Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? - Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen

 
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Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? - Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
Gleiche Arbeit,
gleiche Rechte?
Mobile Beschäftigte in Deutschland
und Niedersachsen
Impressum:

DGB-Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt
Abteilung Wirtschaft-Umwelt-Europa
Otto-Brenner-Straße 7
30159 Hannover
Telefon: 0511-1 26 01-30
Web: www.niedersachsen.dgb.de

Hannover, Oktober 2014
Verantwortlich: Hartmut Tölle
Redaktion: Tina Kolbeck-Landau, Patrick Schreiner

Layout: S:DESIGN, Hannover
Druck: Unidruck, Hannover
Gedruckt auf Recyclingpapier

Fotos: Titel, 18, 23, 34, 37, 44 – depositphotos.com /
3, 17, 27, 30 – Freeimages.com / 31 – Pixelio.com
Inhalt

         Mindestlohn, Werkverträge und Allgemeinverbindlichkeit –
         was der Koalitionsvertrag mit mobilen Beschäftigten zu tun hat
         Von Hartmut Tölle                                                                     2

         Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen –
         Arbeitsmigration zwischen prekärer Beschäftigung und Ausbeutung
         Von Patrick Schreiner                                                                 4

         Arbeitnehmer-Entsendung: Zahnlose Nachbesserung
         Von Andreas Schulte                                                                  23

         Kein Gehalt, übermäßige Fahrzeiten: LKW-Fahrer, die sich wehren
         Von Katarzyna Zentner                                                                27

         Von wegen Chancengleichheit:
         Drei ArbeiterInnen, ein Baby und die Fleischindustrie
         Von Daniela Reim                                                                     29

         Ein Bauarbeiter, ein Arbeitsunfall und ein gar nicht so untypischer Subunternehmer
         Von Mariya Krumova                                                                   31

         „Die Kolleginnen und Kollegen aus Osteuropa werden ausgepresst“
         Ein Interview zur Lebens- und Arbeitssituation mobiler Beschäftigter                 32

         Einwanderung aus Spanien nach Deutschland:
         Mythen und Realitäten
         Von Fabià Espuig                                                                     39
Mindestlohn, Werkverträge und Allgemeinverbindlichkeit –
was der Koalitionsvertrag mit mobilen Beschäftigten zu tun hat
Von Hartmut Tölle

In der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und             sind besonders häufig in Branchen tätig, in denen es
SPD heißt es: „Mindestlohn einführen, Missbrauch          entweder heute schon einen für allgemeinverbind-
von Werkverträgen und Leiharbeit verhindern“. Und         lich erklärten Tarifvertrag gibt oder aber in denen
an anderer Stelle legen sich die Koalitionsparteien       ein solcher dringend notwendig wäre.
fest: „Allgemeinverbindlicherklärungen nach dem
Tarifvertragsgesetz anpassen und erleichtern“. All        Viele mobile Beschäftigte stecken in Werkvertrags-
das sind wichtige und richtige Ziele. Der DGB und         konstruktionen fest – sei es, dass sie selbst Werkver-
die Gewerkschaften haben lange Jahre schon auf            tragsnehmer sind, sei es, dass sie bei einem Werk-
die zunehmende prekäre Beschäftigung am deut-             vertragsnehmer angestellt sind. Der Missbrauch von
schen Arbeitsmarkt hingewiesen. Nicht zuletzt mo-         Werkverträgen ist in den letzten Jahren zu einer
bile Beschäftigte und andere MigrantInnen sind von        echten Plage am Arbeitsmarkt geworden; zu einem
ihr betroffen. Es ist gut, dass es nun konkrete politi-   Instrument für Ausbeutung und prekäre Beschäf-
sche Entscheidungen geben soll.                           tigung. Wir brauchen deshalb stärkere Mitbestim-
                                                          mungs- und Kontrollrechte der Betriebsräte. Wir
Auch Deutschland wird damit endlich zur Mehr-             brauchen eine klarere Abgrenzung von Werkverträ-
heit der europäischen Länder gehören, in denen ein        gen; und wir brauchen klare Definitionen, welche
allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn gilt. Dies ist       Werkverträge zulässig sind und welche nicht. Gegen
längst überfällig. Ärgerlich sind die zahlreichen Aus-    Arbeitsteilung in modernen Volkswirtschaften hat
nahmen – trotzdem ist der Mindestlohn ein Fort-           niemand etwas. Wenn Werkverträge aber vorwie-
schritt. Er bildet eine unterste Haltelinie und kann      gend dem Drücken von Löhnen dienen, hat dies mit
damit zumindest die extremsten Niedriglöhne ver-          Arbeitsteilung nichts zu tun. Die Koalitionsvereinba-
hindern. Davon werden auch viele mobile Beschäf-          rung gibt auch an diesem Punkt Grund zum Opti-
tigte profitieren.                                        mismus.

Ein Fortschritt ist auch die geplante Ausweitung der      Der Koalitionsvertrag enthält also im Bereich der
Möglichkeiten, Tarifverträge für allgemeinverbind-        Beschäftigungspolitik zahlreiche gute Absichtser-
lich zu erklären. Wenn sich Gewerkschaften und            klärungen und Beschlüsse. Und doch ist klar: Ge-
Arbeitgeber auf Tarifverträge einigen, ist es nicht       setze alleine werden nicht ausreichen, um prekäre
akzeptabel, wenn sich manche Unternehmen die-             Beschäftigung, Niedriglöhne und Ausbeutung wirk-
ser Einigung entziehen und Tarifverträge ignorieren.      sam zu bekämpfen – sie müssen auch umgesetzt
Sie erschleichen sich auf diese Weise einen unfai-        werden. Mindestlöhne und mehr für allgemeinver-
ren Wettbewerbsvorteil gegenüber konkurrierenden          bindlich erklärte Tarifverträge darf es nicht nur auf
Unternehmen, die sich an Tarifverträge halten. Und        dem Papier geben, sondern sie müssen durchgesetzt
sie machen dies auf Kosten der ArbeitnehmerInnen.         werden. Dazu wird man insbesondere den Zoll bzw.
Vor allem in Branchen, in denen dies überhand-            die Finanzkontrolle Schwarzarbeit und die Gewerbe-
nimmt, müssen Unternehmen gezwungen werden,               aufsichtsämter mit entsprechendem Personal aus-
sich (wieder) an Tarifverträge zu halten. Denn nur        statten müssen. Es braucht aber nicht nur das Per-
so gewährleisten wir einen fairen Wettbewerb, eine        sonal, das Kontrollen durchführt, sondern es braucht
gerechte Beteiligung der abhängig Beschäftigten           echte Kontrollmöglichkeiten. Und spätestens hier
am Wohlstand und ein menschenwürdiges Leben               kommt die europäische Ebene ins Spiel: Dort hat
und Arbeiten für alle. Übrigens: Mobile Beschäftigte      man eine „Durchsetzungsrichtlinie zur Entsende-

2 DGB      Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
richtlinie“ beschlossen, die Kontrollmöglichkeiten      bekommen, wo mobile Beschäftigte in prekären
schwächen wird (siehe den entsprechenden Artikel        Arbeits- und Lebensverhältnissen gefangen sind. Es
in dieser Broschüre). Das ist absolut inakzeptabel.     gilt, auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
                                                        die fernab des eigenen Herkunftslandes tätig sind,
Genauso inakzeptabel übrigens wie der Umstand,          europaweit ein solches Recht auf Beratung einzu-
dass Arbeitsausbeutung, etwa das Unterlaufen von        führen und umzusetzen.
Mindestlöhnen oder der Missbrauch von Werkver-
trägen, noch immer kein Straftatbestand ist.            Die niedersächsische Landesregierung und die
                                                        Region Hannover haben hier mit den beiden Bera-
Mobile Beschäftigte brauchen aber ein Weiteres:         tungsstellen in Hannover und Oldenburg den ers-
Sie sind auf Unterstützung und Beratung angewie-        ten wichtigen Schritt getan. Die ersten Erfahrungen
sen. Vergessen wir nicht, dass europäische Un-          zeigen: Diese Beratungsstellen sind absolut not-
ternehmen in Deutschland (und in allen anderen          wendig, sie leisten eine gute und wichtige Arbeit.
EU-Staaten) das Recht auf einen „Einheitlichen          Auf Dauer aber werden sie nicht ausreichen. Des-
Ansprechpartner“ haben, wenn sie Dienstleistun-         halb ist es folgerichtig, dass die niedersächsische
gen erbringen wollen. Unternehmen werden bera-          Landesregierung im Dezember eine zusätzliche Be-
ten und tatkräftig unterstützt. Für die Beschäftigten   ratungsstelle in Braunschweig einrichten wird.
aber wurde ein solches Recht nicht festgeschrie-
ben. Das ist ein gravierendes Versäumnis, dessen        Hartmut Tölle ist Vorsitzender des DGB-Bezirks
Konsequenz wir heute überall vor Augen geführt          Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt.

