Kick it like Hessen - Studiengebühren abschaffen! - www.linksfraktion.de

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Foto: Frank Schwarz
                                             Kick it like Hessen -
www.linksfraktion.de
                                             Studiengebühren
                                             abschaffen!
                                             Für ein selbstbestimmtes Studium
                                             und die Öffnung der Hochschulen!

                                             Konferenz der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
                                             Deutscher Bundestag, 14. November 2008
Inhaltsverzeichnis

Vorwort                                        3    D. Hochschulen im Krieg? Welche Rolle spielt
                                                    die Rüstungsforschung für die Auslandseinsätze
Der Bildungsgipfel –                                der Bundeswehr?
Außer Spesen nichts gewesen                         Ergebnisse der parlamentarischen Anfragen
Oskar Lafontaine                               4    der LINKEN und Perspektiven                      14

Die hochschulpolitische Agenda                      E. Generation Prekär? Kampf für sichere und
der Bundesregierung                                 selbstbestimmte Arbeits-
Linke Kritik und Alternativen                       und Lebensperspektiven                           15
Nele Hirsch                                    5
                                                    F. Geschlechtsspezifische Auswirkungen
Inhaltliche Foren                             10    der aktuellen Hochschulreformen
                                                    und feministische Perspektiven                   16
A. Schöner Studieren? Der neoliberale
Umbau der Hochschulen zwischen leeren Kassen        G. Totale Sicherheit, Überwachung und
und Bachelor/Master.                                Rasterfahndung auch an Hochschulen?              17
Bilanz des Bolognaprozesses und linke
Perspektiven für ausfinanzierte Hochschulen  10     Podiumsdiskussion
                                                    Strategien linker Hochschulpolitik               19
B. Studium als Schuldenfalle? Studiengebühren,
KfW-Kredite und mangelndes BAföG               11   Bilanz: Kämpfen lohnt sich!
                                                    Ideen und Impulse aus der Konferenz              22
C. Freie Wissenschaft? Perspektiven für
kritische Lehre und Forschung                 12    Anhang                                           23

                                                    Liste parlamentarischer Initiativen (Auswahl)
                                                    der Fraktion DIE LINKE in der 16. Wahlperiode des
                                                    Deutschen Bundestages zu den Themenbereichen
                                                    der Studierendenkonferenz                         23

                                                                                                       1
Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: 030/22 751170, Fax: 030/22 75 6128
E-Mail: fraktion@linksfraktion.de
V.i.S.d.P.: Ulrich Maurer, MdB
Parlamentarischer Geschäftsführer
Verantwortlich: Arbeitskreis III
Redaktion: Steffi Geyer, Lucia Schnell
Texte: Nele Hirsch, Dirk Burczyk, Paul Grasse,
Steffi Geyer, Johanna Maiwald, Manuela Richter,
Lucia Schnell, Tobias Schulze
Fotos: Marion Heinrich, Frank Schwarz

Mehr Informationen zu unseren parlamentarischen
Initiativen finden Sie unter: www.linksfraktion.de

2
Vorwort

Liebe Studierende, liebe Interessierte,                 In dieser Dokumentation sind die zentralen Diskus-
                                                        sionspunkte und Ideen aus allen Foren, sowie die
vor Euch liegt die Dokumentation der ersten bundes-     Beiträge aus dem Einstiegs- und dem Abschlusspodi-
weiten Studierendenkonferenz der Fraktion DIE LINKE     um zusammengefasst. Eine der wichtigsten Ideen aus
im Bundestag. Stattgefunden hat sie am 14. Novem-       den gemeinsamen Debatten war die Orientierung auf
ber 2008 mit rund 150 Teilnehmerinnen und Teilneh-      einen bundesweiten Bildungsstreik im Frühsommer
mern aus dem ganzen Bundesgebiet. Wir möchten           des kommenden Jahres. Anknüpfend an den bundes-
uns auf diesem Weg bei den Teilnehmenden für die        weiten Schulstreik mit über 100.000 Teilnehmerinnen
spannenden Debatten und die wertvollen Anregungen       und Teilnehmern im November 2008 soll somit erneut
bedanken. Zugleich hoffen wir, dass auch Ihr neue       ein Zeichen gegen Bildungsabbau und für mehr und
Motivation und Ideen für Eure Aktivitäten an den        bessere Bildung für alle gesetzt werden. Wir hoffen,
Hochschulen aus Berlin mitnehmen konntet. Solch         Ihr seid mit dabei! Bei den regionalen Studierenden-
ein gegenseitiger Austausch war Ziel und Anliegen der   konferenzen im kommenden Jahr werden wir Gelegen-
Konferenz.                                              heit haben, die weiteren Planungen abzustimmen.

In den drei Jahren, in denen DIE LINKE als Oppositi-    Auch darüber hinaus stehen wir Euch selbstverständ-
onskraft im Bundestag wirkt, ist für uns eines immer    lich jederzeit für Fragen und Anregungen zur Verfü-
wieder deutlich geworden: Politische Veränderung hin    gung.
zu einem Ausbau sozialer und demokratischer Rechte
lässt sich nur dann erreichen, wenn im engen Bündnis    Wir wünschen Euch viel Erfolg beim Kampf für soziale
mit außerparlamentarischen Kräften agiert wird. Mit     und demokratische Hochschulen!
der Studierendenkonferenz wollten wir deshalb ein
entsprechendes Forum schaffen, um gemeinsam über        Solidarische Grüße,
die Hochschulpolitik der Bundesregierung und linke
Alternativen zu diskutieren sowie unsere jeweiligen
Vorhaben miteinander abzustimmen.
                                                        Oskar Lafontaine, MdB
Aufgrund der durchgängigen positiven Resonanz           Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
auf die Studierendenkonferenz haben wir uns dazu
entschlossen, diese zukünftig regelmäßig durchzufüh-
ren und zu einem festen Bestandteil unserer Frakti-
onsarbeit zu machen. Im kommenden Jahr planen wir       Nele Hirsch, MdB
zudem regionale Studierendenkonferenzen, um noch        Bildungspolitische Sprecherin
mehr Interessierten eine Teilnahme zu ermöglichen.

