Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? - Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
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Impressum: DGB-Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt Abteilung Wirtschaft-Umwelt-Europa Otto-Brenner-Straße 7 30159 Hannover Telefon: 0511-1 26 01-30 Web: www.niedersachsen.dgb.de Hannover, Oktober 2014 Verantwortlich: Hartmut Tölle Redaktion: Tina Kolbeck-Landau, Patrick Schreiner Layout: S:DESIGN, Hannover Druck: Unidruck, Hannover Gedruckt auf Recyclingpapier Fotos: Titel, 18, 23, 34, 37, 44 – depositphotos.com / 3, 17, 27, 30 – Freeimages.com / 31 – Pixelio.com
Inhalt Mindestlohn, Werkverträge und Allgemeinverbindlichkeit – was der Koalitionsvertrag mit mobilen Beschäftigten zu tun hat Von Hartmut Tölle 2 Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen – Arbeitsmigration zwischen prekärer Beschäftigung und Ausbeutung Von Patrick Schreiner 4 Arbeitnehmer-Entsendung: Zahnlose Nachbesserung Von Andreas Schulte 23 Kein Gehalt, übermäßige Fahrzeiten: LKW-Fahrer, die sich wehren Von Katarzyna Zentner 27 Von wegen Chancengleichheit: Drei ArbeiterInnen, ein Baby und die Fleischindustrie Von Daniela Reim 29 Ein Bauarbeiter, ein Arbeitsunfall und ein gar nicht so untypischer Subunternehmer Von Mariya Krumova 31 „Die Kolleginnen und Kollegen aus Osteuropa werden ausgepresst“ Ein Interview zur Lebens- und Arbeitssituation mobiler Beschäftigter 32 Einwanderung aus Spanien nach Deutschland: Mythen und Realitäten Von Fabià Espuig 39
Mindestlohn, Werkverträge und Allgemeinverbindlichkeit – was der Koalitionsvertrag mit mobilen Beschäftigten zu tun hat Von Hartmut Tölle In der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und sind besonders häufig in Branchen tätig, in denen es SPD heißt es: „Mindestlohn einführen, Missbrauch entweder heute schon einen für allgemeinverbind- von Werkverträgen und Leiharbeit verhindern“. Und lich erklärten Tarifvertrag gibt oder aber in denen an anderer Stelle legen sich die Koalitionsparteien ein solcher dringend notwendig wäre. fest: „Allgemeinverbindlicherklärungen nach dem Tarifvertragsgesetz anpassen und erleichtern“. All Viele mobile Beschäftigte stecken in Werkvertrags- das sind wichtige und richtige Ziele. Der DGB und konstruktionen fest – sei es, dass sie selbst Werkver- die Gewerkschaften haben lange Jahre schon auf tragsnehmer sind, sei es, dass sie bei einem Werk- die zunehmende prekäre Beschäftigung am deut- vertragsnehmer angestellt sind. Der Missbrauch von schen Arbeitsmarkt hingewiesen. Nicht zuletzt mo- Werkverträgen ist in den letzten Jahren zu einer bile Beschäftigte und andere MigrantInnen sind von echten Plage am Arbeitsmarkt geworden; zu einem ihr betroffen. Es ist gut, dass es nun konkrete politi- Instrument für Ausbeutung und prekäre Beschäf- sche Entscheidungen geben soll. tigung. Wir brauchen deshalb stärkere Mitbestim- mungs- und Kontrollrechte der Betriebsräte. Wir Auch Deutschland wird damit endlich zur Mehr- brauchen eine klarere Abgrenzung von Werkverträ- heit der europäischen Länder gehören, in denen ein gen; und wir brauchen klare Definitionen, welche allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn gilt. Dies ist Werkverträge zulässig sind und welche nicht. Gegen längst überfällig. Ärgerlich sind die zahlreichen Aus- Arbeitsteilung in modernen Volkswirtschaften hat nahmen – trotzdem ist der Mindestlohn ein Fort- niemand etwas. Wenn Werkverträge aber vorwie- schritt. Er bildet eine unterste Haltelinie und kann gend dem Drücken von Löhnen dienen, hat dies mit damit zumindest die extremsten Niedriglöhne ver- Arbeitsteilung nichts zu tun. Die Koalitionsvereinba- hindern. Davon werden auch viele mobile Beschäf- rung gibt auch an diesem Punkt Grund zum Opti- tigte profitieren. mismus. Ein Fortschritt ist auch die geplante Ausweitung der Der Koalitionsvertrag enthält also im Bereich der Möglichkeiten, Tarifverträge für allgemeinverbind- Beschäftigungspolitik zahlreiche gute Absichtser- lich zu erklären. Wenn sich Gewerkschaften und klärungen und Beschlüsse. Und doch ist klar: Ge- Arbeitgeber auf Tarifverträge einigen, ist es nicht setze alleine werden nicht ausreichen, um prekäre akzeptabel, wenn sich manche Unternehmen die- Beschäftigung, Niedriglöhne und Ausbeutung wirk- ser Einigung entziehen und Tarifverträge ignorieren. sam zu bekämpfen – sie müssen auch umgesetzt Sie erschleichen sich auf diese Weise einen unfai- werden. Mindestlöhne und mehr für allgemeinver- ren Wettbewerbsvorteil gegenüber konkurrierenden bindlich erklärte Tarifverträge darf es nicht nur auf Unternehmen, die sich an Tarifverträge halten. Und dem Papier geben, sondern sie müssen durchgesetzt sie machen dies auf Kosten der ArbeitnehmerInnen. werden. Dazu wird man insbesondere den Zoll bzw. Vor allem in Branchen, in denen dies überhand- die Finanzkontrolle Schwarzarbeit und die Gewerbe- nimmt, müssen Unternehmen gezwungen werden, aufsichtsämter mit entsprechendem Personal aus- sich (wieder) an Tarifverträge zu halten. Denn nur statten müssen. Es braucht aber nicht nur das Per- so gewährleisten wir einen fairen Wettbewerb, eine sonal, das Kontrollen durchführt, sondern es braucht gerechte Beteiligung der abhängig Beschäftigten echte Kontrollmöglichkeiten. Und spätestens hier am Wohlstand und ein menschenwürdiges Leben kommt die europäische Ebene ins Spiel: Dort hat und Arbeiten für alle. Übrigens: Mobile Beschäftigte man eine „Durchsetzungsrichtlinie zur Entsende- 2 DGB Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
richtlinie“ beschlossen, die Kontrollmöglichkeiten bekommen, wo mobile Beschäftigte in prekären schwächen wird (siehe den entsprechenden Artikel Arbeits- und Lebensverhältnissen gefangen sind. Es in dieser Broschüre). Das ist absolut inakzeptabel. gilt, auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die fernab des eigenen Herkunftslandes tätig sind, Genauso inakzeptabel übrigens wie der Umstand, europaweit ein solches Recht auf Beratung einzu- dass Arbeitsausbeutung, etwa das Unterlaufen von führen und umzusetzen. Mindestlöhnen oder der Missbrauch von Werkver- trägen, noch immer kein Straftatbestand ist. Die niedersächsische Landesregierung und die Region Hannover haben hier mit den beiden Bera- Mobile Beschäftigte brauchen aber ein Weiteres: tungsstellen in Hannover und Oldenburg den ers- Sie sind auf Unterstützung und Beratung angewie- ten wichtigen Schritt getan. Die ersten Erfahrungen sen. Vergessen wir nicht, dass europäische Un- zeigen: Diese Beratungsstellen sind absolut not- ternehmen in Deutschland (und in allen anderen wendig, sie leisten eine gute und wichtige Arbeit. EU-Staaten) das Recht auf einen „Einheitlichen Auf Dauer aber werden sie nicht ausreichen. Des- Ansprechpartner“ haben, wenn sie Dienstleistun- halb ist es folgerichtig, dass die niedersächsische gen erbringen wollen. Unternehmen werden bera- Landesregierung im Dezember eine zusätzliche Be- ten und tatkräftig unterstützt. Für die Beschäftigten ratungsstelle in Braunschweig einrichten wird. aber wurde ein solches Recht nicht festgeschrie- ben. Das ist ein gravierendes Versäumnis, dessen Hartmut Tölle ist Vorsitzender des DGB-Bezirks Konsequenz wir heute überall vor Augen geführt Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt. 3
Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen – Arbeitsmigration zwischen prekärer Beschäftigung und Ausbeutung Von Patrick Schreiner 1. Was sind mobile Beschäftigte? ■ Landwirtschaft (insbesondere Erntehelfer), Teile dieses Artikels beruhen ■ Industrie, auf Gesprächen mit Evelyn Im europäischen Kontext hat Arbeitsmigration in ■ Schlachtereien und Fleischverarbeitung, Gerdes von der IG Metall Leer- den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung ■ Transport und Logistik (Lagerei sowie insbeson- Papenburg, Mariya Krumova gewonnen. Dies ist im Kern auf die räumliche und dere LKW-Fahrer) sowie und Daniela Reim von der Bera- rechtliche Ausweitung des Binnenmarkts der Euro- ■ Gebäudereinigung. tungsstelle für mobile Beschäf- päischen Union (EU) zurückzuführen – einschließlich tigte in Oldenburg, Katarzyna Mit der aktuellen Arbeitsmigration mobiler Beschäf- Zentner von der Beratungsstel- ■ der Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und tigter ist eine Problematik verbunden, die sich aus le für mobile Beschäftigte in Arbeitnehmern, dem Umstand ergibt, dass diese Arbeitnehmerinnen Hannover, Jochen Empen vom ■ der Dienstleistungsfreiheit sowie und Arbeitnehmer ihren Lebensmittelpunkt nach Projekt „Faire Mobilität“ sowie ■ der Niederlassungsfreiheit. wie vor in ihrem Herkunftsland haben und/oder erst Desislava Koeva, Alina Weber seit kurzer Zeit im Zielland leben. Ihr Aufenthalt im und Rüdiger Winter von der Dabei spielte die Osterweiterung der EU eine zent- Zielland ist zudem oft zeitlich begrenzt. Eine dau- Servicestelle Arbeitnehmerfrei- rale Rolle. Auch Niedersachsen hat sich in den ver- erhafte Wohnsitznahme streben sie entweder nicht zügigkeit in Hamburg. Ich dan- gangenen Jahren zu einem Zielland von Arbeitsmi- an, oder er ist nur unter großem Aufwand zu ver- ke den genannten Kolleginnen grant/innen aus Osteuropa entwickelt. Ein Grund wirklichen. Ihre prekäre soziale Situation macht sie und Kollegen dafür, dass sie dafür ist das wirtschaftliche Gefälle zwischen West- in hohem Maße erpressbar. Hierdurch sind mobile diese Publikation unterstützt und Osteuropa. In jüngerer Zeit gewinnt auch die Beschäftigte eher bereit, suboptimale Lebens- und haben. Einwanderung aus Südeuropa an Bedeutung, insbe- Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Dies gilt insbe- sondere aus Spanien. sondere dann, wenn die Lebens- und Arbeitsbedin- gungen im Herkunftsland im europäischen Vergleich Mobile Beschäftigte sind Staatsangehörige aus unterdurchschnittlich sind. anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die sich im Rahmen von Arbeitsmigration vorüber- Hinzu kommt eine weit verbreitete Unkenntnis hin- gehend in Niedersachsen aufhalten, um hier zu sichtlich der eigenen Rechte am Arbeitsmarkt und arbeiten. Entscheidend ist dabei, dass diese Be- hinsichtlich der eigenen sozialrechtlichen Ansprüche. schäftigten nicht notwendigerweise ihren Lebens- Geringe Kenntnisse der deutschen Sprache wirken mittelpunkt nach Deutschland verlegen. Und selbst als zusätzliche Barriere, wenn es darum geht, sich wenn die mobilen Beschäftigten eine dauerhafte über diese Rechte zu informieren und sie durchzu- Wohnsitznahme beabsichtigen, so ist aufgrund der setzen. prekären Lebens- und Arbeitssituation eine erneu- te Migration oder eine Rückkehr ins Herkunftsland Mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge- nicht unwahrscheinlich. hören sehr verschiedenen Beschäftigtengruppen an. Schon die schiere Vielfalt dieser Gruppen macht Branchen, in denen mobile Beschäftigte überwie- deutlich, welche Vielfalt an Problemen und sozialen gend arbeiten, sind Lagen mit der temporären Arbeitsmigration verbun- den ist. Die drei wichtigsten Gruppen mobiler Be- ■ Bauwirtschaft (Bauhaupt- und -nebengewerbe), schäftigter sind: ■ Pflege (einschließlich 24-Stunden-Pflege in Privathaushalten), 4 DGB Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
■ Beschäftigte mit Arbeitnehmerfreizügigkeit: Im bayerischen Murnau arbeiteten vier Rumä- Staatsangehörige der EU-27-Staaten können im nen von August bis Oktober 2013 auf einer Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit unein- Großbaustelle. Sie waren über einen rumäni- geschränkt eine Beschäftigung in Deutschland schen Subunternehmer angestellt und arbeite- aufnehmen. Ausbeutung und prekäre Beschäfti- ten zu einem Stundenlohn weit unterhalb des gung sind gerade unter Arbeitnehmerinnen und verbindlichen Branchenmindestlohns für das Arbeitnehmern aus Osteuropa, aber auch aus Baugewerbe. Untergebracht waren sie zu viert Südeuropa recht weit verbreitet. Dies gilt beson- in einem 14-Quadratmeter-Zimmer, für das sie ders für jene Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- zusammen eine monatliche Miete von 1.070 mer, die lediglich einen vorübergehenden Auf- Euro bezahlen mussten. Um sich etwas zu es- enthalt in Deutschland planen. Nicht selten sind sen kaufen zu können, mussten sie sich Geld diese Beschäftigten über einen Werkvertrag bei von Dritten leihen. einem deutschen Unternehmen angestellt, das sie wiederum – ähnlich wie bei der Leiharbeit – merkur-online.de, 29.10.2013 für ein anderes Unternehmen (Auftraggeber) ar- beiten lässt. Werkverträge sind Verträge, die zur Erstellung eines vorab definierten Werkes zwi- schen einem Auftraggeber und einem Auftrag- nehmer geschlossen werden. Auftraggeber und ■ Entsandte Beschäftigte: Entsandte Beschäftig- Auftragnehmer können grundsätzlich natürliche te sind Personen, die auf Weisung eines ent- Personen (Menschen) oder juristische Personen sendenden Unternehmens aus einem EU-Land (Unternehmen) sein. vorübergehend in ein anderes EU-Land entsandt ■ Solo-Werkvertragsunternehmer/innen (oft werden, um dort für das Unternehmen eine scheinselbständig): Im Rahmen der EU-Dienst- Beschäftigung auszuüben. Dabei schließt das leistungsfreiheit und der EU-Niederlassungsfrei- entsendende Unternehmen im Regelfall einen heit können EU-Bürger/innen im EU-Ausland Werkvertrag mit einem Unternehmen (Auftrag- eine selbständige Tätigkeit im Rahmen eines geber) im Zielland. Besteht zwischen entsenden- Werkvertrags ausüben. Der/die Beschäftigte dem Unternehmen und Arbeitnehmer/in ein Ar- schließt als formell Selbständige/r einen Werk- beitsverhältnis schon vor der Entsendung, so gilt vertrag mit einem Unternehmen. Die Vergütung das Arbeitsrecht des