Hochschule für Ökonomie "Bruno Leuschner" Berlin
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1950 1991 Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner“ Berlin - Leistungen und Defizite in Lehre und Forschung - - Persönliche Erfahrungen und Erinnerungen - - Herausforderungen an die Wirtschaftswissenschaften - Akademia Ekonomiczna im. Bruno Leuschner’a w Berlinie - Wyniki i deficyty w nauce i badaniach - - Osobiste doświadczenia i wspomnienia - - Wyzwania nauk ekonomicznych -
Redakcja naukowa (Wissenschaftliche Redaktion) PROF. DR. WALTER KUPFERSCHMIDT PROF. DR. GERNOT ZELLMER Walter Kupferschmidt/Gernot Zellmer (Hrsg.): 1950 – 1991 Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner“ Berlin - Leistungen und Defizite in Lehre und Forschung/Persönliche Erfahrungen und Erinnerungen/Herausforderungen an die Wirtschaftswissenschaften – Zweite erweiterte und überarbeitete Auflage Zielona Góra: Wydawnictwo Zakładu Controllingu i Informatyki Ekonomicznej ISBN 978-83-933068-3-1 © Wydawnictwo Zakładu Controllingu i Informatyki Ekonomicznej 2013 Skład komputerowy: mgr inż. Wiesław Wasilewski Projekt okładki: mgr inż. Wiesław Wasilewski Druk i oprawa: Zakład usług kserograficznych „Xerotronic” Zielona Góra Printed in Poland Fotos: Fröbus, Grieshammer, Ippen, Kümpfel, Manikowski, Ritter. Die umstehende Titelseite wurde nach einem Entwurf von Thomas Günter Heering gestaltet.
Diethelm Hunstock Finanzökonomische Lehre und Forschung zur Effektivität und Stabilität der Volkswirtschaft Die Wissenschaft ist keine Angelegenheit des reinen Denkens, sondern eines Denkens, das beständig in die Praxis hineingetragen und durch die Praxis erneuert wird. John Desmond Bernal Inhalt Vorwort 1 Die Zusammenführung finanzökonomischer Potentiale der Hochschule für Plan- ökonomie und der Hochschule für Finanzwirtschaft in der HfÖ 2 Entwicklungsetappen der inhaltlichen Gestaltung der finanzökonomischen Lehre und Forschung an der Hochschule für Ökonomie 2.1 Finanzökonomische Lehre und Forschung an der Hochschule für Ökonomie in den 1950er Jahren 2.2 Finanzökonomische Arbeit an der Hochschule für Ökonomie bei dem in den 1960er Jahren anvisierten Neuen Ökonomischen System (NÖS) 2.3 Beiträge der Finanzökonomie zum Lehrprofil der Sektion Volkswirtschaft der Hochschule für Ökonomie in den 1970er und 1980er Jahren 2.4 Beiträge der Finanzökonomie zur Effektivitätsforschung der Hochschule für Öko- nomie und die ersten Forschungsansätze zur finanziellen Wachstumssteuerung 3 Finanzökonomische Lehre nach 1989 am Institut Geld, Kredit und öffentliche Finanzen der HfÖ und die Abwicklung der Hochschule im Oktober 1991 4 Finanzökonomische Beiträge ehemaliger Mitarbeiter und Studenten der HfÖ zur Kommunalfinanzierung der neuen Bundesländer von 1991 - 1996 Nachwort Vorwort In diesem Artikel wird vorrangig die finanzwissenschaftliche Arbeit der HfÖ von 1960 - 1991 dargestellt: In den 1960er Jahren hat die Verlaufsgeschichte des in diesem Zeitraum anvisierten Neuen ökonomischen Systems der DDR die Ziele und Probleme der finanzwissenschaftlichen Arbeit an der HfÖ bestimmt Für die 1970er und 1980er Jahre wird beschrieben, welcher Synchronisati- onsgewinn durch die Integration des finanzwissenschaftlichen Wissenschafts- potentials in die Sektion Volkswirtschaft erreicht werden konnte. In der Sektion Volkswirtschaft wurde die finanzwissenschaftliche Arbeit mit der Lehre und For- schung zur Wachstumsplanung verbunden. Simulationsmodelle wurden ge- nutzt, um den Studenten die Widersprüche und Konflikte von Wachstum und
4 Währungsstabilität bewusst zu machen und Lösungsvarianten zu bewerten. Die dazu entwickelten rechnergestützten Modelle waren zugleich auch Gegenstand der internationalen Wissenschaftskooperation. Die finanzwissenschaftliche Forschungsarbeit war in den 1980er Jahren auf die Problematik des Effektivitätswachstums konzentriert und machte in zuneh- mendem Maße sichtbar, dass mit einem administrativen planwirtschaftlichen Wirtschaftssystem eine effektive Nutzung der begrenzten Ressourcen nicht möglich ist. 1989/1990 wurden erste Denkansätze für eine effektivere Nutzung der Wertkategorien zur Wachstumssteuerung erarbeitet und spezielle Vorle- sungen zu den monetären und fiskalischen Erfordernissen einer finanziellen Wachstumssteuerung und Gleichgewichtssicherung gehalten. 1 Die Zusammenführung finanzökonomischer Potentiale der Hochschule für Planökonomie und der Hochschule für Fi- nanzwirtschaft in der HfÖ Die Hochschule für Planökonomie wurde im Jahre 1950 unter dem Rektorat von Prof. Eva Altmann gegründet. Das Ziel dieser Hochschulgründung war es, Hochschulabsolventen heranzubilden, die die Wirtschaftswissenschaften in größere soziale Zusammenhänge einordnen können, sich für den gesellschaft- lichen Fortschritt engagieren und über solide wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse verfügen. Zugleich sollte ein Forschungszentrum geschaffen wer- den, das Lösungsansätze für den wirtschaftlichen Aufbau und die Leitung und Planung der Volkswirtschaft unter neuen gesellschaftlichen Bedingungen erar- beitet. Mit der Gründung der Hochschule für Ökonomie als Hochschule für Plan- ökonomie im Jahre 1950 begann auch ihre finanzökonomische Lehre und For- schung. Als spezielle wissenschaftliche Einrichtung für die Wahrnehmung die- ser Aufgabe wurde 1950 an der Hochschule das Institut für Finanzplanung ge- schaffen, das 1953 zum Institut für Ökonomik der Finanzen und Kredit weiter- entwickelt wurde. An diesem Institut haben Eberhard Seifert, K. Hercher und andere Mitarbeiter des Bereiches wichtige Grundlagen für den Aufbau der fi- nanzökonomischen Lehre und Forschung an der Hochschule geschaffen. Der finanzökonomische Lehr- und Forschungsansatz des Instituts für Fi- nanzplanung und für die Ökonomik der Finanzen und des Kredits wurde aus der Politischen Ökonomie abgeleitet und war eng mit den Lehr- und For- schungsprofilen der an der Hochschule für Planökonomie gebildeten Institute für Volkswirtschaftsplanung und Betriebslehre verknüpft. Die finanzökonomi- sche Lehre und Forschung wurde somit schon in den Gründungsjahren der Hochschule als komplexe sowohl volkswirtschaftlich als auch betriebswirtschaft- lich orientierte Finanzwissenschaft betrieben. Im Vordergrund der Lehre und Forschung standen der Beitrag der Finanzökonomie zum Aufbau des volkswirt- schaftlichen Planungssystems, die Herausarbeitung der Grundzüge der betrieb- lichen Finanzplanung sowie die Nutzung des Rechnungswesens im System der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Das zahlenmäßig begrenzte wissenschaft- liche Potential des Instituts für Finanzplanung ermöglichte es jedoch nicht, sich in Lehre und Forschung mit der spezifischen Aufgabenstellung der einzelnen