                                                                                                          3
Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen –
Arbeitsmigration zwischen prekärer Beschäftigung und
Ausbeutung
Von Patrick Schreiner

1. Was sind mobile Beschäftigte?                         ■   Landwirtschaft (insbesondere Erntehelfer),          Teile dieses Artikels beruhen
                                                         ■   Industrie,                                          auf Gesprächen mit Evelyn
Im europäischen Kontext hat Arbeitsmigration in          ■   Schlachtereien und Fleischverarbeitung,             Gerdes von der IG Metall Leer-
den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung             ■   Transport und Logistik (Lagerei sowie insbeson-     Papenburg, Mariya Krumova
gewonnen. Dies ist im Kern auf die räumliche und             dere LKW-Fahrer) sowie                              und Daniela Reim von der Bera-
rechtliche Ausweitung des Binnenmarkts der Euro-         ■   Gebäudereinigung.                                   tungsstelle für mobile Beschäf-
päischen Union (EU) zurückzuführen – einschließlich                                                              tigte in Oldenburg, Katarzyna
                                                         Mit der aktuellen Arbeitsmigration mobiler Beschäf-     Zentner von der Beratungsstel-
■   der Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und          tigter ist eine Problematik verbunden, die sich aus     le für mobile Beschäftigte in
    Arbeitnehmern,                                       dem Umstand ergibt, dass diese Arbeitnehmerinnen        Hannover, Jochen Empen vom
■   der Dienstleistungsfreiheit sowie                    und Arbeitnehmer ihren Lebensmittelpunkt nach           Projekt „Faire Mobilität“ sowie
■   der Niederlassungsfreiheit.                          wie vor in ihrem Herkunftsland haben und/oder erst      Desislava Koeva, Alina Weber
                                                         seit kurzer Zeit im Zielland leben. Ihr Aufenthalt im   und Rüdiger Winter von der
Dabei spielte die Osterweiterung der EU eine zent-       Zielland ist zudem oft zeitlich begrenzt. Eine dau-     Servicestelle Arbeitnehmerfrei-
rale Rolle. Auch Niedersachsen hat sich in den ver-      erhafte Wohnsitznahme streben sie entweder nicht        zügigkeit in Hamburg. Ich dan-
gangenen Jahren zu einem Zielland von Arbeitsmi-         an, oder er ist nur unter großem Aufwand zu ver-        ke den genannten Kolleginnen
grant/innen aus Osteuropa entwickelt. Ein Grund          wirklichen. Ihre prekäre soziale Situation macht sie    und Kollegen dafür, dass sie
dafür ist das wirtschaftliche Gefälle zwischen West-     in hohem Maße erpressbar. Hierdurch sind mobile         diese Publikation unterstützt
und Osteuropa. In jüngerer Zeit gewinnt auch die         Beschäftigte eher bereit, suboptimale Lebens- und       haben.
Einwanderung aus Südeuropa an Bedeutung, insbe-          Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Dies gilt insbe-
sondere aus Spanien.                                     sondere dann, wenn die Lebens- und Arbeitsbedin-
                                                         gungen im Herkunftsland im europäischen Vergleich
Mobile Beschäftigte sind Staatsangehörige aus            unterdurchschnittlich sind.
anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union,
die sich im Rahmen von Arbeitsmigration vorüber-         Hinzu kommt eine weit verbreitete Unkenntnis hin-
gehend in Niedersachsen aufhalten, um hier zu            sichtlich der eigenen Rechte am Arbeitsmarkt und
arbeiten. Entscheidend ist dabei, dass diese Be-         hinsichtlich der eigenen sozialrechtlichen Ansprüche.
schäftigten nicht notwendigerweise ihren Lebens-         Geringe Kenntnisse der deutschen Sprache wirken
mittelpunkt nach Deutschland verlegen. Und selbst        als zusätzliche Barriere, wenn es darum geht, sich
wenn die mobilen Beschäftigten eine dauerhafte           über diese Rechte zu informieren und sie durchzu-
Wohnsitznahme beabsichtigen, so ist aufgrund der         setzen.
prekären Lebens- und Arbeitssituation eine erneu-
te Migration oder eine Rückkehr ins Herkunftsland        Mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge-
nicht unwahrscheinlich.                                  hören sehr verschiedenen Beschäftigtengruppen
                                                         an. Schon die schiere Vielfalt dieser Gruppen macht
Branchen, in denen mobile Beschäftigte überwie-          deutlich, welche Vielfalt an Problemen und sozialen
gend arbeiten, sind                                      Lagen mit der temporären Arbeitsmigration verbun-
                                                         den ist. Die drei wichtigsten Gruppen mobiler Be-
■   Bauwirtschaft (Bauhaupt- und -nebengewerbe),         schäftigter sind:
■   Pflege (einschließlich 24-Stunden-Pflege in
    Privathaushalten),

4 DGB      Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
■   Beschäftigte mit Arbeitnehmerfreizügigkeit:
                                                             Im bayerischen Murnau arbeiteten vier Rumä-
    Staatsangehörige der EU-27-Staaten können im
                                                             nen von August bis Oktober 2013 auf einer
    Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit unein-
                                                             Großbaustelle. Sie waren über einen rumäni-
    geschränkt eine Beschäftigung in Deutschland
                                                             schen Subunternehmer angestellt und arbeite-
    aufnehmen. Ausbeutung und prekäre Beschäfti-
                                                             ten zu einem Stundenlohn weit unterhalb des
    gung sind gerade unter Arbeitnehmerinnen und
                                                             verbindlichen Branchenmindestlohns für das
    Arbeitnehmern aus Osteuropa, aber auch aus
                                                             Baugewerbe. Untergebracht waren sie zu viert
    Südeuropa recht weit verbreitet. Dies gilt beson-
                                                             in einem 14-Quadratmeter-Zimmer, für das sie
    ders für jene Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
                                                             zusammen eine monatliche Miete von 1.070
    mer, die lediglich einen vorübergehenden Auf-
                                                             Euro bezahlen mussten. Um sich etwas zu es-
    enthalt in Deutschland planen. Nicht selten sind
                                                             sen kaufen zu können, mussten sie sich Geld
    diese Beschäftigten über einen Werkvertrag bei
                                                             von Dritten leihen.
    einem deutschen Unternehmen angestellt, das
    sie wiederum – ähnlich wie bei der Leiharbeit –          merkur-online.de, 29.10.2013
    für ein anderes Unternehmen (Auftraggeber) ar-
    beiten lässt. Werkverträge sind Verträge, die zur
    Erstellung eines vorab definierten Werkes zwi-
    schen einem Auftraggeber und einem Auftrag-
    nehmer geschlossen werden. Auftraggeber und          ■   Entsandte Beschäftigte: Entsandte Beschäftig-
    Auftragnehmer können grundsätzlich natürliche            te sind Personen, die auf Weisung eines ent-
    Personen (Menschen) oder juristische Personen            sendenden Unternehmens aus einem EU-Land
    (Unternehmen) sein.                                      vorübergehend in ein anderes EU-Land entsandt
■   Solo-Werkvertragsunternehmer/innen (oft                  werden, um dort für das Unternehmen eine
    scheinselbständig): Im Rahmen der EU-Dienst-             Beschäftigung auszuüben. Dabei schließt das
    leistungsfreiheit und der EU-Niederlassungsfrei-         entsendende Unternehmen im Regelfall einen
    heit können EU-Bürger/innen im EU-Ausland                Werkvertrag mit einem Unternehmen (Auftrag-
    eine selbständige Tätigkeit im Rahmen eines              geber) im Zielland. Besteht zwischen entsenden-
    Werkvertrags ausüben. Der/die Beschäftigte               dem Unternehmen und Arbeitnehmer/in ein Ar-
    schließt als formell Selbständige/r einen Werk-          beitsverhältnis schon vor der Entsendung, so gilt
    vertrag mit einem Unternehmen. Die Vergütung             das Arbeitsrecht des Herkunftslandes, andern-
    erfolgt pauschal für die Erstellung des Werks.           falls das Arbeitsrecht des Ziellandes. Sozialver-
    Sozialversicherungspflicht liegt – mit wenigen           sicherungspflicht besteht bei einer Entsendung
    Ausnahmen – nicht vor, das Arbeitsrecht greift           bis zu 24 Monaten im Herkunftsland, danach
    nicht. Faktisch liegt in vielen Fällen Scheinselb-       im Zielland. – Der allgemeine gesetzliche Min-
    ständigkeit vor. Nicht selten bekommen mobile            destlohn gilt auch für entsandte Beschäftigte.
    Beschäftigte, die der deutschen Sprache nicht            Branchenspezifische Mindestlöhne hingegen
    oder kaum mächtig sind, Gewerbeanmeldungen               gelten für entsandte Beschäftigte nur, wenn die
    vorgelegt, die sie im Glauben unterschreiben, es         Branche im Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf-
    handle sich um einen Arbeitsvertrag. Dann sind           geführt ist und für allgemeinverbindlich erklärt
    sie als Scheinselbständige tätig, ohne dies zu           wurde. Derzeit betrifft dies die Abfallwirtschaft
    wissen.                                                  einschließlich Straßenreinigung und Winter-

