Führen - KOMPASS 02I21 - Katholische Militärseelsorge
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
KOMPASS Die Zeitschrift des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr Soldat in Welt und Kirche 02I21 dienen führen trauen © Sensay – stock.adobe.com ISSN 1865-5149
INHALT Titelthema dienen I führen I trauen 4 Ein Beitrag zum Thema von Militärbischof Franz-Josef Overbeck 6 Interview mit General Eberhard Zorn 11 Kirche lernt vom Militär von Thomas de Nocker und Jan Zähringer 12 Interview mit Schwester Martina 20 Rubriken 18 Kolumne der Wehrbeauftragten 22 Buch-Rezension: „Wage zu träumen“ 24 Auf ein Wort: 6 „Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu!“ 28 Auslegeware: Aus der Militärseelsorge „Der Bischof und seine Frau“ 17 Überblick zum Stand der Debatte – Militärseelsorge 29 Film-Tipp: RED SECRETS – IM FADENKREUZ STALINS 20 Afghanistan: Ein guter Grund, Sicherheit neu zu denken 30 Buch-Tipp: „Was weiße Menschen nicht über Rassismus Glaube, Kirche, Leben hören wollen aber wissen sollten“ 26 Ökumene im Lebenskundlichen Unterricht: 30 VORSCHAU: Ein Interview mit Monika Hansmann Unser Titelthema im März und Stephan Aupperle 31 Rätsel Titelbild: © Sensay – stock.adobe.com Impressum Herausgeber Hinweis KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche Der Katholische Militärbischof Die mit Namen oder Initialen gekennzeich- ISSN 1865-5149 für die Deutsche Bundeswehr neten Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für das Redaktionsanschrift Verlag und Druck unverlangte Einsenden von Manuskripten und KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche Verlag Haus Altenberg Bildern kann keine Gewähr und für Verweise Am Weidendamm 2 Carl-Mosterts-Platz 1 in das Internet keine Haftung übernommen 10117 Berlin 40477 Düsseldorf werden. Bei allen Verlosungen und Preisaus- schreiben in KOMPASS. Soldat in Welt und Telefon: +49 (0)30 20617-421 Leserbriefe Kirche ist der Rechtsweg ausgeschlossen. E-Mail: kompass@katholische- Bei Veröffentlichung von Leserbriefen soldatenseelsorge.de behält sich die Redaktion das Recht Internet auf Kürzung vor. www.katholische-militaerseelsorge.de Chefredakteurin Friederike Frücht (FF) Redakteur Jörg Volpers (JV) Social Media Bildredakteurin, Layout Doreen Bierdel Lektorat Schwester Irenäa Bauer OSF 2 Kompass 02I21
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, „Der Fisch stinkt vom Kopf her.“ „Wie der Herr, so‘s Ge- scherr.“ „Unter dem Leuchtturm ist es am dunkelsten.“ Das sind Zitate, die jede und jeder kennt. Wenn Abläufe in Unternehmen oder Organisationen nicht optimal laufen, fällt der Verdacht schnell auf die Führungsebene – sei es bei großen Autokonzernen, der Bundeswehr oder der Kirche. Gerade in Ausnahmesituationen wird der Ruf nach Führung besonders hörbar. Doch was macht „gute“ Führung aus? Gibt es eine Ba- lance zwischen strikten Vorgaben und vertrauensvoller Ei- genverantwortung? Kann beziehungsweise muss Führung © KS / Doreen Bierdel erlernt werden? Sollte Führung zeitlich begrenzt sein? Als Zeitschrift des Katholischen Militärbischofs ist es am naheliegendsten, dass wir uns diesem Thema von beiden „Wer Macht über Richtungen aus nähern. „Wer Macht über andere hat, andere hat, So haben wir auf der einen Seite mit einer Ordensschwes- ter gesprochen, die zurzeit als Provinzleiterin eine fast muss zunächst Macht 800 Jahre alte Schwesterngemeinschaft leitet. Aus dieser muss zunächst Macht langen Tradition zieht sie auch für ihre Führungsaufgabe über sich selbst gewinnen – nicht nur viel Kraft, sondern auch Wissen. Ein Wissen über sich selbst darum, dass führen immer auch dienen bedeutet. Wer führen will, gewinnen – Wer führen Auf der anderen Seite haben wir mit dem ranghöchsten Soldaten der Bundeswehr gesprochen, dem General- muss zuerst sich inspekteur Eberhard Zorn. Seit über 40 Jahren ist er als will, selbermuss zuerst sich führen.“ Soldat bei der Bundeswehr und konnte so auch selber die unterschiedlichsten Führungsstile kennenlernen. Im Ge- selber führen.“Benedikt von Nursia spräch schildert er, was für ihn „gute“ Führung ausmacht. Mit dieser Ausgabe wünschen wir Ihnen einen informativen Start in dieses Jahr. Friederike Frücht, Chefredakteurin Kompass 02I21 3
TITELTHEMA „‚Leitung‘ bedeutet für mich als Katholischer Militärbischof auch, für die konkrete I. Ausgestaltung, „Führen und Leiten“ gehört zu den wich- tigen Aufgaben von Verantwortungsträ- Ermöglichung und gern. Eine Führungspersönlichkeit hilft Sicherung der anderen Menschen, wertebestimmt Ziele in eigener Entscheidung und selbststän- seelsorglichen Arbeit vor dig zu erreichen. Menschenführung die- ser Art ist darauf ausgerichtet, im Men- Ort – von den Kasernen schen dialogische Fähigkeiten zu fördern, um sich für eine Gemeinschaft einzuset- bis zum Auslandseinsatz – zen und zu Verantwortungsübernahme Sorge zu tragen. bereit zu sein. Führung wahrzunehmen, hat darüber hinaus mit verlässlicher Ar- beit in klaren Strukturen, mit der Fähig- keit zur Teambildung und -beteiligung und Dies geschieht ganz mit einer kritisch-wohlwollenden Beglei- tung aller Akteure zu tun. praktisch vor allem auch durch Delegation von Leitung setzt im ergänzenden Sinn die Bereitschaft voraus, sich mit verschie- Leitungsverantwortung denen Kompetenzen in eine Organisa- tionsstruktur einzubringen, die deren an den Militärgeneralvikar, Entwicklung dient. Dafür sind sozialkom- munikative Kompetenzen, Organisations- an die zuständigen kompetenzen und Strukturkompetenzen Militärpfarrer und an die partizipativen Arbeitens bedeutsam, ebenso aber auch die Fähigkeit, inno- anderen in der Seelsorge vative Aufgaben- und Problemlösungen zu entwickeln, Kompromisse auszuhan- Verantwortung Tragenden.“ deln, eventuell aktuell unaufhebbare scheidungsfindungen geht, die auch die Widersprüche auszubalancieren sowie Gewissensfreiheit und Gewissenskom- angemessen vor allem kollegiale und petenz berücksichtigen. Im Vordergrund kooperative Leitungsstile zu praktizieren. steht dabei der grundlegende soldati- sche Auftrag, dem Frieden zu dienen. II. Zur Hilfe in der Persönlichkeitsentwick- Die Militärseelsorge hat sehr klare, durch lung gehören in der Militärseelsorge aber den Glauben bestimmte und durch das ebenso die Liturgie und das Gebet, der Evangelium geformte wertbestimmte Gottesdienst wie auch die Katechese, Ziele zu verkündigen, zu leben und den weil der Christ letztlich durch das Evan- Menschen nahezubringen, um sie auf gelium geführt wird und in einem dialogi- dem Weg der persönlichen Lebens- und schen Verhältnis mit Gott steht. Glaubensgeschichte zu begleiten. III. Bei alledem gilt es, Hilfen zur Entwick- „Leitung“ bedeutet für mich als Katho- © KS / Doreen Bierdel lung der eigenständigen Persönlich- lischer Militärbischof auch, für die kon- keit zu geben, also geistliche Führung krete Ausgestaltung, Ermöglichung und wahrzunehmen. Das geschieht – oft in Sicherung der seelsorglichen Arbeit vor ökumenischer Verbundenheit – z. B. im Ort – von den Kasernen bis zum Aus- Bischof Franz-Josef Overbeck, Lebenskundlichen Unterricht, in dem landseinsatz – Sorge zu tragen. Dies Katholischer Militärbischof es nicht um Katechese oder Religions- geschieht ganz praktisch vor allem auch für die Deutsche Bundeswehr unterricht, sondern um Fragen ethisch durch Delegation von Leitungsverantwor- fundierter und reflektierter Wege der Ent- tung an den Militärgeneralvikar, an die 4 Kompass 02I21
