerk         kommunalen Leistungen der Daseinsvorsorge in allen
von Beginn an prägten (siehe Seite 22).                     Lebensbereichen wieder ausgebaut und die demokra-
                                                            tische Teilhabe von unten nach oben auch in Zukunft
Der Slogan „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere   anerkannt und gefördert wird, bleibt gerade heute
Zukunft klaut“ wird aber nicht nur wirksam, weil klar       (Stand: 31.03.2020) zu hoffen.
benennbare und messbare klima- und umweltpolitische
Ziele erkennbar sind. Zusammen mit anderen Bedro-           Mit herzlichen Grüßen aus der Frankfurter Redaktion.
hungen, die im Alltagsleben sichtbar werden, wie die        Dr. Hans Wolter, Marion Wolf, Reiner Stock
Autoabgas- und Plastikkrise, hat sich ganz offenbar die
Mehrheit der Bevölkerung sehr klar die gesundheitlichen
Auswirkungen und Gefahren bewusstgemacht.

Die Trennung von Umwelt- und Gesundheitspolitik wird
                                                                                                                                   © Bild: Gesunde Städte-Sekretariat

nicht nur wissenschaftlich, sondern auch im alltäglichen
Verhalten aufgehoben. Veränderungen wie die von Ernäh-
rungsgewohnheiten, Plastikvermeidung, Forderung nach
Erhalt der Artenvielfalt, die Berechnung unseres persön-
lichen ökologischen Fußabdrucks deuten darauf hin.
Gesundheit in allen Politikbereichen (Health in All Poli-
cies) rückt näher. Und zwar von unten. Genau hier kann
                                                                         v.l.n.r.: Dr. Hans Wolter, Marion Wolf und Reiner Stock
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6   Titel

    Gesundheit und Klimaschutz
    in der GesundRegion Wümme-Wieste-Niederung

    Schon seit Ende der 80er-Jahre besteht der Ansatz, Um-      So stehen hier bei der Entwicklung neuer touristischer
    welt und Entwicklung nicht unabhängig voneinander zu        Angebote Nachhaltigkeit, Naturerleben und körperliche
    betrachten. Die Gesundheit ist ein Thema, bei dem jeder     Aktivität im Vordergrund. Beispielhaft zeigt sich dies am
    Mensch eine unmittelbare Betroffenheit empfindet, was       Wanderprojekt „Nordpfade“, das der Touristikverband
    die Möglichkeit bietet, die Bevölkerung für neue Heraus-    Landkreis Rotenburg (Wümme) als gesundheitsförder-
    forderungen zu sensibilisieren und Schritte in Richtung     liches, nachhaltiges Angebot entwickelt hat. Die Nach-
    einer nachhaltigeren Zukunft zu initiieren. Die Gesund-     frage nach Entschleunigung, naturnaher Erholung und
    Region Wümme-Wieste-Niederung, gelegen zwischen den         körperlicher Aktivität soll bei einer gleichzeitig mög-
    Metropolen Hamburg und Bremen, hat bereits 2006 das         lichst geringen Belastung für Natur und Umwelt gefördert
    Thema Gesundheit als übergeordnetes Thema erkannt           werden. In einem weiteren Projekt wurden Betriebe aus
    und legt ihren Zielen und Aktivitäten die WHO-Definition    der Ernährungs- und Lebensmittelbranche ausgezeich-
    „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen,      net, die gezielt eine gesundheits- und umweltbewusste
    geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das   Ernährung ermöglichen. Die Auszeichnung erfolgte u. a.
    Fehlen von Krankheit und Gebrechen.“ zugrunde. Auch         für die Verwendung oder Verarbeitung regionaler und
    Klimaschutz und Klimaanpassung zielen beide darauf          saisonaler Lebensmittel sowie das Angebot vegeta-
    ab, negative Auswirkungen auf die Gesellschaft und die      rischer Speisen.
    eigene Person abzuwehren. Der integrierten Regionalent-
    wicklung der Region mit den Akteur*innen aus Politik,       Auch bei der Schaffung neuer Gebäude
    Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft fällt somit die     können Synergien aus bereits durch-
    Chance zu, Synergien beider Themenfelder zu nutzen.         geführten Projekte sowie im Rah-
                                                                men der Baumaßnahmen genutzt
    Den Rahmen für dieses Handeln bietet die 2015 verabschie-   und   gemeinsam      vorange-
    dete UN-Agenda 2030 (durch 193 Staaten mit 17 Nachhal-      bracht werden. Im Flecken
    tigkeitszielen [Sustainable Development Goals] und 169      Ottersberg wurde ein
    Unterzielen verabschiedet). Sie ruft Regierungen von        Gesundheitszent-
    Staaten, Ländern, Kreisen, Kommunen sowie die Zivil-        rum zur Sicherung
    gesellschaft zur Umsetzung der Ziele auf. Die Sustainable   der   gesundheit-
    Development Goals (SDG) 3: „Ein gesundes Leben für          lichen Versorgung
    alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohler-    geschaffen.   Die
    gehen fördern“ und das SDG 13: „Umgehend Maßnah-            bautechnische Um-
    men zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Aus-         setzung berücksichtigte gesund-
    wirkungen ergreifen“ bilden für die GesundRegion Wümme-     heitsförderliche Aspekte sowie die Ziele des
    Wieste-Niederung einen wichtigen Handlungsrahmen.           Klimaschutzes durch eine entsprechende Gebäude-
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Titel   7

isolierung. Darüber hinaus wurden ökologische und um-
                                                                                                    Autoren*innen:
weltverträgliche Baumaterialien verwendet. Das Außen-
gelände wurde unter Mithilfe des NABU als Biotop mit                                                Regionalmanagement GesundRegion:
angrenzender Blühwiese für Insekten und entsprechen-
den Erläuterungstafeln gestaltet.                                                                      Birgit Böhm, mensch und region,
                                                                                                       Geschäftsführerin und Gesellschafterin von
Die oben genannten Projekte wurden oftmals mit Hilfe                                                   mensch und region, Birgit Böhm, Wolfgang
von Fördermitteln umgesetzt. Spezielle Förderanreize                                                   Kleine-Limberg GbR
bieten die Möglichkeit, die Umsetzung bestimmter Ziele                                                 Studium Sozial-, Kultur- und Wirtschaftsgeogra-
zu unterstützen. Förderprogramme, die in ihrer Ziel-                                                   phie in Hannover, berufsbegleitendes Studium
richtung Gesundheit und Klimaschutz zusammen in den                                                    der Arbeitswissenschaften mit dem Schwer-
Blick nehmen, fehlen bisher. Möglicherweise können                                                     punkt systemische Organisationsentwicklung.
entsprechende Programme, wie an den Beispielen der                                                     Seit 2015 als Regionalmanagerin in der Gesund-
GesundRegion deutlich wird, dazu beitragen, bei den                                                    Region tätig. Seit 2016 Praxispartnerin beim
verantwortlichen Projektträgern*innen, wie z. B. Kommu-                                                Leibniz Forschungszentrum TRUST Räumliche
nen und Unternehmen, den Fokus auf das Potenzial für                                                   Transformation – Zukunft für Stadt und Land.
die synergetische Wirkung der Themen zu lenken und
damit das Bewusstsein der Menschen vor Ort für die                                                     Carsten Stimpel, mensch und region
zunehmend an Bedeutung gewinnenden Handlungsfelder                                                     Mitarbeiter von mensch und region
Gesundheit und Klimaschutz zu schärfen.                                                                Studium der Humangeografie und Geoinforma-
                                                                                                       tik in Hannover und Mainz. Seit 2005 in der
                                                                                                       Regionalentwicklung und seit 2007 (mit Un-
                                                                                                       terbrechungen) in der GesundRegion Wüm-
                                                                                                       me-Wieste-Niederung tätig. Zertifizierter Coach
                                                                                                       zur Einstiegsberatung Kommunaler Klimaschutz.