                                                                                                              3
Der Bildungsgipfel der Kanzlerin–
Außer Spesen nichts gewesen
Oskar Lafontaine                                            setzt voraus, dass man das Rüstzeug hat, um aus der
                                                            selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszukommen
Im Folgenden ist die Begrüßungsrede von                     - wie es ein Philosoph formuliert hat. Deshalb hat
Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE.          die Bildung für uns einen ganz anderen Stellenwert,
im Bundestag in Ausschnitten dokumentiert:                  als für diejenigen, die im Neoliberalismus die Ziele
                                                            vorgegeben haben. Ich will das an einem Beispiel
„Herzlich Willkommen! Ich freue mich, dass so viele         konkretisieren: In allen Bundesländern hat man ge-
da sind. Es zeigt, dass das Thema Bildung viele be-         sagt, wir müssen jetzt die Schulzeit verkürzen, damit
schäftigt.                                                  die jungen, unverbrauchten Arbeitskräfte möglichst
                                                            schnell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt wer-
Ich will mit dem Titel beginnen, den die Bundeskanz-        den. Die ganze Denke auch im Bildungswesen ist auf
lerin ihrer letzten Konferenz gegeben hat: „Bildung für     die ökonomische Verwertbarkeit der Herangebildeten
alle“, angelehnt an „Wohlstand für alle“. Die Ergebnis-     orientiert worden. Ein linker Politikansatz stellt nicht
se dieses Bildungsgipfels waren so, dass selbst die         auf die möglichst rasche Verwertbarkeit der ausgebil-
bürgerliche Presse geschrieben hat: „Außer Spesen           deten Jugend ab, sondern auf die Entwicklung der Per-
nichts gewesen.“ Die Gründe sind im Finanziellen zu         sönlichkeit und die freie Entfaltung. Das braucht Zeit
suchen. Neulich habe ich geträumt, die Bundesregie-         und auch Bildungsangebote, die nicht ökonomisch
rung hätte 500 Milliarden für Bildung bereitgestellt        verwertbar sind. Ein zentraler Ansatzpunkt linker Bil-
und hätte damit das Land total verändert. Doch als          dungspolitik in den Ländern ist deshalb, dass wir das
ich wach geworden bin, war mir klar: es war nicht für       Turboabitur, das G8 verwerfen. Wir haben kein Recht,
Bildung, sondern für Banken.                                den Kindern ihre Jugend zu rauben. Die neoliberale
                                                            Idee, das Turboabitur sei die Rettung des deutschen
Solange die gegenwärtige Steuer- und Abgabenquote           Schulwesens, es würde den Standort Deutschland
beibehalten wird, ist keine Bildungspolitik möglich, die    wettbewerbsfähig machen, lehnen wir ab.
wir wollen. Bildungsangebote sind ohne personelle
und materielle Ausstattung nicht zu haben. Wir sind         Wir sind die politische Kraft, die die vorzeitige Auslese
die einzige politische Kraft, die Finanzierungsvorstel-     im Schulwesen beenden will. Das haben wir auch in
lungen hat. Das Minimum, das wir anstreben müssen,          Hessen in dem Koalitionsvertrag versucht, durch-
ist eine Steuer- und Abgabenquote in Deutschland            zusetzen. Das entscheidende ist aber nicht, ob die
wie der Europäische Durchschnitt. Dann hätten wir           Partei A, B oder C regiert, sondern dass eine Umori-
100 Milliarden mehr Einnahmen pro Jahr. Die zwei-           entierung im Bildungswesen passiert.
te Variante wäre die Abgabenquote der nordischen
Staaten, die ja ein sehr gutes Bildungswesen haben.         Wichtig war in Hessen, dass Studiengebühren abge-
Dann hätten wir rund 350 Milliarden Mehreinnahmen           schafft wurden. Das ist der Erfolg der Studentinnen
pro Jahr. Hätten wir eine Börsenumsatzsteuer von            und Studenten und nicht allein der Parteien. Die Lehre
einem Prozent und eine Vermögenssteuer wie die an-          aus Hessen ist, dass die Politik, die wir wollen, nur
gelsächsischen Staaten hätten wir rund 120 bis 140          durchsetzbar ist, wenn eine entsprechende gesell-
Milliarden mehr. Ich erwähne das nur, weil sonst der        schaftliche Mobilisierung dahinter steht. Wenn die
Vorwurf kommt, wir könnten unsere Vorschläge nicht          Gesamtgesellschaft sich zurücklehnt, kann die Politik
finanzieren. Die jüngste Entscheidung über die Erb-         nichts bewirken. Sie turnt dann praktisch ohne Netz.
schaftssteuer ist wirklich empörend. In der Zeit der
Finanzkrise hat die Regierung nichts anderes zu tun         In meiner Studienzeit erhoben sich die Studieren-
als Millionen- und Milliardenerben zu entlasten. Das        den und liefen rum mit dem Transparent „Unter den
kostet rund eine Milliarde im Jahr an Steuerausfällen.      Talaren der Muff von Tausend Jahren“. Dieser Muff
Trotz der internationalen Finanzkrise hat sich am Den-      von Tausend Jahren - zumindest der von 30 Jahren
ken null geändert. Wenn man in einer Gesellschaft,          Neoliberalismus - ist noch da unter allen möglichen
in der das Vermögen immer weiter auseinanderklafft,         Talaren, Hüten und anderen Kleidungsstücken. Des-
nicht einmal auf dieses große Geld, Immobilien und          halb freue ich mich, dass heute an den Hochschulen
die Betriebsvermögen zugreift, wo sollen denn dann          jetzt wieder so etwas wie ein SDS gegründet wurde.
die Ressourcen für Bildung für alle herkommen? Die          Und ich hoffe, dass er eine ähnliche Rolle spielen wird
entscheidende Frage „Bildung für alle“ wird überhaupt       wie der SDS in der Aufbruchszeit von 1968. Um in der
nicht angegangen. Der Zug bewegt sich leider noch in        Gesellschaft ein Stück weiter zu kommen, bräuchten
die andere Richtung.                                        wir heute ein neues 1968!“

Die Bildung stand immer am Anfang der politischen
Bemühungen der Arbeiterbewegung. Die Arbeiterbe-
wegung hat sehr früh erkannt, dass ohne eine ent-
sprechende Bildung, die Hilfe zu einer solchen Eman-
zipation ist, die Ziele nicht erreichbar sind. Mündigkeit

4
Die hochschulpolitische Agenda der Bundesregierung.
Linke Kritik und Alternativen
                                                           Auch nach dem Bachelor ist der Zugang in den Master
                                                           begrenzt. Das strukturelle Defizit der Personalkapazi-
                                                           täten wirkt sich auf die Lehre aus: Gute Lehre ist nicht
                                                           in Sicht. Verantwortlich sind insbesondere die schlech-
                                                           ten Betreuungsrelationen in zahlreichen Fächern. Ak-
                                                           tuell betreut einE HochschullehrerIn 57 Studierende.
                                                           Es fehlt sowohl an ProfessorInnenstellen als auch an
                                                           Personal im akademischen Mittelbau. Für viele Stu-
                                                           dierende verlängert sich ihr Studium, da sie mehrere
                                                           Semester auf eine Prüfungsanmeldung warten müssen
                                                           oder am dringend benötigten letzten Seminar aufgrund
                                                           von Überfüllung nicht teilnehmen dürfen. Darüber
                                                           hinaus verfügen die Hochschulen häufig über eine
                                                           schlechte Infrastruktur. Den gegenwärtigen Investiti-
                                                           onsstau für bessere Hörsäle, Bibliotheken und weitere
                                                           Einrichtungen, mehr Lehrende und den Ausbau der
                                                           notwendigen Studienplätze bezifferte die nicht gerade
                                                           als links bekannte Hochschulrektorenkonferenz auf
                                                           rund 3 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr bis 2020.
Nele Hirsch, Bildungspolitische Sprecherin
der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag                       Die Bundesregierung reagiert auf diese Probleme nicht.
                                                           Ganz im Gegenteil: Ungerührt setzt sie ihre Umvertei-
Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten das         lungspolitik von unten nach oben fort. Deutlich wurde
Thema Bildung für sich entdeckt. Und so geht die Kanz-     das beispielsweise als mit der Unternehmenssteuer-
lerin auf Bildungsreise, lädt zum Bildungsgipfel ein und   reform, die zu Beginn des Jahres 2007 in Kraft trat,
ruft die Bildungsrepublik Deutschland aus. Wer jedoch      Verluste für die öffentlichen Kassen in Höhe von min-
einen genaueren Blick auf ihr politisches Handeln wirft,   destens 16 Milliarden Euro in Kauf genommen wurden.
wird schnell enttäuscht. Es finden sich beinahe keine      Zugleich war aber für eine bedarfsdeckende BAföG-
politischen Schritte zur Umsetzung dieser vollmundi-       Erhöhung angeblich kein Geld da. Hinzu kommt nun
gen Versprechen. Das gilt für das gesamte Bildungssys-     die Neugestaltung der Erbschaftssteuer, mit der die
tem und somit auch für die Hochschulbildung. Was die       öffentlichen Kassen noch weiter ausgeblutet werden.
Bundesregierung in ihrer Legislatur in diesem Bereich
auf den Weg gebracht hat und was eben auch nicht,          Auch das Agieren der Bundesregierung angesichts der
soll im Folgenden skizziert werden.                        Finanzkrise hat gezeigt, dass Bildung eben doch nicht
                                                           – wie behauptet – oberste Priorität genießt. Wäh-
Hochschulfinanzierung                                      rend im Bundestag in nicht einmal einer Woche ein
                                                           Banken-Rettungspaket in Höhe von mehreren hundert
Wie das gesamte Bildungssystem befinden sich               Milliarden Euro durchgepeitscht werden konnte, war
auch die Hochschulen in einem Zustand chronischer          die Verständigung über mehr Geld für Bildung eine
Unterfinanzierung. Zwei Zahlen können verdeutlichen,       Woche später beim Bildungsgipfel sehr enttäuschend.
wie sehr in diesem Land an der Bildung gespart wird.       Im Ergebnis einigten sich die Spitzen von Bund und
So müssten jährlich mindestens 18 Milliarden Euro          Ländern lediglich auf die Einrichtung einer Arbeits-
mehr für Bildung zur Verfügung gestellt werden, um         gruppe, die bis zum kommenden Jahr Vorschläge zur
allein auf den EU-Durchschnitt der Bildungsausgaben        Erhöhung der Bildungsausgaben vorlegen soll. Auch in
zu kommen (vgl. OECD-Studie „Bildung auf einen Blick       dem Konjunkturprogramm, das die Bundesregierung
2007“). Und um wieder auf den prozentualen Stand           auf Drängen aus der Opposition nun doch noch (wenn
der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von           auch in kaum nennenswertem Umfang) aufgelegt hat,
1995 zu kommen, müssten jedes Jahr 12 Milliarden           um den Folgen der Finanzkrise entgegen zu wirken, ist
Euro mehr aufgebracht werden (vgl. Berechnung im           nicht mal ein einziger Cent für die Bildung vorgesehen.
„2. Nationalen Bildungsbericht“ der Bundesregierung).
                                                           Das wenige Geld, das die Bundesregierung für Bildung
Diese Unterfinanzierung ist nicht folgenlos: Erstens       zur Verfügung stellt, ist meist falsch verteilt, da sie auf
können die Hochschulen aufgrund dessen nicht allen         Leuchtturmpolitik statt auf Qualität in der Breite setzt.
Studieninteressierten mit Hochschulzugangsbe-              Das beste Beispiel ist hier die Exzellenzinitiative. Mit
rechtigung einen Studienplatz zur Verfügung stellen.       diesem Programm werden für einige wenige Elite-Pro-
Fast drei Viertel aller Studieninteressierten müssen       jekte jedes Jahr doppelt soviel Gelder bereitgestellt,
mittlerweile Auswahlverfahren durchlaufen, wo Ihnen        wie im Rahmen des Hochschulpaktes für alle Hoch-
faktisch ihre Studienberechtigung aberkannt wird.          schulen zusammen.