TITELTHEMA Glaubenskraft und ein waches Gespür für Bedürfnisse und Pluralität. In den Zei- tenwenden, in denen wir als Kirche(n) stehen, heißt dies, Tag für Tag neu einen wachen Sinn für lokale Entwicklungen, aber zugleich auch für globale Heraus- forderungen zu entwickeln und deren Bewältigung auf den Weg zu bringen. Hierbei entsteht oftmals ein positiver kreativer Stress, den zu schätzen ich gelernt habe. V. Dabei hilft mir persönlich der Glaube, mit einem positiven Blick, mit Zuversicht und Hoffnung auf das Gute zu schauen, mich von schwierigen Perspektiven nicht hin- dern zu lassen und gleichzeitig flexibel zu bleiben. Hier sind unternehmerische Fähigkeiten sehr nützlich. Denn zugleich braucht es die Fähigkeit zur Distanzie- rung, um an grundsätzlichen Zielen fest- zuhalten und sich bei deren Verfolgung nicht im Vorläufigen zu verlaufen. Nur so ist es möglich, eigen- und selbstver- antwortlich zu steuern, Nachhaltigkeit zu erzeugen und eine programmierte Wirkungslosigkeit, die Ziele in ferner Zukunft in den Blick nimmt, diese aber nie realisiert, gar nicht erst zuzulassen. Widerstände gegenüber Veränderungen IV. machen mich auf diesem Weg nachdenk- Ein solcher Führungs- und Leitungsstil lebt lich und provozieren, laden mich zu Ver- vom Vertrauen, braucht Bildung und Wis- besserungen ein, hindern aber letztlich sen, Glaubenstiefe und Glaubensfreude, nicht meinen Willen, nach vorn zu gehen. zuständigen Militärpfarrer und an die an- ein hohes Maß an Ambiguitätsfähigkeit, deren in der Seelsorge Verantwortung um nicht zu „entweder oder“-Logiken VI. Tragenden. Hier geht es um Themen verführt zu werden, sondern in „sowohl Es ist wichtig, bei allen Aufgaben auch von Management und Organisations- als auch“-Logiken zu denken und zu han- Kraftreserven für neue Herausforderun- entwicklung, um die Bedingungen und deln. Verantwortungsübernahme muss gen zu behalten. In diesem Zusammen- Strukturen partizipativen Arbeitens und mit Klugheit und Geduld einhergehen, hang gehört es für mich unabdingbar die vielschichtige Ausbalancierung von um längerfristig unter oft vielschichtigen dazu, Gott um seinen Segen für mein Tun © tomertu – stock.adobe.com unterschiedlichen seelsorglichen Per- Bedingungen Gutes zu erreichen. Gerade zu bitten und zu versuchen, dem Nächs- spektiven, die zugleich immer auch öko- hier gilt das alte Sprichwort: „Das Beste ten nützlich zu sein und ihn so dafür zu nomische, verwaltungstechnische und ist der Feind des Guten!“ sensibilisieren, dass auch er anderen gesellschaftlich relevante Implikationen zum Segen werden kann. Konkret heißt haben. Gerade wegen der Gleichheit und Darum bemühe ich mich als Militärbi- das in der Militärseelsorge, Soldatinnen der Mitwirkungsrechte aller Gläubigen am schof in meinen Führungs- und Leitungs- und Soldaten zu helfen, in allem und Aufbau des Leibes Christi (vgl. can 208 aufgaben um klare Horizonte und die Fä- vor allem dem Frieden zu dienen, für die CIC), braucht es hierfür einen kollegialen higkeit, immer wieder unterschiedliche Menschenwürde und die Menschenrech- und kooperativen Leitungsstil, der vor Ort Menschen und Situationen kennenzu- te, für die Freiheit des Gewissens und ein seine Bewährung findet. lernen, konkret also um Dialogfähigkeit, friedliches Leben einzutreten. Kompass 02I21 5
TITELTHEMA „Mir macht das jeden Tag Freude“ © Bundeswehr / Sebastian Wilke Interview mit General Eberhard Zorn, seit dem 19. April 2018 der 16. Generalinspekteur der Bundeswehr Kompass: Herr General, Sie sind zurzeit ich unterschiedliche Führungsmittel. Maßgeblich ist zudem, dass Vorgesetzte sehr viel auf Social Media unterwegs. Während der Corona-Pandemie ist das offen und ehrlich mit dem ihnen anver- General Zorn: (lacht) Ja. immer häufiger die Videokonferenz. trauten Personal umgehen, indem sie vernünftig informieren, kommunizieren Kompass: Insbesondere auf Twitter. Kompass: Sie haben schon ein paar und zuhören – man könnte sagen: betei- Benutzen Sie Twitter als ein Führungs- Führungsmittel oder Methoden genannt. ligen. Beteiligung ist für mich ein weiterer mittel? Haben Sie dabei eine Leitidee von guter wesentlicher Aspekt guter Führung. General Zorn: (lacht) Nein, es ist für mich Führung? Lassen Sie sich von irgend- eher ein zusätzliches Mittel der Kommu- wem, irgendwas inspirieren? Kompass: Haben Sie denn zu Ihrem nikation und Information. Twitter ermög- General Zorn: Das Leitbild guter Führung Führungsstil ein Vorbild, das Ihnen als licht mir, interessierte Menschen an ist für mich das Konzept der Inneren Füh- Leitfigur dient? meinem Alltag als Generalinspekteur teil- rung. Auf den ersten Blick mag es viel- General Zorn: Ein Vorbild ist zu wenig. haben zu lassen. Dieses Medium schafft leicht theoretisch klingen, aber es ist für Über meine gesamte Dienstzeit hinweg erweiterte Transparenz. Bei Twitter sind mich der Abholpunkt. Die Innere Führung bin ich immer wieder selbst auf Vorge- meine Tweets öffentlich sichtbar – un- fußt auf dem Wertekanon des Grundge- setzte jeder Ebene getroffen, von denen abhängig ob für Bundeswehrangehörige setzes. Hieraus leiten sich alle unsere ich mir positive Eigenschaften angeeig- oder externe Follower. Als Führungsmit- Vorschriften, Leitlinien und Konzepte ab. net, aber auch negative abgespeichert tel nutze ich dieses Medium allerdings Dieser Wertekanon ist handlungsleitend habe, um es dann anders zu machen. nicht. Beim Führen von Menschen geht für alle unsere Soldatinnen und Soldaten Insofern habe ich vielfältige Vorbilder, ich es darum, einen bestimmten Adressa- in Führungsverantwortung, unabhängig lasse jetzt mal die Namen weg (lacht). tenkreis anzusprechen. Hier setze ich von der Ebene. Wesentlich ist mir dabei, Das fängt in den frühen Jahren an – mit auf die direkte Kommunikation, also auf dass man von vorne führt, sprich: mit Hauptfeldwebel- Dienstgraden, die ganz Gespräch und Diskussion. Vorrangig nut- Vorbild. hervorragende Führungskräfte waren ze ich Befehle und Weisungen, die durch und mich stark geprägt haben. Ich traf Ich erwarte, die nächste Führungsebene umzusetzen und treffe immer wieder auf sehr gute sind. dass Führungskräfte als Vorbilder Vorgesetzte quer durch alle Dienstgrad- ebenen, da sind wir in der Bundeswehr auch Belastungen und An die Truppe adressiere ich von Zeit insgesamt ausgezeichnet aufgestellt. zu Zeit Tagesbefehle, oder ich wende Entbehrungen mit ihren mich mit Briefen an die Dienststellenlei- Kompass: Sie haben erwähnt, dass man Frauen und Männern teilen. terinnen und -leiter. Je nachdem, welche als Führungsperson bestimmte Eigen- Zielgruppe ich erreichen möchte, nutze schaften nicht haben sollte. Können Sie 6 Kompass 02I21