                                                                                                            5
dienst, Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen     Abbildung 1 gibt die Entwicklung der Zahl der
   nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialge-         Arbeitnehmer/innen aus Polen, Rumänien, Bulgarien
   setzbuch, Bauhauptgewerbe, Bergbauspezialar-        und Spanien in Deutschland wieder. Wie sie zeigt,
   beiten auf Steinkohlebergwerken, Dachdecker,        ist die Zahl polnischer Arbeitnehmer/innen (meint:
   Elektrohandwerk, Gebäudereinigung, Maler            mit polnischer Staatsangehörigkeit) in Deutsch-
   und Lackierer, Pflege / Altenpflege und häusli-     land seit dem Jahr 2000 deutlich angestiegen. Ab
   che Krankenpflege, Sicherheitsdienstleistungen,     dem Jahr 2011 hat sich dieser Anstieg deutlich
   Wäschereidienstleistungen im Objektkundenge-        beschleunigt. Dies dürfte unmittelbar auf die volle
   schäft. Für Leiharbeit gilt ein Mindestlohn, der    Arbeitnehmerfreizügigkeit zurückzuführen sein, die
   im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verankert         für Pol/inn/en seit dem 1. Mai 2011 in Kraft ist. Am
   ist.                                                30. Juni 2013 arbeiteten insgesamt 221.025 Pol/
                                                       inn/en in Deutschland.

2. Jüngere Arbeitsmigration in
                                                       Die Zahl bulgarischer und rumänischer Arbeitneh-
Deutschland und Niedersachsen:                         mer/innen in Deutschland stieg bis 2007 nur sehr
Daten und Fakten                                       langsam und auf niedrigem Niveau an. Sie ist aller-
                                                       dings ab 2007, dem Jahr des Beitritts beider Länder
Die Datenlage zu mobiler Beschäftigung ist äußerst     zur Europäischen Union, insbesondere bei rumä-
schlecht. Es gibt relativ gute Zahlen zu Beschäftig-   nischen Arbeitnehmer/innen deutlich gewachsen.
ten aus dem Ausland, die sich – etwa im Rahmen         2013 hatte sich die Zahl rumänischer Arbeitnehmer/
der Arbeitnehmerfreizügigkeit – in Deutschland als     innen mit 84.805 Personen gegenüber 2007 mehr
Arbeitnehmer/innen aufhalten. Allerdings sind nicht    als verdreifacht.
alle dieser Menschen als mobile Beschäftigte im
engeren Sinne zu bezeichnen. Zu entsandten Be-         Bei spanischen Arbeitnehmer/innen in Deutsch-
schäftigten hingegen ist die Datenlage schon deut-     land ist im Zeitraum 2000 bis 2010 ein Rückgang
lich schlechter, während zu Scheinselbständigen        zu beobachten, seither wieder ein Anstieg. Im Jahr
bzw. Solo-Werkvertragsunternehmer/innen keinerlei      2013 lag die Zahl spanischer Arbeitnehmer/innen
Zahlen vorliegen.                                      mit 48.546 Personen erstmals über dem Wert des
                                                       Jahres 2000. Dies dürfte in erster Linie auf die ak-
Die folgenden Ausführungen beziehen sich deshalb       tuelle Finanz- und Wirtschaftskrise zurückzuführen
zunächst ausschließlich auf sozialversicherungs-       sein, von der das Land besonders betroffen ist. Eine
pflichtig in Deutschland Beschäftigte mit nicht-       ähnliche Entwicklung aus dem gleichen Grund lässt
deutscher Staatsbürgerschaft. Sie beziehen sich        sich auch für griechische Arbeitnehmer/innen in
also nicht auf entsandte Beschäftigte und nicht auf    Deutschland feststellen (nicht in Abbildung 1 ent-
Solo-Werkvertragsunternehmer/innen. Dabei bilden       halten): 2000 betrug deren Zahl 111.581 Personen,
Arbeitnehmer/innen aus Polen, Bulgarien und Ru-        war dann bis 2010 auf 85.526 Personen zurückge-
mänien den Schwerpunkt der Darstellung; dies sind      gangen und seither wieder auf 110.469 Personen
in der Regel die zahlenmäßig wichtigsten EU-Her-       angestiegen.
kunftsländer. Hinzu kommen einige Betrachtungen
zu Arbeitnehmer/innen aus südeuropäischen Län-         Abbildung 2 gibt die Verteilung polnischer, bul-
dern, insbesondere aus Spanien.                        garischer und rumänischer Arbeitnehmer/innen in

6 DGB     Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
Abb. 1: Arbeitnehmer/innen       250.000

mit polnischer, rumänischer,                             Polen
                                                         Rumänien
bulgarischer und spani-                                  Bulgarien
                                 200.000
scher Staatsbürgerschaft in                              Spanien

Deutschland, 2000 – 2013;
Stichtag jeweils der 30. Juni    150.000

des Jahres. Quelle: Bundes-
agentur für Arbeit, eigene
                                 100.000
Darstellung und Berechnung.

                                  50.000

                                      0
                                           2000   2001     2002      2003   2004   2005   2006   2007   2008   2009   2010   2011   2012   2013

                                Deutschland auf verschiedene Branchenbereiche                Die meisten bulgarischen (19,7 Prozent) und rumä-
                                wieder. Es wird deutlich, dass der Branchenbereich           nischen (18,5 Prozent) Arbeitnehmer/innen finden
                                „Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienst-           sich im Gastgewerbe, also in Hotels und Gaststät-
                                leistungen“ für alle drei Gruppen eine wichtige              ten. Für polnische Beschäftigte hingegen spielt die-
                                Rolle spielt. Für polnische Arbeitnehmer/innen ist           se Branche nur eine untergeordnete Rolle.
                                es der mit Abstand wichtigste (20,6 Prozent aller
                                polnischen Arbeitnehmer/innen), für bulgarische Ar-          Für Arbeitnehmer/innen aus allen drei Ländern sind
                                beitnehmer/innen der zweitwichtigste (19 Prozent).           auch das Verarbeitende Gewerbe sowie das Bau-
                                Insbesondere die Branchen Gebäudereinigung,                  gewerbe wichtige Branchenbereiche. Beim Ver-
                                Garten- und Landschaftsbau sowie Leiharbeit dürf-            arbeitenden Gewerbe dürften insbesondere die
                                ten hier in großem Umfang Arbeitnehmer/innen aus             Nahrungsmittelindustrie einschließlich Fleischverar-
                                den genannten Ländern beschäftigen. Zudem dürfte             beitung sowie die Metallindustrie eine große Rolle
                                diesem Branchenbereich ein großer Teil derjenigen            spielen. Immerhin 13,3 Prozent aller Rumän/inn/en
                                Arbeitnehmer/innen zugeordnet sein, die in Subun-            und Polen/Polinnen arbeiten im Verarbeitenden Ge-
                                ternehmen von Unternehmen des Verarbeitenden                 werbe, für Bulgar/inn/en ist es mit 10,3 Prozent der
                                Gewerbes oder des Baugewerbes tätig sind. Hier               zweitwichtigste Branchenbereich. Wie ausgeführt,
                                ist allerdings die Abgrenzung schwierig. Von Unge-           wird diesem Branchenbereich aufgrund von Ab-
                                nauigkeiten bei der Zuordnung ist auszugehen – ein           grenzungsschwierigkeiten in der amtlichen Statistik
                                (vermutlich kleinerer) Teil dieser Arbeitnehmer/innen        vermutlich ein kleinerer Teil derjenigen Arbeitneh-
                                könnte in der amtlichen Statistik auch direkt dem            mer/innen zugeordnet, die in Subunternehmen von
                                Verarbeitenden Gewerbe bzw. dem Baugewerbe                   Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes oder
                                zugeordnet sein.                                             des Baugewerbes tätig sind.