Herkunftslandes, andern- erfolgt pauschal für die Erstellung des Werks. falls das Arbeitsrecht des Ziellandes. Sozialver- Sozialversicherungspflicht liegt – mit wenigen sicherungspflicht besteht bei einer Entsendung Ausnahmen – nicht vor, das Arbeitsrecht greift bis zu 24 Monaten im Herkunftsland, danach nicht. Faktisch liegt in vielen Fällen Scheinselb- im Zielland. – Der allgemeine gesetzliche Min- ständigkeit vor. Nicht selten bekommen mobile destlohn gilt auch für entsandte Beschäftigte. Beschäftigte, die der deutschen Sprache nicht Branchenspezifische Mindestlöhne hingegen oder kaum mächtig sind, Gewerbeanmeldungen gelten für entsandte Beschäftigte nur, wenn die vorgelegt, die sie im Glauben unterschreiben, es Branche im Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf- handle sich um einen Arbeitsvertrag. Dann sind geführt ist und für allgemeinverbindlich erklärt sie als Scheinselbständige tätig, ohne dies zu wurde. Derzeit betrifft dies die Abfallwirtschaft wissen. einschließlich Straßenreinigung und Winter- 5
dienst, Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen Abbildung 1 gibt die Entwicklung der Zahl der nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialge- Arbeitnehmer/innen aus Polen, Rumänien, Bulgarien setzbuch, Bauhauptgewerbe, Bergbauspezialar- und Spanien in Deutschland wieder. Wie sie zeigt, beiten auf Steinkohlebergwerken, Dachdecker, ist die Zahl polnischer Arbeitnehmer/innen (meint: Elektrohandwerk, Gebäudereinigung, Maler mit polnischer Staatsangehörigkeit) in Deutsch- und Lackierer, Pflege / Altenpflege und häusli- land seit dem Jahr 2000 deutlich angestiegen. Ab che Krankenpflege, Sicherheitsdienstleistungen, dem Jahr 2011 hat sich dieser Anstieg deutlich Wäschereidienstleistungen im Objektkundenge- beschleunigt. Dies dürfte unmittelbar auf die volle schäft. Für Leiharbeit gilt ein Mindestlohn, der Arbeitnehmerfreizügigkeit zurückzuführen sein, die im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verankert für Pol/inn/en seit dem 1. Mai 2011 in Kraft ist. Am ist. 30. Juni 2013 arbeiteten insgesamt 221.025 Pol/ inn/en in Deutschland. 2. Jüngere Arbeitsmigration in Die Zahl bulgarischer und rumänischer Arbeitneh- Deutschland und Niedersachsen: mer/innen in Deutschland stieg bis 2007 nur sehr Daten und Fakten langsam und auf niedrigem Niveau an. Sie ist aller- dings ab 2007, dem Jahr des Beitritts beider Länder Die Datenlage zu mobiler Beschäftigung ist äußerst zur Europäischen Union, insbesondere bei rumä- schlecht. Es gibt relativ gute Zahlen zu Beschäftig- nischen Arbeitnehmer/innen deutlich gewachsen. ten aus dem Ausland, die sich – etwa im Rahmen 2013 hatte sich die Zahl rumänischer Arbeitnehmer/ der Arbeitnehmerfreizügigkeit – in Deutschland als innen mit 84.805 Personen gegenüber 2007 mehr Arbeitnehmer/innen aufhalten. Allerdings sind nicht als verdreifacht. alle dieser Menschen als mobile Beschäftigte im engeren Sinne zu bezeichnen. Zu entsandten Be- Bei spanischen Arbeitnehmer/innen in Deutsch- schäftigten hingegen ist die Datenlage schon deut- land ist im Zeitraum 2000 bis 2010 ein Rückgang lich schlechter, während zu Scheinselbständigen zu beobachten, seither wieder ein Anstieg. Im Jahr bzw. Solo-Werkvertragsunternehmer/innen keinerlei 2013 lag die Zahl spanischer Arbeitnehmer/innen Zahlen vorliegen. mit 48.546 Personen erstmals über dem Wert des Jahres 2000. Dies dürfte in erster Linie auf die ak- Die folgenden Ausführungen beziehen sich deshalb tuelle Finanz- und Wirtschaftskrise zurückzuführen zunächst ausschließlich auf sozialversicherungs- sein, von der das Land besonders betroffen ist. Eine pflichtig in Deutschland Beschäftigte mit nicht- ähnliche Entwicklung aus dem gleichen Grund lässt deutscher Staatsbürgerschaft. Sie beziehen sich sich auch für griechische Arbeitnehmer/innen in also nicht auf entsandte Beschäftigte und nicht auf Deutschland feststellen (nicht in Abbildung 1 ent- Solo-Werkvertragsunternehmer/innen. Dabei bilden halten): 2000 betrug deren Zahl 111.581 Personen, Arbeitnehmer/innen aus Polen, Bulgarien und Ru- war dann bis 2010 auf 85.526 Personen zurückge- mänien den Schwerpunkt der Darstellung; dies sind gangen und seither wieder auf 110.469 Personen in der Regel die zahlenmäßig wichtigsten EU-Her- angestiegen. kunftsländer. Hinzu kommen einige Betrachtungen zu Arbeitnehmer/innen aus südeuropäischen Län- Abbildung 2 gibt die Verteilung polnischer, bul- dern, insbesondere aus Spanien. garischer und rumänischer Arbeitnehmer/innen in 6 DGB Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
Abb. 1: Arbeitnehmer/innen 250.000 mit polnischer, rumänischer, Polen Rumänien bulgarischer und spani- Bulgarien 200.000 scher Staatsbürgerschaft in Spanien Deutschland, 2000 – 2013; Stichtag jeweils der 30. Juni 150.000 des Jahres. Quelle: Bundes- agentur für Arbeit, eigene 100.000 Darstellung und Berechnung. 50.000 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Deutschland auf verschiedene Branchenbereiche Die meisten bulgarischen (19,7 Prozent) und rumä- wieder. Es wird deutlich, dass der Branchenbereich nischen (18,5 Prozent) Arbeitnehmer/innen finden „Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienst- sich im Gastgewerbe, also in Hotels und Gaststät- leistungen“ für alle drei Gruppen eine wichtige ten. Für polnische Beschäftigte hingegen spielt die- Rolle spielt. Für polnische Arbeitnehmer/innen ist se Branche nur eine untergeordnete Rolle. es der mit Abstand wichtigste (20,6 Prozent aller polnischen Arbeitnehmer/innen), für bulgarische Ar- Für Arbeitnehmer/innen aus allen drei Ländern sind beitnehmer/innen der zweitwichtigste (19 Prozent). auch das Verarbeitende Gewerbe sowie das Bau- Insbesondere die Branchen Gebäudereinigung, gewerbe wichtige Branchenbereiche. Beim Ver- Garten- und Landschaftsbau sowie Leiharbeit dürf- arbeitenden Gewerbe dürften insbesondere die ten hier in großem Umfang Arbeitnehmer/innen aus Nahrungsmittelindustrie einschließlich Fleischverar- den genannten Ländern beschäftigen. Zudem dürfte beitung sowie die Metallindustrie eine große Rolle diesem Branchenbereich ein großer Teil derjenigen spielen. Immerhin 13,3 Prozent aller Rumän/inn/en Arbeitnehmer/innen zugeordnet sein, die in Subun- und Polen/Polinnen arbeiten im Verarbeitenden Ge- ternehmen von Unternehmen des Verarbeitenden werbe, für Bulgar/inn/en ist es mit 10,3 Prozent der Gewerbes oder des Baugewerbes tätig sind. Hier zweitwichtigste Branchenbereich. Wie ausgeführt, ist allerdings die Abgrenzung schwierig. Von Unge- wird diesem Branchenbereich aufgrund von Ab- nauigkeiten bei der Zuordnung ist auszugehen – ein grenzungsschwierigkeiten in der amtlichen Statistik (vermutlich kleinerer) Teil dieser Arbeitnehmer/innen vermutlich ein kleinerer Teil derjenigen Arbeitneh- könnte in der amtlichen Statistik auch direkt dem mer/innen zugeordnet, die in Subunternehmen von Verarbeitenden Gewerbe bzw. dem Baugewerbe Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes oder zugeordnet sein. des Baugewerbes tätig sind. 7
