I . Wirtschaftspolitische Themen und Analysen

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I . Wirtschaftspolitische Themen und Analysen
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    I.
    Wirtschaftspolitische Themen
    und Analysen
I . Wirtschaftspolitische Themen und Analysen
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Auf einen Blick

Happy Birthday, Wirtschaftsministerium!

Am 21. März 1919 wurde das Reichswirtschaftsminis­             Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin
terium, der Vorläufer des heutigen Bundeswirtschafts­          ein. Der Vorsitzende der BMWi-Geschichtskommission,
ministeriums, errichtet. Gab es im Kaiserreich lediglich ein   Prof. Albrecht Ritschl, Sprecher der Unabhängigen Geschichts­
Reichswirtschaftsamt, so wurde dies von der ersten Reichs­     ­kommission zur Aufarbeitung der Geschichte des BMWi,
regierung der Weimarer Republik in das Reichswirtschafts-       wird auf 100 Jahre Ministeriumsgeschichte zurückblicken,
ministerium überführt. Große Erfolge, allen voran die Ein-      während der Präsident des ifo Instituts, Prof. Clemens Fuest,
führung der Sozialen Marktwirtschaft, kennzeichnen die          den Blick auf die Herausforderungen des neuen Jahrhunderts
Geschichte des Ministeriums ebenso wie Brüche, zum Bei-         richten wird. Eine Podiumsdiskussion wird der Frage nach-
spiel die Instrumentalisierung des Hauses durch die Natio-      gehen, wie viel Politik die Wirtschaft braucht.
nalsozialisten.
                                                               Auf den Social-Media-Kanälen des BMWi können Sie die
Zur Erinnerung an die wechselvolle Geschichte des Hauses       Veranstaltung am 20. März ab 18 Uhr unter anderem im
lädt Bundesminister Peter Altmaier am Vorabend des Grün­       Livestream verfolgen.
dungsjubiläums, am 20. März 2019, zu einem Festakt in das
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Diskussionspapier zu Künstlicher Intelligenz in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur

Künstliche Intelligenz, also die Wahrnehmung von kognitiven Fähigkeiten durch Maschinen, ist aktuell von hohem Interesse
in der öffentlichen und politischen Diskussion. Im Juli 2018 hat das Bundeskabinett Eckpunkte für eine Strategie Künstlicher
Intelligenz der Bundesregierung beschlossen.

Auf Künstlicher Intelligenz (KI) beruhende Systeme gelten      Die Literaturübersicht zeigt, dass KI und mit dieser ver-
als vielversprechende Innovationen, um die physische           knüpfte Technologien das Potenzial haben, wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit von Maschinen um geistiges Lern- und        Strukturen wesentlich zu verändern. Negative Effekte auf
Denk­vermögen zu ergänzen Die gegenwärtigen Anwen-             bestimmte, auch kognitive Tätigkeiten können durch
dungsfelder reichen von Autonomem Fahren über Internet-        KI-ba­­­­­­­sierte Wachstums- und Beschäftigungsimpulse in
sicherheit bis hin zu Übersetzungsdiensten. Die kommer-        anderen Bereichen (über-)kompensiert werden.
ziellen KI-An­­­­­wendungen befinden sich allerdings erst im
Anfangsstadium und ihre Auswirkungen sind derzeit              Neben den Auswirkungen auf Beschäftigung und Produk­
kaum absehbar.                                                 tivität bzw. Wirtschaftswachstum stehen auch Effekte auf
                                                               Marktstruktur, Einkommensverteilung und Innovation im
Auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur sind       Fokus der wissenschaftlichen Diskussion. Eine Mehrheit
Künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen zunehmend         der Wissenschaftler warnt dabei vor negativen Auswirkun-
Gegenstand der Debatte. In einem aktuellen Diskussions-        gen auf die Einkommens- und Vermögensverteilung sowie
papier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie       den Wettbewerb.
wird der Stand der wissenschaftlichen Forschung und Dis-
kussion zu KI übersichtsartig dargestellt.
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Die Forschung rät dazu, potenziellen negativen Auswirkun-
gen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen frühzeitig zu
begegnen, ohne jedoch dabei die Entwicklung Künstlicher
Intelligenz und darauf basierender Anwendungen zu
behindern.

Das aktuelle Diskussionspapier sowie die bisherigen BMWi-
Dis­kussionspapiere finden Sie unter https://bit.ly/2SrtaY1.

  Kontakt: Christoph Menzel
  Referat: Wirtschaftspolitische Analyse
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Wirtschaftspolitische Termine des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
März 2019
04.03.                                              Energieministerrat
08.03.                                              Auftragseingang im Verarbeitenden Gewerbe (Januar)
11.03.                                              Produktion im Produzierenden Gewerbe (Januar)
11./12.03.                                          Eurogruppe/ECOFIN
14.03.                                              Pressemeldung des BMWi zur wirtschaftlichen Lage
Ende März 2019                                      Schlaglichter (Newsletter und Veröffentlichung auf Website)
April 2019
02.04.                                              Informeller Energieministerrat (Rumänien)
04.04.                                              Auftragseingang im Verarbeitenden Gewerbe (Februar)
05.04.                                              Produktion im Produzierenden Gewerbe ( Februar)
05./06.04.                                          Informeller ECOFIN-Rat (Rumänien)
12.04.                                              Pressemeldung des BMWi zur wirtschaftlichen Lage
12.04.                                              Informelles Treffen der Kohäsionsminister
17.04.                                              Frühjahrsprojektion der Bundesregierung
Ende April 2019                                     Schlaglichter (Newsletter und Veröffentlichung auf Website)
Mai 2019
02.05.                                              Informeller WBF-Rat (Rumänien)
07.05.                                              Auftragseingang im Verarbeitenden Gewerbe (März)
08.05.                                              Produktion im Produzierenden Gewerbe (März)
15.05.                                              Pressemeldung des BMWi zur wirtschaftlichen Lage
16./17.05.                                          Eurogruppe/ECOFIN
27.05.                                              WBF-Rat
28.05.                                              Handelsministerrat
Ende Mai 2019                                       Schlaglichter (Newsletter und Veröffentlichung auf Website)

    In eigener Sache: Die „Schlaglichter“ als E-Mail-Abonnement

    Der Monatsbericht des Bundesministeriums für                                Darüber hinaus können auf der Homepage des
    Wirtschaft und Energie ist nicht nur als Druck­­                            Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
    exemplar, sondern auch im Online-Abo als elektro-                           auch einzelne Ausgaben des Monats­berichts sowie
    nischer Newsletter verfügbar. Sie können ihn                                Beiträge aus älteren Ausgaben online gelesen
    unter der nachstehenden Internet-                                           werden:
    Adresse bestellen:                                                          www.bmwi.de/schlaglichter
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Grafik des Monats

Der Strompreis …

… ist ein wichtiger Kostenfaktor für Industrieunternehmen und beeinflusst auch ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Ein EU-weiter Vergleich zeigt dabei große Unterschiede auf: Im ersten Halbjahr 2018 zahlten industrielle Verbraucher in
Deutschland und dem Vereinigten Königreich mit 12,2 bzw. 12,8 Cent pro Kilowattstunde am meisten für Strom; in Frankreich
fielen dagegen für die gleiche Menge lediglich knapp 8 Cent an. Ein Blick auf die Entwicklung in den letzten zehn Jahren zeigt,
dass die Strompreise in fast allen Ländern der EU gestiegen sind. Besonders ausgeprägt waren die Preissteigerungen dabei im
Vereinigten Königreich und Frankreich, hier jedoch von einem deutlich niedrigeren Niveau aus.

Strompreise für Industriekunden im internationalen Vergleich*.

