Historische Kindertagebücher. Empirische Zugänge und Potentiale der Erforschung - Sylvia Wehren - HilDok

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Plattform für
Forschungs- und
Fallorientiertes Lernen
Methodenforum

Sylvia Wehren

Historische
Kindertagebücher.
Empirische Zugänge und
Potentiale der Erforschung
Herausgegeben vom Kompetenzzentrum Frühe Kindheit
  Niedersachsen der Stiftung Universität Hildesheim.

                   Dr. Sylvia Wehren
               Universität Hildesheim,
         Institut für Erziehungswissenschaft
             wehren@uni-hildesheim.de

     Dieser Text wurde erstellt für die Plattform für
Forschungs- und Fallorientierte Lehre | Methodenforum
des Kompetenzzentrums Frühe Kindheit Niedersachsen

   Die Erstellung der Plattform und der Texte wurde
   durch das Herausgebenden- und Redaktionsteam
   des ,,Methodenforums für forschungsorientierte
       Lehre“: Yvonne Bulander, Jennifer Carnin,
   Peter Cloos, Svenja Garbade, Frauke Gerstenberg,
       Sandra Koch und Sylvia Wehren begleitet.

  Die Erstellung der Plattform wurde im Rahmen des
 Förderprogramms „Innovation plus“ gefördert durch
Inhaltsverzeichnis
1. Grundlegende Aspekte                              4

Gegenstand und Material                              4
Inhaltliche und didaktische Dimensionen              4
Quellenauswahl und Methode                           5
Einbezogene Texte des Fallarchivs
Kindheitspädagogische Forschung                      5
Modulzuordnung                                       5
Voraussetzungen                                      5
Ziele                                                6
Leistungsnachweise                                   6
Anwendungsbereich/Lehrformat                         6

2. Inhalte, Arbeitsschritte und Methoden             7

Grundlagen                                            7
Arbeitsschritt 1: Vorbereitung und Einführung in die
Theoreme und Geschichte von Kindheit (Selbststudium) 7
Arbeitsschritt 2: Grundlagen der Tagebuchforschung
und der Geschichte von Kindheit (Videochat/Präsenz)   7
Arbeitsschritt 3: Erste Beschäftigung mit
Kindertagebüchern: Walter Eckel und Aini Teufel
(Selbststudium)                                       8
Arbeitsschritt 4: Erste Quellenerkundungen –
Kindheit im 2. Weltkrieg (Videochat/Präsenz)          9
Arbeitsschritt 5: Aufnahme weiterer Tagebücher:
Gretel Bechtold und Anaïs Nin (Selbststudium)         9
Arbeitsschritt 6: Tagebuchanalysen in Bezug auf
soziale Differenzen und methodische Anfänge
(Videochat/Präsenz)                                  10
Arbeitsschritt 7: Aufnahme eines weiteren Tagebuchs
(Hermann Franck/Hugo Franck) und dessen
bildungshistorische Rezeption (Selbststudium)        11
Arbeitsschritt 8: Bildungshistorische Analysen, das
Beispiel Hugo und Hermann Franck (Videochat/
Präsenz)                                             11
Arbeitsschritt 9: Lejeune (Selbststudium)            12
Arbeitsschritt 10: Reflexion von Kindertagebüchern
und ihre bildungshistorische Beforschung mit Hilfe
von Philippe Lejeune (Videochat/Präsenz)             12

3. Reflexion                                        13

4. Literatur                                        14
1. Grundlegende Aspekte
Gegenstand und Material                                                     Inhaltliche und didaktische Dimensionen

Progressives und emanzipatorisches pädagogisches Den-                       Zur Ausgestaltung des Seminars werden vier inhaltliche
ken und Handeln wird dann sinnvoll möglich, wenn Phä-                       und didaktische Dimensionen tiefergehend verfolgt: Ers-
nomene der Erziehung, der Bildung und des Lernens in                        tens soll ein grundlegender Einblick in spezifische Pers-
ihrer historischen Gewordenheit und sozialen Kontingenz                     pektiven, Inhalte und Arbeitsweisen bildungshistorischer
begriffen werden können. Dazu kann auch eine Auseinan-                      Forschung gegeben werden. Zweitens wird den Studie-
dersetzung mit historischen Tagebüchern dienen, die nicht                   renden eine vertiefte Auseinandersetzung mit kindheits-
nur durch das Zusammenspiel von Privatheit und Historizi-                   geschichtlichen Fragestellungen und Forschungsständen
tät faszinieren, sondern auch einen Einblick in pädagogisch                 ermöglicht. Drittens wird die Rolle von Medien nicht nur
relevante Lebenslagen und Erfahrungsräume bieten. Da                        für die Prozesse des Aufwachsens, sondern auch für die
Tagebücher zudem sehr verschieden gestaltet werden und                      Subjektivierung und Instituierung von Kindheit problema-
als Kulturphänomene immer wieder einen Funktionswan-                        tisiert und viertens gefragt, wie die Phänomene und Reali-
del erfahren, lassen sich einerseits die persönlichen Inhal-                täten sozialer Differenz in Bezug auf konkrete historische
te, andererseits die medialen und materialen Eigenschaften                  Kontexte Vermittlung finden. Mit Bezug auf diese Dimen-
der Quelle in eine bildungshistorische und erziehungswis-                   sionen soll ebenfalls diskutiert werden, welche pädagogi-
senschaftliche Auseinandersetzung einbeziehen.                              schen sowie erziehungswissenschaftlichen Potentiale sich
    Basierend auf diesen Grund- und Leitgedanken setzen                     durch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der
sich die Studierenden im Seminar mit historischen Kinder-                   Quellensorte ergeben. Da Kindertagebücher zu den sel-
tagebüchern aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhun-                      tenen historischen Zeugnissen gehören, die von Kindern
dert und damit mit einer wenig genutzten und darüber hi-                    selbst verfasst wurden, können die Quellen in diesem Zu-
naus überaus seltenen Quelle kindheitspädagogischer und                     sammenhang u. a. zu einer Diskussion darüber führen,
bildungshistorischer Forschung auseinander. Dabei erwei-                    was überhaupt unter ‚kindlichen Perspektiven‘ verstanden
sen sich die historischen Tagebücher, verfasst von Kindern                  werden kann und wie diese in den historischen Tagebü-
zwischen 9 und 12 Jahren, als höchst eindrucksvolle Doku-                   chern – die oft ‚unter Aufsicht‘ entstanden – vorfindlich
mente kindlicher Lebenswelten. Denn zum einen geben                         und erkennbar werden. In dieser Hinsicht ist gleichfalls zu
sie die Möglichkeit Kindheit als individuelles, historisch                  erkunden, wie Kinderperspektiven theoretisch und analy-
veränderliches und mikrogeschichtlich situiertes Phäno-                     tisch fassbar werden (Kraus 2010; Heinzel 2012; Hartnack
men wahrzunehmen, andererseits zeigen sich die persön-                      2019). Das führt ferner zu Fragen der Herstellung von Ge-
lichen Verhältnisse von Menschen in einer gesellschaftlich                  nerationendifferenz und damit zu einer Theoretisierung
determinierten Lebensphase in ihren makrogeschichtli-                       des Zusammenhangs von Kindheit und Erwachsenheit
chen Zusammenhängen und damit in ihren sozialen und                         (Alanen 2005; Baader/Eßer/Schroer 2014; King 2015; Titze
gesellschaftlichen Kontexten. Über die Beschäftigung mit                    2019). Somit werden auch gesellschaftliche und kollektive
dem empirischem Material können auf diese Weise nicht                       Vorstellungen vom Kind thematisch (Baader 2004, 2007).
nur sozial und kulturgeschichtliche Zusammenhänge er-                       Diese Themen mithilfe von Quellen zu diskutieren, die
forscht, sondern auch direkte Bezüge zu den Kategorien                      kindlich-kreatives Vermögen enthalten, kann die domi-
sozialer Differenz (z. B. race, class und gender) in ihren inter-           nante Perspektive von Erwachsenen zurückstellen. Dies
sektionalen Ausformungen und Verschränkungen heraus-                        ist zum einen bedeutsam, da in der erziehungstheoreti-
gearbeitet werden. Ebenfalls bieten Kindertagebücher die                    schen und bildungshistorischen Diskussion üblicherwei-
Gelegenheit, Medien als subjektkonstituierenden Faktor                      se pädagogische Klassiker*innen sowie programmatische
von Kindheiten bzw. von deren Vorstellungen zu begreifen.                   Perspektiven größere Repräsentation erfahren (Sauerbrey
                                                                            2020). Zum anderen wird dadurch ein produktiver An-
                                                                            schluss an die aktuelle Verwendung von (Kinder-)Tagebü-
                                                                            chern in pädagogischen Handlungsfeldern ermöglicht, da
                                                                            diese nicht nur als privates Ausdrucksmittel, sondern auch
                                                                            als Funktionsträger pädagogisch und/oder therapeuti-