0 5 10 15 20 25 30 35 40 Abb. 2: Arbeitnehmer/innen mit Land- und Forstwirtschaft, Fischerei polnischer, rumänischer und Verarbeitendes Gewerbe bulgarischer Staatsbürgerschaft Baugewerbe in Deutschland, nach ausge- Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeug wählten Branchenbereichen; Verkehr und Lagerei Gliederung der Branchenbe- Gastgewerbe reiche nach WZ2008; Stichtag Information und Kommunikatio 30. Juni 2013; in Prozent aller Erbringung von freiberuflichen, wissensch. und techn. Dienstleis Arbeitnehmer/innen mit der Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistunge Erziehung und Unterricht jeweiligen Staatsbürgerschaft. Gesundheits- und Sozialwesen Quelle: Bundesagentur für Kunst, Unterhaltung und Erholung Arbeit, eigene Darstellung und Erbringung von sonstigen Dienstleistungen Rumänien Bulgarien Polen Berechnung. Private Haushalte Für Arbeitnehmer/innen aus allen drei Ländern ist Die Abbildungen 2 und 3 ermöglichen damit einen ferner das Gesundheits- und Sozialwesen von Be- direkten Vergleich der Beschäftigung polnischer, ru- deutung, die meisten dürften hier in der Pflege mänischer und bulgarischer Arbeitnehmer/innen in arbeiten. Für polnische und rumänische Arbeitneh- Deutschland auf der einen und in Niedersachsen auf mer/innen, nicht aber für bulgarische, spielen zudem der anderen Seite. Land- und Forstwirtschaft eine große Rolle. Auffällig ist der enorm hohe Anteil bulgarischer Be- Abbildung 3 zeigt, in welchen Branchenbereichen schäftigter, die im Verarbeitenden Gewerbe Nieder- polnische, rumänische und bulgarische Arbeitneh- sachsens tätig sind: Fast 36 Prozent – in Deutsch- mer/innen in Niedersachsen überwiegend tätig sind. land insgesamt sind es lediglich 10,3 Prozent. Dies 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Abb. 3: Arbeitnehmer/innen mit Land- und Forstwirtschaft, Fischerei polnischer, rumänischer und Verarbeitendes Gewerbe bulgarischer Staatsbürgerschaft Baugewerbe in Niedersachsen, nach ausge- Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeug wählten Branchenbereichen; Verkehr und Lagerei Gliederung der Branchenbe- Gastgewerbe reiche nach WZ2008; Stichtag Information und Kommunikatio Erbringung von freiberuflichen, wissensch. und techn. Dienstleis 30. Juni 2013; in Prozent aller Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistunge Arbeitnehmer/innen mit der Erziehung und Unterricht jeweiligen Staatsbürgerschaft. Gesundheits- und Sozialwesen Quelle: Bundesagentur für Ar- Kunst, Unterhaltung und Erholung beit, eigene Darstellung und Erbringung von sonstigen Dienstleistungen Rumänien Bulgarien Polen Berechnung. Private Haushalte 8 DGB Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
dürfte im Wesentlichen auf die in Niedersachsen 28 Prozent der Zunahme bei der Beschäftigung pol- stark vertretene Fleischindustrie, möglicherweise nischer Arbeitnehmer/innen entfielen auf den Bran- auch auf die Metallindustrie zurückzuführen sein. chenbereich „Erbringung von sonstigen wirtschaftli- Dafür spricht nicht zuletzt der Umstand, dass auch chen Dienstleistungen“. In Niedersachsen waren es für polnische und rumänische Arbeitnehmer/innen in immerhin 24,1 Prozent. Damit ist der Branchenbe- Niedersachsen die Beschäftigung im Verarbeitenden reich, in dem 2013 die meisten polnischen Beschäf- Gewerbe eine überdurchschnittliche Bedeutung hat. tigten tätig waren, auch der, auf den der größte Teil des seit 2007 eingetretenen Zuwachses entfällt. Für alle drei Beschäftigtengruppen spielt in Nieder- Die wichtigsten Branchen dürften dabei einmal sachsen die Beschäftigung in der Land- und Forst- mehr die Gebäudereinigung, der Garten- und Land- wirtschaft eine größere Rolle als in Deutschland schaftsbau sowie die Leiharbeit sein. Zudem dürfte insgesamt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die diesem Branchenbereich, wie oben ausgeführt, ein Landwirtschaft in Niedersachsen generell eine über- großer Teil derjenigen Arbeitnehmer/innen zugeord- durchschnittliche Bedeutung hat. Wichtig ist ferner, net sein, die in Subunternehmen von Unternehmen wie auch in Deutschland insgesamt, die Beschäf- des Verarbeitenden Gewerbes oder des Baugewer- tigung in Unternehmen des Gastgewerbes und im bes tätig sind. Bereich der „sonstigen wirtschaftlichen Dienstleis- tungen“. Vergleicht man die Daten für Niedersachsen mit denen für Deutschland insgesamt, so fällt auf, dass Will man Veränderungen beim Umfang der Be- in diesem Bundesland ein überdurchschnittlicher schäftigung nicht-deutscher Arbeitnehmer/innen Anteil der Zunahme polnischer Arbeitnehmer/innen einschätzen, so ist es sinnvoll zu betrachten, wie auf Land- und Forstwirtschaft sowie auf das Verar- sich deren Zunahme auf verschiedene Branchenbe- beitende Gewerbe entfällt. reiche verteilt. Abbildung 4 zeigt dies für polnische Beschäftigte in Niedersachsen und in Deutschland Während nur ein geringer Teil der zusätzlichen insgesamt, hier für den Zeitraum 2007 bis 2013. polnischen Beschäftigten im Gastgewerbe arbei- Abb. 4: Verteilung der Zunahme 30 Deutschland Niedersachsen polnischer Arbeitnehmer/innen 25 auf Branchenbereiche, 2013 20 gegenüber 2007, Deutschland, 15 Niedersachsen, in Prozent; Glie- derung der Branchenbereiche 10 nach WZ2008, Stichtag jeweils 5 der 30. Juni des Jahres. 0 Erbringung von freiberuflichen, Reparatur von Kraftfahrzeugen Land- und Forstwirtschaft, Erbringung von sonstigen Verarbeitendes Gewerbe Verkehr und Lagerei Quelle: Bundesagentur für Private Haushalte Baugewerbe Gesundheits- und Gastgewerbe Handel; Instandhaltung und Sozialwesen Dienstleistungen wirtschaftlichen wissensch. und techn. Arbeit, eigene Darstellung und Fischerei Dienstleist. Berechnung. 9
