Hieronymus Bosch Uwe Topper
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Uwe Topper Hieronymus Bosch Wie das frühe Christentum um 1500 in den Niederlanden sich durchsetzte „Der Heuwagen“ von Hieronymus Bosch, eines der besten Bilder des großen Meisters aus Holland. Einleitung die sich sozial betätigten, aber als un- Von Ketzerei und Heidentum ist Der sehr eigenwillige und wegen christlich galten. Sie pflegten die Bil- im Zusammenhang mit Boschs Ma- seiner verrückten Bilder weltbekann- dung der Jugend und sammelten Bü- lerei häufig die Rede. Gauffreteau- te holländische Maler Hieronymus cher. Bosch wird als Zunftmitglied Sévy (1967) beschreibt sie wie eine Bosch hieß eigentlich Jieron Antho- der Malergilde etwa ab 1480 schrift- Nahtstelle: noch dem Symbolismus niszoon oder auch Jan van Aken. lich erwähnt, er starb in seiner Stadt der romanischen Kunst verpflichtet Über sein Leben weiß man fast nichts, etwa 1516, im Jahr, als Karl V. sich in und schon die gotische Neudeutung als Geburtsjahr werden verschiedene Brüssel zum König erklären ließ. Sei- im Blick (Kap. 4; man achte auf die Daten zwischen 1450 und 1465 an- ne Bilder waren von hohen Personen chronologische Implikation, die der gegeben. Das reiche Städtchen s’Her- in Auftrag gegeben und wurden wie Kunstkenner hier unkommentiert togenbosch in Brabant war seine Hei- Schätze von Fürsten und Königen auf- vornimmt: die Romanik, Ende in mat, die er möglicherweise nie verließ. bewahrt. (Zur Identifizierung der Boschs Zeit, Gotik beginne gerade Nach diesem Ort hat sich sein Zuna- etwa dreißig bekannten Boschbilder erst dann, also so, wie es die neue me geformt. Den Zunamen van Aken nennt man immer den heutigen Auf- Chronologiekritik fordert). Das be- trug er nach seinem Vater und Groß- bewahrungsort). trifft vor allem Boschs Zeitgenossen, vater, der vermutlich aus Aachen Boschs Tiergestalten, oft ganz selt- für die er malte, denn als unverstan- stammte. sam verwachsen, hatten gewiss einen denes Genie, wie wir das aus der Neu- Hieronymus Bosch wurde später mystischen Hintergrund, leider ent- zeit kennen, ist Bosch nicht abzu- vielfach angefeindet, weil er dem Or- zieht sich vieles davon unserem schieben; er arbeitete im Auftrag von den der Brüder vom gemeinsamen Durchblick. Der Zusammenhang mit Bürgern, Fürsten und sogar für Kir- Leben angehörte, der in Herzogen- den hybriden Gestalten der Lichtreli- chenbauten. Darum ist die Einschät- busch seit 1424 ansässig war. Dies gion, dem Tierstil der romanischen zung der modernen Interpreten be- war eine Vereinigung von Mystikern, Kirchen, ist offenkundig. achtenswert. Kein dogmatischer EFODON-SYNESIS Nr. 1/2003 16
Hieronymus Bosch Christ hätte die phantastische Bilder- welt Boschs schaffen können. Die skurrilen Gestalten sind auch nicht seiner persönlichen Psyche entsprun- gen, sondern erhalten ihre Bedeutung vor dem Hintergrund einer fremden Glaubenswelt, die seinerzeit sehr le- bendig war. Darin ist die Natur als Ganzes die Bühne, auf der sich das Schauspiel der Schöpfung abspielt. Tiere, Pflanzen und der Mensch, so- gar dessen Werkzeuge und Ge- brauchsgegenstände, sind ineinander umwandelbar, miteinander verwandt und verknüpft, denn sie leben in einer Natur, die mit ihnen das große Spiel in Szene setzt, einer Welt der steten Verwandlungen, sinnlos aber bedeut- sam, unerklärlich aber erkennbar. Ich will die einzelnen Bosch-Ge- stalten hier nicht ausdeuten, wir ken- nen sie alle: das Ei und die Distel, den Finken und die Teufel, die Ungeheu- „Der Heuwagen“ von Hieronymus Bosch (Mittelteil, Ausschnitt): Der Christus kommt unter die Räder er und Zwitter, Missgeburten und Schreckensviecher, das höllische Heer und die irdisch-schönen jungen Frau- Die Menschen, für die Bosch mal- feln sind anerkanntermaßen spätere en, die Soldateska und die gierigen al- te, müssen jedenfalls seine „Anspie- „Kopien“, manche ein ganzes Jahr- ten Weiber … sie sind erst verständ- lungen“ verstanden haben, sonst wä- hundert oder mehr später geschaffen, lich in einem mystischen Weltbild, in ren die Bilder freischwebend in den vermutlich nachempfunden. Andere das man eingeweiht werden muss. Raum gestellt, undenkbar für seine Bilder sind zwar echt, aber dermaßen Gewiss haben sie auch allgemein Zeit. An Kleinigkeiten sieht man, dass oft übermalt („restauriert“) worden, Menschliches (möchte man sagen) an sie wirklichkeitsnahe Zustände wie- dass der Sinn, den Bosch hineingelegt sich, und doch sind sie herausgehoben dergeben: der gelbe Fleck auf dem haben mag, uns heute verborgen blei- aus der wirklichen Welt, unwirklich Gewand so mancher Männer zeigt ben muss. Die Übermalungen betref- im reinsten Sinne. Am Beispiel des „geheime“ Zeichen, ein A oder ein T, fen nicht nur Köpfe und Architektur Lebensborns im Paradies sagt Gauffre- vergleichbar dem Judenfleck; Fahnen oder Mobiliar, sondern es wurden teau-Sévy (S. 74), dass die Sinnbilder und Opfertiere tragen häufig den auch ganze Figuren hinzugefügt oder Boschs eher heidnisch als christlich Halbmond (des Islam); der Seeigel soll weggemalt, Bildteile abgeschnitten sind, ob aus der Alchemie oder der ein katharisches Zeichen sein usw. Es oder sogar bis zu zwei Drittel eines gotischen Mystik genommen, das gibt aber auch schon christliche Mo- Bildes neu übergemalt, besonders die bleibt sich gleich, da sie auf universel- tive, so die Anbetung der Heiligen Grisaillen auf der Rückseite der altar- ler