Hochschule für Ökonomie "Bruno Leuschner" Berlin

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Hochschule für Ökonomie "Bruno Leuschner" Berlin
1950               1991
       Hochschule für Ökonomie
       „Bruno Leuschner“ Berlin
  - Leistungen und Defizite in Lehre und Forschung -
    - Persönliche Erfahrungen und Erinnerungen -
- Herausforderungen an die Wirtschaftswissenschaften -

       Akademia Ekonomiczna
  im. Bruno Leuschner’a w Berlinie
       - Wyniki i deficyty w nauce i badaniach -
      - Osobiste doświadczenia i wspomnienia -
          - Wyzwania nauk ekonomicznych -
Redakcja naukowa (Wissenschaftliche Redaktion)
      PROF. DR. WALTER KUPFERSCHMIDT
      PROF. DR. GERNOT ZELLMER

Walter Kupferschmidt/Gernot Zellmer (Hrsg.):
1950 – 1991 Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner“ Berlin
- Leistungen und Defizite in Lehre und Forschung/Persönliche Erfahrungen und
Erinnerungen/Herausforderungen an die Wirtschaftswissenschaften –
Zweite erweiterte und überarbeitete Auflage
Zielona Góra: Wydawnictwo Zakładu Controllingu i Informatyki Ekonomicznej

ISBN 978-83-933068-3-1

© Wydawnictwo Zakładu Controllingu i Informatyki Ekonomicznej 2013

Skład komputerowy: mgr inż. Wiesław Wasilewski
Projekt okładki:   mgr inż. Wiesław Wasilewski
Druk i oprawa:     Zakład usług kserograficznych „Xerotronic” Zielona Góra
Printed in Poland

Fotos: Fröbus, Grieshammer, Ippen, Kümpfel, Manikowski, Ritter.
Die umstehende Titelseite wurde nach einem Entwurf von Thomas Günter Heering
gestaltet.
Diethelm Hunstock

         Finanzökonomische Lehre und Forschung
      zur Effektivität und Stabilität der Volkswirtschaft

                            Die Wissenschaft ist keine Angelegenheit des reinen
                            Denkens, sondern eines Denkens, das beständig in die
                            Praxis hineingetragen und durch die Praxis erneuert wird.
                                                             John Desmond Bernal

Inhalt
      Vorwort
1     Die Zusammenführung finanzökonomischer Potentiale der Hochschule für Plan-
      ökonomie und der Hochschule für Finanzwirtschaft in der HfÖ
2     Entwicklungsetappen der inhaltlichen Gestaltung der finanzökonomischen Lehre
      und Forschung an der Hochschule für Ökonomie
2.1   Finanzökonomische Lehre und Forschung an der Hochschule für Ökonomie in
      den 1950er Jahren
2.2   Finanzökonomische Arbeit an der Hochschule für Ökonomie bei dem in den
      1960er Jahren anvisierten Neuen Ökonomischen System (NÖS)
2.3   Beiträge der Finanzökonomie zum Lehrprofil der Sektion Volkswirtschaft der
      Hochschule für Ökonomie in den 1970er und 1980er Jahren
2.4   Beiträge der Finanzökonomie zur Effektivitätsforschung der Hochschule für Öko-
      nomie und die ersten Forschungsansätze zur finanziellen Wachstumssteuerung
3     Finanzökonomische Lehre nach 1989 am Institut Geld, Kredit und öffentliche
      Finanzen der HfÖ und die Abwicklung der Hochschule im Oktober 1991
4     Finanzökonomische Beiträge ehemaliger Mitarbeiter und Studenten der HfÖ zur
      Kommunalfinanzierung der neuen Bundesländer von 1991 - 1996
      Nachwort

Vorwort
In diesem Artikel wird vorrangig die finanzwissenschaftliche Arbeit der HfÖ von
1960 - 1991 dargestellt: In den 1960er Jahren hat die Verlaufsgeschichte des in
diesem Zeitraum anvisierten Neuen ökonomischen Systems der DDR die Ziele
und Probleme der finanzwissenschaftlichen Arbeit an der HfÖ bestimmt
    Für die 1970er und 1980er Jahre wird beschrieben, welcher Synchronisati-
onsgewinn durch die Integration des finanzwissenschaftlichen Wissenschafts-
potentials in die Sektion Volkswirtschaft erreicht werden konnte. In der Sektion
Volkswirtschaft wurde die finanzwissenschaftliche Arbeit mit der Lehre und For-
schung zur Wachstumsplanung verbunden. Simulationsmodelle wurden ge-
nutzt, um den Studenten die Widersprüche und Konflikte von Wachstum und
4

Währungsstabilität bewusst zu machen und Lösungsvarianten zu bewerten. Die
dazu entwickelten rechnergestützten Modelle waren zugleich auch Gegenstand
der internationalen Wissenschaftskooperation.
    Die finanzwissenschaftliche Forschungsarbeit war in den 1980er Jahren auf
die Problematik des Effektivitätswachstums konzentriert und machte in zuneh-
mendem Maße sichtbar, dass mit einem administrativen planwirtschaftlichen
Wirtschaftssystem eine effektive Nutzung der begrenzten Ressourcen nicht
möglich ist. 1989/1990 wurden erste Denkansätze für eine effektivere Nutzung
der Wertkategorien zur Wachstumssteuerung erarbeitet und spezielle Vorle-
sungen zu den monetären und fiskalischen Erfordernissen einer finanziellen
Wachstumssteuerung und Gleichgewichtssicherung gehalten.

1    Die Zusammenführung finanzökonomischer Potentiale der
     Hochschule für Planökonomie und der Hochschule für Fi-
     nanzwirtschaft in der HfÖ
Die Hochschule für Planökonomie wurde im Jahre 1950 unter dem Rektorat von
Prof. Eva Altmann gegründet. Das Ziel dieser Hochschulgründung war es,
Hochschulabsolventen heranzubilden, die die Wirtschaftswissenschaften in
größere soziale Zusammenhänge einordnen können, sich für den gesellschaft-
lichen Fortschritt engagieren und über solide wirtschaftswissenschaftliche
Kenntnisse verfügen. Zugleich sollte ein Forschungszentrum geschaffen wer-
den, das Lösungsansätze für den wirtschaftlichen Aufbau und die Leitung und
Planung der Volkswirtschaft unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen erar-
beitet.
    Mit der Gründung der Hochschule für Ökonomie als Hochschule für Plan-
ökonomie im Jahre 1950 begann auch ihre finanzökonomische Lehre und For-
schung. Als spezielle wissenschaftliche Einrichtung für die Wahrnehmung die-
ser Aufgabe wurde 1950 an der Hochschule das Institut für Finanzplanung ge-
schaffen, das 1953 zum Institut für Ökonomik der Finanzen und Kredit weiter-
entwickelt wurde. An diesem Institut haben Eberhard Seifert, K. Hercher und
andere Mitarbeiter des Bereiches wichtige Grundlagen für den Aufbau der fi-
nanzökonomischen Lehre und Forschung an der Hochschule geschaffen.
     Der finanzökonomische Lehr- und Forschungsansatz des Instituts für Fi-
nanzplanung und für die Ökonomik der Finanzen und des Kredits wurde aus
der Politischen Ökonomie abgeleitet und war eng mit den Lehr- und For-
schungsprofilen der an der Hochschule für Planökonomie gebildeten Institute
für Volkswirtschaftsplanung und Betriebslehre verknüpft. Die finanzökonomi-
sche Lehre und Forschung wurde somit schon in den Gründungsjahren der
Hochschule als komplexe sowohl volkswirtschaftlich als auch betriebswirtschaft-
lich orientierte Finanzwissenschaft betrieben. Im Vordergrund der Lehre und
Forschung standen der Beitrag der Finanzökonomie zum Aufbau des volkswirt-
schaftlichen Planungssystems, die Herausarbeitung der Grundzüge der betrieb-
lichen Finanzplanung sowie die Nutzung des Rechnungswesens im System der
wirtschaftlichen Rechnungsführung. Das zahlenmäßig begrenzte wissenschaft-
liche Potential des Instituts für Finanzplanung ermöglichte es jedoch nicht, sich
in Lehre und Forschung mit der spezifischen Aufgabenstellung der einzelnen
5