ten, beschäftigt dieser Branchenbereich immerhin Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes und 19,9 Prozent der zusätzlichen rumänischen Arbeit- des Baugewerbes sein. nehmer/innen. Für sie ist dies damit der wichtigste Branchenbereich, vgl. Abbildung 5. Auffällig ist fer- Vergleicht man die genannten Daten zur Verteilung ner, dass – wie bei polnischen – die Beschäftigung der Zunahme polnischer und rumänischer Arbeit- rumänischer Arbeitnehmer/innen in Land- und nehmer/innen auf verschiedene Branchenbereiche Forstwirtschaft sowie im Verarbeitenden Gewerbe (Abbildungen 4 und 5) mit den Daten zu spani- deutlich zugenommen hat. Einmal mehr spielen schen Beschäftigten (aus Abbildung 6), so fallen diese beiden Branchenbereiche in Niedersachsen deutliche Unterschiede auf. eine größere Rolle als in Deutschland insgesamt. Hingegen wird in Niedersachsen nur ein unter- Wie bei polnischen und rumänischen Arbeitneh- durchschnittlicher Teil der zusätzlichen rumänischen mer/innen, so entfällt bei spanischen Arbeitnehmer/ Arbeitnehmer/innen im Baugewerbe beschäftigt innen ein großer Teil der seit 2007 eingetretenen (2,7 Prozent), anders als in Deutschland insgesamt zusätzlichen Beschäftigung auf den Branchenbe- (8,3 Prozent). reich „Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen“. In Deutschland insgesamt sind Auch bei der Zunahme bei der Beschäftigung ru- dies 17,2 Prozent. In Niedersachsen hat dieser mänischer Arbeitnehmer/innen entfiel ein großer Branchenbereich mit 28,2 Prozent sogar die meis- Anteil auf den Branchenbereich „Erbringung von ten der zusätzlichen spanischen Arbeitnehmer/in- sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen“, in nen beschäftigt. Deutschland insgesamt 12,5 Prozent, in Nieder- sachsen sogar 18,5 Prozent. Die wichtigsten Ar- Auffällig ist, dass sowohl in Deutschland insgesamt beitgeber dürften dabei erneut Unternehmen der als auch in Niedersachsen ein großer Anteil der zu- Gebäudereinigung, des Garten- und Landschafts- sätzlichen spanischen Arbeitnehmer/innen im Bran- baus, der Leiharbeit sowie Subunternehmen von chenbereich „Erbringung von freiberuflichen, wis- 25 Abb. 5: Verteilung der Zunah- Deutschland Niedersachsen me rumänischer Arbeitneh- 20 mer/innen auf Branchenberei- 15 che, 2013 gegenüber 2007, 10 Deutschland, Niedersachsen, in Prozent; Gliederung der Bran- 5 chenbereiche nach WZ2008, 0 Stichtag jeweils der 30. Juni des Kunst, Unterhaltung und Erholung Reparatur von Kraftfahrzeugen wirtschaftlichen Dienstleistungen Land- und Forstwirtschaft, Verarbeitendes Gewerbe Verkehr und Lagerei Erbringung von freiberuflichen, wissensch. und techn. Dienstleist. Gesundheits- und Sozialwesen Baugewerbe Gastgewerbe Handel; Instandhaltung und Erbringung von sonstigen Jahres. Quelle: Bundesagentur Fischerei für Arbeit, eigene Darstellung und Berechnung. 10 DGB Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
senschaftlichen und technischen Dienstleistungen“ wesen für alle drei Beschäftigtengruppen nur von beschäftigt sind (19,9 Prozent bzw. 12,3 Prozent). unterdurchschnittlicher Wichtigkeit. Dieser Wert liegt weit über den entsprechenden Werten für polnische oder rumänische Arbeitneh- Nun seien noch zwei Beschäftigungsformen genau- mer/innen. Dem genannten Branchenbereich sind er betrachtet, die für nicht-deutsche Arbeitnehmer/ Rechts- und Steuerberatung, Unternehmensbera- innen von einiger Bedeutung sind: Leiharbeit so- tung, Werbung und Marktforschung, Forschung wie ausschließlich kurzfristige Beschäftigung. Beide und Entwicklung, Übersetzen und Dolmetschen, sind häufig mit prekären Beschäftigungsverhältnis- Design, Architektur- und Ingenieurbüros zugeord- sen verbunden. net. Bei den in jüngster Zeit nach Deutschland ge- kommenen spanischen Arbeitnehmer/innen dürften Abbildung 7 zeigt den Anstieg der Beschäftigung insbesondere die drei letztgenannten Branchen griechischer, italienischer, portugiesischer, spani- von einiger Bedeutung sein. Dies ist als Hinweis scher, polnischer, rumänischer und bulgarischer Ar- zu werten, dass ein veritabler Teil der spanischen beitnehmer/innen in der Leiharbeit in Deutschland Immigrant/inn/en höher qualifizierten Tätigkeiten und in Niedersachsen. Auf den ersten Blick ist zu nachgeht. erkennen, dass sowohl in Deutschland als auch in Niedersachsen der größte Anstieg bei der Beschäf- 10,5 Prozent der zusätzlichen Beschäftigung spani- tigung in Leiharbeit (jedenfalls für die in der Abbil- scher Arbeitnehmer/innen entfallen auf den Bran- dung 7 aufgeführten Länder) bei polnischen Arbeit- chenbereich Gesundheits- und Sozialwesen, hier nehmer/innen stattfand. Um über 21.500 Personen wohl insbesondere auf Alten- und Krankenpflege. bundesweit, davon fast 2.500 aus Niedersachsen, Damit liegt dieser Wert für Deutschland insgesamt stieg die Zahl polnischer Staatsbürger/innen an, die höher als bei rumänischen (8,7 Prozent) und polni- in Leiharbeit tätig sind. In Deutschland insgesamt schen (6,3 Prozent) Arbeitnehmer/innen. In Nieder- wie auch in Niedersachsen betrug der Anteil polni- sachsen allerdings ist das Gesundheits- und Sozial- scher Leiharbeiter/innen an allen Leiharbeiter/innen Abb. 6: Verteilung der Zunahme 30 spanischer Arbeitnehmer/innen 25 Deutschland Niedersachsen auf Branchenbereiche, 2013 20 gegenüber 2007, Deutschland, Niedersachsen, in Prozent; Glie- 15 derung der Branchenbereiche 10 nach WZ2008, Stichtag jeweils 5 der 30. Juni des Jahres. Quelle: 0 Handel; Instandhaltung und Erziehung und Unterricht Information und Bundesagentur für Arbeit, ei- Erbringung von sonstigen Kommunikation freiberuflichen, wissensch. Verkehr und Lagerei Baugewerbe Gesundheits- und Gastgewerbe und techn. Dienstleist. Sozialwesen Dienstleistungen wirtschaftlichen gene Darstellung und Berech- Kraftfahrzeugen Erbringung von Reparatur von nung. 11
25.000 2.500 Abb. 7: Zunahme der Beschäfti- Deutschland Niedersachsen gung griechischer, italienischer, portugiesischer, spanischer, pol- 20.000 2.000 nischer, rumänischer und bulga- rischer Arbeitnehmer/innen in 15.000 1.500 der Leiharbeit, 2013 gegenüber 2007, Deutschland, Niedersach- sen, in Personen; Definition der 10.000 1.000 Branche nach WZ2008, Stichtag jeweils der 30. Juni des Jah- 5.000 500 res. Quelle: Bundesagentur für Arbeit, eigene Darstellung und Berechnung. 0 0 Griechenland Italien Portugal Spanien Polen Rumänien Bulgarien 2007 noch 0,4 Prozent. 2013 war er schon auf 3,2 mehr als insgesamt 70 Arbeitstage beträgt. Das da- Prozent angestiegen. bei gezahlte Gehalt darf 450 Euro pro Monat nicht überschreiten. Kurzfristige Beschäftigungen sind Die zweit- und drittgrößten Gruppen (erneut nur nicht sozialversicherungspflichtig, worin ihre be- unter den in der Abbildung 7 aufgeführten Län- sondere Attraktivität für Arbeitgeber besteht. Die- dern) sind in Deutschland griechische (3.024 Per- ses Modell wird vor allem in der Saisonarbeit und sonen) und italienische (2.537 Personen) Arbeit- hier besonders in der Landwirtschaft für den Ein- nehmer/innen. In Niedersachsen hingegen ver- satz von Erntehelfer/inne/n gewählt. Beispielswei- zeichneten rumänische Arbeitnehmer/innen mit se dürfte (laut telefonischer Auskunft der Bundes- 486 Personen den zweitgrößten Zuwachs. Festzu- agentur für Arbeit) bei rumänischen Arbeitnehmer/ halten bleibt, dass seit 2007 die Zahl der Leihar- inne/n, die ausschließlich kurzfristig beschäftigt beitsbeschäftigten aus den genannten Ländern in werden, der Anteil der Beschäftigten in der Land- Deutschland angestiegen ist – und zwar absolut wirtschaft etwa 80 Prozent betragen. wie auch relativ. Der insgesamt vergleichsweise niedrige Anstieg bei rumänischen und bulgarischen Der addierte Anteil rumänischer und polnischer Arbeitnehmer/inne/n könnte ein Hinweis darauf ausschließlich kurzfristig Beschäftigter an allen sein, dass diese eher über Werkvertragskonstruktio- ausschließlich kurzfristig Beschäftigten in Nieder- nen beschäftigt werden. sachsen ist hoch. Er stieg in den letzten Jahren von unter 30 Prozent in 2004 auf über 41 Prozent in Abbildung 8 gibt den Anteil der ausschließlich 2013 an. Diese Zunahme ist insbesondere auf die kurzfristig Beschäftigten aus Polen und Rumänien stärkere Beschäftigung rumänischer Arbeitnehmer/ an allen ausschließlich kurzfristig Beschäftigten in innen zurückzuführen. Hingegen ging die Beschäf- Niedersachsen für die Jahre 2004 bis 2013 wieder. tigung polnischer Arbeitnehmer/innen lange sogar Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn die deutlich zurück, seit 2011 stagniert sie in etwa, Beschäftigung für eine von vornherein befristete wie Abbildung 8 zeigt. Hier findet offenbar eine Zeit ausgeübt wird, die in einem Kalenderjahr nicht Verschiebung statt: Polnische Arbeitnehmer/innen 12 DGB Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