Mystik beruhen. Viele Maler, be- Drei Könige, mehrere Passionsszenen, ähnlichen Tafeln. Nicht immer han- sonders die großen Meister jener Zeit, vor allem auch mehrere Bilder mit delt es sich bei diesen Übermalungen vervollkommneten ständig ihre dem Thema der Versuchung des Hei- um Restaurierung von abblätternder Kenntnisse der Farbmaterialien und ligen Antonius, und Darstellungen oder verblichener Farbe, sondern oft - deren Reaktionen mit Licht, Feuch- von Adam und Eva im Paradies, wie könnte es anders sein - um Verän- tigkeit und Malgrund. Sie waren wenngleich letztere wohl eher den derung des Bildinhalts aus weltan- Chemiker und teilweise Alchemisten. Adamiten, also einer unchristlichen schaulichen Gründen. Aus dem heid- Der Sprung zur Gnosis ist nicht weit. Bewegung, zuzuschreiben sind. nischen Maler von s‘Hertogenbusch Ihre Vorbilder waren die Scholastiker Jedenfalls stehen wir durch diese Bil- mit seiner ursprünglichen Religiosität wie Albertus Magnus, Beauvais, Tho- der mitten im damaligen Zeitgesche- wurde ein linientreuer Christ mit ab- mas von Aquin u.a., angeblich Domi- hen: Umbruch, Übergang zu einer sonderlicher Traumwelt gemacht. nikaner (ein Sammelbegriff ), vermut- anderen Religion, wie eine Moment- Die meisten Übermalungen in lich Sufis, wie ihre Schriften bezeu- aufnahme festgehalten für die Nach- diesem Sinne wurden schon im 16. gen, die oft arabische Vorlagen erken- welt – das Eindringen einer früh- Jahrhundert vollzogen, also zu einer nen lassen. Als Zeitgenossen oder di- christlichen Bilderwelt in den heidni- Zeit, als noch wenige Personen die rekte Vorläufer von Bosch geben sie schen Alltag holländischer Bürger. Bilder mit eigenen Augen gesehen das geistige Umfeld dieser Bilderwelt hatten, vor allem spanische Hofleute an. Auch die Gnosis war keineswegs Kritischer Zugang und Geistliche. An einigen Beispielen ausgestorben, sondern weit verbreitet, Nicht alle Bilder, die dem Maler will ich zeigen, was an vielen Bildern ihre Verketzerung und Verlegung in Hieronymus Bosch zugeschrieben noch sichtbar ist. eine erdachte Frühzeit beruht auf spä- werden, stammen von diesem Jieron Der „Heuwagen“ im Prado von terer Übertünchung, wie so oft. Anthoniszoon van Aaken, einige Ta- Madrid, eines der berühmtesten und EFODON-SYNESIS Nr. 1/2003 17
Hieronymus Bosch „Der Tisch der sieben Todsünden“, der in Philipps II. Privatgemach stand. typischsten Bilder von Bosch, ist sogar als man ihnen bisher zugeteilt hatte, alle Farben restauriert sind und viele in großen gotischen Lettern im Mit- weil sonst der Malstil wie auch die re- Konturen nachgezogen, so fällt doch telteil des dreiteiligen Altarbildes sig- ligiöse Anschauung aus dem Zeitrah- sofort auf, dass das Gelb inmitten der niert. Ob die Signatur vom Maler men fallen würden. Deswegen hat großen Wolke über dem Heuwagen selbst stammt oder später angebracht man im Prado offiziell einige Gemäl- einfach nicht hinein passt, es ist im wurde, besagt nichts. Die von den Pig- de, die bisher der berühmte Roger van Ton „falsch“. Bei der schrägen Be- menten her sehr schlechte, aber sonst der Weyden (gestorben 1464) gemalt leuchtung im Saal des Prado sind äußerst genaue Kopie des Bildes, die haben sollte, nun seinem kaum be- sogar die Malränder erkennbar, die im Escorial hängt, hat eine entspre- kannten Schüler van der Stockst (ge- dieses fremde Gelb umgeben (Boschs chende Unterschrift auf dem linken storben 1495) zuerkannt, also um Maltechnik ist ‚geleckt‘, da gibt es kei- Flügel, weshalb man annehmen glatt eine Generation verjüngt. Das ne Ränder). Und der Christus, der muss, dass beide Bilder zunächst kei- reicht zwar bald wieder nicht mehr mit schüchtern ausgebreiteten Armen ne Signatur trugen, sonst hätte der aus, wenn neuere Erkenntnisse ge- halb aus dem Gelb herausschaut, Kopist die Signatur gewiss an der rich- wonnen werden, aber es zeigt dem passt noch weniger zum Bild, er wur- tigen Stelle mitkopiert. Mit den Un- unbedarften Betrachter, wie hier ge- de offensichtlich von einem Stümper terschriften und Datierungen der be- mogelt wird: statt Roger van der Wey- hinzu gemalt. Der süße Engel auf rühmten Gemälde großer Meister in den um ein Jahrhundert heranzuho- dem Heuwagen hinter den Musikan- den öffentlichen Museen ist ohnehin len, was das Problem ein für alle Mal ten, der als einziges Wesen im gesam- nicht viel anzufangen. Nicht weit von lösen würde, überträgt man diese ten Bild den Christus wahrnimmt Boschs Bildern im Prado hängen eini- Meisterwerke einem anderen Maler, und zu ihm aufschaut, ist an Flügeln ge von Marinus van Reymerswaele, um die geheiligte Chronologie nicht und Faltenwurf, natürlich auch am darunter ein Alterswerk von etwa zu verwirren. Gesicht, als Fremdgut erkennbar. 1560 von ihm, eine sehr schöne stil- Bosch soll sogar von einem Werk Und das war es dann schon an katho- lende Maria, datiert und signiert van der Weydens inspiriert worden lischen Hinweisen - zwei Figuren A(lbrecht) D(ürer) 1511, was offen- sein. Vermutlich war es umgekehrt. sind hinein gemogelt. Hat man sie sichtlich unsinnig ist. Zurück zu Bosch und seinem aussortiert, dann bleibt in diesem Gar manche Bilder mussten in- „Heuwagen“. Bild nur niederländisches Heidentum zwischen spätere Daten bekommen, Wenn auf diesem Bild auch längst von der Art der Brüder und Schwes- 18 EFODON-SYNESIS Nr. 1/2003