TITELTHEMA vielleicht einige benennen? Was darf Kompass: Sie stehen als oberster mili- kalen Würdenträgern. Ebenso hat man niemals Einfluss auf Führung nehmen? tärischer Dienstherr an der Spitze der den regionalen Stationierungsraum der General Zorn: Cholerische Verhaltenswei- Bundeswehr. Was glauben Sie oder viel- übergeordneten Führung – der Brigade sen, zum Beispiel, passen nicht zu guter leicht wissen Sie es auch: Wie würden im Blick. Insofern habe ich in dieser Führung. Diese dürfen sich nirgendwo Menschen aus Ihrer Umgebung Ihren Funktion vieles hinzugelernt, was mein breitmachen. Mir ist ein kooperativer Führungsstil oder den General Zorn be- Führungsverhalten verändert hat. Militär Führungsstil wichtig, um die Menschen schreiben? in einer Demokratie ist immer im politi- um uns herum „mitnehmen“ zu können. General Zorn: (lacht) Ich selbst strebe schen und gesellschaftlichen Kontext zu Nur so schafft man meines Erachtens ein einen kooperativen Führungsstil an. sehen, das habe ich als Bataillonskom- motivierendes Arbeitsumfeld. Umgekehrt Wenn ich jetzt die ganzen Jahre zurück- mandeur erstmals in ganzer Breite erlebt lehne ich rein dirigistische Maßnahmen blicke, ist mir das auch immer wieder – und erlebe ich als Generalinspekteur ab. Führen von oben herab passt nicht bestätigt worden. Das macht sich fest an selbstverständlich weiter. in mein Portfolio. Ebenso halte ich nicht Gesprächsbereitschaft, am Zuhören, am viel vom Führen durch Informationsvor- Eingehen auf die Soldaten und zivilen Mit- Die Nahtstelle Politik-Bundeswehr beglei- sprung. Das schürt nur Misstrauen. Ich arbeiter. Das ist mein Selbstverständnis. tet nun aktuell mein Handeln. Gerade in gehe gern optimistisch auf die Leute den vergangenen Jahren im Ministerium zu und schenke jedem von vornherein habe ich Phasen erlebt, in denen man Mein Ziel ist in der jetzigen einen Vertrauensvorschuss. Das ist für sich selbst noch einmal hinterfragen mich ein ganz wichtiger Punkt, und offen Funktion, und da hat das Herz muss: Welche Rolle übernehme ich in gesprochen, habe ich diesen Ansatz in diesem System? Wie gehe ich um mit schon immer hingeschlagen, meinen 42 Dienstjahren bis heute nicht den politischen, wie mit den medialen einmal bereut. unsere unteren Ebenen zu stärken. Einflüssen, die zusätzlich auf die Bundes- wehr einwirken? Im Ergebnis komme ich Das muss das Kerninteresse Kompass: Lassen Sie uns noch mal auch da immer wieder zu der Überzeu- zu dem Punkt Vertrauen kommen. Im jedes Vorgesetzten sein. gung: Sei authentisch, sei ehrlich, und Februar 2020 haben Sie auf der Bun- sei transparent. Wir brauchen unser Licht Denn die unteren Ebenen, deswehrtagung gesagt, Sie erwarten als Bundeswehr nicht unter den Scheffel „Entscheidungsfreude auf allen Ebenen. egal ob zivil oder militärisch, zu stellen. Wir müssen aufrichtige Ant- Bitte nicht warten, bis an der Spitze ent- worten auf die Fragen geben: Was ist gut, sind es, die am Ende den Output schieden wird, sondern auf jeder Ebene was ist schlecht, und woran müssen wir entsprechend entscheiden“. der Bundeswehr liefern. weiterarbeiten? Mit diesem Prinzip bin Würden Sie bitte das Attribut Vertrauen ich auch im politischen Umfeld bisher näher definieren? Kompass: Wenn Sie auf Ihre 42 Jahre gut gefahren. General Zorn: Wenn ich jemandem einen in der Bundeswehr schauen, hat sich Vertrauensvorschuss gewähre, gebe ich Ihr Führungsverhalten im Laufe der Zeit Kompass: Sie sprechen immer wieder ihm im übertragenen Sinne einen Kredit. geändert? Haben Sie Sachen reflektiert das authentische Auftreten an, was Dies erfordert eine gewisse Risikobereit- und festgestellt: Nein, das mache ich mir, wenn ich es richtig verstehe, zeigt: schaft. Übersetzt heißt das: Ich kontrol- beim nächsten Mal anders? Sie sehen in jedem einzelnen Soldaten liere nicht im Vorfeld, ob alles richtig General Zorn: Meine Grundphilosophie trotz des Begriffs Uniform ein Individu- gemacht wird, oder ob die Ideen schon hatte ich schon früher. Ich glaube aber, um. Wie weit darf denn jeder einzelne vollständig meinen eigenen entsprechen. man lernt in jeder neuen Aufgabe noch Soldat, jede einzelne Soldatin in der Kri- einmal, sich selbst zu überprüfen und tik gehen? Sondern ich vertraue einfach darauf, vor allem aus anderen Blickwinkeln auf General Zorn: Ich bin ein großer Freund dass meine Leute ihre Arbeit gut ma- das eigene Handeln oder auf den Auftrag davon, dass man Kritik konstruktiv und chen, weil sie gut ausgebildet sind, und der Bundeswehr insgesamt zu schauen. sachbezogen äußert, ohne dass es per- dass sie im Rahmen der Auftragstaktik Neben der Truppenführung ist man als sönlichkeitsverletzend ist. Das ist für im Sinne meiner Absicht handeln. Für Bataillonskommandeur zum Beispiel mich eine Grundvoraussetzung. Und da mich lebt gute Führung von gegenseiti- auf das lokale Umfeld, auf die Gemein- bin ich tatsächlich auch ganz offen, egal gem Vertrauen. Das ist keine Einbahn- de seines Standortes fokussiert. Man woher Kritik kommt. Wenn ich die Trup- straße, es ist ein gegenseitiges Geben engagiert sich in der Patengemeinde pe besuche, dann ist es mir im Grunde und Nehmen. und pflegt den Austausch mit den lo- völlig egal, welcher Dienstgrad mir da >> Kompass 02I21 7
TITELTHEMA >> vorträgt – solange es sachbezogen ist aus meinem Büro bekommen. Ich kann tragstaktik wieder einmal bewährt. Nahe- und er oder sie persönliche Anfeindun- nicht jeden Punkt ausräumen, aber mir zu auf allen Ebenen hat man mir gesagt: gen weglässt. Etwas anderes ist mir bis ist wichtig, dass ihnen erklärt wird, wie Aufgrund der Pandemie wird nicht mehr dato auch noch nicht passiert. Ich neh- sich die Zusammenhänge und weiteren jede Kleinigkeit geregelt, weil wir gar nicht me Kritik zunächst immer als begründet Maßnahmen zur Problemlösung darstel- die Zeit dazu haben, sondern man gibt im an. Wenn mir eine Zugführerin, ein Spieß len. Damit erreicht man auch Vertrauen Grunde klare Rahmenweisungen vor und oder ein Oberstabsgefreiter einen Man- in die vorgesetzten Ebenen, die eben- überlässt der Truppe im besten Sinne gel vorträgt, dann gehe ich grundsätzlich so verpflichtet sind, ihren anvertrauten der Auftragstaktik, wie sie ihre Aufgaben davon aus, dass das stimmt, was man Frauen und Männern die Sachverhalte erfüllt. Dieses Vorgehen wird als zusätz- mir berichtet. Es ist ja die persönliche und manchmal auch Sachzwänge zu er- liche Handlungsfreiheit wahrgenommen. Wahrnehmung einer Realität. Alle Kritik- läutern. Das ist es, was wir aus meiner Sicht drin- punkte lasse ich durch die zuständige gend über die Zeit nach der Pandemie Ebene nachprüfen. Oft stelle ich fest, Kompass: Wir kommen nicht ganz vor- konservieren müssen, weil es auch ein dass die Kritik berechtigt ist, manches ist bei an der Covid-19-Pandemie. Haben Beitrag zur Entbürokratisierung ist. bereits bekannt. Andere Punkte lassen sich seit März 2020 Antworten in der sich auch kurzfristig nicht verbessern. Pandemie verändert? Sprich: Haben Sie Die Notwendigkeit einer schnellen flä- Häufig stelle ich aber fest, dass nicht jetzt einen anderen Zugang zu Ihren „Ü- chendeckenden Digitalisierung unserer umfassend genug zu bestimmten Sach- Besuchen“, zu Ihren Überraschungsbe- Streitkräfte ist die zweite Lehre aus der verhalten kommuniziert und informiert suchen? Pandemie. Seit dem ersten Lockdown wurde. Deswegen ist es mir ein Anliegen, General Zorn: Es sind zwei Dinge, die im vergangenen Frühjahr haben wir un- dass die Frauen und Männer zu ihren deutlich seit Beginn der Pandemie her- sere Bestände an mobiler Hardware auf geäußerten Kritikpunkten eine Erklärung vortreten. Zum einen hat sich die Auf- allen Ebenen ausgebaut, inklusive der © Bundeswehr / Jana Neumann 8 Kompass 02I21