                                                                                                       Marcel Bonse, Land und Wandel
                                                                                                       Integrierte Europastudien in Bremen und Kom-
                                                                                                       munikationswissenschaften in Auckland (NZ).
                                                                                                       Seit 2010 in der Regionalentwicklung und in der
                                                                                                       GesundRegion Wümme-Wieste-Niederung tätig.

                                                                                                       Dr. Christiane Sell-Greiser, Consultants
                                                     © Bild: Christos Georghiou, shutterstock.com

                                                                                                       Sell-Greiser
                                                                                                       Studium der Sozial- und Wirtschaftswissen-
                                                                                                       schaften in Hamburg, Promotion Dr. phil., seit
                                                                                                       1994 Geschäftsführerin und Gesellschafterin
                                                                                                       von Consultants Sell-Greiser GmbH & Co. KG/
                                                                                                       Greiser und Partner, seit 2015 als Regionalma-
                                                                                                       nagerin in der GesundRegion tätig, Beteiligung
                                                                                                       an internationalen wie nationalen sozioökonomi-
                                                                                                       schen und -ökologischen Forschungsprojekten
Gesundheitsförderung for future Klima- und Gesundheits-politik gehören zusammen! - Gesunde Städte - Das Gesunde Städte ...
8   Titel

    Erste Schritte auf einem langen
    Weg zur Klimaanpassung
    Gesunde Stadt Dresden

    Mit der »Deutschen Anpassungsstrategie an den Klima-    Eine Grundlage bildet die Meinungsumfrage zum Thema
    wandel« der Bundesregierung wurde deutlich gemacht,     Klimawandel, empfundener Betroffenheit durch Hitze
    dass viele Maßnahmen auch auf kommunaler Ebene not-     sowie zur Zufriedenheit mit der Grünversorgung des
    wendig sind, um Deutschland widerstandsfähiger gegen-   Wohnumfeldes. Die Erkenntnisse zeigen, inwieweit hohe
    über den zukünftigen Klimaveränderungen zu machen.      Sommertemperaturen bereits heute zu gesundheitlichen
    Für Dresden bergen der erwartete Temperaturanstieg,     Belastungssituationen führen. Es können Rückschlüsse
    die Zunahme an Trockenheit und steigende Intensität     gezogen werden, in welchen baulichen Strukturen hohe
    von Starkregenereignissen die größten klimabedingten    Sommertemperaturen zu besonders hohen Innenraumtem-
    Herausforderungen und spielen daher auch für die zu-    peraturen führen, die dann als belastend empfunden wer-
    künftige Gesundheitsvorsorge eine wesentliche Rolle.    den. Die Antwortverteilung gibt einen Überblick, inwiefern
    Um Dresden lebenswert zu halten, gilt es, die Klima-    sich die Bevölkerung auf Hitze einstellt und welche Maß-
    anpassung voranzutreiben. Was wurde in Dresden bisher   nahmen zur Anpassung an heiße Temperaturen besonders
    auf lokaler Ebene initiiert?                            gewünscht und angenommen werden.

                                                            Die jeweiligen Lebensumstände (Lage der Wohnung und
                                                            Baualter des Hauses, Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Be-
                                                            schäftigungsverhältnis, Haushaltsgröße und Einkommen)
                                                            können einen entscheidenden Einfluss auf die subjektive
                                                            Wahrnehmung haben. Die Auswahl der Umfrageteilnehmer
                                                            erfolgte repräsentativ für die Dresdner Stadtbevölkerung.
                                                            Um mögliche Unterschiede innerhalb der Stadt herauszu-
                                                            filtern, wurde die Befragung für die Gesamtstadt sowie in
                                                            ausgewählten Fokusgebieten durchgeführt. Diese Fokus-
                                                            gebiete unterscheiden sich zum Teil erheblich hinsicht-
                                                            lich ihres potenziellen Überwärmungsgrades, ihrer Versor-
                                                            gung mit öffentlichem und privat nutzbarem Grün sowie
                                                            bezüglich der Sozialstruktur. So leben Menschen mit eher
                                                            geringem Einkommen auch häufiger in Wohngegenden
    © Bild: Franziska Reinfried, Umweltamt Dresden
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Titel     9

© Bild: Simone Hogan, shutterstock.com

mit einem hohen Anteil an Plattenbauten sowie mit ge-        tes werden Anpassungsmaßnahmen zur Reduzierung der
ringerem Anteil an öffentlichem bzw. privatem Grünanteil.    sommerlichen Wärmebelastung in Gebäuden und Frei-
Zudem ist deren subjektiver Gesundheitszustand eher          räumen in Dresden-Gorbitz entwickelt und umgesetzt.
schlechter ausgeprägt im Vergleich zur Gesamtbevölke-        Ergänzend hierzu wurde im Sommer 2019 eine Aufklä-
rung. Die Kumulation verschiedener Faktoren, die die sub-    rungs- und Informationsveranstaltung in Dresden-Gorbitz
jektive Wahrnehmung von Hitze negativ beeinflussen, wird     für die Bürgerschaft durchgeführt. Hier gaben die Fach-
                                                             leute des Gesundheitsamtes ärztliche Tipps zur Gesund-
                                                             heit sowie Anregungen zum Bewegungs- und Ernährungs-
Erste Schritte zur                                           verhalten bei hohen sommerlichen Temperaturen bzw. zur
Klimaanpassung sind also                                     Hautkrebsprävention. Die Mitarbeitenden des Umwelt-
                                                             amtes standen den Bürger*innen für Fragen rund um die
bereits gemacht, aber auch
                                                             klimatischen Bedingungen im Stadtteil zur Verfügung.
der Stadt Dresden steht
noch ein langer Weg bevor.                                   Erste Schritte zur Klimaanpassung sind also bereits
                                                             gemacht, aber auch der Stadt Dresden steht noch ein
                                                             langer Weg bevor. Es gilt, innovative Maßnahmen so zu
hier sichtbar. Damit wird deutlich, dass ein intersektora-   entwickeln, dass sie von den einzelnen Fachbereichen
les Handeln von Umweltamt, Stadtplanungsamt, Sozial-         und den Partnern (Wohnungseigentümer, neue Inves-
amt sowie Gesundheitsamt erforderlich ist, um geeignete      toren etc.) mitgetragen werden. Voraussetzung dafür sind
Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen. Eine Erkennt-           wiederum Nachhaltigkeit und Bewohnerakzeptanz. Das
nis der Befragung ist, dass sowohl Maßnahmen für die         sind entscheidende Handlungsziele für das Konzept der
Gesamtstadt initiiert werden müssen als auch stadtteil-      Gesunde Stadt.
spezifische Maßnahmen, die die Besonderheiten der                                        Peggy Looks & Franziska Reinfried

Stadtteile berücksichtigen.

