HANDLUNGSPROGRAMM PFLEGE & MEHR 2021 2022 - KONSTANZ | ALTENHILFE - Stadt Konstanz

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HANDLUNGSPROGRAMM PFLEGE & MEHR 2021 2022 - KONSTANZ | ALTENHILFE - Stadt Konstanz
KONSTANZ | ALTENHILFE

HANDLUNGSPROGRAMM
PFLEGE & MEHR 2021 – 2022
HANDLUNGSPROGRAMM PFLEGE & MEHR 2021 2022 - KONSTANZ | ALTENHILFE - Stadt Konstanz
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HANDLUNGSPROGRAMM PFLEGE & MEHR 2021 2022 - KONSTANZ | ALTENHILFE - Stadt Konstanz
INHALTSVERZEICHNISS

EINLEITUNG                                                        4

AKTUELLE DATEN DER ALTENHILFE KONSTANZ                            9

TRENDS, ENTWICKLUNGEN UND EINFLUSSFAKTOREN                       12
   Ende von Zivildienst und Einführung der Freiwilligendienste   12
   Die demografische Entwicklung                                 13
   Digitalisierung und technische Entwicklungen                  14
   Finanzielle Ressourcen der älteren Generationen               15
   Veränderte Familienkonstellationen                            17
   Fazit                                                         18

EINFÜHRUNG ZUR VORGEHENSWEISE                                    20

BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER                                    25
   I. 24-STUNDEN-PFLEGE AMBULANT UND STATIONÄR                   27
   Einführung                                                    28
   Vision und Handlungsempfehlungen
                                                                 31
   II. ARBEITSKRÄFTE FÜR DEN PFLEGEBEREICH                       45
   Einführung                                                    46
   Vision und Handlungsempfehlungen
                                                                 49
   III. SORGE TRAGEN IN NACHBARSCHAFT UND QUARTIER               65
   Einführung                                                    66
   Vision und Handlungsempfehlungen                              69

HANDLUNGSBEREICHE VERBINDEN                                      80

AUSBLICK UND FAZIT                                               84

IMPRESSUM                                                        86

                                                                         3
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EINLEITUNG

                        „Die Altenhilfe soll dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch
das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen
die Möglichkeit zu erhalten, selbstbestimmt am Leben in der Gemeinschaft teilzuneh-
men und ihre Fähigkeit zur Selbsthilfe zu stärken.“                           §71(1) SGB XII

Seit Einführung der Pflegeversicherung                  stationäre Versorgungsformen gleicher-
1995 und dem entstehenden Pflegemarkt                   maßen. Der Kommune kommt damit in
sind Steuerungsmöglichkeiten im Bereich                 der Altenhilfe eine zentrale Rolle bei der
der Altenhilfe für die Kommunen einge-                  Sozialraumgestaltung und bei der Versor-
schränkt. Das Gebot der Wirtschaftlichkeit              gung zu. Ein gesetzlicher Auftrag mit den
sorgte für die Einstellung aller öffentli-              damit verbundenen Rahmenbedingungen
chen Zuschüsse in diesem Bereich. Mit                   z.B. analog der Jugendhilfeplanung wurde
dem Ende der Kommunalen Bedarfsprü-                     nicht geschaffen.
fung ist die Voraussetzung für die Gewäh-
rung von Investitionskostenzuschüssen                   Mit dem Handlungsprogramm Pflege &
für Pflegeeinrichtungen entfallen. Ein                  mehr schafft die Stadt Konstanz Grundla-
bedeutendes finanzielles Steuerungsele-                 gen für ein gutes und würdevolles Älter-
ment ging damit verloren. Die Kommunen                  werden und Altsein. Fast jede und jeder
stehen seither vor der Frage, welche                    stellt sich irgendwann die Frage, was gutes
Aufgaben im Pflege- und Altenhilfebereich               Leben im Alter bedeutet - für sich selbst,
sie zu verantworten haben.                              für die Eltern und für Angehörige. So viel-
                                                        fältig die Lebensgestaltung eines jeden
Älter werdende Menschen suchen zuerst                   Menschen ist, so unterschiedlich wird die
in der Kommune nach Antworten auf ihre                  Antwort ausfallen, was in dieser Hinsicht
sich verändernden Bedürfnisse. Im Lan-                  „gut“ bedeutet.
despflegegesetz ist der Grundsatz formu-
liert, dass die notwendige Grundversor-                 Die Betrachtung des Alters verlangt einen
gung der Bevölkerung durch eine                         differenzierten Blick. Ältere sehen sich
möglichst wohnortnahe, leistungsfähige                  durchaus nicht nur als Empfänger von
und wirtschaftliche pflegerische Versor-                Hilfen und Unterstützung, sondern viel-
gungsstruktur gewährleistet werden soll1.               mehr als gesellschaftlich wertvolle Mitglie-
Dies gilt für ambulante, teilstationäre und             der, die einen Beitrag leisten können und

       1
         Gesetz zur Umsetzung der Pflegeversicherung in Baden-Württemberg (Landespflegegesetz - LPflG) Vom 11.
4      September 1995
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EINLEITUNG

                                            Laut der Generali Altersstudie (2017) sind
                                            die folgenden Aussagen die wichtigsten
                                            Aspekte dessen, was ein gutes Leben im
                                            Alter bedeutet 2:

wollen. Sie erleben sich im Spannungsfeld   • Wissen und Erfahrungen weitergeben,
zwischen dem Wunsch, ein normales             Kompetenzen und Fähigkeiten einset-
Leben zu führen, und dem Wissen um die        zen können
Herausforderungen des Alters, die Hilfe     • für jüngere Menschen (Enkel) die Ent-
und Unterstützung notwendig machen            wicklung positiv unterstützen können
können.                                       und damit in diesen symbolisch weiter-
                                              leben
                                            • selbstbestimmt leben
                                            • Teilhabe am familiären, sozialen und
                                              gesellschaftlichen Leben
                                            • finanziell abgesichert sein
                                            • geistige und körperliche Gesundheit
                                            • bei zunehmender gesundheitlicher
                                              Beeinträchtigung unterstützende Hilfe
                                              und Dienstleistungen erhalten, die so
                                              lange wie möglich ein autonomes Leben
           *Solle mer                         ermöglichen.
           zamme...?

                                             ** Könnsch
                                             mer mol...?

                                                   2
                                                       VGl. Generali Altersstudie 2017, S. 2ff
                                                                                                 5
HANDLUNGSPROGRAMM PFLEGE & MEHR 2021 2022 - KONSTANZ | ALTENHILFE - Stadt Konstanz
Das Alter ist nicht nur ein gesellschaftli-             Die Rahmenbedingungen für die älteren
cher Gestaltungsauftrag, sondern eine                   Menschen verändern sich durch den
Aufgabe für jede Bürgerin und jeden                     demografischen Wandel und dem daraus
Bürger. Die Veränderungen, die das Alter                resultierenden Arbeitskräftemangel.
mit sich bringt, gilt es gedanklich vorweg-             Daher ist die Versorgung im Alter nicht
zunehmen, Einbrüche und Umbrüche                        alleine durch einen Ausbau vorhandener
einzukalkulieren und sich darauf vorzube-               Infrastruktur und Angebote sicherzu-
reiten. Wo die eigenen Möglichkeiten nicht              stellen. Alternative Konzepte und die
mehr ausreichen und die Selbstverant-                   Entwicklung von Sorge tragenden
wortung an ihre Grenzen stößt, steigt die               Gemeinschaften in Nachbarschaft und
Mitverantwortung von Angehörigen und                    Quartier sollen Bestehendes ergänzen.
dem persönlichen Umfeld. Die kommuna-
len Angebote der Versorgung und Hilfe                   Bereits 2018 hat die Abteilung Altenhilfe
unterstützen dabei. Auch wenn es keinen                 mit dem Bericht zur Pflege auf den drin-
gesetzlichen Anspruch auf Versorgung im                 gend notwendigen Handlungsbedarf in
Alter gibt, liegt die Gestaltungsaufgabe                der Altenhilfe in Konstanz hingewiesen
bei der Kommunalpolitik, für ausreichende               und Themenbereiche benannt, die weiter-
und angemessene Versorgungsstrukturen                   führende Konzepte erfordern.
zu sorgen - für heutige wie für zukünftige
Generationen 3.                                         Das Handlungsprogramm Pflege & mehr
                                                        beinhaltet sowohl die Weiterentwicklung
                                                        und den Ausbau von kommunalen Versor-
                                                        gungsstrukturen als auch die Entwicklung
                                                        lokaler Sorgestrukturen durch eine koope-
                                                        rative Altenhilfeplanung. Diese Herausfor-
                                                        derungen gilt es im Netzwerk aller
                                                        Beteiligten anzugehen, Ideen zu sammeln
                                                        und Möglichkeiten auszuloten.