5 Finanzorgane zu befassen und in breitem Umfange Finanzwirtschaftler für die Betriebe und Nachwuchskräfte für die Finanzorgane auszubilden. Die Ausbil- dung von Finanzwirtschaftlern für die Finanzorgane gehörte nicht zu den spezi- fischen Aufgaben der Hochschule für Planökonomie. Diese Aufgabe wurde von der 1953 unter dem Rektorat von Werner Kalweit gegründeten Hochschule für Finanzwirtschaft wahrgenommen. Aufgabe dieser Hochschule war es, gesellschaftlich gebildete und engagierte Wirtschaftsfach- leute mit umfassenden Kenntnissen auf allen Gebieten der Finanzwirtschaft auszubilden. Zugleich sollte sich die Hochschule zu einem Zentrum der finanz- wirtschaftlichen Forschung entwickeln. Für die Ausbildung von Finanzökonomen stand an der Hochschule für Fi- nanzwirtschaft mit Alfred Lemmnitz, Helmut Koziolek und Herbert Wolf ein star- kes Potential von Politökonomen und mit Werner Kalweit, Ernst Kupfernagel, Erhart Knauthe, Heinz Joswig und Heinz Bader ein leistungsfähiger Stamm volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich profilierter Finanzökonomen zur Verfügung. An der Hochschule für Finanzwirtschaft arbeiteten vier finanzwirtschaftliche Institute mit folgenden Lehr- und Forschungsprofilen: Das Institut für Staatshaushalt mit den volkswirtschaftlich orientierten Lehr- und Forschungsgebieten: - Haushaltsplanung und Finanzbilanzierung, - Haushaltseinnahmen- und Haushaltsausgabenpolitik, - Örtliche Haushaltswirtschaft, - Finanzrevision. Das Institut für Geldzirkulation und Kredit mit den volkswirtschaftlich orientierten Lehr- und Forschungsgebieten: - Grundsätze der Kredit- und Zinspolitik, - Planung des Geldumlaufs und Bilanzierung des Kreditvolumens, - Valutaökonomie und Devisenwirtschaft. Das Institut für Finanzen der Wirtschaft mit den betriebswirtschaftlich orientier- ten Lehr- und Forschungsgebieten: - Finanzplanung und wirtschaftliche Rechnungsführung, - Kostentheorie und Kostenplanung, - Nutzeffektsrechnung in der Grund- und Umlaufmittelsphäre. Das Institut für Versicherungswesen mit folgenden sozialökonomisch und versi- cherungs-mathematischen Lehr und Forschungsgebieten: - Gesetzliche Renten- und Krankenversicherung, - Risikoversicherungen für Feuer, Einbruch- Diebstahl, Unfall etc. - Versicherungsmathematik (später auch Finanz- und Wirtschaftsmathe- matik). An diesen vier Instituten studierten von 1953 - 1956 etwa 500 Direktstudenten und 800 Fernstudenten. Ausgebildet wurde für die zentralen und örtlichen
6 Haushaltsorgane, für die Bank- und Versicherungsinstitutionen und für die Fi- nanzbereiche in der Wirtschaft. Die hohe Zahl von Fernstudenten resultierte daraus, dass in diesen Jahren ein besonders starker Nachholbedarf bei der Ausbildung wissenschaftlich qualifizierter Führungskräfte in den Finanzberei- chen der Wirtschaft und in den Finanz-, Bank- und Versicherungsorganen be- stand und demzufolge dem zweiten Bildungsweg besonders große Bedeutung zukam. Mit dem Ziel einer weiteren Steigerung der Effektivität von Lehre und For- schung und der Konzentration des wissenschaftlichen Potentials erfolgte im Jahre 1956 die Zusammenführung der Hochschule für Planökonomie und der Hochschule für Finanzwirtschaft zur Hochschule für Ökonomie. Prof. Dr. Alfred Lemmnitz wurde 1956 zum Rektor der Hochschule für Ökonomie berufen. Die Hochschule für Ökonomie übernahm die Studenten der Hochschule für Finanz- wirtschaft und aus dem Mitarbeiterstamm der beiden Hochschulen wurde eine Finanzökonomische Fakultät mit den fünf Instituten für Staatshaushalt, Geld und Kredit, Finanzen der Wirtschaftszweige, Versicherungen und Rechnungs- wesen geschaffen. Das sowohl volkswirtschaftliche wie auch betriebswirtschaft- liche Ausbildungsprofil der Finanzökonomen blieb somit erhalten. Für die Aus- bildung an diesen Instituten wurden von 1956 an jährlich etwa 100 Direkt- studenten und 100 Fernstudenten immatrikuliert. Dekane der Finanzökonomi- schen Fakultät der Hochschule für Ökonomie waren in den Jahren von 1956 bis 1969 die Professoren H. Bader, F. John, W. Kalweit, E. Knauthe, E. Kupfernagel und E. Seifert. Zur personellen Stärkung des Mitarbeiterstammes hat die Finanzökonomi- sche Fakultät in den 1960er Jahren zielstrebig leitungserfahrene Praktiker aus dem Finanz- und Bankensystem gewonnen und als Hochschullehrer berufen. Umgekehrt wurden wissenschaftserfahrene Finanzwirtschaftler, wie zum Bei- spiel F. John, W. Siegert, und H. Steeger, aus der Hochschule für Ökonomie in die Finanz-, Bank- und Forschungsorgane der Praxis delegiert und haben hier Leitungsaufgaben als stellvertretende Minister, Direktoriumsmitglieder der Bankorgane, Direktoren des Ökonomischen Forschungsinstituts der Plankom- mission und des Finanzökonomischen Forschungsinstituts übernommen. Zahl- reiche Führungskräfte der Finanz- und Bankorgane - zum Beispiel W. Stoll, W. Polze, H. Keller - haben ihre akademischen Grade an der Finanzökonomi- schen Fakultät der Hochschule für Ökonomie erworben. All dies diente der Her- stellung enger wissenschaftlicher Kooperationsbeziehungen zwischen Theorie und Praxis, die sich in zahlreichen gemeinsamen Publikationen und wissen- schaftlichen Konferenzen widerspiegelte. Zugleich entwickelte sich eine enge Kooperation mit Wissenschaftlern aus der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern. Besonders eng wa- ren die wissenschaftlichen Kontakte mit dem Moskauer Finanzinstitut, mit Fi- nanzwissenschaftlern der Hochschulen für Ökonomie in Prag und Warschau und mit den Universitäten in Budapest und Sofia. Engagierte Arbeit haben Finanzökonomen der Hochschule für Ökonomie in den Entwicklungsländern geleistet. Aufgrund seiner jahrzehntelangen internati- onalen Erfahrungen in den Entwicklungsländern wurde in den 1960er Jahren Heinz Joswig mit der Gründung des Instituts für Ökonomik der Entwicklungs-