                                                                                                                                                  7
0    5     10    15     20       25     30          35           40   Abb. 2: Arbeitnehmer/innen mit
                                 Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
                                                                                                                                              polnischer, rumänischer und
                                           Verarbeitendes Gewerbe                                                                             bulgarischer Staatsbürgerschaft
                                                       Baugewerbe                                                                             in Deutschland, nach ausge-
          Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeug                                                                              wählten Branchenbereichen;
                                                Verkehr und Lagerei                                                                           Gliederung der Branchenbe-
                                                      Gastgewerbe
                                                                                                                                              reiche nach WZ2008; Stichtag
                                    Information und Kommunikatio
                                                                                                                                              30. Juni 2013; in Prozent aller
     Erbringung von freiberuflichen, wissensch. und techn. Dienstleis
                                                                                                                                              Arbeitnehmer/innen mit der
          Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistunge

                                           Erziehung und Unterricht
                                                                                                                                              jeweiligen Staatsbürgerschaft.
                                     Gesundheits- und Sozialwesen                                                                             Quelle: Bundesagentur für
                                  Kunst, Unterhaltung und Erholung                                                                            Arbeit, eigene Darstellung und
                          Erbringung von sonstigen Dienstleistungen
                                                                                                     Rumänien   Bulgarien        Polen
                                                                                                                                              Berechnung.
                                                  Private Haushalte

Für Arbeitnehmer/innen aus allen drei Ländern ist                           Die Abbildungen 2 und 3 ermöglichen damit einen
ferner das Gesundheits- und Sozialwesen von Be-                             direkten Vergleich der Beschäftigung polnischer, ru-
deutung, die meisten dürften hier in der Pflege                             mänischer und bulgarischer Arbeitnehmer/innen in
arbeiten. Für polnische und rumänische Arbeitneh-                           Deutschland auf der einen und in Niedersachsen auf
mer/innen, nicht aber für bulgarische, spielen zudem                        der anderen Seite.
Land- und Forstwirtschaft eine große Rolle.
                                                                            Auffällig ist der enorm hohe Anteil bulgarischer Be-
Abbildung 3 zeigt, in welchen Branchenbereichen                             schäftigter, die im Verarbeitenden Gewerbe Nieder-
polnische, rumänische und bulgarische Arbeitneh-                            sachsens tätig sind: Fast 36 Prozent – in Deutsch-
mer/innen in Niedersachsen überwiegend tätig sind.                          land insgesamt sind es lediglich 10,3 Prozent. Dies

                                                                       0    5      10    15     20       25     30          35           40   Abb. 3: Arbeitnehmer/innen mit
                                Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
                                                                                                                                              polnischer, rumänischer und
                                           Verarbeitendes Gewerbe                                                                             bulgarischer Staatsbürgerschaft
                                                       Baugewerbe                                                                             in Niedersachsen, nach ausge-
          Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeug                                                                              wählten Branchenbereichen;
                                               Verkehr und Lagerei
                                                                                                                                              Gliederung der Branchenbe-
                                                      Gastgewerbe
                                                                                                                                              reiche nach WZ2008; Stichtag
                                    Information und Kommunikatio

     Erbringung von freiberuflichen, wissensch. und techn. Dienstleis
                                                                                                                                              30. Juni 2013; in Prozent aller
          Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistunge                                                                           Arbeitnehmer/innen mit der
                                           Erziehung und Unterricht                                                                           jeweiligen Staatsbürgerschaft.
                                     Gesundheits- und Sozialwesen                                                                             Quelle: Bundesagentur für Ar-
                                  Kunst, Unterhaltung und Erholung
                                                                                                                                              beit, eigene Darstellung und
                          Erbringung von sonstigen Dienstleistungen
                                                                                                     Rumänien   Bulgarien        Polen        Berechnung.
                                                  Private Haushalte

8 DGB       Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
dürfte im Wesentlichen auf die in Niedersachsen                                                                                            28 Prozent der Zunahme bei der Beschäftigung pol-
                                   stark vertretene Fleischindustrie, möglicherweise                                                                                          nischer Arbeitnehmer/innen entfielen auf den Bran-
                                   auch auf die Metallindustrie zurückzuführen sein.                                                                                          chenbereich „Erbringung von sonstigen wirtschaftli-
                                   Dafür spricht nicht zuletzt der Umstand, dass auch                                                                                         chen Dienstleistungen“. In Niedersachsen waren es
                                   für polnische und rumänische Arbeitnehmer/innen in                                                                                         immerhin 24,1 Prozent. Damit ist der Branchenbe-
                                   Niedersachsen die Beschäftigung im Verarbeitenden                                                                                          reich, in dem 2013 die meisten polnischen Beschäf-
                                   Gewerbe eine überdurchschnittliche Bedeutung hat.                                                                                          tigten tätig waren, auch der, auf den der größte Teil
                                                                                                                                                                              des seit 2007 eingetretenen Zuwachses entfällt.
                                   Für alle drei Beschäftigtengruppen spielt in Nieder-                                                                                       Die wichtigsten Branchen dürften dabei einmal
                                   sachsen die Beschäftigung in der Land- und Forst-                                                                                          mehr die Gebäudereinigung, der Garten- und Land-
                                   wirtschaft eine größere Rolle als in Deutschland                                                                                           schaftsbau sowie die Leiharbeit sein. Zudem dürfte
                                   insgesamt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die                                                                                        diesem Branchenbereich, wie oben ausgeführt, ein
                                   Landwirtschaft in Niedersachsen generell eine über-                                                                                        großer Teil derjenigen Arbeitnehmer/innen zugeord-
                                   durchschnittliche Bedeutung hat. Wichtig ist ferner,                                                                                       net sein, die in Subunternehmen von Unternehmen
                                   wie auch in Deutschland insgesamt, die Beschäf-                                                                                            des Verarbeitenden Gewerbes oder des Baugewer-
                                   tigung in Unternehmen des Gastgewerbes und im                                                                                              bes tätig sind.
                                   Bereich der „sonstigen wirtschaftlichen Dienstleis-
                                   tungen“.                                                                                                                                   Vergleicht man die Daten für Niedersachsen mit
                                                                                                                                                                              denen für Deutschland insgesamt, so fällt auf, dass
                                   Will man Veränderungen beim Umfang der Be-                                                                                                 in diesem Bundesland ein überdurchschnittlicher
                                   schäftigung nicht-deutscher Arbeitnehmer/innen                                                                                             Anteil der Zunahme polnischer Arbeitnehmer/innen
                                   einschätzen, so ist es sinnvoll zu betrachten, wie                                                                                         auf Land- und Forstwirtschaft sowie auf das Verar-
                                   sich deren Zunahme auf verschiedene Branchenbe-                                                                                            beitende Gewerbe entfällt.
                                   reiche verteilt. Abbildung 4 zeigt dies für polnische
                                   Beschäftigte in Niedersachsen und in Deutschland                                                                                           Während nur ein geringer Teil der zusätzlichen
                                   insgesamt, hier für den Zeitraum 2007 bis 2013.                                                                                            polnischen Beschäftigten im Gastgewerbe arbei-

Abb. 4: Verteilung der Zunahme       30
                                                           Deutschland                            Niedersachsen
polnischer Arbeitnehmer/innen        25
auf Branchenbereiche, 2013
                                     20
gegenüber 2007, Deutschland,
                                     15
Niedersachsen, in Prozent; Glie-
derung der Branchenbereiche          10

nach WZ2008, Stichtag jeweils         5
der 30. Juni des Jahres.
                                      0
                                                                                                                                                                                                Erbringung von freiberuflichen,
                                                                                                                        Reparatur von Kraftfahrzeugen
                                            Land- und Forstwirtschaft,

                                                                                                                                                                                                                                  Erbringung von sonstigen
                                                                         Verarbeitendes Gewerbe

                                                                                                                                                        Verkehr und Lagerei

Quelle: Bundesagentur für
                                                                                                                                                                                                                                                                                Private Haushalte
                                                                                                           Baugewerbe

                                                                                                                                                                                                                                                             Gesundheits- und
                                                                                                                                                                                  Gastgewerbe
                                                                                                                         Handel; Instandhaltung und

                                                                                                                                                                                                                                                               Sozialwesen
                                                                                                                                                                                                                                      Dienstleistungen
                                                                                                                                                                                                                                       wirtschaftlichen
                                                                                                                                                                                                    wissensch. und techn.

Arbeit, eigene Darstellung und
                                                   Fischerei

                                                                                                                                                                                                         Dienstleist.

Berechnung.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    9
ten, beschäftigt dieser Branchenbereich immerhin                                                                                   Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes und
19,9 Prozent der zusätzlichen rumänischen Arbeit-                                                                                  des Baugewerbes sein.
nehmer/innen. Für sie ist dies damit der wichtigste
Branchenbereich, vgl. Abbildung 5. Auffällig ist fer-                                                                              Vergleicht man die genannten Daten zur Verteilung
ner, dass – wie bei polnischen – die Beschäftigung                                                                                 der Zunahme polnischer und rumänischer Arbeit-
rumänischer Arbeitnehmer/innen in Land- und                                                                                        nehmer/innen auf verschiedene Branchenbereiche
Forstwirtschaft sowie im Verarbeitenden Gewerbe                                                                                    (Abbildungen 4 und 5) mit den Daten zu spani-
deutlich zugenommen hat. Einmal mehr spielen                                                                                       schen Beschäftigten (aus Abbildung 6), so fallen
diese beiden Branchenbereiche in Niedersachsen                                                                                     deutliche Unterschiede auf.
eine größere Rolle als in Deutschland insgesamt.
Hingegen wird in Niedersachsen nur ein unter-                                                                                      Wie bei polnischen und rumänischen Arbeitneh-
durchschnittlicher Teil der zusätzlichen rumänischen                                                                               mer/innen, so entfällt bei spanischen Arbeitnehmer/
Arbeitnehmer/innen im Baugewerbe beschäftigt                                                                                       innen ein großer Teil der seit 2007 eingetretenen
(2,7 Prozent), anders als in Deutschland insgesamt                                                                                 zusätzlichen Beschäftigung auf den Branchenbe-
(8,3 Prozent).                                                                                                                     reich „Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen
                                                                                                                                   Dienstleistungen“. In Deutschland insgesamt sind
Auch bei der Zunahme bei der Beschäftigung ru-                                                                                     dies 17,2 Prozent. In Niedersachsen hat dieser
mänischer Arbeitnehmer/innen entfiel ein großer                                                                                    Branchenbereich mit 28,2 Prozent sogar die meis-
Anteil auf den Branchenbereich „Erbringung von                                                                                     ten der zusätzlichen spanischen Arbeitnehmer/in-
sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen“, in                                                                                   nen beschäftigt.
Deutschland insgesamt 12,5 Prozent, in Nieder-
sachsen sogar 18,5 Prozent. Die wichtigsten Ar-                                                                                    Auffällig ist, dass sowohl in Deutschland insgesamt
beitgeber dürften dabei erneut Unternehmen der                                                                                     als auch in Niedersachsen ein großer Anteil der zu-
Gebäudereinigung, des Garten- und Landschafts-                                                                                     sätzlichen spanischen Arbeitnehmer/innen im Bran-
baus, der Leiharbeit sowie Subunternehmen von                                                                                      chenbereich „Erbringung von freiberuflichen, wis-