                                                                                                                    5
Für DIE LINKE ist „Mehr Geld für Bildung“ kein leeres    In Berlin spricht sie dann vom „Sachzwang Europa“,
Versprechen. Wir fordern eine soziale Steuer- und        dem sie sich leider zu beugen hätte. So wird der
Finanzpolitik, die Reiche und Vermögende stärker         Bologna-Prozess viel zu oft zum Deckmantel, um die
belastet und auf diese Weise die Voraussetzung           neoliberale Umgestaltung der Hochschulen fortzuset-
schafft, dass öffentliche Aufgaben wie Bildung besser    zen, was ohne den Verweis auf Europa auf deutlich
finanziert werden können. Unter anderem haben wir        mehr Widerstand gestoßen wäre. Als weitere Schwie-
konkrete Vorschläge zur Wiedereinführung der Vermö-      rigkeit kommt hinzu, dass es an eindeutigen Adres-
genssteuer, zur Einführung einer Börsenumsatzsteuer      satInnen für die Kritik aus den Hochschulen fehlt: die
und zur Erhebung einer umfassenden Erbschaftssteu-       Länder schieben die Verantwortung auf den Bund. Der
er vorgelegt. Im Rahmen der Föderalismusreform II        verweist auf die Länder und alle gemeinsam zeigen
darf nicht über Schuldenstopp und Schuldenbremse         auf die Europäische Union.
diskutiert werden. Ziel sollte vielmehr sein, für eine
zukunftsfähige Politik einzutreten. Hierzu gehört auch   DIE LINKE fordert einen Neuanfang in der Europäi-
die Verständigung über einen Nationalen Bildungs-        schen Union. Mit einem sozialen und demokratischen
pakt, mit dem Bildungsfinanzierung zur Gemein-           Europa der Menschen hätte auch der Bologna-Prozess
schaftsaufgabe von Bund und Ländern wird und der         eine neue Grundlage. Bei der Umsetzung des Prozes-
Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt      ses in Deutschland treten wir dafür ein, dass anstelle
auf mindestens 7 Prozent festgelegt wird. Darüber        des weitgehend privatwirtschaftlich organisierten
hinaus wollen wir keine weiteren Runden der Exzellen-    Akkreditierungssystems, ein demokratisches Qua-
zinitiative. Stattdessen muss ein gut ausgestatteter     litätssicherungssystem aufgebaut wird und auch
Hochschulpakt auf den Weg gebracht werden.               ansonsten die Mitbestimmung aller, insbesondere der
                                                         Studierenden, fest verankert wird. Zudem darf es bei
Bologna-Prozess                                          der Umsetzung des Bologna-Prozesses keine weiteren
                                                         sozialen Hürden geben. Wir fordern deshalb, dass
Kaum ein Prozess hat die Hochschullandschaft so          jeder Bachelorabschluss zur Aufnahme eines Master-
sehr umgewirbelt wie der im Jahr 1999 mit einer          studiums berechtigen muss.
Erklärung mehrerer Bildungsminister europäischer
Länder gestartete Bologna-Prozess. Kritik verdient       Studienfinanzierung
der Prozess sowohl was seine Ausrichtung auf der
europäischen Ebene betrifft, als auch bei seiner         Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Januar
Umsetzung in Deutschland. Auf europäischer Ebene         2005 geurteilt hat, dass der Bund nicht berechtigt
wird der Prozess mehr und mehr von der neoliberalen      ist, ein bundesweites Studiengebührenverbot fest-
Lissabon-Strategie der Europäischen Union verein-        zusetzen, sondern die Bundesländer selbst über die
nahmt. Bildungspolitik wird hier als ein wichtiger       Erhebung oder Nicht-Erhebung von Studiengebühren
Bestandteil betrachtet, um das Ziel zu erreichen, die    entscheiden können, haben sechs Bundesländer all-
Europäische Union zum „wettbewerbsfähigsten, wis-        gemeine Studiengebühren eingeführt. Nur in Hessen
sensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen.       ist es seitdem gelungen, die Campusmaut wieder
Progressive Ziele wie soziale Gleichheit, Gerech-        abzuschaffen. Neben der zunehmenden Gebührenbe-
tigkeit, selbstbestimmtes Lernen und Demokratie          lastung geraten Studierende auch durch das mangeln-
bleiben bei dieser Politik auf der Strecke. Gleiches     de BAföG in Schwierigkeiten. Trotz der Erhöhung der
gilt bei der Umsetzung in Deutschland. Insbesondere      BAföG-Sätze um rund zehn Prozent zum Wintersemes-
die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und         ter 2008/09 ist das BAföG nach wie vor weit davon
Master geschieht im Schnellschritt ohne Beteiligung      entfernt, eine bedarfsdeckende Studienfinanzierung
der Betroffenen und ohne Berücksichtigung sozialer       darzustellen. Nur ein Prozent der Studierenden kann
Kriterien.                                               sich allein durch das BAföG finanzieren. Alle anderen
                                                         sind auf zusätzliche Einnahmequellen angewiesen.
An den Hochschulen führt dies zur Unstudierbarkeit
vieler Studiengänge, zur Zunahme von Stress, Krank-      Die Folgen sind, dass Studieninteressierte mehr und
heiten und psychischen Problemen bei Studieren-          mehr vom Studium abgeschreckt werden. Diese
den und zu neuen Selektionsmechanismen. Hier ist         Tatsache lässt sich auch nicht verschleiern, indem
insbesondere die Begrenzung zum Master-Studium           immer wieder von angeblich steigenden Studienan-
zu nennen, die nicht nur eine soziale sondern auch       fängerInnenzahlen geredet wird. Entscheidend ist das
eine geschlechtsspezifische Hürde darstellt. So          Verhältnis zwischen Studienberechtigten und Studi-
belegen die ersten Untersuchungen zum Übergang           enanfängerInnen. Dies ist in den letzten Jahren immer
vom Bachelor in den Master eindeutig, dass Frauen        weiter auseinander gegangen.
im Verhältnis zu Männern nur weniger häufig an den
Bachelor ein Masterstudium anschließen.                  Wer sich trotz der fehlenden Studienfinanzierung zur
                                                         Aufnahme eines Studiums entscheidet, muss damit
Die Bundesregierung betreibt beim Bologna-Prozess        rechnen, nach dem Studium vor einem Schuldenberg
ein falsches Spiel: In Brüssel und Straßburg ist sie     zu stehen. Viele Studierende versuchen das zu um-
ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, am unso-       gehen, indem sie neben dem Studium jobben. Durch
zialen Kurs der Europäischen Union festzuhalten und      immer enger gestrickte Studienordnungen und höhere
weitere neoliberale Reformen auf den Weg zu bringen.     Präsenzzeiten wird dies jedoch immer schwieriger.

