GRÜNE tranSformation analySen - Rosa Luxemburg Stiftung

 
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GRÜNE
tranSformation

Mario Candeias
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Neuauflage Mai 2013 durch das New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Zuerst veröffentlicht in Candeias, Mario und Michael Brie (Hrsg.):
Transformation im Kapitalismus und darüber hinaus, Berlin 2012, S. 135-150.
Mario Candeias

                  Szenarien grüner Transformation

                                                 Krisenerscheinungen – von Finanz-, Wirt-
                                                 schafts- und Beschäftigungskrisen, Krise der
                                                 Reproduktion und dramatischer Prekarität,
                                                 ökologischer Krise und schwelender Reprä-
                                                 sentationskrise – dieser »multiplen Krise« hat
                                                 der alte neoliberale Machtblock keine produk-
                                                 tiven Lösungen mehr entgegenzusetzen, die
                                                 die Interessen der Subalternen und damit
                                                 den aktiven Konsens zum neoliberalen Pro-
                                                 jekt wieder herstellen könnten. Der Neolibe-
                                                 ralismus ist erschöpft, verstärkt seine autori-
                                                 täre Form der letzten zehn Jahre – doch we-
                                                 der ein neuer Akkumulationsschub, noch ein
                                                 neuer gesellschaftlicher Konsens sind von
                                                 ihm zu erwarten. Nichtsdestoweniger: Die
                                                 Neoliberalen sitzen nicht zuletzt in Deutsch-
                                                 land fest im Sattel und bauen in Europa und
In organischen Krisen zerfällt das spezifische   den USA ihre institutionelle Macht aus. Ihre
Verhältnis der Verhältnisse zueinander, was      Position mag keine »führende« mehr sein,
zu einer Folge von scheinbar unverbundenen       aber nach wie vor »herrschend« ist (Gramsci
Krisen auf den unterschiedlichsten Feldern       1991b, 354).
führt. Die Krise mäandert, verschiebt sich.      Es zeichnet sich ein Interregnum ab, eine
Die Finanzkrise wurde zur Weltwirtschaftskri-    Übergangsperiode, in der die Krise sich über
se, dann zur Schuldenkrise, zur Repräsenta-      längere Zeit, vielleicht ein Jahrzehnt hinzie-
tionskrise. Der nächste Akt des Dramas steht     hen kann, bis sich aus der Konkurrenz von
bevor: eine weitere Rezession. Denn schon        durchaus starken Beharrungs- und Erneue-
die grundlegenden ökonomischen Ursachen          rungskräften, der unterschiedlichen Bearbei-
der Krise werden nicht angegangen – von          tungs- und Lösungsversuche eine hegemo-
den anderen Dimensionen der multiplen Kri-       niale Richtung herauskristallisiert. Kämpfe
se ganz zu schweigen. Krisenmanagement           um die Neuzusammensetzung und Führung
soll die Verdichtung der Krisen verhindern,      des Machtblocks werden geführt.
Zeit verschaffen. Doch wie erwartet, bereitet
die Form der Bearbeitung der Krise jeweils       Dabei hat sich die gesellschaftliche Situation
die nächste Krisenkonjunktur vor.                gegenüber unseren Analysen 2007 bis 2009
                                                 verändert. Einige der in den frühen Analysen
Die Verschärfung ökologischer Krisen ist da-     des Instituts für Gesellschaftsanalyse noch
bei noch gar nicht erwähnt – drängt sich aber,   für möglich gehaltenen Szenarien oder
wie im Falle Fukushima oder anderer Kata-        Trends, etwa eines sozialdemokratischen
strophen konjunkturell immer wieder auf.         Public New Deal unter Obama, haben sich
Ökologische Fragen sind nicht nur Fragen         nicht realisiert, bzw. es traf zu, dass sie als
politischer Legitimation, angesichts eines       zu schwach eingeschätzt wurden. Überra-
wachsenden »bizarren« Umweltbewusstseins,        schend war für viele, wie erfolgreich das Kri-
sondern auch Fragen der Sicherung ökono-         senmanagement in Deutschland wirkte. Die
mischer Verwertungs- und Reproduktionsbe-        Situation hat sich teilweise geschlossen, der
dingungen, von Ressourcen, (Energie)Si-          Handlungsspielraum für bestimmte Projekte
cherheit usw.                                    wurden eingeschränkt. Offen bleibt, inwiefern
Entscheidend ist der Zusammenhang der            die Krise Möglichkeitsräume wieder aufreißt.
Krisen. Der Verknüpfung der aufbrechenden

                                                                                           2
Im Folgenden daher der Blick auf vier im Ent-      1. Autoritärer Neoliberalismus/
stehen begriffene, konkurrierende strategi-        Restauration
sche Projekte – kein Szenario wie es künftig
aussehen könnte, sondern ein Versuch der               Stabilisierung der Finanzmärkte durch
Bestimmung        empirischer     Tendenzen.           strikte Austeritätspolitik und neue Re-
Gestriffen werden sollen ihre wesentlichen             gulationen der Finanzmärkte
politischen Momente mit Blick auf Bearbei-             symbolische Politiken
tung der organischen Krise, im Besonderen              freiwillige Vereinbarungen
mit Blick auf die ökologische Krise. Wer sind          End-of-Pipe-Technologien; neue
die gesellschaftlichen Kräfte oder Träger der          Technologie-Fixierungen wie CCS
Projekte, welche Koalitionen gruppieren sich           oder Desertec; fossille Xtreme-
darum? Welches sind aber auch die jeweili-             Energie
gen sozioökologischen Konsequenzen, wel-               marktförmige Regulation und Inwert-
ches die ökonomischen Widersprüche, wel-               setzung (GATS, TRIPS, Zertifikate)
che politischen Implikationen ergeben sich         Akteure: alter Machtblock, getragen durch
daraus? Die Projekte sind relativ klar vonei-      Finanz- und fossilistische Kapitalfraktio-
nander zu unterscheiden, allerdings ist leicht     nen, bestrebt, unter Bedingungen wach-
erkennbar, dass sich zwischen den Projekten        sender Desintegrationen einen passiven
Überschneidungen ergeben, die Koalitionen          Konsens aufrechtzuerhalten
ermöglichen – die wiederum andere Wider-
sprüche mit sich brächten. Selbstverständlich
bewegen sich die Projekte nicht im luftleeren
                                                  a) Möglich ist, dass die globale Nachfrage
Raum, sondern vor dem Hintergrund konkre-
                                                  trotz Rückgang keinen tiefen Einbruch erlei-
ter Kräfteverhältnisse, von Kämpfen und ge-
                                                  det. In diesem Fall könnten deutsche Export-
sellschaftlichen Entwicklungen. Insofern ist
                                                  erfolge auf kleinerer Flamme weiterhin ein
auch eine Aussage darüber zu treffen, wie
                                                  geringes Wachstum in Deutschland gewähr-
wahrscheinlich das jeweilige Projekt ist.
