Homeoffice: Von der Notlösung zur agilen Arbeitskultur
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Forum Homeoffice: Von der Notlösung zur agilen Arbeitskultur 8 WI RTSC H AFTSPSYCHO LO GIE aktue ll 3 | 2020
Forum Völlig überraschend und fast über Nacht wurde eine Arbeitsform von einem Nebenspiel- feld ins Zentrum geschoben: Das Homeoffice wurde im Zuge der sich ausbreitenden Corona-Pandemie urplötzlich zur „neuen Arbeitswelt“. Christian Ernst von der Techni- schen Hochschule Köln hat das Phänomen „Homeoffice“ bereits zu einer Zeit empirisch untersucht, als der coronabedingte kollektive „Hausarrest“ eine unfreiwillige Notlösung für viele war. Er zieht jetzt eine Bilanz: War das nur ein Strohfeuer oder die unfreiwillige Geburtshilfe des agilen Arbeitens der Zukunft? Z u Beginn dieses Jahres wurde durch die Corona- lediglich das Selbstbild der Betroffenen erhoben und Pandemie urplötzlich und unfreiwillig ein riesiges nicht die tatsächliche Produktivität gemessen wurde. Hier Pilotprojekt gestartet. „Ab ins Homeoffice“ hieß müsste die zukünftige Forschung ansetzen. Dennoch ge- es für die Mehrzahl der administrativ tätigen Menschen. riet das Arbeiten zu Hause zu einem Gegenentwurf einer In unserer Studie haben wir deshalb in dieser heißen auf Anwesenheit und Überwachung angelegten Arbeits- Phase des betrieblichen Lockdowns im April 2020 unter- moral, wie sie in traditionellen Unternehmenskulturen sucht, wie es den Menschen bei der Arbeit im heimischen noch vorherrscht. Es gibt einige Anzeichen, dass die Co- Umfeld ging – mit durchaus überraschenden Ergebnissen. rona-Krise ein Umdenken bei vielen Beschäftigten und Von den 903 Teilnehmenden der Ad-hoc-Studie ha- manchen Führungskräften gefördert hat. ben jeweils 36 % vorher noch nie oder selten im Home- office gearbeitet. 19 % hatten zuvor immerhin schon Homeoffice auch nach Corona? häufiger mobil gearbeitet und 5 % sehr häufig, 3 % waren reine Telearbeiterinnen. Die Studie zeigte eine – in Anbe- Die Studie zeigte, dass sich durch Corona vermutlich tracht der durch die Corona-Krise bedingten widrigen ein enormes Druckpotenzial von Seiten der Beschäftigten Umstände - eine erstaunlich hohe Zufriedenheit mit der aufbauen wird, auch nach der Pandemie weiterhin flexib- Homeoffice-Tätigkeit: 74 % der Befragten waren mit den ler arbeiten zu dürfen. Zwei Drittel der Befragten gaben Arbeitsbedingungen zufrieden oder sehr zufrieden, 21 % an, dass sie sich wahrscheinlich (27 %) oder auf jeden Fall äußerten sich mittelmäßig zufrieden und nur 5 % waren (38 %) vorstellen können, in Zukunft auch weiterhin im unzufrieden. Homeoffice zu arbeiten. 16 % waren sich nicht sicher und Da der Umstieg ins Homeoffice für viele sehr überra- nur 20 % lehnten dies ab und wollten zur alten Routine schend kam und die technisch-organisatorischen Bedin- im Unternehmen zurückkehren. 62 % der Frauen und gungen oftmals erschwert waren, ist die hohe Zufrieden- 68 % der Männer waren überzeugt von dieser Art des heit mit der Situation nur mit einem gehörigen Maß an flexiblen und mehr selbstbestimmten Arbeitens. Allerdings Improvisationstalent und Motivationsvermögen in der waren nur 55 % der Personen mit betreuungspflichtigen virusbedingten Krise erklärbar. Kindern davon ebenso überzeugt. Offensichtlich ist die In der Studie wurde zugleich erforscht, wie die von Tätigkeit zuhause mit kleinen Kindern für einige so stark heute auf morgen im Homeoffice „Gestrandeten“ die erschwert, dass diese die herkömmliche Trennung zwi- Produktivität gegenüber der Tätigkeit im Unternehmen schen Arbeit und Privatleben vorziehen. einschätzten. Auch bei dieser Frage ergab sich ein überra- In einer Folgeuntersuchung, die allerdings auf ein Ver- schendes Bild: Nur 20 % der Befragten schätzten ihre sicherungsunternehmen beschränkt war, gaben Anfang Produktivität