                                     14

                                     12

                                     10
           Cent pro Kilowattstunde

                                      8

                                      6

                                      4

                                      2

                                      0
                                          Frankreich    Spanien      Vereinigtes          Niederlande              Deutschland          Italien              EU 27
                                                                     Königreich
                                          1. HJ 2008   1. HJ 2018

*. Verbrauchsmenge von 2 GWh bis 20 GWh pro Jahr. Ohne Mehrwertsteuer und erstattungsfähige Steuern und Abgaben.
Quelle: Eurostat.
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Überblick über die wirtschaftliche Lage

                                                                          durch die Entlastung von Bürgerinnen und Bürgern bei
     • Die deutsche Wirtschaft hat sich im Jahresend­                     Steuern und Abgaben sowie die Erhöhung der monetären
       quartal 2018 stabilisiert.                                         Sozialleistungen.2.

     • Die vorausschauenden Konjunkturindikatoren                         Vom weltwirtschaftlichen Umfeld gehen lediglich gedämpfte
       bleiben zurückhaltend. Solide binnenwirtschaft­liche               Signale aus. Sowohl bei der industriellen Erzeugung als auch
       Auftriebskräfte und fiskalische Impulse sorgen                     beim Welthandel war im vergangenen Jahr eine verlangsamte
       aber zu Jahresbeginn für etwas Schub.                              Entwicklung zu beobachten. Zuletzt, Stand November 2018,
                                                                          gingen sie sogar etwas zurück. Der Stimmungsindikator IHS
     • Die Industrieproduktion hat sich zum Jahresende                    Markit PMI für die globale Industrie lag im Januar 2019 auf
       2018 stabilisiert, insbesondere die Kfz-Produktion                 dem niedrigsten Stand seit über zwei Jahren. Auch der ifo
       zog wieder an. Bei hohen Auftragsbeständen kam                     Index zum Weltwirtschaftsklima gab für das erste Quartal
       es bis zuletzt noch nicht zu einer Belebung der                    2019 eine abgekühlte Stimmung insbesondere für die ent-
       Auftragseingänge. Das Baugewerbe boomt weiter-                     wickelten Volkswirtschaften wieder. Angesichts der Indika-
       hin.                                                               toren und der derzeitigen Ballung globaler Risiken gehen die
                                                                          internationalen Organisationen in ihren letzten Prognosen
     • Die Einkommen steigen unterstützt durch die Fis-                   von einer weniger dynamischen, aber dennoch merklich
       kalpolitik kräftig und sorgen für eine rege Konsum­                aufwärtsgerichteten Entwicklung der Weltwirtschaft aus.
       nachfrage der privaten Haushalte.
                                                                          Die schwache weltwirtschaftliche Dynamik spiegelt sich auch
     • Die Erwerbstätigkeit nimmt weiter zu und der                       in den deutschen Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen
       Rückgang der Arbeitslosigkeit setzt sich fort.                     wider. So nahmen die Exporte im Dezember saisonbereinigt
                                                                          und in jeweiligen Preisen um 2,0 % ab. Im Quartalsvergleich
                                                                          sind die Ausfuhren nominal leicht gestiegen (+0,9 %). Preis-
                                                                          bereinigt dürfte diese Steigerung jedoch geringer ausfallen.
Die deutsche Wirtschaft hat sich im vierten Quartal 2018                  Die Unternehmen gehen hier aktuell nicht von einer deutli-
stabilisiert. Das Bruttoinlandsprodukt blieb in etwa auf dem              chen Belebung aus: Die ifo Exporterwartungen fielen auf
Niveau des Vorquartals (0,0 %).1. Im dritten Quartal war es               den niedrigsten Stand seit über zwei Jahren. Die nominalen
etwas überraschend um 0,2 % zurückgegangen. Die Kon-                      Importe von Waren und Dienstleistungen verringerten sich
junktur wurde durch erschwerte außenwirtschaftliche                       im Dezember saisonbereinigt um 0,3 %. Im Quartalsvergleich
Rahmenbedingungen und binnenwirtschaftliche Sonder­                       ergab sich ein Plus von 1,5 %. Bei steigenden Importpreisen
effekte gedämpft. Die steigende Nachfrage nach Konsum-                    dürfte sich preisbereinigt ebenfalls ein schwächerer Anstieg
und Investitionsgütern wurde bei neutralem Außenbeitrag                   ergeben. Insgesamt deuten die Indikatoren auf eine verhal-
teilweise aus den Lagern bedient. Während die Handels-                    tene Entwicklung der Ausfuhren in den kommenden Mona-
konflikte und der Brexit-Prozess weiterhin für Verunsiche-                ten hin. Über das vergangene Jahr hinweg hat sich der Leis-
rung sorgen, schreitet die heimische Pkw-Industrie bei der                tungsbilanzüberschuss kontinuierlich um 12,1 Mrd. Euro
Bewältigung der WLTP-Problematik voran und die von der                    auf 249,1 Mrd. Euro abgebaut.
Binnenschifffahrt abhängigen Produktionsstandorte wer-
den nicht mehr durch Niedrigwasser behindert. Die voraus­                 Bei der Produktion im Produzierenden Gewerbe zeigte sich
schauenden Konjunkturindikatoren, wie z. B. die Geschäfts-                im Dezember der vierte leichte Rückgang in Folge. Die Indus­
erwartungen oder die Auftragseingänge des Verarbeitenden                  trie hat ihre Produktion hingegen wieder etwas ausgeweitet
Gewerbes, sind zwar weiterhin zurückhaltend, wichtige                     (+0,2 %), konnte die kräftige Einschränkung der Produktion
binnenwirtschaftliche Auftriebskräfte wirken jedoch fort.                 im Baugewerbe (-4,1 %) aber nicht gänzlich kompensieren.
Die Beschäftigung und die Einkommen sowie die Investiti-                  Im vierten Quartal insgesamt ergab sich ein Minus in der
onen in Bauten nehmen kräftig zu. Hinzu kommen ab der                     Industrie von 1,3 % und im Baugewerbe von 0,6 %. Die Auf-
Jahreswende spürbare fiskalische Impulse, nicht zuletzt                   tragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe verringerten sich

1.    Meldung des Statistischen Bundesamts zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2018 vom 14. Februar 2019.
2.    In diesem Bericht werden Daten verwendet, die bis zum 15. Februar 2019 vorlagen. Soweit nicht anders vermerkt, handelt es sich um Verände-
      rungsraten gegenüber der jeweiligen Vorperiode auf Basis preisbereinigter sowie kalender- und saisonbereinigter Daten.
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im Dezember bei sehr geringen Großaufträgen kräftig um                                               wicklung der Neuzulassungen von Pkw bei privaten Halter-
1,6 %. Ohne die volatilen Großaufträge nahmen sie hinge-                                             gruppen fort (+4,5 %). Damit stiegen die Zulassungszahlen
gen um 3,5 % zu. Im vierten Quartal insgesamt lagen die                                              den vierten Monat in Folge. Insgesamt deutet alles auf eine
Auftragseingänge nach drei rückläufigen Quartalen erst-                                              weiterhin positive Entwicklung der privaten Konsumaus-
mals wieder um 0,3 % über dem Vorquartal. Stützend wirkte,                                           gaben hin.
dass die Aufträge in der Kfz-Industrie um 10,2 % gegenüber
dem schwachen dritten Quartal zulegten. Auch wenn das                                                Am Arbeitsmarkt setzen sich die Besserungstendenzen trotz
Auftragspolster mit einer Reichweite von 5,7 Monaten                                                 der aktuell schwächeren Konjunktur fort. Die Zunahme der
hoch blieb, wirken die externen Risiken weiterhin dämp-                                              Erwerbstätigkeit hielt im Dezember mit 42.000 Personen im
fend auf die Industriekonjunktur. Andererseits könnte sich                                           bisherigen Tempo an. Jahreszeitlich üblich war die Beschäf-
der Erho­­lungsprozess in der Automobilindustrie beschleu-                                           tigung nach den Ursprungszahlen mit 45,1 Mio. Personen
nigen und positiv auf andere Vorleistungsbereiche aus-                                               etwas niedriger als im Vormonat. Die sozialversicherungs-
strahlen. Der Bauboom dürfte sich nach den deutlich                                                  pflichtige Beschäftigung nahm im November aber erneut
gestiegenen Aufträgen im jüngsten Quartal fortsetzen.                                                kräftig zu. Die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeits-
                                                                                                     kräften blieb, wenn auch leicht abgeschwächt, hoch. Signale
Mit der guten Beschäftigungs- und Einkommensentwick-                                                 z. B. aus der Arbeitnehmerüberlassung deuten auf eine
lung stiegen die Konsumausgaben der privaten Haushalte                                               etwas ruhigere Entwicklung in den nächsten Monaten hin.
im Jahr 2018 um 1,0 %. Nach einem überraschenden Rück-                                               Die Zahl der Arbeitslosen verringerte sich im Januar saison-
gang im 3. Quartal 2018 haben die privaten Haushalte ihre                                            bereinigt leicht um 2.000 Personen; in Ursprungszahlen stieg
Konsumausgaben im 4. Quartal wieder erhöht. Die verfüg-                                              sie im jahreszeitlich üblichen Rahmen auf knapp über 2,4
baren Einkommen stiegen 2018 um 3,2 %, allerdings nahm                                               Mio. Personen. Damit erhöhte sich auch die Arbeitslosen-
auch die Sparquote der privaten Haushalte zu, was den An­­                                           quote auf 5,3 %. Die Langzeitarbeitslosigkeit geht konti­
stieg der Konsumausgaben etwas dämpfte. Im vierten Quar-                                             nuierlich zurück, der Vorjahresstand wurde um rund 11 %
tal stiegen die Umsätze im Einzelhandel (ohne Kfz) um 0,2 %,                                         unterschritten. Die Stärkung der Wirtschaftskraft struktur-
obwohl es im Dezember zu deutlichen Umsatz­einbußen                                                  schwacher Regionen bleibt eine Herausforderung.
von 3,1 % kam. Im Januar 2019 setzte sich die posi­tive Ent-