So ist derzeit eines der untersuchten Fokusgebiete Ge-       Kontakt
genstand im BMFB-geförderten Projekt „Heat Resilient         Dr. Peggy Looks
City“ (www.heatresilientcity.de). Im Rahmen des Projek-      PLooks@dresden.de
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10 Titel

   HITZEAKTIONSPLAN
   für Menschen im Alter in der Stadt Köln

   Im Zuge des Klimawandels nehmen auch in Köln die hei-      für die Stadt Köln“ einen besonderen Fokus auf über
   ßen Tage mit Temperaturen über 30 Grad Celsius deut-       65-jährige Personen. In dieser Altersgruppe können Hil-
   lich zu. Die Studie „Klimawandelgerechte Metropole Köln“   febedürftigkeit und soziale Isolierung dazu führen, dass
   zeigt, dass auch Temperaturen von über 40 Grad Celsius     Maßnahmen, wie zum Beispiel ausreichendes Trinken und
   erreicht werden können. Lang anhaltende Hitzeperioden      das Kühlen der Innenräume, unterlassen werden. In Hit-
   heizen die Stadtquartiere auf und Kinder, Kranke, Men-     zeperioden wurden höhere Sterberaten beobachtet und
   schen im Alter sowie Menschen mit Behinderung reagie-      das wärmere Stadtklima führt zu vermehrten gesundheit-
   ren besonders anfällig auf solche Hitzebelastungen. Aber   lichen Belastungen und Risiken.
   auch bei gesunden Menschen kann Hitze zu Erschöpfung
   und eingeschränkter Leistungsfähigkeit führen.             Ziel des Projektes ist die Minimierung von gesundheit-
                                                              liche Risiken durch Hitzeperioden für Menschen im Alter
   Im Hinblick auf den demographischen Wandel legt das        und die Erhöhung der Gesundheitskompetenz insbeson-
   Verbundprojekt „Hitzeaktionsplan für Menschen im Alter     dere bei alleinlebenden Älteren. Umgesetzt werden soll
                                                              dies durch den Aufbau eines Aktionsplanes und eines
                                                              Informationssystems.

                                                              Das dreijährige Projekt wird vom Bundesministerium für
                                                              Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gefördert,
                                                              ist am 1. Januar 2019 gestartet und gliedert sich in drei
                                                              Phasen.

                                                              In der ersten Phase wurden bereits die Zusammenar-
                                                              beit mit den Projektpartnern erfolgreich etabliert und ein
                                                              Expertenworkshop durchgeführt. Im Rahmen der Veran-
                                                              staltung wurden lokale Akteure vernetzt und es konn-
                                                              ten wichtige Erfahrungen aus der Praxis in das Projekt
                                                              einfließen. In Arbeitsgruppen sind folgende drei Themen-
                                                              felder bearbeitet worden:
                                                                Hitzeaktionsplan
                                                                Maßnahmen und Best Practice
                                                                Information und Kommunikation

                                                              Grundlage der zweiten Phase war eine Betroffenheits-
                                                              analyse, die hitzebelastete und weniger hitzebelas-
                                                              tete Gebiete mit einer hohen Anzahl an Menschen über
   © Bilder: Stadt Köln
Titel    11

65 Jahren ermittelte. Daraus abgeleitet konnten 258 ältere    Hitzeperioden minimiert werden. Dies wird durch den
Menschen aus vier ausgewählten Stadtvierteln zu ihrem         Aufbau und der Entwicklung eines Aktionsplans verstetigt.
Wissensstand, ihren Informationsquellen und ihren aktu-
ellen Verhaltensweisen bei Hitzeereignissen befragt wer-      Der Hitzeaktionsplan für die Stadt Köln wird nicht
den. 80% der Befragten erleben eine Zunahme von Hit-          nur direkte Maßnahmen in einer Hitzewelle enthalten,
zewellen und etwa die Hälfte verlässt ihre Wohnung in         sondern auch mittelfriste und langfristige Vorsorgemaß-
dieser Zeit seltener als sonst. In einer zweiten Befragung    nahmen beinhalten.
im ersten Quartal 2020 wird untersucht, wie Seniorenein-
richtungen ihr Handeln auf Hitzewarnungen einstellen und      Das Projekt „Hitzeaktionsplan“ vereint Wissenschaft und
Maßnahmen umsetzen und ob eine Verhaltensänderungen           Forschung mit kommunaler Verwaltung und einem Trink-
der Bewohnerinnen und Bewohner eintritt.                      wasserversorger.
                                                                Das Gesundheitsamt berücksichtigt die gewonnenen
Basierend auf den Untersuchungsergebnissen werden in            Erkenntnisse zur Vorbeugung oder Minderung hitze-
der dritten Projektphase Maßnahmen konzipiert, imple-           bedingter nachteiliger Gesundheitseinflüsse bei sei-
mentiert und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit getestet. Eine      ner Aufgabenerledigung und trägt zur Verstetigung
wichtige Maßnahme wird die Entwicklung einer zielgerich-        und Nachhaltigkeit der Projektergebnisse bei.
teten Öffentlichkeitsarbeit für Menschen im Alter (65+)         Das Umwelt- und Verbraucherschutzamt bringt sein
sein, um Menschen in unterschiedlichen Lebenssituatio-          Fachwissen im Bereich Klimawandelvorsorge ein.
nen und Stadtvierteln durch Multiplikatoren zu erreichen.       Die Universität Bonn stellt die wissenschaftliche Be-
Vorsorgemaßnahmen können so besser geplant und Ver-             gleitung, Dokumentationen und Veröffentlichungen
haltensänderungen initiiert werden.                             zum vorliegenden Thema sicher.
                                                                Die RheinEnergie AG unterstützt die Entwicklung von
Weiterhin ist die Erstellung eines Verhaltensplans mit all-     Maßnahmen, die geeignet sind, ältere Menschen da-
gemeinen Verhaltenshinweisen für Menschen im Alter bei          für zu sensibilisieren, ausreichend Wasser pro Tag zu
Hitzebelastung geplant. Weitere mögliche Maßnahmen              trinken.
sind die Bildung eines helfenden Netzwerks, Trinkpaten-
schaften sowie Informationen für pflegende und versor-
gende Einrichtungen. Zudem soll durch die Ausgabe von         Kontakt
Trinkflaschen an die Zielgruppe begleitet von Events vor      Yvonne Wieczorrek
Ort das Thema „Hitze und Trinken“ kommuniziert wer-           Umwelt- und Verbraucherschutzamt
den. Thematische Foren und Fortbildungen für z. B. Pfle-      yvonne.wieczorrek@stadt-koeln.de
gedienste und Ärzte als Multiplikatoren sind geplant.
Weiterhin wird die nachhaltige Vernetzung der unterschied-    Dr. Johannes Nießen, Prof. Dr. med. Gerhard A. Wiesmüller
lichen Akteure ausgebaut. Durch die Schaffung eines In-       Gesundheitsamt der Stadt Köln
formationssystems können gesundheitliche Risiken durch        gesundheitsamt@stadt-koeln.de
12 Titel

   Lebensweltliche
   Profile für Gesundheit
   Stadtteilbezogene Planung in Nürnberg