7 länder an der Hochschule für Ökonomie betraut. Für seine wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Ökonomik der Entwicklungsländer wurde Heinz Joswig die Ehrendoktorwürde der Leipziger Universität zuerkannt. E. Knauthe und H. Linsel von der Finanzökonomischen Fakultät der Hochschule gehörten gemeinsam mit M. Engert, K. Sack und G. Grothe in den 1960/70er Jahren zur Gruppe der ersten Professoren der Hochschule, die im Rahmen eines zweijäh- rigen Einsatzes Lehr- und Forschungsarbeit am Nationalen Institut für Planung in Kairo geleistet haben. Wichtig für den eigenen Erkenntniszuwachs, für die wissenschaftliche Kooperation und für die internationale Ausstrahlung der an der Hochschule für Ökonomie geleisteten finanzökonomischen Arbeit war auch, dass H. Joswig und E. Knauthe schon in den 1960er Jahren ständige Mitglieder des International Institute of Public Finance wurden. Einen tiefen Einschnitt gab es 1969/1970 hinsichtlich der finanzökonomi- schen Lehre und Forschung an der Hochschule für Ökonomie. Im Prozess der vom Hochschulministerium angestrebten Spezialisierung der Hochschuleinrich- tungen wurde die Ausbildung von Finanzwirtschaftlern für die Finanz-, Bank- und Versicherungsorgane von der Hochschule für Ökonomie an die Humboldt- Universität übergeleitet. Ob eine solche dirigistische Lenkung von Studienbe- werbern sehr effektiv ist, bleibt fraglich. Ein Wettbewerb zwischen den akade- mischen Einrichtungen um die Gewinnung von Studienbewerbern wäre für die Entwicklung des Leistungsniveaus an den Universitäten und Hochschulen wahrscheinlich nützlicher gewesen. Für die weitere Entwicklung des wissenschaftlichen Profils der Hochschule für Ökonomie hatte die verordnete Lenkung und Kontingentierung der Studien- bewerber Konsequenzen. Nach 1970 gab es an der Hochschule für Ökonomie keine selbständige finanzwirtschaftliche Fakultät mehr und Studenten für die zentralen Finanz-, Bank- und Versicherungsorgane wurden an der HfÖ nicht mehr ausgebildet. Das bewirkte auch eine weitreichende Umgruppierung der wissenschaftlichen Potentiale: - Etwa 50 % der an der Hochschule für Ökonomie arbeitenden Professo- ren und Dozenten für Finanzwirtschaft wurden an die Wirtschaftswissen- schaftliche Fakultät der Humboldt-Universität berufen. Dies verursachte eine empfindliche Lücke im Finanzökonomischen Lehr- und Forschungs- profil der Hochschule. Wie jedoch die gemeinsamen Buchpublikationen der Humboldt-Universität und der Hochschule für Ökonomie nach 1970 zeigen, blieben die engen wissenschaftlichen Beziehungen zwischen den durch jahrzehntelange Zusammenarbeit verbundenen Finanzwis- senschaftlern erhalten. - Weitere 25 % der an der Hochschule für Ökonomie arbeitenden Profes- soren und Dozenten für Finanzwirtschaft wurden mit dem Aufbau einer an der Hochschule für Ökonomie neugegründeten Sektion Betriebswirt- schaft betraut. Sie leisteten hier zusammen mit Lehrkräften aus den Fachdisziplinen für Technologie und Rechnungsführung und Statistik ei- nen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung der neu entstandenen Sektion Betriebswirtschaft. - Ebenfalls etwa 25 % der an der Hochschule für Ökonomie arbeitenden Professoren und Dozenten der Finanzwirtschaft wurden in die Sektion
8 Volkswirtschaft der Hochschule integriert und haben hier zur Stärkung des wissenschaftlichen Potentials der Volkswirtschaftlichen Sektion der Hochschule für Ökonomie beigetragen. Sie waren konzentriert im Lehr- stuhl für Finanzen und im Lehrstuhl Bereiche und Zweige der Volkswirt- schaft. Die in allen Jahrzehnten der Hochschulentwicklung sowohl betriebswirt- schaftlich als auch volkswirtschaftlich orientierte Grundstruktur der finanzwirt- schaftlichen Lehre und Forschung blieb damit auch nach 1970 erhalten. Wie die finanzwissenschaftliche Arbeit nach 1970 weitergeführt wurde, wird in späteren Abschnitten dargestellt. Zunächst ist jedoch zu skizzieren, welches Profil die finanzwissenschaftliche Arbeit in den 1950er Jahren hatte und welchen Beitrag die Finanzwissenschaftler in den 1960er Jahren bei der anvisierten Gestaltung des Neuen Ökonomischen Systems der DDR leisten konnten. 2 Entwicklungsetappen der inhaltlichen Gestaltung der finanzökonomischen Lehre und Forschung an der Hoch- schule für Ökonomie 2.1 Finanzökonomische Lehre und Forschung in den 1950er Jahren Im ersten Nachkriegsjahrzehnt war aufgrund der Folgeerscheinungen der Kriegswirtschaft auch von den Wirtschaftswissenschaftlern der DDR eine zent- rale, administrativ gelenkte Ressourcenverteilung als einzig mögliche Variante der Wirtschaftsleitung akzeptiert worden. Mitte der 1950er Jahre wurden jedoch von führenden Wirtschaftswissenschaftlern der DDR, wie zum Beispiel von Fritz Behrens, Arne Benary, Gunter Kohlmey und Herbert Wolf Auffassungen publi- ziert, die entsprechend der erreichten wirtschaftlichen Entwicklung eine stärkere Nutzung des Marktes für die Regulierung der Wirtschaft, die bessere Berück- sichtigung von Angebot und Nachfrage bei der Preisbildung, eine unabhängige Rolle der Staatsbank und die wirkungsvollere Steuerung der Wirtschaft durch Kredit, Zins und Geldemission forderten. Die damit verbundenen Diskussionen und Vorschläge, die mit Dogmen des zentralistischen Planungsmodells bra- chen, wurden von der Partei- und Staatsführung als ein Versuch zur Schwä- chung der Staatsmacht klassifiziert und als schädlich und revisionistisch zu- rückgewiesen. Mit der scharfen Kritik der Parteiführung an diesen Auffassungen und den dazu von der Partei bestellten Artikeln in den Fachzeitschriften wurden den Wirtschaftswissenschaftlern deutlich die Grenzen des zugelassenen wis- senschaftlichen Meinungsstreites gezeigt.1 Diese der Wirtschaftswissenschaft gezogenen Grenzen haben die finanz- ökonomische Lehre und Forschung auch an der Hochschule für Ökonomie bis Anfang der 1960er Jahre weitgehend bestimmt. In Buch- und Pressepublikatio- nen wurde die vermeintlich notwendige Unterordnung des Wertgesetzes durch die Planung formuliert, einseitig das Primat der materiellen Planung betont und 1 Vgl. Klaus Steinitz, Das Spannungsfeld von ökonomischer Forschung und Politik in der DDR und ein Vergleich mit der Bundesrepublik, In: G. Krause, Ch. Luft, K. Steinitz (Hrsg.), Wirtschaftstheorie in zwei Gesellschaftssystemen Deutschlands, S. 33 – 62.