       3
        Siehe dazu den 7. Altenbericht der Bundesregierung (Bundes-Drucksache 18/10210;), in dem es um Aufbau und
       Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften geht: Zur Gestaltungsaufgabe der Kommunen gehört, die örtlichen
       Rahmenbedingungen für das Älterwerden maßgeblich zu gestalten. Ihre Gestaltungsmöglichkeiten und Kompe-
       tenzen sollten deshalb gestärkt und ausgebaut werden, vor allem in der Pflege, im Bereich Wohnen sowie im
6      Gesundheitswesen.
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EINLEITUNG

Das Handlungsprogramm Pflege & mehr
ist ein Ideenpool und ein Steuerungsinst-
rument für die Akteure der Altenhilfe und
die eingebundenen Abteilungen der
Verwaltung. Den kommunalpolitisch
Verantwortlichen soll es als Planungs-
grundlage dienen. Die erarbeiteten Hand-
lungsempfehlungen werden priorisiert,
immer wieder überprüft und angepasst,
ergänzt und weiterentwickelt. Aus ihnen
heraus werden künftige Projektideen und
Maßnahmen entstehen.

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AKTUELLE DATEN DER

Zum 31.12.2020 zählte die Stadt Konstanz    Die kommenden Jahrzehnte werden
rund 86.000 Einwohner*innen. Davon          einschneidende Wandlungen mit sich
waren über 16.000 Bürger*innen 65 Jahre     bringen. Die von 1955 bis 1969 Geborenen,
und älter, was 19,2% der städtischen        die geburtenstarken Jahrgänge, scheiden
Bevölkerung entspricht. Das sozialwissen-   schrittweise aus dem Berufsleben aus.
schaftliche Forschungsinstitut Empirica     Damit steht auch für Pflege und Betreu-
errechnete einen Anstieg der Konstanzer     ung immer weniger Fachpersonal zur
Bevölkerung auf etwa 94.000 Ein-            Verfügung.
wohner*innen bis zum Jahr 2040. Davon
werden 24,3% älter als 65 Jahre alt sein.

8
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AKTUELLE DATEN DER ALTENHILFE KONSTANZ

ALTENHILFE KONSTANZ

 PFLEGEBEDÜRFTIGE IN KONSTANZ

                    Berechnung:
                    Pflegequoten: Baden-Württemberg 2015,
                    Bevölkerung: Empirica, Mittelwert, Dez. 2020
                    Statistik und Steuerungsunterstützung: Wohnbevölkerung

                                                                                  Stand Juni 2021

 Ab 2035 werden die Ersten der Babyboo-           Während aktuell statistisch berechnet
 mer-Generation ein Alter erreichen, in           2819 Bürger*innen in Konstanz im Sinne
 dem die Wahrscheinlichkeit eines Hilfe-          der Pflegeversicherung pflegebedürftig
 und Unterstützungsbedarfs steigt.                sind, werden es bis 2040 etwa 34,7% mehr
 Deutlich mehr hochaltrige Menschen               sein. Der statistisch berechnete Bedarf an
 werden in Konstanz leben, und mit stei-          24-Stunden-Pflege in Konstanz steigt
 gendem Alter nimmt die Wahrscheinlich-           erwartungsgemäß bis 2040 von derzeit
 keit des Pflegebedarfs zu.                       847 Plätzen auf 1197. Dieser Berechnung
                                                  liegen die aktuellen Eckdaten des Sozialmi-
                                                  nisteriums Baden-Württemberg zugrunde.

                                                                                               9
HANDLUNGSPROGRAMM PFLEGE & MEHR 2021 2022 - KONSTANZ | ALTENHILFE - Stadt Konstanz
In die Berechnung des Bestands an
24-Stunden-Pflege-Plätzen sind die bisher
bekannten Pflegeheimplanungen im Wei-
herhof und Hafner eingegangen, der
Umzug des Marienhauses in das Haus
Zoffingen sowie die Option eines Pflege-
heims am Gerstäcker und einer ambulant
betreuten Wohngemeinschaft auf dem
Gelände Ravensberg. Selbst wenn diese
Planungen ohne Verzögerungen umge-
setzt würden, reichen die Pflegeplätze
nicht aus, um den zukünftigen Versor-                    Häufig sind sie ergänzend und unterstüt-
gungsbedarf zu decken.                                   zend zur häuslichen Hilfe und Pflege im
                                                         Einsatz. Ebenso wie Hauswirtschaftliche
Es stehen bisher in Konstanz 750 Pflege-                 Dienste und Tagespflegeeinrichtungen
plätze in der 24-Stunden-Versorgung zur                  spielen sie eine wichtige Rolle bei der Ent-
Verfügung. Folglich werden von 2819 Per-                 lastung häuslicher Versorgung.
sonen mit Pflegebedarf in Konstanz 2069
Personen im privaten Umfeld versorgt.                    „Es ist nicht ausreichend, die Herausforde-
Gepflegt wird überwiegend von Angehö-                    rungen des demografischen Wandels hin
rigen, Freunden und Nachbarn sowie von                   zu einer älter werdenden Gesellschaft auf
osteuropäischen Betreuungskräften.                       aktuelle Entwicklungen (Stichwort Fach-
Die ambulanten Pflegedienste haben laut                  kräftemangel) zu reduzieren oder zeitlich
einer 2019 durchgeführten Befragung                      auf das Jahr 2030 zu begrenzen. Es wird
etwa 1.100 Personen zuhause versorgt.                    zwei „kritische Jahrzehnte“ geben: Das
                                                         Jahrzehnt zwischen 2025 und 2035 durch
                                                         das Ausscheiden der geburtenstarken
                                                         Jahrgänge aus dem Berufsleben und ab
                                                         2040, wenn sie hochaltrig werden. Dies er-
                                                         fordert eine breit angelegte und weit über
                                                         eine Dekade herausgehende Handlungs-
                                                         strategie. Das dafür noch offene Zeitfens-
                                                         ter beträgt rund 15 Jahre.“4

10         4
               Wege zu einer Demografiestrategie, Baden-Württemberg, Der Demografiebeauftragte des Landes, 2018
AKTUELLE DATEN DER ALTENHILFE KONSTANZ

                              Stand Juni 2021

                                          11
TRENDS, ENTWICK-
                           TRENDS,
                           LUNGEN UND
                           ENTWICKLUNGEN  UND
                           EINFLUSSFAKTOREN
                                                          ENDE VON ZIVILDIENST UND EIN-
ENDE VON ZIVILDIENST UND                                  FÜHRUNG DER
EINFÜHRUNG DER                                            FREIWILLIGENDIENSTE
FREIWILLIGENDIENSTE

Von 1961 bis 2011 war der Zivildienst die                Im Jahr 2019 waren im BFD rund 39.200
häufigste Form des Wehrersatzdienstes                    Menschen freiwillig aktiv 6, im FSJ mehr als
für anerkannte Kriegsdienstverweigerer.                  50.0007. Mit die meisten BFDler gibt es
So leisteten zum Beispiel im Jahr 2009                   heute in Baden-Württemberg. Anhand der
90.555 Kriegsdienstverweigerer Zivil-                    Zahlen wird deutlich, dass sich mehr Frau-
dienst, die meisten im sozialen Bereich                  en dafür entscheiden (57,35%) als Männer.
u.a. in Krankenhäusern und Altenheimen.5                 Altersgemäß betrachtet sind es haupt-
Die Zivildienstleistenden entlasteten                    sächlich Freiwillige bis zu einem Alter von
hauptamtliche Kräfte und waren die                       27 Jahren. Die Öffnung der Freiwilligen-
wichtigsten Leistungsträger im hauswirt-                 dienste für alle Altersgruppen konnte die
schaftlich-sozialen Bereich.                             Anzahl der einst im Zivildienst Tätigen
                                                         nicht auffangen.
2011 wurde der Zivildienst abgeschafft
und stattdessen der Bundesfreiwilligen-
dienst zusätzlich zu den schon bestehen-
den Freiwilligendienste geschaffen. Das
Freiwillige Soziale Jahr ist ein Angebot für
Menschen bis zum 27. Lebensjahr. Der
Bundesfreiwilligendienst ist für Erwachse-
ne über 27 Jahre offen und auch als Teil-
zeittätigkeit möglich.