   „Gesundheit für alle im Stadtteil“ besteht seit Mai 2017          um qualitative Aussagen von Akteur*innen und Anwoh-
   bis April 2021 als kommunales Projekt des Gesundheits-            ner*innen zur sozialen und gesundheitlichen Lage ergänzt.
   amtes der Stadt Nürnberg, gefördert durch die AOK
   Bayern. Ziel ist es, die gesundheitliche Lebensqualität in        Anhand quantitativer Daten wird die Bevölkerungsstruk-
   vier ausgewählten Projektgebieten zu verbessern.                  tur im Gebiet, im Vergleich zu gesamtstädtischen oder
                                                                     bayrischen Landeswerten, beschrieben. Soziale Ressour-
   Da die Auswirkungen der sozialen Lage auf die Gesund-             cen und die soziale Infrastruktur werden mittels Daten zu
   heit mittels Verhältnissen und Verhalten beschrieben wer-         sozialer Einbindung, Bewertung der Nachbarschaft und
   den, verfolgt das Projekt das Ziel, auf eine Veränderung          vorhandener Infrastruktur abgebildet. Daten zur subjek-
   der strukturellen Rahmenbedingungen einzuwirken und               tiven Gesundheit und zu gesundheitsriskantem Verhalten
   durch kostenfreie Informationen und Angebote zu Ent-              von Erwachsenen werden wohnraumbezogen ausgewer-
   spannung, Ernährung und Bewegung das Verhalten zu                 tet. Die gebietsbezogenen Einsatzzahlen des sozialpsy-
   verbessern. Gemeinsam mit Netzwerken und Einrichtun-              chiatrischen Dienstes zeigen, wo erhöhte psychiatrische
   gen und in Absprache mit den Bewohner*innen werden                Hilfebedarfe im Stadtgebiet bestehen. Informationen zum
   passgenaue Strategien entwickelt und vor Ort etabliert.           Körpergewicht/BMI von Vorschulkindern sowie zur sprach-
                                                                     lichen, feinmotorischen und emotionalen Entwicklung
   Die Handlungsgrundlage stellen jedes Gebiet beschrei-             werden durch die amtliche Schuleingangsuntersuchung
   bende Gesundheitsprofile dar. Bestehende kleinräumige             und vom Zahngesundheitsdienst des Gesundheitsamtes
   Daten werden für die Projektgebiete in einem Mixed-               schulbezogen bereitgestellt. Informationen zur wohn-
   Method-Design zusammengestellt und ausgewertet und                räumlichen Lebensqualität, zu Grünflächen, Umweltbe-

   © Stadt Nürnberg: Bewegungsangebot am Veit-Stoß-Platz im Westen
Titel   13

      Bevölkerungsstruktur                                              Sozialstatus und Teilhabe
      Statistische Daten (StA)                                          Statistische Daten (StA, Gh)
      Haushalts- und Familienform, Geschlecht, Alter,                   Erwerbsintegration, Transferleistungsbezug,
      Migrationshintergrund                                             KiTa-Besuch, Wahlbeteiligung
      Qualitative Daten: Projekterhebung                                Quantitative Befragung (WoHaus 2015)
      Experteninterviews, Gruppendiskussionen                           subjektive Armut
                                                                        Qualitative Daten: Projekterhebung
                                                                        Experteninterviews, Gruppendiskussionen

                                                  GESUNDHEIT
      Raum und Umwelt                                                   Soziale Ressourcen und Infrastruktur
      Statistische Daten (StA)                                          Statistische Daten (StA)
      Bebauungsstruktur                                                 Wohndauer, soziale Infrastruktur
      Umweltdaten (UwA)                                                 Quantitative Befragung (WoHaus 2015)
      Grünflächen, Lärm, Klima                                          Wohnbindung, subjektive Bewertung von
      Quantitative Befragung (WoHaus 2015)                              Nachbarschaft und Hilfen
      Subjektive Bewertung von Grünflächen, Lärm, Luft                  Qualitative Daten: Projekterhebung
      Qualitative Daten: Projekterhebung                                Experteninterviews, Gruppendiskussionen
      Experteninterviews, Gruppendiskussionen                           Eigene Recherchen

Übersicht der Datenquellen: Statistisches Amt (StA), Umweltamt (UwA), Wohnungs- und Haushaltserhebung (WoHaus), Gesundheitsamt (Gh)

lastungen durch Verkehrslärm und Hitze und die Frischluft-           und tamilischer (Frauen-)Gruppen ergeben, die sich mit
zuströme im Quartier beschreiben die Wohnumwelt.                     Stressreduktions-, Gesundheits- und Ernährungsfragen
                                                                     beschäftigen. In einem anderen Stadtteil haben sich Ent-
Qualitative Daten wurden im Projekt mit Akteur*innen und             spannungs- und Resilienzkurse für Erwachsene 50+ auf
Anwohner*innen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgrup-               Deutsch und mit russischer Übersetzung etabliert. In allen
pen anhand von Expert*inneninterviews und Gruppen-                   Projektgebieten werden wenig genutzte Grünflächen, die
diskussionen zur Lebenssituation und zu sozialpolitischen            teils als vernachlässigt beschrieben wurden, durch Bewe-
und -pädagogischen Arbeitsfeldern im Quartier erhoben.               gungsangebote im Sommer nutzbar gemacht.
Schließlich können nur die Bewohner*innen selbst die
Perspektive des subjektiven sozialräumlichen Wohlbefin-              Die Stadt Nürnberg ist damit auf dem Weg, Gesundheits-
dens einbringen. Da die Bevölkerungsgruppen je nach                  förderung vor Ort auf einer verlässlichen Datenbasis auf-
Herkunft, sozialer Lage und Alter hinsichtlich der Problem-          zubauen, die die Perspektiven aller Ebenen einschließt.
lagen sehr heterogen sind, wird erst durch die Aussagen zu           So können bedarfsgerechte Angebote konzeptualisiert
den jeweiligen Themenfeldern greifbar, was die Lebensrea-            werden, die die tatsächlichen Lebensbedingungen der
litäten ausmacht und wo die dringendsten Bedarfe liegen.             Menschen vor Ort im Blick haben.
Auf Basis dieser differenzierten Datengrundlage lassen sich
in Abgrenzung zu den gesamtstädtischen Werten Gesund-
heitsprofile erstellen, in denen gemeinsam mit den umwelt-           Kontakt
bezogenen Informationen und strukturellen Daten städte-              Sarah Hentrich & Katharina Seebaß
bauliche und strukturelle Förderbedarfe abgeleitet werden.           Stadt Nürnberg, Gesundheitsamt
Für das Projekt haben sich aus den Gesundheitsprofi-                 Stabstelle Gesundheitskoordination im Stadtteil
len bspw. die Implementierung arabischer, türkischer                 gesundheitimstadtteil@stadt.nuernberg.de
14 Titel

   GRAU ist
   BUNT oder
   Forever

                                                                                                                                     © Bilder: Angelika Kraus
   Young?
   Klimawandel und
   die Generation Ü-55
   in Saarbrücken

   Die Generation der Gesunde Städte-Netzwerk-Gründer/             Wo verortet sich die heutige Generation Ü-55? Wo werden
   innen und die darauf folgende sind inzwischen Gegen-            Ressourcen, Gestaltungsräume und Handlungsbedarfe
   stand der Gesundheitsforschung. Die „Jungen Alten“              gesehen, um gut und gesund älter zu werden? Damit
   (55–65) wurden in zwei Expertisen untersucht . Laut der
                                                    1
                                                                   befasst sich das von der TK geförderte Projekt „Gesund
   neuesten Expertise sind sie sozial gut eingebunden, ins-        Ü-55“. In Interviews, After-Work-Veranstaltungen und
   besondere Frauen sind an der Pflege von Angehörigen             World-Café-Runden fragen wir 55–69 Jährige nach ihren
   überdurchschnittlich häufig beteiligt, haben die höchste        Bildern, Erwartungen, Befürchtungen, Ressourcen und
   alkoholbedingte Mortalitätsrate und erwarten, dass die          Ideen. „Wie sehen Sie dem Übergang Beruf-Rente entge-
   gesetzliche Rente nicht ausreichen wird, den Lebens-            gen? Was für ein Bild haben Sie vom Alter? Wie kann man
   standard abzusichern . 2
                                                                   gesund älter werden?“