TITELTHEMA entsprechenden Software sowie notwen- digen Online-Zugänge. Wir waren damit immer besser in der Lage, mehr Personal aus dem Homeoffice heraus arbeiten zu lassen, das wurde sehr positiv aufge- Kompa nommen. Die Einbindung des Personals s s: Wir h aben im Homeoffice fordert die Führungskräf- Würden noch einige B sponta Sie egriff te in besonderer Weise. Man muss den nen As uns dazu Ihre e notiert. Genera s Frauen und Männern an ihren Rechnern l Zorn: oziationen ne Ja, kön n daheim sinnvolle Aufträge geben und mit nen wir nen? ihnen kommunizieren. Es ist herausfor- mache n. dernder, über die Distanz ein Gespür Genera Anführe für die Belange der Menschen im Home- l Zorn: r. Führen office zu bekommen, als wenn man mit von vor ne. ihnen vis à vis zusammenarbeitet. Da bin Genera Führun l Zorn: g s spitze. ich selbst auch noch nicht ganz am Ende Hier im meiner Überlegungen, wie man per Video- Haus d ie Leitu konferenz oder per Telefon die Signale ng. Selbstb seines Gegenübers richtig deutet. Wenn Genera ild. man über viele Wochen hinweg nur in l Zorn: Kamera den eigenen vier Wänden arbeitet, fehlen d. Geführ die sozialen Kontakte des Arbeitsallta- Genera t werde l Zorn: n. ges im Büro. Dies zu erkennen und ggfs. Jederze die Mitarbeitenden dann wieder – wenn it. © Brad Pict – stock.adobe.com auch nur kurz – ins Büro zurückzuholen, Genera F ü h r ungsan l Zorn: s ist eine neue Facette von Führung und Hoch, a pruch. ber mit bedarf entsprechender Kompetenzen. Beteilig Informa ung. Führen im digitalen Zeitalter ist eine He- Genera tionsm l Zorn: a rausforderung, für die ich noch nicht alle Muss b ngel. Antworten habe. Aber wir werden weiter ehoben werden an diesem Thema arbeiten. . Kompass: Ich höre aus Ihren Antworten, dass Sie das als große Verantwortung wahrnehmen. Inwiefern nehmen Sie Füh- rung auch als Bürde oder Verpflichtung oder eine Mischung von beidem wahr? General Zorn: Ich kann nur sagen: Mir macht meine Arbeit jeden Tag Freude. flikten, die Sie mit sich selbst austragen Das sind Momente, Das zieht sich wie ein roter Faden durch müssen? da mache ich lieber noch mal meine gesamte Dienstzeit – unabhängig General Zorn: Die ethische Auseinander- davon, ob ich selbst in Führungsverant- setzung mit dem Soldatenberuf in allen eine weitere Prüfschleife und frage: wortung stand oder eine Stabsabteilung seinen Facetten – vom Dienst im Grund- Haben wir wirklich alles führte. Ich habe das Führen von Men- betrieb bis hin zum scharfen Ende, dem schen nie als Last empfunden oder als Kriegseinsatz – ist von Beginn an Teil der berücksichtigt? Bürde. Es ist wirklich erfüllend, vor allem Führungskräfteausbildung und unterliegt Da setze ich ganz stark auf das mit den mir Anvertrauten gemeinsam Pro- einem ständigen Reflexionsprozess. Am bleme zu lösen. Verantwortung zu tragen schwierigsten sind die Führungsentschei- mich beratende Umfeld, macht Spaß – und war von Beginn an dungen im Einsatz, wenn wir unseren Sol- damit man alle Möglichkeiten ab- Teil meines soldatischen Selbstverständ- datinnen und Soldaten Aufträge geben, nisses. die sehr risikobehaftet sind. Selbst die wägt, um das Risiko für Fahrt von einem Ort zum anderen kann die eigenen Kräfte und die Kompass: Reflektieren Sie Ihre Führung aufgrund einer Minenbedrohung oder der auch auf einer ethischen Ebene und Möglichkeit eines Hinterhaltes eine Ge- Zivilbevölkerung zu minimieren. führt das vielleicht manchmal zu Kon- fahr für Leib und Leben darstellen. >> Kompass 02I21 9
TITELTHEMA © 2019 Bundeswehr / Jana Neumann >> Das sind Führungsentscheidungen, bei Die häufig volatile und gefährliche Si- für Vorträge ausgeschlagen, weil das für denen für mich ethische Aspekte stets cherheitslage, die Lage der Zivilbevölke- mich zum Selbstverständnis als Gene- einen entscheidenden Anteil haben müs- rung und der örtlichen Streitkräfte sowie ralinspekteur gehört, dass man offen sen. Dieses Vorgehen kann man keinem das eigene Handeln im multinationalen kommuniziert und sich der Diskussion Vorgesetzten auf keiner Ebene abneh- Kontext beschreiben ein hoch komple- stellt. Sie adressieren mit dem Kompass men. xes Umfeld, in dem jeder militärische im Kern eine ganz spezifische Zielgruppe: Führer täglich neu hinzulernt. Wir alle katholische Soldatinnen und Soldaten. Kompass: Können Sie auch ganz allge- sind in unseren Einsätzen immer hoch Da ich selbst katholisch bin, unverändert mein ausmachen: Was war die schwie- aufmerksam, unter steter Anspannung dazu stehe und in der Kirche bin, finde rigste Führungsaufgabe für Sie? Welche und letztlich in einem kontinuierlichen ich das klasse, dass Sie sich mit sol- Konflikte mussten Sie bewältigen und Beurteilungs- und Entscheidungsrhyth- chen Fragestellungen in Ihrem Magazin würden Sie vielleicht aus der Retrospek- mus. Dabei fordert jeder Entschluss auseinandersetzen. Insofern sage ich tive etwas anders machen? auch immer ein Handeln ins Ungewis- herzlichen Dank auch an Sie. General Zorn: Einmal getroffene Ent- se, eine konkrete Abwägung der Risiken scheidungen kann man nicht mehr än- und ein gewisses Maß an kalkulierbarer Die Fragen stellten Norbert Stäblein dern. Dabei fällt mir kein Entschluss Risikobereitschaft. und Friederike Frücht. aus der Vergangenheit ein, von dem ich jetzt sage, den müsste ich aus irgendei- Kompass: Haben Sie noch etwas, das nem Grund bereuen. Die schwierigsten Sie uns mit auf den Weg geben wollen? WEBTIPP: Führungsaufgaben liegen sicherlich in General Zorn: Ich habe mich sehr ge- Weitere Antworten all unseren Auslandseinsätzen, im Ein- freut, dass Sie zu diesen zeitlosen The- von General Zorn satzland selbst, aber auch zu Hause in men wie Verantwortung und Führung unter: den Kommandos, die einsatzrelevante nachgefragt haben. Bisher habe ich kein milseel.de/gi Entscheidungen zu treffen haben. Interview und auch noch keine Anfrage 10 Kompass 02I21