Hieronymus Bosch „Der Garten der Lüste“, ein farbiger Hymnos auf die Macht der Erotik, Zeugnis für Tierstil und Wiedergeburt in einem. tern vom gemeinsamen Leben oder grund. Er hat ein Weltbild gemalt, völlig anderen Religion zugehörende freien Geiste: ein herrliches Fest von eine Vision von ewiger Gültigkeit, wo Bild, uns wenigstens ein Teil des urwüchsiger Art, das die ganze Welt Liebende, Sänger und Narren, Kaiser, Meisterwerkes von Bosch erhalten als Bühne hat, mit fantastischen Ein- Mönch und Papst, Betrüger, Gauner blieb. Zwar kann das jeder sehen, zelszenen, die ganze Geschichten er- und Mörder gleichwert nebeneinan- denn die Aureole des Christus ist zählen, Sinnbilder mystischer Art, der stehen. Bosch fällt kein Urteil, son- reinstes Barock, das Lendentuch viel eine Gnosis in höchster Vollkommen- dern zeigt die Welt in allen ihren zu groß, eine Keuschheit vermittelnd, heit. Da braucht auch das Passions- Spielarten. Er malt sein Weltbild. die erst später so empfunden wurde, spiel nicht völlig zu fehlen, im Gegen- und der Altar (oder Marmorsarg) völ- teil; wenn man schon den Nazarener Boschs Weltanschauung lig unpassend; aber gerade diese Stil- in diesem Bild sucht: er ist offensicht- Betrachten wir den „Tisch der sie- fremdheit erleichtert uns das Aussor- lich „unter die Räder gekommen“, ben Todsünden“ (im Prado), der einst tieren und den Einblick in das Wesen nämlich die Gestalt, die vor dem Vor- im Zimmer des mächtigsten aller ge- der Brabanter Malerei vor fünfhun- derrad des riesigen Wagens gestürzt krönten Kunstliebhaber, Philipp II., dert Jahren. Gewiss, Frau Stolz (su- ist, typisch in der Stellung des ge- stand. Die sieben Todsünden sind perbia) steht zu weit vor dem Spiegel- stürzten Jesus auf dem Bild „Die wie ein tibetisches Mandala angeord- tisch, man sieht noch an der darunter Kreuztragung“ (in Wien). Sogar ein net, aus sieben ungleich großen Teilen liegenden Farbschicht, wo hier verän- symbolisches Ersatzkreuz liegt neben im Kreis harmonisch ineinander ver- dert wurde, und hinzugefügt sind die dem Gestrauchelten am Heuwagen: keilt. Offensichtlich sind die Obertei- beiden knallroten Rosenkränze in der eine Leiter, genau wie die neben dem le der Einzelbilder später abgeschnit- Hand und in der Kiste, Hinweise auf mitverurteilten Schächer auf dem an- ten durch die darüber gemalten Son- eine spätere Frömmigkeit. Bedauerli- deren Bild. Das Gesicht des gestürz- nenstrahlen, in deren Mitte ein sehr cherweise sind drei der vier Medail- ten Erlösers ähnelt schon der genorm- neuer Christus in falschem Blau steht. lons, die das Mittelteil umgeben, völ- ten Ikone, etwa wie auf dem „Ecce Der innere Kreis wird den selben Ra- lig übermalt; aber das eine, das Höl- Homo“ (von Frankfurt am Main). dius gehabt haben wie die vier äuße- lengericht, zeigt doch den echten Die Moralisierung, die von Inter- ren Medaillons. Schade um das gute Bosch, und das ist unser Glücksfall. preten hier gerne herausgelesen wird Bild! möchte ich ausrufen, aber Niemand außer ihm konnte eine sol- („Seht die Schlechtigkeit der Mensch- zugleich wird mir klar, dass durch die- che Hölle erfinden. Ob einst ein Dra- heit, sie strebt dem eitlen Heu se Collagentechnik, das Hineinmalen chen im innersten Kreis des Manda- nach!“), ist aber nicht Boschs Beweg- eines Christus in das ansonsten einer las thronte? EFODON-SYNESIS Nr. 1/2003 19
Hieronymus Bosch Philipp II. war ganz vernarrt in Boschs in den Niederlanden schleier- pönte Sache, dass Galgen, Schwert dieses Gemälde; erst nach seinem haft geblieben, trotz aller Versuche, und Scheiterhaufen darauf stand, in Tode konnte man es schrittweise in die „sektiererischen“ Geheimkulte aller Unbedenklichkeit entschleiert: übermalen. Wenn die Biographen von der Vereinigungen in Brabant zu diese Paradoxie gibt dem Gemälde sei- Philipps düsterer Religiosität schrei- Boschs Zeit hinein zu leuchten. Das ne singuläre Spannung ...“ ben – unverständlich für Christen, die dennoch nicht geringe Verdienst ei- Allerdings besteht diese Spannung die vorherige Religion nicht mehr an- ner neuen Sicht auf Boschs Glauben und Paradoxie nur für die heutige erkannten – dann meinen sie eigent- soll nicht übergangen werden, es Kunstbetrachtung, weil sie von fal- lich diese Vorliebe für die frühere Re- muss nur heute, nach einem halben schen Voraussetzungen ausgeht. Und ligion, in der die irdische Katastrophe Jahrhundert und den neuen Erkennt- dieser kleine Schritt ist Fraenger nicht („Das Jüngste Gericht“) noch eine nissen der Geschichtskritiker, zurecht gelungen. Er konnte nicht erkennen, gnadenlose Vernichtung des Lebens gerückt werden. dass es sich nicht um Geheimnisver- auf der Erde bedeutete. Um nun die Fraenger hat also - um ein Beispiel rat unter Todesdrohung gehandelt Nachwelt nicht merken zu lassen, zu nennen - trotz aller Scharfsicht haben kann - geradezu absurd für ei- dass dieser mächtigste aller Kaiser im nicht gemerkt (1950, S. 11), dass die nen Maler, der auf öffentlichen Beifall Grunde heidnisch dachte, wie auch vier Medaillons „Sicut erat in diebus angewiesen ist - sondern um das frei- seine Urgroßmutter Isabella von Kas- Noe“ (Rotterdam) postum sind, etwa mütige Bekenntnis einer anderen Re- tilien noch heidnisch geboren war, ein halbes Jahrhundert nach Boschs ligionszugehörigkeit, die noch voll fügte man in die Bilder, die Philipp Tod gemalt. Und das, obgleich er geachtet war. verehrt hatte, einige christliche Attri- ganz klar sieht, dass „die empusa- oder Fraenger versucht, diesen unlösba- bute ein. Es war allerdings völlig satyrartigen Gestalten ... kein zweites ren Kontrast durch einen – erfunde- überflüssig, die lateinischen Bezeich- Mal in seinem Katalog der Teufel figu- nen – Lebensweg Boschs zu begrün- nungen der sieben Sünden unter die rieren.