HEIMAT WAS IST HEIMAT? WAS VERBINDEN WIR MIT HEIMAT? WIR HABEN NACH GEFRAGT UND UNS UMGEHÖRT - Rheinfelden
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Das Kultur- und Stadtmagazin beider Rheinfelden 65 | Juli/August 2019 | gratis erhältlich SCHWERPUNKT HEIMAT WAS IST HEIMAT? WAS VERBINDEN WIR MIT HEIMAT? WIR HABEN NACHGEFRAGT UND UNS UMGEHÖRT… en Brückionen t Sensa.–25. 23 st MIT DEN VERANSTALTUNGSTIPPS Augu IM JULI UND AUGUST
Anzeige im Solebad- Eintritt inbegriffen Achtsamkeitsgarten Hotel EDEN im Park **** mit Heilkräutern und Kneipp-Pfad Rheinfelden, hoteleden.ch Anzeige DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR EINE KOMISCHE OPER VON OTTO NICOLAI 18.10. 24.1 1.2019 BAHNHOFSAAL RHEINFELDEN Gastrozelt +41 (0)61/831 51 51 www.fricktalerbuehne.ch www.zaraz.ch REGIE : BETTINA DIETERLE • MUSIKALISCHE LEITUNG : CASPAR DECHMANN 2
Rheinfelden Lebenswert. Liebenswert. IMPRESSUM Susanna Schlittler Herausgeber Stadt Rheinfelden (Schweiz), Stadt Rheinfelden (Baden) Liebe Leserin, lieber Leser Redaktion Heft 65 Brigitte Brügger, Michelle Geser, Claudius Beck, „Heimat entsteht in der Fremde“ schreibt der Schweizer Autor Walter Stephanie Braun, Peter Löwe Ludin – dem kann ich nur zustimmen. Ich bin zwar in der Schweiz geboren, verbrachte jedoch meine Kindheit in Südamerika und besuchte dort in den Fotos Inhalt Autoren, wenn nicht anders vermerkt ersten sieben Schuljahren sechs verschiedene Schulen in vier Ländern. Mein Titelfoto Fotolia.com (anela47) Vater baute als Bauingenieur Kraftwerke in Peru, Argentinien und Bolivien. Umzüge waren für uns Kinder ganz normal. Realisation Peter Löwe, www.Loewe-Werbeagentur.com Druck Effingermedien AG Brugg Als jemand, der in einer fremden Kultur gross geworden ist, werde ich immer wieder mal gefragt, wo denn meine Heimat sei? In Südamerika, wo ich Auflage 6.000 Exemplare aufgewachsen bin, oder im Land wo ich geboren bin und nun seit über 40 ISSN 1664-4778 Jahren lebe? „Für mich ist Heimat da, wo mein Lebensfaden verankert ist Verteilung und den habe ich vor 28 Jahren definitiv in Rheinfelden festgemacht.“ Auslage in Gemeindeverwaltungen, Geschäften, Bibliotheken, Schulen und Kultureinrichtungen Neben dieser örtlichen Verwurzelung bin ich überzeugt, dass nur derjenige Bezug im Abo möglich: Infos auf der vorletzten Seite Rheinfelden (Schweiz): Verteilung an Abonnenten der „bei sich selbst zu Hause“ ist, in tiefer Verbundenheit mit anderen leben der Neuen Fricktaler Zeitung kann. Dieses Gefühl der Verbundenheit bedeutet für mich auch ein Stück Heimat und hat bei mir seinen Ursprung in meiner Familie, in meinem Kontakt für Redaktion und Inserate in Rheinfelden/D Freundeskreis und in meinen sozialen und politischen Netzwerken. Kulturamt der Stadt, Claudius Beck, Rathaus, Kirchplatz 2, D-79618 Rheinfelden Trotzdem ist mir das Gefühl des Heimwehs fremder als das des Fernwehs. Ich c.beck@rheinfelden-baden.de, Tel.: +49 7623 95-237 reise sehr gerne. Da ich mehrsprachig aufgewachsen bin, fühle ich mich, ohne Kontakt Kalender Rheinfelden/D: die Sprachbarrieren, auch in der Fremde schnell zuhause. Was wäre aber das s.braun@rheinfelden-baden.de Reisen ohne das Heimkommen. Wie wunderbar ist es doch durch s`Städtli zu gehen und immer mal bekannte Gesichter zu sehen oder ein freundliches Kontakt für Redaktion, Kalender in Rheinfelden/CH Grusswort zu geben oder zu hören. Gerade das ist Heimat für mich! Stadtbüro/Kulturbüro, Brigitte Brügger Rathaus, Marktgasse 16, CH-4310 Rheinfelden Seien Sie nun gespannt auf die Beiträge, Interviews und Statements in 2xrheinfelden@rheinfelden.ch, Tel.: +41 61 835 51 11 dieser Ausgabe, die das Thema „Heimat“ aus philosophischer, soziologischer, Kontakt für Inserate in Rheinfelden/CH politischer und gesundheitlicher Sicht beleuchten. Ein bunter Strauss der uns Fricktaler Medien AG, Frau Karin Stocker, motivieren kann gemeinsam mit den nächsten Generationen den Prozess Baslerstrasse 10, 4310 Rheinfelden der Verwurzelung in unserem Rheinfelden fortzusetzen – denn wer gut karin.stocker@fricktalermedien.ch, Tel. +41 61 835 00 52 verankert ist, kann sich weit hinauslehnen. Inserate- und Redaktionsschluss für die Ausgabe September/Oktober: 31. Juli 2019 Susanna Schlittler, Stadträtin Rheinfelden CH Schwerpunkt: Heimat EDITORIAL 3
«Wer Heimat als einen in sich stimmigen, fixen Ort sucht, sucht wohl vergeblich.» Heimat – eine Annäherung Wenn ich an Heimat denke, kommt mir Max Frisch in den Sinn. Er verstand Heimat als einen Ort, an dem niemand Angst haben muss. Daran lässt sich anknüpfen. Was ist Heimat? Der Schriftsteller bezog sich auf „Gastarbeiter“ und Vertriebene. Heute zwingt die Klimaerwärmung immer mehr Menschen zur Flucht. Sie suchen eine neue Heimat. Und wir? Foto: Eleni Kougionis 4 TITELTHEMA
I n meinem roten Pass stand bis- lang: Heimatort Agriswil (FR). Die- se Gemeinde ist mir vertraut. Sie zählt 150 Leute. Unsere Familienausflüge führten ab und zu dorthin. Unser Vater zeigte uns, auf welchem Hof er aufge- wachsen war. Inzwischen fusionierte schaftliche Wandel vollzieht sich rasch. Und das Geld durchdringt schier sämt- liche Lebenswelten. Das beflügelt neue, teilweise flüchtige Diskurse über Heimat, rückwärts- und vorwärts gewandt. Die einen wollen sich, hier arg verkürzt dargestellt, ins Schneckenhaus verkrie- Ihre Umsetzung verlangt gerechte Struk- turen. Dazu gehören eine demokratische Politik, ein fairer wirtschaftlicher Aus- tausch, soziale Sicherheiten und ein sorg- samer Umgang mit Ressourcen. Wenn wir uns auf Kosten der Natur oder anderer Menschen bereichern, verschlechtern wir mein Heimatort mit einer anderen Ge- chen und ihr Gärtchen pflegen. Eine mög- deren und letztlich auch unsere Lebensbe- meinde. Seither steht in meinem Pass: lichst homogene Bevölkerung soll ihre ge- dingungen. Heimat benötigt faire Voraus- Heimatort Ried. Diese Gemeinde ist mir sittete Ordnung schützen. Eine verhärtete setzungen. Sie gedeiht im sozialen Mitei- fremd. Näher sind mir Sissach und Basel, provinzielle Position bewirtschaftet diese geographisch und emotional. Da ver- Konzeption. Eine andere Option kommt «Heimat duldet keine Aus brachte ich meine Jugend und Arbeitszeit. super liberal daher. Sie tritt für eine Offen- grenzung. Sie fordert uns heraus, Und jetzt wohne ich schon ein paar Jahre heit ein, die alles offen lässt und gläubig uns selbst kritisch auf uns und in Rheinfelden. Hier fühle mich allmäh- dem Markt anvertraut. Die forcierte Kon- andere einzulassen.» lich zuhause: in der Altstadt, im Park, im kurrenz soll das Wachstum steigern und Gartenbad. Ja, sogar auf dem Friedhof. die flexibilisierte Heimat permanent op- nander. Vertrautheit kommt auf, wenn Hier ruhte bis vor wenigen Wochen ein timieren. Die rückwärts- und die vorwärts sich alle auf