   Die Ausstellung „Grey is the new Pink“ im Frankfurter           Das Ergebnis ist überraschend positiv, ohne dass Rea-
   Weltkulturenmuseum 2019 zeigte eine Vielfalt kulturel-          litäten ausgeblendet werden. Vermisst wird z. B. Wert-
   ler, gesellschaftlicher, künstlerischer und individueller Be-   schätzung in den letzten Berufsjahren und vor allem bei
   trachtungen des Alters . Während in den USA und West-
                              3
                                                                   Frauen eine auskömmliche Rente. Trotz Beziehungskrise,
   europa der sportlich aktive Alte, der es sich leisten kann,     gesundheitlichen Problemen und familiären Verpflichtun-
   andere Länder bereist, am gesellschaftlichen Leben und          gen sehen sich viele gut gerüstet, gesund älter zu werden.
   am Konsum teilnimmt, neue Freiheiten genießt und sich           Gelassenheit, Achtsamkeit, Genussfähigkeit, Mut Träume
   auch gerne „schräg“ designen darf, wird Alten in ande-          zu verwirklichen, Freude am lebenslangen Lernen, Freunde,
   ren Ländern und Ethnien eine klar umrissene, für das Zu-        Netzwerke, Zeit in der Natur sowie Mut zu Veränderung wer-
   sammenleben unverzichtbare Rolle zugewiesen, z. B. die          den an vorderster Stelle als hilfreiche Ressourcen genannt.
   der Bewahrerin der Tradition, die mit großer Wertschät-
   zung verbunden ist. Wertschätzung, die sich unsere Alten        Wie bunt und positiv die Visionen vom Leben im Alter
   anderswie suchen müssen.                                        sind, visualisieren Antworten auf die Frage „Wie will ich in 10
                                                                   Jahren leben?“ von After-Work-Teilnehmenden (Abb. oben).
Titel     15

Die Projektbeteiligten aus der Generation Ü-55 sind                      lich. Nicht Omas und Opas sind schuld am Klimawandel,
bereit, ihren individuellen Beitrag zum gesund Älter-                    sondern Strukturen und Interessen, die klimaschädliche
werden zu leisten. Sie reden Klartext, was die Hausauf-                  Verhältnisse ermöglichen, geschaffen haben und davon
gaben von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zum ge-                   profitieren. Die zu benennen (!) und deren Macht und Ein-
sund Älterwerden betrifft. Z. B. bezahlbares generationen-               fluss einzudämmen kann nur gemeinsam gelingen – mit
gerechtes Wohnen und Wohnumfeld, ein attraktiver ÖPNV,                   langem Atem und gegen viele Widerstände. „Tempo 130
barrierefreier Zugang zu Bildung, Kultur und Freizeit, Grün              Ja bitte!“ könnte ein gemeinsamer Nenner sein.
im Quartier, neue Angebote der Beratung für Ü-55/60-Jäh-
                                                                                                             Angelika Kraus, Diplom-Soziologin,
rige (vgl. FFM), alltagstaugliche Wege aus der Armuts-
                                                                                                                Landeshauptstadt Saarbrücken
falle, differenzierte Möglichkeiten der Sinnstiftung und
Wertschätzung durch bezahlte und ehrenamtliche Arbeit4,
Unterstützung für gelebte Nachbarschaft (vgl. Netzwerke                  Kontakt
Gute Nachbarschaft, Saarbrücken).                                        Angelika Kraus
                                                                         angelika.kraus@saarbruecken.de
Die Generation Ü-55 ist in einer Zeit des Friedens, des
wachsenden Wohlstands und des zunehmenden politi-
schen Engagements aufgewachsen. Jetzt sind der Über-
gang ins Alter und große gesellschaftliche Herausforde-
                                                                         1
                                                                             BZgA (Hg.), Die jungen Alten – Expertise zur Lebenslage von
                                                                             Menschen im Alter zwischen 55 und 65 Jahren, Köln, 2011, und
rungen zu bewältigen: z. B. Demokratie erhalten („Omas                       BZgA (Hg.), Die „jungen Alten“ II. Aktualisierte Expertise zur
gegen rechts“) und Klimawandel stoppen.                                      Lebenslage von Menschen im Alter zwischen 55 und 65 Jahren,
                                                                             Köln, 2019
                                                                         2
                                                                             BZgA (Hg.), Die „jungen Alten“ II, S. 156-158
Bei „Fridays for Future“ mischen zunehmend „Omas und                     3
                                                                             Alice Pawlik (Hg.), Grey is the new Pink. Momentaufnahmen des
                                                                             Alterns, Bielefeld/Berlin, 2018
Opas for Future“ mit. Klimawandel betrifft Jung und Alt,                 4
                                                                             Generation ü, Plattform für Anbieter und Nachfrager von
Junge zwar länger, Alte dafür härter, weil lebensgefähr-                     Dienstleistungen Älterer, www.generation-ue.de

After-Work-Veranstaltung vom 9.9.2019
links: Begrüßung durch Amtsleiterin Ilka Borr im Rathausfestsaal., rechts: Am World-Café-Tisch mit Gastgeber Franz Gigout © Bilder: Bert Romann
16 Aus den Kommunen

   Arztpraxisinterne Sozialberatung als Modellprojekt
   im gesunden Bezirk Berlin-Lichtenberg

   Raus aus der Unsichtbarkeit –
   Für mehr Lebensqualität und Teilhabe
   im hohen Alter
   Menschen werden mit zunehmendem Alter immer unsicht-          einem Krankenhausaufenthalt, bei einem Besuch des
   barer. Viele, deren Zahl kaum bekannt ist, leben isoliert.    Medizinischen Dienstes der Krankenkassen und bei sozial
   Das Gespräch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin ist         bedingten körperlichen und psychischen Beschwerden.
   oft der letzte soziale Kontakt. Es scheint, dass gerade sie
   durch das soziale und gesundheitliche Netz fallen.            Es wird deutlich, dass die Arztpraxisinterne Sozialbera-
                                                                 tung eine arztentlastende Struktur ist. Hausarztpraxen
   In Berlin-Lichtenberg hat sich deswegen vor sieben            werden mit verschiedenen sozialen und gesundheit-
   Jahren eine bisher einzigartige Arztpraxisinterne Sozial-     lichen Angeboten besser verzahnt. Die Wirksamkeit und
   beratung mit Case und Care Management für Menschen            Qualität der Behandlung steigt. Mit diesem Projekt ist
   jeden Alters gegründet. Sie versucht bei sozialen und         deshalb die Erwartung verknüpft, die Lebensqualität
   psychosozialen Problemen rechtzeitig zu intervenieren,        älterer Menschen zu verbessern.
   damit diese nicht auf die Gesundheit „durchschlagen“.
   Mit den Möglichkeiten dieses Angebotes des Vereins            Das hohe Alter vieler Patienten verlangt nach einem spe-
   Soziale Gesundheit e. V. werden gesundheitliche Ver-          ziellen Gerontologischen Case und Care Management.
   sorgung, sowie Gesundheitsförderung und Prävention            Entsprechend wurde hier das Angebot erweitert. Bera-
   miteinander verbunden. Der gemeinnützige Verein unter-        tung, Begleitung und Beistand finden an vertrauten Orten
   stützt dort, wo die Kapazität der Arztpraxis endet – bei      in der Arztpraxis oder in der eigenen Häuslichkeit statt.
   bedrückenden sozialen Fragen beim Älterwerden, nach           Menschen in schwierigen Lebenslagen erfahren psycho-