Wehren, Sylvia (2022): Historische Kindertagebücher. Empirische Zugänge und Potentiale der Erforschung . In: Plattform für           4
Forschungs- und Fallorientiertes Lernen | Methodenforum. DOI: 10.18442/pforle-m-3
scher Arbeit Einsatz finden (Wilz/Brähler 1997; Alaszewski                  Modulzuordnung
2006; Eigner/Hämmerle/Müller 2006; Kunz 2015). Nicht
zuletzt wird die Frage nach dem Akteursstatus von Kindern                   Master Erziehungswissenschaft Universität Hildesheim
gestellt (Baader 2021, 2018).
                                                                            Basierend auf den vier ausgeführten inhaltlich-didakti-
                                                                            schen Dimensionen, ist das Seminar für folgende Studien-
Quellenauswahl und Methode                                                  inhalte geeignet:

In Anbetracht der vorangegangenen Überlegungen wurden                       1. Es werden Horizonte und Techniken bildungshistori-
für das Seminarkonzept historische Kindertagebücher aus-                       schen Arbeitens vermittelt, in diesem Zusammenhang
gewählt, die größere Diversität in Bezug auf Entstehungs-                      werden archivalische, medienhistorische, forschungs-
kontexte, Zugänge, Funktionen des Schreibens in Inhalt,                        analytische, erkenntnistheoretische und methodolo-
Gestaltung und Form aufweisen. Um dennoch Systemati-                           gische Inhalte bearbeitet (Modul 6, TM 1: Forschungs-
sierung zu ermöglichen, wurde bei der Auswahl darauf ge-                       methoden, Methodologie und Wissenschaftstheorie,
achtet, dass die Tagebücher innerhalb eines spezifischen                       Modul 6, TM 2: Bildungsforschung).
historischen Zeitrahmens (spätes 19. und frühes 20. Jahr-                   2. Eine vertiefte Beschäftigung mit kindheitsgeschichtlichen
hundert) entstanden, der im Seminar sinnvoll im Zusam-                         Fragestellungen und Forschungsständen wird ermöglicht
menhang erfass- und kontextualisierbar ist. Hinsichtlich                       (Modul 5a: Pädagogik der Kindheit Vertiefung I).
der Methodenwahl ist an dieser Stelle darauf hinzuwei-                      3. Es findet eine beständige Auseinandersetzung mit den
sen, dass Tagebücher, insbesondere Kinder- und Jugend-                         pluralen und heterogenen Bedingungen des Aufwach-
tagebücher, nicht nur textlich, sondern auch bildlich oder                     sens und den Kategorien sozialer Differenz statt. (Modul
anderweitig material verfasst und gestaltet sein können.                       5b: Diversity Education: Vertiefung I).
Dies ermöglicht unterschiedliche methodisch-analytische
Zugänge, die im Seminar auch triangulierend oder kont-                      Leistungspunkte/Credits: Es werden in dem Teilmodul
rastierend behandelt werden können. So bieten sich nicht                    2–4 Leistungspunkte erworben.
nur inhalts- bzw. textanalytische Verfahren an, sondern                     Teilnehmende: Bis zu 30 Studierende im Master, in ähn-
auch Methoden die Bild-, Artefakt- und Objektanalysen ak-                   licher Form wurde das Seminar auch im Bachelor Erzie-
zentuieren. Da sich das Seminar auch als Einführung in die                  hungswissenschaft durchgeführt
Historische Bildungsforschung versteht, wurde keine spe-
zifische Methode ausgewählt, die das Seminar hätte durch-
gehend begleiten können, sondern es werden – je nach Art                    Voraussetzungen
des einzelnen Tagebuchs – verschiedene methodische Zu-
gänge vorgestellt.                                                          Das Seminar versteht sich zwar als exemplarische Ver-
                                                                            tiefung in kindheitsgeschichtliche Zusammenhänge, es
                                                                            verfährt jedoch auch einführend in Bezug auf bildungshis-
Einbezogene Texte des Fallarchivs                                           torische Arbeitsweisen. Diese Seminarkonzeption basiert
Kindheitspädagogische Forschung                                             auf dem Gedanken, dass sowohl kindheitsgeschichtliche als
                                                                            auch bildungshistorische Forschungszusammenhänge in
Sauerbrey, Ulf (2020): Kindergärtnerinnen-Briefe als Doku-                  Bezug auf die empirischen Analysen von Tagebüchern größ-
  mente historischer kindheitspädagogischer Forschung.                      tenteils unbekannt sein dürften. Es ist empfehlenswert,
  In: Fallarchiv Kindheitspädagogische Forschung. Online-                   dass die teilnehmenden Studierenden bereits über Grund-
  Zeitschrift zu Qualitativen Methoden in Forschung und                     kenntnisse im Bereich der Geschichte der Pädagogik verfü-
  Lehre 3, H. 1 ISSN (Internet) 2626-4773 | DOI: 10.18442/090               gen. Zudem sollten sie mit Grundbegriffen und Theorien der
  Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim.                                Erziehungswissenschaft vertraut sein. Vertiefte Kenntnisse
                                                                            im wissenschaftlichen Arbeiten sind für eine produktive
(Der Text von Ulf Sauerbrey wurde nicht im Seminar be-                      Teilnahme am Seminar ebenfalls von Vorteil. Grundsätzlich
handelt, jedoch bei der Erstellung des vorliegenden Bau-                    sollten die Studierenden befähigt sein, auf Basis von grund-
steins in die Auseinandersetzung einbezogen.)                               legendem Fach- und Überblickswissen, die spezifischen

Wehren, Sylvia (2022): Historische Kindertagebücher. Empirische Zugänge und Potentiale der Erforschung . In: Plattform für            5
Forschungs- und Fallorientiertes Lernen | Methodenforum. DOI: 10.18442/pforle-m-3
Inhalte des Seminars in erziehungswissenschaftliche Frage-                     Inhaltlich sind für die Ausgestaltung des Portfolios vier
stellungen und Horizonte einordnen zu können.                                  Qualitätsmerkmale zu erfüllen: Erstens soll das Portfolio
                                                                               in Bezug auf Seminarinhalte vollständig sein, zweitens
                                                                               muss eine durchgehende Auseinandersetzung mit den
Ziele                                                                          Primär- und Sekundärliteraturen erkennbar werden.
                                                                               Drittens wird die Verschriftlichung von eigenen the-
1. Die Studierenden erhalten einen zusammenfassenden                           men- und problembezogenen Gedanken erwartet und
   Überblick über historische Phasen der Entwicklung                           viertens sollen die Grund­prinzipien wissenschaftlichen
   von Kindheiten im deutschen resp. europäischen Raum                         Arbeitens Anwendung finden (z. B. Transparenz in Be-
   (18.–21. Jahrhundert). Danach setzen sie sich näher mit                     zug auf Au­tor*innenschaft der Quellen sowie Literatu-
   Kindsein und den Vorstellungen von Kindheit im späten                       ren). Alle genannten Richtlinien zielen auf den Zusam-
   19. und frühen 20. Jahrhundert auseinander.                                 menhang von Dokumentation und Reflexion.
2. Begleitend dazu sollen die Teilnehmenden des Seminars                    2. Zusätzlich – je nach erforderlicher Prüfungsleistung – ist
   vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der geschichtlichen                       eine schriftliche Abschlussaufgabe zu leisten. Die Stu-
   Ausbildung erziehungswissenschaftlicher Kindheitsfor-                       dierenden, die 2 Punkte im Seminar erwerben möchten,
   schung erwerben und für unterschiedliche bildungshis-                       schreiben am Ende der Vorlesungszeit entweder eine
   torische Zugänge und Positionen sensibilisiert werden.                      abschließende Reflexion zum Thema „Was habe ich zum
   In diesem Zusammenhang wird eine vertiefte Ausein-                          Thema des Seminars gelernt?“ (2–3 Seiten) oder sie pro-
   andersetzung mit den Themen ‚Kindheit als Konstrukt‘                        bieren eine selbstständige Analyse zu einem Kindertage-
   und der ‚kindlichen Perspektive‘ angestrebt.                                buch in Bezug auf einen Themenfokus ihrer Wahl (z. B.
3. Daneben lernen die Studierenden (Kinder-)Tagebücher                         Freundschaft, Tod und Krankheit, Geschwisterbezie-
   als eine spezifische, erziehungshistorische Quellensorte                    hung) (2–3 Seiten). Die Analyse kann, muss aber nicht
   kennen und erlangen grundlegendes Wissen über die                           methodisch reflektiert werden, jedoch sollen Bezüge zu
   Entstehung und die Ausgestaltung der sozial-kulturel-                       Texten aus der Seminarliteratur hergestellt werden. Die
   len Praxis des Tagebuchschreibens.                                          Studierenden, die 4 Punkte im Seminar erwerben möch-
4. Ebenfalls werden in einem vergleichenden sowie kon-                         ten, versuchen sich gegen Ende des Seminars entweder
   trastierenden Überblick einige ausgewählte Methoden                         in einer selbstständigen methodisch und thematisch
   der historischen Bildungsforschung vorgestellt, dies in                     fokussierten Analyse eines Auszuges aus einem Kinder-
   stetem Bezug zur Quellensorte Tagebuch. Die Studie-                         tagebuch. Diese soll sich intensiver auf Sekundärlite-
   renden erhalten zudem die Möglichkeit, methodisch an-                       raturtexte beziehen (4–6 Seiten). Oder sie setzen einen
   geleitete Probeanalysen durchzuführen.                                      der im Seminar verwendeten Texte von Phillipe Lejeune
5. Darüber hinaus sollen die Studierenden in die Lage ver-                     (2014; 2015), in denen er über seine Forschungen zu den
   setzt werden, selbstständig Informationen zur Überlie-                      Charakteristika und Praxen von Tagebüchern reflektiert,
   ferungs- und Entstehungsgeschichte, zu Autor*innen                          in Beziehung zu einem im Seminar bearbeiteten Kinder-
   und Kontexten fachbezogen zu recherchieren. Dazu                            tagebuch (4–6 Seiten).
   werden sie die entsprechenden Institutionen und Hilfs-
   mittel kennenlernen. In diesem Zusammenhang erwer-
   ben die Studierenden auch Fähigkeiten zu quellen- und
   medienkritischen Arbeitsweisen.                                          Anwendungsbereich/Lehrformat