Augenhöhe begegnen und Schulfreund. Nun ist sein Grab aufgeho- gewandte Variante sind Kehrseiten einer möglichst geborgen, sicher und frei füh- ben. Das ist gut verständlich, aber für ausgrenzenden Heimat. Alternativen sind len können. Heimat duldet keine Ausgren- mich ein Verlust. Wie die Gemeinde ihren gefragt. zung. Sie fordert uns heraus, uns selbst einzigartigen Wald-Friedhof umgestalten kritisch auf uns und andere einzulassen. will, debattierte sie im Dezember 2018 an Soziales Miteinander So entsteht eine demokratische (Streit-) einer eindrücklichen Versammlung. Da Wer Heimat als einen in sich stimmigen, Kultur respektvoller Auseinandersetzung, kamen Fragen zu unserer Endlichkeit, zu fixen Ort sucht, sucht wohl vergeblich. Es die Halt und Wärme vermittelt. Sie fördert Nähe und Distanz, zu Ruhe und Hektik gibt keine Vertrautheit, die in der warmen ein lebendiges (Zusammen-)Leben und und dazu auf, was eigentlich wichtig ist Stube auf uns wartet oder sich ein für alle bringt uns einer Heimat näher, in der alle im Leben. Am Schluss stand ein erstritte- Mal einrichten lässt. Heimat findet nach möglichst wenig Angst haben müssen. ner Kompromiss. Er vereinbart persönli- neueren soziologischen Ansätzen in so- Ueli Mäder che und öffentliche Anliegen. Eine demo- zialen Prozessen und Vereinbarungen kratische Kultur der Auseinandersetzung statt. Aber ist es überhaupt sinnvoll, den ermöglichte ihn. Sie passt zu meinem Ver- zwiespältig überhöhten Begriff weiter zu ständnis von Heimat. verwenden? Ich finde ja. Er ist zu wichtig, um ihn jenen zu überlassen, die ihn für Rückwärts- und vorwärts gewandt eigene Zwecke vereinnahmen. Heimat Frühere Konzepte definierten Heimat als realisiert sich annäherungsweise, wenn örtliche Geborgenheit. Zur gemeinschaft- wir sie mitgestalten und weiter führende lichen Stallwärme gehörten klare Vorstel- Prozesse miteinander vereinbaren. Wohl lungen darüber, wer teilhaben darf. Enge wissend, unterwegs zu bleiben. Heimat Kontrollen und Normen dominierten die ist weder Mittel noch Zweck. Sie ist auch kein Heil. Heimat lebt auf, wenn wir ge- «Heimat lebt auf, wenn wir meinsam versuchen, freiheitliche Gebor- gemeinsam versuchen, freiheit genheit für alle zu verwirklichen. Und das liche Geborgenheit für alle zu gelingt uns immer nur beschränkt. Wobei verwirklichen.» die erwähnte Erfahrung gesellschaftlicher „Coolness“ auch die Bereitschaft fördern scheinbare Idylle. Das bewegte besonders kann, aus freien Stücken wieder verbind- Junge dazu, aus fest gezurrten Verhältnis- lichere Beziehungen eingehen zu wollen. sen aufzubrechen. Sie suchten eine andere Das ist eine Chance. Sie lässt sich emanzi- Heimat mit mehr Freiheit in der Anony- pativ aufnehmen. Aber wie? Zum Autor dieses Textes: Ueli Mäder ist Soziologe, emeritierter Professor der Universität Basel. mität. Die erstrebte „Coolness“ erwies sich Grund- und Menschenrechte helfen, aber bald als zu „cool“. Denn der gesell- die Heimat als Gut für alle anzugehen. TITELTHEMA 5
Eveline Klein, Ortsvorsteherin, Historikerin und Vorsitzende des Fördervereins, inmitten der historischen bäuerlichen Exponate im Dinkelbergmuseum in Minseln. Das Dinkelbergmuseum in Minseln bewahrt ein Stück Heimatgeschichte Wie das bäuerliche Leben ANNO DAZUMAL war U m vier Uhr morgens gingen die als das Dorf und die umliegenden Orte noch Bauernhäuser abgerissen wurden, kam die Männer mit scharf gedengelten vorwiegend von Landwirtschaft geprägt Initiative auf, die Utensilien, Dinge und Ge- Sensen zu den Wiesen und began- waren: ein Stück Heimatgeschichte wird rätschaften des bäuerlichen Alltagslebens nen das Gras zu schneiden bis gegen neun bewahrt. Die Exponate geben ein authenti- aufzubewahren. Viele Bewohner gaben Ge- Uhr. Gegen sieben Uhr brachten die Frau- sches Abbild des Bauernlebens anno dazu- räte, Mobiliar, Textiles und Gebrauchsgegen- en das Morgenessen, meist eine Mehl- mal auf dem Dinkelberg. stände ab, die den Grundstock für das Mu- suppe. Die Frauen mussten jetzt das Gras Das alte Rathaus, in dem sich das Muse- seum bildeten. Der „Vater“ des Museums sei „warben“...“. So berichtet Hermann Mai- um befindet, wurde 1824 als Schulhaus er- Ernst Spitz gewesen, erzählt Ortsvorsteherin er aus Minseln, Jahrgang 1907, wie einst baut. Zeitweise waren Schule und Rathaus und Historikerin Eveline Klein, die Vorsit- bei der Heuernte die Matten gemäht, das unter einem Dach untergebracht. Heute zende des Fördervereins. In ehrenamtlicher Heu auf Leiterwagen aufgeladen und in hat die Ortsverwaltung hier ihr Domizil. Arbeit brachten sich die Vereinsmitglieder in der Scheune von Hand auf den Heustock Im Dachgeschoss, das als Speicher und La- den Aufbau des Museums ein, seit damals befördert wurde. gerraum diente, wurde im Jahr 2000 das im Vorstand aktiv dabei ist Elmar Döbele. Wie das bäuerliche Leben früher war, Heimatmuseum Dinkelberg, wie es damals Das Dachgeschoss mit rustikalem Holz- welche Gerätschaften die Bauersleute ver- hieß, eingerichtet. Den rührigen Förderver- gebälk und Holzboden bietet das passende wendeten: Das wird im Dinkelbergmuseum ein, der sich für das Heimatmuseum stark Ambiente für die Exponate aus der bäuer- in Minseln anschaulich gemacht. Dort wird gemacht hat, gibt es seit 1986. Vor dem lichen Lebens- und Arbeitswelt des 19. und die Erinnerung an die Zeit wach gehalten, Hintergrund, dass im Dorf immer mehr frühen 20. Jahrhunderts, die einen authen- 6 TITELTHEMA
tischen Eindruck geben von der Arbeit auf Sonn- und Feiertagen getragen wurde. Eine Orts-Jubiläum von Nordschwaben wurden Feld, Acker, in Stall und Gehöft. Die Dauer- festliche Tracht in Schwarz ist zu bewundern, im Museum dokumentiert. ausstellung wurde so konzipiert, dass sie den ebenso ein Gehrock um 1900, Zylinder, Körbe, Vorführungen machen das bäuerliche Kreislauf der Jahreszeiten und der bäuerli- Hauben und Trachtentücher. Auch ein hand- Leben greifbar: So wurde Butterherstellung chen Tätigkeiten darstellt. gewebtes Leinenhemd aus dem 19. Jahrhun- wie früher praktiziert, mit Hilfe der Dinkel- Der Rundgang beginnt beim Pflügen, Eg- dert ist Teil dieser textilen Abteilung. berger Landfrauen. Monika Haller rückte als gen, Säen, der Feldarbeit im Frühjahr und Zum bäuerlichen Alltag gehörte auch „Wöschwiib“ mit Zuber, Waschbrett, Lauge geht weiter über die Heuernte im Sommer das Buttermachen. Milchkannen, Bottiche, und Wurzelbürste an, um einen Wäschetag bis zum häuslichen Bereich, der im Winter- Milchsiebe, ein Holzbutterfass mit Hand- wie zu Großmutters Zeiten vorzuführen. Im halbjahr eine stärkere Rolle spielte. Histori- kurbel, ein Butterstoßkübel zeugen davon. Museumsschopf hinter dem Haus sind grö- sche Fotografien aus Minseln, Nordschwa- Auch Gerätschaften zum Schnapsbrennen ßeres Gerät wie