“ (S. 13) Bosch hat gewiss kei- den, der eine innere Wandlung vom jeweiligen Bilder zu malen (so auch ne stereotypen Teufel gemalt, sondern Ketzer zum gläubigen Christen Bosing S. 25), und die beiden reichlich Phantasie walten lassen bei durchgemacht haben soll. Das liest er Spruchbänder sind ebenfalls viel spä- der Abbildung dieser Engel der Dun- aus den vier Medaillons heraus, die ter hinzugefügt worden. Bei der kelheit. Aber wenn in einem Bild ganz angeblich diesen seelischen Wandel „Trägheit“ (oder Faulheit) ist eine andere Teufelsgestalten auftreten, wiedergeben. Dabei erkennt er jedoch ganze Figur hinzugekommen: die we- dann stammt dieses Bild eben nicht auch, dass dieses Thema der sich läu- der inhaltlich noch raummäßig pas- von ihm. ternden Seele echt barock ist (S. 19), sende fromme Frau mit Bibel und An vielen Symbolen und Gestal- keineswegs zur Zeit um 1500 gehö- Rosenkranz, fast eine Mariengestalt. ten erkennt Fraenger das Fortleben des rig, sondern „pietistisch, 17. Jh.“. Nun Im Gegensatz zu manchen Kriti- ägyptischen Isiskultes im Holland des denn – alle Stilmerkmale und Ge- kern, die diesen Tisch nur als „Werk- beginnenden 16. Jahrhunderts - er- schichtskenntnisse weisen Fraenger stattarbeit“ einstufen, weil sie die staunlich auch für ihn: Sollten diese darauf hin, dass diese vier Medaillons boschfremden Elemente verwirren, Kulte nicht spätestens mit den Ver- postum sein müssen, aber die Er- möchte ich nach den eben vorge- folgungen durch die christlichen kenntnis bleibt aus. Die „Große Ak- brachten Korrekturen doch Boschs Mächte ein Jahrtausend früher völlig tion“ hat dermaßen hart gearbeitet, eigene Hand darin erkennen. ausgerottet worden sein? Wo ist der dass auch die besten Köpfe (Fraenger unterirdische Gang, auf dem sie bis gehörte zum Georgekreis) nicht Wilhelm Fraenger, nach Holland gelangten und dreißig durchblickten. „Das Tausendjährige Reich“ Generationen lang heimlich weiterge- Was von Fraengers tiefschürfender Einige Jahre nach dem 2. Welt- geben wurden? Interpretation der Boschwerke übrig krieg erschienen einige Bücher von Das Bild „Die Hochzeit zu Kana“ bleibt, ist sein Einblick in die so völ- dem Kunsthistoriker Wilhelm Fraen- (Rotterdam) bringt im zentralen Hin- lig andersgeartete Religion dieses ger, die endlich klarstellten, dass tergrund einen heidnischen Altar mit Mannes (und der seiner Vereinsbrü- Boschs fantastische Gestalten un- Kultgerät, das diese gnostischen und der und seiner Auftraggeber). Da christlich sind und eine andere Reli- ägyptischen Religionen zum Inhalt wird der Frosch als zentrales Sinnbild gion als Hintergrund haben müssen hat (Fraenger 1950, S. 58). Offen- der Fruchtbarkeit und damit verbun- oder zumindest eine ketzerische Rich- sichtlich begeht Bosch hier „Mysteri- denen Auferstehung gefeiert. Fraenger tung verraten. Fraengers durchaus enverrat“, meint Fraenger, denn bildet eine Öllampe ab, die einen neue und seinerzeit als Skandal emp- Bosch stellt Frosch in der seltsamen, aber immer fundene Ansicht über Boschs Welt- „die Weihehandlung in so voller Of- gleichen Haltung wie auf den Felsbil- bild krankt an mehreren Leiden fenheit zur Schau, als ob es sich um ei- dern Andalusiens oder den Granitre- zugleich. Erstens hat er trotz aller nen regulären und erlaubten Kult, liefs von Urfa in Anatolien zeigt, dazu Vorsicht und Kennerschaft nicht ge- statt um verbotene Abgöttereien han- die griechischen Worte: Ich bin die merkt, was an einem Boschbild echt, deln würde. Was sich den Spüraugen Unsterblichkeit (ego eimi anastasis). was übermalt und was gefälscht ist. der Inquisition entzog, und was selbst So konnte später im Kirchenchristen- Zweitens hat er das chronologische ihre Folter schwerlich einem Ange- tum nur noch der Gottessohn selbst Problem, die späte Entstehung des klagten abgerungen hätte, wird hier sprechen, kein Frosch und keine Christentums, nicht erkannt. Und von einem Eingeweihten freiwillig Schlange, kein Engel oder Teufel durf- drittens ist ihm die so völlig anders und freimütig an das Tageslicht ge- te das wagen. Wer hier von Ketzer- geartete - die unchristliche - Umwelt stellt. Eine geheime und so schwer ver- tum oder Synkretismus redet, ver- 20 EFODON-SYNESIS Nr. 1/2003
Hieronymus Bosch harmlost die Tatsachen. Hier liegt eine andere Religion vor, ein anderes Welt- bild. Nicht die Menschlichkeit der Christen, sondern die Tierheit der Heiden ist hier abgebildet. Abgötte- rei im besten Sinne des Wortes. Oder die erotischen Orgien im „Garten der Lüste“ (der im Prado in Madrid hängt): Die altjüdischen Pro- pheten wetterten gegen „Hurerei und Unzucht“, wenn sie den Götzendienst verurteilen wollten; auch bei Paulus wird die sexuelle Freiheit noch als Deckbegriff der Abgötterei und des Abfalls vom einzigen Gott gebraucht, behaupten die Theologen. Der Hin- tergrund war jedoch ganz wirklich: In den heidnischen Tempeln des Orients lebten die Hierodulen, hochgeachte- te Huren, die sich den Anbetern der Gottheit hingaben. Und bei Orgien („Nacht der Wiedergeburt“) wurden alle Teilnehmer zu möglichen Sexpart- nern, denn niemand sollte später sa- gen können, wessen Kinder es sind. Sie gehörten allen