geringer ein als zuvor, und 42 % der im Juli 2020 immerhin 73 % der Beschäftigten an, dass sie Homeoffice Beschäftigten betonten sogar, dass sie pro- auch nach Corona an einer Homeoffice-Tätigkeit interes- duktiver seien. Lediglich diejenigen, die zugleich betreu- siert seien. Untersucht wurden auch die Nachteile und Foto: convertkit/unsplash ungspflichtige Kinder um sich hatten, waren bei dieser Problembereiche einer Tätigkeit im Homeoffice (s. Abb. 1 Frage verständlicherweise skeptischer. nächste Seite). Diese Produktivitätseinschätzung widerspricht der Die eindeutig markantesten Probleme einer Tätigkeit teilweise gerade vom Management genährten Vermutung, im Homeoffice waren für 66 % der Befragten fehlenden dass Beschäftigte im Homeoffice zu sehr in den Urlaubs- sozialen Kontakte mit Kollegen und Geschäftspartnern. modus umschalten. Natürlich ist dabei zu beachten, dass Dabei ist jedoch zu vermuten, dass dieses Item auch 9 WI RTSC H AFTSPSYCHO LO GIE aktue ll 3 | 2020
Forum Problembereiche der Homeoffice-Tätigkeit Schwierigkeit, sich selbst zu organisieren 4% Unklare Zielsetzung bzgl. der Tätigkeit 7% Ablenkung durch Partner/in oder andere Erwachsene 8% Schwierigkeiten, sich für die Arbeit zu motivieren 12% IT-Software unzureichend 16% Ablenkung durch betreuungspflichtige Kinder 17% Schlechte Internetverbindung 20% IT-Hardware unzureichend 23% Fernmündliche Kommunikation ist schwierig 24% Räumliche Ausstattung zu Hause unzureichend 26% Soziale Kontakte und Austausch mit Kollegen fehlt 66% A bbildun g 1 : Soziale Kontakte und der Austausch mit Kollegen fehlen vor allem den Homeoffice-Neulingen. durch die strikten Ausgangsbeschränkungen in der haben, war die fehlende räumliche Ausstattung ein beson- Corona-Zeit beeinflusst war. Die räumliche und techni- deres Problem. 30 % bemängelten, dass die Räumlichkei- sche Ausstattung war immerhin noch für knapp ein ten zu Hause ein Arbeiten erschwerten, während dies nur Viertel der Befragten eine Herausforderung bei der 16 % derjenigen beklagten, die zuvor schon im Homeof- Realisierung eines vielfach ad hoc eingerichteten Arbeits- fice gearbeitet hatt.Von ihnen hatte auch nur jeder zweite platzes zu Hause. (54 %) ein Problem mit den fehlenden sozialen Kontak- ten, während es 70 % bei den „Neulingen“ waren. Auch Neulinge sind auf den die erschwerte fernmündliche Kommunikation war für Geschmack gekommen die „Novizen“ unter den Homeoffice-Tätigen ein deut- lich größeres Problem. Hier waren offensichtlich die not- Befragte berichteten davon, dass sie persönliche Technik wendigen Kontakt- und Besprechungsroutinen, die einer (z. B. eigene Laptops) einsetzen müssten, mit denkbaren drohenden Isolierung entgegenwirken, noch nicht etab- Datenschutzproblemen, die sich dabei für Unternehmen liert. Technische Defizite betrafen vor allem die Hardware: entwickeln können. Besonders für die Beschäftigten, die Jeder vierte Homeoffice-Neuling bemängelte fehlende zuvor selten oder noch nie im Homeoffice gearbeitet Hardware. Offensichtlich konnten oder wollten die 10 WI RTSC H AFTSPSYCHO LO GIE aktue ll 3 | 2020
Forum „Führungskräfte Sobald die Corona-Krise auch wirtschaftlich überwun- den sein wird, sollte die deutsche Wirtschaft zu alter werden sich umstellen Stärke zurückkehren. Und dann wird vor allem die junge Generation – vermutlich auch mit den Erfahrungen der und mehr auf Vertrauen Corona-Zeit – vermehrt ein flexibles und mobiles Arbei- ten einfordern. Die Unternehmen, die bisher restriktiv mit der Gewährung von Heimarbeit umgegangen sind, statt auf Kontrolle werden sich möglicherweise daran erinnern, dass es irgendwie doch geklappt hat mit der Beschäftigung zu setzen müssen.