Egge, Pflug und Pritschen- ben und Adelhausen machen sichtbar, wie und Holzmachen haben in der Daueraus- wagen untergebracht, im Museumsstübli die Bauernfamilien bei der Ernte anpack- stellung ihren Platz. ist eine historische Schuhmacherwerkstatt ten, wie Ochsen, Kühe und Pferde als Zug- In zahlreichen Sonderausstellungen wur- und Wagnerei aufgebaut. tiere eingesetzt wurden. Gerätschaften und den lokale Themen aufgegriffen. So gab es Seit 2018 können im Dinkelbergmuseum Utensilien wie Polsterkummet, Stirnjoch, Schauen über Streuobstwiesen, Wald- und aus brandschutztechnischen Gründen keine Egge, Pflug, Flachsbreche oder eine Seil- Forstwirtschaft und die Geologie des Dinkel- Ausstellungen mehr gemacht werden. „Das drehmaschine verdeutlichen die schwere bergs. Vorgestellt wurde altes Handwerk wie Hauptproblem ist, dass wir keinen zwei- ländliche Arbeit. die Schneiderei mit Utensilien aus der frü- ten Rettungsweg haben“, schildert Eveline Zwischen Strohballen finden sich eine heren Schneiderwerkstatt Josef Sailer und Klein die Situation. Bis die Baumaßnahmen Handdreschmaschine, Rechen, Heugabel, alten Bügeleisen. „Vom Flachs zum Leinen“ für die nötige Rettungstreppe realisiert sind, Dreschflegel, sogar ein Graswagen, ein alter hieß eine andere Präsentation. Auch die muss das Museum seine Aktivitäten und Handwagen von 1900, auf dem Gras und Markgräfler Tracht war ein Thema, ebenso Veranstaltungen nach draußen in den Hof Heu transportiert wurde. Auch Dengelstock wie Bilderbücher und historische Poesieal- und an andere Orte verlegen. Klein und und Dengelhammer, Windfege und eine ben. Aber auch künstlerisches Schaffen aus ihre Mitstreiter hoffen, dass die Gelder für Üselwanne, mit der die Spreu vom Korn ge- dem Ort stand im Blickpunkt. So gab es zum die Planung der Brandschutzmaßnahmen trennt wurde, waren übliche Arbeitsgeräte. Auftakt eine Hommage an den Malerpoe- schon 2020 im Haushalt bereit stehen. In In irdenen Töpfen stehen Roggen, Weizen, ten, Holzschneider und Dichter Alban Spitz, der Zwischenzeit behilft sich der Förder- Dinkel, Hafer und man erfährt Interessantes der ein echtes Minsler „Original“ war. Eben- verein, indem er außer Haus Aktionen und über die Getreideernte. so waren Werke des Grafikers und langjäh- Veranstaltungen anbietet wie zuletzt eine In der kälteren Jahreszeit spielte sich rigen Vorstandsmitglieds und Kurators Diet- Grenzstein-Wanderung, eine Brunnenfüh- das arbeitsame Tun in Küche und Stube ab. mar Biermann und seiner verstorbenen Frau rung und einen Blick in den ehemaligen Dieser häusliche Bereich wird durch Klei- Käthe zu sehen. Großen Publikumserfolg Ortsarrest von Minseln. dung, Stoffe, Strohfinken, einen Schrank hatten die fünf Auflagen von „Dinkelberg Beim Dorffest in Minseln wird am 14. Ju- mit Decken, Spinnrad und einen alten Herd kreativ-aktiv“, bei denen Kunstschaffende li im Foyer der Alban Spitz-Halle eine Foto- mit Töpfen und Pfannen, Waffeleisen und vom Dinkelberg Malerei, Keramik, Objekte aktion unter dem Motto „Wir setzen Ihnen Schöpfkelle veranschaulicht. Im Blickpunkt aus Pappmaché, Holzarbeiten und anderes Hörner auf“ durchgeführt. Besucherinnen steht die Markgräfler Tracht mit Hörner- zeigten. Auch Vereinsjubiläen der Froschen- können sich mit Hörnerkappe und Schulter- kappe, Schultertuch und Schürze, die an clique und des Gesangsvereins oder das tuch der traditionellen Markgräfler Tracht ablichten lassen und das ausgedruckte Foto mitnehmen. Im Herbst öffnen sich bei ei- nem Aktionstag im Museumshof die Tore des Schopfes, wo die Großgeräte stehen, und des Stüblis mit den alten Schuhmacher- und Zimmermanns-Werkzeugen: altes Hand- werk zum Anfassen. Wie Eveline Klein betont, nimmt der Verein weiterhin alte Gerätschaften und historische bäuerliche Utensilien entge- gen, um die Dauerausstellung damit er- gänzen zu können. Roswitha Frey Fotoaktion beim Dorffest 14. Juli in der Alban-Spitz-Halle Minseln Info: www.dinkelbergmuseum.de Alter Herd aus einem Bauernhaus. TITELTHEMA 7
FRICKTALER MUSEUM, Marktgasse 12, 4310 Rheinfelden. Das Museum ist jeweils Di, Sa und So von 14–17 Uhr ge- öffnet. www.fricktaler-museum.ch Kathrin Schöb und Ute W. Gottschall vor «ihrem» Museum 8 TITELTHEMA
Das Fricktaler Museum hiess früher Fricktaler Heimatmuseum Hier kommt man DER HEIMAT AUF DIE SPUR Früher hiess das heutige Fricktaler Museum Fricktalisches Heimatmuseum. Nicht von ungefähr: Das Museum für naturkundliche und kulturgeschichtliche Gegebenheiten von Rheinfelden hat einiges mit Heimat zu tun. Es sind vor allem Menschen, Objekte und Geschichten von anno dazumal bis heute, S welche dazu beitragen, hier Heimat zu festigen oder vielleicht gar zu finden. chlendert man durch die ge- im Museum ausgestellt werden, Prozes- an der richtigen Adresse. Und gerade in schichtsträchtigen Räume im se auslösen können, die dazu führen sich Zeiten von Globalisierung und weltweiter herrschaftlichen Haus «Zur heimisch zu fühlen. Das kann zum Beispiel Vernetzung, Google und Facebook dürfte Sonne» an der Marktgasse 12, wo sich das eine antike Tasse sein, die einen ans Eltern- das Nahe in Zukunft eher an Wichtigkeit Fricktaler Museum heute befindet, so kann haus erinnert. Menschen, Geschichten und gewinnen, stillt es doch ein urmenschli- das durchaus dazu beitragen, seine Heimat Erinnerungen sind dabei ebenso wichtig ches Verlangen nach Nähe, Geborgenheit Rheinfelden zu festigen, zu entdecken oder und Vertrautem. gar zu finden. Das Fricktaler Museum bietet «Die ganze Welt ist für mich anhand seiner zahlreichen Exponate, Ob- meine Heimat, wenn meine Auch für Junge ist Heimat wichtig jekte, Bilder, Themen und Geschichten eine Familie dabei ist.» Fragt man Jugendliche, was ihnen Heimat spannende Zeitreise von der Frühgeschich- bedeutet, so sind auch heute die Familie, te übers Mittelalter bis hin zur Neuzeit. So- wie Ereignisse oder Bilder von Hotels und Freunde, die Schule und der Ort sehr wich- eben zu Ende gegangen ist die erfolgreiche Unternehmen, die es schon längst nicht tige Komponenten. Lena Parschauer ist Sonderausstellung «Rheinfelden – anno mehr gibt. Eine Institution wie das Frickta- Klassenlehrerin der 4. Klasse im Robersten- dazumal und heute». Gezeigt wurden Ge- ler Museum, wo genau dies zu sehen und Schulhaus in Rheinfelden. Heimatliches ist schichten, Menschen und Erinnerungen aus zu erleben ist, kann dazu beitragen, Heimat für sie sehr wichtig. Im Rahmen der «Hei- verschiedenen Blickwinkeln. Es war eine zu vermitteln. matkunde» unternahmen sie mit ihrer Ausstellung wider das Vergessen, welche an- Klasse ein ganz besondere Stadtführung fangs dieses Jahres mit Bildern und Objekten Fricktaler Museum – ein Besuch lohnt sich! über die Geschichte Rheinfeldens und ins- des einstigen noblen Kurhotel Krone