9 die These vom einheitlichen sozialistischen Finanzsystem akzeptiert, die darauf hinauslief, die Staatsbank in das Korsett der Finanzpolitik einzubinden und fi- nanzpolitische Interessen über geldpolitische Stabilitätserfordernisse zu stellen. Für die Publikation anderer Auffassungen war in den volkswirtschaftlich orien- tierten Finanzbereichen der Hochschule in dieser Zeit kein Spielraum gegeben, obgleich es in diesen Wissenschaftsbereichen auch stärker marktwirtschaftlich orientierte Denkansätze gab. Anders war die Publikationssituation in den betriebswirtschaftlich geprägten Finanzbereichen der Finanzökonomischen Fakultät, da in diesen Bereichen gesamtvolkswirtschaftliche Fragen kein Publikationsgegenstand waren. Hier entstanden in den 1950er Jahren bedeutende Veröffentlichungen: - Der Finanzplan des volkseigenen Betriebes, Autor: E. Knauthe, - Die Einheit von materieller und finanzieller Planung, Autor: E. Knauthe, - Die Kostenplanung in sozialistischen Industriebetrieben, Autor: E. Ku- pfernagel, - Die Bewertung der Umlaufmittel, Autor: E. Kupfernagel, - Die Berechnung des Nutzeffektes von Investitionen, Autor: E. Knauthe. Zur Wertung dieser Publikationen ist an dieser Stelle eine Bemerkung zu meinem eigenen beruflichen Werdegang notwendig. Von 1949 - 1960 habe ich im Berliner Stadtkontor, der größten Ostberliner Geschäftsbank gearbeitet, hat- te 1955 ein Fernstudium an der Hochschule für Ökonomie in der Fachrichtung Finanzen aufgenommen und war in den 1950er Jahre in der Kreditabteilung der Bank und als Bezirksbankdirektor in Berlin-Mitte tätig. Für die Wirtschaftspraktiker und Fernstuden- ten waren die Publikationen der Hochschule für Ökonomie von großem Wert. Sie halfen nicht nur im Studium, sondern waren für meine Kollegen und mich auch eine große Hilfe im Kreditgeschäft. Wir hatten als größte Ostberliner Bezirksbank zahlreiche Kreditkunden aus dem volkseigenen, halbstaatlichen und privaten Geschäftssektor. Die Entscheidung über Kreditanträge erforderte die Fähigkeit zur Analyse der Kosten und des Um- schlags der Umlaufmittel, die Berechnung des Nutzeffektes von Investitionen und die Analyse der betrieblichen Finanzlage. Hier waren die ge- nannten Publikationen eine große Hilfe. Sie wa- ren praxisnah geschrieben und dadurch sehr nützlich für unsere Arbeit. Aus der Sicht eines damaligen Fernstudenten ist auch noch eine Bemerkung zu zwei politöko- nomisch und volkswirtschaftlich orientierten Vor- lesungsreihen der damaligen Zeit zu machen. Neben den 14-täglichen Fernstu- denten-Konsultationen konnte ich im Frühjahrssemester 1957/1958 zwei Vorle- sungsreihen besuchen, die mich sehr geprägt haben:
10 - Die erste Vorlesungsreihe wurde vom damaligen Rektor der Hochschule für Ökonomie, Prof. Dr. Alfred Lemmnitz gehalten und hatte im Rahmen einer politökonomischen Vorlesungsreihe die Problematik von Geld und Währung in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung zum Inhalt. Schon die politökonomische Anlage der Vorlesung hat mich sehr beein- druckt. Sie hat mir die gesellschaftliche Wirkung ökonomischer Gesetze bewusst gemacht, mich an den Marxismus herangeführt und mich auch weltanschaulich sehr geprägt. Dazu hat beigetragen, dass der Lebens- weg von Alfred Lemmnitz durch einen eigenen jahrzehntelangen aufop- ferungsvollen Kampf gegen den Faschismus charakterisiert war und sein Engagement für den Marxismus durch sein eigenes Leben untermauert war. Seine inhaltlichen Positionen zur Rolle des Geldes in der Gesellschaft waren überzeugend. Obgleich seinerzeit die Probleme von Geld und Währung in der Sowjetunion und zum Teil auch in der DDR eher abwer- tend und in gewisser Weise als Muttermal des Kapitalismus behandelt wurden, ging diese Vorlesungsreihe davon aus, dass das Geld in jeder warenproduzierenden Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielt. Das Geld wurde für alle Reproduktionsphasen als notwendiges Instrument der Wirtschaftsführung charakterisiert. In der Produktionsphase dient es der Effektivitätsmessung und der Leistungsstimulierung. In der Zirkulationsphase zeigt es inwieweit gesellschaftliche notwen- dige Arbeit geleistet wurde. In der Distributionsphase dient es der sozialen Umverteilung von Na- tionaleinkommen, offenbart aber auch Widersprüche zwischen Effek- tivität und Verteilung und reflektiert die dadurch verursachte Geld- emission. In der Endverwendungsphase des Nationaleinkommens vermittelt es die Realisierung der Akkumulation und Konsumtion und widerspie- gelt die Effektivität der Reproduktion. Für die Sicherung von Effektivität, Proportionalität und Stabilität ist die Nutzung des Geldes in allen Reproduktionsphasen unentbehrlich. Mich hat diese Auffassung von dieser Rolle des Geldes in der sozialistischen Gesellschaft lebenslang geleitet und meinen eigenen späteren wissen- schaftlichen Werdegang maßgeblich mitbestimmt, obgleich ich in späte- ren Jahrzehnten auch in Widersprüche mit einigen geldtheoretischen Thesen von Lemmnitz geriet und beispielsweise seinen Auffassungen zum Goldgehalt der Währung und zur Negierung des Kreditgeldcharak- ters des Geldumlaufs nicht folgen konnte. - Eine zweite mich stark beeindruckende Vorlesungsreihe wurde durch den Direktor des Instituts für Geldzirkulation und Kredit der HfÖ, Prof. Dr. Heinz Joswig gehalten. Ich kannte Heinz Joswig schon seit 1952 aus seiner damaligen Tätigkeit als Dozent an der Bankenfachschu- le in Radebeul. Schon damals hatte mich sein Lebenslauf sehr beein- druckt. Aus einer bürgerlichen Familie kommend, war er Anfang der 1930er Jahre Filialleiter und Prokurist der Deutschen Bank in Südameri- ka gewesen, dann Offizier der Wehrmacht geworden, in sowjetischer
11 Kriegsgefangenschaft dem Bund antifaschistischer Offiziere beigetreten und nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft in die damalige sowjetische Besatzungszone gekommen, um hier Bankfachleute auszu- bilden. In seiner Vorlesungsreihe zum Bankensystem setzte er sich überzeugend mit dem kapitalistischen Bankensystem auseinander, cha- rakterisierte die Möglichkeiten und Erfordernisse eines sozialistischen Kreditwesens und beeindruckte mit seinen soliden Sachkenntnissen ebenso wie mit seinen internationalen Erfahrungen und seinen Sprach- kenntnissen in Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch. Mit seiner fachlichen Kompetenz, Weltoffenheit, Toleranz und Kontaktstärke hat er Hunderte von deutschen und ausländischen Studenten und eine Vielzahl von Assistenten und Führungskräften des Bankwesens ausgebildet und als er am 26. März 2011 seinen 100. Geburtstag feiern konnte, gratulier- ten ihm zahlreiche der von ihm geformten Wissenschaftler und führen- den Wirtschaftspraktikern und dankten ihm für seinen Beitrag zu ihrem Lebensweg. Für mich hat Heinz Joswig 1960 einen entscheidenden neuen Lebensab- schnitt eingeleitet. Er überzeugte mich nach Abschluss meines Fernstudiums aus dem Bankwesen in die Hochschule für Ökonomie überzuwechseln, wurde hier mein Doktorvater, hat dann über Jahrzehnte meine wissenschaftliche Ent- wicklung begleitet und mich auch an die internationale wissenschaftliche Arbeit herangeführt. Durch meinen Arbeitsplatzwechsel von der Bank zur Hochschule für Ökonomie konnte ich in den 1960er Jahren die sich aus dem anvisierten Neuen Ökonomischen der DDR ergebenden Anforderungen und Probleme der finanzökonomischen Lehre und Forschung aus der Sicht eines Hochschulmitar- beiters spüren. Dabei kam ich zu einem Zeitpunkt an die Hochschule für Öko- nomie, wo schrittweise um die Gestaltung eines Neuen Ökonomischen Systems der DDR gerungen wurde und eine Atmosphäre der wissenschaftlichen Aufge- schlossenheit bestand. Als Mitarbeiter am Institut für Geldzirkulation und Kredit konnte ich mich in meiner Lehr- und Forschungsarbeit auf die makroökonomi- sche Aufgabenstellung der Staatsbank konzentrieren und miterleben, wie Theo- rie und Praxis eine wachsende Rolle der Staatsbank bei der Sicherung von Wachstum und Währungsstabilität forderten. 2.2 Finanzökonomische Arbeit bei dem in den 1960er Jahren anvisierten Neuen Ökonomischen System (NÖS) Anfang der1960er Jahren hatten sich in den Ländern des real existierenden Sozialismus Bedingungen entwickelt, die Fragen nach einer prinzipiellen Wei- terentwicklung des Wirtschaftsmodells aufwarfen. Den Anforderungen der sich entfaltenden wissenschaftlich-technischen Revolution konnte der bisherige Wirtschaftsmechanismus nicht mehr genügen. Es ging nicht mehr einseitig um ein mengenmäßiges Wachstum der Produktion, sondern um qualitative Verän- derungen beim Wirtschaftswachstum. Es galt, neue dem wissenschaftlich- technischen Fortschritt entsprechende Produktionslinien und Produktionsstruk- turen durchzusetzen, einen sparsamen und effektiven Ressourceneinsatz zu sichern und insgesamt die Effektivität des wirtschaftlichen Handelns zum Maß- stab des Wirtschaftswachstums zu entwickeln. Mit simplen Planauflagen einer Bruttoproduktions-Steigerung ließen sich diese Ziele nicht erreichen.