 Konjunktur auf einen Blick*
 Entwicklung von Bruttoinlandsprodukt, Produktion und Auftragseingang in der Industrie sowie ifo Geschäftserwartungen
  6                                                                                                                                                                                18

  5                                                                                                                                                                                15

  4                                                                                                                                                                                12

  3                                                                                                                                                                                9

  2                                                                                                                                                                                6

  1                                                                                                                                                                                3

  0                                                                                                                                                                                0

 -1                                                                                                                                                                                -3

 -2                                                                                                                                                                                -6

 -3                                                                                                                                                                                -9
                        2015                                2016                              2017                                2018                            2019
           Bruttoinlandsprodukt (Quartale) (linke Skala)                            Industrieproduktion (linke Skala)
           Auftragseingang in der Industrie (linke Skala)                           ifo Geschäftserwartungen in der Gewerblichen Wirtschaft (rechte Skala)

 * zentrierte gleitende 3-Monats-Durchschnitte bzw. Quartale, saisonbereinigt, Veränderungen gegenüber Vorperiode in v. H. bzw. Salden bei ifo

 Quellen: StBA, BBk, ifo Institut.
I . Wirtschaftspolitische Themen und Analysen
9         M O N AT S B E R I C H T 0 3 -2 0 1 9

Nationale Industriestrategie 2030
Strategische Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik

Zielsetzung:

• Das Ziel der „Nationalen Industriestrategie 2030“         • Die Mittel der Wahl zur Erreichung der Ziele sind grund­
  besteht darin, gemeinsam mit den Akteuren der Wirt-         sätzlich marktwirtschaftlich, privatwirtschaftlich und
  schaft einen Beitrag zu leisten zur Sicherung und Wie-      eigenverantwortlich. Staatliches Handeln kann nur
  dererlangung von wirtschaftlicher und techno­logi­scher     ausnahmsweise, nur vorübergehend und nur in Fällen
  Kompetenz, Wettbewerbsfähigkeit und Industrie­-             von grundlegender Bedeutung in Betracht kommen,
  Führerschaft auf nationaler, europäischer und globaler      wenn sich alle anderen Optionen als unzureichend
  Ebene in allen relevanten Bereichen.                        erwiesen haben.

• Dies ist eine notwendige Voraussetzung, um die volks-     • Indem wir willkürlichen Eingriffen anderer in markt-
  wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands insge-      wirtschaftliche Prozesse entschlossen entgegentreten
  samt und damit seine Arbeitsplätze und den Wohl-            und unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen konse-
  stand seiner Bürgerinnen und Bürger langfristig zu          quent wahren, leisten Deutschland und die Europäi­sche
  sichern und auszubauen.                                     Union langfristig auch einen Beitrag zur Entstehung
                                                              einer Globalen Sozialen Marktwirtschaft, die für alle zu
• Ein Ziel ist dabei der schrittweise Ausbau des Anteils      mehr Markt und mehr Wohlstand führen kann.
  der Industrie an der Bruttowert­schöp­f­ung auf 25 Pro-
  zent in Deutschland und 20 Prozent in der Europäi­
  schen Union bis zum Jahr 2030.
I . Wirtschaftspolitische Themen und Analysen
M O N AT S B E R I C H T 0 3 - 2 0 1 9   10

Ausgangslage:                                                   Grenzen ihres Gebrauchs brauchen wir eine Debatte, die
                                                                offen, vor­­urteilslos und ergebnis­orientiert geführt werden
Die heutige Stärke Deutschlands im internationalen Wett-        muss.
bewerb beruht zu einem erheblichen Teil auf der Stärke sei-
ner Industrie. Mit einem Anteil der Industrie von 23 Pro-
zent an der Bruttowertschöpfung liegt Deutschland mit an        Herausforderungen:
der Spitze aller Länder in der EU und auch interna­tional
auf einem hervorragenden Platz.                                 Die hervorragende wirtschaftliche Ausgangslage ist nicht
                                                                gottgegeben. Sie wird vom internationalen Wettbewerb
Wir sind als Wirtschaftsnation im internationalen Vergleich     sowie durch willkürliche Eingriffe anderer Staaten und
auch deshalb so erfolgreich, weil wir stets an unserem          Unternehmen immer wieder infrage gestellt und muss
industriebasierten Wirtschaftsmodell festgehalten haben.        daher stets aufs Neue errungen und bestätigt werden:
Die deutsche Industrie ist hoch wettbewerbsfähig und
inno­vationsstark. Sie investierte 2015 rund 53 Milliarden      • Dem Vorteil sehr viel niedrigerer Lohn- und Fertigungs-
Euro in Forschung und Entwicklung. Dies entspricht 85             kosten in wichtigen Schwellenländern stand bislang ein
Prozent der internen Aufwendun­gen der Privatwirtschaft           großer Vorsprung der deutschen Industrie im Hinblick
insgesamt, also fast viermal so viel, wie ihrem Anteil an der     auf Technologie und Qualität gegenüber. Dieser Vor-
Brutto­wert­schöpfung entspricht.                                 sprung schmilzt langsam, aber deutlich ab, weil die be­­
                                                                  treffenden Länder durch umfassende Konzepte zur Ent-
Zu den industriellen Schlüsselbereichen, in denen Deutsch-        wicklung von technologischem Know-how, durch Joint
land bereits heute und immer noch führend ist, gehören            Ventures oder durch Unternehmensübernahmen in Eu­­
u. a.:                                                            ropa schnell aufholen und ihre Fähigkeiten ausbauen.
                                                                  Da­­­­durch steigt der Wettbewerbsdruck auch dort, wo
• die Stahl-, Kupfer- und Aluminium-Industrie                     deutsche Unternehmen bislang konkurrenz­los waren.
                                                                  Durch langsam steigende Lohn- und Sozialkosten in den
• die Chemieindustrie                                             aufstrebenden Ländern wird diese Verschiebung nur teil-
                                                                  weise egalisiert.
• der Maschinen- und Anlagenbau
                                                                • So hat Deutschland bereits in den siebziger Jahren seine
• die Automobilindustrie                                          bis dahin führende Stellung zum Beispiel in der Unter-
                                                                  haltungselektronik an Länder wie Japan und Südkorea
• die optische Industrie                                          verloren. Dieser Verlust hat sich seither als scheinbar
                                                                  endgültig gezeigt.
• die Medizingeräteindustrie
                                                                • Dies trug später dazu bei, dass Europa auch in den neuen
• der GreenTech-Sektor                                            Bereichen der Telekommunikations­technologie und der
                                                                  Computerelektronik (einschließlich Smartphones, Tablets
• die Rüstungsindustrie                                           usw.) nicht Fuß gefasst hat.