                                                                            a) Master-Studiengang Erziehungswissenschaft
Leistungsnachweise                                                          b) Seminarkonzept für ein Semester

1. Alle Studierenden legen ein Portfolio an. Dieses wird als                Lehrformat: aller zwei Wochen Videochat und/oder Prä-
   selbstständig organisiertes Lerntagebuch verstanden.                     senzsitzung, dazwischen Phasen im Selbststudium.
   Es gibt keine weiteren formalen Vorgaben, außer, dass
   das Portfolio zur Leistungsüberprüfung in eine zur Be-
   gutachtung nachvollziehbare Ordnung zu bringen ist.

Wehren, Sylvia (2022): Historische Kindertagebücher. Empirische Zugänge und Potentiale der Erforschung . In: Plattform für             6
Forschungs- und Fallorientiertes Lernen | Methodenforum. DOI: 10.18442/pforle-m-3
2. Inhalte, Arbeitsschritte und Methoden
Grundlagen                                                                  Die Studierenden sollen zentrale Inhalte und wichtige The-
                                                                            sen aus den Texten in das Portfolio aufnehmen. Gleichzeitig
Das Seminarkonzept ist zwar unter Pandemiebedingungen                       sind sie aufgefordert, Fragen und persönliche Interessen zu
entstanden. Es kann aber auch im regulären Veranstaltungs-                  notieren.
betrieb, mit ggf. situationsbedingten Anpassungen, Anwen-
dung finden. Gespräch und Vermittlung der Inhalte finden
grundsätzlich in Seminargesprächen statt (über Videochat                    Arbeitsschritt 2: Grundlagen der
oder in Präsenz). Diese werden zweiwöchig zur selben Zeit
anberaumt und haben einen Umfang von 90 Minuten. Zwi-
                                                                            Tagebuchforschung und der Geschichte
schen den Plenumsterminen haben die Studierenden Zeit für                   von Kindheit (Videochat/Präsenz)
Lektüre und für ein vertieftes Selbststudium. In diesen Pha-
sen können die Studierenden zusammenarbeiten, dies ist                      Nach zwei Wochen im Selbststudium treffen sich die Teil-
aber keine Bedingung. Für die Zeiten im Selbststudium hat                   nehmenden des Seminars erstmalig im Plenum. Die Stu-
es sich bewährt, feste Termine zur individuellen Beratung                   dierenden haben ein Portfolio angelegt und beide Texte
und Hilfestellung anzubieten (1x wöchentlich). Ebenfalls                    (Andresen 2004; Winkler 2017) vorbereitet. Ziel der ersten
hat es sich als sinnvoll erwiesen, den Studierenden dabei zu                gemeinsamen Sitzung ist ein Basisgespräch über das Semi-
helfen, sich untereinander in Verbindung zu setzen, z. B. in                nar und Kindertagebücher sowie ein vertiefendes Gespräch
Form von Interessensverbünden. Zur gemeinsamen Zusam-                       zur Geschichte der Kindheit, der bildungshistorischen
menarbeit ist des Weiteren eine digitale Lernplattform von                  Kindheitsforschung und der Genese der gesellschaftlichen
Vorteil, die z. B. Seminarmaterialien zur Verfügung stellen                 Konstruktion von Kindheit. Dabei wird auch das bereits
kann. Für dieses Seminar wurde das Learnweb verwendet.                      vorhandene Wissen der Studierenden über diese Themen-
                                                                            bereiche erfragt.

Arbeitsschritt 1: Vorbereitung und                                          Vorgehen

Einführung in die Theoreme und                                              1. Nach einer Begrüßungsrunde werden Bilder von Origi-
Geschichte von Kindheit (Selbststudium)                                        nalkindertagebüchern gezeigt. Dabei wird erzählt, wie
                                                                               die Tagebücher aufgefunden und tradiert wurden, wo
Zwei Wochen vor Beginn der ersten gemeinsamen Sitzung                          sie archiviert oder veröffentlicht sind und was über die
erhalten die Studierenden eine E-Mail zur Begrüßung. Die-                      historischen Personen bekannt ist, die die Tagebücher
se gibt grundsätzliche Informationen zur Organisation des                      geschrieben haben. Dadurch sollen erstens die Diversi-
Seminars und zu den Leistungserwartungen. Zudem ent-                           tät sowie die Objektgeschichten der Quellen deutlich
hält das Schreiben eine Leseaufgabe. Die Materialien sind                      gemacht sowie zweitens die Aufmerksamkeit auf den
auf der Lernplattform (Learnweb) zu finden. Dadurch kön-                       Kontext, die Person(en), den schriftlichen Gehalt und
nen folgende Textauszüge bis zur ersten Sitzung im (neu                        das Artefakt zugleich gelenkt werden.
angelegten) Portfolio aufbereitet werden:                                   2. Daran anschließend werden virtuelle Ausflüge zu den
                                                                               Archiven und Bibliotheken unternommen in denen Kin-
Sekundärliteratur 1: Winkler, Martina (2017): Kindheits-                       dertagebücher aufbewahrt werden und in denen weitere
  geschichte. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck &                        kindheitsgeschichtlich relevante Quellen zu entdecken
  Ruprecht, S. 9–16, 79–138.                                                   sind. Auch dadurch wird der Blick von Studierenden auf
Sekundärliteratur 2: Andresen, Sabine (2004): Kindheit                         diverse Quellensorten geweitet (Sauerbrey 2020, S. 3).
  als Dispositiv. In: Pongratz, Ludwig/Wimmer, Michael/                        Zum Beispiel können folgende Institutionen virtuell be-
  Nieke, Wolfgang/Masschelein, Jan (Hrsg.): Nach Fou-                          sucht werden:
  cault. Diskurs- und machtanalytische Perspektiven der                        a) Deutsches Tagebucharchiv Emmendingen: https://
  Pädagogik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaf-                          tagebucharchiv.de/
  ten, S. 158–175.