TITELTHEMA Kirche lernt vom Militär von Thomas de Nocker und Jan Zähringer D ie katholische Kirche in Deutschland steht unter immen- sem Veränderungsdruck. Ihr Zuspruch bei den Menschen sinkt. In der Corona-Krise der letzten Monate hat sich dieser Strukturen, die Wandel ermöglichen Durch die häufigen Wechsel der Dienstposten in der Bundes- wehr werden diese Strukturen nicht um einzelne Personen Eindruck nochmals verstärkt. Die historische Erfahrung „Not entwickelt, sondern vielmehr nach dem für die Gesamtorgani- lehrt beten!“ schien sich gesamtgesellschaftlich nicht zu be- sation am günstigsten erscheinenden Szenario aufgestellt. Im stätigen. Stattdessen war die Diskussion davon bestimmt, ob Falle einer personellen Veränderung, gerade auf Führungspo- Kirche nun systemrelevant sei oder nicht. sitionen, bleibt somit die beschriebene Handlungssicherheit durchgängig erhalten. Somit wird die Handlungsfähigkeit der Ein Blick auf die Bundeswehr zeigt: Die pastorale Großorgani- gesamten Organisationseinheiten nicht gefährdet. sation kann von der militärischen einiges lernen. Erstens zur Fähigkeit, sich auf eine veränderte Umwelt und neue Heraus- Im Gegensatz dazu ist die Struktur der Kirche weniger grund- forderungen einzustellen, zweitens zur Etablierung von Struk- legend vorgegeben und eher dezentral entwickelt. Gläubige turen, die man gut steuern kann und drittens zu Ansätzen, und Angestellte können Ansprechpartner und Abläufe aus der Führungskräfte auszubilden und zu stärken. Erfahrung in einer Kirchengemeinde nicht einfach auf die Situ- ation in einer anderen Kirchengemeinde übertragen. Schnelle Wandlungsfähigkeit Aufgabe der Bundeswehr ist es, auf sicherheitspolitische He- Führungsverantwortung, die ernst genommen wird rausforderungen angemessen reagieren zu können und die In der Bundeswehr findet von Beginn an eine Karriereplanung Einsatzziele zu erreichen, die die Politik vorgibt. mit entsprechenden Auswahlprozessen statt. Schon der/die Die katholische Kirche hat ihre Zielset- jeweilige Bewerber/in für eine Offiziers- zung nicht so klar formuliert, man kennt laufbahn stellt sich einem Assessment auch keinen Ernstfall, auf den man sich Center und bekommt dort nach erfolg- vorbereiten müsste. Hier geht man eher reichem Bestehen in einem Gespräch davon aus, dass es reicht, wenn man Einsatz- und Karrieremöglichkeiten auf- einfach da ist. Während auch öffentlich gezeigt. darüber diskutiert wird, wie wirksam das Gewehr G36 in der afghanischen Hitze In der Kirche hingegen findet derzeit nur im Ernstfall ist und ob es dann auch tref- bedingt eine strukturierte Personalent- fen würde, wird die Frage, wie wirksam wicklung statt. Vor allem durch die im- das Angebot von katholischen Kinderta- mer arbeitsteiliger werdende moderne Ar- geseinrichtungen ist, nicht intensiv und beitsumwelt mit sich ständig ändernden strukturiert diskutiert: „So wie die Kirche Herausforderungen an das Know-how der ist, ist sie da und irgendwie passt das Mitarbeitenden und die Notwendigkeit, schon ...“ Etwas pointiert könnte man sich weiterzubilden, scheint dies aller- also sagen, dass es in der Kirche biswei- dings dringend geboten. len schon reicht, guten Willens zu sein und Einsatz zu zeigen, beim Militär hin- Fachaufsatz: Lernimpulse aus der Gegenseitig voneinander lernen gegen im Ernstfall nur Ergebnisse zählen. Bundeswehr für die katholische Kirche Mitnichten läuft alles bei der Bundeswehr in Deutschland zur Führung von Personal und Organisationen problemlos in den geschilderten Punk- Was wäre, wenn sich auch die katholi- ten, selbstverständlich gibt es auch in sche Kirche in Deutschland klare, ope- PDF-Download unter der Kirche viele positive Initiativen. Zu- rationalisierbare Ziele setzte und diese https://kurzelinks.de/v86e weilen bestätigen Ausnahmen die Regel. in einem festen Zeitplan verfolgte? Ein Der ungewohnte Vergleich von Kirche und zentraler Stolperstein dabei wäre, dass es unter den Gläu- Militär offenbart aber, dass es viele Themen gibt, bei denen bigen und kirchlichen Leitungskräften sehr unterschiedliche man viel voneinander lernen kann. Vorstellungen davon gibt, wozu Kirche da ist und wozu die Ressourcen aufzuwenden sind. Zudem fehlt es der Kirche, Als eine Kerngemeinsamkeit bleibt: Es braucht gute Führungs- anders als beim Militär, an einer Entscheidungskultur mit einer kräfte. Und damit braucht es auch Wege, diese auszubilden klaren Zuordnung von Verantwortlichkeiten: Die Bereitschaft, sowie Strukturen, über die Führung gut wahrgenommen wer- in schwierigen Situationen Entscheidungen zu treffen und sich den kann und die Bereitschaft, notwendige Veränderungen auch nachher dafür zu rechtfertigen, ist wie in manch anderen konsequent anzugehen. Großorganisationen nicht stark ausgeprägt. Kompass 02I21 11
TITELTHEMA „Und keiner soll ‚Prior‘ genannt werden, sondern alle sollen ‚Mindere Brüder‘ heißen.“ Interview mit Schwester Martina Schmidt, 60 Jahre alt, seit 2013 Provinzleiterin der Dillinger Franziskanerinnen der Provinz Bamberg Kompass: Schwester Martina, könnten Sie uns er- klären, wie Ihr Orden in Deutschland aufgebaut und strukturiert ist? Schwester Martina: Wir sind eine Gemeinschaft von Frauen, die im Jahr 1241 gegründet wurde. Wir sind eine franziskanische Gemeinschaft, das heißt, wir orientieren uns an den Werten und an der Regel des heiligen Franz von Assisi. Gegliedert sind wir in sieben Provinzen. Drei davon sind in Deutschland, zwei in Brasilien, eine in Indien und eine in den Vereinigten Staaten. Die Provinzen sind jeweils selbstständig. Eine dieser Provinzen hat ihren Sitz in Bamberg, und deren Leiterin bin ich gerade. Kompass: Für wie lange werden Sie als Leiterin ge- wählt? Schwester Martina: In Deutschland wird man in der Regel auf sechs Jahre gewählt. In unserem Ordens- leben bedeutet ein Amt führen, leiten auf Zeit. Man © Hendrik Steffens wird vom Provinzkapitel gewählt. Das ist die höchste Instanz innerhalb der Provinz. Und man weiß genau: Ich habe eine Amtszeit von sechs Jahren und könnte, wenn die Schwestern, die Kapitularinnen, das wollen und ich selber bereit dazu bin, wiedergewählt werden. 12 Kompass 02I21
TITELTHEMA Generalkapitel höchste Generaloberin außerordentliche mit Generalrat beschlussfassende und Kompass: Welches Amtsverständnis koordinierende Instanz ordentliche Leitung Provinzkapitel liegt hinter diesem Vorgehen? der Kongregation der Gesamtkongregation, Schwester Martina: Ein Amt ist immer mit Amtszeit von höchste auf Zeit gegeben und als Dienst zu ver- sechs Jahren außerordentliche stehen. Der Maßstab schlechthin ist für beschlussfassende und uns natürlich Franz von Assisi. Er hat Provinz Indien koordinierende Instanz seinen Brüdern gesagt – und damit et- 109 Schwestern in 16 Konventen der jeweiligen was wirklich Neues in die Welt gesetzt –: Provinz Provinzoberin „Niemand soll sich Prior (der Erste) nen- USA nen lassen.