• die Luft- und Raumfahrtindustrie sowie                        • Die Produktion der neuartigen Kohlefaserwerkstoffe
                                                                  findet größtenteils außerhalb von Deutschland statt.
• die additive Fertigung (3D-Druck)
                                                                • Die Automobilindustrie, deren Erfolg für die Zukunft des
Ohne seinen hohen Anteil an Industriearbeitsplätzen               Standortes Deutschland von sehr großer Bedeutung ist,
könnte Deutschland sein hohes Einkommensniveau sowie              sieht sich seit geraumer Zeit erheblichen Herausforde-
sein hohes Niveau an Bildung, Umweltschutz, sozialer              rungen gleichzeitig gegenüber, die noch nicht erfolgreich
Sicherheit, Gesundheitsversorgung und Infrastruktur               be­­wältigt sind: Die Vorgänge um erhöhte und manipu-
nicht aufrechterhalten. Deshalb liegt die Stärkung seiner         lierte Abgaswerte, die Entwicklung von alternativen An­­
industriellen Basis im gesamtstaatlichen Interesse und            trieben und von Elektromobilität sowie die bedeutende
Auftrag. Hierzu braucht der Staat geeignete Instrumente           Innovation des Autonomen Fahrens und die Entstehung
und Mittel. Darüber und über die Voraussetzungen und              völlig neuartiger Mobilitätskonzepte überhaupt.
11        M O N AT S B E R I C H T 0 3 -2 0 1 9

• Weltweit erfolgreiche Internetunternehmen der Platt-           nige jedes einzelnen Dax-Unternehmens übersteigt.
  formökonomie entstehen derzeit noch fast ausschließ-           Diese Entwicklung ging an Deutschland bislang vorbei.
  lich in den USA und in China. Nicht hingegen in Deutsch­­      Erfolgreiche deutsche und europäische Start-ups in
  land und den meisten Ländern der EU. Eine Änderung             diesem Bereich finanzieren sich ab einer bestimmten
  dieses Zustands ist bislang nicht in Sicht. Hier besteht       Wachstumsphase zunehmend über Venture Capital-­
  Handlungsbedarf.                                               Fonds in den USA. Dadurch werden sie Schritt für
                                                                 Schritt US-ame­­­rikanische Unternehmen, und zwar
• Im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) sind wir in        umso mehr und schneller, je erfolgreicher sie sind.
  der Forschung noch in guter Position. Bei der Kommer-
  zialisierung praktischer Anwendungen besteht jedoch          Bislang konnten die Verluste in all diesen Berei­chen durch
  bereits erheblicher Nachholbedarf. Der Abstand zu den        Zuwächse in anderen, traditionell starken Bereichen ausge-
  führenden Internetunternehmen scheint derzeit eher zu        glichen werden. So hat die deutsche Automobilindustrie
  wachsen als zu schrumpfen: Kein deutsches Unternehmen        ihre Spitzenposition in den vergangenen Jahrzehnten
  investiert so viel in diesen Bereich wie jedes einzelne      enorm ausgebaut. Im sogenannten Oberklassesegment
  der großen US-Plattform-/Software-/Mobile-Hard­              werden inzwischen rund 80 Prozent der verkauften Autos
  ware-­Un­ter­­­nehmen. Deutschland muss seine unterneh-      von deutschen Unternehmen weltweit gefertigt. Dieser
  merischen, wissenschaftlichen und politischen Kräfte im      Prozess hat immerhin dazu geführt, dass die Zahl der
  Bereich der Künstlichen Intel­ligenz bündeln. Es gilt, den   industriellen Arbeitsplätze in Deutschland auf einem
  Wettbewerbsrückstand zu den großen Technologiekon-           hohen Niveau erhalten wurde. Insgesamt hat Deutschland
  zernen aufzuholen, Datensouveränität herzustellen und        derzeit so viele Arbeitsplätze wie noch nie in seiner
  die wirt­schaftlichen Potenziale der neuen Schlüsseltech-    Geschichte.
  nologie voll auszuschöpfen.
                                                               Gerade in den Bereichen traditioneller Stärke werden die
• Es besteht die Gefahr, dass Europa im Bereich der neuen      umwälzenden Folgen von Innovation und Digitalisierung
  Biotechnologien den Anschluss an die internationale          immer stärker. Dadurch wird der bisher ausbleibende
  Entwicklung überhaupt nicht erst findet oder wieder          Erfolg in den erwähnten Zukunftstechnologien zum
  verliert.                                                    unmittelbaren Risiko für künftige langfristige Erfolge in
                                                               den Berei­chen traditioneller Stärke. Unsere traditionelle
• In fast allen innovationsstarken Bereichen, insbesondere     Stärke in den industriellen Kernbereichen können wir auf
  denen der Digitalisierung und der KI, entstehen neue,        Dauer nur bewahren, wenn wir auch in den neuen
  große und weltweit erfolgreiche Unternehmen, die über        Zukunftsfeldern stark sind.
  gewaltige Kapital- und Marktmacht verfügen, die dieje-
M O N AT S B E R I C H T 0 3 - 2 0 1 9   12

Die Veränderungen gehen in schnellem Tempo weiter:                Jedenfalls durch die vorgehende US-Administration
                                                                  wurde diese Entwicklung umfassend begleitet und
• Anhand wissenschaftlicher Untersuchungen können                 unterstützt. Die jetzige Adminis­tration ist bestrebt,
  wir davon ausgehen, dass sich die Zahl der Arbeits-             durch eine Politik des „America First“ traditionelle
  plätze insgesamt eher erhöhen als verringern wird,              Indus­trie­spar­ten wie Stahl, Aluminium, Automobilwirt-
  dass aber eine große Zahl bisheriger Arbeitsplätze von          schaft und Landwirtschaft durch höhere Zölle und bila-
  der Transformation betroffen sein wird.                         terale Vereinbarungen zu revitalisieren und zu schützen
                                                                  und bereits verlorene Wertschöpfungsanteile wieder in
• Aufgrund der disruptiven Natur vieler Ver­­ände­­­­run­gen      die USA zurück zu verlagern.
  besteht aber die Gefahr, dass neue, innovative und
  zukunftsfähige Arbeitsplätze nicht unbedingt in den           • Zu den Stärken der japanischen Wirtschaft gehören
  Ländern und Regionen entstehen werden, in denen                 neben der Autoindustrie und der Elektronikindustrie
  bestehende Arbeitsplätze durch technologi­schen Fort-           insbesondere die KI, vernetzte Maschinen und Robotik.
  schritt und Produktivitätssteigerung wegfallen.                 Der japanische Konzern Softbank hat einen Investitions-
                                                                  fonds (Vision Fund) für Netzwerktechnologien (Künst­
• Daraus ergibt sich für Deutschland und Europa die               liche Intelligenz, vernetzte Maschinen und Robotik) auf-
  Gefahr eines erheblichen Verlustes an Wert­schöpfung,           gelegt, der binnen eines Jahrzehnts auf 100 Milliarden
  falls es nicht gelingt, auch bei den disruptiven Techno-        US-Dollar anwachsen soll.
  logien eine Führungsposition zu bekommen.
                                                                • Ein industriepolitisch besonders erfolgreiches Land ist
Wenn man die Zukunfts- und Wettbewerbsfähig­keit der              die Volksrepublik China, die 2015 die Agenda „Made in
deutschen Industrie langfristig erhalten will, muss man           China 2025“ beschlossen hat. Durch aktive Industrie­
rechtzeitig globale Entwicklungslinien erkennen und               politik sollen dort Schlüsseltechnologien in zehn Sekto­
abschätzen können. Das Wissen um momentane Stärke                 ren ge­­stärkt werden. Dazu gehören u. a. die Informa­
darf nicht zur Blindheit für kommende Veränderungen               tionstechnik, High-End-Robotics, Luft- und Raumfahrt,
führen. Der japanische Sony-Konzern feierte seinen größ­­         Maritime Industrie, Elektromobilität, Transport und
ten Absatz an Musik-CDs zu einem Zeitpunkt, als der               Eisenbahn, Biopharma­zeutika, Medizintechnik. 2017
Höhepunkt dieses Tonträgers bereits erreicht und bald             kündigte China an, im Bereich der Künstlichen Intelli-
darauf überschritten war und man dann keine Chance                genz bis 2030 zum weltweiten Spitzenreiter werden zu
mehr sah, den Walkman technologisch auf die Stufe des             wollen. Der chinesische Staatskonzern CMG beschloss
iPod zu hieven.                                                   im Juli 2018, einen 15 Milliarden US-Dollar umfassen­
                                                                  den Technologiefonds zu gründen (China New Era Tech-
  Wir brauchen eine unabhängige, umfassende und scho­             nology Fund). Er soll in Technologiefirmen in China,
  nungslose Analyse der Stärken und Schwächen aller Volks­        aber auch global investieren. Mit dem Projekt der neuen
  wirtschaften in der Europäischen Union, einschließlich der­     Seidenstraße versucht China, vorausschauend Absatz-
  jenigen Deutschlands. Die vorliegenden Untersuchungen           märkte und Logistik zu sichern. Diese Strategie, die
  sind oft unvollständig oder in ihren Bewertungsmaßstäben        Prinzi­pien der Marktwirtschaft mit vorausschauender
  nicht transparent. Wir müssen wissen, wo wir stehen,            und flankierender Politik verbindet, hat bislang große
  damit wir gemeinsam die Zukunft meistern können.                Früchte ge­­tragen. In China sind Unternehmen mit Welt-
                                                                  geltung entstanden, ganze Industriebereiche könnten in
Andere Länder, die zu unseren Hauptwettbewer­bern zäh-            den nächsten Jahren zum technologischen Monopol die-
len, haben bereits seit geraumer Zeit reagiert und sich neu       ser Unternehmen werden. Mit der Folge, dass funktio-
aufgestellt. Beispiele hierfür, ohne dass sie kopiert werden      nierender internatio­naler Wettbewerb dann nicht mehr
müssen, sind insbesondere:                                        möglich wäre.