                                                  leisten, ohne dass ein Wechsel des Modells
                                                  notwendig würde, allenfalls werden – getrie-
Projekt/Szenario 1: ein autoritärer Neoli-
                                                  ben von Akzeptanzverlusten und Ereignissen
beralismus
                                                  wie Fukushima – kleine und graduelle Ände-
Das Projekt eines autoritären Neoliberalis-       rungen in Richtung Energiewende und ökolo-
mus begegnet der Krise (wie in vorangegan-        gischer Modernisierung unternommen. Auch
genen großen Krisen) mit einer Intensivie-        bei insgesamt schwacher globaler Dynamik
rung der alten Regulationsmechanismen:            können selbst eine abgeschwächte Nachfra-
Finanzialisierung, Kürzungsdiktate, Privatisie-   ge aus den neuen kapitalistischen Zentren
rung, Flexibilisierung, Pragmatisierung, Ent-     wie China, Indien und Brasilien und eine nur
demokratisierung. Insbesondere wurde fast         halbherzige ökologische Modernisierung aus-
weltweit eine austeritätspolitische Wende         reichend sein, um die Vorteile des deutschen
durchgesetzt. In Europa treiben Finanzmärk-       Exportmodells auf Kosten anderer vorläufig
te, IWF und die Regierung Merkel (zusam-          zu bewahren. Gerade die Schwäche der Eu-
men mit den Regierungen Skandinaviens,            rozone führt zu einer relativen Unterbewer-
der Niederlande und Österreich) gleichgerich-     tung des Euro und verbessert so die
tet eine Radikalisierung von Kürzungsmaß-         deutsche Position gegenüber Konkurrenten
nahmen und ihre Institutionalisierung voran.      wie Japan. In den USA scheinen selbst mo-
Mit dieser institutionellen Blockade und unter    derate Veränderungen einer ökologischen
den veränderten Kräfteverhältnissen wird die      Modernisierung verbaut, zumindest wird der
Möglichkeit für andere politische Optionen        Kampf von rechts scharf geführt. In der De-
eingeschränkt – freilich ohne dass es gelingt,    batte um die Kürzungspolitiken werden auch
die Krise zu bändigen.                            sämtliche ökologischen Reformen und För-
Was bedeutet das ökonomisch, v.a. mit Blick       derprogramme als Jobkiller bekämpft, der
auf die Bundesrepublik Deutschland? Drei          Spielraum für Investitionsprogramme ist
unterschiedliche ökonomische Szenarien            durch Krise und dominanter Kürzungspolitik
sind möglich:                                     extrem eingeschränkt.
                                                  b) Denkbar ist auch, dass die Konjunktur
                                                  stagniert (gar Stagflation) und sich ein lang-
                                                  fristiger Trend zum Null-Wachstum stabilisiert.

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Dies würde, um Wirtschaft, Sozialsysteme        bereitung der kommenden Rezession. Dies
und Staatshaushalte zu sichern, härteste        bedeutet auch drastische Einschränkung der
Verteilungskonflikte um Steuern, soziale Lei-   Verteilungsspielräume bzw. verschärfte Um-
stungen, Löhne und Arbeitsstandards sowie       verteilung von unten nach oben. Ohne ent-
ökologische Maßnahmen mit sich bringen.         sprechende Konsensangebote an die Subal-
Eher ein Szenario eines Postwachstums, wie      ternen ist ein solches Szenario untrennbar
es der konservative Vordenker Meinhard          mit wachsendem Autoritarismus verbunden,
Miegel beschreibt.                              mit mindestens protofaschistischen Integrati-
                                                onsangeboten samt Ausgrenzung von
c) Relativ wahrscheinlich halten wir ange-
                                                schwächeren Gruppen und scharfer Repres-
sichts der vielfältigen Ungleichgewichte und
                                                sion von Unmut und Unruhen. Herrschaft
der sich wieder aufbauenden finanziellen
                                                durch Kontingenz würde Alex Demirovic sa-
Überakkumulation einen weiteren tiefen Fi-
                                                gen. Kein stabiles Szenario – aber das ak-
nanz- und Wirtschaftscrash (vgl. Krisenent-
                                                tuelle.
wicklung in den Jahren 1929 ff.). Große Kri-
sen und entsprechende Transformationen
                                                Projekt/Szenario 2: grüner Kapitalismus
auch innerhalb des Kapitalismus verlaufen in
einer Reihe von Brüchen und ziehen sich         Das Projekt eines grünen Kapitalismus zielt
über Jahre hin – wir erleben dies bereits, da   anders als die Strategie der Restauration auf
trafen linke Prognosen durchaus zu. Eine        Erneuerung im Sinne einer passiven Revolu-
Rezession in Europa deutet sich – wie erwar-    tion (Gramsci 1991a 102): Diese strebt nach
tet – ab Ende 2012 an. So wie die Ereignisse    Revolutionierung aller Verhältnisse, nicht nur
in Fukushima als Katalysator der Energie-       Wiederherstellung der Ordnung, sondern
wende in Deutschland wirkten, ist offen, wie    Entwicklung bürgerlich-kapitalistischer Herr-
eine solche Krise sich auf die politischen      schaft, die Gesellschaft vorantreibend. Das
Verhältnisse insgesamt auswirken würde.         passive Element besteht darin, Interessen
                                                der Subalternen zwar herrschaftsförmig zu
                                                integrieren, die untergeordneten Gruppen
 Sozioökologische Konsequenzen                  aber in einer subalternen Position fern der
     Natur wird zur Ware                        Macht zu halten, zugleich ihre Intellektuellen
     fortschreitende ökologische Zerstö-        und Führungsgruppen in den Machtblock zu
     rung                                       absorbieren, die Subalternen damit ihrer Füh-
     wachsende Preise für Öl und andere         rung zu berauben (Transformismo).
     Ressourcen                                 Der schillernde Begriff einer green economy
     Ressourcenkriege                           verbindet vor dem Hintergrund der Vielfach-
 Ökonomische Widersprüche                       krise die allgemeine Umorientierung von In-
                                                vestitionen in Richtung Energiewende und
    Austeritätspolitik führt zu sinkenden
                                                ökologischer Modernisierung mit der notwen-
    Wachstumsraten
                                                digen technologischen und Akkumulations-
    wachsende Überakkumulation von
                                                basis zur Schaffung von Millionen von Ar-
    Geldvermögen
                                                beitsplätzen. Befördert wurden diese Vorstel-
    fast keine Investitionsimpulse
                                                lungen insbesondere durch den Stern-Report
 Politische Konsequenzen                        zum Klimawandel 2006, die Analysen des
                                                IPCC und transnationaler Forschungsgrup-
    sinkende Umverteilungsmöglichkeiten
                                                pen sowie durch die populären Aktivitäten
    und fortgesetzte Umverteilung von un-
                                                des Nobelpreisträgers Al Gore und durch die
    ten nach oben
                                                UN. Sie sprechen v.a. ökologisch sensibili-
    Einschränkung der Demokratie und
                                                sierte, marktwirtschaftlich orientierte, liberale
    autoritäre Politiken
                                                Gruppen an, die über starke öffentliche Rep-
    protofaschistische Anrufungen, um
                                                räsentation verfügen und skeptisch gegenü-
    Konsens zu erzielen
                                                ber den Auswüchsen des Finanzmarktkapita-
    Unterdrückung von Unruhen und Revol-
                                                lismus sind. Diese Verbindung von Antworten
    ten
                                                auf Finanz- und Wirtschaftskrise, Beschäfti-
                                                gungs- und Klimakrise ist zurzeit die konsi-
                                                stenteste und mächtigste Antwort auf Krise
Im Kapitalismus ist auch ein stagnatives        und Restauration des Neoliberalismus.
Szenario gleichbedeutend mit Krise. Treten
Kürzungspolitiken hinzu, bedeutet dies Vor-
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Hinter einem grünen Kapitalismus stehen          Fortführung und Intensivierung einer globalen
Kapitalgruppen wie die Branche der regene-       »Akkumulation durch Enteignung« (Harvey)
rativen Energien (einschließlich der großen      im Bereich natürlicher Ressourcen bis hin zu
Energieversorger und des Maschinenbaus),         Landgrabbing und XtremeEnergy; auch die
die großen Versicherungskonzerne, Anla-          Individualisierung von Umweltproblemen (der
genbauer wie Siemens, Automobilkonzerne,         »aufgeklärte Konsument«) zeugt ebenso von
die sich von »green cars« und E-Autos ein        Kontinuitäten wie der Emmissionshandel mit
neues Geschäftsfeld erhoffen, auch Internet-     seiner Ausweitung der Marktlogik auf die Be-
und IT-Unternehmen, die Aufträge bei der         kämpfung von Umweltverschmutzung. Inso-
Effizienzoptimierung undbei neuen Verkehrs-      fern wird nicht nur eine begrenzte Finanz-
systemen erwarten, Bio- und Gentechunter-        marktregulierung angestrebt, vielmehr wer-
nehmen, Nanotech- und Chemieunterneh-            den neue Instrumente entwickelt.
men wie BASF, die neue, leichte und ener-
                                                 Favorisiert werden marktförmige und techni-
gie-effiziente Werkstoffe entwickeln, selbst
                                                 sche Lösungen (techno fixes), einschließlich
Ölkonzerne wie BP, die sich in »Beyond Pet-
                                                 großtechnischer Projekte wie Desertec, riesi-
rol« umbenannt haben sowie Venture-Capital
                                                 ge Offshorewindparks, monopolisierte Netze
und Private Equity Fonds oder die kleine,
                                                 und – trotz allem – die Atomkraft, wenn nicht
aber wachsende Branche der ethischen In-
                                                 hierzulande, dann doch als Exportgut. Wie
vestoren (einschließlich großer Pensions-
                                                 die IT-Revolution die technische Basis für die
fonds).