In den Freiwilligendiensten engagieren
sich Menschen jeden Alters für das Allge-
meinwohl, insbesondere im sozialen aber
auch im ökologischen und kulturellen Be-
reich. Mit diesem Konzept soll der Einsatz
für das Gemeinwohl auf eine breitere ge-
sellschaftliche Basis gestellt werden.
       5
         Vgl. Wikipedia – die freie Enzyklopädie; Zivildienst in Deutschland
       6
         https://www.daten.bmfsfj.de/daten/daten/bundesfreiwilligendienst-137354
12     7
         https://www.daten.bmfsfj.de/daten/daten/freiwilliges-soziales-jahr-137090
TRENDS, ENTWICKLUNGEN UND EINFLUSSFAKTOREN

EINFLUSSFAKTOREN

 DIE DEMOGRAFISCHE
 ENTWICKLUNG

 Die demografische Entwicklung zeigt eini-                 • Ein-Personen-Haushalte nehmen zu.
 ge Aspekte, die auf zukünftige Planungen                    Es ist mit einer weiter ansteigenden
 einwirken werden8:                                          Singularisierung zu rechnen, verbunden
 • In Baden-Württemberg wird im Jahr                         mit einem Risiko von Isolation und
   2050 ein Drittel der Bevölkerung über 60                  Vereinsamung.
   Jahre alt sein. Etwa 10% der Bevölke-                   • Die geburtenstarken Jahrgänge haben
   rung sind dann 80 Jahre und älter.9 Trotz                 selbst wenige Nachkommen. Das Poten-
   besserer geistiger und körperlicher Vi-                   zial an familiärer Pflege wird damit ab-
   talität bleibt alleine die hohe Zahl eine                 nehmen. Auf einzelne Familienmitglieder
   beachtliche gesellschaftliche Herausfor-                  kommen größere Herausforderungen
   derung. Insgesamt werden durch den                        zu.
   demografischen Wandel deutlich mehr
   Menschen Hilfe und Pflege benötigen.
 • Der Anteil an Frauen in der Bevölkerung
   - besonders im höheren Alter - über-
   wiegt deutlich.
 • Betrachtet man das Alterssegment 65+
   kann von zwei Generationen Älterer
   ausgegangen werden. Das bedeutet
   beispielsweise, dass die Kinder Hochbe-
   tagter ebenfalls im Rentenalter sein
   werden.
 • Die Lebens- und Verhaltensformen älte-
   rer Menschen weisen eine zunehmende
   Differenzierung und Vielfalt auf, unter
   anderem geprägt von Faktoren wie Her-
   kunft, Kultur und finanzieller Ausstat-
   tung.

 8
     Vgl. Wikipedia – die freie Enzyklopädie; Demografie Deutschlands
 9
     https://www.baden-wuerttemberg.de/de/bw-gestalten/gerechtes-baden-wuerttemberg/aeltere-menschen/   13
DIGITALISIERUNG UND TECHNISCHE
ENTWICKLUNGEN

Die Digitalisierung ist eines der zentralen               Kontakten durch digitale Anwendungen,
Themen unserer Zeit, weshalb die Altenbe-                 das Online-Banking oder das Einkaufen im
richtskommission der Bundesregierung                      Online-Shop. Das Internet ist vordergrün-
ihren neusten und achten Altenbericht                     dig barrierefrei und 24 Stunden am Tag
unter das Thema „Ältere Menschen und                      zugänglich.
Digitalisierung“ gestellt hat. Digitale Tech-             Voraussetzung ist die Verfügbarkeit von
nologien spielen für ältere Menschen in                   entsprechenden Endgeräten wie Handy
Lebensbereichen wie Wohnen, Mobilität,                    oder Rechner und der Zugang zum Netz.
soziale Integration, Gesundheit, Pflege                   Für die ältere Generation ist im Zuge zu-
und im Sozialraum eine zunehmende                         nehmender Digitalisierung - auch von Ver-
Rolle.                                                    waltungsabläufen – der Zugang zu
                                                          öffentlichem Internet bedeutsam. Digitale
Bei der Digitalisierung sind zwei Entwick-                Entwicklungen müssen auf Nutzerfreund-
lungen festzustellen: Die Digitalisierung                 lichkeit achten, eine verständliche Sprache
findet in immer weiteren Bereichen Ein-                   haben sowie Informationen audiovisuell
zug, so auch vermehrt in der Pflege. Bei-                 und grafisch gut aufbereiten.
spiele für aktuelle und zukünftige
Techniken sind altersgerechte Assistenz-                  In Kombination mit den technischen Ent-
systeme, Robotik in der Pflege oder Tele-                 wicklungen in der Pflege soll die Digitali-
medizin. Auf der anderen Seite entwickeln                 sierung     die    Selbständigkeit     von
und verändern sich technische Innovatio-                  Pflegebedürftigen erhalten sowie Pflege-
nen in immer schnellerem Tempo.                           fachpersonen unterstützen und entlas-
                                                          ten.10 Im Bereich der Dokumentation, der
Je besser ein Mensch die digitalen Mög-                   Information und der Sicherheitssysteme
lichkeiten unserer Gesellschaft nutzen                    kommen in der ambulanten und stationä-
kann, desto mehr kann er oder sie gesell-                 ren Pflege seit einiger Zeit neue Systeme
schaftlich teilhaben. Auch ältere Menschen                zum Einsatz. Dass dadurch Fachpersonal
schätzen das Mehr an Lebensqualität und                   eingespart werden kann, ist im Moment
Selbständigkeit durch digitalen Informa-                  eher nicht zu erwarten. Dafür wird mehr
tionstransfer, sei es das Pflegen von                     Aufwand für die Qualifizierung der

14      10
             S. dazu CAREkonkret, Ausgabe 18/30.04.2020
TRENDS, ENTWICKLUNGEN UND EINFLUSSFAKTOREN

                                                         FINANZIELLE RESSOURCEN DER
                                                         ÄLTEREN GENERATIONEN

Mitarbeiter, hohe Investitionskosten und                 Die Verfügung über finanziell ausreichen-
ein großer finanzieller Aufwand für Instal-              de, kontinuierlich fließende Mittel ist das
lation,   Wartung       und   Anpassung                  entscheidende Kriterium für eine selbst-
entstehen.                                               bestimmte Lebensgestaltung im Alter. Aus
                                                         sozialwissenschaftlicher Perspektive geht
Die Entwicklungen in der Technik und der                 es Rentnern heute finanziell so gut wie
Digitalisierung dürfen nicht aus dem Blick               noch nie einer Generation zuvor.11 Aber
geraten und werden für kommende Gene-                    schon der Siebte Altenbericht 2016 warnte
rationen selbstverständlicher sein. Die Di-              vor einem Anstieg der Altersarmut in den
gitalisierung von Arbeitsabläufen ist für                kommenden Jahren und Jahrzehnten.12
Werktätige ebenso bedeutsam wie für äl-
tere und beeinträchtigte Menschen zur                    Die gesetzliche Rentenversicherung ist die
Unterstützung bei Einschränkungen. In                    bedeutendste und für die allermeisten
diesem Bereich ist es wichtig, Informatio-               Rentner*innen auch die einzige Einkom-
nen zu sammeln und Brücken in die Praxis                 mensquelle. So ist es nicht verwunderlich,
zu schlagen. Dies hilft Berührungsängste                 dass Geringverdienende, von Arbeitslosig-
abzubauen und sorgt dafür, dass Technik                  keit oder von Arbeitsunterbrechung
und digitale Möglichkeiten dort ankom-                   Betroffene im Rentenalter nur mit einer
men, wo sie benötigt werden. Die letzten                 geringen Rente rechnen können. Für
Jahre haben unter anderem gezeigt, dass                  ökonomisch und sozial benachteiligte
Videotelefonie und Videokonferenzen eine                 Menschen mit geringerem Handlungs-
Alternative zu den gewohnten Formen der                  spielraum ist das Risiko jedoch höher,
Kommunikation sind und auch im Alltag                    schneller in die Situation von Pflege- und
sinnvoll zum Einsatz kommen können.                      Hilfebedarf zu geraten.

                                                         Durch die Einführung der Sozialen Pflege-
                                                         versicherung 1995 und in all ihren Refor-
                                                         men bis heute kam ein Instrument der
                                                         Steuerung und Finanzierung von Pflege-
                                                         leistungen hinzu.
 Vgl. Heinze et al. 2011, S.53ff
11

 Sorge und Mitverantwortung in der kommune – Erkenntnisse und Empfehlungen des Siebten Altenberichts,
12

Hrsg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend                                        15
Die finanziellen Leistungen bei Pflegebe-   Die lange erwartete Pflegereform 2021
darf wurden stetig angehoben, Begutach-     bleibt weit hinter den Erwartungen zu-
tungsverfahren immer wieder angepasst       rück. Die nächste Regierung wird sich in
und durch den neuen Pflegebedürftig-        der kommende Legislaturperiode weiter
keitsbegriff der Kreis der Anspruchsbe-     mit der Reform der Pflegeversicherung
rechtigten erweitert.                       beschäftigen müssen.