12 Ziel musste es sein, schon bei der zentralen volkswirtschaftlichen Wachs- tumsplanung eine einseitig auf das Produktionswachstum gerichtete Orientie- rung zu überwinden und die Aufgaben der Effektivitätssteigerung in den Mittel- punkt zu stellen. Zugleich war ein Wirtschaftsmechanismus zu entwickeln, der die Betriebe auf das Effektivitätswachstum orientierte, ihnen eigene marktwirt- schaftliche Entscheidungsspielräume gab und das kollektive und individuelle Eigeninteresse der Wirtschaftsubjekte zur Triebkraft der Wirtschaftsentwicklung und der Effektivitätssteigerung machen würde. Auf diese zwei natürlich mitei- nander verbundenen Aufgaben war das in den 1960er Jahren anvisierte Neue Ökonomische System der DDR gerichtet. Es forderte, die zentrale Planung auf die Grundfragen des Effektivitätswachstums zu konzentrieren und gleichzeitig Systemregelungen, Leistungsmaßstäbe und Leistungsanreize zu entwickeln, die das zunehmend eigenverantwortliche Handeln der Betriebe auf das Effekti- vitätswachstum lenkten. Der Nutzung der Wertkategorien kam bei dieser anvisierten Neugestaltung des Ökonomischen Systems der DDR eine zentrale Rolle zu. In Auswertung der Anfang der 1960er Jahre auch in der DDR erschienenen Publikation des sowje- tischen Akademiemitglieds J. A. Kronrod zur Rolle des Wertgesetzes und des Geldes in der sozialistischen Wirtschaft und der vom sowjetischen Ökonomen J. Liberman 1962 publizierten These, dass nicht staatliche Planauflagen, son- dern das Eigeninteresse der Betriebe Triebkraft der Wirtschaftsentwicklung sein müsse, wurde auch von den Wirtschaftswissenschaftlern der DDR die Forde- rung erhoben, den Wertkategorien eine größere Rolle im System der Leitung und Planung der Volkswirtschaft der DDR einzuräumen. Damit sollte den Erfor- dernissen der Effektivität und der ökonomischen Stimulierung des wirtschaftli- chen Handelns Rechnung getragen werden. In der Grundrichtung übereinstimmend wurden in Veröffentlichungen - der Akademie für Gesellschaftswissenschaften, des Zentralinstituts für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften und des Zentralinstituts für sozialistische Wirtschaftsführung, - der Forschungsinstitute der Staatlichen Plankommission und des Minis- teriums der Finanzen, - der wirtschaftswissenschaftlichen Institute der Universitäten und Hoch- schulen Gedanken und Vorschläge für eine stärkere Nutzung der Wertkategorien im Wirtschaftsmechanismus der DDR unterbreitet. Auch die Hochschule für Öko- nomie war mit ihren Sektionen daran beteiligt. An der damaligen Fakultät für Fi- nanzen der Hochschule für Ökonomie wurden zum Beispiel folgende zwei For- schungskomplexe bearbeitet:
13 Ein erster vor allem vom Institut für die Finanzen der Wirtschaftszweige ge- tragener Forschungskomplex konzentrierte sich auf: Die Rolle des Gewinns, der Kosten und der finanziellen Nutzeffektsberechnungen im Neuen Ökonomischen System. Kooperationspartner waren Wirtschaftspraktiker aus den Betrieben und den wirtschaftsleitenden Organen. Teilergebnisse aus dem Forschungskomplex wurden 1963, 1965 und 1968 vorgelegt, verteidigt und veröffentlicht. Forschungsträger: E. Knauthe, E. Kupfernagel, K. Maier, H. Pohl, E. Seifert. Nachstehende Bücher und Broschüren wurden im Verlag Die Wirtschaft publi- ziert: E. Kupfernagel, Zur Kostenrechnung in den sozialistischen Industriebetrieben, E. Knauthe, Die Berechnung des Nutzeffektes von Investitionen, E. Seifert, K. Maier, H. Pohl, Gewinn und wirtschaftliche Rechnungsführung der Betriebe, H. Brandt, E. Knauthe, E. Seifert, Die Finanzen der Industrie. Ein zweiter vor allem vom Institut für Geldzirkulation und Kredit getragener Forschungskomplex konzentrierte sich auf: Die Nutzung von Kredit und Zins und die Planung des Kredites und der Geldzirkulation im volkswirtschaftlichen Wachstumsprozess Dieser Forschungskomplex umschloss sowohl die Geschäftsbankfunktion und damit die mikroökonomischen Aufgabenstellung des Kreditsystems als auch die Staatsbankfunktion und damit die makroökonomische Aufgabenstellung des Kreditsystems. Teilergebnisse aus dem Forschungskomplex wurden 1964, 1965, 1966, 1967 und 1969 vorgelegt, verteidigt und veröffentlicht. Forschungsträger: H. Finger, D. Hunstock, H. Keller, E. Polaschewski, W. Stoll, K. H. Tannert Nachstehende Bücher und Broschüren wurden im Verlag Die Wirtschaft publi- ziert: H. Finger, E. Polaschewski, W. Stoll: Kredit, Zins, Zahlungen im Neuen Öko- nomischen System D. Hunstock, H. Keller: Zur Kreditplanung im Neuen Ökonomischen System, K. H. Tannert, H. Plöntzke, H. Gloede: Der Investitionskredit in der Landwirt- schaft. Kooperationspartner waren die Deutsche Notenbank, die Außenhandelsbank und die Landwirtschaftsbank. Wissenschaftliche Partnerschaftsbeziehungen bestanden ebenfalls zum Ökonomischen Forschungsinstitut des Ministeriums der Finanzen. Für unsere eigene Forschungsarbeit waren hier insbesondere die Veröffentlichungen von H. Egerland zur Geldverflechtungsbilanz anregend. Be- deutende Forschungsarbeit zur Finanzbilanzierung und zur außenwirtschaftli- chen Aufgabenstellung der Finanz- und Bankorgane hat vor allem auch F. John geleistet. Auf dem Gebiet der Politischen Ökonomie waren insbesondere die Arbeiten von W. Schließer zur Nutzung der Wertkategorien hilfreich. Die generelle Verlaufsgeschichte des Neuen Ökonomischen Systems der DDR ist bekannt. In der Sowjetunion waren schon im eigenen Land die Forde-