                                                 Globalisierung bereitstellte, soll GreenTech
Der Markt für Investitionen in emissionsarme     die Grundlage für einen ökologischen Umbau
Energien und grüne Technologien wird auf         der gegenwärtigen Produktionsweise liefern.
etliche Billionen Dollar anwachsen. Der
Weltmarkt für Greentech war laut Roland
Berger mit einem Volumen von 1,4 Billionen        2. Grüner Kapitalismus
Euro bereits 2007 größer als der für Maschi-           verbindliche Vereinbarungen
nenbau. Bis 2020 wird sich der Umsatz auf               marktförmige Regulierung und In-
3,2 Billionen vorsichtig geschätzt mehr als            wertsetzung
verdoppeln. Wenn Investitionen getätigt wer-            (groß)technologische Lösungen wie
den, dann hier: Drei von vier Firmen in                CCS, Desertec und Xtreme-Energie
Deutschland legen nach einer Umfrage von                begrenzte Finanzmarktregulierung,
Siemens Financial Services im Bereich                  neue Finanzinstrumente
Greentech ihren Investitionsschwerpunkt der             öffentliche Investitions- und Förder-
nächsten Jahre. Schon jetzt hat sich hierzu-           programme
lande bei erneuerbaren Energien die Be-                 keine Umverteilung nach unten, hal-
schäftigung seit 2004 mehr als verdoppelt              ber der ›Bastard‹-Keynesianismus
(340.000 Beschäftigte). Greentech-Firmen                Übergang zu öko-kapitalistischer
bieten hierzulande Beschäftigung für über              Produktions- und Lebensweise
eine Million Menschen und erbringen gut acht
Prozent der Wirtschaftsleistung. Solar-           Akteure: öko-kapitalistischer Elitenkon-
Investitionen sollen sich bis 2015 verdoppeln.    sens mit subalterner Integration der
Private Equity Fonds wie Blackstone investie-     Beherrschten (wie Grüne und Gewerk-
ren mehrere Milliarden Euro in Offshoreparks      schaften),    Spannungen     mit    dem
vor    der    deutschen      Küste   –   eine     fossilistischen Kapital
Energieeinspeisevergütung von 150 € pro
Megawattstunde, Übernahme der Kosten des
Netzausbaus durch den Netzbetreiber, direk-      Dafür braucht es jedoch eine klare und bin-
te Förderung durch die Bundesregierung und       dende ökologische Regulierung, möglichst
vergünstigte KfW-Kredite sollen eine Rendite     marktförmig, um Investitionssicherheit zu
von 10 bis 20 Prozent ermöglichen. Der           gewährleisten und gar neue Anlagesphären
Markt für grüne Technologien ist schwer ab-      zu eröffnen, etwa im Zertifikatehandel, der
grenzbar, die unterschiedlichen Bereiche         bislang kaum funktioniert. Ein so weitgehen-
zusammengenommen aber unbestreitbar mit          der Umbau wird allein durch die Marktkräfte
einem Potenzial wie kaum ein anderer.            nicht zu bewerkstelligen sein, so dass auch
Ein grüner Kapitalismus weist durchaus Kon-      Kapitalgruppen wie der Energiekonzern Eon
tinuitäten zum Neoliberalismus auf: Etwa die     öffentliche Investitionen fordern, um etwa die
                                                 Energie- und Verkehrsinfrastrukturen umzu-
                                                                                              5
bauen. Auch eine begrenzt höhere Besteue-          neuen kapitalistischen Kernländer bleiben
rung von Vermögen und eine Reregulierung           wird. Auch die ungleiche Verteilung der un-
der Finanzmärkte wird durchaus befürwortet,        vermeidlichen Folgen von Weltwirtschaftskri-
um die nötigen Mittel für Investitionen zu er-     se wie insbesondere Klimawandel auf die
wirtschaften und ökonomische Ungleichge-           gesellschaftlichen Klassen und Gruppen
wichte zu dämpfen. An eine direkte Umvertei-       sprechen für eine Betonung von Sicherheits-
lung von oben nach unten ist nicht wirklich        politiken von Seiten der »Herrschenden«.
gedacht. Sozial-ökologische Ungleichheiten         »Niemand hat eine Ahnung, wie sich ein Pla-
werden nicht thematisiert, auf die individuelle    net voller Slums« (in den nächsten 40 Jahren
Ebene verschoben.                                  wird laut Prognosen die Hälfte der Weltbevöl-
                                                   kerung in solchen leben, bereits 2008 über
Auch das Projekt des grünen Kapitalismus
                                                   eine Milliarde Menschen) »mit wachsenden
bringt Widersprüche und false solutions mit
                                                   Ernährungs- und Energiekrisen an die zu-
sich – ein Beispiel: Die Produktion der
                                                   künftigen Gegebenheiten anpassen soll«,
E-Autos ist wohl etwas weniger energie- und
                                                   noch wie diese Menschen reagieren werden,
ressourcenintensiv, weil die Wagen generell
                                                   so Mike Davis (2008, 8). Er geht denn auch
kleiner wären. Die Produktion der Batterien
                                                   eher von einer »selektiven Anpassung« aus,
hingegen ist, wie generell die Akku-
                                                   die »den Erdenbewohnern der ersten Klasse
Produktion, energie- und ressourcenintensiv
                                                   auch weiterhin einen komfortablen Lebensstil
und belastet die Umwelt zusätzlich mit einer
                                                   ermöglicht«, in »grünen, streng eingezäunten
ganzen Reihe hochgiftiger Substanzen. Dar-
                                                   Oasen des permanenten Überflusses auf
über hinaus ändert eine Orientierung auf E-
                                                   einem ansonsten unwirtlichen Planeten«
Autos nichts an dem enormen Flächenver-
                                                   (ebenda, 7).