gemeinsam, denn der in jener Nacht herabgestiegene Gott hatte sie gezeugt. Das war mit „Hure- rei und Unzucht“ gemeint, ein ganz wirklicher Dienst an heidnischen Göttern in ihren Tempeln. Das galt den Monotheisten als ver- werflich, ohne dass ein Grund ge- nannt würde. Man hat verschiedent- lich eine Geschlechtskrankheit ange- nommen, Syphilis, die die „alten Griechen“ ausgerottet habe, und das könnte die Ursache zur Verurteilung freier Sexpraktiken gewesen sein. Andererseits ist man sich heute sicher, dass die Syphilis erst durch die Spani- er aus Amerika eingeschleppt worden „Der Weg des Lebens“, oder „Der Landstreicher“, jedenfalls nicht „Der verlorene Sohn“. ist, was nun bestens zu den neuen Er- kenntnissen der Chronologiekritiker passt, die das Ende der griechischen Außergewöhnliche dieser Werke er- sor auch ansetzen sollen? Er konnte Antike erst um 1500 sehen. Das ist gab. das Bild nur als Ganzes wegschaffen, jedoch nur ein Entwurf, der weiterer So sieht auch Wilhelm Fraenger und das wird wohl längere Zeit hin- Erforschung durch Geschichtsmedi- (1947) den „Garten der Lüste“ als durch der Fall gewesen sein, wovon ziner bedarf. Kultbild dieser Logen der religiösen die gute Erhaltung der Farben herrüh- Bosch jedenfalls stellt sexuelle Frei- Freiheit, die damals in den Niederlan- ren mag. Doch auch dieses Bild hat heit noch in bejahender, lebensfroher den den Ton angaben. Eros war die seine beiden Flügel – Schöpfung und Weise dar, er ist noch Heide im anti- oberste Gottheit, Wiedergeburt das Endgericht – die ja die kirchliche Leh- ken Sinn. Im „Garten der Lüste“ rei- Weltgesetz. Wer diese herrlichen Rei- re enthalten. Wirklich die katholische ten nackte Männer auf vielen verschie- gen und höchst erotischen Szenen als Lehre? Oder hat nicht vielmehr die denen Tieren um den Teich, in dem Verteufelung der Liebe und Verurtei- Kirche diese Vorstellungen aus frem- nackte Frauen baden. Wiedergeburt lung der Sexualität bezeichnet, muss dem Glaubensgut übernommen? und Tierstil reichen sich die Hände. total verdreht sein, denn schönere, Das sogenannte „Letzte Gericht“ Alle Kunstkenner geben zu, dass glühendere Verehrung wurde Eros (rechter Flügel) jedenfalls, das Bosch Bilder wie dieses in jener Zeit und ge- gewiss nirgends zuteil als in Boschs darstellt, hat weder mit der kirchli- ographischen Region durchaus nor- Bildern. chen Auffassung noch mit der Offen- mal waren, und dass nur die Meister- Dieser „Lustgarten“ ist eines der barung des Johannes zu tun, es zeigt schaft Boschs und eventuell der besterhaltenen Bilder von Bosch, fast kein Fegefeuer und kein himmlisches Reichtum seiner Auftraggeber das gar nicht übermalt. Wo hätte der Zen- Jerusalem. Die von Bosch herauf be- EFODON-SYNESIS Nr. 1/2003 21
Hieronymus Bosch schworene Katastrophe ist Wahnsinn so weit wir die Bilder mit entspre- Wir tappen im Dunkel, aber nicht, und Vernichtung, Durchbruch durch chenden Szenen als seine eigenen weil wir so unfähig sind, uns die kaum den Zeitablauf und Leid in seinen viel- Spätwerke anerkennen wollen und 500 Jahre vergangene Zeit zurück zu fältigsten Gestalten, aber kein Gericht aus den vielen Übermalungen das rufen, sondern weil wir bewusst irre- Gottes und keine Christusherrschaft, Original herauslösen können, ist doch geführt wurden. sondern die Hölle des Hier und Jetzt. noch ganz undogmatisch. Der Naza- Angeblich gab es eine „spätmittel- Christlich wäre gewesen, das „neue rener ist bei ihm immer bartlos, also alterliche Tendenz, die biblische Ge- Jerusalem“ anzukündigen, den „neu- keineswegs nach dem „nicht von schichte im zeitgenössischen Milieu vor- en Himmel und die neue Erde“, auch Menschenhand geschaffenen Bildnis zustellen“ (Bosing, S. 69). Aber das ist die Rettung der Gläubigen. Nichts Christi“, der ewigen Ikone, gestaltet, nicht der Fall, bei keinem dieser Ma- davon finden wir in diesem Bild. sondern ein Jüngling von zwanzig ler, schon gar nicht bei Bosch, denn Und sein „Garten Eden“, das Para- Jahren höchstens, im Gegensatz zur Christus, seine Mutter und die Jünger dies, die Schöpfung (linker Flügel)? kirchlichen Auffassung, die ihn in der werden in stilfremde, archaische Ge- Der kritische Blick enthüllt die Über- Passion als über dreißig, meist um die wänder gehüllt, nur die Randperso- malung: Gottvater zwischen dem vierzig Jahre alt beschreibt (geboren 7 nen und die Landschaft sind zeitge- nackten Urmenschenpaar ist nicht v. Ztr., hingerichtet 29 oder 33 n. nössisch, orientalisch oder heimat- vom Meister gemalt, Faltenwurf und Ztr., „noch keine fünfzig“ im Joh. lich. Der Stilbruch ist dermaßen auf- Kopf stammen von fremder Hand. Evgl.), und wir wollen ja nicht an- fällig, dass der Charakter einer Thea- Das Rot des Mantels Gottes stimmt nehmen, dass Bosch einen Christus teraufführung nicht übersehen wer- nicht und die Hautfarbe ist bräunlich, propagierte, der sich rasierte. Boschs den kann und allen Interpreten be- während sonst Boschs Figuren weiße bartloser Heiland ist typisch für die wusst ist: Auf einer Bühne heute und (oder schwarze) Haut haben. Als Ma- frühe Ikonographie der Christen, wie hier spielt sich das religiöse Drama ab, ler sieht man das sogleich. Und wenn auf den (chronologisch gefälschten) das „irgendwann“ früher, zeitlos und man einmal den Blick dafür geschärft Mosaiken in Ravenna usw., also zu ortlos, gedacht wird. hat, wird einem auch allmählich klar, den Anfängen christlicher Darstel- Mit