ergänzt Auch wenn die erwähnte Sonderausstel- besondere der berühmten Sage vom listi- wurde. Die ausgestellte Kabine des vorneh- lung im Haus zur Sonne soeben zu Ende ge- gen Schneider von Rheinfelden. Darüber men «Stigler-Liftes» im Eingangsbereich des gangen ist, lohnt sich ein Besuch im Frick- hinaus machten sich die Schülerinnen und Hotels lässt einen erahnen, wie gediegen es taler Museum allemal. Die Sammlung ist Schüler Gedanken zum Thema Heimat und in Rheinfelden einst zugegangen ist. vielfältig von archäologischen Bodenfun- nannten ebenfalls ihr nächstes Umfeld, al- den aus der Frühzeit über mittelalterliches so Familie, Freunde, Schule als Wichtigstes. Reflektion über den Begriff Heimat Handwerk mit heute ausgestorbe- Aber was bedeutet eigentlich Heimat? Und nen Berufen bis hin zu Reliquien Gwendolyn Peter bestätigt wie findet man Heimat? Wo liesse sich und Bildern der einst kaiserlichen dies: «Heimat ist, wo meine diesen Fragen besser auf die Spur zu kom- Habsburgerzeit. Das Spektrum der Familie ist. Heimat ist dort, men als im Museum an der Marktgasse in Themen rund um die Geschichte wo es mir gut geht. Heimat Rheinfelden. Für Kathrin Schöb, Leiterin Rheinfeldens ist breit gehalten. ist, was ich vermisse, wenn und Kuratorin des Museums gibt es darauf Nebst Alltagsobjekten aus früheren ich weg bin.» allerdings nicht nur eine Antwort. Jede und Zeiten erfährt man viel Wissens- Tim Derrer spannt den Bo- jeder definiert es etwas anders und aus wertes, zum Beispiel über das Woh- gen etwas weiter: «Die gan- ganz persönlicher Sicht. Sich wohl- und da- nen, das Musizieren oder die einsti- ze Welt ist für mich meine heimfühlen hat zweifellos viel mit Heimat ge Salmen-Fischerei. Bewusst wird Heimat, wenn meine Fami- zu tun, so Kathrin Schöb. Für Ute W. Gott- darauf geachtet, dass die Themen lie dabei ist.» schall, stellvertretende Leiterin/Kuratorin allgemein verständlich und alles des Museums kann sich Heimat im Laufe andere als verstaubt daherkom- eines Lebens durch das Erlebte durchaus men. Wer eine lebendige Zeitreise Stephan Schöttli auch verändern. Einig ist man sich, dass durchs einstige und heutige Rheinfelden Objekte aus vergangenen Zeiten, wie sie erleben möchte, ist im Fricktaler Museum TITELTHEMA 9
WAS IST und bedeutet HEIMAT, was verstehen die Menschen unter Heimat? Heimat ist vielleicht ein altmodischer Begriff, doch Heimat ist gerade heute in unserer heutigen schnelllebigen Zeit sehr wichtig“, hat kürzlich der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg Erwin Teufel in einem Vortrag gesagt. Und mehr noch: „Heimat liefert Orientierung, Austausch und bietet Halt“, erklärte er. Wir haben uns in Rheinfelden mal ein wenig umgehört zum Begriff Heimat. „Heimat – das ist für mich der Dinkelberg, „Heimat, als Begriff, bezieht sich auf Din- unsere liebenswerten Orte und Men- ge, Sprache, Religion usw. indem sich das schen, unsere Sprache, der Geruch der Individuum, als „geistige Heimat“ erkennt Landschaft“, sagt Ewald Lützelschwab aus und mit dem es sich identifiziert“, weiß Minseln. „Heimat, das ist ganz einfach da, Gustav Fischer. „Heimat bezeichnet also wo man sich hingezogen und geborgen nicht immer einen konkreten Ort. Erst fühlt, wo man gerne da ist“, fügt er hinzu. beim Nachdenken darüber, warum ver- „Für mich ist Heimat der Lebensort, in binden sich diese Abstrakta mit Gefühlen, dem ich zu Hause bin, wo ich lebe, wo ich mit Empfindungen, angesiedelt zwischen meine Familie und meine Bindungen ha- Schmerz und Freude, wird der Begriff Hei- be, mich wohlfühle und mich einbringen mat gegenständlicher. kann“, lässt Karin Reichert-Moser wissen. In Degerfelden lebe ich seit meiner Geburt, aufgewachsen in trautem Umfeld einer Arlind Krasniqi Mehrgenerationenfamilie und der Dorfge- meinschaft. Meine Identität, meine Vita, Ähnlich denkt auch Arlind Krasniqi aus dem meine aktive Lebensgestaltung haben sich Kosovo. Er ist zwar hier und in der Schweiz von hier aus entwickelt. Glücklich, zufrie- aufgewachsen, lebt seit vielen Jahren hier, den und dankbar bin ich, hier zu Hause zu ebenso wie auch seine Eltern. Ihm gefällt es sein und wo mir die Möglichkeit gegeben hier, er fühlt sich mit seiner eigenen klei- wurde, mich in meiner Heimat auf unter- nen Familie wohl. „Doch meine Heimat ist schiedliche Weise einzubringen.“ Kosovo“, macht er deutlich. Das spüre er stets bei seinen mehrmaligen Besuchen im „Heimat ist das, was wir zurücklassen, Jahr dort, wo er ursprünglich herstammt. wenn wir unser Elternhaus verlassen“, „Dort sind meine Verwandten und Freun- sagt Annette Lohmann, aufgewachsen de“, sagt er – und eines Tages will er auch in Nordrhein-Westfalen und seit 1977 in Sirwan Rasho in den Kosovo zurückkehren. Rheinfelden. „Heimat meiner Kindheit ist heute nur noch ein Gefühl. Flüchtlinge an- „Mir geht es gut in Deutschland und mir Es ist dieser Ort in dem man geboren und dererseits sehnen sich immer nach ihrem gefällt es in Rheinfelden“, sagt Sirwan Ras- aufgewachsen ist. Der Ort an dem man sich oft zerstörten Zuhause und den Menschen, ho aus dem Irak. „Doch meine Heimat ist durch den ständigen Aufenthalt zu Hause mit denen sie zusammen gelebt haben. der Irak, da ist mein Blut, dort sind meine fühlt. Die enge Verbundenheit gegenüber Heimat ist für mich das Zusammenge- Wurzeln“, erklärt er. Dorthin fühlt er sich der Landschaft und den Menschen, mit de- hörigkeitsgefühl, das mir meine Familie verbunden, sind die Menschen, die er gut nen man durchs Leben geht, die zum Teil geschenkt hat. Heimat ist hier, wo ich mit kennt, sind seine Freunde und seine Fa- nicht mehr unter uns weilen, die einem meiner Familie in Frieden lebe. Und: Hei- milie, die ihm viel bedeuten und Heimat aber, für den Rest des eigenen Lebens, ge- mat ist überall dort, wo Freunde und Men- sind. „Und ich hoffe, dass ich dorthin ir- prägt haben. Kurz, Heimat ist jener Schmerz, schen sind, die mich mögen.“ gendwann einmal wieder zurückkehren der sich einstellt, wenn ich an unsere beide kann“, sagt er. Städtli denke und kann nicht da sein.“ Gerd Lustig 10 TITELTHEMA