brauch und der Versiegelung der Landschaft
durch Straßen. Vielleicht wäre eine Umorien-
tierung auf einen massiven Ausbau öffentli-
cher Verkehrssysteme die billigere, effiziente-    Sozioökologische Konsequenzen
re, schnellere und ökologischere Methode.               Natur wird zur Ware, während nicht
Aber darum geht es bekanntlich nicht. Die               profitable Bedürfnisse unbefriedigt
Konversion, wenn man es so nennen will,                 bleiben
erfolgt möglichst ohne Veränderung der Pro-             erhöhtes Wachstum, mehr Jobs
duktlogik, Modernisierung ohne Pfadwechsel.             erhöhter Ressourcenverbrauch
Zentraler ist jedoch: Die Erfahrungen mit Kli-          fortschreitende ökologische Zerstö-
maverhandlungen und Zertifikatehandel an-               rung
gesichts der starken fossilistischen Kapital-      Ökonomische Widersprüche
fraktionen zeigen: Es dauert zu lang. Erfolgt
der ökologische Umbau zu langsam, droht               Übergangskrise durch Entwertung von
die Verschärfung von Umwelt- und sozioöko-            fossilistischem Kapital
nomischen Folgekrisen. Die Begrenzung der             Ressourcenkämpfe und steigende Prei-
Erderwärmung auf zwei Grad Celsius ist laut           se
IPCC bereits jetzt nicht mehr zu erreichen.           Finanzblasen im Sektor der Grünen
Wird der Umbau wirklich konsequent betrie-            Technologien
ben, werden z.B. Emissionsrechte drastisch            einseitige Exportorientierung, globaler
reduziert, ist eine Vernichtung alter Branchen        Wettbewerb, wachsende Ungleichge-
und Kapitale (und entsprechende Gegenwehr)            wichte
unvermeidlich. Es gibt keinen sanften Über-           angesichts der Austeritätspolitik be-
gang. Die gewaltige Aufgabe, bis 2050 die             grenzte Dynamik
Treibhausemissionen um 80 Prozent zu re-           Politische Konsequenzen
duzieren, also die gesamte Wirtschaft binnen
drei Jahrzehnten vom über 150 Jahre alten             die Machtverhältnisse behindern die
fossilistischen Zeitalter in eine solare Zukunft      schnelle (ökologisch notwendige)
zu katapultieren, wird nicht ohne Brüche und          Transition
Krisen möglich sein.                                  die Klimaziele werden nicht erreicht
                                                      Elitenkonsens, ökologische vs. soziale
Es ist außerdem zu erwarten, dass unter dem           Politiken, Autoritarismus
zeitlichen Druck die imperiale Absicherung
der ungehinderten Aneignung von Öl und
Ressourcen wesentliches Ziel der alten und
                                                                                                6
Der grüne Kapitalismus ist also nicht die Lö-     Projekt/Szenario 3: ein Green New Deal
sung der ökologischen Krise, als vielmehr
                                                  Doch was unterscheidet einen sozial-
ihre Bearbeitung im Sinne der Wiederherstel-
                                                  libertären Green New Deal (GND) vom grü-
lung von erweiterter kapitalistischer Akkumu-
                                                  nen Kapitalismus, auch wenn es viele Über-
lation und Hegemonie unter Einbeziehung
                                                  schneidung gibt? Dieses Projekt wurde u.a.
ökologischer Interessen – ein Elitenkonsens,
                                                  von der Green New Deal Group, einem Zu-
garniert mit der Hoffnung der Subalternen auf
                                                  sammenschluss von Publizisten, Partei- und
neue Jobs.
                                                  NGO-Funktionären vorgeschlagen. Verfech-
                                                  ter sind neben den europäischen Grünen
Führungskämpfe im Machtblock: Die Grü-
                                                  Parteien –, große NGOs wie der WWF,
nen vs. CDU/CSU oder schwarz-grüner
                                                  transnationale Netze von Umweltwissen-
(Atom-)Konsens?
                                                  schaftlern, die New Economics Foundation
Es ist wohl keine Frage, ob es zu einer »öko-     usw.
logischen« Modernisierung kommt oder nicht,
sondern welcher Art diese sein wird. Dies ist
                                                   3. Sozial-libertärer Green New Deal
Teil der Führungskräfte im Machtblock: Kon-
zepte eines sozial-liberalen Green New Deal,          verbindliche Mengenbegrenzungen +
die soziale und ökologische Fragen zu ver-            CO2-Zertifikate
binden suchen, konkurrieren mit Vorstellun-           staatliche Regulierung durch Ge- und
gen eines grünen Kapitalismus (Fücks/                 Verbote (wie das Vorreiterprinzip)
Steenbock 2007) bzw. eines Kapitalismus 3.0,          Dezentralisierung und Rekommunalisie-
(Barnes 2008) der nach der erfolgreichen              rung
»sozialen Zivilisierung« im 20. Jahrhundert           öffentliche Investitions- und Förderpro-
nun die ökologische vollzieht. Es geht nur            gramme
noch um die zukunftsfähige Form des Kapita-           Finanztransaktionssteuer und Begren-
lismus, seine Überwindung ist von gestern. In         zung des freien Kapitalverkehrs
der Bundesrepublik bildet ein sozial-libertärer       Stärkung von Binnenökonomie, insbe-
Green New Deal den programmatischen                   sondere der Dienstleistungen
Kern eines rot-grünen Lagers – international          Ausbau des Öffentlichen (Dienstlei-
vielleicht vergleichbar mit einer Blue-Green          stungen)
Alliance, der grüne Kapitalismus den eines            Arbeitszeitverkürzung
schwarz-grünen Lagers, international den              Umverteilung, Industriepolitik und An-
Green Economy Kräften verbunden – die                 sätze für »Gerechte Übergänge«
Linke ist darin nicht vorgesehen. Beide Lager         Übergang zu ökosozialer Wachstums-
verstehen sich als Antipoden zu einem busi-           ökonomie
ness as usual neoliberaler Art. Die Grünen            keine Infragestellung von Konsumismus
haben es (vorläufig) geschafft, sich für beide        und Erwerbsarbeitszentrierung
Varianten einer ökologischen Erneuerung als        Akteure: sozial-libertärer keynesiani-
führend in der öffentlichen Debatte zu etablie-    scher Reformismus, der sich auf ökolo-
ren. Die CDU/CSU versucht sich sowohl als          gisch orientiertes Industrie- und Dienst-
Hüterin stabilitätsorientierter, konservativer     leistungskapital stützt, starke Span-
(lies: neoliberaler) Werte als auch als Prota-     nungen im Machtblock
gonistin einer maßvollen ökologischen Mo-
dernisierung. Grüne und CDU/CSU erklären
beide den Konflikt zwischen ihnen zum zent-       Wenn man so will, ist der Green New Deal
ralen parteipolitischen Konflikt bis 2013, be-    stärker zivilgesellschaftlich getragen als der
trachten sich als Hauptkonkurrenten. Doch         kapitalgetriebene grüne Kapitalismus, stärker
geprägt ist die Situation ebenso von einem        auf die Dramatik der ökologischen Krise ge-
Ereignis, einem schwarz-grünen Post-              richtet als auf neue Investitionsmöglichkeiten.
Fukushima-Atomkonsenses (wie Christoph            Und ein GND schließt systematischer eine
Spehr das nennt), und der damit verbunde-         soziale Komponente ein. Die Rolle des Staa-
nen Dynamik des Übergangs in einen post-          tes, die Ausweitung des Öffentlichen und
nuklearen und postfossilen, grünkapitalisti-      Umverteilungspolitiken sind zentral. Die In-
schen Akkumulationspfad.                          tegration von dezentralen, kommunalen Lö-
                                                  sungen und Großtechnologien ist offen. Die
                                                  Anrufung von Eigeninitiative erhält mit der
                                                  Verbindung dezentraler Energielösungen, in
                                                                                               7
der jeder mit alternativer Energieerzeugung       sondern berührt gesellschaftliche Ungleich-
zu Hause zum Energieproduzenten und -kon-         heiten: klassenförmige Macht- und Herr-
sumenten in einem werden kann. Im großen          schaftsverhältnisse, Geschlechter- und Pro-
Netz aus zentralisierten und dezentraliserten     duktionsverhältnisse sowie unsere konsum-
Einheiten    werden     die   Einzelnen     zu    orientierte Lebensweise. Umweltpolitik selbst
Prosumenten und werden energetisch                wirft immer wieder Gerechtigkeitsprobleme
selbstbestimmt – so das Bild. Ein GND för-        auf, da Folgen und Kosten sich ungleich ver-
dert den ökologischen Konsum (Bio-                teilen, etwa bei Ökosteuern und Preispoliti-
Lebensmittel, ökologischer Hausbau, umwelt-       ken.
freundlichere Autos usw.), zielt auf die Schaf-
                                                  Wie bei jeder Dividende profitieren von der
fung völlig neuer Infrastrukturen und den
                                                  propagierten Nettodividende einer ökologi-
Umbau der Städte als Lebensraum.
                                                  schen Transformation vor allem bestimmte
Vor allem aber ist das Projekt stark verbun-      Gruppen und Klassen. Ausgeblendet wird,
den mit einer Perspektive und der Produktion      welche Branchen schrumpfen sollen, welche
und Vermittlung von Sinn: Der Green New           Bedürfnisse eingeschränkt werden und vor
Deal greift Unsicherheiten, Bedürfnisse und       allem wer betroffen ist. So bleibt ökologische
Interessen auf, die neben Beschäftigung,          Politik eine Ein-Punkt-Politik für gut situierte,
wirtschaftlicher Entwicklung und Innovation       urbane Mittelklassen. Die Berücksichtigung
stehen, für eine ökologischere Lebensweise        von Interessen der unteren Klassen oder von
und mehr demokratische Mitbestimmung, für         Beschäftigteninteressen bleibt nachrangig.