Finanzorgane zu befassen und in breitem Umfange Finanzwirtschaftler für die
Betriebe und Nachwuchskräfte für die Finanzorgane auszubilden. Die Ausbil-
dung von Finanzwirtschaftlern für die Finanzorgane gehörte nicht zu den spezi-
fischen Aufgaben der Hochschule für Planökonomie.
    Diese Aufgabe wurde von der 1953 unter dem Rektorat von Werner Kalweit
gegründeten Hochschule für Finanzwirtschaft wahrgenommen. Aufgabe dieser
Hochschule war es, gesellschaftlich gebildete und engagierte Wirtschaftsfach-
leute mit umfassenden Kenntnissen auf allen Gebieten der Finanzwirtschaft
auszubilden. Zugleich sollte sich die Hochschule zu einem Zentrum der finanz-
wirtschaftlichen Forschung entwickeln.
    Für die Ausbildung von Finanzökonomen stand an der Hochschule für Fi-
nanzwirtschaft mit Alfred Lemmnitz, Helmut Koziolek und Herbert Wolf ein star-
kes Potential von Politökonomen und mit Werner Kalweit, Ernst Kupfernagel,
Erhart Knauthe, Heinz Joswig und Heinz Bader ein leistungsfähiger Stamm
volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich profilierter Finanzökonomen zur
Verfügung.
     An der Hochschule für Finanzwirtschaft arbeiteten vier finanzwirtschaftliche
Institute mit folgenden Lehr- und Forschungsprofilen:
Das Institut für Staatshaushalt mit den volkswirtschaftlich orientierten Lehr- und
Forschungsgebieten:
    -   Haushaltsplanung und Finanzbilanzierung,
    -   Haushaltseinnahmen- und Haushaltsausgabenpolitik,
    -   Örtliche Haushaltswirtschaft,
    -   Finanzrevision.
Das Institut für Geldzirkulation und Kredit mit den volkswirtschaftlich orientierten
Lehr- und Forschungsgebieten:
    - Grundsätze der Kredit- und Zinspolitik,
    - Planung des Geldumlaufs und Bilanzierung des Kreditvolumens,
    - Valutaökonomie und Devisenwirtschaft.
Das Institut für Finanzen der Wirtschaft mit den betriebswirtschaftlich orientier-
ten Lehr- und Forschungsgebieten:
    - Finanzplanung und wirtschaftliche Rechnungsführung,
    - Kostentheorie und Kostenplanung,
    - Nutzeffektsrechnung in der Grund- und Umlaufmittelsphäre.
Das Institut für Versicherungswesen mit folgenden sozialökonomisch und versi-
cherungs-mathematischen Lehr und Forschungsgebieten:
    - Gesetzliche Renten- und Krankenversicherung,
    - Risikoversicherungen für Feuer, Einbruch- Diebstahl, Unfall etc.
    - Versicherungsmathematik (später auch Finanz- und Wirtschaftsmathe-
      matik).
An diesen vier Instituten studierten von 1953 - 1956 etwa 500 Direktstudenten
und 800 Fernstudenten. Ausgebildet wurde für die zentralen und örtlichen
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Haushaltsorgane, für die Bank- und Versicherungsinstitutionen und für die Fi-
nanzbereiche in der Wirtschaft. Die hohe Zahl von Fernstudenten resultierte
daraus, dass in diesen Jahren ein besonders starker Nachholbedarf bei der
Ausbildung wissenschaftlich qualifizierter Führungskräfte in den Finanzberei-
chen der Wirtschaft und in den Finanz-, Bank- und Versicherungsorganen be-
stand und demzufolge dem zweiten Bildungsweg besonders große Bedeutung
zukam.
     Mit dem Ziel einer weiteren Steigerung der Effektivität von Lehre und For-
schung und der Konzentration des wissenschaftlichen Potentials erfolgte im
Jahre 1956 die Zusammenführung der Hochschule für Planökonomie und der
Hochschule für Finanzwirtschaft zur Hochschule für Ökonomie. Prof. Dr. Alfred
Lemmnitz wurde 1956 zum Rektor der Hochschule für Ökonomie berufen. Die
Hochschule für Ökonomie übernahm die Studenten der Hochschule für Finanz-
wirtschaft und aus dem Mitarbeiterstamm der beiden Hochschulen wurde eine
Finanzökonomische Fakultät mit den fünf Instituten für Staatshaushalt, Geld
und Kredit, Finanzen der Wirtschaftszweige, Versicherungen und Rechnungs-
wesen geschaffen. Das sowohl volkswirtschaftliche wie auch betriebswirtschaft-
liche Ausbildungsprofil der Finanzökonomen blieb somit erhalten. Für die Aus-
bildung an diesen Instituten wurden von 1956 an jährlich etwa 100 Direkt-
studenten und 100 Fernstudenten immatrikuliert. Dekane der Finanzökonomi-
schen Fakultät der Hochschule für Ökonomie waren in den Jahren von
1956 bis 1969 die Professoren H. Bader, F. John, W. Kalweit, E. Knauthe,
E. Kupfernagel und E. Seifert.
     Zur personellen Stärkung des Mitarbeiterstammes hat die Finanzökonomi-
sche Fakultät in den 1960er Jahren zielstrebig leitungserfahrene Praktiker aus
dem Finanz- und Bankensystem gewonnen und als Hochschullehrer berufen.
Umgekehrt wurden wissenschaftserfahrene Finanzwirtschaftler, wie zum Bei-
spiel F. John, W. Siegert, und H. Steeger, aus der Hochschule für Ökonomie in
die Finanz-, Bank- und Forschungsorgane der Praxis delegiert und haben hier
Leitungsaufgaben als stellvertretende Minister, Direktoriumsmitglieder der
Bankorgane, Direktoren des Ökonomischen Forschungsinstituts der Plankom-
mission und des Finanzökonomischen Forschungsinstituts übernommen. Zahl-
reiche Führungskräfte der Finanz- und Bankorgane - zum Beispiel W. Stoll,
W. Polze, H. Keller - haben ihre akademischen Grade an der Finanzökonomi-
schen Fakultät der Hochschule für Ökonomie erworben. All dies diente der Her-
stellung enger wissenschaftlicher Kooperationsbeziehungen zwischen Theorie
und Praxis, die sich in zahlreichen gemeinsamen Publikationen und wissen-
schaftlichen Konferenzen widerspiegelte.
    Zugleich entwickelte sich eine enge Kooperation mit Wissenschaftlern aus
der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern. Besonders eng wa-
ren die wissenschaftlichen Kontakte mit dem Moskauer Finanzinstitut, mit Fi-
nanzwissenschaftlern der Hochschulen für Ökonomie in Prag und Warschau
und mit den Universitäten in Budapest und Sofia.
    Engagierte Arbeit haben Finanzökonomen der Hochschule für Ökonomie in
den Entwicklungsländern geleistet. Aufgrund seiner jahrzehntelangen internati-
onalen Erfahrungen in den Entwicklungsländern wurde in den 1960er Jahren
Heinz Joswig mit der Gründung des Instituts für Ökonomik der Entwicklungs-
7