Stadtführerin Ulrike Maunz liebt ihren Job und die Stadt „Schon damals gab es nachhaltige Planung.“ W er Stadtführungen machen will, der muss sich in sei- ner Stadt gut auskennen. Schließ- lich gehe es bei den Trips ja nicht Führungen aber auch, den Leuten zu zeigen, wie schön Rheinfelden eigentlich ist“, sagt sie. Immer wie- der stelle sie fest, dass Viele den Wert und das Schöne in der Stadt allein um die bloße Info, sondern nicht so richtig schätzten. „Doch auch gerne um die Story und die wer mal bei einer Führung dabei Geschichte dahinter. Dabei muss war, denkt ein bisschen anders“, ist die Person nicht zwangsweise aus sie sich sicher. Zwar sei in der noch Rheinfelden selbst stammen. En- jungen Kommune schon Einiges an gagement, Wissensdurst und Be- Historischem wieder abgerissen geisterung vorausgesetzt, können worden. „Doch es ist auch viel Tol- Stadtführungen auch von Men- les, Spannendes, Nachhaltiges ent- schen, die zugezogen sind, span- standen“, betont sie. nend und informativ gestaltet und angeboten werden. Spannend ist für die Stadtführerin auch, dass es hier mal einen gro- ßen Planer in den 1950er Jahren »Wichtig ist mir bei meinen gab, nämlich Eduard Steffen, dessen Führungen aber auch, den Ideen vielfach in die Entwicklung Leuten zu zeigen, wie schön der (Innen)Stadt eingeflossen sind. Rheinfelden eigentlich ist.« Spannend ist für sie überdies, dass bereits der Flächenutzungsplan von Eine davon ist Ulrike Maunz. Seit 1957 viele und wesentliche Grund- gut einem Jahrzehnt lebt die Archi- Ulrike Maunz ist Stadtführerin in Rheinfelden (Baden). züge der aktuellen Planungen auf- tektin aus dem schwäbischen Raum wies. „Schon damals gab es nach- mit ihrer Familie in der Großen Kreisstadt eigentliche Keimzelle der Stadt, das alte haltige Planung“, freut sich Ulrike Maunz. und ihrer liebenswerten Umgebung. Sie Flusskraftwerk. Und was ihr besonders fühlt sich hier sehr wohl, ja mehr noch: gut gefällt: „Wir, die insgesamt sieben »Ich laufe stets mit offenen Augen Die Stadt ist zu ihrer zweiten Heimat ge- Stadtführerinnen, sind ein tolles Team“, durch die Stadt, da sieht und worden. schwärmt sie. Das seien alles wunderba- bemerkt man immer Neues und re Frauen, die jede auf ihre Art Spannen- Interessantes..« Und ein kleines bisschen hat das auch des und Informatives bei den Touren zu mit den Stadtführungen zu tun. Vor et- erzählen haben. Einmal im Monat trifft Und die Weiterbildung einer Stadtfüh- wa sieben Jahren nahm sie mal an einer man sich. „Da tauschen wir uns aus, war- rerin?“ „Wir lernen ständig neu dazu“, Stadtführung für Zugezogene mit Gabri- ten gespannt darauf, was es wieder Neues erklärt sie uns und meint dabei natürlich ele Zissel teil. Und spontan beschloss sie, gibt“, so Maunz. Lesen, Gespräche mit interessanten Men- ebenfalls Stadtführerin zu werden. Sie schen, den Austausch mit den anderen absolvierte einen Einführungskurs – und Klar, dass sie als Architektin, also qua- Stadtführerinnen und – last but not least: schon ging’s los. si vom Fach, die Baugeschichte der noch „Ich laufe stets mit offenen Augen durch jungen Stadt, die jüngere Entwicklung hin die Stadt, da sieht und bemerkt man im- Bedingt durch ihren Beruf als Architek- zur Stadt mit Fußgängerzone und Aufent- mer Neues und Interessantes.“ tin, kristallisierten sich schnell spezielle haltsqualität sowie auch die Entstehung Gerd Lustig Themen dabei heraus, nämlich die Bau- der Gemeinde durch den Kraftwerksbau geschichte Rheinfeldens oder auch die interessieren. „Wichtig ist mir bei meinen TITELTHEMA 11
«Der HEIMATBEGRIFF ist oft mit SEHNSUCHT nach etwas Vergangenem verbunden.» Wir sprechen mit Hanspeter Flury, Chefarzt und Klinikdirektor bei der Klinik Schützen in Rheinfelden, wie wichtig Heimat den Menschen ist und welche Relevanz sie bei psychischen Erkrankungen hat. Herr Flury, was bedeutet für Sie dann auch sich selber gegenüber fremd. fest oder an einem Schwingfest anzutref- Heimat? Bei gewissen psychischen Krankheiten fen? Wenn überhaupt nur an speziellen erlebt man die Veränderung nicht bei Anlässen. Auch das, was wir im Souvenir- Heimat ist ein Gefühl, die eigenen Wur- sich, sondern in erster Linie in der Aus- Shop finden, ist nicht wirklich das, was zeln zu spüren, des Vertrautseins, der senwelt. Zum Beispiel im Rahmen einer uns selber Heimat bedeutet. Zugehörigkeit und des Geborgenseins. Entwicklungskrise oder einer schweren Faktisch ist die Schweiz mit ihren vier Interessanterweise geht es mir wie den Verwirrung. Auch wer sich plötzlich nicht Sprachen noch immer ein multikulturel- meisten Leuten: am besten kann ich mei- mehr gleich eingebettet fühlt wie vorher, les Land. Wir Schweizer waren es schon ne Heimat beschreiben, wenn ich in der ob dies partnerschaftlich, familiär, gesell- immer gewöhnt, uns mit Fremden zu ar- Fremde bin. Als Schweizer fühle ich sie am schaftlich oder beruflich ist, verliert in ge- rangieren und zusammenzufinden. stärksten im Ausland. wisser Weise seine Heimat. Letztlich ist der Heimatbegriff oft mit Trotzdem, auch ohne Kühe, Gibt es weitere Beispiele? Sehnsucht nach etwas Vergangenem ver- Schwingen und Jodeln, können bunden. Man sieht die Vergangenheit wir doch, wo auch immer wir ge Wenn jemand den Wohnsitz wechselt, verklärt, hat das Gefühl, dass früher alles rade sind, Heimat verspüren? fühlt er sich häufig heimatlich stärker besser war. mit dem Herkunftsort verbunden, als mit Ja. Heimat spüren wir dort, wo wir mit dem neuen Wohnort. Oftmals trägt man Heimat ist eigentlich ein schwie dem Umfeld in guter, stimmiger Verbin- dann innere Bilder des Heimatorts mit riger Begriff. Sobald man meint, dung stehen. Wo wir uns wohl fühlen und sich, die nicht mehr der Realität entspre- Heimat zu spüren, ist sie schon so sein können, wie wir sind. chen, weil man in der Erinnerung vieles entglitten? verklärt, und sich am Herkunftsort in der Apropos Multikulti: Welche Be Zwischenzeit einiges verändert hat. Ja, das stimmt. Das Gefühl von Gebor- wandtnis haben unterschiedliche genheit und Vertrautheit brauchen wir Kulturen in der Psychiatrie? Inwiefern hat das Thema «Hei jeden Tag, wir nehmen es häufig nur un- mat», respektive «Fremdsein» terschwellig war. Wenn dies nicht mehr In der Psychiatrie sind Kulturunterschie- eine Bedeutung bei psychischen selbstverständlich, fast unausgesprochen de ein grosses Thema, insbesondere in Zu- Krankheiten? da ist, beginnen wir es mit Sehnsucht und sammenhang mit Migration. Migranten Unbehagen als Verlust zu vermissen, zu werden häufig ausgegrenzt, offen oder Viele psychische Krankheiten gehen mit beklagen oder zu suchen. indirekt, und leiden darunter. Doch auch einer gewissen Selbstentfremdung oder ihnen selbst stellt sich die Frage: Wie stark Weltentfremdung einher. Ein depressiver Heute wird ja der Begriff Heimat, will, kann und soll ich mich an eine frem- Mensch zum Beispiel hat keinen Zugang auch bei uns in der Schweiz, stär de Kultur anpassen? Neben Ausgrenzung mehr zu seiner Freude, zu seiner Energie ker gelebt. «Swissness» ist in, und durch andere gibt es auch das Phänomen, oder zu seiner Zuversicht. Das Selbst- typisch schweizerische Brauchtü dass viele Migranten sich selber stärker vertrauen, über das er normalerweise mer, wie zum Beispiel Schwingen ausgegrenzt erleben, als sie es wirklich verfügt, fehlt. Oder jemand hat plötzlich und Jodeln, sind populär. sind, weil sie der Tatsache, dass sie von Panik, sich unter Menschen zu begeben. ortsfremder Abstammung sind, übergros- Diese Menschen erleben bei sich etwas, Aber wie oft im Leben sind Schweizer wie se Bedeutung zumessen. das ihnen fremd ist, und fühlen sich Sie und ich tatsächlich an einem Jodler- Die Frage der Zugehörigkeit beschäf- 12 TITELTHEMA