Wehren, Sylvia (2022): Historische Kindertagebücher. Empirische Zugänge und Potentiale der Erforschung . In: Plattform für           7
Forschungs- und Fallorientiertes Lernen | Methodenforum. DOI: 10.18442/pforle-m-3
b) pictura paedagogica online:                                           Arbeitsschritt 3: Erste Beschäftigung
      http://opac.bbf.dipf.de/virtuellesbildarchiv
   c) Archiv der Akademie der Künste:
                                                                            mit Kindertagebüchern: Walter Eckel
      https://www.adk.de/de/archiv/index.htm                                und Aini Teufel (Selbststudium)
   d) Stiftung Preußischer Kulturbesitz:
      https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/                           Die Studierenden haben über den Seminarplan und durch
3. An die virtuellen sowie materialen Erkundungen                           die digitale Plattform Learnweb Überblick über die Aufga-
   schließt sich ein Gespräch mit den Studierenden an. Die-                 ben und Inhalte der kommenden Wochen. Sie haben nun
   se sind nun aufgefordert zu erzählen, welche Assoziatio-                 zwei Wochen Zeit, um das Portfolio weitergehend zu orga-
   nen und Erfahrungen sie persönlich mit dem Schreiben                     nisieren, die erste gemeinsame Sitzung nachzubereiten, sich
   von Tagebüchern verbinden, auch in Bezug auf eigene                      mit weiteren Texten zu beschäftigen und die kommende Sit-
   Kindheits- und Jugenderfahrungen. Daneben haben sie                      zung vorzubereiten. Für die zweite Sitzung ist angedacht, in
   die Möglichkeit, Interessenfragen zu stellen oder bisher                 einen ersten Kontakt mit den Quellen zu gehen, daher ste-
   unverständliche Zusammenhänge zu erfragen. Im Rah-                       hen nun zwei Kindertagebücher bzw. Auszüge aus diesen
   men des Gesprächs werden Informationen darüber ver-                      im Mittelpunkt der Betrachtungen und der weiteren Port-
   mittelt, in welchen professionellen Settings Tagebücher                  folioarbeit. Folgende Texte und Materialien sollen daher zur
   aktuell Einsatz finden und welche Geschichte das Tage-                   nächsten Seminarsitzung vor- und aufbereitet werden:
   buchschreiben aufweist.
4. Darauffolgend wird ein Gespräch über die historischen                    Tagebuch 1: Eckel, Walter (2009): Ich habe alles aufge-
   und familiären Umstände angestrebt, die dazu geführt                       schrieben! Ein Kindertagebuch aus dem Krieg. Norder-
   haben, dass Kinder im 19. und frühen 20. Jahrhundert                       stedt: Books on Demand, S. 1–42.
   Tagebuch schrieben bzw. in die Lage versetzt waren                       Tagebuch 2: Teufel, Aini (2011[1944]): Ich und die Stadt.
   Tagebuch zu führen. In diesem Zusammenhang ist es                          Kindertagebuch 1944–45. Dresden: Thelem, S. 5–43.
   Aufgabe im Plenum Textbezüge zu Winkler (2014) her-                      Webpräsenz von Aini Teufel, online unter http://www.
   zustellen. Dadurch wird ein Nachvollzug kindheitsge-                       aini-teufel.de/autorin/index.php?navi=kindertagebuch
   schichtlicher Entwicklungen (auch in Bezug auf die Pra-
   xen des Tagebuchschreibens) angestrebt.                                  Die vorgeschlagenen Tagebücher ähneln sich insofern, als
5. Zuletzt wird die soziale Konstruktion von Kindheit ge-                   dass sie als Tagebücher unter Kriegserfahrung (2. Weltkrieg)
   meinsam thematisiert (Andresen 2004). Dabei soll in                      verfasst und zur fast gleichen Zeit entstanden sind. Beide
   einem ersten Angang das Potential der Quelle für die er-                 Tagebücher wurden zudem nachträglich von den Schrei-
   ziehungswissenschaftliche Auseinandersetzung fassbar                     benden selbst veröffentlicht. Während jedoch Walter Eckel
   gemacht werden.                                                          sich sehr bemüht zeigt, die Veröffentlichung so originalge-
                                                                            treu wie möglich zu halten – zum Beispiel werden Auszüge
Die erste gemeinsame Sitzung ist sehr reich an Eindrücken                   aus dem Original mit abgedruckt und sich selbst auferlegte
und Informationen. Vornehmlich dient sie dazu, Interessen                   Transkriptionsregeln transparent gemacht – und auch Be-
zu wecken und Assoziationsräume herzustellen. Da nicht                      mühungen zur historischen Kontextualisierung erkennbar
alle Informationen von den Studierenden gedanklich und                      sind, ist das Kindertagebuch von Aini Teufel in eine starke
schriftlich aufgenommen werden können, ist es hilfreich,                    literarische und auch explizit politisch gerahmte Umschrift
anschließend eine Liste mit den gezeigten Materialen und                    einbezogen. Dabei ordnet die Autorin Einträge neu an und
Einrichtungen zur Verfügung zu stellen oder auch eine                       pflegt auch frühe, selbstangefertigte Kinderzeichnungen
schriftliche Zusammenfassung der Inhalte zu bieten.                         und zeitgenössische Materialien (z. B. Fotos, Zeitungsaus-
                                                                            schnitte, Formulare) mit ein. Zudem unterscheiden sich
                                                                            Motivationslagen der kindlichen Schreibenden. Walter
                                                                            Eckel fängt im Alter von 9 Jahren an, das Tagebuch als Be-
                                                                            richt über seine Kinderlandverschickung in einer Art Rei-
                                                                            sebericht zu verfassen, setzt dann die Einträge regelmäßig
                                                                            und selbstständig fort. Dazu nutzt er Schreibhefte. Aini Teu-
                                                                            fel wird über ihre Mutter zum Tagebuchschreiben angehal-

Wehren, Sylvia (2022): Historische Kindertagebücher. Empirische Zugänge und Potentiale der Erforschung . In: Plattform für             8
Forschungs- und Fallorientiertes Lernen | Methodenforum. DOI: 10.18442/pforle-m-3
ten. Das Tagebuch, dass explizit als solches vorgesehen ist,                   Diese zweite gemeinsame Sitzung dient wie die erste
bekommt sie von ihrer Mutter zum Geburtstag geschenkt.                      Sitzung dazu, sich einen Eindruck zu verschaffen, diesmal
In der vorliegenden Publikation werden die (wahrschein-                     in Fokussierung auf die Tagebücher. Zudem können erste
lich bearbeiteten) Originalbeiträge aus dem Tagebuch den                    Bezüge zwischen Sekundärmaterialien und Sekundärlite-
familialen und historischen Materialien beigemischt.                        raturen sowie den Primärquellen hergestellt werden. Es ist
                                                                            empfehlenswert, die Sitzung stark auf die Interessen und
                                                                            Impulse der Studierenden zu konzentrieren und darauf ba-
Arbeitsschritt 4: Erste                                                     sierend die weitere inhaltliche Beschäftigung mit den Tage-
                                                                            büchern zu entwickeln. Auch für diese Sitzung ist es hilf-
Quellenerkundungen – Kindheit im                                            reich, den Studierenden nachträglich einige Materialien,
2. Weltkrieg (Videochat/Präsenz)                                            Begriffe und Hinweise gesammelt zur Verfügung zu stellen.