“ Hause, mit hoher subjektiver Zufriedenheit der eigenen Belegschaft und einer zumindest selbst perzipierten Produktivität. Die Zufriedenheit der Beschäftigten mit der Situation im Homeoffice ist doch ein markantes Ausrufezeichen für die zukünftige Gestaltung unserer Arbeitswelt. Es besteht eine gewisse Hoffnung, dass die gesteigerte Fähigkeit, di- Unternehmen während der Corona-Krise entsprechende gital zu arbeiten und zu kommunizieren, sowie die zeitli- Angebote (VPN-Verbindungen,Videokonferenzsysteme, che Flexibilität in der Arbeits- und Lebensroutine zu ei- Collaboration-Tools) eher bereitstellen als zum Beispiel nem stärker zielgerichteten Arbeitsprozess beitragen und neue Laptops. insofern Motivations- und Produktivitätsreserven er- Trotz aller Problembereiche: Die alteingesessenen schließen können. Homeoffice-Worker waren ohnehin zufrieden, und die Die heutige Arbeitswelt ist noch stark geprägt von ei- Neulinge sind offensichtlich auf den Geschmack gekom- ner postindustriellen Arbeitsmoral, in der hierarchische men. Die virtuelle Kommunikation hat sich mittlerweile Top-down-Strukturen noch ebenso fest verankert sind eingespielt.Videokonferenzen funktionieren technolo- wie feste Arbeitszeiten, die eine Scheinproduktivität er- gisch – trotz der strukturellen Defizite im Netzausbau in zeugen. In der industriellen Arbeitswelt ist bedingungslose Deutschland – meist gut. Aber die digitale Kommunika- Loyalität höher bewertet als die tatsächliche Leistung, tion ist nicht dasselbe wie eine persönliche Begegnung. wird Kontrolle als wichtiger erachtet als kooperatives Ver- Die Unmittelbarkeit ist nicht gegeben, die Interaktivität trauen. begrenzt. Teilnehmende können sich verstecken, das Bild Im Homeoffice entzieht sich der Beschäftigte ein gro- wegklicken und das Bügelbrett aufstellen. Führungskräfte ßes Stück weit den Kontrollmechanismen des Manage- beklagen den Verlust der Kontrollierbarkeit der Hand- ments. Insofern bedarf eine Ausweitung des mobilen Ar- lungsaktionen ihrer Beschäftigten. beitens auch einer neuen, gegenseitigen Arbeits- und Ver- trauenskultur. Junge Generation fordert Flexibilität Führungskräfte müssen zukünftig mehr auf Vertrauen setzen Die Diskussion um die Arbeitsplätze der Zukunft hat durch Corona neue Nahrung erhalten. Open Space, Homeoffice bedeutet auch, den eigenen Biorhythmus be- Shared Desk, Homeoffice – die Unternehmen werden rücksichtigen zu können. Der „Powernap“, der im Büro sich vor allem im Verwaltungsbereich weiter weg vom meist undenkbar ist, wird zu Hause zu einer unproblema- Normalarbeitsplatz bewegen. Ob ein gesetzlicher An- tischen Option. Führungskräfte werden sich umstellen, spruch auf eine Homeoffice-Beschäftigung wirtschafts- mehr auf Vertrauen statt auf Kontrolle setzen müssen. Sie politisch zielführend ist, kann jedoch bezweifelt werden, werden erkennen, dass anstelle eines persönlichen Gesprä- da einerseits die räumlichen Rahmenbedingungen in den ches oder Meetings oftmals auch eine Videokonferenz Wohnungen und Häusern der Beschäftigten sehr unter- ausreicht. Unternehmen werden, wenn die Mitarbeiterin- schiedlich und teilweise defizitär sind. Andererseits sind nen das Vertrauen rechtfertigen, eine motiviertere und Jobprofile und Arbeitsanforderungen so unterschiedlich, kreativere Belegschaft haben sowie Büroflächen und dass eine differenzierte Abwägung über die Sinnhaftigkeit Dienstreisen einsparen. Angestellte werden Arbeit und von mobilem Arbeiten individuell erfolgen muss. Privatleben autonomer gestalten können und viel Zeit, 11 WI RTSC H AFTSPSYCHO LO GIE aktue ll 3 | 2020