Eigenverantwortung und bürgerliche Frei-          So verwundert es nicht, dass die ökologische
heitsrechte. Betriebliche Demokratisierung        Bewegung seit 30 Jahren bei Gewerkschaf-
spielt keine Rolle. Der GND bietet insgesamt      ten nur beschränkt als politischer Bündnis-
das grundlegende Potenzial für einen neuen        partner anerkannt wird, im Prekariat keine
gesellschaftlichen Konsens und für eine           Rolle spielt. Fragen globaler sozialer Gerech-
Relegitimierung der Marktwirtschaft.              tigkeit wurden über Jahre kaum adressiert
                                                  oder genutzt, um ȟberzogenes Anspruchs-
Allerdings ist ein solcher sozial-libertärer
                                                  denken« im Norden anzuprangern. Ein sozi-
GND von zahlreichen Widersprüchen und
                                                  al-libertärer GND wäre von starken internen
Spannungen durchzogen. Ziele des GND
                                                  Spannungen und Zielkonflikten zwischen
sind Wachstums- und Exportförderung, was
                                                  ökologischen und sozialen Zielen durchzogen.
letztlich den Ressourcenverbrauch nicht be-
grenzt. Tatsächlich haben sich Verbrauch          Angesichts der bestehenden Kräfteverhält-
und Ausstoß von Emissionen trotz 30 Jahre         nisse setzen Green New Dealer eher auf
Umwelt- und Klimapolitiken noch beschleu-         Kompromisse mit (progressiven) Kapitalfrak-
nigt. Jede Steigerung der Ressourcen- und         tionen oder auf die »Kreativität« der Unter-
Umwelteffizienz wurde bislang noch vom            nehmen. Es ist fraglich, ob eine Strategie der
Wachstum überkompensiert – nicht nur in           Zähmung und Einbindung des Kapitals durch
China: der sog. Rebound-Effekt. Eine konse-       eine ökologisch orientierte Fraktion der Mit-
quente ökologische Modernisierung ohne            telklasse ohne breites Mitte-Unten-Bündnis
Änderung des Wachstumsmodells führt gar           Erfolg haben kann, zumal jede konsequente
zu mordsmäßigem auch industriellem Wach-          (sozial-)ökologische Transformation mit einer
stum durch quasikomplette Erneuerung der          massiven Kapitalvernichtung einhergeht.
Produktions- und Infrastrukturen. Sollen bei      Letzteres betrifft die mächtigsten Kapitalfrak-
2,5 Prozent Wachstumsrate jene Minde-             tionen: die fossilistischen Konzerne vom Öl
rungsziele erfüllt werden, die beim Verbrauch     bis zum Auto. Was dies für die gesellschaftli-
von Rohstoffen und bei Emissionen als öko-        chen Auseinandersetzungen, Kräfteverhält-
logisch erachtet werden – die Wissenschaft        nisse, Krisen bedeutet, wird kaum themati-
spricht, wie bereits angeführt, von Einspa-       siert. Wobei eben die fossilistische Fraktio-
rung bis 2050 um 80 bis 90 Prozent gegenü-        nen nicht einheitlich sind, da v.a. die großen
ber 1990 –, so wären die Verbräuche der           Energie-, Chemie- oder eben Autokonzerne
Industriestaaten pro Einheit Sozialprodukt auf    selbst mit zu den größten GreenTech-
bis zu ein Siebenunddreißigstel zu senken.        Investoren gehören. Eine »kontrollierte« Ent-
Optimisten wie Weizsäcker sprechen vom            wertung und Vernichtung des alten fixen Ka-
Faktor 5 – nicht 37.                              pitals wird aber extrem schwierig. Industrie-
                                                  politische Abfederung oder Konversionspoliti-
Eine ökologische Transformation reduziert
                                                  ken werden hier kaum entwickelt.
sich nicht auf eine technische Modernisierung,
                                                                                                8
Eine Umwälzung der gesamten Produktions-         die Oligopolisten der Stromversorgung und
struktur, die Schaffung einer neuen produkti-    andere fossilistische Gruppen.
ven Basis, die Veränderung der Konsummu-
                                                 Noch gibt es weder einen grün-kapitalisti-
ster, der Struktur unserer Städte, der gesell-
                                                 schen Block noch einen Green New Deal.
schaftlichen Naturverhältnisse, ohne die kapi-
                                                 Auch das ist nicht ungewöhnlich für Trans-
talistische Produktionsweise als solche anzu-
                                                 formationen in der organischen Krise. Be-
tasten, reproduziert dabei auch deren Wider-
                                                 stimmte Kapitalgruppen gehen voran. Eine
sprüche, z.B. die Gefahren einer ›grünen‹
                                                 vorsichtige Analogie: Auch die fordistische
Finanzblase oder eben die Überkompensati-
                                                 Produktionsweise setzte sich in den 1920er
on der Ressourcen- und Energieeffizienz
                                                 Jahren durch, lange bevor eine entsprechen-
durch notwendig wachsende Verwertung des
                                                 de fordistische Lebens- und Regulationswei-
Werts.
                                                 se entwickelt wurde. Nun entwickelt sich eine
                                                 grünkapitalistische Produktionsweise, ohne
 Sozioökologische Konsequenzen                   dass die Regulation, Lebens- und Konsum-
                                                 weise bereits ähnlich deutlichen Veränderun-
     die steigende Ressourcen- und Ener-         gen unterworfen ist. Es mangelt noch an ei-
     gieeffizienz wird durch steigendes          ner klaren politischen Führungsgruppe, vor
     Wachstum überkompensiert                    allem international. Doch erst bei einem Ent-
     fortschreitende ökologische Zerstö-         sprechungsverhältnis von Produktions- und
     rung                                        Lebensweise ergibt sich auch ein funktionie-
     Zielkonflikte zwischen Arbeitsplatzer-      render Kapitalkreislauf.
     halt und Ökologie
                                                 Vor dem Hintergrund der gegebenen gesell-
 Ökonomische Widersprüche                        schaftlichen Kräfteverhältnisse und der insti-
    Übergangskrise durch Entwertung von          tutionellen Vertiefung neoliberaler Haushalts-
    fossilistischem Kapital; kein Konzept für    und Fiskalpolitik ist zurzeit die Durchsetzung
    eine gerechte Konversion alter Indust-       eines sozial-liberalen Green New Deal eher
    rien                                         unwahrscheinlich – besser stehen die Chan-
    konsistente ökologische Regulation und       cen für die Fortentwicklung des grünen Kapi-
    die Umverteilung führen zu sinkenden         talismus. Die Green Economy wurde zum
    Profiten                                     zentralen Orientierungspunkt des Rio+20-
    Grenzen des Reformismus und Etatis-          Gipfels im Mai 2012. Doch auch dieser ist
    mus                                          durch austeritätspolitische Blockaden in sei-
    angesichts der institutionalisierten Aus-    ner Dynamik behindert. Ohne massive staat-
    teritätspolitik begrenzte wirtschaftliche    liche Investitionsprogramme wird es auch mit
    Dynamik                                      einer konservativen Energiewende nichts.