      Ein Beispiel
      Eine Seniorin wurde über ihre Hausärztin auf das Ange-     gleitete durch Phasen von Verzweiflung und Trauer.
      bot der Arztpraxisinternen Sozialberatung aufmerksam.      Ihre Reaktion: „Ich danke Ihnen für die Unterstütz-
      Sie war stark geschwächt durch die langandauernde          ung und Begleitung bis zum Schluss. Dadurch ist es
      Pflege ihres schwerkranken Mannes. Die arztpraxis-         mir und meinem Mann leichter gefallen, die Krank-
      interne Sozialberatung hat mit Vermittlung von Palli-      heit anzunehmen und meinen Mann in Frieden
      ativversorgung und Hospizdienst unterstützt und be-        gehen zu lassen.“
Aus den Kommunen              17

soziale Unterstützung orga-
nisiert und koordiniert von
nur einer Anlaufstelle. So
lässt sich Unterstützung um-
gehend, direkt und auf kur-
zem Weg organisieren und
steuern. Die Hausärztin oder
der Hausarzt ist in die In-
terventionen mit einbezo-
gen und stimmt sich mit der
Sozialberatung ab. Gesund-
heitliche Risiken können so
frühzeitig erkannt werden.
Die Patient*innen und ihre
Angehörigen bekommen ihre
Entscheidungs- und Hand-
lungsfähigkeit zurück.

Das   Bezirksamt     Lichten-
berg von Berlin unterstützt
das Projekt maßgeblich –
zunächst in Form einer An-
schubfinanzierung. Zudem
wurden Kontakte zur Kom-
munalpolitik und Landesver-
waltung aufgebaut. Durch
das Gesunde Städte-Sym-
posium 2019 und weitere
Fachveranstaltungen      sind
bundesweit Kontakte ent-                                                                   © Bild: Franziska Ruhnau
standen. Ein Antrag bei der
Deutschen Stiftung Klassen-     Management der demografi-
lotterie Berlin wurde mit
Hilfe eines „Letter of In-
                                schen und sozialen Entwick-
                                lung folgend über den Bezirk
                                                               Case Management
                                                               umfasst die Arbeit mit den Klienten als
tent“ des Bezirksamtes posi-    hinaus verbreitet werden.
                                                               individuellen Einzelfall. Klienten werden
tiv bewertet, sodass das An-
                                                               durch das gesamte Versorgungsgeschehen
gebot nun für drei Jahre in     Kontakt
                                                               bereichsübergreifend begleitet.
acht Hausarztpraxen in Ber-     Initiativenvertretung
lin-Lichtenberg    eingeführt
wird. Bei erfolgreichem Ver-
                                für Berlin-Lichtenberg
                                Dr. Martyna Voß
                                                               Care Management
                                                               organsiert das Netzwerk der Leistungsanbieter
lauf des Projektes könnte       soziale Gesundheit e. V.
                                                               und steuert das System der Unterstützung.
die Arztpraxisinterne Sozial-   kontakt@sozialegesundheit.de
beratung mit Case und Care      www.sozialegesundheit.de
18 Aus den Kommunen

   Der 1. Mittelfränkische Selbsthilfepreis ist verliehen worden

   Engagement –
   darauf kommt es an!
   Die Selbsthilfekontaktstelle Kiss Mittelfranken e. V.          Liberova durch den Preisverleihungsabend. „Die Selbst-
   hat gemeinsam mit der Bürgerstiftung Kerscher den              hilfe ist nicht nur wichtig, sondern ohne diese ist heutzu-
   1. Mittelfränkischen Selbsthilfepreis vergeben. Der Grund:     tage eine wirkliche Heilung nicht möglich!“ Auf den Punkt
   Den ehrenamtlichen Einsatz von Menschen in Selbsthil-          gebracht hat es Prof. Dr. med. Ascherl in seiner Lauda-
   fegruppen würdigen und die Anerkennung der Leistung            tio für die Selbsthilfegruppe der Gliedmaßenamputierten
   und des Stellenwertes von gemeinschaftlicher Selbsthilfe       mit den Worten „Wir brauchen die Dynamik und den Rat
   in der Öffentlichkeit fördern. „Wir freuen uns über die        der Selbsthilfegruppen, um Themen zu lösen, die schwer
   gelungene Kooperation mit Kiss und dass wir so tolle           sind!“ Die Selbsthilfe ist inzwischen auch bekannt für ihre
   Preisträger*innen gefunden haben! Ganz im Sinne des
   Stifters wollen wir auch die Selbsthilfe als einen wichtigen
   Bereich des bürgerschaftlichen Engagements fördern.“
   sagte dazu Stefan Müller, Vorstandsvorsitzender der
   Bürgerstiftung Kerscher.

   Eine unabhängige Jury, mit Vertretern aus Politik,
   Wissenschaft und des Öffentlichen Lebens, kürte aus
   zahlreich eingegangen Bewerbungen drei Preisträger.
   Die Jurymitglieder Prof. Dr. Doris Rosenkranz und Ulla
   Krämer betonten, wie schwer die Entscheidung bei die-
   ser bunten Vielfalt fiel. „Den Preis hätten eigentlich alle
   Selbsthilfegruppen verdient.“ Ausgezeichnet wurden die
   Gruppen „Dicke Freunde“ Selbst-
   hilfegruppe für Menschen mit
   Adipositas, die „Initiativgruppe
   Gliedmaßenamputierter“              und
   „Komm mit ins Boot“ Onko-Ruder-
   sportgruppe Victoria. Das Preis-
   geld in Höhe von jeweils 2.000
   Euro stellt die Bürgerstiftung Ker-
   scher zur Verfügung.

   Mit         großer    Wertschätzung
   für   die    Selbsthilfe   führte   die
   Moderatorin und Stadträtin Diana
Aus den Kommunen                 19

 innovativen Ideen, um das Angebot für Interessierte lau-                   in der Dankesrede schön zum Ausdruck: „Uns ist es ein
 fend zu erweitern. Eine der Laudator*innen fand dafür die                  wichtiges Anliegen, ältere Menschen mit Migrationsge-
 richtigen Worte: „Die Onko-Rudersportgruppe hat es ge-                     schichte auf ihrem Weg zu begleiten, sie zu unterstützen
 schafft, verschiedene Elemente zu integrieren – Sport, Ent-                und in ihrer Muttersprache zu informieren – denn es geht
 spannung und Austausch – und ich hoffe, dass es noch                       nur gemeinsam!“ Begeistert von der Vielfalt der Selbst-
 lange so weitergeht!“ Aber auch für ihre ganz klassische                   hilfe war auch Schirmherr Armin Kroder, mittelfränkischer
 Unterstützungsarbeit, die häufig gar nicht mehr wahrge-                    Bezirkstagspräsident: „Der 1. Selbsthilfepreis ist eine
 nommen wird, fand die Selbsthilfe Wertschätzung. „Men-                     Premiere, wenn nicht sogar oscarverdächtig!“ Die Fort-
 schen mit Adipositas brauchen viel Mut und Unterstüt-                      setzung folgt im Jahr 2021 mit dem 2. Mittelfränkischen
 zung, um es aus diesem belastenden Kreislauf zu schaffen                   Selbsthilfepreis, wenn es wieder heißt: „Selbsthilfe muss
 – dabei spielt die Selbsthilfe eine große Rolle!“                          ordentlich geehrt werden.“
                                                                                                                             Kiss Mittelfranken e. V.