6
Studienanfänger im Wintersemester 2007/08

2.2.1a       Studienberechtigte nach Art des Schulabschlusses und deutsche Studienanfänger nach Hochschulart zwi-
             schen 1976 und 2007
Personen                                 - Insgesamt -                                                                               den Studienkrediten der Kreditanstalt für Wiederauf-
  440.000                                                                                                 Studienberechtigte         bau, dem Ausbau der „Begabtenförderung“ und der
                                                                                                                                     Debatte über ein „nationales Stipendienprogramm“.
                                                                                                          insgesamt
  420.000

  400.000                                                                                                                            Letzteres soll dem Prinzip folgen, dass jeder Euro,
  380.000                                                                                                                            den die Privatwirtschaft zur Verfügung stellt, mit
  360.000                                                                                                                            einem Euro aus den öffentlichen Kassen bezuschusst
  340.000                                                                                                                            werden soll. Aus dem so entstandenen Fonds sollen
  320.000                                                                                                                            Stipendien finanziert werden, die wiederum von den
  300.000
                                                                                                          Abiturienten               beteiligen Unternehmen vergeben werden. Auf diese
  280.000
                                                                                                          Studienanfänger
                                                                                                          insgesamt                  Weise würde nicht nur der Rechtsanspruch auf Stu-
  260.000
                                                                                                                                     dienfinanzierung abgeschafft, sondern zugleich eine
  240.000
                                                                                                                                     weitere massive Privatisierung der Studienfinanzie-
  220.000
                                                                                                                                     rung vorangetrieben.
  200.000

  180.000
                                                                                                          Studienanfänger an
                                                                                                          Universitäten
                                                                                                                                     Ein weiterer Kritikpunkt an der Bundesregierung bei
  160.000
                                                                                                                                     der Studienfinanzierung ist ihre gezielte Desinforma-
  140.000
                                                                                                                                     tionspolitik. Am deutlichsten wurde das im Vorfeld
  120.000
                                                                                                          Schulabgänger
                                                                                                          mit FH-Reife               des Bildungsgipfels als eine vom Bildungsministerium
  100.000
                                                                                                          Studienanfänger an
                                                                                                          Fachhochschulen
                                                                                                                                     selbst in Auftrag gegebene Studie zu Studiengebühren
   80.000
                                                                                                                                     wochenlang geheim gehalten wurde. Es passte offen-
   60.000
                                                                                                                                     sichtlich nicht ins Bild, dass die von Studiengebühren-
   40.000
                                                                                                                                     GegnerInnen immer wieder vorgetragen Argumente,
                                                                                                                                     was die abschreckende Wirkung des Bezahlstudiums
                                                                                                                                     angeht, durch die Studie belegt werden.
   20.000

         0
           19 6
           19 7
           19 8
           19 9
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                                                                                                          Jahrgang
                                                                                                                                     DIE LINKE fordert die Gebührenfreiheit von der Kita
              7
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                                                                                                                                     bis zur Weiterbildung. Wir lehnen Studiengebühren
Quellen: Schulabgänger: Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Grund- und Strukturdaten 1992/93; für

Abbildung 1 Studienberechtigte nach Art des
1992 bis 2007 Statistisches Bundesamt Wiesbaden
Studienanfänger: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Bildung und Kultur, Fachserie 11, Reihe 4.1, Studenten an Hochschulen, sowie: Der
                                                                                                                                     jeglicher Form ab. Die Gebührenfreiheit der Bildung
Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Studenten an Hochschulen ... in Aktuell Bildung Wissenschaft 7/92
Schulabschlusses und deutsche Studienanfänger nach                                                                                   muss ins Grundgesetz aufgenommen werden. Zu-
                                                                                                    HIS-Studienanfängerbefragung 2007/08

Hochschulart zwischen 1976 und 2007                                                                                                  gleich setzen wir uns für einen grundlegenden Ausbau
Quellen  HIS-Studie Studienberechtigte
      22 |              HIS:Forum Hochschule                                                                                         des BAföG hin zu einer elternunabhängigen, repres-
                                                                                                                                     sionsfreien und bedarfsdeckenden Grundsicherung
Die Bundesregierung hat zwar im Koalitionsvertrag                                                                                    mit Vollzuschuss ein. Erste Schritte dahin wären,
festgehalten, dass „die Koalitionspartner in der Frage                                                                               das BAföG an die geänderten Rahmenbedingungen
der Studiengebühren unterschiedliche Auffassungen                                                                                    der BA/MA-Studiengänge anzupassen, das BAföG
haben“. Faktisch unterstützt die Regierung aber den                                                                                  schrittweise in einen Vollzuschuss umzuwandeln und
Gebührenkurs der Länder. Das zeigt sich daran, dass                                                                                  die BAföG-Sätze an die steigenden Lebenshaltungs-
Bundesbildungsministerin Annette Schavan nicht                                                                                       kosten zu koppeln. Um mehr Menschen den Weg an
müde wird, immer wieder um die Einführung von                                                                                        die Hochschulen zu öffnen, muss in der Oberstufe
Gebühren zu werben.                                                                                                                  zudem ein umfassendes SchülerInnen-BAföG einge-
                                                                                                                                     führt werden.
„Wäre ich nämlich zuständig, gäbe es sie überall.“
Annette Schavan, Bundesbildungsministerin, in der                                                                                    Geschlechtergerechtigkeit
Haushaltsdebatte am 27. November 2007
                                                                                                                                     Von Geschlechtergerechtigkeit sind die Hochschulen
Zudem vergibt die Bundesregierung auch jede Chance                                                                                   nach wie vor weit entfernt. Am deutlichsten zeigt
zur bundesweiten Verankerung der Gebührenfreiheit.                                                                                   sich dies an der geringen Zahl der Professorinnen: Ihr
Denkbar wäre beispielsweise gewesen, im Zuge der                                                                                     Anteil beträgt gerade einmal 16 Prozent. In absehba-
Föderalismusreform I die Gebührenfreiheit der Bil-                                                                                   rer Zeit wird sich daran kaum etwas ändern. Durch
dung im Grundgesetz zu verankern oder die Zahlung                                                                                    die aktuellen Hochschulreformen werden Frauen
von Bundesgeldern an die Länder im Rahmen des                                                                                        allerdings deutlich stärker als Männer belastet. So
Hochschulpaktes, an die Gebührenfreiheit zu koppeln.                                                                                 beenden Frauen überproportional häufig ihr Studium
Beide Vorschläge wurden im Bundestag von allen                                                                                       bereits nach dem Bachelor und werden von Studien-
anderen Fraktionen abgelehnt.                                                                                                        gebühren und mangelnder Studienfinanzierung stär-
                                                                                                                                     ker an einem Studium gehindert, als ihre männlichen
Was das BAföG betrifft, so kann die Bundesregie-                                                                                     Kollegen. Ein weiteres Problem ist die Tradierung und
rung hier ausnahmsweise nicht allein auf die Länder                                                                                  Zementierung traditioneller Geschlechterklischees
verweisen, sondern muss selbst aktiv werden. Das                                                                                     durch die Wissenschaft.
geschieht jedoch nur unzureichend. Anstatt offensiv
das BAföG abzuschaffen, wie von Ministerin Schavan                                                                                   Die Bundesregierung beschäftigt sich mit diesem
im Vorfeld der Bundestagswahl gefordert, höhlt sie es                                                                                Thema vorwiegend aus Verwertungsinteressen. Der
schleichend aus. Parallel baut sie private und selek-                                                                                Arbeitsmarkt kann aus ihrer Sicht auf gut ausgebil-
tive Finanzierungsangebote aus, wie die Zusage zu                                                                                    dete Frauen nicht verzichten. Die Durchsetzung von