• In den USA wird die technologische Entwicklung vor            Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Heraus­forde­
  allem durch große Technologiekonzerne wie Apple,              rungen der Zukunft in wichtigen Ländern, mit denen wir
  Amazon, Google, Microsoft und General Electric voran-         im Wettbewerb stehen, ebenfalls und sogar erheblich frü-
  getrieben. Diese investieren insgesamt dreistellige Mil­      her erkannt und auf die politische Tagesordnung gesetzt
  liarden­beträge in Forschung und Entwicklung für KI,          wurden, mit weitreichenden Konsequenzen auch für
  Digitalisierung, Autonomes Fahren und Biotechnologie.         Deutschland und Europa:
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Industriepolitische Strategien erleben in vielen Teilen       Die wichtigste Basisinnovation heute ist die Digitalisierung
der Welt eine Renaissance, es gibt kaum ein erfolgreiches     und insbesondere die rasante Verbreitung von Anwendun­
Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich         gen der Künstlichen Intelligenz:
und aus­nahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt.
                                                              Die Entstehung einer globalen Plattformökonomie auf
Es gibt ganz offenbar Strategien rascher Expansion mit        Weltmarktniveau ist eine logische und zwangsläufige Wei­­
der klaren Zielrichtung, neue Märkte für die eigene           ter­­­entwicklung von Marktwirtschaft im Weltmaßstab im
Volks­wirtschaft zu erobern und – wo immer möglich –          Zeitalter des Internets. Sie kann Verfügbarkeit und Trans-
zu monopolisieren.                                            parenz von Preisen enorm erhöhen und damit zur Interna-
                                                              tionalisierung von Waren- und Dienstleis­tungsströmen
Daneben gibt es Tendenzen zu Abschottung und Protek­          sowie zur Entstehung von mehr Wettbewerb beitragen.
tionismus, von denen sich schon jetzt absehen lässt, dass     Umgekehrt kann eine Monopolisierung durch einige
ihr Erfolg zweifelhaft sein wird.                             wenige Unternehmen auch zu weniger Markt führen.