  25                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Abb. 5: Verteilung der Zunah-
                                                                                                                                                                                                          Deutschland                                         Niedersachsen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           me rumänischer Arbeitneh-
  20
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           mer/innen auf Branchenberei-
  15
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           che, 2013 gegenüber 2007,
  10                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Deutschland, Niedersachsen, in
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Prozent; Gliederung der Bran-
  5
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           chenbereiche nach WZ2008,
  0
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Stichtag jeweils der 30. Juni des
                                                                                                                                                                                                                                                                        Kunst, Unterhaltung und Erholung
                                                                             Reparatur von Kraftfahrzeugen

                                                                                                                                                                                           wirtschaftlichen Dienstleistungen
         Land- und Forstwirtschaft,

                                       Verarbeitendes Gewerbe

                                                                                                             Verkehr und Lagerei

                                                                                                                                                       Erbringung von freiberuflichen,
                                                                                                                                                      wissensch. und techn. Dienstleist.

                                                                                                                                                                                                                               Gesundheits- und Sozialwesen
                                                                Baugewerbe

                                                                                                                                        Gastgewerbe
                                                                              Handel; Instandhaltung und

                                                                                                                                                                                              Erbringung von sonstigen

                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Jahres. Quelle: Bundesagentur
                Fischerei

                                                                                                                                                                                                                                                                                                           für Arbeit, eigene Darstellung
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           und Berechnung.

10 DGB                         Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
senschaftlichen und technischen Dienstleistungen“                                                          wesen für alle drei Beschäftigtengruppen nur von
                                   beschäftigt sind (19,9 Prozent bzw. 12,3 Prozent).                                                         unterdurchschnittlicher Wichtigkeit.
                                   Dieser Wert liegt weit über den entsprechenden
                                   Werten für polnische oder rumänische Arbeitneh-                                                            Nun seien noch zwei Beschäftigungsformen genau-
                                   mer/innen. Dem genannten Branchenbereich sind                                                              er betrachtet, die für nicht-deutsche Arbeitnehmer/
                                   Rechts- und Steuerberatung, Unternehmensbera-                                                              innen von einiger Bedeutung sind: Leiharbeit so-
                                   tung, Werbung und Marktforschung, Forschung                                                                wie ausschließlich kurzfristige Beschäftigung. Beide
                                   und Entwicklung, Übersetzen und Dolmetschen,                                                               sind häufig mit prekären Beschäftigungsverhältnis-
                                   Design, Architektur- und Ingenieurbüros zugeord-                                                           sen verbunden.
                                   net. Bei den in jüngster Zeit nach Deutschland ge-
                                   kommenen spanischen Arbeitnehmer/innen dürften                                                             Abbildung 7 zeigt den Anstieg der Beschäftigung
                                   insbesondere die drei letztgenannten Branchen                                                              griechischer, italienischer, portugiesischer, spani-
                                   von einiger Bedeutung sein. Dies ist als Hinweis                                                           scher, polnischer, rumänischer und bulgarischer Ar-
                                   zu werten, dass ein veritabler Teil der spanischen                                                         beitnehmer/innen in der Leiharbeit in Deutschland
                                   Immigrant/inn/en höher qualifizierten Tätigkeiten                                                          und in Niedersachsen. Auf den ersten Blick ist zu
                                   nachgeht.                                                                                                  erkennen, dass sowohl in Deutschland als auch in
                                                                                                                                              Niedersachsen der größte Anstieg bei der Beschäf-
                                   10,5 Prozent der zusätzlichen Beschäftigung spani-                                                         tigung in Leiharbeit (jedenfalls für die in der Abbil-
                                   scher Arbeitnehmer/innen entfallen auf den Bran-                                                           dung 7 aufgeführten Länder) bei polnischen Arbeit-
                                   chenbereich Gesundheits- und Sozialwesen, hier                                                             nehmer/innen stattfand. Um über 21.500 Personen
                                   wohl insbesondere auf Alten- und Krankenpflege.                                                            bundesweit, davon fast 2.500 aus Niedersachsen,
                                   Damit liegt dieser Wert für Deutschland insgesamt                                                          stieg die Zahl polnischer Staatsbürger/innen an, die
                                   höher als bei rumänischen (8,7 Prozent) und polni-                                                         in Leiharbeit tätig sind. In Deutschland insgesamt
                                   schen (6,3 Prozent) Arbeitnehmer/innen. In Nieder-                                                         wie auch in Niedersachsen betrug der Anteil polni-
                                   sachsen allerdings ist das Gesundheits- und Sozial-                                                        scher Leiharbeiter/innen an allen Leiharbeiter/innen

Abb. 6: Verteilung der Zunahme      30

spanischer Arbeitnehmer/innen       25
                                                         Deutschland                     Niedersachsen

auf Branchenbereiche, 2013
                                    20
gegenüber 2007, Deutschland,
Niedersachsen, in Prozent; Glie-    15

derung der Branchenbereiche         10

nach WZ2008, Stichtag jeweils        5
der 30. Juni des Jahres. Quelle:
                                     0
                                                                  Handel; Instandhaltung und

                                                                                                                                                                                                                  Erziehung und Unterricht
                                                                                                                                       Information und

Bundesagentur für Arbeit, ei-
                                                                                                                                                                                       Erbringung von sonstigen
                                                                                                                                       Kommunikation

                                                                                                                                                         freiberuflichen, wissensch.
                                                                                                   Verkehr und Lagerei
                                            Baugewerbe

                                                                                                                                                                                                                                             Gesundheits- und
                                                                                                                         Gastgewerbe

                                                                                                                                                           und techn. Dienstleist.

                                                                                                                                                                                                                                               Sozialwesen
                                                                                                                                                                                           Dienstleistungen
                                                                                                                                                                                            wirtschaftlichen

gene Darstellung und Berech-
                                                                      Kraftfahrzeugen

                                                                                                                                                              Erbringung von
                                                                       Reparatur von

nung.

                                                                                                                                                                                                                                                                11
25.000                                                                                                      2.500   Abb. 7: Zunahme der Beschäfti-
              Deutschland             Niedersachsen                                                                  gung griechischer, italienischer,
                                                                                                                     portugiesischer, spanischer, pol-
 20.000                                                                                                      2.000
                                                                                                                     nischer, rumänischer und bulga-
                                                                                                                     rischer Arbeitnehmer/innen in
 15.000                                                                                                      1.500   der Leiharbeit, 2013 gegenüber
                                                                                                                     2007, Deutschland, Niedersach-
                                                                                                                     sen, in Personen; Definition der
 10.000                                                                                                      1.000
                                                                                                                     Branche nach WZ2008, Stichtag
                                                                                                                     jeweils der 30. Juni des Jah-
  5.000                                                                                                      500     res. Quelle: Bundesagentur für
                                                                                                                     Arbeit, eigene Darstellung und
                                                                                                                     Berechnung.
     0                                                                                                       0
          Griechenland      Italien            Portugal   Spanien       Polen      Rumänien      Bulgarien