                                                                                                                                                                                           7
gleichen Rechten für Frauen und Männer ist demge-                     und finanzschwachen Schichten. Auch Menschen mit
genüber nur nachrangig. Die auf den Weg gebrachten                    Migrationshintergrund oder Behinderung werden sys-
geschlechterpolitischen Maßnahmen sind darüber                        tematisch vom Hochschulstudium ausgegrenzt. Trotz
hinaus bei weitem nicht ausreichend. So legt die Bun-                 eines deutlichen Anstiegs der Hochschulzugangsbe-
desregierung zwar ein Förderprogramm für Professo-                    rechtigten verharrte die StudienanfängerInnenzahl in
rinnen auf; auf dem Weg zu diesen Stellen unterstützt                 den letzten Jahren auf etwa gleichem Niveau und ver-
sie jedoch nicht. Ihre Politik führt stattdessen dazu,                fehlt das Ziel, die Studierquote auf 40 Prozent eines
dass Karrierewege in der Wissenschaft zunehmend                       Altersjahrganges anzuheben um ein Vielfaches.
frauenunfreundlicher werden. Bestes Beispiel hierfür
ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das an den                   Die Bundesregierung könnte den Hochschulzugang
Hochschulen eine „Hire and Fire“-Mentalität einführt.                 ausweiten, stattdessen vertraut sie auf auf die Bun-
Frauen verzichten in der Konsequenz vielfach von                      desländer, obwohl sie selbst nach den Entscheidun-
vornherein auf eine wissenschaftliche Laufbahn. Was                   gen der Föderalismusreform I über zentrale Kompe-
Geschlechter-Programme und –Lehrstühle betrifft,                      tenzen in diesem Bereich verfügt. Leider nimmt sie
so ist mit der Abschaffung des Hochschulprogramms                     diese Verantwortung nur sehr unzureichend war. So
„Frauen in Wissenschaft und Lehre“ ein Rückschritt                    bleibt etwa der von ihr aufgelegte Hochschulpakt weit
erfolgt. Die Bundesregierung hat damals viele bis da-                 hinter den Anforderungen zurück.
hin fest verankerte und institutionalisierte Geschlech-
terforschungsprojekte zum Abschuss freigegeben.                       Um die Hochschulen für Arbeiterkinder zu öffnen,
                                                                      muss bereits zu Beginn der Bildungslaufbahn auf ein
DIE LINKE ist der Auffassung, dass die Vereinbarkeit                  integrierendes Bildungssystem gesetzt werden. Eine
von Wissenschaft und Kind mehr beinhalten muss, als                   zentrale Forderung für DIE LINKE ist die Gemein-
„eine Kita auf jedem Campus“ – wie es die Familien-                   schaftsschule, in der alle Kinder und Jugendlichen
ministerin fordert. Vereinbarkeit setzt zudem eine bes-               gemeinsam lernen und in denen ausreichend Raum
sere Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren voraus –                für individuelle Förderung ist. Das jetzige gegliederte
übrigens für Frauen und Männer. Hochschulen müssen                    Schulsystem folgt dagegen dem Prinzip der sozialen
wissenschaftliche Stellen verbindlich quotiert beset-                 Auslese: Wer aus einem bildungsfernen Haushalt
zen und Frauenprogramme und geschlechtsspezifische                    kommt, wird systematisch auf untere Schulformen
Wissenschaft besser und institutionalisiert fördern.                  einsortiert und viel zu oft ganz fallen gelassen.
                                           Grafik 1.1.3
                                                                      Darüber hinaus muss mit einem SchülerInnen-BAföG
Hochschulzugang                                                       dafür gesorgt werden, dass mehr Jugendliche aus
                                                                      einkommensschwachen Schichten das Abitur machen
Die Forderung  der 1960er
        Frauenanteile         undund
                      in Bildung  1970er   Jahre „Arbei-
                                     Wissenschaft 2005                können und die Hochschulen müssen für Menschen
terkinder an die Hochschulen“     hat bis heute nichts
                   -Hochschulen insgesamt-                            mit Berufsabschluss geöffnet werden. Um Auswahl-
an ihrer Aktualität verloren. Nach wie vor kommen                     verfahren an den Hochschulen überflüssig zu machen,
nur 13 Prozent der Studierenden aus bildungsfernen                    setzt sich DIE LINKE für einen Hochschulpakt ein, der
                                                                      diesen Namen verdient.
                             100%
                                                                      Demokratisierung
                              90%

                              80%                                     Demokratie ist an den heutigen Hochschulen zu einem
                              70%                                     Fremdwort geworden. In fast allen Hochschulgesetzen
                                                                      sind die akademischen Mitwirkungsrechte ausgehöhlt
                              60%
                                                                      und auf die Hochschulleitungen übertragen worden;
    Anteil - in % -

                              50%                                     zudem wurden externe Hochschulräte eingerichtet, in
                              40%                                     denen überwiegend VertreterInnen der Privatwirtschaft
                                                                      den Kurs der Hochschule bestimmen. Die Verfass-
                              30%
                                                                      te Studierendenschaft ist immer noch nicht in allen
                              20%                                     Bundesländern verankert; vielfach ist sie Angriffen und
                              10%                                     Einschränkungen ausgesetzt. Diese Entwicklungen gin-
                                  0%
                                                                      gen einher mit Privatisierungen in der Hochschulbildung.
                                                                      Hierbei geht es nicht nur um den Aufbau privater Hoch-
                                     H a ot s e

                                      -P ofe n

                                      -P of n

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                                      Pr ch e

                                    W fes mt

                                                                      schulen mit öffentlichen Geldern, sondern auch um klei-
                                                      n
                            of w ilita nen

                                      -P ge al
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                                    W fes sur

                                    3- fes ur
                                    ne die rte
                                           r ik g t

                                  C 3 Pr re

                                  C 4 -Pr ure

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                                                    d

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                                  C 2 ins on

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                                       Frauen                Männer   Die Bundesregierung lässt zum Thema Demokratie
                                                                      kaum eine Diskussion zu. Aus ihrer Sicht muss dar-
Abbildung 2 Frauenanteile in Bildung und                              über in den Ländern oder an jeder einzelnen Hoch-
Wissenschaft 2005 - Hochschulen insgesamt -                           schule für sich entschieden werden. Im Rahmen der
Quelle Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung                     Debatte zur Abschaffung des Hochschulrahmengeset-