14 rungen nach einer stärkeren Nutzung der Wertkategorien bei der Leitung und Planung der Wirtschaft auf Vorbehalte gestoßen. Mit noch größerem Argwohn wurden von der sowjetischen Führung die Bestrebungen der DDR nach einem Neuen Ökonomischen System betrachtet. Sie empfanden das Neue Ökonomi- sche System der DDR als eine Kritik am eigenen auf den schnellen Aufbau des Kommunismus gerichteten Gesellschaftsmodell und sahen in der geforderten stärkeren Nutzung der Wertkategorien eine Abkehr von Grundprinzipien des kommunistischen Aufbaus. Unter sowjetischem Einfluss versickerten Ende der 1960er Jahre die Bemühungen der DDR um den Aufbau eines neuen ökonomi- schen Systems und wurden 1971 nach dem VIII. Parteitag der SED eingestellt. Diese Charakterisierung der Verlaufsgeschichte des Neuen Ökonomischen Systems der DDR bedarf jedoch ergänzender und präzisierender Bemerkun- gen. Am Beispiel der zwei obengenannten Forschungskomplexe ist zu zeigen, dass es auch DDR-spezifische Barrieren bei der Umsetzung des NÖS gab, die letztlich zu seinem Scheitern beitrugen. Andererseits wurden Teilanliegen des NÖS auch nach 1971 weitergeführt und seine Grundgedanken hinterließen in der DDR im wirtschaftswissenschaftlichen Lehrgebäude und in der wirtschafts- praktischen Arbeit der Betriebe und staatlichen Institutionen durchaus auch bleibende Spuren. Zur Forschungsarbeit der HfÖ über die Rolle des Gewinns, der Kosten und der finanziellen Nutzeffektsberechnungen im Neuen Ökonomischen System Ein verbal formuliertes Ziel des NÖS war es, den Betrieben größere Entschei- dungsfreiheiten hinsichtlich ihrer Investitionsziele und ihrer Produktionsstruktu- ren zu gewähren. Sie sollten sich eigenverantwortlich auf die Bedürfnisse des Marktes orientieren. Optimierungskriterium ihrer Arbeit sollte die Gewinnerwirt- schaftung werden. Es wurde davon ausgegangen, dass sich in der Gewinner- wirtschaftung sowohl die Aufwandsseite wie auch die Ergebniswirkungen des wirtschaftlichen Handels widerspiegeln. Im Gewinn werden die Aufwandssen- kung und die Fondsausnutzung sichtbar und es wird ebenso der Produktionsab- satz, das erreichte Qualitätsniveau und die Außenwirtschafteffektivität reflektiert. Über die Entwicklung des Gewinns zum Optimierungskriterium des wirtschaftli- chen Handelns sollten die Betriebe stimuliert werden, nach Investitionslinien und Produktionsstrukturen zu suchen, die Aufwandsenkungen, Fondsausnutzung, Produktionssteigerungen, Qualitätsniveau und Außenwirtschaftseffektivität si- chern. Tatsächlich blieben jedoch die Entscheidungsspielräume der Betriebe über Investitionen, Produktionslinien und Außenwirtschaftstrukturen vorgezeichnet. Ihre Entscheidungsfreiheit über Investitionen war durch die zentrale Bilanzierung und Kontingentierung wichtiger Investitionsgüter begrenzt, ihre Materialdisposi- tionen und damit ihre Produktionslinien durch die Materialkontingentierung weit- gehend vorgegeben und selbständige Außenwirtschaftskonzeptionen durch die zentrale Export-Beauflagung nach Länder- und Erzeugnisgruppen nahezu aus- geschlossen. Für eigene auf Markterfordernisse und Rentabilität gerichtete Wachstumsvarianten blieb den Betrieben weiterhin nur wenig Spielraum. Dieses starre Festhalten an der zentralen Bilanzierung und Bewirtschaftung wichtiger Investitionsgüter und Materialfonds und die Vorgabe der Außenwirtschaftstruktu- ren hat die Nutzung des Gewinns als Optimierungskriterium des wirtschaftlichen
15 Handels faktisch ausgeschlossen. Neben der sowjetischen Einwirkung war dies eine erste wichtige Ursache für das Scheitern des Neuen Ökonomischen Sys- tems in der DDR. Ein zweiter Faktor, der die Durchsetzung des Neuen Ökonomischen Sys- tems behinderte und letztlich zu seinem Scheitern führte, war die Preisgestal- tung. Ein realer Kosten- und Gewinnausweis verlangt eine Preisbildung, die vom gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand ausgeht, die Relationen von An- gebot und Nachfrage und damit auch die Knappheitsgrade miterfasst. Diese Bedingungen waren nur unzureichend gegeben, sodass der Ausweis der Kos- ten und Gewinne verzerrt blieb, die Nutzeffektsberechnung von Investitionen beeinträchtigt wurde und rentabilitätsorientierte Wertungen nur begrenzt möglich waren. Ein dritter Aspekt bezieht sich auf den betrieblichen Kreislauf des Geldes. Das Neue Ökonomische System forderte von den Betrieben die Eigenerwirt- schaftung ihrer für die erweiterte Reproduktion erforderlichen Akkumulations- fonds. Kredite sollten nur als ergänzende Finanzierungsquelle genutzt werden und ebenfalls aus erwirtschafteten Eigenmitteln rückzahlbar sein. Mit einer Ab- führungsquote von weit mehr als 50 % des erwirtschafteten Reineinkommens war jedoch die Eigenfinanzierung der Akkumulationsmittel nicht möglich und auch in dieser Hinsicht die Forderung des NÖS nicht erfüllbar. Auch gab es kei- ne langfristigen Normative der Gewinnerwirtschaftung und der Gewinnabfüh- rung, so dass in den Betrieben keine eigenen langfristigen Dispositionen über den Einsatz ihrer Gewinne möglich waren. Ein vierter Grund, der das Neue Ökonomische System scheitern ließ, war die unzureichende Verknüpfung der Gewinnerwirtschaftung mit den materiellen Interessen der Betriebsbelegschaften. Die Mehr- oder Mindererwirtschaftung von Gewinnen hatte nur geringe Wirkungen auf die Zuführungen zu den Prä- mienfonds der Betriebe. Lediglich die Überplangewinne wirkten sich auf die Prämienfondsbildung aus, so dass es kein ausreichendes materielles Interesse der Betriebe und ihrer Belegschaften an der Gewinnerwirtschaftung gab. Unter Berücksichtigung dieser vier Wirkungsbedingungen des NÖS in der DDR war die Nutzung des Gewinns als Optimierungskriterium des wirtschaftli- chen Handelns der Betriebe nicht möglich. Das Scheitern des NÖS kann folglich nicht nur auf den Einfluss der Sowjetunion zurückgeführt werden. Auf die in der DDR eingeengten Wirkungsbedingungen des NÖS wurde in den Forschungsbe- richten zwar eingegangen, aber die Forderungen nach Veränderungen des Wirtschaftsmechanismus waren zaghaft und nicht mit einer prinzipiellen Kritik des Wirtschaftsmechanismus der DDR verbunden. Ursachen dafür sind in der zusammenfassenden Geschichte der Hochschule für Ökonomie dargestellt. Für die Lehre hat jedoch die Forschungsarbeit deutlichen Nutzen gebracht. Die Studenten wurden zur Analyse des betrieblichen Wirtschafts- und Geldkreis- laufes befähigt, mit der Kostenrechnung, Gewinnanalyse und den Nutzeffektsrechnungen vertraut gemacht und haben gelernt, ökonomische Sachverhalte und Zusammenhänge zu bewerten und die Erfordernisse des Ef- fektivitätswachstums zu erfassen.