Abb. 8: Anteil ausschließlich 40.000 35 kurzfristig Beschäftigter aus Po- 35.000 30 len und Rumänien an allen aus- schließlich kurzfristig Beschäf- 30.000 25 tigten, 2004-2013, Niedersach- 25.000 20 sen, in Prozent; Stichtag jeweils 20.000 der 30. Juni des Jahres. Quelle: 15 Bundesagentur für Arbeit, ei- 15.000 10 gene Darstellung und Berech- 10.000 nung. 5 5.000 0 0 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Aus Polen in Niedersachsen (Prozent) (rechte Achse) Aus Rumänien in Niedersachsen (Prozent) (rechte Achse) Niedersachsen gesamt (linke Achse) werden durch rumänische ersetzt. Über die Grün- nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer/innen de kann man nur spekulieren: Möglicherweise sind liegen schlicht nicht vor. Die EU-Kommission hat al- diese Arbeitsplätze für Pol/inn/en heute nicht mehr lerdings ältere Daten zur Zahl der Bescheinigungen attraktiv, weil sie Alternativen haben. Oder aber über die Entsendung nach Deutschland, die zu- Rumän/inn/en sind für landwirtschaftliche Arbeitge- mindest näherungsweise Aussagen treffen lassen. ber günstigere Saisonbeschäftigte. Abbildung 9 gibt die Länder wieder, auf die min- destens 10.000 Bescheinigungen über die Entsen- Die bisherigen Ausführungen beziehen sich, dar- dung von Arbeitnehmer/innen nach Deutschland an sei erinnert, ausschließlich auf die Gruppe der entfallen. Es zeigt sich, dass 2011 die mit Abstand Arbeitnehmer/innen, die sich im Rahmen der EU- meisten Entsendebescheinigungen zur Entsendung Freizügigkeit in Deutschland aufhalten. Nicht alle von Arbeitnehmer/inne/n nach Deutschland in Po- von ihnen sind als mobile Beschäftigte im engeren len ausgestellt wurden (125.804). Auf den nächs- Sinne anzusehen. Die Datenlage bei Solo-Selbstän- ten Plätzen folgen Ungarn (35.961) und Rumänien digen (oft Scheinselbständigen) sowie bei ent- (31.609). In dieser Liste finden sich mit Frankreich sandten Beschäftigten ist sehr viel schlechter. Zur (21.881) und Österreich (15.245) auch zwei west- Lebens- und Arbeitssituation nicht-deutscher Solo- europäische Länder. Selbständiger lassen sich schlicht keinerlei seriösen statistischen Angaben machen. Hier wäre lediglich Für Frankreich und Österreich liegt keine Aufteilung zu verweisen auf Erfahrungen aus Beratungsstel- nach Branchenbereichen vor. Gleichwohl liegt die len und Gewerkschaften. Diese legen nahe, dass Vermutung nahe, dass es sich dabei überwiegend diese Gruppe von Beschäftigten in nicht geringem um Entsendungen von höher qualifizierten Arbeits- Umfang existiert und Fälle von Arbeitsausbeutung kräften mit Dienstleistungstätigkeiten handelt. Hin- regelmäßig vorkommen. gegen stehen bei der Entsendung aus Polen, Rumä- nien und Ungarn eindeutig die Industrie sowie das Kaum besser ist die Datenlage bezüglich entsand- Baugewerbe im Vordergrund, wie Abbildung 10 ter Beschäftigter. Verlässliche Daten zur Zahl der zeigt. 13
140.000 Abbildung 9: Ausgestellte Ent- sendebescheinigungen zur 120.000 Entsendung nach Deutschland, 2011, aufgeführt Länder mit 100.000 mindestens 10.000 Entsen- debescheinigungen. Quelle: 80.000 Europäische Kommission, 60.000 eigene Darstellung. 40.000 20.000 0 Polen Ungarn Rumänien Frankreich Slowenien Österreich Slowakei Ein Vergleich der Verteilung von polnischen und ru- Die hier vorgestellten Daten sind aus verschiede- mänischen Arbeitnehmer/inne/n (Abbildung 2) und nen Gründen mit Vorsicht zu betrachten. Trotzdem von Entsendebescheinigungen aus Polen und Ru- legen sie nahe, dass es zwischen der Beschäftigung mänien (Abbildung 10) auf verschiedene Branchen- von Arbeitnehmer/inne/n aus Ost- und auch Süd- bereiche ist nicht möglich. Die Branchenbereiche europa und prekären Arbeits- und Lebensverhält- werden bei den jeweils zugrunde gelegten Daten nissen einen gewissen Zusammenhang gibt. So gilt unterschiedlich abgegrenzt. Eine grobe Überein- zumindest tendenziell: In jenen Branchenbereichen, stimmung allerdings lässt sich insofern erkennen, in denen prekäre und atypische Beschäftigung als Industrie bzw. Verarbeitendes Gewerbe sowie überdurchschnittlich weit verbreitet ist, gibt es Baugewerbe bei beiden eine große Rolle spielen. Abbildung 10: Branchen, in de- Polen Ungarn Rumänien nen in Deutschland entsandte Beschäftigte aus Polen, Ungarn und Rumänien tätig sind, 2011. Quelle: Europäische Kom- mission, eigene Darstellung. Landwirtschaft Industrie ohne Bau Baugewerbe Dienstleistungen 14 DGB Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
überdurchschnittlich viele nicht-deutsche und mo- Ein norddeutscher Klinikkonzern hatte in Zu- bile Arbeitnehmer/innen. sammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt 25 junge TunesierInnen angeworben, um sie zu 3. Zur Lebens- und Arbeitssituation Pflegekräften auszubilden. Für einen halbjäh- rigen Sprachkurs sollten sie ein Darlehen von mobiler Beschäftigter 19.000 Euro aufnehmen. Nach sechs Monaten hätten sie selbst für Kost und Logis aufkommen Es gibt mittlerweile mehrere Beratungsstellen in müssen, finanziert aus einer Ausbildungsvergü- Deutschland, die sich gezielt an mobile Beschäf- tung von 620 Euro pro Monat. Damit hätten sie tigte wenden. Die allermeisten von ihnen wurden ihre Ausbildung faktisch selbst finanziert, und gewerkschaftlich initiiert und werden von gewerk- dies ohne Garantie, anschließend übernommen schaftsnahen Einrichtungen geführt. Insbesonde- und tariflich vergütet zu werden. Als die jungen re das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, Leute sich weigerten, unter diesen Bedingun- der Bundesregierung und des Deutschen Gewerk- gen die Ausbildung anzutreten, kam der Fall im schaftsbundes finanzierte Projekt „Faire Mobilität“ Jahr 2013 an die Öffentlichkeit. In lokalen Zei- ist hier zu nennen. In seinem Rahmen arbeiten tungen wurde der Eindruck erweckt, die jungen Berater/innen