                                                 Einen sanften Übergang wird es nicht geben,
 Politische Konsequenzen                         schon aufgrund der Notwendigkeit der
    Widerstand fossilistischer und Finanz-       Schrumpfung der Produktion fossilistischer
    kapitalgruppen                               Kapitalgruppen.
    kaum Initiativen für reale Partizipation,    Perspektivisch kann es sich bei diesen para-
    technokratische Politik                      llel konkurrierenden Ansätzen und Strategien
    sozioökologische Protestbewegungen,          auch um eine Abfolge von Konjunkturen han-
    prekärer Konsens                             deln, vom Übergang vom autoritären Neolibe-
    kein glatter Übergang                        ralismus in der Krise zum grünen Kapitalis-
                                                 mus, der erst durch einen sozial-libertären
                                                 Green New Deal verallgemeinert wird, seine
Wahrscheinlichkeiten                             volle ökonomische Dynamik entfallen kann,
Unabhängig davon, welchem politischen La-        die aktive Zustimmung organisiert. Das muss
ger es gelingt, unter seiner Führung andere      aber nicht so kommen. Ein grün-autoritärer
Gruppen in eine Neuordnung des Macht-            Kapitalismus, globale Konkurrenzen und ge-
blocks zu integrieren, kapitalgetrieben findet   waltsame Auseinandersetzungen sind min-
die Entwicklung zu einem grünen Kapitalis-       destens ebenso wahrscheinlich.
mus bereits statt. In der Bundesrepublik brin-   Umso wichtiger ist es, von links eine eigene
gen sich dabei gerade jene in Stellung, eine     Position für ein »rotes Projekt eines sozial-
führende Rolle zu übernehmen, die bislang        ökologischen Umbaus« zu formulieren oder
eine Energiewende mit Macht blockiert haben:
                                                                                             9
dem grünen Kapitalismus Ideen für einen          stimmten europaweit der Ratifizierung des
»grünen Sozialismus« entgegenzustellen.          Fiskalpaktes zu. Dies ist nicht nur eine neue
                                                 Welle der Umverteilung von unten nach oben,
Projekt/Szenario 4: sozial-ökologische           sondern verschärft die Wirtschaftskrise, treibt
Transformation                                   ganze Länder in die Depression, ohne dass
Gegen den grünen Kapitalismus positioniert       Schulden nachhaltig abgebaut werden könn-
sich der grüne Sozialismus. Nicht im Sinne       ten.
der einfachen Negation, vielmehr als Kom-
pass für die sozialistische Intervention in       4. Sozial-ökologische Transformation/
transformatorischer Perspektive. Es geht um       Grüner Sozialismus
die Formulierung einer eigenständigen Posi-            globale Stoff- und Ressourcenplanung
tion in einem breiten Projekt der Mosaik-              und Vorgabe von Mengenbegrenzun-
Linken für eine sozial-ökologischen Trans-             gen
formation. Dabei gilt es anzuknüpfen an den            Wirtschaftsdemokratie und dezentrale
realen Widersprüchen und Bedingungen, an               partizipatorische Planung
den realen Kräften und Bewegungen, die sich            Dezentralisierung, Kommunalisierung,
bereits an den unterschiedlichen Punkten               Deglobalisierung
engagieren und konkrete experimentelle Pra-            unterschiedliche Formen von Soziali-
xen entwickeln. Der Begriff des grünen So-             sierung und des Eigentums
zialismus versucht die unterschiedlichen               Ausweitung des Öffentlichen (Dienst-
Interessen und Bewegungen im Sinne »revo-              leistungen)
lutionärer Realpolitik« so zu verknüpfen, dass         globale Umverteilung, Industriepoliti-
sie »durch alle ihre Teilbestrebungen in ihrer         ken und »gerechte Übergänge«
Gesamtheit über den Rahmen der bestehen-               Sozialisierung der Investitionsfunktion
den Ordnung« hinausgeht (Luxemburg                     (Keynes)
1903/1970: 374).                                       Umverteilung der gesellschaftlichen
Kämpfe oder Einzelreformen müssen in den               und geschlechtlichen Teilung der Ar-
Zusammenhang einer grundlegenden gesell-               beit (4in1-Perspektive)
schaftlichen Umgestaltung gestellt werden,             Übergang zu einer grün-
sonst droht den Kämpfenden eine letztlich              sozialistischen Reproduktionsökono-
noch verschärfte Unterordnung: Ihre verein-            mie jenseits des Wachstums
zelten Interessen werden kompromissförmig         Akteure: »Mosaik-Linke« (Einheit in der
in den herrschenden Block integriert. Dabei       Differenz) bei starkem Widerstand von
werden alte sozialistische Problematiken, wie     Kapital und alten Eliten
Macht- und Eigentumsfragen, Umverteilung,
Planung und Demokratie, aktualisiert und mit
neuen Problemstellungen verknüpft. Im Fol-
genden also der Versuch, wesentliche Ele-        Über diese illegitimen Schulden wäre in de-
mente eines grünen Sozialismus zu benen-         mokratischen Konsultations- und Entschei-
nen:                                             dungsprozessen zu beraten, ein Schuldentri-
                                                 bunal, ähnlich wie in Ecuador 2010: Welche
Umverteilung ist wesentliche Voraussetzung       und in welcher Höhe sind Schulden zu be-
jeder linken Politik. Sie kommt in der »grünen   dienen? Wie viel soll für den Schuldendienst
Ökonomie« nicht vor, im sog. Green New           oder Investitionen frei bleiben, und für welche?
Deal spielt sie eine Nebenrolle, die in Zeiten   Dies ist kein Problem nur peripherer Staaten.
von Kürzungspolitik nicht ernst gemeint ist –    Benötigen wir nicht generell einen Schulden-
»ehrlich machen« nannte die Partei Die Grü-      schnitt (nicht nur für Griechenland), einer
nen deren Relativierung. Dabei wurden Ban-       Währungsreform vergleichbar? In Verbindung
ken und Konzerne auf Kosten der Allgemein-       mit einer gerechteren Steuerpolitik, die Kapi-
heit gerettet, und nun soll die Schuldenkrise    tal und Vermögende wieder stärker zur Fi-
erneut von jenen beglichen werden, die am        nanzierung des Öffentlichen heranzieht, also
wenigsten dafür können. Aus neoliberaler         das gesellschaftliche Mehrprodukt wieder der
Sicht muss der Schuldendienst an jene, eben      Allgemeinheit zurückführt, könnten so Umver-
noch vom Staat geretteten Finanzinstitutio-      teilung gestoppt, umgekehrt, Spielräume für
nen geleistet werden. Auch Sozialdemokra-        eine andere Politik überhaupt wieder eröffnet
ten und Grüne halten sich daran, um das          werden, auch für eine sozial-ökologische –
»Vertrauen der Märkte« zu sichern. Sie           dazu schweigen die Vertreter der »grünen
                                                                                             10
Ökonomie«. Auch die Bereitschaft für eine         politiken auch rasch wieder rückgängig ma-
solche Politik in der Bevölkerung gründet auf     chen. Es geht um strukturelle Veränderungen.
der Entlastung von erdrückenden (finanziel-
                                                  Beim ökologischen Umbau der Produktion
len) Existenznöten. An diesem Punkt treffen
                                                  und Beschäftigungssicherung hat die private
sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen,
                                                  Wirtschaft versagt, insbesondere im Ver-
wie die CDTM, die Griechische Kampagne
                                                  kehrs- und Energiesektor. Jetzt ist sie dabei,
zum Schuldenaudit (vgl. LuXemburg 2/2012,
                                                  dies nachzuholen, indem die ökologische
34 ff.), und linke Parteien wie Syriza und die
                                                  Modernisierung innerhalb der maßlosen Ver-
Izquierda Unida, die im Rahmen der europä-
                                                  wertungs- und Wachstumslogik erfolgt. Der
ischen Krisenproteste für Schuldenaudits,
                                                  Natur wird ein Preisschild angeheftet, wäh-
Vermögensbesteuerung, Finanztransaktions-
                                                  rend nicht-profitable Bereiche vernachlässigt
steuern, Bankenabgabe usw. streiten.