Die Politik hat die Gesamtheit dieser Entwicklungen viel        Die großen Internetplattformen verfügen inzwischen über
zu lange ignoriert. Sich damit zu beschäftigen und eigene       enorme Mengen an Kapital und Daten, werden ihrerseits
Konzepte zu entwickeln ist notwendig, denn auch in              zum Treiber von Innovation und verändern Wertschöp­
unseren Partnerländern findet diese Beschäftigung auf           fungsketten weltweit.
politischer Ebene statt und werden Weichen gestellt.
                                                              Für den dauerhaften Erfolg einer großen Volkswirtschaft
Eine deutsche und europäische Politik, die grundlegende       ist es daher unverzichtbar, an der Wertschöpfung der
wirtschaftspolitische Herausforderungen verdrängt und         Plattform­ö­­ko­nomie angemessen teilzuhaben. Dies ist in
unbeantwortet lässt, würde die eigenen Unternehmen in         Deutschland und Europa bislang nicht der Fall. Darin
einer schwierigen Phase alleine lassen und schwächen.         besteht ein großes Risiko, auch in anderen Bereichen Wett-
                                                              bewerbspositionen zu verlieren. Noch sind in den großen,
                                                              überaus relevanten Bereichen der Mobilität, der Gesund-
Basisinnovationen als Game-Changer:                           heitswirtschaft und des digitalen Cloud-Learning (Distance
                                                              Learning) die Karten nicht endgültig verteilt. Weltweit
Innovation ist ein kontinuierlicher Prozess, den es immer     arbeiten jedoch auch in diesen Bereichen viele Unterneh-
gegeben hat und geben wird. In längeren zeitlichen Abstän-    men an globaler Führung.
den ereignen sich jedoch „Basisinnovationen“, die grund­
legende Auswirkungen auf wichtige oder gar alle Bereiche      Die Anwendungen der Künstlichen Intelligenz stellen ver-
der Volkswirtschaft und ihrer Wertschöpfungsketten haben.     mutlich die bislang größte Basisinnovation seit Erfindung
Sehr häufig sind diese Innovationen „disruptiv“, das heißt,   der Dampfmaschine dar. Denn sie erstrecken sich auf alle
sie brechen radikal mit bisherigen Verfahren oder Techno­     Wirtschafts-, Industrie- und Dienstleistungsbereiche, auf
logien und ersetzen sie durch neue. Sie sind eine enorme      Logis­tik und Verkehr, auf berufliches, privates und soziales
Heraus­forderung für jedes hochentwickelte Industrie­land.    Leben gleichermaßen. Anwendun­gen, die sich durch
Oft sind sie auch geographisch und in Bezug auf bisherige     maschi­nelles Lernen ständig selbst optimieren und weiter-
Marktführer disruptiv und führen dann zu erheblichen          entwickeln, sind eine neue, zusätzliche Beschleunigung von
Verwerfungen in sehr kurzer Zeit.                             Inno­vations­prozessen. Zu den entscheidenden KI-Anwen-
                                                              dungen der Zukunft gehören das Autonome Fahren und
Beispiele hierfür sind die Erfindung der Dampfmaschine,       die medizini­sche Diag­nostik. Deutschland ist im Bereich
der Eisenbahn, die Nutzbarmachung der Elektrizität, der       der Forschung noch gut aufgestellt, hinkt aber bei der
Verbrennungsmotor und das Automobil, das Flugzeug,            prakti­schen Anwend­barkeit deutlich hinterher.
Radio und TV, Computer und Internet.
                                                                Sollte bei dem Automobil der Zukunft die digitale Plattform
  Nur wer über die neuen Technologien verfügt und sie           für Autonomes Fahren mit Künstlicher Intelligenz aus den
  beherrscht, kann seine Position im Wettbewerb dauerhaft       USA und die Batterie aus Asien kommen, hätten Deutsch­
  behaupten.                                                    land und Europa mehr als 50 Prozent der Wertschöpfung
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  in diesem Bereich verloren. Die damit verbundenen Aus­         Innovationstempo als Game-Changer:
  wirkungen gingen weit über den Bereich der Automobil­
  wirtschaft hinaus. Diese Problematik betrifft deshalb nicht    Im Vergleich zu früheren Zeiträumen hat sich das Innova­
  nur die Unternehmen der Branche, sondern alle wirtschaft­      tionstempo heutzutage enorm beschleunigt. Bereits zu
  lichen und staatlichen Akteure gleichermaßen.                  Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Möglichkeiten von
                                                                 Fernsehen, Telekopie (Fax) und Mobiltelefon grundsätzlich
Die Verbindung von Maschine und Internet (Industrie 4.0)         erkannt. Es dauerte gleichwohl viele Jahrzehnte, bis die
ist ein weiterer außerordentlich wichtiger Game-Changer.         techni­sche Entwicklung eine Umsetzung und Kommer­
Die bisherige Trennung zwischen der „realen“ Welt der            zialisierung möglich machte.
(Produktions-)Maschinen und der „virtuellen“ Welt des
Internets wird zunehmend aufgehoben. Maschinen sind              Seit etwa 15 Jahren hat sich das Innovationstempo – insbe-
über das Internet mit anderen Maschinen und mit Men-             sondere in den relevanten Digital- und Zukunftsbereichen –
schen ver­­bunden. Das Internet bekommt eine neue Dimen-         radikal beschleunigt. Damit wächst die Gefahr, den Anschluss
sion, Industrieproduktion ohne Nutzung des Internets ist         an solche Entwicklungen zu verlieren. Unternehmen und
wirt­­schaft­lich nicht mehr denkbar. Die Frage, welche Seite    Volkswirtschaften, denen dies widerfährt, werden dadurch
bei dieser Fusion von Maschine und Netz im „Lead“ sein           vom „rule-maker“ zum „rule-­taker“, zur verlängerten Werk­
wird, ist alles andere als geklärt, die Veränderung hat gerade   bank derjenigen Länder, die rechtzeitig gehandelt haben.
erst begonnen.
                                                                 Durch die Verbindung von wesentlichen Aspek­ten der digi-
Zu weiteren Game-Changer-Technologien der Zukunft gehö­          talen Revolution mit traditioneller Forschung und Umset-
ren vermutlich die Nano- und die Biotechnologie, neue            zung wird das Innova­tionstempo noch einmal drastisch
Werkstoffe und Leichtbautechnologien sowie die Entwick-          zunehmen.
lung des Quanten-Com­putings.
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Dazu wird der Einsatz von Anwendungen der KI wesentlich         • Wir müssen vorhandene Stärken ausbauen und gleich-
beitragen. Entscheidungen, ob man in einem bestimmten             zeitig einen Aufholprozess in Be­­reichen starten, in
Bereich in den Innovationswettbewerb einsteigt, müssen            denen andere besser sind als wir. Die Erfahrung hat
künftig wesentlich schneller innerhalb eines kurzen Zeit-         gezeigt, dass Industriebereiche, die einmal an andere
fensters ge­­troffen werden und sind weit weniger reversibel,     Wettbewer­ber „verloren“ sind, kaum oder nur sehr
als dies in früheren Innovationszyklen der Fall war.              schwer wiederzugewinnen sind. Deshalb müssen wir um
                                                                  jeden industriellen Arbeitsplatz kämpfen. Die falsche
                                                                  Unterscheidung in „alte schmutzige“ Industrien und
Orientierungspunkte einer nationalen                              „saubere neue“ Industrien führt in die Irre.
Industriepolitik:
                                                                • Die Stärkung des industriellen Mittelstandes ist von
• Die Frage der industriellen und technologischen Sou-            zentraler Bedeutung, da hier eine be­sondere Stärke
  veränität und Kapazität unserer Volkswirtschaft ist die         unse­res Landes liegt. Viele mittelständische Unterneh-
  entscheidende Herausforderung für die Bewahrung der             men haben mit hoch­spezialisierten Produkten und
  Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Unsere Volkswirt-             Anwendun­gen Teile des Weltmarktes „erobert“ (Hidden
  schaft muss auch künftig dem weltweiten Wettbewerb              Champions), verfügen über eine enorme technologische
  in allen wesentlichen Bereichen gewachsen sein, insbe-          Kompetenz und Wett­bewerbsfähig­keit. Sie werden
  sondere, wenn es um Schlüsseltechnologien und Basis­            durch den raschen Fortgang von Innovation und ins­
  innova­tio­nen geht.                                            besondere Digitalisierung aber vor gewaltige Herausfor-
                                                                  derungen gestellt, da ihre besonderen technologischen
• Der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung             Fähigkeiten oftmals in anderen Bereichen liegen. Sie
  ist ein quantitatives Ziel und reicht als Orientierungs-        brauchen noch mehr als bisher maßgenaue Angebote
  punkt alleine nicht aus. Er ist aber ein wichtiger Indi­        und Unterstützung.
  kator, ob die Entwicklung in die richtige oder falsche
  Richtung geht. Ein Ausbau auf 25 Prozent an der Brutto­       • Nationale und europäische Champions:
  wert­schöpfung wird in Deutschland für sinnvoll und             Größe zählt – Size matters!
  möglich gehalten. Wesentlich schwerer ist die Aufgabe           Durch die Herausbildung eines umfassenden Weltmarktes
  für die EU insgesamt, da der Prozess der De-Industriali-        in immer mehr Bereichen stellt sich zunehmend die
  sierung in vielen Ländern noch in vollem Gange ist. Eine        Frage nach der kritischen Größe, die für einen industri-
  Trendumkehr liegt aber im deutschen volkswirtschaft-            ellen Akteur erforderlich ist, um am internationalen
  lichen Interesse, da von einer industriellen Renaissance        Wettbewerb erfolgreich teilzunehmen, bzw. bestimmte
  in Europa wichtige Impulse für alle Länder zu erwarten          Produkte und Dienstleistungen anbieten zu können.
  sind. Perspektivisch soll der Industrieanteil in der EU         Große Verkehrsflugzeuge werden nur von Unternehmen
  insgesamt daher auf 20 Prozent bis zum Jahre 2030               ab einer bestimmten Größe gebaut. Die Schaffung und
  steigen.                                                        Modernisierung von Eisenbahnsystemen führt zu Groß­
                                                                  projekten von 30 Milliarden US-Dollar und mehr. Große
• Der Erhalt geschlossener Wertschöpfungs­ketten ist von          Internetplattformen, die auf dem Weltmarkt erfolgreich
  hoher Bedeutung: Wenn von der Grundstoffproduktion              sind, brauchen eine enorme Menge an Kapital. Ebenso
  über die Veredelung und Verarbeitung bis hin zu Vertrieb,       ist es im Anlagenbau, dem internationalen Finanz- und
  Dienst­leis­tungen, Forschung und Entwicklung alle Teile        Bank­wesen und bei vielen anderen Aufgaben: Sie verlan-
  einer Wertschöpfungskette in einem Wirtschaftsraum              gen große und starke Akteure, die mit Wettbewer­bern
  vorhanden sind, werden die einzelnen Glieder der Kette          aus den USA oder China auf Augenhöhe sind.
  widerstandsfähi­ger, ist es wahrscheinlicher, dass ein
  Wettbewerbsvorsprung erreicht oder ausgebaut werden             Wenn es in einem Land an Unternehmen fehlt, die die
  kann. Deshalb brauchen wir eine ganzheitliche Betrach-          notwendige kritische Größe erreichen, um bedeutende
  tung und Analyse, wo bisherige Wertschöpfungsketten             Projekte zu realisieren und sich im internationalen
  bereits unterbrochen oder gefährdet sind, sowie die Ver-        Wett­­bewerb gegen große Konkurrenten zu behaupten,
  ständigung auf geeignete Maßnahmen, um eine weitere             führt dies faktisch zum Ausschluss von einem bedeuten­
  Erosion zu verhindern oder umzukehren.                          den und wachsenden Teil des Weltmarktes.
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  Es ist deshalb Anlass zur Sorge, dass in Deutsch­land seit     mehr Tech­nologie- und Innova­tionsführerschaft betrof-