16 Die zur Rolle des Gewinns, der Kosten und der finanziellen Nutz- effektsberechnungen geleistete Forschungsarbeit hat sich dann auch 1969 beim Aufbau der Sektion Betriebswirtschaft an der Hochschule für Ökonomie als wertvoll erwiesen. Die betriebswirtschaftlich geprägten Finanzwirtschaftler der Fakultät für Finanzwirtschaft, aber auch Finanzwirtschaftler aus den Instituten für Staatshaushalt sowie Geldzirkulation und Kredit wurden mit dem Aufbau der an der Hochschule neu entstehenden Sektion Betriebswirtschaft beauftragt und konnten hier ihr wissenschaftliches Leistungsvermögen einbringen. Ihre Lehr- und Forschungsarbeit konzentrierte sich auf die Gebiete der Kos- tentheorie, der wirtschaftlichen Rechnungsführung, der Betriebsfinanzierung und der Betriebsanalyse. Ihre wissenschaftliche Arbeit war eine wichtige Grund- lage dafür, dass mit Beginn des Studienjahres 1970/71 die Ausbildung der Di- rekt- und Fernstudenten aller Fachrichtungen der Hochschule auf dem Lehrge- biet der Betriebswirtschaft erfolgreich aufgenommen wurde und dass im Jahre 1973 die Kostenrechnung und die betriebliche Finanzbilanzierung in das Grund- studium eingeführt werden konnte. Als im Jahre 1977 der Sektion Betriebswirt- schaft die Aufgabe gestellt wurde, Studenten in der Fachrichtung Betriebswirt- schaft/Industrie - Finanzen der Betriebe und Kombinate auszubilden, war das wissenschaftliche Potential für diese Aufgabe gegeben, so dass auch diese Aufgabe erfolgreich gelöst werden konnte. Schließlich wurden in den 1970er und 1980er Jahren von der Sektion Betriebswirtschaft2 wichtige Forschungser- gebnisse zum Effektivitätswachstum in Publikationen und auf internationalen Konferenzen vorgestellt, die eine zielstrebige Weiterführung der Forschungsar- beit zur Kosten und Rentabilitätstheorie sowie zur Nutzeffektsproblematik do- kumentierten. Das ursprüngliche Ziel der Forschungsarbeit der 1960er Jahre, den Betrieben weitgehende marktwirtschaftliche Entscheidungsfreiheiten zu gewähren, konnte jedoch erst nach 1989 wieder Gegenstand der Forschungs- arbeit werden. Zur Forschungsarbeit der HfÖ über die Nutzung von Kredit und Zins und die Planung des Kredites und der Geldzirkulation im volkswirtschaftlichen Wachstumsprozess Während die Forschungsarbeiten zur Entwicklung marktwirtschaftlicher Ent- scheidungsfreiheiten für die Betriebe nach 1971 abrupt abgebrochen wurden, gab es hinsichtlich der wissenschaftlichen und wirtschaftspraktischen Arbeit zur Nutzung von Kredit und Zins und zur Planung von Kredit und Geldzirkulation eine deutlich stärker ausgeprägte Kontinuität. Schrittweise wurden auf diesen Gebieten die Forschungsarbeiten auch nach 1971 weitergeführt und Arbeitser- gebnisse der 1960er Jahre in der Wirtschaftspraxis umgesetzt. Die Forschungs- arbeit umschloss sowohl die mikroökonomische Geschäftsbankfunktion wie auch die makroökonomische Staatsbankfunktion des Kreditsystems. In enger Forschungskooperation zwischen der Staatsbank und dem Institut für Geldzirkulation und Kredit wurden für die mikroökonomische Aufgabenstel- 2 Die Lehr- und Forschungsarbeit der Sektion Betriebswirtschaft kann hier nicht nä- her behandelt werden, sondern sollte Gegenstand einer spezifischen Publikation sein.
17 lung und die Geschäftsbankfunktion des Kreditsystems folgende Grundsätze zur ökonomischen Stimulierung der Betriebe entwickelt: - die Forderung nach einer angemessenen Eigenmittelbeteiligung der Be- triebe bei der Finanzierung der Umlaufmittelsphäre und bei der Durchfüh- rung von Investitionsvorhaben. Damit sollte vor allem auf eine wachsen- de Gewinnerwirtschaftung hingewirkt werden. - die Vereinbarung von verbindlichen Kreditlaufzeiten bei der Kreditfinan- zierung der Umlaufmittel und bei der Bereitstellung von Kreditmitteln für Investitionsvorhaben. Dies sollte zu einer Beschleunigung des Um- schlags der Umlaufmittel und zu einem schnelleren Wirksamwerden von Investitionsvorhaben beitragen. - die Anwendung differenzierter Kreditzinssätze für die einzelnen Kreditob- jekte bei einem Grundzinssatz von 5 %, Zinsabschlägen bis auf 1,8 % und Zinszuschlägen bis auf 8 %. Dies wirkte sich auf die Gewinnerwirtschaf- tung aus und berührte im Rahmen der gesetzten Grenzen die materiellen Interessen der Belegschaften an der Rentabilitätsentwicklung. An der wissenschaftlichen Erarbeitung dieser Grundsätze der Kreditfinanzie- rung hatten aus der Staatsbank der DDR insbesondere W. Stoll, K. Schmalfuß, F. Tuttlies und W. Schilke einen entscheidenden Anteil. Diese Stimulierungsin- strumentarien der Geschäftsbanken haben in den Betrieben darauf hingewirkt, nach Wegen zur Kostensenkung und steigender Gewinnerwirtschaftung zu su- chen, den Umschlag der Umlaufmittel zu beschleunigen, die Zeitdauer für Inves- titionsvorhaben zu verkürzen und den Nutzeffekt der Investitionsvorhaben zu erhöhen. Zur Bestimmung der makroökonomischen Aufgabenstellung und der Staats- bankfunktion des Kreditsystems haben beigetragen: - eine im Jahre 1966 im Institut für Geldzirkulation und Kredit angefertigte und der Staatsbank vorgelegte Studie über die Aufgabenstellung der Staatsbank bei der Planung der Nationaleinkommensproportionen, - ein im November 1967 auf der Internationalen Konferenz der Finanzöko- nomischen Fakultät gehaltener Beitrag zum Zusammenhang der Geld- wert-, Geldeinkommens- und Geldumlaufentwicklung mit der Nationalein- kommensreproduktion, - die Mitarbeit des Instituts für Geldzirkulation und Kredit an der im Früh- jahr 1968 erarbeiteten Studie des Finanzökonomischen Forschungsinsti- tuts zu Problemen der Währungsstabilität, - eine für die studentische Ausbildung genutzte Modellrechnung über den Geldkreislauf, die volkswirtschaftliche Kreditentwicklung und die Kriterien der Währungsstabilität, - der im Mai 1969 vom Institut für Geldzirkulation und Kredit vorgelegte Forschungsbericht zur Nutzung von Geld und Kredit im volkswirtschaftli- chen Wachstumsprozess. Inhaltliche Forderung dieser vorstehend aufgeführten wissenschaftlichen Beiträ- ge war es, dass die Staatsbank durch ihre Geld- und Kreditpolitik das volkswirt- schaftliche Wachstum fördern soll, aber zugleich auf die Sicherung von Effektivi-