länder an der Hochschule für Ökonomie betraut. Für seine wissenschaftlichen
Leistungen auf dem Gebiet der Ökonomik der Entwicklungsländer wurde Heinz
Joswig die Ehrendoktorwürde der Leipziger Universität zuerkannt. E. Knauthe
und H. Linsel von der Finanzökonomischen Fakultät der Hochschule gehörten
gemeinsam mit M. Engert, K. Sack und G. Grothe in den 1960/70er Jahren zur
Gruppe der ersten Professoren der Hochschule, die im Rahmen eines zweijäh-
rigen Einsatzes Lehr- und Forschungsarbeit am Nationalen Institut für Planung
in Kairo geleistet haben. Wichtig für den eigenen Erkenntniszuwachs, für die
wissenschaftliche Kooperation und für die internationale Ausstrahlung der an
der Hochschule für Ökonomie geleisteten finanzökonomischen Arbeit war auch,
dass H. Joswig und E. Knauthe schon in den 1960er Jahren ständige Mitglieder
des International Institute of Public Finance wurden.
    Einen tiefen Einschnitt gab es 1969/1970 hinsichtlich der finanzökonomi-
schen Lehre und Forschung an der Hochschule für Ökonomie. Im Prozess der
vom Hochschulministerium angestrebten Spezialisierung der Hochschuleinrich-
tungen wurde die Ausbildung von Finanzwirtschaftlern für die Finanz-, Bank-
und Versicherungsorgane von der Hochschule für Ökonomie an die Humboldt-
Universität übergeleitet. Ob eine solche dirigistische Lenkung von Studienbe-
werbern sehr effektiv ist, bleibt fraglich. Ein Wettbewerb zwischen den akade-
mischen Einrichtungen um die Gewinnung von Studienbewerbern wäre für die
Entwicklung des Leistungsniveaus an den Universitäten und Hochschulen
wahrscheinlich nützlicher gewesen.
    Für die weitere Entwicklung des wissenschaftlichen Profils der Hochschule
für Ökonomie hatte die verordnete Lenkung und Kontingentierung der Studien-
bewerber Konsequenzen. Nach 1970 gab es an der Hochschule für Ökonomie
keine selbständige finanzwirtschaftliche Fakultät mehr und Studenten für die
zentralen Finanz-, Bank- und Versicherungsorgane wurden an der HfÖ nicht
mehr ausgebildet. Das bewirkte auch eine weitreichende Umgruppierung der
wissenschaftlichen Potentiale:
   - Etwa 50 % der an der Hochschule für Ökonomie arbeitenden Professo-
     ren und Dozenten für Finanzwirtschaft wurden an die Wirtschaftswissen-
     schaftliche Fakultät der Humboldt-Universität berufen. Dies verursachte
     eine empfindliche Lücke im Finanzökonomischen Lehr- und Forschungs-
     profil der Hochschule. Wie jedoch die gemeinsamen Buchpublikationen
     der Humboldt-Universität und der Hochschule für Ökonomie nach 1970
     zeigen, blieben die engen wissenschaftlichen Beziehungen zwischen
     den durch jahrzehntelange Zusammenarbeit verbundenen Finanzwis-
     senschaftlern erhalten.
   - Weitere 25 % der an der Hochschule für Ökonomie arbeitenden Profes-
     soren und Dozenten für Finanzwirtschaft wurden mit dem Aufbau einer
     an der Hochschule für Ökonomie neugegründeten Sektion Betriebswirt-
     schaft betraut. Sie leisteten hier zusammen mit Lehrkräften aus den
     Fachdisziplinen für Technologie und Rechnungsführung und Statistik ei-
     nen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung der neu entstandenen Sektion
     Betriebswirtschaft.
   - Ebenfalls etwa 25 % der an der Hochschule für Ökonomie arbeitenden
     Professoren und Dozenten der Finanzwirtschaft wurden in die Sektion
8

      Volkswirtschaft der Hochschule integriert und haben hier zur Stärkung
      des wissenschaftlichen Potentials der Volkswirtschaftlichen Sektion der
      Hochschule für Ökonomie beigetragen. Sie waren konzentriert im Lehr-
      stuhl für Finanzen und im Lehrstuhl Bereiche und Zweige der Volkswirt-
      schaft.
    Die in allen Jahrzehnten der Hochschulentwicklung sowohl betriebswirt-
schaftlich als auch volkswirtschaftlich orientierte Grundstruktur der finanzwirt-
schaftlichen Lehre und Forschung blieb damit auch nach 1970 erhalten. Wie die
finanzwissenschaftliche Arbeit nach 1970 weitergeführt wurde, wird in späteren
Abschnitten dargestellt. Zunächst ist jedoch zu skizzieren, welches Profil die
finanzwissenschaftliche Arbeit in den 1950er Jahren hatte und welchen Beitrag
die Finanzwissenschaftler in den 1960er Jahren bei der anvisierten Gestaltung
des Neuen Ökonomischen Systems der DDR leisten konnten.

2    Entwicklungsetappen der inhaltlichen Gestaltung der
     finanzökonomischen Lehre und Forschung an der Hoch-
     schule für Ökonomie
2.1 Finanzökonomische Lehre und Forschung in den 1950er Jahren
Im ersten Nachkriegsjahrzehnt war aufgrund der Folgeerscheinungen der
Kriegswirtschaft auch von den Wirtschaftswissenschaftlern der DDR eine zent-
rale, administrativ gelenkte Ressourcenverteilung als einzig mögliche Variante
der Wirtschaftsleitung akzeptiert worden. Mitte der 1950er Jahre wurden jedoch
von führenden Wirtschaftswissenschaftlern der DDR, wie zum Beispiel von Fritz
Behrens, Arne Benary, Gunter Kohlmey und Herbert Wolf Auffassungen publi-
ziert, die entsprechend der erreichten wirtschaftlichen Entwicklung eine stärkere
Nutzung des Marktes für die Regulierung der Wirtschaft, die bessere Berück-
sichtigung von Angebot und Nachfrage bei der Preisbildung, eine unabhängige
Rolle der Staatsbank und die wirkungsvollere Steuerung der Wirtschaft durch
Kredit, Zins und Geldemission forderten. Die damit verbundenen Diskussionen
und Vorschläge, die mit Dogmen des zentralistischen Planungsmodells bra-
chen, wurden von der Partei- und Staatsführung als ein Versuch zur Schwä-
chung der Staatsmacht klassifiziert und als schädlich und revisionistisch zu-
rückgewiesen. Mit der scharfen Kritik der Parteiführung an diesen Auffassungen
und den dazu von der Partei bestellten Artikeln in den Fachzeitschriften wurden
den Wirtschaftswissenschaftlern deutlich die Grenzen des zugelassenen wis-
senschaftlichen Meinungsstreites gezeigt.1
    Diese der Wirtschaftswissenschaft gezogenen Grenzen haben die finanz-
ökonomische Lehre und Forschung auch an der Hochschule für Ökonomie bis
Anfang der 1960er Jahre weitgehend bestimmt. In Buch- und Pressepublikatio-
nen wurde die vermeintlich notwendige Unterordnung des Wertgesetzes durch
die Planung formuliert, einseitig das Primat der materiellen Planung betont und

1
    Vgl. Klaus Steinitz, Das Spannungsfeld von ökonomischer Forschung und Politik in
    der DDR und ein Vergleich mit der Bundesrepublik, In: G. Krause, Ch. Luft,
    K. Steinitz   (Hrsg.),   Wirtschaftstheorie  in  zwei    Gesellschaftssystemen
    Deutschlands, S. 33 – 62.
9