8
zes hat sich aber klar gezeigt, dass sie den Weg der        DIE LINKE setzt sich für mehr Freiräume für kritische
Wettbewerbssteuerung und der Konkurrenz auf allen           Wissenschaft ein und lehnt das neoliberale Leitbild
Ebenen unterstützt und weiter vorantreiben will.            der „Employability“ (Beschäftigungsfähigkeit) als Ziel
                                                            eines Studiums ab. Aus unserer Sicht muss wissen-
DIE LINKE wehrt sich gegen die zunehmende Priva-            schaftliche Qualifikation nicht vorrangig dazu befä-
tisierung der Bildung. Für uns gehört Bildung in die        higen, sich in das bestehende System einzupassen,
öffentliche Hand und muss demokratisch gesteuert            sondern vor allem dazu, dieses zu hinterfragen und
werden. Deshalb setzen wir uns für die bundesweite          Alternativen aufzeigen zu können.
Verankerung der Verfassten Studierendenschaften
mit politischem Mandat und für die Einführung der           Fazit
Viertelparität an Hochschulen ein. Nur auf diesem           Nach rund 3 Jahren Opposition im Bundestag ist für
Weg wäre sichergestellt, dass alle Statusgruppen            DIE LINKE eines nach wie vor klar: Veränderung hin
gleichberechtigt über die Hochschule entscheiden.           zu sozialen und demokratischen Hochschulen, hin zu
                                                            einem solidarischen Lehren und Lernen und hin zu
Darüber hinaus wollen wir neue Freiräume für kritische      einer emanzipatorischen Wissenschaft können nur
Wissenschaft erkämpfen. Schon immer hatten die Hoch-        erreicht werden, wenn an den Hochschulen und aus
schulen die Funktion, das herrschende Gesellschaftssys-     den Hochschulen heraus hierfür Druck aufgebaut
tem abzusichern, gut ausgebildete Arbeitskräfte auszubil-   wird. Die Abschaffung der Studiengebühren in Hessen
den und Innovationen auf den Weg zu bringen. Zugleich       belegt, dass sich Kämpfen lohnt. Der bundeswei-
haben sich die Hochschulen aber immer auch Freiräume        te Schulstreik im November mit bundesweit über
für Kritik erstritten. Insbesondere die Reformen im Zuge    100.000 Schülerinnen und Schülern auf der Straße
der 68er Bewegung haben mit dazu beigetragen, dass          macht deutlich, dass der Widerstand nicht versiegt,
an den Hochschulen auch kapitalismuskritische Wissen-       sondern mehr als lebendig ist!
schaft einen Platz finden konnte. Diese bescheidenen
Ansätze sind durch die neoliberalen Reformen der letzten
Jahre inzwischen beinahe beseitigt. Der große Andrang
zu den Kapitallesekursen des Studierendenverbandes
DIE LINKE.SDS in diesem Semester zeigt, wie groß die
dadurch geschaffene Leerstelle ist.

                                                                                                                     9
Inhaltliche Foren

In den folgenden, inhaltlichen Foren führten Abge-       Prof. Dr. Herbert Schui (MdB) plädierte für das hum-
ordnete der Fraktion DIE LINKE zunächst durch ein        boldtsche Bildungsideal - aber nicht als elitäres Kon-
Statement in das jeweilige Thema ein. Anschließend       zept des 19. Jahrhunderts, sondern mit einer gleich-
stand ausführlich Zeit und Raum für Debatten zur         zeitigen sozialen Ausweitung des Hochschulzugangs
Verfügung. Im Folgenden besteht die Möglichkeit, sich    für mehr Studierende. Er geißelte den einseitigen,
in Form von Berichten aus den Foren ein Bild über        neoliberalen Mainstream in der Wissenschaft und die
die inhaltliche Schwerpunktsetzung sowie die dort        Verschulung der Hochschulen. Die WissenschaftlerIn-
geführten Debatten und Anregungen zu verschaffen.        nen lehrten zwar die Beherrschung der Hochtechnolo-
                                                         gie, brächten ihren Studierenden aber nicht bei, selbst
                                                         nachzudenken. Unter Applaus sagte er, die neuen
                                                         Studiengänge Bachelor und Master müsse man – so
                                                         wie sie derzeit eingeführt werden - „zum Teufel jagen“.

                                                         Bulimie-Lernen
                                                         In der Debatte berichteten Studierende von der
                                                         Arbeitsbelastung und der Verschulung beim Bachelor.
                                                         Man stopfte sich das Faktenwissen im „Bulimie-Ler-
                                                         nen“ rein, nur um es bei den Klausuren wieder „aus-
                                                         zukotzen“. Studierende berichteten von dem enormen
                                                         Konkurrenzdruck, bessere Noten als die Kommilito-
                                                         nInnen zu bekommen, um zu denen zu gehören, die
                                                         den Master machen dürfen. Weder für wissenschaftli-
                                                         ches Lernen, noch für studentische Interessenvertre-
                                                         tung bleibe Zeit. Immer mehr Studierende müssten ihr
                                                         Studium abbrechen, weil sie es nicht schaffen, neben
                                                         dem Jobben für den Lebensunterhalt noch zu lernen.
                                                         Schon vor der Einführung des Bachelor brach jeder
                                                         und jede fünfte Studierende das Studium ab. Im Ba-
A. Schöner Studieren?                                    chelor schmeißt statistisch jeder und jede Dritte das
Der neoliberale Umbau der Hochschulen                    Handtuch - beispielsweise in den Ingenieurswissen-
zwischen leeren Kassen und Bachelor/Master.              schaften und im Maschinenbau. Studierende haben
Bilanz des Bolognaprozesses und linke                    mehr statt weniger Schwierigkeiten, im Inland die
Perspektiven für ausfinanzierte Hochschulen              Hochschule zu wechseln oder Zeit für Auslandsauf-
                                                         enthalte zu finden. Der Geldbeutel entscheidet immer
ReferentInnen Ulla Lötzer, MdB, Sprecherin für           noch über die Möglichkeit eines Auflandsaufenthaltes.
internationale Wirtschaftspolitik und
Prof. Dr. Herbert Schui, MdB, wirtschaftspolitischer     Bachelor – was nun?
Sprecher der Fraktion DIE LINKE                          Einige anwesende Studierende forderten einen Stopp
Moderation Lucia Schnell                                 des Bologna-Prozesses und eine vollkommen neue
                                                         Studienreform entlang der Interessen der Studie-
McUni                                                    renden. Andere fürchten, dass ein Stopp denjenigen
Ulla Lötzer (MdB) zeigte auf, wie in der Konkurrenz am   schaden könnte, die mit einem Bachelorabschluss auf
Weltmarkt Hochschulbildung zum Exportprodukt wird.       den Arbeitsmarkt kämen. Wieder andere betonten,
Einige private Universitäten und Elitehochschulen        dass bei ihnen schon alles umgestellt sei. Nun ginge
werden mit staatlichen Geldern aus dem Boden ge-         es darum, für Verbesserungen in den existierenden
stampft, während die meisten öffentlichen Hochschu-      Studiengängen- und Abschlüssen zu kämpfen.
len kaputt gespart werden. Unternehmen bestimmen
Forschungsinhalte durch ihre Drittmittelgelder oder      Einig waren sich alle, nun dafür streiten zu wollen,
über ihren Einfluss in den neugegründeten Hochschul-     unter welchen Bedingungen gelernt und welche
räten. Die Hochschulklinik Charité forsche beispiels-    Inhalte gelehrt werden – unabhängig davon, ob die
weise mehr über Kosmetik als über Krankheiten.           Abschlüsse nun Diplom, Magister oder Bachelor und
Mitglieder von Hochschulräten seien nicht abwählbar,     Master heißen. Jede und jeder Bachelorstudierende
selbst dann nicht, wenn sie Hörsäle an die NPD ver-      soll Zugang zum Masterstudium haben – ohne Aussie-
mieten - wie in NRW geschehen. Mit ihrer Steuerpoli-     ben. Studierende brauchen mehr BAföG und bessere
tik lasse die Bundesregierung bewusst den Unterneh-      Studienbedingungen. Lernen kostet Zeit, die erkämpft
men und Vermögenden ihren Reichtum. Stattdessen          werden muss, ebenso wie die Zeit für politische
müsste der Staat Unternehmen und Vermögen stärker        Interessenvertretung. Studiengänge müssen durch
besteuern, um die Hochschulen auszubauen.                kritische Inhalte erweitert werden. Ohne Demokrati-
                                                         sierung der Hochschulen sei dies nicht möglich.