tigt nicht nur die erste Generation von leicht muss man sich auch selber verän- Leiden heute mehr Menschen an Menschen mit Migrationshintergrund, dern, und nicht nur die Aussenwelt. Dann, einer psychischen Krankheit im sondern auch die zweite. Auch wenn es wenn man sich selber verändert, kann es Vergleich zu früher? dann nur noch der Name oder vielleicht sein, dass man anderen Menschen, denen die Hautfarbe sind, welche anders sind. man zuvor vertraut war, fremd wird. Und Früher hatten die Menschen weniger Viele sind übermässig verunsichert und in der nächsten Phase gilt es, die nötigen Möglichkeiten, sich zu verändern. Wenn fühlen sich heimatlos. Sie fühlen sich hin- Veränderungen auszuprobieren, umzuset- jemand zum Beispiel Bäcker gelernt hatte, und hergerissen, weder der Ursprungshei- zen und zu verankern. blieb er Bäcker, ob ihm das Spass machte mat ihrer Eltern noch der neuen «Heimat» oder nicht. Er überlegte nicht, daran et- wirklich zugehörig zu sein. Ist es nicht immer so, dass der was zu verändern. Das hatte Nachteile, Bei vielen psychischen Krankheiten Mensch mit dem Vertrauten am aber auch Vorteile. Heute ist der Verän- sind Menschen im Wandel und erleben stärksten verbunden ist? derungs- und Leistungsdruck auf allen sich selber ganz anders als früher. Man- Ebenen grösser, und Menschen stehen che gehen dann weg, zum Beispiel auf Ja, es kann sein, dass man wieder zum viel mehr unter Druck, sich darauf einzu- Wanderschaft, und stellen fest, dass sie Vertrauten zurückkehrt. Aber manchmal stellen und zu optimieren. Früher litten sich auch am neuen Ort nicht finden. Sie geht es auch darum, aufzubrechen, sich die Menschen auch unter gewissen Situ- gehen weg, um vor der eigenen Verände- etwas Neuem zu stellen und herauszufin- ationen, nahmen dies aber viel weniger rung, die sie als nicht stimmig erleben, den, was einem wirklich wichtig ist. Man bewusst wahr als Menschen dies heute zu flüchten. Sie versuchen sich, dieser kann auch eine neue Geborgenheit und tun. Heute sind leidende Menschen eher Unstimmigkeit zu entziehen, nehmen sie Vertrautheit finden, die man selber mitge- bereit, bei Problemen Unterstützung und aber mit. Wenn einem nicht die Neugier- staltet hat. Vielleicht eine Mischung aus Hilfe anzunehmen, während sie sie früher de wegtreibt, sondern die Flucht vor der dem, was bisher war, und etwas Neuem, beispielsweise mehr in Sucht zu erträn- eigenen Veränderung, kann der Plan des das uns zusätzlich wichtig geworden ist. ken versuchten. Und wir haben heute die Weggehens schiefgehen. Insbesondere, Möglichkeit, ihnen diese Unterstützung wenn ein Mensch stark verunsichert ist. Ist es wichtig, dass der Mensch und Behandlung zu bieten – zum Glück mitgestalten kann? für alle. Haben Burnout-Erkrankungen Janine Tschopp auch mit Entfremdung sich selber Ja, jeder Mensch will mitgestalten, von gegenüber zu tun? Natur aus. So macht es Sinn, herauszu- finden, was eine eigene Umgebung heu- Burnout ist primär ein Krankwerden an te ausmachen könnte, damit man sich einer Belastung durch die Aussenwelt, vor genügend zu Hause fühlt? Doch obschon allem in der Arbeitswelt. Man probiert, ge- es unsere Spezies auszeichnet, dass wir gen eine anhaltende äussere Überbelas- anpassungsfähig sind, ist es oft – gerade tung anzustemmen, und brennt aus, auch bei grossen und schnellen Veränderungen am inneren Anspruch. Man fühlt sich in – schwierig, sich immer wieder auf Neues der Rolle in Partnerschaft, Familie oder Be- einzustellen. ruf nicht mehr wohl und stellt fest: «Das bin nicht mehr ich.» Man wird sich selber Nochmals zurück zum Begriff fremd, versucht dagegen anzukämpfen, «Heimat». Gibt es Patienten, verliert aber kontinuierlich Energie und die aufgrund des Verlusts ihrer Zuversicht, und Ängste kommen auf. Heimat zu Ihnen in Behandlung kommen? Wie können Patienten geheilt werden, welche an dieser Krank Es kommt nie jemand zu mir und sagt: heit leiden? «Ich suche meine Heimat.» Was jedoch si- cher ein Thema ist, sind fehlende Gebor- Wichtig ist, dass diese Menschen wie- genheit, Vertrautheit oder Stimmigkeit. der zu ihren Kräften kommen, die ihnen Wichtig für eine soziale Gemeinschaft bei einem ausgeprägten Burnout fehlen. und dass Menschen sich darin wohl füh- Dr. med. Hanspeter Flury, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, ist Danach beginnt eine Phase von Neu- len, sind genügend Vertrautheit und Si- Chefarzt und Klinikdirektor bei der Klinik Schützen in orientierung. Wo soll in Zukunft meine cherheit, aber auch Raum und Freiheit für Rheinfelden. Heimat sein? Welche Umgebung, welche jedes einzelne Individuum. Freiheit und Menschen sind gut für mich? Inwiefern Zugehörigkeit also. Gerade Menschen mit «Wer sich plötzlich nicht mehr gleich eingebettet fühlt wie vorher, ob dies partnerschaftlich, familiär, gesell- kann ich auf die bestehende Umgebung psychischen Problemen dürfen nicht aus- schaftlich oder beruflich ist, verliert in gewisser Weise Einfluss nehmen, damit sie mir eher gegrenzt oder «entheimatet» werden. Ihr seine Heimat», sagt Hanspeter Flury. entspricht, damit ich mich dort eher zu würdiger Platz in der Gesellschaft ist für Hause fühle, dass es für mich passt? Viel- sie sehr wichtig. TITELTHEMA 13
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Heimatgefühl aus vielen Facetten Wo ich FAMILIE UND FREUNDE habe „Zur Gartenarbeit gehört auch mal mit meinen Gartennachbarn zusammenzusitzen, mit denen ich die Parzelle teile. Das macht Spaß, sich einfach zusammenzusetzen, ein Bier trinken oder auch zu grillen“, sagt Heinz Thoma, der in seinem Schrebergarten Salat und Gemüse zieht oder mit den Enkelkindern spielt. D er Schrebergarten liegt nur unweit von seiner Wohnung Durchgangsverkehr als störend. „Aber dass lässt sich wohl nicht in Nollingen. Wenn die Enkel wollen geht es auch auf den ändern. Darunter leiden auch die Geschäfte.“ Er bedauert, dass es Abenteuerspielplatz in die Stadt. Thoma wurde 1947 im nicht mehr das gastronomische Angebot wie früher gibt. Lange Hotzenwald geboren und hat die längste Zeit in Rheinfelden ver- Zeit die Stadt prägende Restaurants wie das Café Asal, das Café bracht, wohin seine Eltern zogen, als er zwölf Jahre alt war. Trotz Paul, das Gasthaus Sängerhalle oder das Hotel-Restaurant Danner Ruhestand ist er alles andere als inaktiv und der gelernte Indust- riekaufmann ist immer noch für ein Start-Up in Lörrach ein biss- chen in der Akquise tätig. „Das macht mir Spaß, mit Jüngeren zu arbeiten und zu sehen, dass man noch gebraucht wird.