Die Pflege durch Familienangehörige
wird mit dem Pflegegeld honoriert und
Entlastungsmöglichkeiten geschaffen.
Dazu gehören zum Beispiel die Leistungen
der Kurzzeit- und Verhinderungspflege
oder Maßnahmen zur Vereinbarkeit von
Familie, Beruf und Pflege.

Die Pflegeversicherung versteht sich als
Teilkasko-Versicherung und trägt nur
einen Teil der entstehenden Kosten für
Versorgungsleistungen. Leistungen, die
nicht über die Pflegeversicherung abge-
deckt sind, müssen von eigenem Einkom-
men oder aus Rücklagen finanziert
werden. Reichen diese nicht aus, werden
notwendige Versorgungsleistungen von
der Sozialhilfe getragen.

16
TRENDS, ENTWICKLUNGEN UND EINFLUSSFAKTOREN

VERÄNDERTE
FAMILIENKONSTELLATIONEN

Es gibt viele Gründe, warum die Zahl der      Die steigende Multilokalität von Familien-
Ein-Personen-Haushalte gestiegen ist.         angehörigen, die immer häufiger weit
Eine zunehmende Instabilität von Paarbe-      voneinander entfernt leben, erschwert die
ziehungen und die Zunahme von Tren-           Rollenklärung zusätzlich. Unterstützung
nung und Scheidung gehören dazu. Es           und Hilfe ist weniger spontan leistbar und
gibt jedoch viele Menschen, die sich be-      eher in administrativen Bereichen mög-
wusst für das Alleinleben entscheiden und     lich. Familiäre Beziehungen werden als
darin Kompetenzen entwickeln. Sie zeich-      „Intimität auf Distanz“ gepflegt. Für Hilfe-
nen sich oft dadurch aus, dass private        und Unterstützungsnetzwerke ist in der
Netzwerke und Freundschaften gepflegt         Folge eine gute Kommunikation wichtig,
werden, die gegenseitige Unterstützung        damit alle Beteiligten gut informiert sind
sichern. Durch die zunehmende finanzielle     und sich ergänzen können.
Unabhängigkeit von Frauen stellen diese
einen hohen Prozentsatz der Alleinleben-      Im Zuge von Entwicklung hin zu vielfälti-
den in Deutschland dar.                       gen Familienformen verändern sich Fami-
                                              lienarrangements und innerfamiliäre
Die Erwerbstätigkeit von Frauen mit und       Bindungen. Wenn auch die Kernfamilie in
ohne Kinder ist heute eher die Regel als      Deutschland die nach wie vor häufigste Fa-
die Ausnahme. Übertragen auf das famili-      milienform ist, sind Alleinerziehende und
äre Pflegepotential nehmen Frauen nicht       Patchwork-Familien bereits keine Selten-
mehr selbstverständlich berufliche Ein-       heit mehr und machen etwa 20 % der Fa-
schnitte in Kauf, wenn bei Familienange-      milienformen in Deutschland aus. Deren
hörigen     längerfristig    Pflege    und    Chancen und Ressourcen für die innerfa-
Versorgung notwendig werden. An dieser        miliäre Pflege sind noch nicht ausreichend
Stelle sind die für die familiäre Pflege in   erforscht.
Betracht kommenden Familienmitglieder
häufig im Konflikt zwischen individuellen
Wünschen und Verpflichtungen, zwischen
Verbundenheit und Eigenständigkeit.

                                                                                        17
FAZIT

Es gibt ihn nicht: Den älteren Menschen.                 aus verschiedenen Perspektiven zu be-
Die Unterschiedlichkeit von Lebenssituati-               trachten. Es braucht für den Einzelnen Be-
onen und Lebensläufen bringt es mit sich,                ratung und Information, um rechtzeitig
dass Menschen zukünftig auch im Alter di-                Entscheidungen für ein im Alter weitge-
verser sein werden. Neben diesem Struk-                  hend selbstbestimmtes Leben treffen zu
turwandel des Alterns trägt der                          können. Andererseits erweitern sich durch
demografische Wandel mit einer Zunahme                   Ressourcen im Alter die Möglichkeiten für
an älteren und hochaltrigen Menschen in                  ältere Menschen, gesellschaftlich weiter-
unserer Bevölkerung zu einer gesellschaft-               hin einen Beitrag leisten zu können.
lichen Veränderung bei.
                                                         Engagement und Teilhabe werden durch
Das Alter gerät mehr und mehr im doppel-                 digitale Technologien noch leichter mög-
ten Sinn als Ressource in den Blick:                     lich sein. Kritisch betrachtet zeigt sich die
Bleiben ältere Menschen aktiv, wirkt sich                Problematik der Digitalisierung dort, wo
das präventiv aus. Sich selbst versorgen zu              die „digitale Spaltung“ zum Ausschluss
können und weniger Unterstützung zu be-                  von älteren Menschen ohne Zugang zu In-
nötigen wird durch ein aktiv gestaltetes                 ternet und digitalen Technologien führt.14
Leben im Alter wahrscheinlicher.
Andererseits engagieren sich immer                       Das Potenzial der neuen Technologien ist
mehr Ältere ehrenamtlich und leisten                     längst nicht ausgeschöpft und muss in vie-
damit einen wichtigen gesellschaftlichen                 len Kontexten als Handlungsthema einflie-
Beitrag.13                                               ßen. Wo aufgrund der beschriebenen
                                                         Faktoren Angehörige vor Ort immer weni-
Ältere bewegen sich im Spannungsfeld                     ger werden, können technische Hilfsmittel
zwischen dem Wunsch, einem aktiven                       die Kommunikation und Information
Leben mit selbstgewähltem Engagement                     erleichtern.
nachzugehen und dem Wissen um die Be-
schwernisse des Alters, die Hilfe und Un-                Nur auf familiäre Pflege zu setzen und vor-
terstützung notwendig machen können.                     handene Versorgungsstrukturen linear
Es lohnt sich daher, das Älterwerden                     weiterzuentwickeln reicht nach dem aktu-
immer wieder zum Thema zu machen und                     ellen wissenschaftlichen Kenntnisstand

         https://sozialplanung-senioren.de/die-themenfelder/i-allgemeine-einfuehrung/index.html
        13

18      14
          Siehe dazu: „ältere Menschen und Digitalisierung“ – Erkenntnisse und Empfehlungen des Achten
        Altersberichts; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Juni 2020
TRENDS, ENTWICKLUNGEN UND EINFLUSSFAKTOREN

nicht aus. Sozialen nachbarschaftlichen
Netzwerken kommt eine bedeutende Rolle
zu, nicht nur da, wo keine Familie vor Ort
ist. Hier gilt es Modelle geteilter Verant-
wortung umzusetzen und Konzepte
gemeinschaftlicher Sorge zu entwickeln.

                                                                 19
EINFÜHRUNG ZUR
                    VORGEHENSWEISE

 Der Gemeinderat hat auf Initiative der   Das Handlungsprogramm Pflege & mehr
 Abteilung Altenhilfe am 13.12.2018 das   ist nur umsetzbar, wenn alle in der Alten-
 Handlungsprogramm Pflege & mehr          hilfe Tätigen und Betroffenen beteiligt
 beschlossen und die Verwaltung mit der   sind.
 Entwicklung des Programms beauftragt.    Zur Auftaktveranstaltung am 16. Oktober
                                          2020 waren daher verschiedene Akteure
                                          eingeladen,
                                          • die zu einem guten Älterwerden und Alt
                                             sein in Konstanz beitragen,
                                          • die ihre Erfahrungen und ihre Betrof-
                                             fenheit zur Entwicklung von Hand-
                                             lungsempfehlungen und Projektideen
                                             beisteuern,
                                          • die relevanten Entscheidungen mittra-
                                             gen und umsetzen können.

                                          Dem Aufruf, sich zu beteiligen, sind viele
                                          Anwesende gefolgt und haben sich für die
                                          Mitarbeit in den vorgestellten Handlungs-
                                          feldern gemeldet.