anderen Worten: wir haben es dass ein so menschlicher Gott inmit- lung gehörend. Auffällig dasselbe hier nicht mit Historienmalerei, son- ten dieser Natur nicht in Boschs Kon- auch beim Lieblingsjünger Johannes, dern mit der Wiedergabe von Pass- zept passen kann. Sogar die Füße den Bosch bartlos mit wallendem rot- ions- und Krippenspielen zu tun. Gottes sind falsch gesetzt, der rechte blondem Haar und mädchenhafter Es gibt eine ganze Reihe von Ge- Fuß verliert sich unter Adams Zehen- Gebärde darstellt (Beispiel: die mälden zum Thema „Versuchung des spitzen. „Kreuzigung“ im Museum Brüssel, Heiligen Antonius“, das über die Wie diese Szene ursprünglich aus- die einige für sein Jugendwerk, ande- ägyptische Zwischenstufe direkt aus sah, muss leider offen bleiben, so wie re für ein Alterswerk halten, die meis- dem buddhistischen Indien stammen man auch beim Heuwagenbild nicht ten aber für einen echten Bosch). dürfte (Baltrushaitis 1960). Die mit mehr rückerschließen kann, was an- Die beiden Grisaillen auf den Abstand beste Bearbeitung des The- stelle des Christus in der Wolke Außenflügeln des „Jüngsten Ge- mas durch Bosch hängt in Lissabon. thronte. Kompositorisch könnte die richts“ (in Wien) zeigen St. Jakob von Compostela und St. Bavon von Gent. Die Schönheit dieses Werkes ist un- Gottesfigur ganz entfallen, ohne dass vergleichlich, ich habe viele Stunden etwas fehlen würde. Letzterer ist (obwohl heute ins 7. Jh. datiert) als ritterlicher Jüngling mit davor verbracht. Dieses großartige Bosch als Christ? Sporen an den Stiefeln und Jagdfalken Bild mit zwei Flügeln enthält nur ei- Auf den beiden Außenseiten der auf dem linken Handschuh darge- nen einzigen, noch dazu winzigen Flügel des „Heuwagens“ ist ein Land- stellt, also eher zeitgenössisch; Jakob Hinweis auf die christliche Religion: streicher dargestellt, erbarmungswür- aber wirkt antik, und das Erstaunli- im Mittelteil in einem dunklen Turm dig arm und furchtsam, dessen Ge- che: sein Gesicht ist wie das genorm- sieht man ein Kruzifix mit einem seg- sicht als Selbstportrait Boschs gilt. te Christusgesicht dargestellt, denn nenden Christus davor. Diese beiden Das Bild, von dem es eine zweite Ver- zu jenem Zeitpunkt hielten viele den Figuren wirken inhaltlich dermaßen sion in Rotterdam gibt, heißt heute Jakob noch für den (Zwillings-) Bru- fremdartig, dass ich sie als späterer „Der Weg des Lebens“, und das ist der des Erlösers. Zufügung einstufen muss. Eine mal- wohl passend. Bisher wurde es meist Das Kreuz, an dem Christus hängt technische Untersuchung bestätigt als „Der verlorene Sohn“ bezeichnet, oder das er schleppt, ist stets ein T- das. nach einem Gleichnis, das Jesus in Kreuz, nie gekreuzt! Das gehört einer Das Gemälde „Der hl. Christo- den Evangelien erzählt. Diese Bezie- frühen Stufe der Christenmission an. phorus“ (in Rotterdam) hat viele Ei- hung ist an den Haaren herbeigezo- Es gibt bei Bosch sogar einen genarten, die auf Bosch hinweisen, gen und zeigt uns nur, dass man mit weiblichen Christus am T-Kreuz: die aber die beiden Gewänder der Haupt- aller Gewalt versuchte, aus Boschs Bil- sogenannte Heilige Julia in Venedig personen sind stark übermalt und dern Illustrationen zu christlichen (nach Julius Cäsar so benannt?). Das übertrieben vergrößert. Sie verdecken Texten zu machen. Altarbild hat Rundbögen, ungewöhn- offensichtlich andere Figuren. Das Natürlich wird Bosch den damals lich für Bosch, und ist auch stark über- Rot des Umhangs des Riesen ist aufkommenden christlichen Glauben arbeitet. Vor dem Barock gibt es kei- schlechter im Pigment als das ur- gekannt haben und auch für die Kir- nen weiblichen Heiland außer die- sprüngliche Rot, von dem am linken che Aufträge ausgeführt haben. Aber sem. Zeugt das für Boschs Freiheit Arm und Bein noch Reste erhalten Boschs Auffassung vom Christentum, oder für Fälschung? sind. Hier kann man auch die unter- 22 EFODON-SYNESIS Nr. 1/2003
Hieronymus Bosch schiedliche Bearbeitung des Falten- wurfs studieren. Bosch malte nie ste- reotyp, er beobachtete und übertrug. Das niedliche Köpfchen des Christus- knaben ist sehr spät im Stil; wie das Kind früher aussah, ist nicht mehr zu ahnen. Durchaus passend zu Bosch ist je- doch der Drachen, der aus der Burg- ruine herauslugt und die Szene beob- achtet, die sich am Flussufer abspielt: Ein Vogel wie ein Schwan versucht, ein junges nacktes Mädchen zu errei- chen, das schreiend vor ihm davon- rennt. Leda auf holländisch. Technische und stilistische Kriterien Man hat versucht, mit Hilfe von Baumringdatierung festzustellen, ob ein Bosch echt sein kann oder ganz si- cher später sein muss. So wurde die „Dornenkrönung“ (im Escorial) als postum aussortiert, weil das Holz nach den Baumringen zu urteilen nach 1530, also lange nach Boschs Tod, erst gefällt worden sei. Aber da liegen so viele Kurzschlüsse vor, dass derartige Aussagen keinen Wert ha- ben. Man kann nicht einmal bei ei- nem einzigen Baum sicher sein, wann er wuchs, da sich die Nordseite von der Südseite des selben Stammes schon zu stark unterscheidet. Und die Außenringe (Splint) des Holzes, die ja erst das endgültige Alter erkennen las- sen, wurden ganz sicher nicht für Holztafeln benützt, sondern nur das Kernholz. Es ist wie mit den Perga- menten: Wer geschickt fälschte, stell- te vermeintliche Originale her. Aber die Echtheit ist nur am Text selbst er- kennbar, am Inhalt und Gehalt. Das „Zurschaustellung Christi“, die