18 tät, Proportionalität und Stabilität einwirken muss. Dazu kann die Staatsbank die in ihrer Verantwortung auszuarbeitende Kreditbilanz nutzen, da die Kreditbilanz reflektiert, ob und inwieweit aufgestaute Geldüberhänge aus zurückliegenden Entwicklungsperioden existieren und welches kumulative Volumen die innere und äußere Kreditverschuldung hat. In den wissenschaftlichen Arbeiten wurde herausgearbeitet, dass die Staatsbank, ausgehend von der Kreditbilanzierung, auf die Bestimmung der Nationaleinkommensproportionen Einfluss nehmen muss und durch ihre Einwirkung zur Begrenzung der inneren und äußeren Kre- ditverschuldung und zur Stabilität des Geldwertes, der Geldeinkommen und des Geldumlaufs beizutragen hat Zwischen der wissenschaftlichen Erkenntnis dieser ökonomischen Erforder- nisse in Theorie und Praxis und ihrer Umsetzung in verbindliche Rechtsnormen liegt jedoch erfahrungsgemäß ein längerer Weg. Viele Widersprüche, Span- nungsfelder und Meinungsunterschiede sind hier zu überwinden. In diesem Fal- le mussten die leitenden Führungskräfte der Staatsbank bis 1974 darum ringen, die von Theorie und Praxis angestrebten Grundsätze über die makroökonomi- sche Aufgabenstellung der Staatsbank in einem Gesetz über die Staatsbank einzubringen. Für diesen langen Zeitraum der Umsetzung wirtschaftstheoreti- scher Erfordernisse in Rechtsnormen gab es im konkreten Falle mehrere Ursa- chen. Zunächst einmal war die Zeit nach 1971 und dem zu diesem Zeitpunkt vollzogenen politischen Führungswechsel in der SED nicht gerade durch Re- formeifer charakterisiert. Es gab politische Vorbehalte gegenüber einer Stärkung der makroökonomischen Funktion der Staatsbank. Der Voluntarismus in der Wirtschaftspolitik nahm zu3 und es war in der politischen Führung die Auffas- sung verbreitet, dass sich wirtschaftliches Wachstum auch ohne Berücksichti- gung finanzieller Stabilitätskriterien durchsetzen ließe. Ebenso wurde die Auf- wertung der Staatsbank durch gegensätzliche Kompetenzansprüche zwischen den zentralen Staatsorganen behindert. Die vorrangig für die materielle Wachs- tumsplanung verantwortlichen Staatsorgane gingen nach wie vor vom Primat der materiellen Planung aus und die für die Haushaltsplanung zuständigen Staatsorgane sahen ihre Haushaltsinteressen durch eine auf Stabilität orientier- te Staatsbank beeinträchtigt. Außerdem musste 1974 zunächst die 1968 vorgenommene Schaffung eines zweistufigen Bankensystems rückgängig gemacht werden, bevor es zu einem Gesetz über die Staatsbank kam. Mit der Wiedereingliederung der Industrie- und Handelsbank in die Staatsbank wurde dann zwar verbal die makroökonomi- sche Position der Staatsbank gestärkt, aber zugleich deutlich gemacht, dass sich die Staatsbank nicht zu einer Zentralbank nach westlichem Muster entwi- ckeln soll, die mit ihrer Geld und Kreditpolitik die Liquiditätslage der Geschäfts- banken beeinflussen und damit makroökonomische Steuerungsimpulse auslö- sen könnte Bei all diesen Vorbehalten und gegensätzlichen Interessen war es ein gro- ßer Fortschritt, dass dennoch im Dezember 1974 auf Drängen der Staatsbank- führung ein Gesetz über die Staatsbank der DDR beschlossen wurde, das wich- 3 Vgl.: Abschnitt 3 des Beitrages von Walter Kupferschmidt in diesem Sammelband.
19 tige makroökonomische Aufgaben der Staatsbank festschrieb. Im Gesetz über die Staatsbank der DDR vom 19. Dezember 1974 hieß es in den §§ 1 und 4: - „Die Staatsbank hat durch die Wahrnehmung ihrer Funktionen aktiv auf das kontinuierliche Wachstum der Volkswirtschaft, die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Sicherung der Stabilität der Währung Ein- fluss zu nehmen“ (§ 1 ) und - „Die Staatsbank erarbeitet als Bestandteil der staatlichen Planung und in Übereinstimmung mit der Finanzbilanz des Staates die Kreditbilanz der Deutschen Demokratischen Republik und legt sie nach Abstimmung mit der Staatlichen Plankommission und dem Ministerium der Finanzen dem Ministerrat zur Bestätigung vor. Sie hat in allen Etappen der Planung ih- ren Standpunkt zu volkswirtschaftlichen Problemen der Proportionalität, Effektivität und Stabilität zu vertreten…“ (§ 4). Auch für die wissenschaftliche Arbeit und insbesondere für die Lehrarbeit in den Hochschulen brachte die gesetzliche Formulierung der makroökonomischen Funktion der Staatsbank bedeutende Fortschritte. Unter verantwortlicher Mitwir- kung leitender Führungskräfte der Staatsbank, aber auch anderer Mitarbeiter des Finanzsystems konnte 1976 ein Hochschullehrbuch für die Spezialisie- rungsrichtung Geldzirkulation und Kredit publiziert werden, das komplex die Staatsbank- und die Geschäftsbankfunktionen des Kreditsystems und die Auf- gabenstellung des gesamten Bankensystems behandelte. Geldzirkulation und Kredit in der sozialistischen Planwirtschaft Verlag Die Wirtschaft, 1976, Herausgeber: W. Ehlert, D. Hunstock, K. H. Tannert, Wissenschaftlicher Berater aus der Staatsbank: W. Stoll. In diesem Hochschullehrbuch wurde die theoretische Ableitung der Kreditfunkti- onen aus dem Wertgesetz begründet, die aktive Mitwirkung der Banken bei der Planung der volkswirtschaftliche Grundproportionen dargestellt und die Kriterien der Staatsbank bei der Beurteilung volkswirtschaftlicher Wachstumsziele cha- rakterisiert. Es wurde herausgearbeitet, dass die Ausweitung der Akkumulation vorrangig aus dem Reineinkommen zu sichern ist und dass einem ansteigenden Anteil der inneren und äußeren Kreditquellen bei der Akkumulationsfinanzierung entgegenzuwirken ist. Zugleich wurde deutlich gemacht, dass nicht realisierbare Geldeinkommen und ein dadurch entstehender Geldüberhang mit der notwen- digen Sicherung der Währungsstabilität unvereinbar sind. In der Realität war jedoch die Wahrnehmung dieser Aufgabe durch die Staatsbank ein schwieriger Prozess. Häufig wurden die kritischen Analysen der Bank über die Entwicklung der Effektivität und der Proportionalität und ihre wäh- rungspolitischen Sorgen und Hinweise ignoriert und zurückgewiesen. Dazu ha- ben mehrere Faktoren beigetragen: - Zunächst einmal spielten politische Erblasten hier eine wesentliche Rolle. Schon in den 1930er Jahren hatte Stalin in seinem Rechenschaftsbericht auf dem XVI. Parteitag der KPdSU die These vertreten, dass ein Kauf- kraftüberhang positive Auswirkungen auf das volkswirtschaftliche Wachs- tum hat. Nach Stalins Auffassung war es positiv zu werten „... dass das Wachstum des Verbrauchs (der Kaufkraft D. H.) das Wachstum der Pro-
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