“ Ein Heimatgefühl besteht für Thoma aus vielen Facetten. „Hei- mat ist da, wo ich mich wohl fühlen, wo ich aufgewachsen bin, wo ich Familie und Freundeskreis habe. Das bedeutet das Gefühl von Heimat für mich.“ Seine Ausbildung hatte er in Wehr-Brennet gemacht. Außer seinem zweijährigen Bundeswehrdienst bei der Marine in Flensburg, wohnte er noch ein paar Jahre in Freiburg, bevor er 1972 wieder zurück nach Rheinfelden kam, um als Einkäu- fer für ein Maschinenbau-Unternehmen in der Schweiz zu arbei- ten. 1977 wechselte er als Einkäufer in die deutsche Niederlassung, dann wurde er Kundendienstleiter und schließlich Betriebsleiter. Thoma heiratete eine Nollingerin. Die zwei Söhne schenkten den beiden dann fünf Enkelkinder, von denen das älteste neun Jahre alt ist. „Die verwöhnen wir gerne.“ Familie ist einer der Akzente, die Heimat ausmachen, und den Großeltern ist der Kontakt zu ihren Kindern und Enkelkindern, die in der erweiterten Region leben, wichtig. gibt es nicht mehr oder haben auf internationale Küche umge- Als weiterer Aspekt des Heimatgefühls gelten für Thoma die stellt. „Für badische Küche muss man immer aus der Stadt raus. Freunde. „Die Kontakte aus der Schule haben wir aus der Klasse Das würden wir auch gerne zu Fuß oder mit dem Fahrrad machen, heraus sehr gepflegt. Wir waren immer eine verschworene Ge- aber das gibt es in Rheinfelden gar nicht mehr.“ meinschaft und sind als Teenager immer viel unterwegs gewe- sen.“ Aus diesem Grund hat Thoma nie den Bezug zu Rheinfelden Bei schönem Wetter geht es raus aus der Stadt. Die Natur gehört verloren. Thoma hatte sich schon vor seiner Bundeswehrzeit in der ebenso zum Heimatgefühl und Thoma ist mit seiner Ehefrau oder Fasnachtsclique Höllhooge Bruet eingebracht und war einer der in der Gruppe gerne auf Wanderungen. Im Schwarzwaldverein ist Mitbegründer des Judoclubs Rheinfelden. 1973 gehörte er zu den er auch Wanderführer und organisiert Wanderwochen. Allerdings Gründern der Dinkelberg-Schrate. „Ich habe überall Spuren hin- nicht in der Heimat, sondern im vergangenen Jahr auf Mallorca terlassen, aber nichts zu Ende geführt“, sagt Thoma, denn Familie und im diesjährigen Juni in den Dolomiten in Südtirol. 18 Personen und Freundeskreis gewannen mehr und mehr an Bedeutung ge- haben sich angemeldet. Mit der Nordic Walking Gruppe des Ver- genüber dem Vereinsleben. eins ist er regelmäßig in der Gegend unterwegs. Auch mit den En- kelkindern geht es in den Wald, zur Fliehburg bei Degerfelden oder „Ich gehe heute noch immer gerne in die Stadt.“ Der Innenstadt- zum Eigenturm zwischen Degerfelden und Herten. Den Adelberg bereich hat sich gut entwickelt und zum Flanieren gefällt Thoma und den Rheinuferweg empfindet Thoma ebenso als reizvoll, und das Dreieck aus Zähringer, Kapuziner und Karl-Fürstenberg-Straße im Sommer geht es mit den Enkelkindern dorthin zum Schwim- gut, obgleich einzelne alte Gebäude nicht ins moderne Straßenbild men oder Steinewerfen. passen. „Die Fußgängerzone in der Kapuzinerstraße sollte man Horatio Gollin noch zu Ende denken.“ In der Friedrichstraße empfindet er den TITELTHEMA 15
HEIMAT-VER i Das Wort „Heimat“ ruft den Ort in Erinnerung, an dem wir aufgewachsen sind und sozialisiert wurden. Mit dieser Erinnerung sind starke Gefühle verbunden, deren Kraft aus der gewachsenen Vertrautheit mit Geräuschen, Gerüchen, Räumlichkeiten, Dingen, sprachlichen Lauten und nahe stehenden Menschen stammt. m Netz vielfältiger Sinneseindrücke te, Krankheiten, Schmerzen, lebensbedrohli- bilden sie mit Menschen gleicher Herkunft und Beziehungen hat sich unsere In- che Risiken, Mord und Tod. Diesem Szenario kleine Ghetto-Inseln im Acker des abgelehn- dividualität herausgebildet. Die Aus- einer heimatlos gewordenen menschlichen ten Andersartigen. einandersetzungen mit der Umwelt Existenz begegnet man auch heute weltweit und den Wertvorstellungen der Mitmen- wieder – mit dem entscheidenden Unter- Wer umgekehrt jeden Krümel Heimat- schen haben nicht nur unsere Entwicklung schied, dass ein machtgieriger Potentat die erde abstreift in der Hoffnung, sich umso und Umgangsformen nachhaltig geprägt, Stelle Gottes für sich beansprucht und um schneller im neuen Boden einwurzeln zu sondern vor allem unsere Selbstpositionie- seines Machterhalts willen das Volk durch können, erlebt oft das genaue Gegenteil. rung im Schoss eines Kollektivs gefördert, willkürliche Gewaltakte in die Flucht treibt. Einerseits wirkt der Verlust der ersten Hei- das Schutz und Geborgenheit bot. mat schmerzhaft nach und erschwert die Eine Pflanze kann man versetzen, indem Bildung einer neuen Identität. Andererseits Dass die Heimat nicht naturgegeben ist, man sie mitsamt ihren Wurzeln ausgräbt erfolgt seitens der Ersatzheimat, die sich ih- sondern ein stets gefährdeter und mit allen und an einer anderen Stelle wieder eingräbt. rerseits gegen die Fremdheit des Neulings Kräften zu bewahrender Lebensraum, ist in Sie wird jedoch verkümmern, wenn ihre zur Wehr setzt, eine Abstossungsreaktion. christlichen Kulturen die Botschaft des Al- Wurzeln im neuen Boden nicht heimisch Der Integrationsprozess, in dessen Verlauf ten Testaments, das vom Trauma des ersten werden, weil sie nicht die gewohnte Erde es gelingen soll, neue Wurzeln zu schlagen, Heimatverlustes erzählt. Aus ihrer ursprüng- vorfinden, aus der sie ihre Nahrung bezo- ohne dass Altgewohntes und Liebgewon- lichen Heimat, dem Paradies, wurden Adam gen. So ergeht es auch Menschen, wenn sie nenes gänzlich preisgegeben werden muss, und Eva vertrieben, weil sie sich als der Ge- gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, erfordert von allen Beteiligten die Bereit- meinschaft mit dem Schöpfergott nicht wür- und auf fremdem Boden Wurzeln schlagen schaft, Andersheit nicht nur als Bedrohung dig erwiesen hätten. Die Bibel beschreibt all sollen. Bringen sie zu viel Heimaterde mit, zu betrachten, sondern sich einfühlsam, mit die schlimmen Folgen, mit denen die aus schotten sie sich gegen die neue Boden- Neugier und Respekt darauf einzulassen, dem Garten Eden Ausgestossenen nach ih- beschaffenheit ab, so dass sie ihnen fremd darum wissend, was es heisst, seine Heimat rer Entwurzelung zu kämpfen hatten: Ängs- bleibt. Um sich trotzdem heimisch zu fühlen, verloren zu haben. 16 TITELTHEMA