20
EINFÜHRUNG ZUR VORGEHENSWEISE

METHODEN ZUR ENTWICKLUNG DES
HANDLUNGSPROGRAMMS PFLEGE &
MEHR

ARBEITSGRUPPEN

Im Februar 2021 wurden für die drei fol-      Arbeitsgemeinschaft Altenhilfe, aus den
genden Handlungsfelder Arbeitsgruppen         betroffenen Bereichen der Stadtverwal-
gebildet, die in jeweils vier Veranstaltun-   tung sowie der Kommunalpolitik teilge-
gen Visionen und Handlungsempfehlun-          nommen. Persönlich betroffene Personen
gen entwickelt haben:                         haben in den Arbeitsgruppen mit ihrer
• 24-Stunden-Pflege ambulant und sta-         Sichtweise      wichtige        Aspekte
  tionär                                      beigesteuert.
• Arbeitskräfte gewinnen, ausbilden und
  halten                                      Über Video-Konferenzen wurden Ideen
  sowie                                       auf einem virtuellen Whiteboard gesam-
• Sorge tragen in Nachbarschaft und           melt und Visionen für das jeweilige Hand-
  Quartier                                    lungsfeld formuliert. Es wurde intensiv
                                              diskutiert, welche Schritte und Ressourcen
                                              es zur Umsetzung der Visionen braucht.
In jeder Arbeitsgruppe haben Vertreter*in-    Daraus wurden die Handlungsempfehlun-
nen aus unterschiedlichen Bereichen der       gen entwickelt.

                                                                                      21
ERPROBUNG VON HANDLUNGSEMPFEH-
LUNGEN DES HANDLUNGSFELDES
SORGE TRAGEN IN NACHBARSCHAFT UND
QUARTIER

Ab dem Frühsommer 2021 wurde die            Stadtteilbewohner*innen und andere
Handlungsempfehlung „Nachbarschaft          Interessierte eingeladen waren, ihre Sicht
wird sichtbar (gemacht) und erfährt Wert-   auf Nachbarschaft einzubringen.
schätzung“ im Stadtteil Paradies erprobt:
Noch bevor Sorgestrukturen entstehen        Ziel der Postkartenaktion wie auch des
können, müssen Menschen sich gegensei-      Seminars mit seiner Abschlussveranstal-
tig wahrnehmen, kennenlernen und            tung war, Impulse zu setzen, ohne die
voneinander wissen. Nachbarschaftliche      verschiedenen Aspekte von Nachbar-
Kontakte sind im Stadtteil Paradies viel-   schaft zu bewerten. Eine Auswertung von
fach vorhanden. Um diese bereits geleb-     Daten war daher nicht angestrebt.
ten Kontakte sichtbar zu machen, wurde
eine Postkarte für die Nachbarschaft ent-   Für eine Bestandsaufnahme, was gutes
wickelt. In Kindergärten, Grundschule,      Älter werden im Stadtteil erleichtert,
Jugendhaus, Kirchengemeinden und im         wurden Informationen zu alltags- und
Einzelhandel lag diese zum Mitnehmen        gesundheitsrelevanten Versorgungsange-
aus. Die Postkarte hat dazu angeregt, sie   boten gesammelt. Die Abteilung für Statis-
einem Nachbarn oder einer Nachbarin mit     tik und Steuerungsunterstützung stellte
einer Botschaft zukommen zu lassen.         Bevölkerungsdaten auf Stadtviertel-
                                            ebene zur Verfügung. Interviews mit
Parallel dazu wurde im Sommersemester       „Expert*innen“, also Menschen, die im
2021 an der Uni Konstanz ein Seminar in     Stadtteil leben oder arbeiten und sich mit
Kooperation mit der Abteilung Altenhilfe    dem Thema Älterwerden beschäftigen,
angeboten, in dem Studierende sich inten-   trugen mit zum Gesamtbild bei. Die
siv mit dem Thema Nachbarschaft ausein-     zusammengetragenen          Informationen
andersetzten und Nachbarschaftsge-          flossen in eine Quartierskarte des Paradie-
schichten sammelten. Zum Abschluss des      ses mit Teilen der Altstadt ein.
Seminars fand im Juli in der Gottlieber-
straße eine Veranstaltung statt, bei der

22
EINFÜHRUNG ZUR VORGEHENSWEISE

Diese Quartierskarte wird weitergeführt und soll in Zukunft in den Online-Stadtplan
der Stadt Konstanz integriert werden.

       Bildung und Kultur                               Anteil der über 65 Jährigen an der Gesamtbevölkerung
       Dienstleister                                            0%

       Kirchen und Religionsgemeinschaften                      12,3%              20,1%
       Pflege, Betreuung und Wohnen im Alter                    17,5%              22,1%
       Treffpunkt                                               18,2%              26,7%
       gesundheitliche Dienstleistung

       Ärztliche und therapeutische Versorgung

    Stadt Konstanz. Amt für Liegenschaften und Geoinformation                                    Stand April 2021

                                                                                                               23
24
BEDEUTUNG DER
HANDLUNGSFELDER

I   24-STUNDEN-PFLEGE
    AMBULANT UND STATIONÄR

II ARBEITSKRÄFTE FÜR
    DEN PFLEGEBEREICH

III SORGE TRAGEN
    IN NACHBARSCHAFT
    UND QUARTIER

IV ALTERSGERECHTES WOHNEN
    (folgt ab Herbst 2021)

V ZUHAUSE LEBEN MIT
    UNTERSTÜTZUNG
    (folgt ab Herbst 2021)

                             25
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

 I

26
I. 24-STUNDEN-PFLEGE AMBULANT UND STATIONÄR

24-STUNDEN-PFLEGE
AMBULANT
UND STATIONÄR

                                             27
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

  I                   24-STUNDEN-PFLEGE

 EINFÜHRUNG

 Um die Würde, Selbstbestimmung und           Diese Bauvorhaben schaffen jedoch kaum
 Lebensqualität von Heimbewohner*innen        zusätzliche Pflegeplätze.
 zu erhalten, wurde in Baden-Württemberg      Die von der Abteilung Altenhilfe fortlau-
 im September 2009 eine Landesheimbau-        fend geführte Statistik macht deutlich,
 verordnung mit höheren Standards verab-      dass die Planung von Pflegeheimen und
 schiedet. Für neue Pflegeheime gelten die    ambulant betreuten Wohngemeinschaf-
 Regelungen unmittelbar, für bestehende       ten dem steigenden Bedarf an 24-Stunden-
 Einrichtungen wurde eine Übergangsfrist      Versorgung kaum hinterherkommt.
 von 10 Jahren eingeräumt.                    Pflegende Angehörige und eine unbe-
                                              kannte Zahl an osteuropäischen Haus-
 Doppelzimmer müssen in Einzelzimmer          haltshilfen fangen diese Unterdeckung
 umgewandelt werden, die Wohnstruktur         mit erheblichen Belastungen auf.
 darf maximal 15 Bewohner*innen pro
 Versorgungseinheit umfassen. Neben           Neben Planungsvorhaben neuer Pflege-
 einer Mindestgröße der Einzelzimmer sind     heime hat die Stadt Konstanz den Ausbau
 dies die grundlegenden Veränderungen         von ambulant betreuten Wohngemein-
 und Vorgaben. Bestehende Pflegeheime         schaften im Blick und für den Gründungs-
 hatten die Möglichkeit, einen Antrag auf     prozess Fördermittel bereitgestellt. An
 vollständige oder teilweise Befreiung bzw.   verschiedenen Standorten werden Grün-
 Ausnahmeregelung zu stellen.                 dungen ambulant betreuter Wohnge-
                                              meinschaften in Betracht gezogen. Die
 Bei der Umsetzung der Landesheimbau-         bauliche, wirtschaftliche und konzeptio-
 verordnung wurde der große Bedarf an         nelle Umsetzbarkeit wird dabei geprüft
 Pflegeheimplätzen in Konstanz berück-        und diskutiert.
 sichtigt und die Umsetzung seitens der
 Heimaufsicht meist unterstützend ausge-      Die Strukturzuständigkeit im Bereich der
 legt. In den meisten Fällen müssen Plätze    24-Stunden-Versorgung ist mit Einführung
 erst nach Abschluss von Umbau- und Neu-      der Pflegeversicherung unklar definiert
 baumaßnahmen der Landesheimbauver-           auf die Kassen übergegangen, die diesen
 ordnung abgebaut werden.                     Gestaltungsauftrag nicht ausreichend