die These vom einheitlichen sozialistischen Finanzsystem akzeptiert, die darauf
hinauslief, die Staatsbank in das Korsett der Finanzpolitik einzubinden und fi-
nanzpolitische Interessen über geldpolitische Stabilitätserfordernisse zu stellen.
Für die Publikation anderer Auffassungen war in den volkswirtschaftlich orien-
tierten Finanzbereichen der Hochschule in dieser Zeit kein Spielraum gegeben,
obgleich es in diesen Wissenschaftsbereichen auch stärker marktwirtschaftlich
orientierte Denkansätze gab.
    Anders war die Publikationssituation in den betriebswirtschaftlich geprägten
Finanzbereichen der Finanzökonomischen Fakultät, da in diesen Bereichen
gesamtvolkswirtschaftliche Fragen kein Publikationsgegenstand waren. Hier
entstanden in den 1950er Jahren bedeutende Veröffentlichungen:
    - Der Finanzplan des volkseigenen Betriebes, Autor: E. Knauthe,
    - Die Einheit von materieller und finanzieller Planung, Autor: E. Knauthe,
    - Die Kostenplanung in sozialistischen Industriebetrieben, Autor: E. Ku-
      pfernagel,
    - Die Bewertung der Umlaufmittel, Autor: E. Kupfernagel,
    - Die Berechnung des Nutzeffektes von Investitionen, Autor: E. Knauthe.
    Zur Wertung dieser Publikationen ist an dieser Stelle eine Bemerkung zu
meinem eigenen beruflichen Werdegang notwendig. Von 1949 - 1960 habe ich
im Berliner Stadtkontor, der größten Ostberliner Geschäftsbank gearbeitet, hat-
te 1955 ein Fernstudium an der Hochschule für Ökonomie in der Fachrichtung
Finanzen aufgenommen und war in den 1950er Jahre in der Kreditabteilung der
Bank und als Bezirksbankdirektor in Berlin-Mitte tätig.
    Für die Wirtschaftspraktiker und Fernstuden-
ten waren die Publikationen der Hochschule für
Ökonomie von großem Wert. Sie halfen nicht nur
im Studium, sondern waren für meine Kollegen
und mich auch eine große Hilfe im Kreditgeschäft.
Wir hatten als größte Ostberliner Bezirksbank
zahlreiche Kreditkunden aus dem volkseigenen,
halbstaatlichen und privaten Geschäftssektor. Die
Entscheidung über Kreditanträge erforderte die
Fähigkeit zur Analyse der Kosten und des Um-
schlags der Umlaufmittel, die Berechnung des
Nutzeffektes von Investitionen und die Analyse
der betrieblichen Finanzlage. Hier waren die ge-
nannten Publikationen eine große Hilfe. Sie wa-
ren praxisnah geschrieben und dadurch sehr
nützlich für unsere Arbeit.
     Aus der Sicht eines damaligen Fernstudenten
ist auch noch eine Bemerkung zu zwei politöko-
nomisch und volkswirtschaftlich orientierten Vor-
lesungsreihen der damaligen Zeit zu machen. Neben den 14-täglichen Fernstu-
denten-Konsultationen konnte ich im Frühjahrssemester 1957/1958 zwei Vorle-
sungsreihen besuchen, die mich sehr geprägt haben:
10

     - Die erste Vorlesungsreihe wurde vom damaligen Rektor der Hochschule
       für Ökonomie, Prof. Dr. Alfred Lemmnitz gehalten und hatte im Rahmen
       einer politökonomischen Vorlesungsreihe die Problematik von Geld und
       Währung in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung zum Inhalt.
       Schon die politökonomische Anlage der Vorlesung hat mich sehr beein-
       druckt. Sie hat mir die gesellschaftliche Wirkung ökonomischer Gesetze
       bewusst gemacht, mich an den Marxismus herangeführt und mich auch
       weltanschaulich sehr geprägt. Dazu hat beigetragen, dass der Lebens-
       weg von Alfred Lemmnitz durch einen eigenen jahrzehntelangen aufop-
       ferungsvollen Kampf gegen den Faschismus charakterisiert war und sein
       Engagement für den Marxismus durch sein eigenes Leben untermauert
       war.
       Seine inhaltlichen Positionen zur Rolle des Geldes in der Gesellschaft
       waren überzeugend. Obgleich seinerzeit die Probleme von Geld und
       Währung in der Sowjetunion und zum Teil auch in der DDR eher abwer-
       tend und in gewisser Weise als Muttermal des Kapitalismus behandelt
       wurden, ging diese Vorlesungsreihe davon aus, dass das Geld in jeder
       warenproduzierenden Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielt. Das
       Geld wurde für alle Reproduktionsphasen als notwendiges Instrument
       der Wirtschaftsführung charakterisiert.
           In der Produktionsphase dient es der Effektivitätsmessung und der
           Leistungsstimulierung.
           In der Zirkulationsphase zeigt es inwieweit gesellschaftliche notwen-
           dige Arbeit geleistet wurde.
           In der Distributionsphase dient es der sozialen Umverteilung von Na-
           tionaleinkommen, offenbart aber auch Widersprüche zwischen Effek-
           tivität und Verteilung und reflektiert die dadurch verursachte Geld-
           emission.
           In der Endverwendungsphase des Nationaleinkommens vermittelt es
           die Realisierung der Akkumulation und Konsumtion und widerspie-
           gelt die Effektivität der Reproduktion.
       Für die Sicherung von Effektivität, Proportionalität und Stabilität ist die
       Nutzung des Geldes in allen Reproduktionsphasen unentbehrlich. Mich
       hat diese Auffassung von dieser Rolle des Geldes in der sozialistischen
       Gesellschaft lebenslang geleitet und meinen eigenen späteren wissen-
       schaftlichen Werdegang maßgeblich mitbestimmt, obgleich ich in späte-
       ren Jahrzehnten auch in Widersprüche mit einigen geldtheoretischen
       Thesen von Lemmnitz geriet und beispielsweise seinen Auffassungen
       zum Goldgehalt der Währung und zur Negierung des Kreditgeldcharak-
       ters des Geldumlaufs nicht folgen konnte.
     - Eine zweite mich stark beeindruckende Vorlesungsreihe wurde durch
       den Direktor des Instituts für Geldzirkulation und Kredit der HfÖ,
       Prof. Dr. Heinz Joswig gehalten. Ich kannte Heinz Joswig schon seit
       1952 aus seiner damaligen Tätigkeit als Dozent an der Bankenfachschu-
       le in Radebeul. Schon damals hatte mich sein Lebenslauf sehr beein-
       druckt. Aus einer bürgerlichen Familie kommend, war er Anfang der
       1930er Jahre Filialleiter und Prokurist der Deutschen Bank in Südameri-
       ka gewesen, dann Offizier der Wehrmacht geworden, in sowjetischer
11

      Kriegsgefangenschaft dem Bund antifaschistischer Offiziere beigetreten
      und nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft in die damalige
      sowjetische Besatzungszone gekommen, um hier Bankfachleute auszu-
      bilden. In seiner Vorlesungsreihe zum Bankensystem setzte er sich
      überzeugend mit dem kapitalistischen Bankensystem auseinander, cha-
      rakterisierte die Möglichkeiten und Erfordernisse eines sozialistischen
      Kreditwesens und beeindruckte mit seinen soliden Sachkenntnissen
      ebenso wie mit seinen internationalen Erfahrungen und seinen Sprach-
      kenntnissen in Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch. Mit seiner
      fachlichen Kompetenz, Weltoffenheit, Toleranz und Kontaktstärke hat er
      Hunderte von deutschen und ausländischen Studenten und eine Vielzahl
      von Assistenten und Führungskräften des Bankwesens ausgebildet und
      als er am 26. März 2011 seinen 100. Geburtstag feiern konnte, gratulier-
      ten ihm zahlreiche der von ihm geformten Wissenschaftler und führen-
      den Wirtschaftspraktikern und dankten ihm für seinen Beitrag zu ihrem
      Lebensweg.
    Für mich hat Heinz Joswig 1960 einen entscheidenden neuen Lebensab-
schnitt eingeleitet. Er überzeugte mich nach Abschluss meines Fernstudiums
aus dem Bankwesen in die Hochschule für Ökonomie überzuwechseln, wurde
hier mein Doktorvater, hat dann über Jahrzehnte meine wissenschaftliche Ent-
wicklung begleitet und mich auch an die internationale wissenschaftliche Arbeit
herangeführt. Durch meinen Arbeitsplatzwechsel von der Bank zur Hochschule
für Ökonomie konnte ich in den 1960er Jahren die sich aus dem anvisierten
Neuen Ökonomischen der DDR ergebenden Anforderungen und Probleme der
finanzökonomischen Lehre und Forschung aus der Sicht eines Hochschulmitar-
beiters spüren. Dabei kam ich zu einem Zeitpunkt an die Hochschule für Öko-
nomie, wo schrittweise um die Gestaltung eines Neuen Ökonomischen Systems
der DDR gerungen wurde und eine Atmosphäre der wissenschaftlichen Aufge-
schlossenheit bestand. Als Mitarbeiter am Institut für Geldzirkulation und Kredit
konnte ich mich in meiner Lehr- und Forschungsarbeit auf die makroökonomi-
sche Aufgabenstellung der Staatsbank konzentrieren und miterleben, wie Theo-
rie und Praxis eine wachsende Rolle der Staatsbank bei der Sicherung von
Wachstum und Währungsstabilität forderten.