Nach zwei Wochen treffen sich die Teilnehmenden des
Seminars wieder im Plenum. Die Studierenden haben das                       Arbeitsschritt 5: Aufnahme weiterer
Portfolio weiterbearbeitet und die Tagebücher vorbereitet.
Einige Studierende haben in der Zwischenzeit das angebo-
                                                                            Tagebücher: Gretel Bechtold und
tene Beratungsgespräch in Anspruch genommen. In diesem                      Anaïs Nin (Selbststudium)
wurden vornehmlich Unsicherheiten in Bezug auf das Port-
folio geklärt. Ziel der zweiten gemeinsamen Sitzung ist nun                 Die Studierenden haben erneut zwei Wochen Zeit, um In-
die Erkundung der ersten Kindertagebücher. Dabei sollen                     halte nach- und vorzubereiten. Geplant ist nun eine weitere
sowohl quellenkritische Überlegungen angestellt als auch                    Beschäftigung mit neuen Tagebuchauszügen und einigen
Verknüpfungen mit der Sekundärliteratur zur Kindheitsge-                    anliegenden historischen Materialen. Die Tagebücher sind
schichte angestrebt werden. Dies ist auch in Bezug auf den                  so ausgewählt, dass sie die Tagebücher von Walter Eckel
sozialen Status der Tagebuchschreibenden relevant, da es                    und Aini Teufel mit weiterer Vielfalt ergänzen. Folgende
sich bei diesen um christlich und bürgerlich situierte weiße                Texte und Materialien sollen zur nächsten Seminarsitzung
Personen handelt, die selber nicht zum Ziel nationalsozia-                  vor- und aufbereitet werden:
listischer Verfolgung wurden.
                                                                            Tagebuch 3: Bechtold, Gretel (1997): Ein Deutsches Kinder-
Vorgehen                                                                      tagebuch in Bildern. 1933–1945. Freiburg i. Br: Kore, S. 1–41.
                                                                            Tagebuch 4: Nin, Anaïs (1995): Das Kindertagebuch (1914–
Die Sitzung beginnt mit weiteren einordnenden und kon-                        1919). Mit einem Vorwort von Joaquín Nin-Culmell, Aus-
textualisierenden Informationen zu den Tagebuchschrei-                        züge. Aus dem Französischen von Irène Kuhn, S. 1–35.
benden und zu den Objektgeschichten der originalen Ta-                      Wikipediaeintrag Anaïs Nin, online unter https://
gebücher. Diese sind durch die Dozierende in Form einer                       de.wikipedia.org/wiki/Ana%C3%AFs_Nin
Präsentation aufbereitet. Danach werden die Eindrücke                       Wikipediaeintrag Hitlerjungen Quex – Ein Film vom
der Studierenden zu den Tagebüchern gesammelt. Dabei                          Opfergeist der deutschen Jugend, online unter https://
ist eine Aufgabe für die Studierenden, die Tagebücher im                      de.wikipedia.org/wiki/Hitlerjunge_Quex
Seminar gemeinsam kindheitsgeschichtlich (Winkler 2017)
zu verorten. Es schließt sich ein Gespräch darüber an, in-                  Beide Tagebuchauszüge setzen an, als beide Schreiben-
wieweit die Tagebücher als authentisch in Bezug auf kind-                   de – Anaïs Nin und Gretel Bechthold – 11 Jahre alt sind. Die
liche Perspektiven zu verstehen sind. In dieser Hinsicht                    Schreib- und Ausdrucksweisen unterscheiden sich jedoch
werden erste quellen- und kindheitskritische Überlegun-                     beträchtlich, sowohl voneinander als auch von den bereits
gen angestellt, die hauptsächlich von den Informationen                     im Seminar behandelten Tagebüchern. Es ist unbekannt,
und Hinweisen getragen werden, die durch die Dozierende                     wann Gretel Bechtold ihr Tagebuch begann. Veröffentlicht
eingegeben werden. Danach sollen die Studierenden sich                      wurden nur Auszüge von 1933 bis 1945. Die Tagebucheinträ-
inhaltlich-vergleichend zu den Tagebüchern äußern, dabei                    ge wurden zusammen mit weiteren Materialien (von Gretel
kann Staunenswertes, Unverständliches oder auch persön-                     gezeichnete Bilder und selbst verfasste Gedichte, Briefaus-
lich Interessantes formuliert werden.                                       züge und Schulaufgaben) später in Zusammenarbeit mit

Wehren, Sylvia (2022): Historische Kindertagebücher. Empirische Zugänge und Potentiale der Erforschung . In: Plattform für                9
Forschungs- und Fallorientiertes Lernen | Methodenforum. DOI: 10.18442/pforle-m-3
der historisch und feministisch interessierten Verlegerin                   rialien vorbereitet. Ziel der dritten gemeinsamen Sitzung ist
Traute Hensch veröffentlicht. Die Publikation versteht sich                 nun eine konkrete analytische Arbeit an den Tagebuchaus-
auch als Dokumentation des Nationalsozialismus und als                      zügen – dies sowohl in Verbindung zum historischen Kon-
kritisches Kriegszeugnis. Während die Originaltagebücher                    text als auch mit Fokussierung auf verschiedene Aspekte
von Walter Eckel und Aini Teufel größtenteils in Form von                   sozialer Differenz. Zudem werden einführend konkrete bil-
schriftlichen Eintragungen abgefasst wurden, zeichnet sich                  dungshistorische Methoden vorgestellt und besprochen.
das Tagebuch von Gretel Bechtold – auch geprägt durch ver-
legerische Intentionen – durch eine Vielzahl an Bildern aus.                Vorgehen
Die Tagebücher von Anaïs Nin erweitern den Korpus eben-
falls. Die Einträge wurden nicht nur zwischen 1914 und 1919                 1. Zunächst werden die Studierenden aufgefordert, Ein-
geschrieben, und damit in einer Zeit vor dem zweiten Welt-                     drücke aus den Tagebüchern zu formulieren. Das Ge-
krieg. Auch befand sich Anaïs Nin nicht in Deutschland,                        spräch wird insbesondere auf kindheitsgeschichtliche
sondern zuerst in Spanien (Barcelona), dann in US-Ameri-                       Perspektiven, auf historische Kontexte, auf Aspekte so-
ka (New York). Zudem wird das Tagebuch zunächst in Form                        zialer Ungleichheit und auch methodisch-analytische
von Briefen an den Vater verfasst, es erfährt im Verlauf der                   Ansätze bezogen. Zum Beispiel werden die Studierenden
Einträge jedoch einen Funktionswandel. Auf Deutsch liegt                       aufgefordert, die Situationen der Tagebuchschreiben-
das Tagebuch vor, da es sich bei Anaïs Nin – ebenfalls im                      den in Bezug auf kindheitsgeschichtliche Entwicklun-
Unterschied zu den vorhergehenden Schreibenden – um                            gen einzuordnen, Differenzkategorien im Tagebuch zu
eine später berühmte Person öffentlichen Lebens handelt,                       markieren, die ihnen auffallen und zu überlegen, wie
u. a. aufgrund ihrer weltweit rezipierten Schriftstellerei.                    man die Tagebücher nun methodisch behandeln könnte.
Dies führt u. a. zu einer völlig anderen Quellenlage in Be-                    Auch geht es um eine Ausarbeitung und Unterscheidung
zug auf das Originaltagebuch, z. B. hinsichtlich der Tra-                      der im Tagebuch vorfindlichen ‚kindlichen‘ Perspekti-
dierungs- und Rezeptionsgeschichte. Auch unterscheiden                         ven.
sich die Tagebücher stark in Bezug auf den anzunehmen-                      2. Bei passender Gelegenheit werden zwei weitere Mate-
den Entwicklungs- und Kenntnisstand der Schreibenden.                          rialien hinzugezogen. Zum einen wird, wenn z. B. Fragen
Während das publizierte Tagebuch von Gretel in Teilen                          nach der Autorin Anaïs Nin aufkommen, die Dokumen-
differente Alterstände vermuten lässt und durch die Zeich-                     tation „Anaïs observed. A portrait of a woman as artist“
nungen und die Art des Schreibens stark kindlich assoziiert                    (1976), von Robert Snyder, online unter https://www.
wird, wirkt das Tagebuch von Anaïs Nin bildungsbürger-                         youtube.com/watch?v=s3AC39RxjPU im Ausschnitt ge-
lich bewandert und poetisch versiert. Sowohl in Ausdruck                       zeigt. In diesem Film spricht Anaïs Nin selbst über ihr
als auch in Form orientiert es sich an einem Schreibstil, der                  Tagebuch, klärt zum Beispiel ihre eigene erinnerte Mo-
aktuell eher Erwachsenen zugeschrieben wird.                                   tivlage in Bezug auf das Schreiben. Zum anderen wird,
   Von besonderem Interesse für die Bearbeitung im Semi-                       wenn z. B. Inhalte aus dem Tagebuch von Gretel Bech-
nar sind zudem die inhaltlichen Fokussierungen von Gretel                      thold angesprochen sind, der Film „Hitlerjunge Quex –
Bechtold und Anaïs Nin. Anhand beider Tagebücher lassen                        Ein Film vom Opfergeist der deutschen Jugend“ (1933)
sich zudem Themen von geschlechtlicher und gesellschaft-                       thematisiert. Bei diesem Film handelt es sich um einen
licher Differenz bearbeiten.                                                   sogenannten Vorbehaltsfilm der Friedrich-Wilhelm-
                                                                               Murnau-Stiftung. Über ihn bzw. über einige Szenen
                                                                               schreibt Gretel Bechthold im Tagebuch. Er stellt ihre
Arbeitsschritt 6: Tagebuchanalysen                                             erste Kinoerfahrung dar. Die Studierenden können sich
in Bezug auf soziale Differenzen                                               über eine wissenschaftliche Einordnung des Films so-
                                                                               wohl dem Schreiben Gretels nähern als auch weitere his-
und methodische Anfänge                                                        torische Kontexte kennenlernen. Didaktisch zu beachten
(Videochat/Präsenz)                                                            ist, dass der Film einer stärkeren Kontextualisierung be-
                                                                               darf, da es sich um einen nationalsozialistischen Propa-
Nach zwei Wochen treffen sich die Teilnehmenden des Se-                        gandafilm handelt, der explizite Hassrede, Falsch- und
minars wieder im Plenum. Die Studierenden haben das Port-                      Gewaltdarstellungen enthält. Und in diesem Zusam-
folio weiterbearbeitet und die Tagebücher sowie die Mate-                      menhang ist zu ergänzen: Auch das Tagebuch von Gretel