28
EINFÜHRUNG 24-STUNDEN-PFLEGE AMBULANT UND STATIONÄR

ausfüllen. Für die Kommunen gibt es nur      Dass der Pflegemarkt alleine aufgrund der
noch eingeschränkte Steuerungsmöglich-       großen Nachfrage an Pflegeheimplätzen
keiten. Im §8 SGB XI wird auf eine gemein-   die Planung von Pflegeheimen und ambu-
same Verantwortung mit nicht näher           lant betreuten Wohngemeinschaften
beschriebener Aufgabe verwiesen:             regelt, hat sich nicht bewahrheitet. Nach
                                             wie vor ist die Realisierung von ambulant
 „(1) Die pflegerische Versorgung der        betreuten Wohngemeinschaften ein
 Bevölkerung ist eine gesamtgesell-          komplexes Vorhaben. Besonders die Start-
 schaftliche Aufgabe.                        phase wird den zusammenwirkenden Ak-
                                             teuren durch gesetzliche Vorgaben er-
 (2) Die Länder, die Kommunen, die Pflege-   schwert. Der bürokratische Aufwand ist
 einrichtungen und die Pflegekassen          groß. Dazu ist in der Anfangsphase mit
 wirken unter Beteiligung des Medizini-      knappen und nicht gedeckten finanziellen
 schen Dienstes eng zusammen, um eine        Ausgaben zu rechnen. Der positive Impuls,
 leistungsfähige, regional gegliederte,      eine ambulant betreute Wohngemein-
 ortsnahe und aufeinander abgestimmte        schaft zu gründen, wird ausgebremst, so-
 ambulante und stationäre pflegerische       fern    nicht    weitere    Unterstützung
 Versorgung der Bevölkerung zu               angeboten wird.
 gewährleisten. Sie tragen zum Ausbau
 und zur Weiterentwicklung der notwen-
 digen pflegerischen Versorgungsstruk-
 turen bei; …“

                                                                                    29
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

 I

 Weitere Faktoren bremsen die Entstehung
 von Plätzen in der 24-Stunden-Pflege aus:

 • Der mehrheitliche Wunsch im häusli-        • Die Fachkraftquote von 50 Prozent für
   chen Umfeld versorgt zu werden, wurde        stationäre Einrichtungen stellt ange-
   durch den Grundsatz „ambulant vor sta-       sichts des Pflegenotstandes eine Her-
   tionär“15 berücksichtigt und der Schwer-     ausforderung     dar,  welcher    die
   punkt auf den Ausbau ambulanter              Einrichtungsträger immer weniger ge-
   Versorgungsstrukturen gelegt.                recht werden können. Ein am Bedarf
 • Die Reformen der Pflegeversicherung          ausgerichtetes Personalbemessungs-
   haben die ambulante Versorgung finan-        verfahren soll zum 01.07.2023 umge-
   ziell gestärkt.                              setzt werden.
 • Die Landesheimbauverordnung sieht          • Der Trend geht weg vom klassischen
   für stationäre Einrichtungen eine 100-       Pflegeheim zu alternativen Wohnfor-
   prozentige Einzelzimmerquote vor, was        men. Vor allem veränderte Wohn- und
   in den letzten Jahren zu einer Reduzie-      Versorgungswünsche haben diesen
   rung vorhandener Platzzahlen geführt         Trend befördert.
   hat.
                                              Zwischen „Heim und Häuslichkeit“ ist
                                              deutschlandweit eine Vielfalt an neuen
                                              Wohnformen entstanden, zu denen auch
                                              ambulant betreute Wohngemeinschaften
                                              zählen. Umzüge aus dem vertrauten
                                              Zuhause werden dennoch herausgezögert
                                              und häufig als letzte Möglichkeit gesehen.
                                              In der Pflegeheimstatistik der Altenhilfe
                                              Konstanz ist zu erkennen, dass die Ver-
                                              weildauer in den Pflegeheimen im Durch-
                                              schnitt über die letzten 10 Jahre hinweg
                                              immer kürzer geworden ist. Die Tendenz
                                              geht dahin, dass viele nur ihre letzten
                                              Lebensmonate im Pflegeheim verbringen.

30      15
             s. SGB XII §13, Abs.1
VISION UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 24-STUNDEN-PFLEGE

  1  Ein Pflegeheim ist ein Lebensort mit wohnlicher,
moderner und zeitgemäß digitaler und technischer
Ausstattung. Es orientiert sich an den Bedürfnissen
der Bewohner*innen, der Angehörigen und der
Mitarbeiter*innen nach Flexibilität, Selbständigkeit
und Mitgestaltung.
Die Bürgerbefragung 2012 hat ergeben, dass der weitaus größte Teil der Konstanzer
Bevölkerung in den eigenen vier Wänden alt werden möchte, unabhängig davon ob
Pflegebedürftigkeit besteht oder nicht. Das bekannte Zuhause steht für Autonomie
und Vertrautheit, es ist Teil der eigenen Persönlichkeit und Lebensgeschichte. Auch bei
Bedarf an 24-Stunden-Pflege in einem Pflegeheim können diese Aspekte berücksichtigt
werden.

1.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                    1.2. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Träger der Altenhilfe statten Pflegeein-    Im Pflegeheim findet Alltag statt. Entspre-
richtungen mit technischem und digitalem    chend entwickelte Konzepte ermöglichen
Zubehör aus und ermöglichen damit den       es den Bewohner*innen den Alltag mitzu-
Bewohner*innen weitgehende individuel-      gestalten und sich ihren Fähigkeiten
le Autonomie, Selbständigkeit und Sicher-   entsprechend einzubringen.
heit. Jedes Zimmer ist mit W-Lan und
Telefon ausgestattet.

                                                                                     31
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

 I
1.3. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                      1.5. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Um Normalität und Individualität in           Neue Pflegeheime werden architektonisch
hohem Maße zu gewährleisten, richten          bedarfsgerecht geplant. Die Erfordernisse
Pflegeheimbewohner*innen ihre Zimmer          des Pflegealltags werden genauso berück-
nach ihren Bedürfnissen selbst mit liebge-    sichtigt wie das Bedürfnis zukünftiger
wonnenen Gegenständen und Kleinmö-            Heimbewohner*innen ausreichend Platz
beln ein.                                     im eigenen Zimmer für persönliche wich-
                                              tige Dinge vorzufinden. Wohnlichkeit,
                                              nicht die Pflegebedürftigkeit prägt die
                                              Atmosphäre der Zimmer.
1.4. HANDLUNGSEMPFEHLUNG
                                               Beispiel: Pflegemittel wie Inkontinenz-
Bei einem Umzug ins Pflegeheim bekom-          material können im Badezimmer sicher
men Angehörige und Betroffene Unter-           in einem Schrank verstaut werden.
stützung. Persönlich wichtige Kleinmöbel
und Gegenstände können mitgebracht
werden, womit dem Wunsch nach Indivi-
dualität Rechnung getragen wird.              1.6. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

     Beispiel: Ehrenamtliche Helfer*innen     In Kooperation mit einem Tierheim oder
     unterstützen Angehörige und Betroffene   vergleichbaren Anbietern wird der
     bei der Auswahl der Dinge, die mitge-    Kontakt zu Haustieren ermöglicht bzw.
     nommen werden sollen. Sie können bei     aufrechterhalten.
     Bedarf angefragt werden.

32
VISIONEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 24–STUNDEN–PFLEGE

  2  Das Pflegeheim als Lebensort nimmt seinen
besonderen Platz im Quartier ein. Die Bewohner*innen
sind Teil der Nachbarschaft und nutzen Angebote im
Quartier. Das Pflegeheim bietet selbst Angebote für die
Nachbarschaft im Quartier an.
Pflegeheime sind eine Ressource für das umliegende Quartier. Umgekehrt kann das
Quartier zur Alltagsnähe und Normalität im Pflegeheim beitragen. Einzelne Pflegehei-
me in Konstanz bieten beispielsweise einen Mittagstisch für Menschen aus dem Umfeld
an.

2.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                    2.2. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

In räumlicher Nähe zum Pflegeheim -         Die Pflegeheime in Konstanz entwickeln
wenn möglich integriert im gleichen         sich mit Quartierskonzepten weiter. Dazu
Gebäude - gibt es Infrastruktur wie Arzt-   erhalten sie Unterstützung durch die
praxen oder Bibliothek, sowie Begeg-        Stadtverwaltung und/ oder durch externe
nungsräume, die für Menschen aus dem        Beratung.
Quartier zur Verfügung steht und den
Bewohner*innen durch die räumliche           Beispiel: Es gibt „Sprechstunden“ oder
Nähe einen leichteren Zugang bietet.         Informationsveranstaltung im Pflege-
                                             heim von anderen Dienstleistern wie
                                             Hospizverein oder Pflegeversicherung.