2007 noch 0,4 Prozent. 2013 war er schon auf 3,2              mehr als insgesamt 70 Arbeitstage beträgt. Das da-
Prozent angestiegen.                                          bei gezahlte Gehalt darf 450 Euro pro Monat nicht
                                                              überschreiten. Kurzfristige Beschäftigungen sind
Die zweit- und drittgrößten Gruppen (erneut nur               nicht sozialversicherungspflichtig, worin ihre be-
unter den in der Abbildung 7 aufgeführten Län-                sondere Attraktivität für Arbeitgeber besteht. Die-
dern) sind in Deutschland griechische (3.024 Per-             ses Modell wird vor allem in der Saisonarbeit und
sonen) und italienische (2.537 Personen) Arbeit-              hier besonders in der Landwirtschaft für den Ein-
nehmer/innen. In Niedersachsen hingegen ver-                  satz von Erntehelfer/inne/n gewählt. Beispielswei-
zeichneten rumänische Arbeitnehmer/innen mit                  se dürfte (laut telefonischer Auskunft der Bundes-
486 Personen den zweitgrößten Zuwachs. Festzu-                agentur für Arbeit) bei rumänischen Arbeitnehmer/
halten bleibt, dass seit 2007 die Zahl der Leihar-            inne/n, die ausschließlich kurzfristig beschäftigt
beitsbeschäftigten aus den genannten Ländern in               werden, der Anteil der Beschäftigten in der Land-
Deutschland angestiegen ist – und zwar absolut                wirtschaft etwa 80 Prozent betragen.
wie auch relativ. Der insgesamt vergleichsweise
niedrige Anstieg bei rumänischen und bulgarischen             Der addierte Anteil rumänischer und polnischer
Arbeitnehmer/inne/n könnte ein Hinweis darauf                 ausschließlich kurzfristig Beschäftigter an allen
sein, dass diese eher über Werkvertragskonstruktio-           ausschließlich kurzfristig Beschäftigten in Nieder-
nen beschäftigt werden.                                       sachsen ist hoch. Er stieg in den letzten Jahren von
                                                              unter 30 Prozent in 2004 auf über 41 Prozent in
Abbildung 8 gibt den Anteil der ausschließlich                2013 an. Diese Zunahme ist insbesondere auf die
kurzfristig Beschäftigten aus Polen und Rumänien              stärkere Beschäftigung rumänischer Arbeitnehmer/
an allen ausschließlich kurzfristig Beschäftigten in          innen zurückzuführen. Hingegen ging die Beschäf-
Niedersachsen für die Jahre 2004 bis 2013 wieder.             tigung polnischer Arbeitnehmer/innen lange sogar
Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn die           deutlich zurück, seit 2011 stagniert sie in etwa,
Beschäftigung für eine von vornherein befristete              wie Abbildung 8 zeigt. Hier findet offenbar eine
Zeit ausgeübt wird, die in einem Kalenderjahr nicht           Verschiebung statt: Polnische Arbeitnehmer/innen

12 DGB      Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
Abb. 8: Anteil ausschließlich         40.000                                                                                                                         35
kurzfristig Beschäftigter aus Po-
                                      35.000                                                                                                                         30
len und Rumänien an allen aus-
schließlich kurzfristig Beschäf-      30.000
                                                                                                                                                                     25
tigten, 2004-2013, Niedersach-        25.000
                                                                                                                                                                     20
sen, in Prozent; Stichtag jeweils
                                      20.000
der 30. Juni des Jahres. Quelle:                                                                                                                                     15
Bundesagentur für Arbeit, ei-         15.000

                                                                                                                                                                     10
gene Darstellung und Berech-          10.000
nung.                                                                                                                                                                5
                                       5.000

                                          0                                                                                                                          0
                                               2004       2005        2006          2007     2008    2009    2010       2011        2012       2013

                                               Aus Polen in Niedersachsen (Prozent) (rechte Achse)          Aus Rumänien in Niedersachsen (Prozent) (rechte Achse)
                                               Niedersachsen gesamt (linke Achse)

                                    werden durch rumänische ersetzt. Über die Grün-                   nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer/innen
                                    de kann man nur spekulieren: Möglicherweise sind                  liegen schlicht nicht vor. Die EU-Kommission hat al-
                                    diese Arbeitsplätze für Pol/inn/en heute nicht mehr               lerdings ältere Daten zur Zahl der Bescheinigungen
                                    attraktiv, weil sie Alternativen haben. Oder aber                 über die Entsendung nach Deutschland, die zu-
                                    Rumän/inn/en sind für landwirtschaftliche Arbeitge-               mindest näherungsweise Aussagen treffen lassen.
                                    ber günstigere Saisonbeschäftigte.                                Abbildung 9 gibt die Länder wieder, auf die min-
                                                                                                      destens 10.000 Bescheinigungen über die Entsen-
                                    Die bisherigen Ausführungen beziehen sich, dar-                   dung von Arbeitnehmer/innen nach Deutschland
                                    an sei erinnert, ausschließlich auf die Gruppe der                entfallen. Es zeigt sich, dass 2011 die mit Abstand
                                    Arbeitnehmer/innen, die sich im Rahmen der EU-                    meisten Entsendebescheinigungen zur Entsendung
                                    Freizügigkeit in Deutschland aufhalten. Nicht alle                von Arbeitnehmer/inne/n nach Deutschland in Po-
                                    von ihnen sind als mobile Beschäftigte im engeren                 len ausgestellt wurden (125.804). Auf den nächs-
                                    Sinne anzusehen. Die Datenlage bei Solo-Selbstän-                 ten Plätzen folgen Ungarn (35.961) und Rumänien
                                    digen (oft Scheinselbständigen) sowie bei ent-                    (31.609). In dieser Liste finden sich mit Frankreich
                                    sandten Beschäftigten ist sehr viel schlechter. Zur               (21.881) und Österreich (15.245) auch zwei west-
                                    Lebens- und Arbeitssituation nicht-deutscher Solo-                europäische Länder.
                                    Selbständiger lassen sich schlicht keinerlei seriösen
                                    statistischen Angaben machen. Hier wäre lediglich                 Für Frankreich und Österreich liegt keine Aufteilung
                                    zu verweisen auf Erfahrungen aus Beratungsstel-                   nach Branchenbereichen vor. Gleichwohl liegt die
                                    len und Gewerkschaften. Diese legen nahe, dass                    Vermutung nahe, dass es sich dabei überwiegend
                                    diese Gruppe von Beschäftigten in nicht geringem                  um Entsendungen von höher qualifizierten Arbeits-
                                    Umfang existiert und Fälle von Arbeitsausbeutung                  kräften mit Dienstleistungstätigkeiten handelt. Hin-
                                    regelmäßig vorkommen.                                             gegen stehen bei der Entsendung aus Polen, Rumä-
                                                                                                      nien und Ungarn eindeutig die Industrie sowie das
                                    Kaum besser ist die Datenlage bezüglich entsand-                  Baugewerbe im Vordergrund, wie Abbildung 10
                                    ter Beschäftigter. Verlässliche Daten zur Zahl der                zeigt.

                                                                                                                                                                         13
140.000                                                                                                      Abbildung 9: Ausgestellte Ent-
                                                                                                               sendebescheinigungen zur
  120.000                                                                                                      Entsendung nach Deutschland,
                                                                                                               2011, aufgeführt Länder mit
  100.000
                                                                                                               mindestens 10.000 Entsen-
                                                                                                               debescheinigungen. Quelle:
   80.000
                                                                                                               Europäische Kommission,
   60.000
                                                                                                               eigene Darstellung.

   40.000

   20.000

       0
               Polen        Ungarn       Rumänien        Frankreich      Slowenien   Österreich    Slowakei

Ein Vergleich der Verteilung von polnischen und ru-       Die hier vorgestellten Daten sind aus verschiede-
mänischen Arbeitnehmer/inne/n (Abbildung 2) und           nen Gründen mit Vorsicht zu betrachten. Trotzdem
von Entsendebescheinigungen aus Polen und Ru-             legen sie nahe, dass es zwischen der Beschäftigung
mänien (Abbildung 10) auf verschiedene Branchen-          von Arbeitnehmer/inne/n aus Ost- und auch Süd-
bereiche ist nicht möglich. Die Branchenbereiche          europa und prekären Arbeits- und Lebensverhält-
werden bei den jeweils zugrunde gelegten Daten            nissen einen gewissen Zusammenhang gibt. So gilt
unterschiedlich abgegrenzt. Eine grobe Überein-           zumindest tendenziell: In jenen Branchenbereichen,
stimmung allerdings lässt sich insofern erkennen,         in denen prekäre und atypische Beschäftigung
als Industrie bzw. Verarbeitendes Gewerbe sowie           überdurchschnittlich weit verbreitet ist, gibt es
Baugewerbe bei beiden eine große Rolle spielen.

                                                                                                               Abbildung 10: Branchen, in de-
                 Polen                               Ungarn                           Rumänien                 nen in Deutschland entsandte
                                                                                                               Beschäftigte aus Polen, Ungarn
                                                                                                               und Rumänien tätig sind, 2011.
                                                                                                               Quelle: Europäische Kom-
                                                                                                               mission, eigene Darstellung.