                                                  werden. Daher bedarf es einer sozial-
Perspektivisch wäre damit eine schrittweise       ökologischen Transformation der Produkti-
Sozialisierung der Investitionsfunktion not-      ons- und Lebensweise insgesamt, nicht
wendig – übrigens eine alte Keynesʼsche           durch Inwertsetzung und damit Privatisierung
Position: Denn wer entscheidet eigentlich         von natürlichen Ressourcen, sondern durch
über den Einsatz der Ressourcen in der Ge-        Erhalt des allgemeinen und öffentlichen Cha-
sellschaft und darüber, welche Arbeiten ge-       rakters der natürlichen Commons und ande-
sellschaftlich notwendig sind? Der Markt als      rer grundlegender Reproduktionsbedingun-
vermeintlich effizientester Allokationsmecha-     gen (public goods) und den Ausbau kollekti-
nismus für Investitionen hat sich blamiert.       ver kostengünstiger, perspektivisch kostenlo-
Das neoliberale Kredit- und Finanzsystem          ser öffentlicher Leistungen (z.B. Ausbau ei-
sammelt zwar noch die vereinzelten (latent        nes kostenloser ÖPNV statt einfacher Stüt-
produktiven Geld-)Kapitale ein, es gelingt        zung der Autokonzerne).
jedoch nicht mehr, sie in ausreichend produk-
                                                  Ein grüner Sozialismus stellt das Öffentliche
tive Investitionen zu lenken, geschweige
                                                  in den Mittelpunkt, rekommunalisiert zentrale
denn in die ökologische Modernisierung.
                                                  Infrastrukturen und garantiert demokratische
Stattdessen produziert die Überakkumulation
                                                  Entscheidungen über den Umbau der Pro-
von Kapital Wellen spekulativer Blasen, ge-
                                                  duktions- und Konsumweise. Mit dem Aus-
folgt von Kapital- und Arbeitsplatzvernichtung,
                                                  bau des kollektiven Konsums durch Stärkung
während immer größere Bereiche gesell-
                                                  sozialer und anderer Infrastrukturen sowie
schaftlicher Reproduktion (z.B. Erziehung
                                                  allgemeiner solidarischer Sicherungssysteme
und Ausbildung, Umwelt, Hungerbekämpfung,
                                                  kann der auch in Teilen der gewerkschaftli-
Infrastrukturen und öffentliche Dienstleistun-
                                                  chen Linken verbreiteten Fixierung auf Lohn-
gen) liegen bleiben bzw. kaputt gespart wer-
                                                  erhöhung und stofflichen Warenkonsum ge-
den. Die »grüne Ökonomie« setzt nichtsde-
                                                  gengearbeitet werden – ohne sich in Ver-
stoweniger auf marktförmige Lösungen wie
                                                  zichtsdebatten zu verkämpfen. Mit einem
Zertifikatehandel. Aber wie schon dargestellt:
                                                  solchen (nicht-warenförmigen) Ausbau des
Vor allem dauert ein solcher Umbau viel zu
                                                  Öffentlichen werden zugleich Märkte und
lange.
                                                  Privatisierung zurückgedrängt.
Wenn die Märkte weder ihre Investitionsfunk-
                                                  Die »grüne Ökonomie« hingegen favorisiert
tion wahrnehmen (können), noch demokrati-
                                                  privat-kapitalistische technische Lösungen
sche Entscheidungen über die Richtung der
                                                  (techno fixes), einschließlich großtechnischer
Entwicklung, dann muss auch die Investiti-
                                                  Projekte        wie      Desertec,     riesige
onsfunktion stärker zur öffentlichen Aufgabe
                                                  Offshorewindparks, monopolisierte transkon-
werden, über internationale Finanzregulie-
                                                  tinentale Supergrid-Netze für den großräumi-
rung hinaus etwa über die Vergesellschaf-
                                                  gen Stromexport. Alle wollen ihren Anteil am
tung von »systemrelevanten« Banken, den
                                                  wachsenden Multibillionen-Dollar-Weltmarkt
Ausbau eines Netzes öffentlicher Banken und
                                                  für grüne Technologien. Das dezentralisie-
breiter Einführung partizipativer Haushalte
                                                  rende Potenzial der neuen Technologien wird
auf allen Ebenen. Sozialisierung von und
                                                  konterkariert.
partizipative Entscheidung über Investitionen
ist Voraussetzung eines linken und sozialisti-    »False solutions« (falsche Lösungen) – wie
schen Projekts der gesellschaftlichen Umge-       sie in den globalen Gegenbewegungen be-
staltung – ohne das lassen sich Verteilungs-      zeichnet werden; sie produzieren eine Viel-
                                                  zahl sozial-ökologischer Konflikte. Hier be-

                                                                                             11
rühren sich zahlreiche Bewegungen und lo-        ban), vielmehr eine alternative Produktion.
kale Initiativen mit linken Landes- und Kom-     Das E-Auto zur Fortschreibung der Export-
munalpolitikern: gegen eine von oben ve-         strategie deutscher Automobilkonzerne ent-
rordnete, konzerngetriebene Energiewende         spricht, wie schon dargestellt, sicher keiner
streiten sie für dezentrale und kommunale        alternativen Produktion. Stattdessen wäre
Lösungen: Rekommunalisierungen, Energie-         über die Konversion der betreffenden Unter-
genossenschaften, Bioenergiedörfer etc. um       nehmen hin zu ökologisch orientierten
nur einige Beispiele zu nennen. Mit dem Be-      Dienstleistern für öffentliche Mobilität nach-
griff der Energiedemokratie versuchen in die-    zudenken, die von der Region ausgehend
sem Bereich unterschiedliche Bewegungen          integrierte Mobilitätskonzepte realisieren (vgl.
und Gruppen auf eine gemeinsame Orientie-        LuXemburg 3/2010). Auf diese Art könnten
rungen hin zu arbeiten (vgl. LuXemburg           die im Exportismus und Krisenkorporatismus
1/2012).                                         verhedderten Gewerkschaften wie die IG
                                                 Metall wieder eigenständige Perspektiven
Die Reorientierung auf reproduktive Bedürf-
                                                 entwickeln, die sie nicht immer wieder in
nisse wäre zentral für eine sozial-ökologische
                                                 Gegensatz zu den anderen Teilen der Mo-
Transformation. Das hieße, unsere wach-
                                                 saik-Linken bringen oder als Krisengewinnler
stumsorientierte kapitalistische Ökonomie in
                                                 gegenüber den europäischen Partnerge-
eine »Reproduktionsökonomie« zu transfor-
                                                 werkschaften positioniert. Eine solche Ten-
mieren, die sich zu beschränken weiß und
                                                 denz zu Deglobalisierung und Regionalisie-
zugleich neuen Reichtum schafft. Es ginge
                                                 rung der Wirtschaft trägt nämlich auch zum
darum, jene Bereiche ins Zentrum einer
                                                 Abbau der Leistungsbilanzungleichgewichte
Transformation zu stellen, die gemeinhin un-
                                                 und der Exportfixierung bei. Und sie verrin-
ter einen (weiten) Begriff der Reproduktions-
                                                 gert im globalen Süden den Druck zur Ein-
oder Sorgearbeiten fallen: d. h. Ausbau einer
                                                 schreibung in globale Produktionsketten, in
bedürfnisorientierten sozialen Infrastrukturen
                                                 extraktivistische Politiken und Rohstoffströme
öffentlicher Gesundheit, Pflege, Erziehung
                                                 sowie Ausbau einer imperialen Lebensweise,
und Bildung, Forschung, soziale Dienste,
                                                 eröffnet Raum für eigenständige Entwicklung.