                                                                                  33
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

 I
                 3  Jeder Mensch, der einen Platz mit
              24-Stunden-Versorgung sucht, findet einen
              für ihn passenden.
So individuell Menschen sind, so individuell sind auch ihre Bedürfnisse im Pflegebe-
darfsfall rund um die Uhr. Maßgeblich sind Alter, Lebensgewohnheiten, kultureller Hin-
tergrund und Interessen. Es gibt Menschen, die sich bei hohem Pflegebedarf um nichts
mehr kümmern und keine Verantwortung mehr tragen möchten. Andere wollen so
lange wie möglich Teil der Alltagsabläufe bleiben.

3.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                    3.3. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Die Stadt Konstanz unterstützt Interes-     Die Entwicklung alternativer und differen-
sent*innen bei Planung und Gründung         zierter Konzepte der Kurzzeit- und Verhin-
von ambulant betreuten Pflegewohnge-        derungspflege wie beispielsweise Pflege-
meinschaften. Ziel ist eine ambulant        hotels, solitäre Kurzzeitpflege oder
betreute Wohngemeinschaft in jedem          UrlaubsWGs, werden vorangetrieben.
Stadtteil zu etablieren.

3.2. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                    3.4. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Die Stadt Konstanz treibt zur Deckung       Für und mit jüngeren Pflegebedürftigen
zukünftiger Versorgungsbedarfe die Pla-     wird ein geeignetes Angebot der 24-Stun-
nung und den Bau weiterer Einrichtungen     den-Pflege entwickelt.
der 24-Stunden-Versorgung voran. Bei der
Überplanung freiwerdender Bauflächen
werden Planungsvorhaben für solitäre
Kurzzeitpflegeeinrichtungen, ambulant
betreute Wohngemeinschaften und Pfle-
geheime besonders berücksichtigt.

34
VISIONEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 24–STUNDEN–PFLEGE

  4 Die Übergänge zwischen ambulant, teilstationär
und stationär sind fließend.

Die Entwicklung des Grades an Pflegebedürftigkeit ist in den meisten Fällen nicht linear.
Viele Betroffene können nach einem Krankenhausaufenthalt und einer Zeit in der Kurz-
zeitpflege wieder zurück in ihre Häuslichkeit. Andere wiederum benötigen für eine
Weile zusätzlich teilstationäre Angebote oder vermehrt ambulante Unterstützung. Je
weniger die Übergänge zwischen ambulant, teilstationär und stationär als Bruch erlebt
werden, desto größer sind die Akzeptanz und die Bereitschaft sich auf Unterstützung
einzulassen.

4.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                     4.3. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Pflegeheime erweitern ihre Konzepte und      Ambulante Dienstleister begleiten Betrof-
bieten neben der 24-Stunden-Versorgung       fene und stehen ihnen bei der Überleitung
auch Tages- und Nachtpflege sowie Kurz-      zwischen ambulanter, teilstationärer und
zeitpflege bereits ab drei Tagen an.         stationärer Versorgung zur Seite.

4.2. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Eine Gesamtbudgetierung von Pflegeleis-
tungen würde den fließenden Übergang
zwischen ambulanten, teilstationären und
stationären Bereichen maßgeblich unter-
stützen. Dies bedarf einer Reform der
Pflegeversicherung.

                                                                                       35
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

 I
                5  Die Menschen werden in ihrer
              letzten Lebensphase bis zum Tod ihren
              Bedürfnissen entsprechend begleitet.
Die Planung von Versorgungsangeboten richtet sich nach dem mehrheitlichen Wunsch
der Menschen, ihre letzten Lebenstage zuhause verbringen zu können. Die letzte
Lebensphase eines Menschen ist ein dynamischer Prozess, der vielschichtige Sympto-
me und Probleme mit sich bringen kann. Für An- und Zugehörige ist dies keine alltäg-
liche Situation und mit unterschiedlichsten Gefühlen und Unsicherheiten verbunden.
Wo die Angebote an palliativer Versorgung gut ausgebaut sind, sterben mehr
Menschen im eigenen Zuhause ohne den belastenden Drehtüreffekt zwischen
Krankenhaus und dem Zuhause.

5.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                    5.3. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Die Stadt Konstanz begleitet und unter-     Für Zu- und Angehörige bestehen Bera-
stützt die erforderlichen Akteure bei der   tungsmöglichkeiten und Hilfestellungen,
Implementierung einer spezialisierten       an die sie zu einem frühen Zeitpunkt bei
ambulanten Palliativversorgung (SAPV) im    der Begleitung am Lebensende eines
östlichen Teil des Landkreises.             Menschen andocken können, um beglei-
                                            tet, unterstützt, beraten, informiert und
                                            entlastet zu werden.
5.2. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                    Kultursensible Aspekte werden hierbei
                                            berücksichtigt.
Die Zusammenarbeit von Brückenpflege,
Hospiz, SAPV, Nachbarschaftshilfen, am-
bulanten Pflegediensten und Pflegehei-
men     wird   konzeptionell   in   der
Arbeitsgemeinschaft Altenhilfe (AGAH)
verankert.

36
VISIONEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 24–STUNDEN–PFLEGE

  6  An- und Zugehörige entscheiden sich bewusst für
ihre Rolle bei Pflege- und bei Unterstützungsbedarf. Sie
haben die Möglichkeit, diese Rolle immer wieder zu
reflektieren und finden damit die für sie notwendigen
Entlastungsangebote.
Die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf wird in den kommenden Jahrzehnten
weiterhin ein zentrales gesellschaftliches Thema bleiben. Wo Arbeitskräfte fehlen, wird
die innerfamiliäre Unterstützungsbereitschaft noch wichtiger.

6.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                     6.2. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Die Abteilung Altenhilfe erarbeitet mit      Pflegende Angehörige docken schon früh-
Bildungsträgern und Arbeitgebern vielfäl-    zeitig an das Hilfenetz an, um neben der
tige und niedrigschwellige Angebote wie      praktischen Entlastung in Pflege und
Vorträge und Workshops, in denen             Betreuung auch psychosoziale Beratung
pflegende Angehörige ihre Rolle reflektie-   zu nutzen.
ren können und erfahren, wo sie Unter-
stützung und Beratung erhalten.

 Beispiel: Die Universität Konstanz bietet
 regelmäßig für ihre Mitarbeiter*innen in
 Kooperation mit der Abteilung Altenhilfe
 der Stadt Konstanz Kursangebote an, die
 Informationen zum bestehenden Hilfe-
 angebot vermitteln und die Reflektion
 mit der eigenen Rolle als pflegende
 Angehörige ermöglichen.

                                                                                     37
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

 I
                 7 Ein großes Spektrum an
              unterstützenden und ergänzenden Angeboten
              und Diensten ermöglicht ein Leben mit
              24-Stunden-Versorgung zuhause – so lange
              wie gewünscht.
Gut ausgebaute Strukturen in der ambulanten Versorgung berücksichtigen neben der
medizinischen Pflege auch Hauswirtschaft und psychosoziale Betreuung, die von
unterschiedlich qualifizierten Menschen - von der Fachkraft bis zu Ehrenamtlichen –
geleistet werden.

7.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                     7.2. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Eine aktuelle Bedarfs- und Bestandserhe-     Auf Grundlage der Bedarfs- und Bestand-
bung macht Versorgungslücken in der am-      serhebung in der ambulanten 24-Stunden-
bulanten 24-Stunden-Versorgung deutlich      Versorgung werden unterschiedliche
und ist Basis für den Ausbau differenzier-   Konzepte mit Akteuren der Altenhilfe
ter Angebote.                                umgesetzt.

                                              Beispiele: Ausbau der Tagespflege, Reali-
                                              sierung neuer Konzepte der Nachtpflege
                                              oder das Konzept „Tagestöchter“.

38
VISIONEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 24–STUNDEN–PFLEGE

  8  Es gibt einen legalen und bezahlbaren Rahmen
der häuslichen 24-Stunden-Pflege.
In der häuslichen 24-Stunden-Pflege arbeiten häufig Frauen und Männer aus Osteuropa.
Ohne sie wäre die Versorgung von vielen älteren und pflegebedürftigen Menschen in
Konstanz nicht gesichert. Anstellungsverhältnisse und Arbeitsbedingungen sind recht-
lich oft fragwürdig, da häufig weder Mindestlohn, noch zulässige durchschnittliche
Arbeitszeit oder Urlaubsanspruch der Tätigen berücksichtigt werden.

8.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                    8.3. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Die Abteilung Altenhilfe prüft zusammen     Es werden konzeptionelle Wege vorange-
mit dem Sozialamt, inwiefern und unter      trieben, die eine Abrechnung der 24-Stun-
welchen Voraussetzungen die Kosten für      den-Versorgung durch ausländische
eine häusliche 24-Stunden-Versorgung        Haushaltskräfte über Sozialhilfe und
sozialhilferechtlich übernommen werden      Pflegeversicherung möglich machen und
können.                                     gleichzeitig die Qualität des Einsatzes
                                            sichern und kontrollieren.