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Bechthold enthält Symbole, die in der Bundesrepublik                     rische Bearbeitung des Tagebuchs exemplarisch zeigen. Die
   unter Verbot stehen. Eine Aufklärung darüber, weshalb                    Studierenden sollen daher folgende Texte aufbereiten:
   diese nichtsdestotrotz im Seminar gezeigt und bearbei-
   tet werden dürfen, ist daher unbedingt geboten.                          Sekundärliteratur 3: Becchi, Egle (2014): Ein Vater, ein
3. Im Anschluss werden Arbeitstechniken und Methoden                          Kind, zwei Egodokumente. In: Ketelhut, Klemens (Hrsg.):
   der Historischen Bildungsforschung über eine Power-                        Erziehungsgeschichte/n. Kindheiten – Selbstzeugnis-
   Point-Präsentation resp. über eine Buchvorstellung ein-                    se – Reflexionen (Beiträge zur Historischen Bildungsfor-
   führend vermittelt.                                                        schung, Bd. 43). Köln/Weimar/Wien: Böhlau, S. 119–137.
      Für bildanalytische Verfahrensweisen, die in Verbin-                  Tagebuch 5/Sekundärliteratur 3: Hermann Franck (1997):
   dung mit dem Tagebuch von Gretel Bechtold bespro-                          Wenn Du dies liest … Tagebuch für Hugo. Mit einer Ein-
   chen werden, finden u. a. folgende Texte Verwendung:                       führung von Hartmut von Hentig. Herausgegeben von
   a) Mollenhauer, Klaus (1997): Methoden erziehungs-                         Andreas Feuchte. München: Hanser Verlag, S. 21–40,
      wissenschaftlicher Bildinterpretation. In: Frieberts-                   77–160 (mit Unterbrechungen).
      häuser, Barbara; Prengel Annedore (Hrsg.): Handbuch
      Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungs-
      wissenschaft. Weinheim und München: Juventa,                          Arbeitsschritt 8: Bildungshistorische
      S. 247–264.
   b) Ehrenspeck, Yvonne/Schäffer, Burkhard (2003)
                                                                            Analysen, das Beispiel Hugo und
      (Hrsg.): Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswis-                  Hermann Franck (Videochat/Präsenz)
      senschaft: ein Handbuch. Opladen: Leske + Budrich.
   c) Pilarczyk, Ulrike/Mietzner, Ulrike (2005). Das reflek-                Nach zwei Wochen treffen sich die Teilnehmenden des Semi-
      tierte Bild: die seriell-ikonografische Fotoanalyse in                nars wieder im Plenum. Die Studierenden haben das Portfo-
      den Erziehungs- und Sozialwissenschaften. Bad Heil-                   lio weiterbearbeitet und die Tagebücher sowie die Sekundär-
      brunn: Klinkhardt.                                                    literatur vorbereitet. Ziel der vierten gemeinsamen Sitzung
   d) Marotzki, Winfried/Niesyto, Horst (2006) (Hrsg.):                     ist es nun sowohl wiederholt über kindliche Perspektiven zu
      Bildinterpretation und Bildverstehen: Methodische                     sprechen, als auch Tagebücher historisch und medial diffe-
      Ansätze aus sozialwissenschaftlicher, kunst- und                      rent wahrzunehmen und darüber hinaus bildungshistori-
      medienpädagogischer Perspektive. Wiesbaden: VS                        sche Lesarten von Tagebüchern kennenzulernen.
      Verlag für Sozialwissenschaften.
                                                                            Vorgehen

Arbeitsschritt 7: Aufnahme
                                                                            In der Sitzung wird zunächst das Tagebuch von Hermann
eines weiteren Tagebuchs                                                    Franck besprochen. Die Einträge beginnen im Jahr 1847,
(Hermann Franck/Hugo Franck)                                                sein Sohn Hugo ist zu diesem Zeitpunkt 7 Jahre alt. Da es
                                                                            das früheste Tagebuch im Quellenkorpus des Seminars dar-
und dessen bildungshistorische                                              stellt und aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt, wird
Rezeption (Selbststudium)                                                   eine kurze historische Kontextualisierung vorgenommen.
                                                                            Das Tagebuch unterscheidet sich nicht nur zeitlich, son-
Weitere zwei Wochen dienen der Vor- und Nachbereitungs-                     dern auch textlich sehr stark von den bisher betrachteten
zeit von Seminarinhalten. Geplant ist nun die weitere Be-                   Tagebüchern, da es von einem Erwachsenen verfasst wur-
schäftigung mit neuen Tagebuchauszügen und einigen an-                      de. Hermann Franck beginnt mit dem Schreiben des Tage-
liegenden historischen Materialen. Das Besondere in der                     buchs nur wenige Tage nach dem Tod seiner Frau, Hugos
kommenden Sitzung wird sein, dass zum einen ein vermit-                     Mutter. Das Besondere ist, dass er nicht vornehmlich über
teltes Tagebuch im Tagebuch als Quelle vorliegt, da ein Va-                 sich selbst schreibt, sondern vor allem über seinen Sohn
ter (Hermann Franck) sehr ausführlich Tagebuch über sei-                    Hugo, zumeist in direkter Ansprache an ihn. Das Tagebuch
nen Sohn (Hugo Franck) führt, der im Tagebuch in teilweise                  ist als Erziehungstagebuch sowie als Mitteilung an Hugo
wörtlicher Rede repräsentiert ist. Zum anderen werden zwei                  angelegt. Neben der Rechtfertigung seiner Erziehungswei-
Sekundärliteraturtexte besprochen, die eine bildungshisto-                  sen ist dem Vater wichtig, die Sichtweisen seines Sohnes auf

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die Geschehnisse der Tage und seiner Erziehung festzuhal-                   Arbeitsschritt 10: Reflexion von
ten. Er dokumentiert die Äußerungen von Hugo so detail-                     Kindertagebüchern und ihre
liert wie möglich. Auf diese Weise ergeben sich an einigen
Stellen des Tagebuchs auch Passagen in rekonstruktiver
                                                                            bildungshistorische Beforschung mit Hilfe
Dialogform. Im Seminar wird daher noch einmal eingehend                     von Philippe Lejeune (Videochat/Präsenz)
über die Theoretisierung von ‚Kinderperspektiven‘ gespro-
chen, auch wird die historische Beziehung zwischen Vater                    Nach zwei Wochen treffen sich die Teilnehmenden des
und Sohn thematisiert, die auch deshalb für viele spannend                  Seminars wieder im Plenum. Die Studierenden haben das
ist, weil das Leben der beiden Personen tragisch endet. Hugo                Portfolio weiterbearbeitet und die Tagebücher sowie die
stirbt unter ungeklärten Umständen im Alter von 15 Jahren                   Materialien vorbereitet. Ziel der fünften und letzten ge-
in einem Hotelbett, sein Vater nimmt sich zu gleicher Zeit                  meinsamen Sitzung ist eine Reflexion der Seminararbeit
das Leben. Um die Faszination an den dramatischen und zu                    über die Vorlesungszeit, sowohl in Bezug auf die Kinderta-
Spekulation einladenden Ereignissen wissenschaftlich ein-                   gebücher als auch deren bildungshistorische Beforschung.
zubetten, werden im Seminar auch ausführlich die Sekun-                     In dieser Hinsicht sollen zusammenfassende, ordnende
därliteraturquellen (Hentig 1997; Becchi 2014) besprochen.                  und systematisierende Gespräche stattfinden. Die Sitzung
Diese sollen als nachvollziehbare Beispiele zur bildungshis-                zielt damit auf die Entwicklung und die Zusammenfassung
torischen Bearbeitung von Tagebüchern dienen.                               von Ergebnissen.

                                                                            Vorgehen
Arbeitsschritt 9: Lejeune (Selbststudium)
                                                                            1. Das Plenum spricht zunächst über die Texte von Philip-
Mit diesem Arbeitsschritt beginnt die letzte Phase im                          pe Lejeune. Neue Informationen werden eingeordnet
Selbststudium. Sie ist bereits auf die Reflexion des bisher                    und kontextualisiert, bereits Bekanntes wird in Bezug
Gelernten, Gesehenen und Erarbeiteten angelegt. Für die                        auf die bisherigen Seminarmaterialien diskutiert.
Studierenden ist es die Aufgabe, sich mit zwei Texten von                   2. Dann werden gemeinsam – in Form einer Liste – die Po-
Philippe Lejeune, einem französischen Historiker, der sehr                     tentiale von Kindertagebüchern für ein erziehungswis-
intensiv zu Tagebüchern forscht, zu beschäftigen. Lejeune                      senschaftliches Studium überlegt und formuliert. Dabei
reflektiert in diesen Texten seine analytische Arbeit an                       werden auch Bezüge zu kindheitsgeschichtlichen Frage-
Mädchentagebüchern aus dem 19. Jahrhundert. Zudem dis-                         stilen und Forschungshorizonten aufgenommen.
kutiert er verschiedene Problemzusammenhänge in Bezug                       3. Zuletzt steht die Vielfalt der historischen Zugänge und
auf die Erforschung von Tagebüchern im Allgemeinen. Die                        Arbeitsweisen im Mittelpunkt der Betrachtungen. Auch
Studierenden bereiten folgende Texte vor:                                      hier erfolgt eine gemeinsame, und in eine schriftliche
                                                                               Ordnung gebrachte, Reflexion.
Sekundärliteratur 4: Lejeune, Philippe (2015): Datierte
  Spuren in Serie. In: Steuwer, Janosch/Graf, Rüdiger (2015)
  (Hrsg.): Selbstreflexionen und Weltdeutungen. Tage-
  bücher in der Geschichte und der Geschichtsschreibung
  des 20. Jahrhunderts. Göttingen: Wallstein, S. 37–46.
Sekundärliteratur 5: Lejeune, Philippe (2014): Mädchen-
  tagebücher aus dem 19. Jahrhundert. In: „Liebes Tage-
  buch“ Zur Theorie und Praxis des Journals (Herausge-
  geben von Lutz Hagstedt), S. 161–193.