Ernährung(ssouveränität) und Schutz unserer
natürlichen Umwelten. Denn das sind zentra-      Ein grüner Kapitalismus steht nicht nur in
le Bedürfnisse, in denen alle seit Jahren        einer bestimmten Kontinuität zum Neolibera-
Mangel beklagen. Es ist zentral, diese Berei-    lismus. Es ist außerdem zu erwarten, dass
che öffentlich zu halten und nicht dem Markt     unter dem zeitlichen Druck die imperiale Ab-
preiszugeben. Und es sind die einzigen Be-       sicherung der ungehinderten Aneignung von
reiche, in denen die Beschäftigung in Indust-    Öl und Ressourcen wesentliches Ziel der
rieländern wächst. Dies wäre sowohl ein Bei-     alten und neuen kapitalistischen Kernländer
trag zur Ökologisierung unserer Produkti-        bleiben wird. Auch die ungleiche Verteilung
onsweise (da diese Arbeit mit Menschen           der unvermeidlichen Folgen von Weltwirt-
selbst wenig Umweltzerstörung mit sich           schaftskrise wie insbesondere Klimawandel
bringt), zur Bearbeitung der Krisen von Arbeit   auf die gesellschaftlichen Klassen und Grup-
und Reproduktion, als auch zur emanzipati-       pen sprechen für eine Betonung von Sicher-
ven Gestaltung von Geschlechterverhältnis-       heitspolitiken von Seiten der »Herrschenden«.
sen durch den zentralen Blick auf reprodukti-    – Stattdessen wäre die Transformation in
ve Funktionen. Ein grüner Sozialismus ist        Nord und Süd solidarisch zu verknüpfen. Ein
also feministisch. Wachstumskritische Bewe-      konsequenter Technologietransfer von Nord
gungen, feministische Politiken und Dienst-      nach Süd wäre zu ergänzen durch einen Er-
leistungsgewerkschaften wie Verdi können         fahrungstransfer ökologischerer Lebenswei-
an solchen Punkten zusammenkommen.               sen von Süd nach Nord. Die Schonung natür-
                                                 licher Ressourcen erfordert darüber hinaus
Diese Reorientierung auf reproduktive Be-
                                                 die Entwicklung einer globalen Stoff- und
dürfnisse geht einher mit einer Orientierung
                                                 Ressourcenplanung, die eine gerechte Ver-
auf Binnenmarkt und -produktion. Globale
                                                 teilung sichert, den Verbrauch begrenzt, rep-
Produktionsketten wurden überdehnt, führen
                                                 roduktive Bedürfnisse stärkt.
zur Verschwendung von Ressourcen – der
Transport, einer der Hauptverursacher von        Eine solche Reproduktionsökonomie bedeu-
CO2-Emmissionen, muss verringert und die         tet mittelfristig, dass sich Bedürfnisse und
Produktion ökologisch reorganisiert werden –     Ökonomie qualitativ entwickeln, aber nicht
also kein »naiver Antiindustrialismus« (Ur-      mehr quantitativ bzw. stofflich wachsen. Ein

                                                                                              12
gerechter Übergang bedeutet kurzfristig,            beit befördern und e) demokratische Partizi-
dass während bestimmte Bereiche schrump-            pation der Einzelnen fördern. Sicher kann die
fen (bspw. die industrielle Produktion stoffli-     Liste der Kriterien beliebig fortgeführt werden.
cher Waren), müssen andere zunächst                 Für eine erste, interventionsfähige Methode
wachsen (bspw. die gesamte Care-                    zur quantitativen Beurteilung wären dies je-
Ökonomie), bei relativer Entkopplung vom            doch wesentliche Punkte. Ohne Umverteilung
stofflichen Wachstum. Ein solches qualitati-        von oben nach unten und von privat hin zu
ves Wachstum ist übergangsweise nicht zu-           mehr öffentlichen Finanzen kann es keine
letzt aufgrund der Defizite in vielen Bereichen     Umgestaltung geben. Aber auch umgekehrt:
der Reproduktion notwendig – dies gilt vor          Ohne sozial-ökologische Umgestaltung keine
allem für Länder des globalen Südens. Hier          wirkliche Verbesserung der Lage des Unten
ist ein simpler Gegensatz von Wachstums- vs.        in der Gesellschaft über Almosen hinaus.
Postwachstumspositionen         kontraproduktiv.    Dies alles kann aber nicht elitär und autoritär
Dabei weisen Debatten um Buen Vivir (dem            erfolgen, sondern nur durch starke demokra-
Guten Leben) und sozial-ökologische Ent-            tische Partizipation.
wicklungsweisen jenseits westlicher Lebens-
                                                    Der Ausbau des Öffentlichen im Sinne einer
weisen im globalen Süden über Wachstums-
                                                    vorsorgenden Wirtschaft muss zugleich eine
und Modernisierungsvorstellungen hinaus.
                                                    radikale Demokratisierung des Staates sein.
Auch dabei wäre es notwendig, falsche
                                                    Weder der »wohlmeinend« paternalistische
Gegensätze zu vermeiden: Nicht »Entwick-
                                                    und patriarchale fordistische Wohlfahrtsstaat
lung« an sich ist das Problem, nicht die »mo-
                                                    noch der autoritäre Staatssozialismus, schon
derne« Zivilisation, sondern eine spezifische
                                                    gar nicht ein neoliberaler Umbau von öffentli-
Form kapitalistischer (oder auch staatssozia-
                                                    chen Diensten auf Wettbewerb und reine
listischer) herrschaftsförmiger Entwicklung
                                                    betriebswirtschaftliche Effizienz waren be-
und bestimmter gesellschaftlicher Naturver-
                                                    sonders emanzipativ. Ein linkes Staatsprojekt
hältnisse. Hier muss eine politische Überset-
                                                    muss also die von den neuen (Demokra-
zung der jeweiligen Erfahrungen erfolgen. Es
                                                    tie-)Bewegungen geforderte Erweiterung der
ergeben sich zahlreiche Verknüpfungsmög-
                                                    Partizipationsmöglichkeiten und Transparenz
lichkeiten zwischen sozial-ökologischen und
                                                    realisieren – und in sozialistischer Perspekti-
transformatorischen Kämpfen im globalen
                                                    ve auf die Absorption des Staates in die Zivil-
Süden und im Norden.
                                                    gesellschaft hinarbeiten, wie es bei Gramsci
Dringend bedarf es dabei der Entwicklung            heißt. Partizipation heißt nicht, seine Meinung
gerechter Übergänge – Just Transition –, die        äußern zu dürfen, sondern wirkliche Ent-
auch für die von der Klimakrise am stärksten        scheidungen beeinflussen zu können. Das
Betroffenen wie für die von steigenden Ko-          autoritär-neoliberale Krisenmanagement läuft
sten (z.B. der Energiewende) und dem Um-            dem entgegen gesetzt.
bau (z.B. dem Strukturwandel durch indust-
                                                    Und es blockiert sogar die Dynamik der
rielle Konversion) bedrohten Beschäftigten,
                                                    »grünen Ökonomie«: Wie die IT-Revolution
Gemeinden und Länder eine Perspektive
                                                    die technische Basis für die Globalisierung
bietet. In diesem Sinne versuchen Just-
                                                    bereitstellte, sollte GreenTech die Grundlage
Transition-Initiativen Klimagerechtigkeits- und
                                                    für die ökologische Modernisierung der
Arbeiterbewegung zusammenzubringen. An-
                                                    gegenwärtigen Produktionsweise liefern. Wie
dernfalls werden immer wieder soziale gegen
                                                    schon gezeigt, ist dies ohne eine aktive und
ökologische Interessen ausgespielt. Oder die
                                                    bindende Regulierung unmöglich. Darin liegt
Berücksichtigung von Interessen der unteren
                                                    ein Konfliktpotenzial zwischen autoritärem
Klassen (bessere Umweltbedingungen und
                                                    Neoliberalismus und grün-kapitalistischer
bewusster Konsum) oder von Beschäftigten-
                                                    Erneuerung. Letztere ist durch austeritätspoli-
interessen (mehr Jobs) bleibt äußerlich. Ver-
                                                    tische Blockaden in ihrer Dynamik behindert.
suchsweise Kriterien für einen solchen ge-
                                                    Ohne massive staatliche Investitionspro-
rechten Übergang zu einem grünen Sozia-
                                                    gramme wird es auch keine konservative
lismus sind: Alle zu treffenden Maßnahmen
                                                    Energiewende geben. Auch über das Tempo
müssten daran gemessen werden, ob sie a)
                                                    des Umbaus besteht Uneinigkeit zwischen
relevant zur Senkung von CO2-Emissionen
                                                    den beteiligten Kapitalgruppen: die fossilisti-
beitragen, b) zur Reduzierung von Armut und
                                                    schen Kapitalgruppen, die nun auf den grün-
Vulnerabilität (Verletzlichkeit), c) zur Reduzie-
                                                    kapitalistischen Zug aufspringen wollen einen
rung von Einkommens- und anderer Un-
                                                    möglichst langsamen Übergang, um altes
gleichheiten, d) Beschäftigung und Gute Ar-
                                                                                                 13
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