Wiedergabe eines Passionsspiels, kein Historienbild. selbe gilt für Bilder: Technik und Stil und Thematik entscheiden über die unterscheiden könnte, seien folgende in Beziehung zueinander, sie sind Echtheit eines Bosch-Werkes. vier Punkte angeführt: nicht lose in den Bildraum hinein- Die Übermalungen sind nämlich gesetzt, so dekorativ das auch wir- 1) Boschs Kenntnis der Farbe, ihrer ken mag. Sie haben immer einen oft ganz unsinnig, so etwa die baro- Haltbarkeit und Wirkung, ist un- cken Hunde, die auch auf Bildern von gewöhnlich meisterhaft, vor allem geistigen Zusammenhang unterei- Boschs Zeitgenossen auftauchen. Na- im Vergleich mit späteren Werk- nander, der in der Bildaufteilung türlich sieht man es sofort, und nicht stätten. Bosch war Alchemist im zum Ausdruck kommt. Das gilt nur, weil der Fußboden noch durch reinsten Sinne. Seine Farben verbli- nicht für die Zeichnungen, wo die Hundeleiber hindurch schaut chen nicht, und sie stimmen skizzenhaft auf einem Blatt Figu- (wie auf der „Hochzeit von Kana“), immer im „Ton“: Feuer, Himmel, ren zusammengestellt sind, wie sie sondern weil diese Tiere in anderem Gewänder - nie stereotyp, aber gerade Platz fanden. Ein solches Malstil und unpassend eingefügt immer naturnah. Diese Nächte Skizzenblatt zum Bild ausgearbei- sind. Die Absicht ist ebenfalls für jene sind nicht dunkel und die Fernen tet ist das Fragment eines „Jüngs- Arbeiten überdeutlich: Wer Hunde nicht diesig. Die Bilder aber, die ten Gerichts“ (in München), das in einer Synagoge einfügt, der will starke Renovierungen über sich er- nicht von Bosch selbst stammen verunglimpfen. gehen lassen mussten, sind meist kann, aus dem eben genannten Als Faustregeln, wie man einen nicht von ihm. Grund. echten Bosch von einem unechten 2) Alle Gegenstände im Bild stehen 3) Bosch beobachtete die Natur wie EFODON-SYNESIS Nr. 1/2003 23
Hieronymus Bosch ein Naiver, er kopierte nicht be- Endgerichts, sondern der jetzigen, Zeitströmungen kannte Muster. Wolken fasern zwar der augenblicklichen Welt Boschs. Will man Boschs Zeit noch genau- aus, aber sie haben immer scharf Auch der rechte Flügel dieses „Al- er bestimmen, dann ist wiederum geschnittene Ränder vor dem tars“ stellt die gegenwärtige Hölle dar, eine weltanschauliche Betrachtung Himmelhintergrund, sind nicht vermutlich im Augenblick der Ver- hilfreich. Der Meister hatte nämlich diffus, gehen nicht im Himmel nichtung. Ein Katastrophenbild - Nachfolger, und diese sind nicht bei auf. Dasselbe gilt für Bäume, Ber- aber kein jenseitiges, sondern eine ihrem Vorbild stehen geblieben, son- ge, Städte. Statt sich der typisch ganz realistisch auf das Jetzt und Hier dern haben selbstverständlich ihre ei- „gotischen“ Manier des Falten- bezogene Vision. gene Zeit dargestellt. Am bekanntes- wurfs zu bedienen, malt Bosch je- Nur der linke Flügel fällt etwas aus ten ist der Bauernbreugel, Pieter Bru- desmal die Gewänder neu, schaut dem Rahmen: das Paradies am Anfang eghel d. Ä., geboren 1525 bei Breda genau hin, malt vom Gegenstand der Zeit. Es ist wiederum im obersten und gestorben 1569 in Brüssel. Er hat ab. Das ist gewiss nicht einfach, Teil übermalt mit einem thronenden viele Elemente von seinem großen unterscheidet ihn aber grundsätz- Vorbild übernommen, vor allem die Gottvater, könnte aber sonst echt sein, lich von seinen Nachahmern. Gestalten und ihre bildhafte Bezie- und das ist nun wirklich verwunder- 4) Für Bosch war Christus keine his- lich. Warum bringt der Künstler hier hung zueinander. Aber was nun - zwei torische Gestalt, sondern die eine orientalische Schöpfungssage in Generationen nach Bosch - in den Hauptperson in einem Drama, das drei Phasen, 1. Erschaffung der Eva Niederlanden geglaubt und gefürch- auf offener Bühne gespielt wurde. durch Gott persönlich in Gestalt des tet wird, ist eine ganz neue Welt. Die Seine Darstellungen biblischer Er- Erlösers, 2. Verführung des ersten weisen Frauen sind vernichtet, ihre eignisse beziehen sich auf Mysteri- Menschenpaares durch eine men- Ausübung der Geburtenregelung enspielszenen, keine vermeintli- durch Empfängnisverhütung, Abtrei- schengestaltige Schlange, und 3. Ver- chen geschichtlichen Geschehnis- bung und Kindstötung ist grausamst se. Daher die oft fantastisch wir- treibung des Paares durch einen wü- tenden Engel mit Schwert? Die drei durch die mächtig gewordene Kirche kenden Gewänder der umstehen- unterbunden worden. Die Bevölke- den Personen, die erdachten Turba- Szenen sind ganz realistisch und hu- morvoll dargestellt, sogar mit der bei rungszahl nimmt rasant zu, wie die ne und Hüte, die Theaterrequisi- Kirche geplant hat. „Die Weiber wer- ten statt echter Waffen, die karne- Bosch üblichen aufdringlichen Ero- tik, besonders in der Art, wie der fen wie die Karnickel“. Denn der valsartigen Kostüme, die fratzen- mächtige Eros, den Bosch noch feier- haften Gesichter. Selbstverständ- Schöpfergott die erregend schöne Eva anpreist, während Adam offensicht- te, ist nicht zu unterdrücken. Da lich tragen die heiligen Personen in greift eine neue Mode um sich: die den echten Bildern Boschs nie ei- lich einen schwülen Traum hat. Auch wenn die Malweise des Gartens Eden Männer lassen sich kastrieren, beson- nen Heiligenschein, ebenso wenig nicht ganz zu Bosch passen will, ist ders die einfachen Bauern, die ja ihr wie auf den Bildern seiner gleichge- doch offensichtlich ein wichtiger Teil kleines Eigentum nicht unbegrenzt sinnten