“ Franziskus will, dass sich Provinz Hankinson: 16 Schwestern in 3 Konventen mit Provinzrat alle in der Gemeinschaft als „mindere“ ordentliche Leitung also einfache Menschen sehen. „Obere“ Brasilien der Provinz, Amtszeit nennt er „Minister“ im Sinne von Diener. Provinz Areia: 45 Schwestern in 6 Konventen sechs, bzw. vier Jahre Es ist doch klasse, wenn ein Mensch Provinz Duque de Caxias: 49 Schwestern in 10 Konventen des Mittelalters im Grunde das, worum wir heute in der Kirche ringen, nämlich Deutschland um ein neues Amtsverständnis, schon Provinz Bamberg: 107 Schwestern in 12 Konventen formuliert hat. Er schreibt zum Beispiel in Provinz Maria Medingen: 197 Schwestern in 16 Konventen einer der ersten Fassungen seiner Regel: Provinz Regens Wagner: 86 Schwestern in 8 Konventen „Der Minister bemühe sich, so für seine Brüder zu sorgen, Struktur der Gemeinschaft der Franziskannerinnen wie er selbst wünschte, dass ihm (Quelle: www.dillinger-franziskanerinnen.de Stand 11/2019) geschehe, wenn er in einer ganz ähnlichen Lage wäre.“ Kompass: Das bedeutet, dass Sie ja auf welcher Ebene. Also unsere General- sehr basisdemokratisch aufgebaut sind. oberin muss sich verantworten vor dem Wer ein Leitungsamt hat, soll sozusagen Steht das manchmal ein bisschen im Generalkapitel, in dem Schwestern aus in die Mokassins dessen treten, für den Kontrast zu dem größeren Ganzen der allen Provinzen als gewählte Vertreterin- er da Leitungsverantwortung hat. „Kei- katholischen Weltkirche? nen ihrer Provinz bzw. qua Amt sind. Sie ner soll Prior genannt werden, sondern Schwester Martina: Ja. Allerdings sind muss ihren Rechenschaftsbericht vorle- alle sollen schlechthin mindere Brüder wir in der Kirche in Deutschland durch gen und muss sich den Fragen stellen. heißen. Und einer wasche des anderen den Synodalen Weg dabei zu ertasten, Füße“, so wie es eben Jesus im Evangeli- wie geht Synodalität, wie geht Subsidi- Für mich auf der Ebene der Provinzlei- um vorgibt. Dienst und geschwisterlicher arität. Wie geht Mitverantwortung von tung: Ich muss mich dem Provinzkapitel Umgang miteinander sind für Franziskus sogenannten Laien, also Menschen, die stellen. Ich habe Grenzen, über welche absolut zentral. keine Priester sind? Gelder ich alleine bzw. mit meinem Rat Ich habe auch den Eindruck, dass es verfügen kann. Und das Kapitel hat das Kompass: Wie sehr kann es Herausfor- grundsätzlich das ist, was Papst Fran- Recht, Dinge in Frage zu stellen. Manche derung im alltäglichen Leben sein, die- ziskus nach vorne bringen will. Aber das Entscheidungen muss das Kapitel tref- ses Ideal zu haben? eine oder andere Schreiben aus römi- fen, andere Entscheidungen der Provinz- Schwester Martina: Zum Beispiel kann schen Kongregationen zeigt, dass nicht rat. Dieses Mich-verantworten-Müssen das heißen: Wenn es um die Frage geht, bei allen die Suche nach diesem sy- vor einer anderen Instanz als jemand, dass an einem bestimmten Ort jemand nodalen Prinzip wirklich gewünscht und der zurzeit ein Amt innehat, das ist für für eine Aufgabe gebraucht wird, und gewollt ist. uns ganz wichtig. Und auch das ist schon wenn jetzt eine Mitschwester nach reifli- grundgelegt bei Franz von Assisi, der von cher Überlegung sagen würde: „Ich kann Kompass: Könnten Sie als Franziskane- Anfang an gesagt hat: dieser Bitte, dass ich dort wirken soll, rin, die einem Orden von 1241 angehört, „Die Brüder sollen sich regelmäßig nicht entsprechen“ und dafür gewichtige deutlicher sagen: Moment, wir sind ja zu solchen Kapiteln treffen und Gründe nennt, dass ich als ihre Leiterin auch ein Bestandteil der Kirche. Da dort alle Dinge, die ihr gemein- dann schon auf die Gewissensäußerung könnte man sich ja noch mal deutlicher sames Leben betreffen, beraten, meiner Mitschwester hören sollte. ein Beispiel daran nehmen, oder? besprechen und beschließen.“ Schwester Martina: So ist es. Auch zum Kompass: Das heißt, es schränkt inso- Beispiel an der Tatsache, dass bei uns Kompass: Wird man grundsätzlich vorbe- fern die Macht ein? Amtsträgerinnen sich immer noch ein- reitet auf dieses Amt? Wie war das für Schwester Martina: Genau. Richtig. mal verantworten müssen, und zwar egal Sie persönlich? >> Kompass 02I21 13
TITELTHEMA >> Schwester Martina: Zunächst einmal, schon grundsätzlich Bescheid wissen, le in Kaiserslautern in die Trägerschaft ich habe nicht nach diesem Amt ge- um eben Verantwortung überhaupt tra- des Bistums Speyer überführt haben. strebt. In meinem vorherigen Leben war gen zu können. Das war eine aufwendige Sache. Aber ich mit Leidenschaft Lehrerin an unse- ich bin sehr dankbar, weil es eben eine rer Schule in Kaiserslautern und wäre Kompass: Was – würden Sie rückbli- blühende Schule ist, in die wir viel Herz- das auch gerne bis zu meinem berufli- ckend sagen – war bisher das Schwie- blut investiert haben seit 1907 über Ge- chen Ende geblieben. Ich habe auf den rigste? Was hat Sie überrascht? Oder nerationen hin. Und der einzige Grund, Wunsch und Willen meiner Gemeinschaft was war wirklich eine Herausforderung? warum wir die Trägerschaft aufgeben, gehört und habe dazu ja gesagt. Durch Schwester Martina: Das spielt sich auf ist unsere Personalsituation. Denn wir meinen Lehrerberuf und auch innerhalb verschiedenen Ebenen ab. Ich habe ja wollen, dass diese Schule Zukunft hat, der Schule hatte ich eine Teilleitungs- eine zweipolige Aufgabe. Einerseits ist es und sind dem Bistum Speyer dankbar, aufgabe. Von daher hatte ich in diesem die Schwesterngemeinschaft, die zu lei- dass es sich dafür entschieden hat, die Bereich Leitungserfahrung. Und ich konn- ten ist. Und parallel sind die Institutionen Trägerschaft zu übernehmen. te an einer Fortbildung teilnehmen, die zu leiten, die wir in unserer Trägerschaft von der Deutschen Bischofskonferenz für haben. Deshalb gibt es da verschiede- Mit Blick auf die Schwestern ist es mehr Frauen in Leitungspositionen innerhalb ne Dinge, die herausfordernd waren die Frage, wie lange es sinnvoll ist, an der Kirche ausgeschrieben war. Daran und sind. Wenn ich mit den Schwestern bestimmten Orten kleine Gemeinschaften hat eine bunte Mischung von Frauen aus beginne: Das Schwierigste ist natürlich, lebendig zu halten. Wo ist es sinnvoller dem Bereich der Orden, aber auch Frau- dass wir, wie viele andere Gemeinschaf- zu sagen: Jetzt müssen wir einfach los- en aus den Ordinariaten teilgenommen. ten auch, darunter leiden, dass wir zu lassen? Oder für einzelne Schwestern Das war sehr hilfreich für mich. wenig jüngere Frauen haben, die sich un- einzelne Entscheidungen zu treffen, die serer Gemeinschaft anschließen wollen, vielleicht selbst nicht mehr in der Lage Zusätzlich habe ich noch eine Fortbildung dass wir Nachwuchsmangel und damit dazu sind: Wann ist es Zeit, dass jemand innerhalb der Ordenslandschaft mitge- Personalnot haben. Und das bedeutet, seinen bisherigen Lebensort verlässt, weil macht, wo es um Finanz-, Verwaltungs- immer wieder Entscheidungen zu treffen, die Pflege nicht mehr geleistet werden und juristische Fragen ging, weil das ja wo muss eine Niederlassung geschlos- kann vor Ort und eine Umsiedlung in un- auch ein Teil meiner Aufgabe ist. Es gibt sen werden, wo können wir Institutionen ser Pflegeheim ansteht? Das ist manch- natürlich Menschen in meinem Umfeld, weitertragen, wo ist es sinnvoll, neue Trä- mal schwierig, weil man ja will, dass die Verwaltungsarbeit machen. Wir haben gerschaften zu suchen. Schwestern so lange wie nur möglich in einen Geschäftsführer in unserer Provinz, ihrem Lebensumfeld bleiben können. mit dem ich sehr gut zusammenarbeite Das hat mich zum Beispiel in den letz- und der sehr viele Dinge eigenständig ten sechs Jahren sehr intensiv heraus- Kompass: Wie schaffen Sie es, eine Ba- verantwortet und bearbeitet. Aber weil gefordert, weil wir zum 1.8.2020 unser lance zu schaffen zwischen Ihrem Be- ich es letztlich verantworte, muss ich St.