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                         
                          

                                                                                                             B. Studium als Schuldenfalle?
                                                                                                             Studiengebühren, KfW-Kredite und
                                                                                                  mangelndes BAföG

                                                                                                             Referentin Nele Hirsch, MdB, Bildungspolitische
                                                                                                Sprecherin der Fraktion DIE LINKE
                                                                                                             Moderation Steffi Geyer

                                                         
                                                                                                            Nele Hirsch (MdB) stellte in diesem Forum dar, wie
                                                                                                            entscheidend die Finanzierung des Lebensunterhaltes
                                                                                                            während des Studiums und das Studium selbst, für
                                                                                                            die soziale Öffnung der Hochschulen ist. Denn wenn
                                                   
         Abbildung 3 Studienabbruchquote in Bachelor-                                                       das Studium Geld kostet und/oder die Finanzierung
         Studiengängen an Universitäten und Fachhochschulen                                                 des Lebensunterhaltes unsicher ist, stehen Studien-
         Bezugsjahrgang Absolventen 2006, Angaben in %
                 interessierte aus einkommensschwachen Schichten
         Quelle HIS-Studienabbruchuntersuchung 2008
       vor                                              der Entscheidung,
                                                                                                                                         entweder   ganz auf ein Studi-
                 um        zu      verzichten                   oder       sich  für das Studium hoch zu
         Studierendenproteste                                                                               verschulden. Die Politik der Großen Koalition führt
   wurde
         Diskutiert       
                             des Weiteren,             
                                              wie unter            den Stress-                  deshalb  
                                                                                                                                   aus ihrer Sicht                 
                                                                                                                                                                       gerade nicht zu einer sozialen

         bedingungen des Bachelorstudiums politische Akti-                                                  Öffnung der Hochschulen.
         vität der Studierenden
       möglich      sei. DerDruck
                                                         führe    
         teilweise  zur  Anpassung,
       teilweise  zur     Politisierung.                                    Auf der einen Seite verfolgt die Große Koalition eine
         Gleichzeitig erzählten aber auch viele Studierende von Politik der immer weiteren Aushöhlung des Bun-
    
         ihren ermutigenden Erfahrungen in den Studieren-                                                   desausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Auch die

         denstreiks der letzten Jahre. In den Streiks werde der                                             jetzt in Kraft getretene BAföG-Novelle kann die selbst
         Konkurrenzdruck ausgehebelt.
                  Ein Student
                                                    berichtete,
                                                                                               geschaffenen
                                                                                                                        Probleme                bestenfalls lindern; nicht
         dass der Streik von 2006 in Hessen noch mehr Wucht aber lösen, da bedarfsdeckende Sätze in weiter Ferne

         hatte als der von 2003. Ein bayrischer Studierenden-

                                                                                                            bleiben, der Anpassungsbedarf durch den Bologna-
         vertreter kritisierte die föderale Zersplitterung im                                               Prozess nicht angegangen wird und die Verschul-

         deutschen Bildungssystem und forderte studentische dungsdeckelung nicht ausreicht. Als Alternative setzt
    
         Solidarität  über   
                            Ländergrenzen         
                                              hinweg.          Studierende                                  die   Große 
                                                                                                                                        Koalition auf                
                                                                                                                                                                       Studienkredite,      „Begabtenför-
         bräuchten eine bundesweite Anlaufstelle, statt vor
                     derung“ und den Aufbau eines privaten Stipendiensys-
         16 verschiedenen
                   Kultusministerien
                                        zu protestieren,
                                                              tems.                            
         sagte er unter großem Beifall. Eine andere Studentin
    
         nahm die bundesweiten Schülerstreiks als Vorbild und Auf der anderen Seite unterstützt die Bundesregie-
    
         als Hoffnungsschimmer. Denn die Schülerinnen und                                                   rung indirekt den Gebührenkurs der Länder, da eine
        Positionierung
         Schüler,  die  die Streiks organisiert   hätten,             seien          ja                          zu                             Studiengebühren
                                                                                                                                                                        aus dem Koaliti-
         die kommenden       ErstsemesterInnen.       Studierende                       und
                       onsvertrag                     ausgeklammert                    und   die Vorgabe des ratifi-
         Schülerinnen und Schüler könnten durch ihre Streiks                                                zierten UN-Sozialpaktes („Das Studium ist Schritt für
    
         zwar nicht die Produktion lahmlegen, aber sie könnten Schritt gebührenfrei zu machen“) ignoriert wird. Hinzu
    
         jede Menge Druck entfalten, Öffentlichkeit schaffen                                                kommt eine gezielte Desinformationspolitik: So wurde
         und Solidarität erhalten.
                      die letzte Studie zu Studiengebühren im Ministerium
                     wochenlang geheim gehaltenund die empirischen
                                                                                                            Ergebnisse, als sie dann doch endlich veröffentlicht
    
                                                                                                            wurden, fragwürdig interpretiert.
     
     
                                                                   Als Ziele der Fraktion DIE LINKE nannte Nele Hirsch,
                                                                   jegliche Studiengebühren bundesweit abzuschaffen
     
                                                                   und das BAföG grundlegend auszubauen.
     
            
                                                                   In   
                                                                       der Diskussion           Studierende von ihren
                                                                                      berichteten
                            eigenen Erfahrungen im Kampf gegen Studiengebüh-

                                                                                                             ren. Demnach sei es ein großes Problem, dass durch
     
                                                                                  die zeitlich entzerrte Einführung der Studiengebühren
     

                                                                                  es zu einer Zersplitterung der Proteste gekommen sei.
     
                                                                                                             Auch darüber hinaus gestalte sich die Mobilisierung
                                                                                                             an den Hochschulen oft schwierig. Vielen Studieren-
                                                                                                             den würden die enger gestrickten Studienordnungen
                                                                                                                         
                                                                                                             kaum noch politische                   
                                                                                                                                     Aktivitäten erlauben. Das Bei-
                                                                                                             spiel Hessen sei eine große Motivation für alle. Jetzt
                                                                                                             müsse aber dafür gestritten werden, dass es nicht zur
                                                                                                             Wiedereinführung der Campusmaut kommt.