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3. Reflexion
Der Lehrbaustein lässt sich in vielerlei Hinsicht adaptieren,               Didaktische Überlegungen
erweitern oder umgestalten. Nicht nur die Personengrup-
pe oder der Bezugshorizont kann anders gewählt werden,                      Die Tagebücher regen ebenso dazu an, die eigenen poli-
sondern es bieten sich auch zu erweiternde thematische                      tisch-normativen Reflexe und pädagogischen Einstellun-
Fokussierungen an. Es wäre z. B. denkbar, sich nicht mit                    gen zu beobachten. Gerade aufgrund der didaktischen
Kindertagebüchern, sondern mit Jugend-, Frauen oder Sol-                    Eigenheiten der Quelle ,Tagebuch‘, ist im Allgemeinen eine
dat*innentagebüchern zu beschäftigen. Ebenfalls könnten                     stärkere Emotionalisierung der Lesenden zu erwarten, u. a.
Tagebücher aus explizit pädagogischen Zusammenhän-                          weil private Inhalte geteilt werden, aber auch weil histo-
gen, wie z. B. Berufs-, Ausbildungs- oder Schultagebücher                   rische Individuen mit eigenen sozialen Horizonten und
betrachtet werden. Daneben kann (fast) jedes Thema, das                     Kontexte sprechen, die oftmals stark wertende Setzungen
von pädagogischem Interesse ist, entlang von Tagebüchern                    vornehmen. In dieser Weise fordern die Tagebücher die ei-
Bearbeitung finden. Hier wäre z. B. eine nähere Auseinan-                   genen Positionierungen heraus. Auch daran lassen sich so-
dersetzung mit Lebensphänomenen wie Freundschaft,                           ziale Differenzverhältnisse besprechen und wissenschaft-
Krankheit, Tod, Schule oder Unterricht denkbar. Auch eine                   lich bearbeiten. So kann bemerkt werden, dass Studierende
intensivierte Beschäftigung mit einer spezifischen Katego-                  im Kontakt mit Tagebüchern des Öfteren dazu tendieren,
rie sozialer Differenz ist möglich: Z. B. können Geschlech-                 die Tagebücher entweder nach Unterhaltungswert zu beur-
ter- oder Klassenverhältnisse sowie unterschiedliche religi-                teilen und/oder die Tagebuchinhalte bzw. die schreibenden
öse Überzeugungen und Praktiken an den Quellen studiert                     Personen stark affektiv zu besetzen. In beiden Fällen ist es
werden. Ferner wäre es möglich, stärker auf Gefühls- oder                   wichtig, Übersetzungs- und Transferhilfen anzubieten, die
Identitätsbildungsprozesse abzuheben oder Generations-                      die Besetzungen reflektieren, aufnehmen oder abweisen.
und Familienbeziehungen zu thematisieren. Da das Semi-                      Zum Beispiel können die Interessen der Studierenden über
narkonzept viel Wert auf eine intensive empirische und                      eine Fokussierung auf spezifische Inhalte gelenkt werden,
forschungsreflexive Arbeit am Material legt, können die                     auch sind konkrete Lese- und Bearbeitungsaufgaben pro-
Inhalte der Kindertagebücher stets im Zusammenhang mit                      duktiv und zielführend. Die angesprochenen Tendenzen
dem Status der Bearbeitung und Veröffentlichung disku-                      schwinden auch, wenn gemeinsam bildungshistorische
tiert werden. Auf diese Weise könnten auch Objektbiogra-                    Fragestellungen entwickelt oder wenn die Methoden und
fien rekonstruiert und nachverfolgt sowie Artefakt- bzw.                    Gütekriterien qualitativer Forschung besprochen werden.
Materialanalysen vorgenommen werden. Auch wenn das                          Diese Vorschläge können helfen, einen analytischen Ab-
Originaltagebuch ggf. nur als Foto oder digital zur Verfü-                  stand zum Material zu entwickeln. In dieser Hinsicht sind
gung stehen sollte, sind Annäherungen an diesen Komplex                     auch Überlegungen nützlich, die für qualitative Forschung
möglich. Ebenfalls können ethische Frage diskutiert wer-                    im Allgemeinen formuliert wurden (Flick et al. 2015). Nicht
den: Wie z. B. verhält es sich in Bezug auf die Autor*innen-                zuletzt ist häufig zu beobachten, dass Studierende ver-
rechte der Tagebuchschreibenden? Wie setzt man sich als                     suchen, direkte Bezüge zwischen den Inhalten der Tage-
Forschende zu rassistischen, antisemitischen, sexistischen                  bücher und aktuellen pädagogischen Arbeitszusammen-
oder klassistischen Gehalten in Beziehung?                                  hängen herzustellen. In diesem Zuge wird des Öfteren der
                                                                            Wunsch geäußert, im Seminar aktuellere Tagebücher zu
                                                                            behandeln. Diesbezüglich besteht zum einen die Möglich-
                                                                            keit, gemeinsam die Potentiale von historischer Distanz
                                                                            und Fremdheitserfahrungen für das Denken von pädago-
                                                                            gischer Gegenwart und Zukunft zu überlegen (Kliebard
                                                                            2004). Zum anderen können die Impulse jedoch auch für
                                                                            eine nähere Erkundung der forscherischen und pädago-
                                                                            gisch-praktischen Zusammenhänge genutzt werden, in
                                                                            denen Tagebücher aktuell Verwendung und Einsatz finden
                                                                            (Wilz/Brähler 1997; Alaszewski 2006; Eigner/Hämmerle/
                                                                            Müller 2006; Kunz 2015).