 Zusätzlich wurde noch ein Ehrenpreis vergeben. Diesen
 erhielt der Verein HeHanI e. V. – Helfende Hand Interna-                   Kontakt
 tional für sein hervorragendes Engagement als selbstor-                    Elisabeth Benzing, Kiss Nürnberg Fürth-Erlangen
 ganisierte Initiative. Annette Weigand-Woop brachte dies                   nuernberg@kiss-mfr.de

Die Preisträger*innen, Jurymitglieder*innen, Stifter*innen, Laudator*innen und Kiss-Mitarbeiterinnen © Bilder: A. Aslanidis/Kiss Mittelfranken e. V.
20 Aus den Kommunen

   Im Verein Groschendreher – Kieler Bündnis gegen Alters-
   armut e. V. engagieren sich Institutionen und Akteur*
   innen der Senior*innenarbeit in Kiel. Dazu gehören           Im September 2019 hat sich der Verein Groschendreher
   zum Beispiel die Landeshauptstadt Kiel, Wohlfahrtsver-       in drei Auftaktveranstaltungen erstmals in der Stadt vor-
   bände, Kirchengemeinden oder die Howe-Fiedler-Stiftung.      gestellt. Zunächst wurde ein Infostand auf dem zentra-
   Altersarmut ist oft mit Scham behaftet und führt zu          len Wochenmarkt aufgestellt. Außerdem wurden jeweils
   Vereinsamung und Isolation. Studien beweisen, dass           Informationsnachmittage bei Kaffee und selbstgeba-
   Armut krank macht – sowohl psychisch als auch körper-        ckenem Apfelkuchen in Nachbarschaftstreffpunkten
   lich. Armut verkürzt die Lebenszeit. Menschen mit höhe-      „Anlaufstellen Nachbarschaften (anna)“ in zwei Stadttei-
   rem Einkommen leben nicht nur länger, sie verbringen         len organisiert. Die Veranstaltungen richteten sich an von
   auch mehr Lebensjahre in guter Gesundheit.                   Altersarmut bedrohte und betroffene Ältere und die allge-
                                                                mein interessierte Öffentlichkeit. In engagierten Gesprä-
                                                                chen blieb Zeit für Klönschnack, aber natürlich auch für
                                                                das Thema Altersarmut selbst. Was sind Probleme von
                                                                Betroffenen? Was sind ihre Wünsche? Für die Zukunft
   Daher setzt sich der Verein Groschendreher dafür ein,        sind weitere derartige Veranstaltungen in anderen Stadt-
   dass älteren Menschen trotz eines geringen Einkommens        teilen geplant, um im Gespräch mit den von Altersarmut
   in Kiel ein gesundes Leben ermöglicht wird. Zugänge zu       betroffenen und bedrohten Menschen zu bleiben.
   gesundheitlichen Versorgungsstrukturen, aber auch zu ge-
   sunder Ernährung oder bewegungsfördernden Angeboten,
   sollen verbessert werden.
                                                                Seit Anfang Oktober 2019 hat der Verein Groschen-
   Ein Ziel der Vereinsarbeit ist es, die gesellschaftliche     dreher ein eigenes Büro in den Räumlichkeiten des Nette-
   Teilhabe von älteren Menschen in Armut zu verbessern.        Kieler-Ehrenamtsbüros in der Kieler Innenstadt. Die
   Betroffene sollen ermutigt und unterstützt werden, ihre      Koordinatorin Svea Schnoor unterstützt hauptamtlich die
   eigenen Interessen zu vertreten. In Kiel soll eine Diskus-   Vereinsarbeit. Svea Schnoor hat Gesundheitsförderung
   sion angeregt werden, wie die Lebenssituation von Be-        und Prävention studiert und schreibt aktuell an ihrer
   troffenen verbessert werden kann. Geplant ist, gemein-       Masterarbeit mit dem Thema: Partizipation und Alters-
   sam mit vielen Engagierten partizipativ Neues unter den      armut. Ein besonderes Anliegen ist ihr, dass die Betrof-
   Schwerpunkten Gesundheit, Digitale Teilhabe, Soziale         fenen selbst im Verein zu Wort kommen können, denn
   Isolation, Nachhaltigkeit und Sensibilisierung der Öffent-   sie sind die echten Expertinnen und Experten für ihre
   lichkeit zu entwickeln.                                      Situation. Im Vernetzungsbüro besteht die Möglichkeit,
Aus den Kommunen           21

                                                   sich über Unterstützungsangebote zu informieren und Ideen einzu-
                                                   bringen, wie in Kiel über Altersarmut gesprochen und diese gemein-
                                                   sam gemindert werden kann. Ein Ort, um herauszufinden, warum
                                                   Altersarmut ein wichtiges Thema in der Kieler Stadtgesellschaft ist.
                                                   Die Techniker Krankenkasse fördert den Verein mit 200.000 Euro
                                                   für fünf Jahre.

                                                   Kontakt
                                                   Andrea Böttger,
                                                   Landeshauptstadt Kiel, Amt für Gesundheit
                                                   andrea.boettger@kiel.de
                                                   Svea Schnoor,
                                                   Koordinatorin Vernetzungsbüro Verein Groschendreher –
                                                   Kieler Bündnis gegen Altersarmut
                                                   www.groschendreher.de
© Bild: Verein Groschendreher – Kieler Bündnis
gegen Altersarmut e. V.

Eine gute                                                     ausgeweitet. Der
                                                              Kieler    Bevölke-
Impfentscheidung treffen                                      rung     wird    um-
                                                              fassendes       Infor-
Amt für Gesundheit startet                                    mationsmaterial zur Verfügung gestellt. Viele Kieler
Kampagne in Kiel                                              Einrichtungen wie Kitas, Schulen und Apotheken er-
                                                              halten Info-Flyer und Plakate. Ergänzend zu den Bera-
Jugendliche und junge Erwachsene suchen aufgrund ihres        tungsangeboten der niedergelassenen Ärzt*innen bietet
meist guten Gesundheitszustandes deutlich seltener eine       das Amt für Gesundheit einmal wöchentlich eine Impf-
ärztliche Sprechstunde auf und sind häufig nicht ausrei-      sprechstunde für alle Kieler*innen an. Hier besteht
chend geimpft. Aus diesem Grund gab es im Rahmen der          neben einer neutralen und umfassenden Impfberatung
Impfkampagne Kiel im letzten Jahr bereits Impfaktions-        die Möglichkeit, sich bei Bedarf auch impfen zu lassen.
tage für die Student*innen der Christian-Albrechts-Univer-    Das Besondere dieser Impfsprechstunde ist, dass nicht
sität zu Kiel. Beabsichtigt ist, dieses aufsuchende Angebot   krankenversicherte Personen die Impfung kostenlos erhal-
in diesem Jahr auf weitere Hochschulen in Kiel auszu-         ten. Bei Krankenversicherten werden die Kosten, wie bei
weiten. Zusätzlich wurden erstmalig bei der Begrüßung         dem Besuch in der Hausarztpraxis, über die Krankenkasse
der Erstsemester an der Fachhochschule Kiel sowie der         abgerechnet. Während der Grippezeit wird in der Impf-
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel wiederverwendbare     sprechstunde, neben allen empfohlenen Impfungen wie
Organzabeutel gefüllt mit Informationsmaterialien zu den      Tetanus, Mumps-Masern-Röteln und Windpocken, auch
Themen „Impfen“ und „sexuell übertragbare Krankheiten“        gegen Grippe geimpft.
sowie Kondomen ausgeteilt.
                                                              Kontakt
In diesem Jahr werden die Impfangebote der Landes-            Vanessa Struve, Amt für Gesundheit, Landeshauptstadt Kiel
hauptstadt Kiel im Rahmen der Impfkampagne weiter             Vanessa.Struve@kiel.de
22 Aus den Kommunen