2.2 Finanzökonomische Arbeit bei dem in den 1960er Jahren
    anvisierten Neuen Ökonomischen System (NÖS)
Anfang der1960er Jahren hatten sich in den Ländern des real existierenden
Sozialismus Bedingungen entwickelt, die Fragen nach einer prinzipiellen Wei-
terentwicklung des Wirtschaftsmodells aufwarfen. Den Anforderungen der sich
entfaltenden wissenschaftlich-technischen Revolution konnte der bisherige
Wirtschaftsmechanismus nicht mehr genügen. Es ging nicht mehr einseitig um
ein mengenmäßiges Wachstum der Produktion, sondern um qualitative Verän-
derungen beim Wirtschaftswachstum. Es galt, neue dem wissenschaftlich-
technischen Fortschritt entsprechende Produktionslinien und Produktionsstruk-
turen durchzusetzen, einen sparsamen und effektiven Ressourceneinsatz zu
sichern und insgesamt die Effektivität des wirtschaftlichen Handelns zum Maß-
stab des Wirtschaftswachstums zu entwickeln. Mit simplen Planauflagen einer
Bruttoproduktions-Steigerung ließen sich diese Ziele nicht erreichen.
12

     Ziel musste es sein, schon bei der zentralen volkswirtschaftlichen Wachs-
tumsplanung eine einseitig auf das Produktionswachstum gerichtete Orientie-
rung zu überwinden und die Aufgaben der Effektivitätssteigerung in den Mittel-
punkt zu stellen. Zugleich war ein Wirtschaftsmechanismus zu entwickeln, der
die Betriebe auf das Effektivitätswachstum orientierte, ihnen eigene marktwirt-
schaftliche Entscheidungsspielräume gab und das kollektive und individuelle
Eigeninteresse der Wirtschaftsubjekte zur Triebkraft der Wirtschaftsentwicklung
und der Effektivitätssteigerung machen würde. Auf diese zwei natürlich mitei-
nander verbundenen Aufgaben war das in den 1960er Jahren anvisierte Neue
Ökonomische System der DDR gerichtet. Es forderte, die zentrale Planung auf
die Grundfragen des Effektivitätswachstums zu konzentrieren und gleichzeitig
Systemregelungen, Leistungsmaßstäbe und Leistungsanreize zu entwickeln,
die das zunehmend eigenverantwortliche Handeln der Betriebe auf das Effekti-
vitätswachstum lenkten.
     Der Nutzung der Wertkategorien kam bei dieser anvisierten Neugestaltung
des Ökonomischen Systems der DDR eine zentrale Rolle zu. In Auswertung der
Anfang der 1960er Jahre auch in der DDR erschienenen Publikation des sowje-
tischen Akademiemitglieds J. A. Kronrod zur Rolle des Wertgesetzes und des
Geldes in der sozialistischen Wirtschaft und der vom sowjetischen Ökonomen
J. Liberman 1962 publizierten These, dass nicht staatliche Planauflagen, son-
dern das Eigeninteresse der Betriebe Triebkraft der Wirtschaftsentwicklung sein
müsse, wurde auch von den Wirtschaftswissenschaftlern der DDR die Forde-
rung erhoben, den Wertkategorien eine größere Rolle im System der Leitung
und Planung der Volkswirtschaft der DDR einzuräumen. Damit sollte den Erfor-
dernissen der Effektivität und der ökonomischen Stimulierung des wirtschaftli-
chen Handelns Rechnung getragen werden.
     In der Grundrichtung übereinstimmend wurden in Veröffentlichungen
     - der Akademie für Gesellschaftswissenschaften, des Zentralinstituts für
       Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften und des
       Zentralinstituts für sozialistische Wirtschaftsführung,
     - der Forschungsinstitute der Staatlichen Plankommission und des Minis-
       teriums der Finanzen,
     - der wirtschaftswissenschaftlichen Institute der Universitäten und Hoch-
       schulen
Gedanken und Vorschläge für eine stärkere Nutzung der Wertkategorien im
Wirtschaftsmechanismus der DDR unterbreitet. Auch die Hochschule für Öko-
nomie war mit ihren Sektionen daran beteiligt. An der damaligen Fakultät für Fi-
nanzen der Hochschule für Ökonomie wurden zum Beispiel folgende zwei For-
schungskomplexe bearbeitet:
13

    Ein erster vor allem vom Institut für die Finanzen der Wirtschaftszweige ge-
tragener Forschungskomplex konzentrierte sich auf:
           Die Rolle des Gewinns, der Kosten und der finanziellen
         Nutzeffektsberechnungen im Neuen Ökonomischen System.
Kooperationspartner waren Wirtschaftspraktiker aus den Betrieben und den
wirtschaftsleitenden Organen. Teilergebnisse aus dem Forschungskomplex
wurden 1963, 1965 und 1968 vorgelegt, verteidigt und veröffentlicht.
Forschungsträger: E. Knauthe, E. Kupfernagel, K. Maier, H. Pohl, E. Seifert.
Nachstehende Bücher und Broschüren wurden im Verlag Die Wirtschaft publi-
ziert:
E. Kupfernagel, Zur Kostenrechnung in den sozialistischen Industriebetrieben,
E. Knauthe, Die Berechnung des Nutzeffektes von Investitionen,
E. Seifert, K. Maier, H. Pohl, Gewinn und wirtschaftliche Rechnungsführung der
Betriebe,
H. Brandt, E. Knauthe, E. Seifert, Die Finanzen der Industrie.
    Ein zweiter vor allem vom Institut für Geldzirkulation und Kredit getragener
Forschungskomplex konzentrierte sich auf:
        Die Nutzung von Kredit und Zins und die Planung des Kredites
      und der Geldzirkulation im volkswirtschaftlichen Wachstumsprozess
Dieser Forschungskomplex umschloss sowohl die Geschäftsbankfunktion und
damit die mikroökonomischen Aufgabenstellung des Kreditsystems als auch die
Staatsbankfunktion und damit die makroökonomische Aufgabenstellung des
Kreditsystems. Teilergebnisse aus dem Forschungskomplex wurden 1964,
1965, 1966, 1967 und 1969 vorgelegt, verteidigt und veröffentlicht.
Forschungsträger: H. Finger, D. Hunstock, H. Keller, E. Polaschewski, W. Stoll,
K. H. Tannert
Nachstehende Bücher und Broschüren wurden im Verlag Die Wirtschaft publi-
ziert:
H. Finger, E. Polaschewski, W. Stoll: Kredit, Zins, Zahlungen im Neuen Öko-
nomischen System
D. Hunstock, H. Keller: Zur Kreditplanung im Neuen Ökonomischen System,
K. H. Tannert, H. Plöntzke, H. Gloede: Der Investitionskredit in der Landwirt-
schaft.
Kooperationspartner waren die Deutsche Notenbank, die Außenhandelsbank
und die Landwirtschaftsbank. Wissenschaftliche Partnerschaftsbeziehungen
bestanden ebenfalls zum Ökonomischen Forschungsinstitut des Ministeriums
der Finanzen. Für unsere eigene Forschungsarbeit waren hier insbesondere die
Veröffentlichungen von H. Egerland zur Geldverflechtungsbilanz anregend. Be-
deutende Forschungsarbeit zur Finanzbilanzierung und zur außenwirtschaftli-
chen Aufgabenstellung der Finanz- und Bankorgane hat vor allem auch F. John
geleistet. Auf dem Gebiet der Politischen Ökonomie waren insbesondere die
Arbeiten von W. Schließer zur Nutzung der Wertkategorien hilfreich.
  Die generelle Verlaufsgeschichte des Neuen Ökonomischen Systems der
DDR ist bekannt. In der Sowjetunion waren schon im eigenen Land die Forde-
14