                                        Landwirtschaft    Industrie ohne Bau
                                        Baugewerbe        Dienstleistungen

14 DGB      Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
überdurchschnittlich viele nicht-deutsche und mo-
                                                         Ein norddeutscher Klinikkonzern hatte in Zu-
bile Arbeitnehmer/innen.
                                                         sammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt 25
                                                         junge TunesierInnen angeworben, um sie zu
3. Zur Lebens- und Arbeitssituation                      Pflegekräften auszubilden. Für einen halbjäh-
                                                         rigen Sprachkurs sollten sie ein Darlehen von
mobiler Beschäftigter                                    19.000 Euro aufnehmen. Nach sechs Monaten
                                                         hätten sie selbst für Kost und Logis aufkommen
Es gibt mittlerweile mehrere Beratungsstellen in
                                                         müssen, finanziert aus einer Ausbildungsvergü-
Deutschland, die sich gezielt an mobile Beschäf-
                                                         tung von 620 Euro pro Monat. Damit hätten sie
tigte wenden. Die allermeisten von ihnen wurden
                                                         ihre Ausbildung faktisch selbst finanziert, und
gewerkschaftlich initiiert und werden von gewerk-
                                                         dies ohne Garantie, anschließend übernommen
schaftsnahen Einrichtungen geführt. Insbesonde-
                                                         und tariflich vergütet zu werden. Als die jungen
re das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds,
                                                         Leute sich weigerten, unter diesen Bedingun-
der Bundesregierung und des Deutschen Gewerk-
                                                         gen die Ausbildung anzutreten, kam der Fall im
schaftsbundes finanzierte Projekt „Faire Mobilität“
                                                         Jahr 2013 an die Öffentlichkeit. In lokalen Zei-
ist hier zu nennen. In seinem Rahmen arbeiten
                                                         tungen wurde der Eindruck erweckt, die jungen
Berater/innen in Berlin, Hamburg, Dortmund, Frank-
                                                         Menschen seien arbeitsunwillig; die tatsächli-
furt, München und Stuttgart.
                                                         chen Hintergründe des Falls wurden nur teil-
                                                         weise korrekt wiedergegeben.
Unabhängig von „Faire Mobilität“ gibt es seit Ende
2013 auch in Niedersachsen Beratungsstellen, und         nachdenkseiten.de, 19.08.2013
zwar in Hannover und Oldenburg. Sie sind bei der
Bildungsvereinigung Arbeit und Leben angesiedelt.      kehrende Strukturen und Mechanismen kurz und
Finanziert werden sie vom Land Niedersachsen           knapp dargestellt.
(beide Beratungsstellen) und der Region Hannover
(nur Beratungsstelle Hannover). Beraten wird vor-      Vermittlung nach Deutschland
rangig in den Sprachen Polnisch, Rumänisch und         Die Anwerbung im Herkunftsland erfolgt in den
Bulgarisch; bei Bedarf können Übersetzer/innen         meisten Fällen über Dritte aus dem Herkunftsland,
hinzugezogen werden. Schon seit einigen Jahren         über Subunternehmen sowie insbesondere über
gibt es in Hamburg eine Beratungsstelle, die immer     Agenturen. In manchen Fällen inserieren deutsche
wieder auch Beratungsfälle aus dem niedersächsi-       Firmen auch direkt im Herkunftsland. Generell wer-
schen Umland von Hamburg hat.                          den bevorzugt Menschen aus ländlichen Regionen
                                                       geworben.
Die Beratungspraxis in diesen Einrichtungen zeigt,
dass die Strukturen und Mechanismen, durch die         Für die meisten der Vermittler steht das eigene
viele mobile Beschäftigte in ausbeuterische Arbeits-   Wohl im Vordergrund, nicht selten werden Gebüh-
verhältnisse geführt bzw. gezwungen werden, über       ren für die Vermittlung oder überteuerte Transfer-
die verschiedenen Herkunftsländer und Branchen         kosten veranschlagt. Eine umfassende und inhalt-
hinweg eine erstaunliche Einheitlichkeit aufweisen.    lich korrekte Information der mobilen Beschäftigten
Im Nachfolgenden werden einige immer wieder-           über den Arbeitsmarkt in Deutschland, über Be-
                                                       schäftigungsmöglichkeiten, Rechte und Pflichten

                                                                                                        15
erfolgt nicht. Den mobilen Beschäftigten werden         Das zeigt: Mobile Beschäftigte sind in den aller-
allerdings immer gleiche Versprechungen gemacht:        meisten Fällen auf bestehende Strukturen und
ein im Vergleich zum Herkunftsland relativ guter        Netzwerke angewiesen. Dabei können sie in Einzel-
Lohn, eine bezahlte Unterkunft, geregelte Arbeits-      fällen auf Verwandte und Bekannte zurückgreifen.
zeiten, eine sozialversicherungspflichtige Beschäfti-   Im Regelfall aber sind sie auf Dritte verwiesen, die
gung sowie geregelter Urlaub und geregelte Wo-          eigene kommerzielle Interessen verfolgen.
chenenden.
                                                        Leben und Wohnen in Deutschland und
In einigen Fällen reisen mobile Beschäftigte auf        Niedersachsen
eigene Faust nach Deutschland. Sie informieren          Mobile Beschäftigte in Deutschland benötigen
sich über das Internet, über Bekannte oder Ver-         Arbeit und eine Wohnung. Sie haben Papierkram
wandte. Spätestens in Deutschland sind allerdings       im Umgang mit Behörden zu erledigen, etwa Kin-
auch sie darauf angewiesen, über Vermittler o.ä. an     dergeld zu beantragen. Sie müssen sich Versiche-
Arbeit zu kommen. Hier fallen, wie auch für andere      rungen und Handys besorgen und gegebenenfalls
„Dienstleistungen“ fragwürdiger Anbieter, oft hohe      die Betreuung ihrer Kinder sicherstellen. Im Falle
Gebühren an (siehe unten).                              von Krankheiten oder Unfällen müssen sie sich
                                                        mit Krankenkassen auseinandersetzen. Soweit es
                                                        sich um Scheinselbständige handelt, benötigen sie
  Im Dezember 2012 erstatteten mehrere Ungar/           eine Firmenadresse. Gerade, wenn die Migrant/
  inne/n Anzeige gegen ein Subunternehmen,              inn/en erst kurze Zeit hier leben, sind sie für die-
  bei dem sie angestellt waren und das sie im           se und andere Zwecke auf Dritte angewiesen. So
  Rahmen eines Werkvertrags bei einem nord-             hat sich ein Markt für entsprechende Dienstleis-
  deutschen Wursthersteller einsetzte. Ohne es          tungen herausgebildet. (Das Phänomen ist keines-
  zu wissen, hatten sie statt eines Arbeitsvertrags     wegs neu: Schon zu Zeiten der „Gastarbeiter“ der
  einen Werkvertrag mit dem Subunternehmen              1960er Jahre gab es „Dienstleister“ für die neu
  unterschrieben. Sie wurden so zu Scheinselb-          eingewanderten Türk/inn/en, Italiener/innen, Jugo-
  ständigen und Sub-Sub-Unternehmer/inne/n              slaw/inn/en usw.)
  gemacht. Versprochen wurde ihnen ein Lohn
  von 1000 Euro im Monat. Erhalten haben sie            Diese Dienstleistungen, etwa das Vermitteln von
  wechselnde, aber deutlich niedrigere Beträge          Arbeit, das Schreiben von Briefen oder das Ausfül-
  in bar. Untergebracht waren sie in schäbigen          len von Formularen, sind kostenpflichtig und teuer.
  Mehrbett-Zimmern, für die sie monatlich 160           Das Ausfüllen eines Kindergeldantrags etwa, für
  Euro pro Person bezahlen mussten (weitere             viele mobile Beschäftigte überlebenswichtig, kostet
  160 Euro übernahm das Subunternehmen). Erst           in der Regel einen zweistelligen Eurobetrag zuzüg-
  nach sechs Monaten trennte sich der Wursther-         lich einer „Erfolgsbeteiligung“. Erbracht werden
  steller von seinem Subunternehmer. In der             die Dienstleistungen im Regelfall von anderen Mig-
  Verantwortung, ausstehende Löhne der etwa             rant/inn/en – von Menschen, die sich schon länger
  100 Arbeiter/innen zu begleichen, sah sich der        in Deutschland aufhalten und gewisse sprachliche
  Wursthersteller allerdings nicht.                     und inhaltliche Kenntnisse erwerben konnten. In
                                                        einigen Fällen übernehmen diese „Dienstleister“
  hinzundkunzt.de, 31.03.2014
                                                        gleich den Briefkastenschlüssel ihrer „Kund/inn/

16 DGB      Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
en“, häufig behalten sie ihre Unterlagen. Hierdurch
entsteht eine ausgeprägte Abhängigkeit.

Seriös sind diese Anbieter nicht, die Grenzen zu
Kriminalität und Wucher sind fließend. Ihre Quali-
tät, gerade wenn es um Rechtsfragen im Umgang
mit Behörden geht, ist schlecht. Gerade vor diesem
Hintergrund zeigt sich, wie wichtig seriöse Bera-
tungsstellen für mobile Beschäftigte sind.

Die meisten mobilen Beschäftigten kommen zu-
nächst alleine nach Deutschland; sofern sie Familie
haben, bleibt diese zunächst im Herkunftsland. Ein
Neuanfang in Deutschland ist für eine einzelne Per-
son zunächst einfacher zu bewerkstelligen. Hinzu
kommt, dass der Aufenthalt oft nur vorübergehend
sein soll. Zeichnet sich allerdings eine längere oder
dauerhafte Wohnsitznahme in Deutschland ab, so
versuchen sie, ihre Familie nachzuholen.