   „ Es gab ein kaum stillbares
     Bedürfnis gemeinsam zu lernen“
     Klaus-Peter Stender über Entstehung und Entwicklung
     des Gesunde Städte-Netzwerks

                                                         Wie sind Sie mit dem Thema Gesunde
                               Klaus-Peter Stender       Städte in Berührung gekommen?
                               war in der zweiten
                               Hälfte der 80er als       Das ist eine halbe Ewigkeit her. Ich hatte gerade bei der
                               Mitarbeiter der Ham-      Hamburger Gesundheitsbehörde angefangen, die sich seit
                               burger     Gesundheits-   etwa Mitte der 1980er-Jahre neuen Ideen der Prävention
        behörde mit der Ottawa-Charta der Welt-          gegenüber öffnete und deshalb gegenüber dem innova-
        gesundheitsorganisation und dem Thema            tiven, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vertre-
        Gesundheitsförderung in Berührung ge-            tenen Gesundheitsförderungsansatz sehr aufgeschlossen
        kommen. Er wurde mit dem Aufbau des              war. Das Europabüro der WHO wollte nach dem großen
        Gesunde Städte-Netzwerks beauftragt und          Andrang auf das internationale Healthy Cities-Netzwerk
        war der erste bundesweite Koordinator            weiteren interessierten Städten die Möglichkeit der Mit-
        des Gesunde Städte-Sekretariats bis 2004.        wirkung bieten und hat dafür die Gründung nationaler
        Danach wurde Klaus-Peter Stender in den          Netzwerke angeregt. Nach mehreren Veranstaltungen u. a.
        Sprecherinnen- und Sprecherrat des GSN           in Düsseldorf und dem Kreis Unna hat die WHO 1988 die
        gewählt. Er gehört zu den großen Stra-           Gesundheitsbehörde in Hamburg gebeten, das Gesunde
        tegen und engagierten Promotoren des             Städte-Sekretariat für den deutschsprachigen Raum zu
        Gesunde Städte-Netzwerks.                        organisieren, um in Deutschland, aber auch in Österreich
                                                         und der Schweiz, die Gründung von Gesunde Städte-
        2020 verabschiedet sich Klaus-Peter Stender      Netzwerken (GSN) vorzubereiten. Diese Aufgabe habe ich
        in den Ruhestand und bleibt dem Netz-            dann übertragen bekommen und bis 2004 übernommen.
        werk hoffentlich weiterhin verbunden.            Später habe ich dann über viele Jahre dem Sprecher/
                                                         innenrat angehört.
     © Bild: Gesunde Städte-Sekretariat
Aus den Kommunen   23

Lebensqualität in der Stadt: Szene aus Offenbach am Main © Bild: Gesunde Städte-Sekretariat
24 Aus den Kommunen

   Was hat Sie an dem Thema Gesundheits-                       Welchen Stellenwert hatte die Kommune
   förderung und am GSN begeistert?                            beim Thema Gesundheitsförderung für
                                                               Sie früher und welchen hat sie heute?
   Vor allem anderen das gesundheitspolitische Leitbild
   der Gesundheitsförderung. Bis noch weit in die 1980er-      Die Kommune ist früh in den Fokus der neuen Gesund-
   Jahre hinein waren ja die Gesundheitserziehung und ein      heitsförderung geraten, weil allen recht früh klar wurde,
   individuell-kurativer Umgang mit Gesundheit/Krankheit       dass auf Bundes- und Länderebene eine lupenreine
   die alles übergreifende Konzeption.                         gesamtgesellschaftliche      Gesundheitsförderungspoli-
                                                               tik überhaupt nicht realisierbar ist. Eine kommunal-
   Diese Ansätze bekamen spätestens 1986 durch die             politische Verantwortung für Gesundheitsförderung hatte
   Public Health-Perspektive der Ottawa-Charta der WHO         dagegen aufgrund der überschaubareren Größe mehr
   programmatisch Konkurrenz. Gesundheit wurde hier zwar       Umsetzungschancen. Heute wissen wir, dass auch das et-
   recht idealistisch als Schlüsselgröße politischer und ge-   was vollmundig war.
   sellschaftlicher Entscheidungen entwickelt, aber gleich-
   zeitig wurden Gesundheitschancen und Erkrankungswahr-       Aber die kommunale Ebene hat auch durch das Engage-
   scheinlichkeiten sehr schlüssig multifaktoriell begründet   ment der Gesunden Städte, auch der WHO, nicht zu-
   und Selbstbestimmung, Chancengleichheit und Lebens-         letzt auch durch das Präventionsgesetz ganz eindeutig
   weltorientierung als handlungsleitend herausgearbeitet.     über die Jahre an Bedeutung gewonnen. Kommunale
   Diese progressive, wenn auch idealistische, Program-        Gesundheitsförderung musste in den Anfangsjahren
   matik hatte frischen Wind in die Gesundheitslandschaft      des Netzwerkes noch aufwendig erklärt und begrün-
   gebracht und viele Akteure, insbesondere auch mich,         det werden. Heute ist das überhaupt nicht mehr nötig.
   absolut motiviert, Gesundheitsförderung als intersekto-     Dieser Fortschritt ist schon bemerkenswert. Er hat aller-
   rale Aufgabe auf den Weg zu bringen.                        dings auch zur Folge, dass die Gesunden Städte so ehr-
                                                               geizig sein sollten, ihren besonderen und selbstgewählten
   Als ein wichtiges Ergebnis dieser Anfangszeit wurde         Stellenwert bei der Umsetzung kommunaler Gesundheits-
   die Zusammenarbeit von Gesundheit und Stadtentwick-         förderung qualitativ immer wieder zu belegen. Aber hier
   lung neu belebt. Diese Aufbruchstimmung führte zu           ist das GSN ja durchaus schon auf dem Weg.
   zahlreichen – teilweise heftig geführten – Diskussionen
   auf Tagungen, Mitgliederversammlungen, Workshops,
   Wochenendseminaren usw. Es gab ein kaum stillbares          Wie könnte man den Stellenwert
   Bedürfnis gemeinsam zu lernen, wie dieser umfassende        von Gesundheitsförderung in
   Ansatz der Gesundheitsförderung kommunal konkret um-        unserer Gesellschaft und in der
   gesetzt werden kann. Dieser Wunsch war auch zentrales       Politik erhöhen?
   Motiv bei der Gründung des GSN und ist es bis heute
   wesentlich geblieben.                                       Die für mich alles entscheidende Messlatte hierfür ist
                                                               eine Entwicklung, in der deutlich mehr Bürgerinnen und
   Im Laufe der folgenden Jahre setzten zwangsläufig           Bürgern als heute Prävention und Gesundheitsförderung
   Ernüchterungs- und Enttäuschungsprozesse ein, bei den       „nachfragen“ und als wichtig in öffentliche Diskussionen
   Bestrebungen die programmatisch abstrakten Formulie-        einbringen. Solange beinah ausschließlich (unbestritten
   rungen in politisch-praktische Umsetzungen zu übersetzen.   wichtig) auskömmliche und qualitativ hochwertige Ge-
   Die Distanz zwischen Anspruch und Realität hat uns – und    sundheitsversorgung die bestimmenden Themen sind,
   auch mir persönlich – damals schwer zu schaffen gemacht.    werden Fortschritte kleine Schritte bleiben.
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