                                                                                                                                                                                                      11
C. Freie Wissenschaft? Perspektiven für
                                                          kritische Lehre und Forschung

                                                          ReferentInnen Dr. Petra Sitte, MdB, forschungspoli-
                                                          tische Sprecherin und Volker Schneider, MdB, wissen-
                                                          schaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE
                                                          Moderation Tobias Schulze

                                                          Problemanalyse
                                                          In der Wissenschaftspolitik wird das Prinzip einer
                                                          breiten Verankerung von Forschungsstärke an öffent-
                                                          lichen Hochschulen aufgegeben. Der Rückzug des
                                                          Staates aus der Grundfinanzierung treibt die Trennung
                                                          in gut ausgestattete Forschungsuniversitäten und
                                                          Lehruniversitäten mit Minimalausstattung voran. Die
Abbildung 4                                               Exzellenzinitiative, die zunehmende Drittmittelfinan-
Quelle Deutsches Studentenwerk/Statistisches              zierung sowie steigende Finanzierungsanteile aus
Bundesamt                                                 der Wirtschaft beheben nicht bestehende Probleme,
                                                          sondern erzeugen eine neue Ungleichheit in der Hoch-
Viele Studierende berichteten von ihren Erfahrungen       schulforschung. Zugleich richten die steigenden priva-
auf juristischer Ebene, Studiengebühren zu bekämpfen.     ten Finanzierungsanteile die Forschung immer stärker
Immer wieder konnten hier einzelne Erfolge erzielt wer-   an kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen aus.
den. Rund 6 Jahre nach dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts sei es zudem zu überlegen, die damals       Die Beschäftigungsbedingungen in Hochschule und
getroffenen Vorgaben juristisch überprüfen zu lassen.     Forschung verschlechtern sich für die Mehrheit der
                                                          Beschäftigten. Im Sinne internationaler Wettbewerbsfä-
Einzelne Studierende beschrieben die Probleme mit         higkeit sollen Spitzengehälter für wenige Wissenschaft-
dem BAföG. Der Anpassungsbedarf der durch den             lerInnen mit hoher Reputation ermöglicht werden,
Bologna-Prozess entstanden sei, müsse schnellstmög-       während im Mittelbau schlecht bezahlte Lehraufträge
lich angegangen werden.                                   und befristete Anstellungen ohne wissenschaftliche
                                                          Mitspracherechte reguläre Stellen verdrängen (Stich-
Um den Kampf gegen Bildungsabbau und für mehr             worte: Personalstruktur sowie Wissenschaftszeitver-
und bessere Bildung für alle zu bündeln, sprachen         tragsgesetz). Dies wirkt sich besonders nachteilig auf
sich viele für einen bundesweiten Bildungsstreik im       die Berufschancen von Frauen in der Wissenschaft und
kommenden Frühsommer aus. Anknüpfend an die               auf die Zahl der NachwuchswissenschaftlerInnen aus.
Proteste der Schülerinnen und Schüler im November         Mit der Abhängigkeit des wissenschaftlichen Nach-
sollte versucht werden, auf ein breites Bündnis mit       wuchses von den etablierten Lehrstuhlinhabern werden
Schülerinnen und Schülern, Studierenden, Auszubil-        innovative Forschungsansätze nicht befördert.
denden und weiteren Betroffenen hinzuwirken.
                                                          Ziele und Prinzipien der LINKEN
                                                          In einer zunehmend wissensbasierten Gesellschaft
                                                          durchdringen wissenschaftliche Erkenntnisse und
                                                          Entwicklungen weite Lebensbereiche und greifen
                                                          tief in zukünftige Entwicklungen ein. Forschung und
                                                          Innovation können entscheidende Beiträge zur Lösung
                                                          gesellschaftlicher Probleme wie soziale Ungleichheit,
                                                          Klimawandel oder Ressourcenknappheit liefern, wenn
                                                          die Forschungspolitik an diesen gesellschaftlichen
                                                          Großthemen ausgerichtet wird.

                                                          Für DIE LINKE. ist Forschungsfreiheit ein hohes Gut,
                                                          das der Gesellschaft eine Reflexion ihrer selbst er-
                                                          möglicht. Darum ringt DIE LINKE um eine dauerhafte
                                                          Absicherung einer auskömmlichen Grundfinanzierung
                                                          für Wissenschaftseinrichtungen und eine Stärkung der
                                                          Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften.

                                                          Kurzfristige Ziele und Vorhaben
                                                          DIE LINKE. setzt sich für ein Auslaufen der Exzellen-
                                                          zinitiative der Bundesregierung und der Länder ein.
                                                          Stattdessen müssen die entsprechenden Mittel in
                                                          einem Hochschulpakt II für die Verbesserung der
                                                          grundständigen Lehre und zum Ausbau der Studien-

12
plätze verwendet werden. Der Hochschulpakt muss           rungsinstrument betrachtet werden, die Hochschulen
außerdem zur Verbesserung der Forschungsstruktur          dazu zwinge, ihre Forschung wirtschaftlichen Inte-
dienen, indem die Programmpauschalen für DFG-             ressen zur Verfügung zu stellen (Modell „McKinsey
geförderte Forschungsprojekte auf 30 – 40 Prozent         versus Humboldt“). Volker Schneider (MdB) fragte,
erhöht werden. Kritische und innovative Wissen-           wie WissenschaftlerInnen in prekären und schlecht
schaftsansätze sind durch entsprechende Programme         bezahlten Arbeitsverhältnissen und unter großer
auf Bundesebene zu fördern.                               Abhängigkeit von Lehrstuhlinhabern überhaupt neue
                                                          Gedanken entwickeln könnten.
Die Beschäftigungs- und Karrierebedingungen für den
wissenschaftlichen Mittelbau müssen auch im Sinne         In der Debatte wurden unter anderem
der Unabhängigkeit des Nachwuchses verbessert             folgende Fragen aufgeworfen:
werden. DIE LINKE steht zum Konzept „Wissenschaft
als Beruf“ auch neben der Professur, für sichere Karri-   Wie kann die Freiheit der Wissenschaft gleichzei-
ereperspektiven von NachwuchswissenschaftlerInnen         tig auf den Nutzen für die Gesellschaft verpflichtet
sowie für die Durchsetzung von Chancengleichheit und      werden? Welche Rolle kommt dabei der Emanzipation
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Insbesondere die     des einzelnen zu? Wie können Geistes- und Sozialwis-
verbindliche Einführung von Frauenquoten und Zielver-     senschaften mit kritischen Fragestellungen gestärkt
einbarungen kann die Unterrepräsentanz von Frauen         werden? Was nützt die Freiheit der Forschung, wenn
in der Wissenschaft beseitigen. Das Wissenschafts-        die entsprechenden Stellen und Mittel fehlen? Wie
system bedarf spezifischer Regelungen im Tarifvertrag     pluralistisch sollte linke oder sozialistische Wissen-
des öffentlichen Dienstes und im Tarifvertrag der Län-    schaftspolitik sein?
der (TVöD/TVL) und einer wirksamen Mitbestimmung
aller in Hochschule und Forschung Beschäftigten.          Welchen kritischen Gehalt haben Natur- und Technik-
                                                          wissenschaften? Wie können alternative Technologie-
DIE LINKE setzt sich für spezielle Programme zu           pfade beschritten werden, anstatt Technologien nur
Erhaltung und Aufwuchs der ostdeutschen Hoch-             zu verteufeln?
schulforschung ein, insbesondere im Bereich der
Grundlagenforschung. Während die Zusammenarbeit           Wie haben sich die ehemals linken ProfessorInnen der
zwischen Wissenschaft und Wirtschaft im Osten             1968er Generation im Wissenschaftsbetrieb verän-
umfänglich vom Bund gefördert wird, bricht jedoch         dert? Warum haben sie sich geräuschlos und ohne
die wissenschaftliche Grundsubstanz, das heißt die        sichtbare Effekte aus den Hochschulen verabschiedet?
Forschungsbreite weg. In der Folge verlassen immer
mehr WissenschaftlerInnen und Studierende die             Wie kann die Lobbypolitik von neoliberalen Institu-
ostdeutschen Hochschulen und Forschungseinrich-           tionen wie dem Centrum für Hochschulentwicklung
tungen. Das muss sich ändern.                             (CHE), der Initiative neue soziale Marktwirtschaft
                                                          (INSM) u.ä. Organisationen zurück gedrängt werden?
Die Debatte im Workshop
Inputs: Dr. Petra Sitte (MdB) warf die Frage nach der     Welche Formen der Selbstorganisation alternativer
Freiheit der Forschung im Status der Unterfinanzie-       Wissenschaftsansätze sind möglich?
rung auf. Diese Unterfinanzierung könne als Steue-

                                                                                                               13
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