Wehren, Sylvia (2022): Historische Kindertagebücher. Empirische Zugänge und Potentiale der Erforschung . In: Plattform für           13
Forschungs- und Fallorientiertes Lernen | Methodenforum. DOI: 10.18442/pforle-m-3
4. Literatur
Im Seminar verwendete Literatur                                             Baader, Meike Sophia (2007): Von der romantischen Anth-
                                                                               ropologie des Kindes zu einer modernen pädagogischen
Kindertagebücher                                                               Anthropologie und einer zeitgemäßen Sicht des Kin-
                                                                               des. In: Andresen, Sabine/Pinhard, Inga/Weyers, Stefan
Bechthold, Gretel (1997): Ein Deutsches Kindertagebuch in                      (Hrsg.): Erziehung – Ethik – Erinnerung. Pädagogische
   Bildern. 1933–1945. Freiburg i. Br.: Kore.                                  Aufklärung als intellektuelle Herausforderung. Micha
Eckel, Walter (2009): Ich habe alles aufgeschrieben! Ein                       Brumlik zum 60. Geburtstag, Weinheim und Basel:
   Kindertagebuch aus dem Krieg. Norderstedt: Books on                         Beltz, S. 76–89.
   Demand.                                                                  Baader, Meike Sophia (2015): Vulnerable Kinder in der
Franck, Hermann (1997): „Wenn Du dies liest …“ Tagebuch                        Moderne in erziehungs- und emotionsgeschichtlicher
   für Hugo. Mit einer Einführung von Hartmut von Hen-                         Perspektive. In: Andresen Sabine/Koch Claus/König Ju-
   tig. Hrsg. von Andreas Feuchte. München: Deutscher Ta-                      lia (Hrsg.): Vulnerable Kinder. Wiesbaden: Springer VS,
   schenbuch Verlag.                                                           S. 79–101.
Nin, Anaïs (1995): Das Kindertagebuch (1914–1919). Mit                      Baader, Meike Sophia/Eßer, Florian/Schröer, Wolfgang
   einem Vorwort von Joaquín Nin-Culmell. Aus dem Fran-                        (2014): Kindheiten in der Moderne. Eine Geschichte der
   zösischen von Irène Kuhn. Frankfurt am Main: Fischer                        Sorge. Frankfurt am Main: Campus.
   Taschenbuch.                                                             Baader, Meike Sophie (2018): Kinder als Akteure oder wie
Teufel, Aini (2011): Ich und die Stadt. Kindertagebuch 1944–                   ist das Kind als Subjekt zu denken? Historische Kontex-
   45. Dresden: Thelem.                                                        te, relationale Verhältnisse, pädagogische Traditionen,
                                                                               neue Perspektiven. In: Bloch/Bianca/Cloos, Peter/Koch,
Sekundärlliteratur                                                             Sandra/Schulz, Marc/Schmidt/Wilfried (Hrsg.): Kinder
                                                                               und Kindheiten. Frühpädagogische Perspektiven. Wein-
Alanen, Leena (2005): Kindheit als generationales Konzept.                     heim und Basel: Beltz Juventa, S. 22–39.
   In: Hengst, Heinz/Zeiher, Helga (Hrsg.): Kindheit sozio-                 Baader, Meike Sophie (2021): Kindheit. In: Kluchert, Ger-
   logisch, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenchaften,                         hard/Horn, Klaus-Peter/Groppe, Carola/Caruso, Marcelo
   S. 65–82.                                                                   (Hrsg.): Historische Bildungsforschung. Konzepte – Me-
Alaszewski, Andy (2006). Using Diaries for Social Research.                    thoden – Forschungsfelder. Wien und Köln und Weimar:
   Thousand Oaks: Sage.                                                        Böhlau, S. 149–160.
Andresen, Sabine (2004): Kindheit als Dispositiv. In: Pong-                 Bauer, Franz J. (2004): Das lange 19. Jahrhundert. Profil ei-
   ratz, Ludwig/Wimmer, Michael/Nieke, Wolfgang/Mas-                           ner Epoche. Stuttgart: Reclam.
   schelein, Jan (Hrsg.): Nach Foucault. Wiesbaden: Verlag                  Becchi, Egle (2014): Ein Vater, ein Kind, zwei Egodokumen-
   für Sozialwissenschaften.                                                   te. In: Ketelhut, Klemens (Hrsg.): Erziehungsgeschich-
Andresen, Sabine/Baader, Meike Sophia (1998): Wege aus                         te/n. Kindheiten – Selbstzeugnisse – Reflexionen. Köln/
   dem Jahrhundert des Kindes. Tradition und Utopie bei                        Weimar/Wien: Böhlau, S. 119–137.
   Ellen Key. Neuwied/Kriftel: Luchterhand.                                 Boerner, Peter (1969): Tagebuch. Stuttgart: J. B. Metzleri-
Ariès, Philippe (1975): Geschichte der Kindheit. München:                      sche Verlagsbuchhandlung.
   Hanser.                                                                  Bollig, Sabine/Kelle, Helga (2014): Kinder als Akteure oder
Baader, Meike Sophia (1996): Die romantische Idee des Kin-                     Partizipanden von Praktiken. In: Zeitschrift für Soziolo-
   des und der Kindheit. Auf der Suche nach der verlorenen                     gie der Erziehung und Sozialisation 34., H. 3, S. 263–279.
   Unschuld (Geschichte der Pädagogik). Neuwied/Kriftel/                    Ehrenspeck, Yvonne/Schäffer, Burkhard (2003) (Hrsg.):
   Berlin: Luchterhand.                                                        Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswissenschaft.
Baader, Meike Sophia (2004): Der romantische Kindheits-                        Ein Handbuch. Opladen: Leske + Budrich.
   mythos und seine Kontinuitäten in der Pädagogik und in                   Eigner, Peter/Hämmerle, Christa/Müller, Günter (Hrsg.)
   der Kindheitsforschung. In: Zeitschrift für Erziehungs-                     (2006): Briefe – Tagebücher – Autobiographien. Studien
   wissenschaft 7, H. 3, S. 416–430.                                           und Quellen für den Unterricht. Innsbruck/Wien/Bozen:
                                                                               StudienVerlag.

Wehren, Sylvia (2022): Historische Kindertagebücher. Empirische Zugänge und Potentiale der Erforschung . In: Plattform für            14
Forschungs- und Fallorientiertes Lernen | Methodenforum. DOI: 10.18442/pforle-m-3
Eßer, Florian (2013): Das Kind als Hybrid. Empirische Kin-                  Kunz, Alexa Maria (2015): Log- und Tagebücher als Er-
   derforschung (1896–1914), Weinheim und Basel: Beltz                         hebungsmethode in ethnographischen Forschungs-
   Juventa.                                                                    designs. In: Hitzler, Ronald/Gothe, Miriam (Hrsg.):
Eßer, Florian (2014): Agency Revisited. Relationale Pers-                      Ethnographische Erkundungen. Methodische Aspekte
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   Kindern. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und                   S. 141–163.
   Sozialisation 34. Jg., H. 3, S. 233–246.                                 Landwehr, Achim (2008): Historische Diskursanalyse.
Fass, Paula S. (Hrsg.) (2012): The Routledge History of                        Frankfurt und New York: Campus Verlag.
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Flick, Uwe/Kardoff Ernst v./Steinke, Ines (Hrsg.) (2015):                      und Praxis des Journals, München.
   Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbeck bei                        Lejeune, Philippe (2015) Datierte Spuren in Serie. Tagebü-
   Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.                                        cher und ihre Autoren. In: Steuwer, Janosch/Graf, Rüdi-
Hardach-Pinke/Irene/Hardach, Gerd (1981): Kinderalltag:                        ger (Hrsg.): Selbstreflexionen und Weltdeutungen. Tage-
   deutsche Kindheiten in Selbstzeugnissen 1700–1900.                          bücher in der Geschichte und der Geschichtsschreibung
   Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.                                               des 20. Jahrhunderts. Göttingen: Wallstein, S. 37–46.
Hartnack, Florian (2019) (Hrsg.): Qualitative Forschung mit                 Lueger, Manfred/Froschauer, Ulrike (2017): Artefaktanaly-
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   Wiesbaden: Springer VS.                                                  Marotzki, Winfried/Niesyto, Horst (2006) (Hrsg.): Bild-
Heinzel, Friederike (2012) (Hrsg.): Methoden der Kind-                         interpretation und Bildverstehen. Methodische Ansätze
   heitsforschung: ein Überblick über Forschungszugänge                        aus sozialwissenschaftlicher, kunst- und medienpäda-
   zur kindlichen Perspektive. Weinheim und Basel: Beltz                       gogischer Perspektive. Wiesbaden: VS Verlag für Sozial-
   Juventa.                                                                    wissenschaften.
Hengst, Heinz/Kelle, Helga (2003) (Hrsg.): Kinder – Kör-                    Mollenhauer, Klaus (1997): Methoden erziehungswissen-
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   rungen an kulturelle Praxis nd sozialen Wandel. Wein-                       bara/Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch Qualitative
   heim und München: Juventa.                                                  Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft.
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Honig, Michael-Sebastian (1991): Geschichte der Kind-                          in Pietismus und Aufklärung. Beiträge des Internationa-
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   heits- und Jugendforschung. Opladen: Leske + Budrich,                       Bd. 5). Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
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Hungerland, Beatrice/Kelle, Helga (2014): Kinder als Akteu-                    Bild: die seriell-ikonografische Fotoanalyse in den Er-
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   schwerpunkt. In: Zeitschrift für Soziologie der Erzie-                      Klinkhardt.
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King, Vera (2015): Kindliche Angewiesenheit und elterliche                     frühen Neuzeit. Der lange Weg der schriftlichen Selbst-
   Generativität. Subjekt- und kulturtheoretische Pers-                        vergewisserung. In: Eigner, Peter/Hämmerle, Christa/
   pektiven. In: Andresen, Sabine/Koch Claus/König Ju-                         Müller, Günter (Hrsg.): Briefe – Tagebücher – Autobio-
   lia (Hrsg.): Vulnerable Kinder. Wiesbaden: Springer VS                      graphien. Studien und Quellen für den Unterricht. Inns-
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                                                                               derts. Göttingen: Wallstein.
                                                                            Stollberg-Rillinger, Barbara (Hrsg.) (2010): Ideengeschich-
                                                                               te. Stuttgart: Franz Steiner Verlag.

Wehren, Sylvia (2022): Historische Kindertagebücher. Empirische Zugänge und Potentiale der Erforschung . In: Plattform für            15
Forschungs- und Fallorientiertes Lernen | Methodenforum. DOI: 10.18442/pforle-m-3
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