rungen nach einer stärkeren Nutzung der Wertkategorien bei der Leitung und
Planung der Wirtschaft auf Vorbehalte gestoßen. Mit noch größerem Argwohn
wurden von der sowjetischen Führung die Bestrebungen der DDR nach einem
Neuen Ökonomischen System betrachtet. Sie empfanden das Neue Ökonomi-
sche System der DDR als eine Kritik am eigenen auf den schnellen Aufbau des
Kommunismus gerichteten Gesellschaftsmodell und sahen in der geforderten
stärkeren Nutzung der Wertkategorien eine Abkehr von Grundprinzipien des
kommunistischen Aufbaus. Unter sowjetischem Einfluss versickerten Ende der
1960er Jahre die Bemühungen der DDR um den Aufbau eines neuen ökonomi-
schen Systems und wurden 1971 nach dem VIII. Parteitag der SED eingestellt.
Diese Charakterisierung der Verlaufsgeschichte des Neuen Ökonomischen
Systems der DDR bedarf jedoch ergänzender und präzisierender Bemerkun-
gen. Am Beispiel der zwei obengenannten Forschungskomplexe ist zu zeigen,
dass es auch DDR-spezifische Barrieren bei der Umsetzung des NÖS gab, die
letztlich zu seinem Scheitern beitrugen. Andererseits wurden Teilanliegen des
NÖS auch nach 1971 weitergeführt und seine Grundgedanken hinterließen in
der DDR im wirtschaftswissenschaftlichen Lehrgebäude und in der wirtschafts-
praktischen Arbeit der Betriebe und staatlichen Institutionen durchaus auch
bleibende Spuren.

Zur Forschungsarbeit der HfÖ über die Rolle des Gewinns, der Kosten und der
   finanziellen Nutzeffektsberechnungen im Neuen Ökonomischen System
Ein verbal formuliertes Ziel des NÖS war es, den Betrieben größere Entschei-
dungsfreiheiten hinsichtlich ihrer Investitionsziele und ihrer Produktionsstruktu-
ren zu gewähren. Sie sollten sich eigenverantwortlich auf die Bedürfnisse des
Marktes orientieren. Optimierungskriterium ihrer Arbeit sollte die Gewinnerwirt-
schaftung werden. Es wurde davon ausgegangen, dass sich in der Gewinner-
wirtschaftung sowohl die Aufwandsseite wie auch die Ergebniswirkungen des
wirtschaftlichen Handels widerspiegeln. Im Gewinn werden die Aufwandssen-
kung und die Fondsausnutzung sichtbar und es wird ebenso der Produktionsab-
satz, das erreichte Qualitätsniveau und die Außenwirtschafteffektivität reflektiert.
Über die Entwicklung des Gewinns zum Optimierungskriterium des wirtschaftli-
chen Handelns sollten die Betriebe stimuliert werden, nach Investitionslinien und
Produktionsstrukturen zu suchen, die Aufwandsenkungen, Fondsausnutzung,
Produktionssteigerungen, Qualitätsniveau und Außenwirtschaftseffektivität si-
chern.
    Tatsächlich blieben jedoch die Entscheidungsspielräume der Betriebe über
Investitionen, Produktionslinien und Außenwirtschaftstrukturen vorgezeichnet.
Ihre Entscheidungsfreiheit über Investitionen war durch die zentrale Bilanzierung
und Kontingentierung wichtiger Investitionsgüter begrenzt, ihre Materialdisposi-
tionen und damit ihre Produktionslinien durch die Materialkontingentierung weit-
gehend vorgegeben und selbständige Außenwirtschaftskonzeptionen durch die
zentrale Export-Beauflagung nach Länder- und Erzeugnisgruppen nahezu aus-
geschlossen. Für eigene auf Markterfordernisse und Rentabilität gerichtete
Wachstumsvarianten blieb den Betrieben weiterhin nur wenig Spielraum. Dieses
starre Festhalten an der zentralen Bilanzierung und Bewirtschaftung wichtiger
Investitionsgüter und Materialfonds und die Vorgabe der Außenwirtschaftstruktu-
ren hat die Nutzung des Gewinns als Optimierungskriterium des wirtschaftlichen
15

Handels faktisch ausgeschlossen. Neben der sowjetischen Einwirkung war dies
eine erste wichtige Ursache für das Scheitern des Neuen Ökonomischen Sys-
tems in der DDR.
    Ein zweiter Faktor, der die Durchsetzung des Neuen Ökonomischen Sys-
tems behinderte und letztlich zu seinem Scheitern führte, war die Preisgestal-
tung. Ein realer Kosten- und Gewinnausweis verlangt eine Preisbildung, die vom
gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand ausgeht, die Relationen von An-
gebot und Nachfrage und damit auch die Knappheitsgrade miterfasst. Diese
Bedingungen waren nur unzureichend gegeben, sodass der Ausweis der Kos-
ten und Gewinne verzerrt blieb, die Nutzeffektsberechnung von Investitionen
beeinträchtigt wurde und rentabilitätsorientierte Wertungen nur begrenzt möglich
waren.
    Ein dritter Aspekt bezieht sich auf den betrieblichen Kreislauf des Geldes.
Das Neue Ökonomische System forderte von den Betrieben die Eigenerwirt-
schaftung ihrer für die erweiterte Reproduktion erforderlichen Akkumulations-
fonds. Kredite sollten nur als ergänzende Finanzierungsquelle genutzt werden
und ebenfalls aus erwirtschafteten Eigenmitteln rückzahlbar sein. Mit einer Ab-
führungsquote von weit mehr als 50 % des erwirtschafteten Reineinkommens
war jedoch die Eigenfinanzierung der Akkumulationsmittel nicht möglich und
auch in dieser Hinsicht die Forderung des NÖS nicht erfüllbar. Auch gab es kei-
ne langfristigen Normative der Gewinnerwirtschaftung und der Gewinnabfüh-
rung, so dass in den Betrieben keine eigenen langfristigen Dispositionen über
den Einsatz ihrer Gewinne möglich waren.
    Ein vierter Grund, der das Neue Ökonomische System scheitern ließ, war
die unzureichende Verknüpfung der Gewinnerwirtschaftung mit den materiellen
Interessen der Betriebsbelegschaften. Die Mehr- oder Mindererwirtschaftung
von Gewinnen hatte nur geringe Wirkungen auf die Zuführungen zu den Prä-
mienfonds der Betriebe. Lediglich die Überplangewinne wirkten sich auf die
Prämienfondsbildung aus, so dass es kein ausreichendes materielles Interesse
der Betriebe und ihrer Belegschaften an der Gewinnerwirtschaftung gab.
     Unter Berücksichtigung dieser vier Wirkungsbedingungen des NÖS in der
DDR war die Nutzung des Gewinns als Optimierungskriterium des wirtschaftli-
chen Handelns der Betriebe nicht möglich. Das Scheitern des NÖS kann folglich
nicht nur auf den Einfluss der Sowjetunion zurückgeführt werden. Auf die in der
DDR eingeengten Wirkungsbedingungen des NÖS wurde in den Forschungsbe-
richten zwar eingegangen, aber die Forderungen nach Veränderungen des
Wirtschaftsmechanismus waren zaghaft und nicht mit einer prinzipiellen Kritik
des Wirtschaftsmechanismus der DDR verbunden. Ursachen dafür sind in der
zusammenfassenden Geschichte der Hochschule für Ökonomie dargestellt.
     Für die Lehre hat jedoch die Forschungsarbeit deutlichen Nutzen gebracht.
Die Studenten wurden zur Analyse des betrieblichen Wirtschafts- und Geldkreis-
laufes befähigt, mit der Kostenrechnung, Gewinnanalyse und den
Nutzeffektsrechnungen vertraut gemacht und haben gelernt, ökonomische
Sachverhalte und Zusammenhänge zu bewerten und die Erfordernisse des Ef-
fektivitätswachstums zu erfassen.
16