Damit stellt sich, sofern Kinder in der Familie leben,
die Frage nach deren Kita- oder Schulbesuch. Dies        te weit verbreitet: ehemalige Kasernen, ehemali-
gilt umso mehr, als im Regelfall beide Elternteile       ge Hotels, Scheunen (in der Landwirtschaft) oder
arbeiten gehen müssen, um überleben zu können.           Container (in der Bauwirtschaft). Dabei leben nicht
Informationen über Schulen und Kitas aber sind           selten mehrere Personen in einem Zimmer, teilt sich
für betroffene mobile Beschäftigte nicht einfach zu      eine große Anzahl Bewohner/innen eines oder we-
erlangen.                                                nige Bäder. Privatsphäre ist in diesen Sammelunter-
                                                         künften nicht gegeben.
Gerade in Kommunen mit einem hohen Anteil mo-
biler Beschäftigter etwa aus der Fleisch- oder Me-       In Niedersachsen hat sich seit zwei bis drei Jahren
tallindustrie fehlt den Behörden ein Überblick über      eine Diskussion um die Unterkünfte mobiler Be-
die Zahl der neu ankommenden schulpflichtigen            schäftigter entwickelt. Verstärkt wurde sie durch
Kinder. Dies ist einmal mehr ein Grund für die Be-       den Tod zweier rumänischer mobiler Beschäftigter
deutung, die Beratungsstellen für mobile Beschäf-        in der Nähe von Papenburg im Sommer 2013. Bei-
tigte wie auch kommunalen Migrationsberatungs-           de waren beim Brand ihrer Unterkunft ums Leben
stellen zukommt.                                         gekommen. Im Januar 2014 hat die niedersächsi-
                                                         sche Landesregierung einen Erlass veröffentlicht,
Die Wohnverhältnisse mobiler Beschäftigter sind          der Mindeststandards festlegt. Demzufolge müssen
überwiegend einfach bis katastrophal. In Regionen        auf jede/n Arbeiter/in mindestens sechs Quadrat-
und Branchen, in denen eine größere Zahl mobi-           meter im Schlafraum und mindestens acht Quad-
ler Beschäftigter tätig ist, sind Sammelunterkünf-       ratmeter Platz im restlichen Wohnbereich kommen.

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Wenn mehr als sechs Menschen in einer Unterkunft       finden ist, am Ausmaß schlechter Bezahlung oder
leben, ist zusätzliche Wohnfläche zur Verfügung        auch am Ausmaß unbeliebter Tätigkeiten. Oder mit
zu stellen. Ausreichender Brandschutz, Wärme und       anderen Worten: Menschen ausländischer Herkunft
Trockenheit sind zu gewährleisten, Jalousien oder      sind besonders häufig von prekärer Beschäftigung
Vorhänge an den Fenstern anzubringen. Männer           und von Niedriglöhnen betroffen. Zudem üben sie
und Frauen sind getrennt unterzubringen. Jede          in besonders hohem Maße unbeliebte, insbesonde-
Wohnung muss über ein Telefon verfügen, um im          re körperlich anstrengende Tätigkeiten aus. Dabei
Notfall Hilfe rufen zu können.                         finden sich tendenziell Migrant/inn/en jener Nati-
                                                       onalitäten, aus denen später als bei anderen Nati-
Mit diesem Erlass wurden seitens der Landesregie-      onalitäten größere Migrant/inn/en-Gruppen nach
rung rechtsverbindliche Mindeststandards festge-       Deutschland kamen, weiter unten in dieser sozialen
legt. Von normalen Wohnverhältnissen sind viele        Hierarchie. Dafür gibt es mehrere Gründe. So bilden
mobile Beschäftigte dennoch nach wie vor weit          sich mit längerer Aufenthaltsdauer Netzwerke zur
entfernt.                                              gegenseitigen Unterstützung heraus, und die Ver-
                                                       trautheit mit Rechten, Pflichten, Gepflogenheiten
Arbeiten in Deutschland und Niedersachsen              und Beratungsmöglichkeiten am deutschen Arbeits-
Immer schon war und ist der Arbeitsmarkt in            markt nimmt zu.
Deutschland (wie auch in anderen Ländern) von
Hierarchien nach „ethnischen“ Kriterien geprägt.       Um dies am Beispiel der LKW-Fahrer zu verdeut-
Solche Hierarchien werden erkennbar etwa am Aus-       lichen: Es ist in vielen Speditionen mehr Regel als
maß der Prekarität, das in den Arbeitsverhältnissen    Ausnahme, dass deutsche Fahrer neue und funkti-
einzelner „ethnischer“ Beschäftigtengruppen zu         onierende LKWs zugewiesen bekommen, polnische

18 DGB     Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
Fahrer hingegen ältere Modelle. Die schlechtesten       Für Auftraggeber haben Werkverträge den Vorteil,
und gefährlichsten Fahrzeuge werden den rumäni-         dass sie durch sie flexibel und kostengünstig Perso-
schen und bulgarischen Fahrern gegeben, sofern es       nal beschaffen können. Flexibel, weil Werkverträge
Fahrer aus diesen Ländern im jeweiligen Unterneh-       befristet sind oder gekündigt werden können. Kos-
men gibt.                                               tengünstig, weil die Auftragnehmer-Unternehmen
                                                        den Kostendruck an die eigenen Arbeitnehmer/in-
Werkverträge spielen bei der Beschäftigung mobi-        nen (die mobilen Beschäftigten) weitergeben.
ler Arbeitnehmer/innen in vielen Branchen eine gro-
ße Rolle, etwa in der Fleisch- und Metallindustrie      Angst ist ein ständiger Begleiter vieler mobiler Be-
oder dem Baugewerbe. Werkverträge sind Verträge,        schäftigter. Sie resultiert zum einen aus der äußerst
die zur Erstellung eines vorab definierten Werkes       prekären Lebenssituation, die selbst die schlechtes-
zwischen einem Auftraggeber und einem Auftrag-          te Arbeit immer noch als etwas Gutes erscheinen
nehmer geschlossen werden.                              lässt. Die Bereitschaft, auch Schikanen, Lohnprelle-
                                                        rei oder unmenschliche Arbeitszeiten zu akzeptie-
Mobile Beschäftigte sind entweder als (Schein-)         ren, ist vor diesem Hintergrund oft groß.
Selbständige formell selbst Auftragnehmer. Oder
aber sie sind bei einem Auftragnehmer-Unterneh-         Angst resultiert zum anderen aber auch aus der
men angestellt. Letzteres ist der weitaus häufigere     Abhängigkeit von Vermittlern, Agenturen oder
Fall. Bei solchen Werkvertrags-Arbeitskräften wer-      sonstigen Dritten. Die Möglichkeiten, auf mobile
den die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen von         Beschäftigte Druck auszuüben, sind groß und um-
der Werkvertragsfirma bestimmt. Sofern es in der        fassen im Extremfall auch die Drohung mit körper-
Branche des Auftraggebers einen allgemeinverbind-       licher Gewalt. Letztere kann sich auch gegen die
lichen Mindestlohn gibt, ist dieser auch für Werk-      Familie im Herkunftsland richten.
vertrags-Auftragnehmer verbindlich.
                                                        Mobile Beschäftigte sind schon aufgrund ihrer
Rechtlich ist einzig das Auftragnehmer-Unterneh-        meist geringen Sprach- und Rechtskenntnissen in
men für die von ihren Beschäftigten zu verrichtende     einer schwachen Verhandlungsposition gegenüber
Arbeit verantwortlich (einschließlich der Einsatzzei-   ihren Arbeitgebern. Dies gilt völlig unabhängig da-
ten, Einsatzorte und der genauen Tätigkeiten). Des-     von, ob sie im Rahmen von Werkvertrags-Konstruk-
sen eingesetzte Arbeitnehmer unterliegen keinerlei      tionen tätig sind oder nicht.
Weisungsbefugnis seitens des Auftraggebers. Die
Arbeit wird mit eigenen Arbeitsmaterialien geleis-      Die Liste der Tricks und Kniffe vieler Arbeitgeber,
tet, und die Beschäftigten des Auftragnehmer-Un-        um bei mobilen Beschäftigten den Lohn zu drücken
ternehmens werden nicht in den Produktionspro-          oder die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, ist
zess des Auftraggebers eingegliedert. So jedenfalls     lang. Hier seien im Nachfolgenden einige häufig
die rechtliche Theorie. In der Praxis sind gerade       wiederkehrende Beispiele aufgeführt:
bei der Beschäftigung von mobilen Arbeitnehmer/
inne/n die Grenzen fließend. In vielen Fällen wer-      ■   Das teilweise oder gar vollständige Nichtzah-
den Beschäftigte des Auftragnehmers wie Beschäf-            len von Löhnen oder Lohnbestandteilen, auf die
tigte des Auftraggebers behandelt, sodass es sich           mobile Beschäftigte Anspruch haben. In diesen
faktisch um Schein-Werkverträge handelt.                    Fällen spekulieren Arbeitgeber (leider oft ge-

                                                                                                          19
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