8.2. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                     Beispiele:
                                             • Dienstleister der 24-Stunden-Pflege
Die Abteilung Altenhilfe berät Bürgerin-     können eine Anerkennung im Sinne der
nen und Bürger über legale Beschäfti-        Pflegeversicherung / Krankenkassen
gungsmöglichkeiten von ausländischen         erhalten
Haushaltshilfen insbesondere im Hinblick     • Dienstleister der 24-Stunden-Versor-
auf die Ausgestaltung der Arbeitszeit und    gung arbeiten mit ambulanten Pflege-
die Einhaltung der Erholungszeiten.          diensten in Kooperation.

                                                                                   39
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

 I
                9 Umfangreiche Informationen und
              Wissen um Angebote stehen zur Verfügung
              und sind einfach abzufragen bzw.
              einzuholen.
Je vielfältiger das Angebot in der ambulanten, teilstationären und stationären
Versorgung wird, je mehr unterschiedliche Dienste, Einrichtungen und Beratungsan-
gebote es gibt, desto schwieriger ist es für Bürgerinnen und Bürger, das für sie
entsprechend passende Angebot zu finden. Einfache Sprache und die Berücksichtigung
von Mehrsprachigkeit fördern ein besseres Verständnis.

9.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Die Abteilung Altenhilfe aktualisiert
fortlaufend Informationen und Angebote
rund um das Thema Pflege.
Sie veröffentlicht diese Übersicht auf
geeignete Weise und bietet zu allen
Themen Vorträge an.

9.2. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Die Krankenkassen informieren ihre Versi-
cherten aktiv und präventiv zu Themen in
den Bereichen Gesundheit und Pflege.

 Beispiel: Neben Gesundheitskursen
 werden von den Kassen Informationsver-
 anstaltungen angeboten.

40
VISIONEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 24–STUNDEN–PFLEGE

 10 Der Zugang zur 24-Stunden-Pflege ist
unbürokratisch und für jeden Menschen bezahlbar.
Wer rund um die Uhr Unterstützung und Pflege benötigt, ist auf viele Dienste und
Einrichtungen angewiesen, sofern die Versorgung nicht durch Familie oder Freunde
geleistet wird. Pflegebedürftigkeit stellt nach wie vor ein hohes finanzielles Risiko für
die Familien und Einzelpersonen dar, besonders wenn das Einkommen für den Lebens-
unterhalt, nicht aber für zusätzliche pflegerische Leistungen reicht. In einigen Fällen
können Bürger*innen zwar nicht auf Privatvermögen, aber auf Immobilienbesitz
zurückgreifen.
Verschiedene Möglichkeiten, Besitz zu verrenten oder für die Pflege einzusetzen,
werden heute bereits von Immobilienmaklern, Banken und Versicherungen angeboten.
Diese haben erkannt, dass die geburtenstarken Jahrgänge vergleichsweise wenige
Nachkommen haben und ihren Besitz nicht unbedingt für eine Erbschaft einsetzen
werden.

10.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG                    10.2. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Träger von Pflegeeinrichtungen entwi-    Die Suche nach einem Heimplatz ist mit
ckeln alternative Möglichkeiten für Ihre der Anmeldung über die Zentrale Heimp-
Kund*innen, eigenanteilig anfallende     latzanmeldung verbunden. Diese wird
Kosten der Versorgung zu finanzieren.    bedarfsgerecht weiterentwickelt. Jede
                                         Aufnahme in einem Konstanzer Heim
 Beispiel: Die Immobilienverrentung wird erfolgt über die Zentrale Heimplatzan-
 von Trägern der Altenhilfe angeboten.   meldung.

                                             10.3. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

                                             Über die Zentrale Heimplatzanmeldung
                                             können Interessierte einen Platz in einer
                                             ambulant betreuten Wohngemeinschaft
                                             anfragen.

                                                                                       41
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

 I
                 11  Jeder Mensch setzt sich ganz selbstver-
                ständlich mit der Möglichkeit seines eigenen
                Unterstützungsbedarfs auseinander und mit
                seinen Wünschen nach Selbstbestimmung
                und Teilhabe.
Es ist hilfreich, sich auf das eigene Alter vorzubereiten und mögliche Einschnitte
gedanklich vorwegzunehmen. Es können rechtzeitig wichtige Entscheidungen getrof-
fen werden, die die Erschwernisse im Alter und den Gestaltungsspielraum in dieser
Lebensphase berücksichtigen.

 11.1. HANDLUNGSEMPFEHLUNG

 Träger der Altenhilfe, Arbeitgeber und die
 Politik verstehen es als ihre vordring-liche
 Aufgabe, das Alter als persönliche und ge-
 sellschaftliche      Aufgabe         immer
 wieder zum Thema zu machen und den
 Bürger*innen Möglichkeiten der Ausein-
 andersetzung zu bieten. Dazu schließen
 sie sich unter anderem mit Bildungsein-
 richtungen zusammen.

42
An der Erarbeitung der Visionen und Handlungsfelder waren neben den Mitarbeiter-
innen der Abteilung Altenhilfe folgende Personen beteiligt:

ANNETTE BORTFELDT                         PETRA HINDERER
Pflegemanagement, Spitalstiftung          Geschäftsführerin, Hospiz Konstanz e.V.
Konstanz
                                          ANKE RAUTENBERG
BARBARA BRÜGGEMANN                        betroffene Angehörige
Sozialdienst, AOK Konstanz
                                          WOLFGANG SCHÄTZLE
KATJA HANISCH                             betroffener Angehöriger
Pflegedienstleitung, AWO Pflegeheim
Jungerhalde                               HANS-ULRICH SCHWENK
                                          Mitglied des Stadtseniorenrats
IRENE HEILAND                             Konstanz
Vorsitzende, Stadtseniorenrat
Konstanz

                                                                                    43
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

II

44
II. ARBEITSKRÄFTE FÜR DEN PFLEGEBEREICH

   ARBEITSKRÄFTE
   FÜR DEN
   PFLEGEBEREICH

                                     45
BEDEUTUNG DER HANDLUNGSFELDER

II                           ARBEITSKRÄFTE FÜR
                             DEN PFLEGEBEREICH
EINFÜHRUNG

Die bisher im Altenpflegegesetz und im                   Bedeutende Änderungen durch die Re-
Krankenpflegegesetz getrennt geregelten                  form sind folgende:
Pflegeausbildungen wurden zum 1. Januar                  • Die generalistische Pflegeausbildung
2020 in einem neuen Pflegeberufereform-                    wird über die EU-Richtlinie „Anerken-
gesetz zusammengeführt.                                    nung von Berufsqualifikationen“ in
Die drei Teilbereiche Gesundheits- und                     anderen     EU-Staaten      automatisch
Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und                     anerkannt.
Altenpflege wurden schrittweise in einer                 • Die Finanzierung der Pflegeausbildung
ebenfalls dreijährigen Berufsausbildung                    wurde neu geregelt. Sie erfolgt nun
vereinheitlicht. Alle Auszubildenden erhal-                einheitlich über Landesfonds und
ten zwei Jahre lang eine gemeinsame                        ermöglicht damit bundesweit eine
generalistisch ausgerichtete Ausbildung,                   qualitätsgesicherte und wohnortnahe
in der sie einen Vertiefungsbereich in der                 Ausbildung.
praktischen Ausbildung wählen.                           • Auszubildende haben Anspruch auf
Auszubildende, die im dritten Ausbil-                      eine angemessene Ausbildungsvergü-
dungsjahr die generalistische Ausbildung                   tung.
fortsetzen, erwerben den Berufsabschluss                 • Ein Arbeitswechsel zwischen den ver-
„Pflegefachfrau“ bzw. „Pflegefachmann“.                    schiedenen Pflegebereichen ist leichter
Auszubildende, die ihren Schwerpunkt in                    möglich.
der Pflege alter Menschen sehen, können                  • Der Einstieg in eine akademische Ausbil-
wählen, ob sie - statt die generalistische                 dung für Pflegende wurde mit der
Ausbildung fortzusetzen – einen geson-                     Reform gefördert.
derten Abschluss in der Altenpflege er-                  • Die generalistische Ausbildung wird
werben wollen.                                             eingepasst in ein gestuftes und transpa-
Damit soll der Grundstein für eine zu-                     rentes Fort- und Weiterbildungssys-
kunftsfähige und qualitativ hochwertige                    tem.
Pflegeausbildung gelegt werden.16

46     16
            https://www.bundesgesundheitsministerium.de/pflegeberufegesetz.html
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