    Die zur Rolle des Gewinns, der Kosten und der finanziellen Nutz-
effektsberechnungen geleistete Forschungsarbeit hat sich dann auch 1969 beim
Aufbau der Sektion Betriebswirtschaft an der Hochschule für Ökonomie als
wertvoll erwiesen. Die betriebswirtschaftlich geprägten Finanzwirtschaftler der
Fakultät für Finanzwirtschaft, aber auch Finanzwirtschaftler aus den Instituten
für Staatshaushalt sowie Geldzirkulation und Kredit wurden mit dem Aufbau der
an der Hochschule neu entstehenden Sektion Betriebswirtschaft beauftragt und
konnten hier ihr wissenschaftliches Leistungsvermögen einbringen.
    Ihre Lehr- und Forschungsarbeit konzentrierte sich auf die Gebiete der Kos-
tentheorie, der wirtschaftlichen Rechnungsführung, der Betriebsfinanzierung
und der Betriebsanalyse. Ihre wissenschaftliche Arbeit war eine wichtige Grund-
lage dafür, dass mit Beginn des Studienjahres 1970/71 die Ausbildung der Di-
rekt- und Fernstudenten aller Fachrichtungen der Hochschule auf dem Lehrge-
biet der Betriebswirtschaft erfolgreich aufgenommen wurde und dass im Jahre
1973 die Kostenrechnung und die betriebliche Finanzbilanzierung in das Grund-
studium eingeführt werden konnte. Als im Jahre 1977 der Sektion Betriebswirt-
schaft die Aufgabe gestellt wurde, Studenten in der Fachrichtung Betriebswirt-
schaft/Industrie - Finanzen der Betriebe und Kombinate auszubilden, war das
wissenschaftliche Potential für diese Aufgabe gegeben, so dass auch diese
Aufgabe erfolgreich gelöst werden konnte. Schließlich wurden in den 1970er
und 1980er Jahren von der Sektion Betriebswirtschaft2 wichtige Forschungser-
gebnisse zum Effektivitätswachstum in Publikationen und auf internationalen
Konferenzen vorgestellt, die eine zielstrebige Weiterführung der Forschungsar-
beit zur Kosten und Rentabilitätstheorie sowie zur Nutzeffektsproblematik do-
kumentierten. Das ursprüngliche Ziel der Forschungsarbeit der 1960er Jahre,
den Betrieben weitgehende marktwirtschaftliche Entscheidungsfreiheiten zu
gewähren, konnte jedoch erst nach 1989 wieder Gegenstand der Forschungs-
arbeit werden.

    Zur Forschungsarbeit der HfÖ über die Nutzung von Kredit und Zins und die
       Planung des Kredites und der Geldzirkulation im volkswirtschaftlichen
                               Wachstumsprozess
Während die Forschungsarbeiten zur Entwicklung marktwirtschaftlicher Ent-
scheidungsfreiheiten für die Betriebe nach 1971 abrupt abgebrochen wurden,
gab es hinsichtlich der wissenschaftlichen und wirtschaftspraktischen Arbeit zur
Nutzung von Kredit und Zins und zur Planung von Kredit und Geldzirkulation
eine deutlich stärker ausgeprägte Kontinuität. Schrittweise wurden auf diesen
Gebieten die Forschungsarbeiten auch nach 1971 weitergeführt und Arbeitser-
gebnisse der 1960er Jahre in der Wirtschaftspraxis umgesetzt. Die Forschungs-
arbeit umschloss sowohl die mikroökonomische Geschäftsbankfunktion wie
auch die makroökonomische Staatsbankfunktion des Kreditsystems.
    In enger Forschungskooperation zwischen der Staatsbank und dem Institut
für Geldzirkulation und Kredit wurden für die mikroökonomische Aufgabenstel-

2
     Die Lehr- und Forschungsarbeit der Sektion Betriebswirtschaft kann hier nicht nä-
     her behandelt werden, sondern sollte Gegenstand einer spezifischen Publikation
     sein.
17

lung und die Geschäftsbankfunktion des Kreditsystems folgende Grundsätze zur
ökonomischen Stimulierung der Betriebe entwickelt:
    - die Forderung nach einer angemessenen Eigenmittelbeteiligung der Be-
      triebe bei der Finanzierung der Umlaufmittelsphäre und bei der Durchfüh-
      rung von Investitionsvorhaben. Damit sollte vor allem auf eine wachsen-
      de Gewinnerwirtschaftung hingewirkt werden.
    - die Vereinbarung von verbindlichen Kreditlaufzeiten bei der Kreditfinan-
      zierung der Umlaufmittel und bei der Bereitstellung von Kreditmitteln für
      Investitionsvorhaben. Dies sollte zu einer Beschleunigung des Um-
      schlags der Umlaufmittel und zu einem schnelleren Wirksamwerden von
      Investitionsvorhaben beitragen.
    - die Anwendung differenzierter Kreditzinssätze für die einzelnen Kreditob-
      jekte bei einem Grundzinssatz von 5 %, Zinsabschlägen bis auf 1,8 % und
      Zinszuschlägen bis auf 8 %. Dies wirkte sich auf die Gewinnerwirtschaf-
      tung aus und berührte im Rahmen der gesetzten Grenzen die materiellen
      Interessen der Belegschaften an der Rentabilitätsentwicklung.
     An der wissenschaftlichen Erarbeitung dieser Grundsätze der Kreditfinanzie-
rung hatten aus der Staatsbank der DDR insbesondere W. Stoll, K. Schmalfuß,
F. Tuttlies und W. Schilke einen entscheidenden Anteil. Diese Stimulierungsin-
strumentarien der Geschäftsbanken haben in den Betrieben darauf hingewirkt,
nach Wegen zur Kostensenkung und steigender Gewinnerwirtschaftung zu su-
chen, den Umschlag der Umlaufmittel zu beschleunigen, die Zeitdauer für Inves-
titionsvorhaben zu verkürzen und den Nutzeffekt der Investitionsvorhaben zu
erhöhen.
   Zur Bestimmung der makroökonomischen Aufgabenstellung und der Staats-
bankfunktion des Kreditsystems haben beigetragen:
    - eine im Jahre 1966 im Institut für Geldzirkulation und Kredit angefertigte
      und der Staatsbank vorgelegte Studie über die Aufgabenstellung der
      Staatsbank bei der Planung der Nationaleinkommensproportionen,
    - ein im November 1967 auf der Internationalen Konferenz der Finanzöko-
      nomischen Fakultät gehaltener Beitrag zum Zusammenhang der Geld-
      wert-, Geldeinkommens- und Geldumlaufentwicklung mit der Nationalein-
      kommensreproduktion,
    - die Mitarbeit des Instituts für Geldzirkulation und Kredit an der im Früh-
      jahr 1968 erarbeiteten Studie des Finanzökonomischen Forschungsinsti-
      tuts zu Problemen der Währungsstabilität,
    - eine für die studentische Ausbildung genutzte Modellrechnung über den
      Geldkreislauf, die volkswirtschaftliche Kreditentwicklung und die Kriterien
      der Währungsstabilität,
    - der im Mai 1969 vom Institut für Geldzirkulation und Kredit vorgelegte
      Forschungsbericht zur Nutzung von Geld und Kredit im volkswirtschaftli-
      chen Wachstumsprozess.
Inhaltliche Forderung dieser vorstehend aufgeführten wissenschaftlichen Beiträ-
ge war es, dass die Staatsbank durch ihre Geld- und Kreditpolitik das volkswirt-
schaftliche Wachstum fördern soll, aber zugleich auf die Sicherung von Effektivi-
18