  Jahren kaum noch neue Unternehmen dieser Größen-               fen sind, ist es vorrangig Sache der privaten deutschen
  ordnung entstehen, stattdessen frühere Weltmarktführer         Wirtschaft und ihrer Akteure, derartige Übernahmen
  wie AEG oder Grundig schon lange ihre Stellung verloren        durch eigene Angebote zu verhindern. Der Staat kann in
  haben. In den USA und in China sind in den letzten 20          diesen Fällen ermutigen und unterstützen.
  Jahren zahlreiche neue große Weltmarktkonzerne ent-
  standen, insbesondere im Bereich der Telekommunika­            Nur in sehr wichtigen Fällen soll der Staat für einen
  tionstechnologien, des Internets und der Digitalisierung.      befristeten Zeitraum selbst als Erwerber von Unterneh-
  Dies hat in einigen Bereichen zu einem enormen                 mensanteilen auftreten können. Insgesamt darf sich der
  Zuwachs an Wertschöpfung für diese Länder geführt.             Anteil staatlicher Beteiligungen langfristig aber nicht
                                                                 erhöhen. Deshalb kommt die Schaffung einer nationalen
  Oft scheitern deutsche oder europäische Fusio­nen, die         Beteiligungsfazilität in Betracht, über deren Umfang
  mit Blick auf den Weltmarkt sinnvoll und notwendig             regelmäßig dem Parlament zu berichten ist. Der Über-
  sind, an der Fokussierung auf nationale und regionale          nahme neuer Beteiligungen muss grundsätzlich die
  Märkte im geltenden Recht. Das europäische und deut-           Priva­tisierung anderer Beteiligungen gegenüberstehen.
  sche Wettbewerbsrecht müssen überprüft und gegebe-
  nenfalls geändert werden, damit für deutsche und euro-       • Ob und inwieweit der Staat von grundsätzlich gege-
  päische Unternehmen ein internationaler Wettbewerb             benen Handlungsmöglichkeiten Gebrauch macht, muss
  „auf Augenhöhe“ möglich bleibt.                                nach einem neuen volkswirtschaftlichen Verhältnis-
                                                                 mäßigkeitsprinzip beurteilt und entschieden werden:
  Bereits bestehende Champions wie Siemens, Thyssen-­
  Krupp, Automobilhersteller oder Deutsche Bank gibt es          1.	 Je geringer die volkswirtschaftliche Bedeutung eines
  zum Teil seit 100 Jahren und länger, sie haben sich seit-          Vorgangs, desto weniger darf der Staat in den Wirt-
  her erfolgreich am Weltmarkt behauptet. Airbus ist eine            schaftsprozess eingreifen.
  große neuere Erfolgsgeschichte, doch auch seine Grün-
  dung liegt mittlerweile 50 Jahre zurück.                       2.	 Je größer die volkswirtschaftliche Bedeutung eines
                                                                     Vorgangs, desto größer muss der Spielraum des
  Der langfristige Erfolg und das Überleben solcher Unter­           Staates für aktive und aktivierende Gestaltung sein.
  nehmen liegt im nationalen politi­schen und wirtschaft­            Dies kann bei Herausforderungen, die für eine Volks-
  lichen Interesse, da sie erheblich zur Wertschöpfung bei­          wirtschaft existenziell sind, bis zur zeitlich befristeten
  tragen und in vielen Fällen auch für das hervorragende             Übernahme von Anteilen oder Gewährung von Bei-
  Image deutscher Wirtschaft und Industrie weltweit mit              hilfen gehen.
  verantwortlich sind.
                                                                 3.	 Grundsätzlich ist jeder Eingriff auf dasjenige Maß zu
• Viele Unternehmen versuchen, ihre Position auf be­­stimm­          beschränken, das zur Erreichung des volkswirtschaft-
  ten Märkten durch die Übernah­me von Unterneh­men                  lichen Ziels notwendig und geeignet erscheint.
  in anderen Ländern zu verbessern. Deutschland war und
  ist ein offenes Land, in dem solche Übernahmen auch            4.	 Im Hinblick auf die für die Wertschöpfungs­kette sehr
  künftig möglich und erwünscht sind, da dies unserem                bedeutende Frage der Batteriezell­produktion
  Verständnis von Marktwirtschaft entspricht.                        erscheint z. B. eine staatliche Förderung bis hin zur
                                                                     Unterstützung der Bildung von Konsortien sinnvoll
  Die staatliche Untersagung von Unternehmensübernah-                und aus­reichend.
  men durch ausländische Wett­bewerber ist auch künftig
  an strenge Voraussetzungen zu knüpfen und darf im Ein­­­       5.	 Bei den überragend wichtigen Fragen von Plattform­
  zelfall nur dann erfolgen, wenn dies zur Abwehr von Ge­            ö­ko­nomie, Künstlicher Intelligenz und Autonomem
  fährdungen der nationalen Sicherheit, einschließlich des           Fahren erscheint dem­gegenüber – wie seinerzeit im
  Bereichs der kritischen Infrastrukturen, erforderlich ist.         Falle von Airbus – eine unmittelbare staatliche Betei-
                                                                     ligung zur Erreichung des Ziels erforderlich und
  Bei Übernahmeversuchen, bei denen nicht in erster                  gerechtfertigt (KI-Airbus).
  Linie das staatliche Sicherheitsinteresse, sondern viel-
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Ordnungspolitische Prinzipien:                                       Unternehmens, ob es in neue Technologien investiert
                                                                     oder nicht. Als Ergebnis unternehmerischen Handelns
• Die Politik muss die Rahmenbedingungen für indus­                  müssen Erfolg und Scheitern gleichermaßen möglich
  trielle Produktion in Deutschland im Hinblick auf die              sein, wenn Marktwirtschaft tatsächlich gelingen soll.
  Wettbewerbsfähigkeit wichtiger Branchen ständig über-
  prüfen und verbessern.                                           • Der Staat soll auch nicht willkürlich in den Wettbewerb
                                                                     zwischen einzelnen Unternehmen eingreifen, weder im
     In den vergangenen Jahrzehnten haben sich diese Rah-            nationalen noch im internationalen Wettbewerb. Nur so
     menbedingungen durch staatliche Eingriffe z. B. aus             kann der Prozess der optimalen Ressourcenallokation
     Gründen des Umweltschutzes, des Klimaschutzes, der              gelingen, kann sich der bessere Anbieter be­­haupten, ent-
     Energiewende oder der Sozialpolitik zum Teil deutlich           steht der größte Mehrwert für alle.
     verändert. Dies hat die Kosten und damit die Wettbe-
     werbsposition gegenüber Ländern, in denen dies nicht          • Die Prinzipien des Marktes und des komparativen Vor-
     der Fall ist, verschlechtert.                                   teils (Ricardo) sind unverändert gültig. Ihre Beachtung
                                                                     und Durchsetzung liegt im Interesse aller Beteiligten. Sie
     Soweit der Staat Eingriffe, die aus übergeordneten poli­        bedeuten, dass der Erfolg einer einzelnen Volkswirtschaft
     ti­schen Gründen erforderlich sind, in ihren wett­be­           nicht zu Lasten einer anderen Volkswirtschaft erfolgt. Viel­
     werbs­­­schädlichen Wirkungen ausgleicht, ist dies keine        mehr können alle gemeinsam wachsen und stärker wer-
     Subven­­tion, sondern die Wiederherstellung von Ver-            den, wenn sie diese Prinzipien erkennen und anwenden.
     gleichbarkeit im Wettbewerb. Dies muss im Einklang mit
     EU-­Recht möglich sein.                                       • Deutschland bekennt sich deshalb zum Prinzip freier
                                                                     und offener internationaler Märkte, auch dort, wo dies
     Bereiche, in denen Handlungsbedarf besteht, sind z. B.:         möglicherweise eigenen Unternehmen zum Nachteil
     –– Strom- und Energiepreise                                     gereicht. Wir wollen weltweit Zölle und Abgaben senken
     –– Höhe der Unternehmensbesteuerung                             und abschaffen, insbesondere für Industrieprodukte in
     –– Höhe der Sozialabgabenquote (dauerhaft unter                 allen Bereichen.
        40 Prozent muss garantiert sein)
                                                                   • Wir wollen den Multilateralismus stärken und aus-
                                                                     bauen, weil er die beste Garantie gegen Protektionismus
• Der Staat darf zu keinem Zeitpunkt in betriebs­wirtschaft­         jeder Art ist und außerdem wesentlich zur Schaffung
  liche Entscheidungen einzelner Unternehmen eingreifen.             von wirt­schaftlicher und politischer Stabilität beiträgt.
  Jedes Unternehmen muss selbst entscheiden können,
  welche Strategie es verfolgt, welche Investitio­nen es tätigt.   • Freie und offene Märkte setzen vergleichbare Rahmen-
  Dies folgt aus der zwingenden Einheit von Entscheidung             bedingungen für alle Marktteilnehmer und Wettbe-
  und Verantwortung. Deshalb ist es Sache eines jeden                werber voraus (level playing field). Diese entstehen nicht
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  von selbst, zumal einige Staaten sich nicht an geltende       auch europäische Industrie­politik sein. Grundsätzlich gilt:
  Regeln halten. Deutschland muss deshalb im Interesse          Die Staaten, die zum Binnenmarkt gehören, haben gemein-
  seiner Wirtschaft intensiv auf die Beseitigung bestehen-      same Wirtschaftsinteressen, da höhere Wertschöpfung in
  der Ungleichheiten und Benachteiligungen hinwirken.           einem dieser Staaten auch den Volkswirtschaften aller
                                                                anderen Mitglieder des Binnenmarktes zugutekommt.
• Sofern es in absehbarer Zeit nicht gelingt, ein level play­
  ing field für Globale Soziale Marktwirtschaft herzustel-      Deshalb braucht auch die Europäische Union eine Indus­trie­­
  len, müssen Deutschland und Europa aktiver als in der         strategie, die auf den Strategien der wichtigsten EU-Indus­
  Vergangenheit gegen Wettbewerbsverzerrungen durch             trie­­­­länder aufbauen muss. Unser Ziel muss es sein, die
  andere Länder vorgehen. Sonst besteht die Gefahr, dass        industrielle Wettbewerbsfähigkeit Europas insgesamt zu
  leis­tungs­fähige Unternehmen durch Eingriffe anderer         stärken. Der Prozess der De-Industrialisierung in vielen
  Staaten benachteiligt und ins Aus gedrängt werden. Dies       EU-Staaten muss nach und nach beendet und umgekehrt
  umfasst:                                                      werden. Dies wird nur gelingen, wenn sich die EU-Mit­glied­­
                                                                staaten gemeinsam diesem Ziel verpflichten.
  1.	 Überprüfung und ggf. Reform des geltenden Beihilfe-
      und Wettbewerbsrechts.                                    Bislang wird in der Europäischen Union und im Euroraum
                                                                sehr viel über fiskalische Fragen, aber viel zu wenig über
  2.	 Ermöglichung von zeitlich begrenzten Beihilfen in         grundlegende wirtschaftspolitische Fragen diskutiert und
      Bereichen von Innovationen mit hoch innovativen           entschieden. Es gibt mehrere unterschiedliche Ratsforma­
      Basiswirkungen, in denen das Erlangen von Wettbe-         tio­nen, in denen über einzelne Aspekte von Wirtschafts­
      werbsfähigkeit im volkswirtschaftlichen Interesse         poli­tik diskutiert wird (Wettbewerbsfähigkeitsrat, Handels-
      geboten ist.                                              rat, Telekommunikationsrat, Energierat), aber keinen
                                                                zentralen europäischen Ort, an dem alle unterschiedlichen
  3.	 Wirksameres Vorgehen gegen Dumping und Miss-              Aspekte zusammengeführt, diskutiert und entschieden
      brauch marktbeherrschender Stellun­gen.                   werden können.