in Berlin, Hamburg, Dortmund, Frank- Menschen seien arbeitsunwillig; die tatsächli- furt, München und Stuttgart. chen Hintergründe des Falls wurden nur teil- weise korrekt wiedergegeben. Unabhängig von „Faire Mobilität“ gibt es seit Ende 2013 auch in Niedersachsen Beratungsstellen, und nachdenkseiten.de, 19.08.2013 zwar in Hannover und Oldenburg. Sie sind bei der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben angesiedelt. kehrende Strukturen und Mechanismen kurz und Finanziert werden sie vom Land Niedersachsen knapp dargestellt. (beide Beratungsstellen) und der Region Hannover (nur Beratungsstelle Hannover). Beraten wird vor- Vermittlung nach Deutschland rangig in den Sprachen Polnisch, Rumänisch und Die Anwerbung im Herkunftsland erfolgt in den Bulgarisch; bei Bedarf können Übersetzer/innen meisten Fällen über Dritte aus dem Herkunftsland, hinzugezogen werden. Schon seit einigen Jahren über Subunternehmen sowie insbesondere über gibt es in Hamburg eine Beratungsstelle, die immer Agenturen. In manchen Fällen inserieren deutsche wieder auch Beratungsfälle aus dem niedersächsi- Firmen auch direkt im Herkunftsland. Generell wer- schen Umland von Hamburg hat. den bevorzugt Menschen aus ländlichen Regionen geworben. Die Beratungspraxis in diesen Einrichtungen zeigt, dass die Strukturen und Mechanismen, durch die Für die meisten der Vermittler steht das eigene viele mobile Beschäftigte in ausbeuterische Arbeits- Wohl im Vordergrund, nicht selten werden Gebüh- verhältnisse geführt bzw. gezwungen werden, über ren für die Vermittlung oder überteuerte Transfer- die verschiedenen Herkunftsländer und Branchen kosten veranschlagt. Eine umfassende und inhalt- hinweg eine erstaunliche Einheitlichkeit aufweisen. lich korrekte Information der mobilen Beschäftigten Im Nachfolgenden werden einige immer wieder- über den Arbeitsmarkt in Deutschland, über Be- schäftigungsmöglichkeiten, Rechte und Pflichten 15
erfolgt nicht. Den mobilen Beschäftigten werden Das zeigt: Mobile Beschäftigte sind in den aller- allerdings immer gleiche Versprechungen gemacht: meisten Fällen auf bestehende Strukturen und ein im Vergleich zum Herkunftsland relativ guter Netzwerke angewiesen. Dabei können sie in Einzel- Lohn, eine bezahlte Unterkunft, geregelte Arbeits- fällen auf Verwandte und Bekannte zurückgreifen. zeiten, eine sozialversicherungspflichtige Beschäfti- Im Regelfall aber sind sie auf Dritte verwiesen, die gung sowie geregelter Urlaub und geregelte Wo- eigene kommerzielle Interessen verfolgen. chenenden. Leben und Wohnen in Deutschland und In einigen Fällen reisen mobile Beschäftigte auf Niedersachsen eigene Faust nach Deutschland. Sie informieren Mobile Beschäftigte in Deutschland benötigen sich über das Internet, über Bekannte oder Ver- Arbeit und eine Wohnung. Sie haben Papierkram wandte. Spätestens in Deutschland sind allerdings im Umgang mit Behörden zu erledigen, etwa Kin- auch sie darauf angewiesen, über Vermittler o.ä. an dergeld zu beantragen. Sie müssen sich Versiche- Arbeit zu kommen. Hier fallen, wie auch für andere rungen und Handys besorgen und gegebenenfalls „Dienstleistungen“ fragwürdiger Anbieter, oft hohe die Betreuung ihrer Kinder sicherstellen. Im Falle Gebühren an (siehe unten). von Krankheiten oder Unfällen müssen sie sich mit Krankenkassen auseinandersetzen. Soweit es sich um Scheinselbständige handelt, benötigen sie Im Dezember 2012 erstatteten mehrere Ungar/ eine Firmenadresse. Gerade, wenn die Migrant/ inne/n Anzeige gegen ein Subunternehmen, inn/en erst kurze Zeit hier leben, sind sie für die- bei dem sie angestellt waren und das sie im se und andere Zwecke auf Dritte angewiesen. So Rahmen eines Werkvertrags bei einem nord- hat sich ein Markt für entsprechende Dienstleis- deutschen Wursthersteller einsetzte. Ohne es tungen herausgebildet. (Das Phänomen ist keines- zu wissen, hatten sie statt eines Arbeitsvertrags wegs neu: Schon zu Zeiten der „Gastarbeiter“ der einen Werkvertrag mit dem Subunternehmen 1960er Jahre gab es „Dienstleister“ für die neu unterschrieben. Sie wurden so zu Scheinselb- eingewanderten Türk/inn/en, Italiener/innen, Jugo- ständigen und Sub-Sub-Unternehmer/inne/n slaw/inn/en usw.) gemacht. Versprochen wurde ihnen ein Lohn von 1000 Euro im Monat. Erhalten haben sie Diese Dienstleistungen, etwa das Vermitteln von wechselnde, aber deutlich niedrigere Beträge Arbeit, das Schreiben von Briefen oder das Ausfül- in bar. Untergebracht waren sie in schäbigen len von Formularen, sind kostenpflichtig und teuer. Mehrbett-Zimmern, für die sie monatlich 160 Das Ausfüllen eines Kindergeldantrags etwa, für Euro pro Person bezahlen mussten (weitere viele mobile Beschäftigte überlebenswichtig, kostet 160 Euro übernahm das Subunternehmen). Erst in der Regel einen zweistelligen Eurobetrag zuzüg- nach sechs Monaten trennte sich der Wursther- lich einer „Erfolgsbeteiligung“. Erbracht werden steller von seinem Subunternehmer. In der die Dienstleistungen im Regelfall von anderen Mig- Verantwortung, ausstehende Löhne der etwa rant/inn/en – von Menschen, die sich schon länger 100 Arbeiter/innen zu begleichen, sah sich der in Deutschland aufhalten und gewisse sprachliche Wursthersteller allerdings nicht. und inhaltliche Kenntnisse erwerben konnten. In einigen Fällen übernehmen diese „Dienstleister“ hinzundkunzt.de, 31.03.2014 gleich den Briefkastenschlüssel ihrer „Kund/inn/ 16 DGB Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
en“, häufig behalten sie ihre Unterlagen. Hierdurch entsteht eine ausgeprägte Abhängigkeit. Seriös sind diese Anbieter nicht, die Grenzen zu Kriminalität und Wucher sind fließend. Ihre Quali- tät, gerade wenn es um Rechtsfragen im Umgang mit Behörden geht, ist schlecht. Gerade vor diesem Hintergrund zeigt sich, wie wichtig seriöse Bera- tungsstellen für mobile Beschäftigte sind. Die meisten mobilen Beschäftigten kommen zu- nächst alleine nach Deutschland; sofern sie Familie haben, bleibt diese zunächst im Herkunftsland. Ein Neuanfang in Deutschland ist für eine einzelne Per- son zunächst einfacher zu bewerkstelligen. Hinzu kommt, dass der Aufenthalt oft nur vorübergehend sein soll. Zeichnet sich allerdings eine längere oder dauerhafte Wohnsitznahme in Deutschland ab, so versuchen sie, ihre Familie nachzuholen. Damit stellt sich, sofern Kinder in der Familie leben, die Frage nach deren Kita- oder Schulbesuch. Dies te weit verbreitet: ehemalige Kasernen, ehemali- gilt umso mehr, als im Regelfall beide Elternteile ge Hotels, Scheunen (in der Landwirtschaft) oder arbeiten gehen müssen, um überleben zu können. Container (in der Bauwirtschaft). Dabei leben nicht Informationen über Schulen und Kitas aber sind selten mehrere Personen in einem Zimmer, teilt sich für betroffene mobile Beschäftigte nicht einfach zu eine große Anzahl Bewohner/innen eines oder we- erlangen. nige