tät, Proportionalität und Stabilität einwirken muss. Dazu kann die Staatsbank die
in ihrer Verantwortung auszuarbeitende Kreditbilanz nutzen, da die Kreditbilanz
reflektiert, ob und inwieweit aufgestaute Geldüberhänge aus zurückliegenden
Entwicklungsperioden existieren und welches kumulative Volumen die innere
und äußere Kreditverschuldung hat. In den wissenschaftlichen Arbeiten wurde
herausgearbeitet, dass die Staatsbank, ausgehend von der Kreditbilanzierung,
auf die Bestimmung der Nationaleinkommensproportionen Einfluss nehmen
muss und durch ihre Einwirkung zur Begrenzung der inneren und äußeren Kre-
ditverschuldung und zur Stabilität des Geldwertes, der Geldeinkommen und des
Geldumlaufs beizutragen hat
     Zwischen der wissenschaftlichen Erkenntnis dieser ökonomischen Erforder-
nisse in Theorie und Praxis und ihrer Umsetzung in verbindliche Rechtsnormen
liegt jedoch erfahrungsgemäß ein längerer Weg. Viele Widersprüche, Span-
nungsfelder und Meinungsunterschiede sind hier zu überwinden. In diesem Fal-
le mussten die leitenden Führungskräfte der Staatsbank bis 1974 darum ringen,
die von Theorie und Praxis angestrebten Grundsätze über die makroökonomi-
sche Aufgabenstellung der Staatsbank in einem Gesetz über die Staatsbank
einzubringen. Für diesen langen Zeitraum der Umsetzung wirtschaftstheoreti-
scher Erfordernisse in Rechtsnormen gab es im konkreten Falle mehrere Ursa-
chen. Zunächst einmal war die Zeit nach 1971 und dem zu diesem Zeitpunkt
vollzogenen politischen Führungswechsel in der SED nicht gerade durch Re-
formeifer charakterisiert. Es gab politische Vorbehalte gegenüber einer Stärkung
der makroökonomischen Funktion der Staatsbank. Der Voluntarismus in der
Wirtschaftspolitik nahm zu3 und es war in der politischen Führung die Auffas-
sung verbreitet, dass sich wirtschaftliches Wachstum auch ohne Berücksichti-
gung finanzieller Stabilitätskriterien durchsetzen ließe. Ebenso wurde die Auf-
wertung der Staatsbank durch gegensätzliche Kompetenzansprüche zwischen
den zentralen Staatsorganen behindert. Die vorrangig für die materielle Wachs-
tumsplanung verantwortlichen Staatsorgane gingen nach wie vor vom Primat
der materiellen Planung aus und die für die Haushaltsplanung zuständigen
Staatsorgane sahen ihre Haushaltsinteressen durch eine auf Stabilität orientier-
te Staatsbank beeinträchtigt.
    Außerdem musste 1974 zunächst die 1968 vorgenommene Schaffung eines
zweistufigen Bankensystems rückgängig gemacht werden, bevor es zu einem
Gesetz über die Staatsbank kam. Mit der Wiedereingliederung der Industrie-
und Handelsbank in die Staatsbank wurde dann zwar verbal die makroökonomi-
sche Position der Staatsbank gestärkt, aber zugleich deutlich gemacht, dass
sich die Staatsbank nicht zu einer Zentralbank nach westlichem Muster entwi-
ckeln soll, die mit ihrer Geld und Kreditpolitik die Liquiditätslage der Geschäfts-
banken beeinflussen und damit makroökonomische Steuerungsimpulse auslö-
sen könnte
    Bei all diesen Vorbehalten und gegensätzlichen Interessen war es ein gro-
ßer Fortschritt, dass dennoch im Dezember 1974 auf Drängen der Staatsbank-
führung ein Gesetz über die Staatsbank der DDR beschlossen wurde, das wich-

3
     Vgl.: Abschnitt 3 des Beitrages von Walter Kupferschmidt in diesem Sammelband.
19

tige makroökonomische Aufgaben der Staatsbank festschrieb. Im Gesetz über
die Staatsbank der DDR vom 19. Dezember 1974 hieß es in den §§ 1 und 4:
    - „Die Staatsbank hat durch die Wahrnehmung ihrer Funktionen aktiv auf
      das kontinuierliche Wachstum der Volkswirtschaft, die Steigerung der
      Arbeitsproduktivität und die Sicherung der Stabilität der Währung Ein-
      fluss zu nehmen“ (§ 1 ) und
    - „Die Staatsbank erarbeitet als Bestandteil der staatlichen Planung und in
      Übereinstimmung mit der Finanzbilanz des Staates die Kreditbilanz der
      Deutschen Demokratischen Republik und legt sie nach Abstimmung mit
      der Staatlichen Plankommission und dem Ministerium der Finanzen dem
      Ministerrat zur Bestätigung vor. Sie hat in allen Etappen der Planung ih-
      ren Standpunkt zu volkswirtschaftlichen Problemen der Proportionalität,
      Effektivität und Stabilität zu vertreten…“ (§ 4).
    Auch für die wissenschaftliche Arbeit und insbesondere für die Lehrarbeit in
den Hochschulen brachte die gesetzliche Formulierung der makroökonomischen
Funktion der Staatsbank bedeutende Fortschritte. Unter verantwortlicher Mitwir-
kung leitender Führungskräfte der Staatsbank, aber auch anderer Mitarbeiter
des Finanzsystems konnte 1976 ein Hochschullehrbuch für die Spezialisie-
rungsrichtung Geldzirkulation und Kredit publiziert werden, das komplex die
Staatsbank- und die Geschäftsbankfunktionen des Kreditsystems und die Auf-
gabenstellung des gesamten Bankensystems behandelte.
      Geldzirkulation und Kredit in der sozialistischen Planwirtschaft
      Verlag Die Wirtschaft, 1976,
      Herausgeber: W. Ehlert, D. Hunstock, K. H. Tannert,
      Wissenschaftlicher Berater aus der Staatsbank: W. Stoll.
In diesem Hochschullehrbuch wurde die theoretische Ableitung der Kreditfunkti-
onen aus dem Wertgesetz begründet, die aktive Mitwirkung der Banken bei der
Planung der volkswirtschaftliche Grundproportionen dargestellt und die Kriterien
der Staatsbank bei der Beurteilung volkswirtschaftlicher Wachstumsziele cha-
rakterisiert. Es wurde herausgearbeitet, dass die Ausweitung der Akkumulation
vorrangig aus dem Reineinkommen zu sichern ist und dass einem ansteigenden
Anteil der inneren und äußeren Kreditquellen bei der Akkumulationsfinanzierung
entgegenzuwirken ist. Zugleich wurde deutlich gemacht, dass nicht realisierbare
Geldeinkommen und ein dadurch entstehender Geldüberhang mit der notwen-
digen Sicherung der Währungsstabilität unvereinbar sind.
    In der Realität war jedoch die Wahrnehmung dieser Aufgabe durch die
Staatsbank ein schwieriger Prozess. Häufig wurden die kritischen Analysen der
Bank über die Entwicklung der Effektivität und der Proportionalität und ihre wäh-
rungspolitischen Sorgen und Hinweise ignoriert und zurückgewiesen. Dazu ha-
ben mehrere Faktoren beigetragen:
    - Zunächst einmal spielten politische Erblasten hier eine wesentliche Rolle.
      Schon in den 1930er Jahren hatte Stalin in seinem Rechenschaftsbericht
      auf dem XVI. Parteitag der KPdSU die These vertreten, dass ein Kauf-
      kraftüberhang positive Auswirkungen auf das volkswirtschaftliche Wachs-
      tum hat. Nach Stalins Auffassung war es positiv zu werten „... dass das
      Wachstum des Verbrauchs (der Kaufkraft D. H.) das Wachstum der Pro-
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