-Franziskus-Gymnasium und Realschu- ruf und Ihnen als private Person? Das Schwestersein legen Sie ja auch privat nicht ab. Schwester Martina: Genau. Das ist der spannende Punkt. Der Unterschied ist, dass ich mit den Menschen, die mir die- se Aufgabe der Leitung übergeben ha- ben, tagtäglich zusammenlebe, also am © St.-Franziskus-Gymnasium und Realschule / Melanie Keller Abend nicht die Tür hinter mir zuklappe. Ich lebe in einem Teil der Gemeinschaft, für die ich Leitungsverantwortung habe. Und es geht bei uns immer auch darum, dass wir geschwisterlich leben wollen. Aber berufliche Dinge, die Schwestern betreffen, greifen auch in meine eigene Lebenswelt hinein. Und das ist tatsäch- lich nicht immer einfach ablegbar. Noch dazu, wenn ich auch am gleichen Ort lebe. Das heißt, ich habe ein Arbeitszim- mer innerhalb meiner Konvent--Gemein- schaft, ich habe dort ein Schlafzimmer, aber ich verlasse nicht das Haus, um zur Arbeit zu gehen, sondern ich laufe nur vom Schlafzimmer, vom Refektorium St.-Franziskus-Gymnasium und Realschule in Kaiserslautern 14 Kompass 02I21
TITELTHEMA Kompass: Hätten Sie die Wahl eigentlich ablehnen können? Schwester Martina: Ich hätte vor Beginn des Wahlprozesses sagen können: Ich stehe nicht zur Verfügung. Das sollte man aber nur tun, wenn man wirklich denkt, das geht gegen meine Seele. Also ich wäre hoffnungslos fehl am Platz, überfordert. Ansonsten denke ich schon, wenn die Gemeinschaft sagt: Wir meinen, du wärst jetzt im Moment die geeignete Person, sollte man sich nicht leichtfertig entziehen. Grundsätzlich kann man es. © Dillinger Franziskanerinnen Kompass: Sind Sie dankbar für die Zeit als Provinzleiterin? Schwester Martina: Ich habe eine gan- ze Menge gelernt, und ich bin für vieles dankbar. Ich habe gelernt, dass es nur im Miteinander geht und dass es viele, viele wirklich wunderbare Menschen so- wohl in meiner Gemeinschaft gibt wie oder von der Kapelle zum Arbeitszimmer. habe zum Beispiel an alle meine Schwes- auch bei unseren Mitarbeiterinnen und Es geht alles wirklich ineinander über. tern im März einen Brief geschrieben, in Mitarbeitern, die sich einbringen, ihre Umso wichtiger ist es, innerlich loszulas- dem ich sie dringend aufgefordert habe, >> sen, wenn man gesund bleiben will. Ein ihre Kontakte zu beschränken, sich an Ort dafür ist natürlich das Gebet. die angeratenen Hygienemaßnahmen zu halten, und ältere Mitschwestern ge- Kompass: Welche Rolle spielt der per- beten habe, nicht einkaufen zu gehen sönliche Glaube? oder anderes zu tun, sondern Hilfe an- Schwester Martina: Eine sehr große. Ein- zunehmen. Und das fand ich für mich fach zu wissen, es gibt Dinge, die ich tat- persönlich schwierig. Denn natürlich sind sächlich nicht lösen kann. Also unseren alle Schwestern eigenverantwortlich. Das Nachwuchsmangel, den kann ich nicht lö- ist in unserer Gemeinschaft sehr wichtig. sen. Man kann sich Fragen stellen: Was Und trotzdem ist es auch meine Pflicht könnte man tun, dass mehr Menschen zu sagen: Das sind Weisungen staatli- entdecken, dass die Lebensform im Or- cherseits. Und ich ordne an, verbunden den nach wie vor spannend und attrak- natürlich mit der Bitte, dass sie das von tiv ist? Aber letztlich lösen kann ich das sich aus sowieso tun. Aber bestimmte Ganze nicht. Ich kann manche Konflikte, Dinge müssen sein. die es auch in unseren Einrichtungen oder innerhalb der Schwesternschaft ab Das habe ich in den sieben Jahren zuvor und zu mal gibt, vielleicht begleiten. Aber so nicht getan, also einfach Weisungen ob ich alle lösen kann, ist zweifelhaft. zu geben, weil viele Dinge bei uns gere- Und im Gebet sagen zu können: Ich habe gelt sind und die Schwestern in ihren getan, was ich erkannt habe, was ich jeweiligen Konventen mit ihrer Leitung denke, was ich tun kann, und den Rest zusammen sich mehr oder minder selber gebe ich jetzt an den Größeren, an den leiten. Da muss ich jetzt nicht als Pro- © Schwester Martina Schmidt ich glaube, an Gott ab, das ist natürlich vinzleiterin ständig irgendwelche Anwei- schon so etwas, was die Psychologen sungen geben. Und das andere ist eben vielleicht Psychohygiene nennen würden. auch die Sorge im Blick auf unsere Insti- tutionen, die wir verantworten: Wie kön- Kompass: Hat sich Ihre Arbeit durch die nen wir größtmögliche Sicherheit in der COVID-19-Pandemie verändert? Einrichtung gewährleisten? Wie gehen wir Schwester Martina: Es müssen mehr mit den finanziellen Einbußen durch die Darstellung des Heiligen Franziskus Dinge geklärt und geregelt werden. Ich Schließung unseres Gästehauses um? im Messner Mountain Museum Firmian in Schloss Sigmundskron Kompass 02I21 15
TITELTHEMA es durchaus als Schmerz, dass die Öff- nung innerhalb der Kirche, die Öffnung für Ämter, auch Weiheämter für Frauen, nicht möglich ist, weil ich grundsätzlich © Dillinger Franziskanerinnen denke, dass Jesus von Nazaret Mensch wurde, und das das Primäre ist. Zu sei- ner Zeit gab es eine patriarchale Gesell- schaft, und deshalb hat er als Mann zwölf Männer berufen, die die zwölf Stämme Israels repräsentieren sollten. Aber das Vorrangige ist, dass er Mensch wurde und dass deshalb das Mensch- In Kaiserslautern hat Schwester Martina 2012 zusammen mit anderen sein das entscheidende Kriterium ist engagierten Menschen die „Initiative Stolpersteine“ ins Leben gerufen. und nicht das Mann- oder Frausein. Von >> daher würde ich mir persönlich wün- Kompetenz, ihren Blickwinkel. Ich muss ren tun sich oft auch neue Wege auf. schen, dass unsere Kirche behutsam nicht alles alleine können, ich arbeite Ich habe mich mit der franziskanischen den Weg freigibt. Zumindest würde ich mit Menschen zusammen, auf die ich Spiritualität noch mal anders, intensiver mir wünschen, wenn die Weltkirche dazu mich verlassen kann. Und gemeinsam befasst, z. B. was franziskanisch leiten noch nicht bereit ist, dass man sagt, in haben wir das eine oder andere wirklich angeht, was ich als Reichtum und Inspi- einzelnen Ländern, in denen eine große gut gelöst. Wir freuen uns an dem Leben ration empfinde. Sehnsucht besteht, dass Frauen nicht in unseren Einrichtungen, angefangen nur in Ordinariaten in Leitung kommen, vom Kindergarten, über Hort, Schulen, Kompass: Macht es etwas aus – mit sondern eben auch das Amt der Diako- Familienstützpunkt, Bildungshaus bis hin Ihnen und Ihrer Ordensgemeinschaft –, nin, der Priesterin übernehmen, dass zum Altenheim. Wenn ich hingucke, den- dass sie nur Frauen sind? man es doch dort freigeben würde. Also ke ich, da wird viel Sinnvolles getan. Ich Schwester Martina: Ich sehe darin eine ich würde mir einfach dieses synodale nehme wahr, wie unsere