Kollegen; die Aureole wird erst nach 1530 obligat. des Bildes von seiner Hand, nämlich oft aufteilen können. Breugel nimmt der Engelsturz im Himmel über dem diese Mode in einem Kupferstich aufs Glaubensinhalte Garten. Hier haben wir die ganze Korn, in seiner derben Art, wie er Das „Jüngste Gericht“ (in Wien) Weltanschauung des genialen Man- auch andere ländliche Szenen anriss: hat wiederum diesen völlig unpassen- „Die Hexe von Malleghem“. Fraenger nes, der den Titanensturz in seiner den süßlichen Zusatz im mittleren (1950, S. 84-89) hat das in scharfer Weise sah, unbestechlich persönlich Oberteil, einen blauen Himmel mit Weise formuliert. Allerdings bezieht und keineswegs christlich. Christus im barocken Ornat, über (!) er das Breugelsche Bild immer wieder Im selben Zusammenhang wer- auf Boschs „Kurpfuscher“ (auch „Der ihm links die Gottesmutter, bis zum den meist die vier Tafeln von Venedig Schoß in den Wolken versunken, und Steinschneider“ genannt, im Prado), besprochen, weil sie ebenfalls den Pa- dessen Operation ebenfalls als Kastra- rechts Petrus bäuchlings auf eine Wol- radiesgarten (boschartig, jedenfalls ke gestützt, dazu zwei Gruppen von tion aufzufassen sei. Sehr zu unrecht, ohne einen Gott) und drei Nachtod- denn bei Bosch hat die Darstellung Erlösten (Heilige und Märtyrer) und Visionen bringen. Die zweite Tafel ist des chirurgischen Eingriffs nur einen die vier Erzengelchen mit fadendün- nen langen Trompeten. Einfach lä- eine besondere Erwähnung wert: hintergründigen Sinn: Wer sich dem cherlich und nicht einmal organisch Man sieht die Seelen der Gestorbenen Arzt anvertraut, der lässt sich geistig eingefügt. Aber der Rest des Bildes ist von Engeln geleitet auf dem Weg zum kastrieren. Mit einer Sterilisation hat zweifelsfrei ein echter Bosch! Da er- wahren Licht, und dieses Licht er- das noch nichts zu tun. Das ist aus klärt sich manches Bild von selbst: so reicht den Betrachter durch einen dem Bild selbst so offensichtlich, dass trägt der Drachen, der eine Jungfrau kreisrunden Tunnel, wie er in man- man eben daran erkennen kann, wie begehrt, eine lange brennende Kerze; chen „Fasttoderlebnissen“ beschrie- groß der zeitliche Abstand ist, der er ist ja Luzifer, der Lichtträger. Ein ben wird. Dieses Bild ist so typisch für zwischen den beiden Malern liegt. Weibmann wird von einem gepanzer- die Einweihungslehren, dass man Und das wollte ich hier herausstellen: ten Frosch geritten, ein Mann schuf- hieran ersehen kann, zu welcher reli- Wir können recht gut ausmachen, tet in der Tretmühle, ein anderer wird giösen Form sich Bosch bekannte: zur wann Boschs Maltätigkeit endet: vor gerade durchgemahlen ... usw. - das östlichen Mystik, die sich in Tibet am der endgültigen Machtübernahme ist keine Darstellung des zukünftigen reinsten manifestiert hatte. der Kirche. 24 EFODON-SYNESIS Nr. 1/2003
Hieronymus Bosch Nachtrag Nachdem ich diesen Artikel ver- fasste, reiste ich noch einmal nach Madrid und Rotterdam, um die wichtigsten Bilder Boschs unter die- sen neuen Gesichtspunkten kritisch zu prüfen. Könnte meine von der üb- lichen Interpretation so stark abwei- chende Meinung bestehen? Da fand ich im Museumsladen das gerade er- schienene Buch von Carmen Garrido und Roger Van Schoute, in dem die Boschbilder des Prado in naturwis- senschaftlicher Weise untersucht wer- den: dendrochronologisch und per Röntgenanalyse. Die Arbeitsergebnis- se geben mir weitgehend Recht, so- weit es meine Aussagen hinsichtlich der Übermalungen betrifft. Besonders gefreut hat mich, dass die Röntgen- untersuchung zweifelsfrei ergab, dass der Gottvater im Paradies, den ich für spätere Zutat hielt, farblich nicht un- terlegt ist, sondern im Gegensatz zur Malweise von Bosch direkt auf die Oberfläche aufgetragen ist (S. 26). Der St. Antonius des Prado ist das „einzige Bild ohne Vorzeichnung, aus unbekanntem Grund“ (S. 27). Der Grund ist ganz einfach: Wenn man eine Kopie malt, braucht man nicht vorzuzeichnen. In einer Kopie kann man aber – und man tat es gern, wie zahlreiche Boschkopien zeigen – ge- wisse Dinge ändern, wenn sie aus weltanschaulichen Gründen verlangt werden und das Original verschwin- det. Die vier Medaillons auf dem Tisch der Todsünden – zumindest drei, wie ich oben sagte – sind völlig übermalt; man hat sogar die alte Farbschicht bis auf den Holzgrund abgetragen und neu grundiert in orangefarbenem Ton, während das zentrale Bild grau unter- legt ist (S. 34). Man ahnte ja damals noch nicht, dass der Betrug durch Röntgenfotos herauskommen würde. Literatur „Das Paradies“, mit Adam und Eva und einem übermalten Gottvater dazwischen. Baltrushaitis, Jurgis (1960): Le Moy- (1950): Die Hochzeit zu Kana. Garrido, Carmen und Van Schoute, en Age fantastique (Paris) Ein Dokument semitischer Gnosis Roger (2001): El Bosco en el Mu- Bosing, Walter (1973): Hieronymus bei Hieronymus Bosch (Berlin) seo del Prado (Madrid) Bosch (London; dtsch. Köln 1987) (1951): Der Tisch der Weisheit, Mertens, Ernst (1989): span. Übers. Bussagli, Mario (1967): Bosch (Lon- bisher Die sieben Todsünden ge- El Bosco (1992 Barcelona) don; reprint 1977) nannt (Stuttgart) Fraenger, Wilhelm (1947): Das tau- Tolnay, Ch. de (1937): Hieronymus Gauffreteau-Sévy, M. (1967): Jérôme sendjährige Reich, Triptychon von Bosch (Basel) Bosch (Paris; span. Version Barce- Hieronymus Bosch (Coburg) lona 1973) EFODON-SYNESIS Nr. 1/2003 25
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