BUNDENHEIT Auch wer freiwillig die Heimat verlässt, Je weiter man sich vom ursprünglichen lich und freundschaftlich miteinander ver- wird oft von Heimweh geplagt. Die Mobili- Heimatort entfernt, desto ausgedehnter er- kehren. Heimat muss daher ständig neu als tät der Menschen bringt häufige Ortswech- scheint er mit zunehmendem Abstand. Von Oase erschaffen werden – durch Gestaltung sel mit sich und verhindert Sesshaftigkeit. einem anderen Kontinent aus betrachtet unserer Umwelt und unseres Lebensraums. An die Stelle der ursprünglichen Heimat verwandelt sich das Herkunftsland als Gan- Geteilte Wertvorstellungen und die Zunei- tritt dann das jeweilige Zuhause, das als zes ins Heimatland. Wer auf einer Raumsta- gung zu anderen Menschen dienen dabei Heimat auf Zeit dient: als Studentenbude, tion im Weltall unterwegs ist und die Erde als Orientierungshilfe. Nur wo wir uns geis- als WG, als Hotelzimmer, als Appartement. von oben erblickt, empfindet den blauen tig, körperlich und seelisch rundum wohl Man wohnt dort vorübergehend, versucht Planeten insgesamt als Heimat. Die umge- fühlen, sind wir wirklich daheim. kehrte Erfahrung macht man hin und wie- Annemarie Pieper der bei einem Besuch der alten Heimat, die «Wer auf einer Raumstation plötzlich geschrumpft zu sein scheint: alles im Weltall unterwegs ist und so eng, so klein, so rückständig, sogar dann, die Erde von oben erblickt, emp wenn Altes verschwunden ist und Neuem findet den blauen Planeten Platz gemacht hat. Man vermisst gleichsam insgesamt als Heimat.» das Heimatliche der alten Heimat, nach dem man sich in der Ferne sehnte. jedoch die Räumlichkeit für die Dauer des Aufenthalts so herzurichten, dass man sich Im verklärenden Rückblick wird vieles aus- darin heimisch fühlt, in dem Bewusstsein, geblendet, was im früheren Leben als be- dass es sich nur um ein Provisorium han- drückend und entmutigend erfahren wur- delt, um eine Etappe auf dem Weg zum de. Jene Heimat, die wir uns als eine durch Zur Autorin: Annemarie Pieper ist Philosophin, war Professorin für Philosophie an der Universität Basel zukünftigen Garten Eden als der wieder und durch heile Welt, als einen unüberbiet- und moderierte beim Schweizer Fernsehen die Sendung gewonnenen, nie mehr verloren gehenden baren Glücksort vorstellen, existiert nicht „Sternstunde Philosophie“. Heimat. Jedes Zuhause soll ein Ort sein, an wirklich – ausser in mythischen Berichten Voraussichtlich im Juli 2019 erscheint ihr 3. Roman „Frag dem Heimatgefühle die Sehnsucht nach ei- über unsere vorgeschichtlichen Anfänge in nicht, wo die Blumen sind“ – ein ebenso unterhaltsamer nem bleibenden Zuhause wach halten, das einem Paradies oder Goldenen Zeitalter und wie nachdenklich stimmender Entwicklungsroman vol- ler Lebenserfahrung, dessen philosophische Dimension dauerhaft zur Heimat wird. in utopischen Entwürfen einer posthistori- sich im Verlauf der Handlung ohne jegliche Aufdringlich- schen Weltgemeinschaft, in der alle fried- keit entfaltet. TITELTHEMA 17
Um anzukommen, muss man offen sein Wo Knoblauch und Tomaten wachsen D er Teich ist abgedeckt, damit sich nicht ein Reiher über die Fische hermacht. Bee- te sind mit Steinen angelegt. Kräuter und Zierpflanzen wuchern der Sonne entgegen. Mit Stein- und Metallfiguren ist der Garten der Familie, weder Eltern noch Geschwister wohnen heute noch dort. Auch Brauer zog es nach dem Zivildienst aus dem Osten auf der Suche nach Arbeit, und wegen der Gewalt- bereitschaft und Fremdenfeindlichkeit in der dörflichen Region, die dort während sei- entschied er sich, den Meister zu machen, um unterrichten zu können. Er unterrichte- te als Kursleiter im Berufsvorbereitendem Jahr in Bad Säckingen, aber aufgrund der schlechten Verdienstmöglichkeiten ging er nach einem Jahr nach Schweden, um die dekoriert, ein kleiner Elefant sitzt zwischen ner Jugendzeit existierten. Mit 20 Jahren zog dortigen Arbeitsmöglichkeiten auszuloten. einer Riesenschnecke und einer Schildkrö- er zum Arbeiten nach Freiburg im Breisgau, „Auch dort ist das Malerhandwerk ein har- tes Brot“, stellt Brauer fest, dem auch das Leben in der Großstadt nicht gefiel. Seine Freundin kam aus Bad Säckingen und er kam wieder zurück an den Hochrhein. Die beiden verschlug es nach Rheinfelden. Mit der Gründung des eigenen Malerbe- triebs endete vor elf Jahren die Phase der Rastlosigkeit, auch wenn es ihm da noch nicht bewusst war. Die beiden bekamen ein Kind. Freundschaften entstanden. Den Gedanke, wieder fortzugehen, hat Brauer ir- gendwann verworfen, als er merkte, dass er in Rheinfelden Heimat gefunden hatte. „Wir haben uns hier halt festgesetzt, aber wenn ich schon hier bin, möchte ich zur Entwick- lung in der Stadt beitragen“, erklärt Brauer, der nach einem Lehmbaulehrgang auch ein Mitbegründer des Vereins Stroh Paille Pag- lia ist, der sich in Deutschland, Frankreich, Frank Brauer auf seiner Terrasse. Italien und der Schweiz für ökologische und gesunde Bauweisen einsetzt. te. Afrikanischen und asiatischen Holzmas- allerdings begann damit eine lange Phase Und natürlich bringt er sich auch in der ken hängen im Terrassenbereich. Insekten der Rastlosigkeit. In Freiburg fand er keinen Kommune ein. „Es gibt verschiedene We- schwirren durch den Garten im Nollinger Anschluss und zog wieder nach Dresden, wo ge anzukommen. Man muss einfach offen Oberdorf. Frank Brauer hat mehrere Insek- er Arbeit als Maler fand. In der Firma hielt es sein.“ An der Realschule gibt er Lehmbau- tenhotels selbst gebaut. „Als ich hierher ihn nicht lange und im Alter von 23 Jahren unterricht. Im Stadtgärtle und am Nollin- gekommen bin und die Industrie und das pendelte er für eine Leiharbeiterfirma unter ger Spielplatz hat er geholfen, die Lehmöfen Drumherum gesehen habe, dachte ich: Hier der Woche in die Niederlande, wo er für ver- zu bauen. Auch politisch engagiert er sich, bleibe ich nicht. Mein erster Eindruck war schiedene Malerfirmen tätig war. zuletzt als unabhängiger Kandidat auf der grauenvoll“. Ein Gefühl von Zuhause stellte Liste der Grünen bei der Gemeinderatswahl. sich für Brauer lange nirgendwo ein, aber Vor 16 Jahren kam Brauer nach Rheinfelden, „Ich tu alles auch mit Hinblick auf mein Heimat hat er schließlich doch in Rheinfel- wo er kurz bei einer Firma in Herten anheu- Kind und der nachfolgenden Generation, den gefunden. erte und dann in der Schweiz arbeitete. „Da die mit dem leben muss, was wir hinter- habe ich das erste Mal in meinem Leben lassen.“ Umweltschutz liegt ihm besonders Brauer wurde 1976 im sächsischem Neu- richtig Geld verdient. Das war ein gutes Ge- am Herzen. „Heimat ist da, wo man sich stadt geboren und lebte bis nach der Wende fühl, aber nach ein paar Jahren dachte ich, wohlfühlt“, sagt Brauer. „Da, wo man es sich in Neugersdorf. Aus Mangel an Alternati- dass das auch nicht das Ende der Fahnen- schön machen kann, wie in meinem Garten, ven trat er in die Fußstapfen seines Vaters stange sein kann.“ Brauer wollte sich be- wo Knoblauch und Tomaten wachsen.“ und erlernte das Maler-Handwerk. Gehal- ruflich weiterentwickeln und da er immer ten in Neugersdorf hat es aber keinen aus einen guten Draht zu Jugendlichen hatte, Horatio Gollin 18 TITELTHEMA
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