Bäder. Privatsphäre ist in diesen Sammelunter- künften nicht gegeben. Gerade in Kommunen mit einem hohen Anteil mo- biler Beschäftigter etwa aus der Fleisch- oder Me- In Niedersachsen hat sich seit zwei bis drei Jahren tallindustrie fehlt den Behörden ein Überblick über eine Diskussion um die Unterkünfte mobiler Be- die Zahl der neu ankommenden schulpflichtigen schäftigter entwickelt. Verstärkt wurde sie durch Kinder. Dies ist einmal mehr ein Grund für die Be- den Tod zweier rumänischer mobiler Beschäftigter deutung, die Beratungsstellen für mobile Beschäf- in der Nähe von Papenburg im Sommer 2013. Bei- tigte wie auch kommunalen Migrationsberatungs- de waren beim Brand ihrer Unterkunft ums Leben stellen zukommt. gekommen. Im Januar 2014 hat die niedersächsi- sche Landesregierung einen Erlass veröffentlicht, Die Wohnverhältnisse mobiler Beschäftigter sind der Mindeststandards festlegt. Demzufolge müssen überwiegend einfach bis katastrophal. In Regionen auf jede/n Arbeiter/in mindestens sechs Quadrat- und Branchen, in denen eine größere Zahl mobi- meter im Schlafraum und mindestens acht Quad- ler Beschäftigter tätig ist, sind Sammelunterkünf- ratmeter Platz im restlichen Wohnbereich kommen. 17
Wenn mehr als sechs Menschen in einer Unterkunft finden ist, am Ausmaß schlechter Bezahlung oder leben, ist zusätzliche Wohnfläche zur Verfügung auch am Ausmaß unbeliebter Tätigkeiten. Oder mit zu stellen. Ausreichender Brandschutz, Wärme und anderen Worten: Menschen ausländischer Herkunft Trockenheit sind zu gewährleisten, Jalousien oder sind besonders häufig von prekärer Beschäftigung Vorhänge an den Fenstern anzubringen. Männer und von Niedriglöhnen betroffen. Zudem üben sie und Frauen sind getrennt unterzubringen. Jede in besonders hohem Maße unbeliebte, insbesonde- Wohnung muss über ein Telefon verfügen, um im re körperlich anstrengende Tätigkeiten aus. Dabei Notfall Hilfe rufen zu können. finden sich tendenziell Migrant/inn/en jener Nati- onalitäten, aus denen später als bei anderen Nati- Mit diesem Erlass wurden seitens der Landesregie- onalitäten größere Migrant/inn/en-Gruppen nach rung rechtsverbindliche Mindeststandards festge- Deutschland kamen, weiter unten in dieser sozialen legt. Von normalen Wohnverhältnissen sind viele Hierarchie. Dafür gibt es mehrere Gründe. So bilden mobile Beschäftigte dennoch nach wie vor weit sich mit längerer Aufenthaltsdauer Netzwerke zur entfernt. gegenseitigen Unterstützung heraus, und die Ver- trautheit mit Rechten, Pflichten, Gepflogenheiten Arbeiten in Deutschland und Niedersachsen und Beratungsmöglichkeiten am deutschen Arbeits- Immer schon war und ist der Arbeitsmarkt in markt nimmt zu. Deutschland (wie auch in anderen Ländern) von Hierarchien nach „ethnischen“ Kriterien geprägt. Um dies am Beispiel der LKW-Fahrer zu verdeut- Solche Hierarchien werden erkennbar etwa am Aus- lichen: Es ist in vielen Speditionen mehr Regel als maß der Prekarität, das in den Arbeitsverhältnissen Ausnahme, dass deutsche Fahrer neue und funkti- einzelner „ethnischer“ Beschäftigtengruppen zu onierende LKWs zugewiesen bekommen, polnische 18 DGB Gleiche Arbeit, gleiche Rechte? Mobile Beschäftigte in Deutschland und Niedersachsen
Fahrer hingegen ältere Modelle. Die schlechtesten Für Auftraggeber haben Werkverträge den Vorteil, und gefährlichsten Fahrzeuge werden den rumäni- dass sie durch sie flexibel und kostengünstig Perso- schen und bulgarischen Fahrern gegeben, sofern es nal beschaffen können. Flexibel, weil Werkverträge Fahrer aus diesen Ländern im jeweiligen Unterneh- befristet sind oder gekündigt werden können. Kos- men gibt. tengünstig, weil die Auftragnehmer-Unternehmen den Kostendruck an die eigenen Arbeitnehmer/in- Werkverträge spielen bei der Beschäftigung mobi- nen (die mobilen Beschäftigten) weitergeben. ler Arbeitnehmer/innen in vielen Branchen eine gro- ße Rolle, etwa in der Fleisch- und Metallindustrie Angst ist ein ständiger Begleiter vieler mobiler Be- oder dem Baugewerbe. Werkverträge sind Verträge, schäftigter. Sie resultiert zum einen aus der äußerst die zur Erstellung eines vorab definierten Werkes prekären Lebenssituation, die selbst die schlechtes- zwischen einem Auftraggeber und einem Auftrag- te Arbeit immer noch als etwas Gutes erscheinen nehmer geschlossen werden. lässt. Die Bereitschaft, auch Schikanen, Lohnprelle- rei oder unmenschliche Arbeitszeiten zu akzeptie- Mobile Beschäftigte sind entweder als (Schein-) ren, ist vor diesem Hintergrund oft groß. Selbständige formell selbst Auftragnehmer. Oder aber sie sind bei einem Auftragnehmer-Unterneh- Angst resultiert zum anderen aber auch aus der men angestellt. Letzteres ist der weitaus häufigere Abhängigkeit von Vermittlern, Agenturen oder Fall. Bei solchen Werkvertrags-Arbeitskräften wer- sonstigen Dritten. Die Möglichkeiten, auf mobile den die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen von Beschäftigte Druck auszuüben, sind groß und um- der Werkvertragsfirma bestimmt. Sofern es in der fassen im Extremfall auch die Drohung mit körper- Branche des Auftraggebers einen allgemeinverbind- licher Gewalt. Letztere kann sich auch gegen die lichen Mindestlohn gibt, ist dieser auch für Werk- Familie im Herkunftsland richten. vertrags-Auftragnehmer verbindlich. Mobile Beschäftigte sind schon aufgrund ihrer Rechtlich ist einzig das Auftragnehmer-Unterneh- meist geringen Sprach- und Rechtskenntnissen in men für die von ihren Beschäftigten zu verrichtende einer schwachen Verhandlungsposition gegenüber Arbeit verantwortlich (einschließlich der Einsatzzei- ihren Arbeitgebern. Dies gilt völlig unabhängig da- ten, Einsatzorte und der genauen Tätigkeiten). Des- von, ob sie im Rahmen von Werkvertrags-Konstruk- sen eingesetzte Arbeitnehmer unterliegen keinerlei tionen tätig sind oder nicht. Weisungsbefugnis seitens des Auftraggebers. Die Arbeit wird mit eigenen Arbeitsmaterialien geleis- Die Liste der Tricks und Kniffe vieler Arbeitgeber, tet, und die Beschäftigten des Auftragnehmer-Un- um bei mobilen Beschäftigten den Lohn zu drücken ternehmens werden nicht in den Produktionspro- oder die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, ist zess des Auftraggebers eingegliedert. So jedenfalls lang. Hier seien im Nachfolgenden einige häufig die rechtliche Theorie. In der Praxis sind gerade wiederkehrende Beispiele aufgeführt: bei der Beschäftigung von mobilen Arbeitnehmer/ inne/n die Grenzen fließend. In vielen Fällen wer- ■ Das teilweise oder gar vollständige Nichtzah- den Beschäftigte des Auftragnehmers wie Beschäf- len von Löhnen oder Lohnbestandteilen, auf die tigte des Auftraggebers behandelt, sodass es sich mobile Beschäftigte Anspruch haben. In diesen faktisch um Schein-Werkverträge handelt. Fällen spekulieren Arbeitgeber (leider oft ge- 19
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