Forum Die Arbeitswelt der Kontrolle, mehr auf Augenhöhe und mit Vertrauensvor- schuss – das sind die Paradigmen einer agilen Arbeits- Zukunft benötigt mit- kultur. Der arbeitende Mensch wird gerade in hochquali- fizierten Berufen und in dispositiven Arbeitsfeldern im- denkende und proaktiv mer mehr selbst bestimmen wollen, wann er wo und wie arbeitet. Leistung wird immer weniger an absolvierten Stunden als an erreichten Zielen zu messen sein, was mit wie verantwortlich einer tiefgreifenden Veränderung der klassischen Füh- rungskonzepte verbunden ist. Dort, wo Arbeitnehmer das handelnde Menschen. Vertrauen des Unternehmens nicht rechtfertigen, beginnt jedoch die arbeitsrechtliche Ochsentour. Bei Homeoffice- Betrug sind die Arbeitsgeber in der Beweispflicht, und genau an dieser Stelle wird Remote Working in der Praxis schwierig: Arbeitgeber werden nur dann ein außer- betriebliches Arbeiten zulassen wollen, wenn dies die Arbeitsprozesse zumindest nicht unterminiert und Arbeit- nehmer dieses Vertrauen auch rechtfertigen. die sie bisher im Auto bzw. in Bus oder Bahn auf dem Es wird aber auch Menschen geben, die diese zeitli- Weg zur Arbeit verbracht haben, produktiver gestalten. che und räumliche Flexibilität nicht wollen, die dadurch Das steigert die Lebenszufriedenheit und führt zudem zu überfordert sind, die eine stabile Arbeitsumgebung und positiven Umwelteffekten. einen regelmäßigen sozialen Austausch im Betrieb brau- Homeoffice und mobileres Arbeiten könnten, dort, chen. Es wäre fatal, sie ins Homeoffice zu verbannen wo es arbeitsorganisatorisch sinnhaft und individuell wün- oder zu mobilem Arbeiten zu nötigen. Der Arbeitsplatz schenswert ist, ein positiver Aspekt sein, den die derzeitige der Zukunft wird also ein komplexes Verhandlungsresul- Krise übrig lässt. Sie sollten jedoch nicht ordnungspolitisch tat aus arbeitsorganisatorischen Anforderungen und erzwungen sein. Die Arbeitswelt der Zukunft, die einen lebensweltlichen sowie persönlichkeitsbedingten Vorlie- gehörigen Teil der repetitiven Arbeit durch Künstliche ben sein. Die sich abzeichnende Individualisierung der Intelligenz ersetzen wird, benötigt weniger den Befehls- Arbeitskonzepte ist dabei auch ein Ergebnis der demo- empfänger als den mitdenkenden und proaktiv wie verant- grafischen Entwicklung, der Globalisierung und der wortlich handelnden Menschen – und der hat zunehmend durchgreifenden Digitalisierung sowie des sozialen keinen örtlich fest verankerten Arbeitsplatz mehr. Remote Wandels. Unternehmen werden sich in naher Zukunft Work wird in Zukunft nicht auf das Homeoffice beschränkt, arbeitsorganisatorisch und kulturell tiefgreifend verän- sondern mobil sein. Immer mehr, vor allem junge Men- dern. Corona war dafür ein Brandbeschleuniger, nicht schen werden überall arbeiten wollen: in der Bahn, im der Auslöser. Trotz der Eingrenzung, wo mobiles Arbeiten Café, am Strand. Insofern hat die Pandemie etwas be- überhaupt realisierbar ist, und einer möglichen postpan- fördert, was ohnehin in der kollektiven, arbeitskulturellen demischen Ernüchterung werden das Homeoffice und DNA der jüngeren Generation zu finden ist. andere mobile Arbeitskonzepte kein Strohfeuer sein oder als temporäre Entgleisung in die Wirtschaftshistorie Unternehmen werden sich in eingehen. Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen naher Zukunft tiefgreifend verändern werden daran angepasst werden müssen. Mobiles Arbeiten bedeutet totale Flexibilität und ist ein DER AUTOR: Segen für den, der es mag und sich gut organisieren kann. Das heißt nicht, dass Remote Worker keine Anbindung an P r o f . Dr . C h r i s t i a n E r n s t , den Betrieb mehr wünschen. Ihnen sind soziale Kontakte Professor für Personalmanagement Foto: Christian Ernst auch sehr wichtig, aber sie wollen selbst entscheiden, und Berufsbildung an der Technischen Hochschule Köln. wann sie im Betrieb sind oder woanders arbeiten. Füh- rungskräfte werden ein völlig neues Mindset benötigen, c hr i st i a n.er nst @ t h- koel n.d e um die individuellen Wünsche und betrieblichen Belange ausbalancieren zu können. Weniger Hierarchie und 12 WI RTSC H AFTSPSYCHO LO GIE aktue ll 3 | 2020
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