alt gewordenen große Chance, dass wir Frauen sind Denken auch in der Hinsicht wünschen, Mitschwestern, die nicht mehr berufstä- und uns eigenständig organisieren. In dass man stärker hinschaut, wo wird tig sind, sich in ihrem Wirkungsbereich unserer Schule in Kaiserslautern, die was gebraucht, was muss sich ändern, einbringen, sich engagieren, franziska- wir jetzt dem Bistum Speyer überlassen damit auch künftig Jesu Botschaft unter nisch leben. Auch das ist etwas, wovor haben, war ich Schülerin, Lehrerin und die Menschen kommt. ich großen Respekt habe. jetzt sechseinhalb Jahre lang in Träger- verantwortung. Ich habe dort schon vor In Brasilien gibt es so wenige Priester Das Leben unserer Schwestern in Brasi- fünfzig Jahren erlebt, dass eine Frau ein für so viele Menschen. Und zum Beispiel lien hat mich tief beeindruckt. Ich habe Gymnasium und eine Realschule leiten unsere Schwestern dort, die sind wichtig interessante Fragestellungen kennen- kann, als es in der ganzen Stadt nur als Verkünderinnen, als Katechetinnen. gelernt. Ein bisschen schlauer bin ich Männer als Schuldirektoren gab. Also Warum sollen solche Schwestern oder geworden, was Bilanzen lesen und ver- dieses Leitenkönnen, sich selber orga- eben andere Frauen, die diese Diens- stehen betrifft. Diesen Teil der Realität nisieren, nicht von Männern abhängig te ausüben, nicht Gemeinden leiten? kennenzulernen, der mich bis dahin zu sein, was unser Leben betrifft, das Und warum sollen die nicht Sakramen- nicht besonders interessiert hatte, um empfinde ich als etwas sehr Positives. te spenden, wenn sie gefragt sind, die zu merken, wie wichtig es ist, dass die Aber natürlich gibt es auch Männer, die Krankensalbung, das Bußsakrament, die Verwaltung gut läuft, weil wir nur dann die wir schätzen und mit denen wir gern im Eucharistie feiern dürfen, wenn da nur Aufgaben meistern können. Ich habe ge- Gespräch sind. alle Jahre irgendein Priester überhaupt lernt, dass ich nicht perfekt sein muss. in diese Region kommen kann? Für mich ist Vernetzung innerhalb unse- Kompass: Dennoch sind Sie insofern in Ich glaube, die Zukunft der res Ordens, mit anderen Ordensgemein- einer Abhängigkeit, als dass Sie selber Kirche braucht es, dass Frauen schaften, mit kirchlichen Gremien auch keine Messe feiern können. und Männer, die geeignet sind und etwas ganz Wichtiges. Es ist spannend, Schwester Martina: Ja, das ist richtig. das Herz am rechten Fleck haben mit anderen zusammen zu überlegen, wo Wir sind in unserer Pfarrgemeinde veror- und die sich theologisch bilden ist unser Platz, wo wollen wir Kritik üben, tet, und das ist mir persönlich und uns lassen, ihre Charismen einsetzen wo können wir gemeinsam was auf die gemeinsam wichtig. Wir haben einen für das Ganze. Beine stellen, was wir alleine vielleicht sehr guten Pfarrer, der hörbereit und hör- Punkt. nicht schaffen. Das finde ich einen sehr fähig ist und nicht als der Machtmensch wichtigen Aspekt. Zusammen mit ande- auftritt. Trotzdem erlebe ich persönlich Die Fragen stellte Friederike Frücht. 16 Kompass 02I21
AUS DER MILITÄRSEELSORGE Überblick zum Stand der Debatte – Militärseelsorge J a, ein sehr sorgfältig gearbeitetes Buch. 17 Autorinnen und Autoren, zumeist selbst Militärseelsorger oder Soldaten und Soldatinnen zu sehen. Ein Wertefundament, das auf dem Grund- gesetz, Gewissensentscheidung und oft risch die Feldbischöfe beider Konfessio- nen im Nationalsozialismus, die wegen mangelnder Einbindung in die Gesamtkir- Wissenschaftler, untersuchen Chancen auch auf dem christlichen Glauben ruht. che keinen wirklichen Einfluss nehmen und Probleme der Seelsorge in der Le- Dass die Militärseelsorger das Leben in konnten. Bischof Franz-Josef Overbeck benswelt „Bundeswehr“. Die Herausge- den Kasernen oder im Einsatz als „out- hat übrigens zum Umfang seiner Tätig- ber Isolde Karle und Niklas Peuckmann, standing insiders“ (M. Wanner) teilen, ist keit einmal festgestellt, er übe alle ihm sie Professorin, er wissenschaftlicher ein trefflicher Anglizismus. übertragenen Ämter hauptamtlich aus. Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bo- Militärbischof Rink selbst sieht in seinem chum, zeigen, dass die Seelsorger ohne Dass die gelebte Seelsorge in der Bun- Beitrag „Auf Spannung angelegt“ den Uniform das Leben der Soldatinnen und deswehr ökumenisch gut, aber gleich- evangelischen Militärseelsorgevertrag Soldaten teilen, aber ihre Unabhängig- zeitig mit theologischem Anspruch ver- als revisionsbedürftig an. keit dialektisch bleibt: „Wer den Solda- sehen ist, zeigt der Referatsleiter im ten seelsorgerlich beistehen will, muss Katholischen Militärbischofsamt Berlin, Peter Wendl, Wissenschaftler an der dazugehören; er muss mehr sein als ein Thomas R. Elßner, mit seinem erfreulich Katholischen Universität Eichstätt-Ingol- Gast mit Passierschein für die Wache. historisch ausgerichteten Statement: stadt, untersucht die Lebenswirklich- ... Doch der Zeuge des Evangeliums „Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit keiten von Soldatenfamilien. Die Fami- muss zugleich der Freiheit des Glau- ökumenischer Gesinnung“ zeigten sich lienpastoral gehört vor dem Hintergrund bens Ausdruck geben …“, zitieren sie „im Wissen um die christliche Einheit und eines multimobilen Alltags der Soldaten den ehemaligen Berliner evangelischen das Verlangen nach ihr.“ Kritisch sieht zu den Grundbedingungen der Militär- Bischof Wolfgang Huber mit einem Bei- der Autor die in der EKD 2014 eingeführ- seelsorge. Die außergewöhnlichen Anfor- trag aus dem Jahr 2007. Die Seelsorge te Hauptamtlichkeit des Militärbischofs derungen durch Auslandseinsätze sowie in der Bundeswehr, so ihr Fazit, werde ohne dessen Verortung in einer protes- deren mögliche psychische Folgewirkun- noch immer als Stiefkind von Kirche und tantischen Landeskirche. Er nennt histo- gen zeigen, so Wendl, die Militärseel- Theologie betrachtet und die EKD werde sorge als ein „herausragendes Beispiel mit ihrem Fokus auf pazifistische Frie- dafür, wie Lebenshilfe und die heilsame denslösungen den Herausforderungen Kraft des Evangeliums … entfaltet und © 2019 Bundeswehr / Jonas Weber nicht gerecht. gelebt werden können.“ Die Stärken des Sammelbandes lassen Das Buch bietet allen mit dem Thema sich bei der ethischen Bildung festma- Seelsorge in den Streitkräften vertrauten chen. So ist im Text von Meike Wanner Leserinnen und Lesern einen guten Über- zu Recht der Lebenskundliche Unterricht, blick zum Stand der Debatte, wenn auch den die Bundeswehr ihrem Personal ver- der ökumenische Einklang der Seelsorge pflichtend mit Unterrichtenden beider beider Kirchen noch größere Würdigung Konfessionen bietet, als Eckstein ethi- hätte erfahren können. scher Reflexions- und Urteilsfähigkeit der Roger Töpelmann Seelsorge in der Bundeswehr. Perspektiven aus Theorie und Praxis, Isolde Karle / Niklas Peuckmann (Hrsg.) Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2020 256 Seiten, Paperback, € 38,- ISBN 978-3-374-06669-8 Kompass 02I21 17
Sie können auch lesen