  4.	 Erleichterung von Unternehmenszusam­men­schlüssen         Das europäische Format „Friends of Industry“ war ein erster
      in Bereichen, in denen Größe eine unabdingbare            richtiger Schritt. Über diesen unverbindlichen Austausch
      Voraus­setzung für unternehmerischen Erfolg ist.          hinaus braucht die Europäische Union künftig einen „Rat
                                                                der Industrieminister“, durch den die Zahl der bestehen-
                                                                den Einzelräte allerdings nicht erhöht, sondern reduziert
Die europäische Dimension:                                      werden soll.

Angesichts der großen Errungenschaft des Europäischen
Binnenmarktes muss deutsche Industriepolitik immer
19         M O N AT S B E R I C H T 0 3 -2 0 1 9

Weiteres Vorgehen:                                                  Ebenso ein Fahrplan mit konkreten Umsetzungsschritten,
                                                                    soweit gesetzliche Änderungen oder sonstige Maßnahmen
Eine überzeugende und erfolgreiche Entwicklung und                  erforderlich sind (z. B. Wett­bewerbsrecht, Beteiligungsfazi­
Umsetzung einer Industriestrategie setzt das Zusammen-              lität).
wirken aller wesentlichen Akteure voraus. Sie müssen
gemeinsam Schwerpunkte und Maßnahmen vereinbaren.                   Auf der Grundlage der Nationalen Strategie wird sich die
Die Gesamt­ver­antwortung des Staates für das Wohl seiner           Bundesregierung sodann für die rasche Erarbeitung und
Bürgerinnen und Bürger bleibt davon unberührt.                      Verabschiedung einer entsprechenden EU-Industriestrate-
                                                                    gie einsetzen und in den übrigen Mitgliedstaaten für eine
Der vorliegende Entwurf ist deshalb ein erster Aufschlag. Er        intensive Be­fassung mit industriepolitischen Themen
beansprucht weder Vollständigkeit noch ungeteilte Zustim-           werben.
mung. Er wird in den kommenden Wochen Gegenstand
einer intensiven Diskussion mit relevanten Akteuren aus             Für den Erfolg der Strategie ist es wichtig, dass in regelmä-
Industrie, Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft              ßigen Abständen eine fokussierte Bewertung der tatsächli­
sein. Ebenso mit den Fraktionen des Deutschen Bundes-               chen industriepolitischen Entwicklung und der Angemes-
tages und den Ländern.                                              senheit der Politik der Bundesregierung erfolgt, ohne dass
                                                                    damit die Aufsetzung eines neuen, komplizierten und auf-
Im Anschluss daran soll die überarbeitete Stra­tegie inner-         wendigen Monitoring-Prozesses verbunden wird. Ich
halb der Bundesregierung abgestimmt und vom Bundes­                 schlage vor, dass dies erstmalig zu Beginn des Jahres 2021
kabinett beschlossen werden.                                        erfolgen soll.

Zur Einordnung und Motivation der Strategie sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier:

Der vorliegende Entwurf entwickelt erstmals eine zusam-             der Staats­raison der Bundesrepublik Deutschland. Es wird
menhängende und an grundsätzlichen Erwä­gungen orien-               von Wirtschaft, Sozialpartnern und Staat gemeinsam
tierte nationale und europäische Industriestrategie. Mit ihr        gewähr­leistet.
soll eine rationale Antwort auf eine der wichtigsten Fragen
der Gegenwart ermöglicht werden:                                    Ermöglicht wurde unser hohes Maß an Wohlstand durch
                                                                    die Soziale Marktwirtschaft. Sie hat sich als weltweit erfolg-
  Wie können wir unser hohes Maß an privatem und öffent­            reichstes Wirtschaftsmodell durchgesetzt. Sie war und ist
  lichem Wohlstand dauerhaft erhalten und ausbauen –                jeder Form von Planwirtschaft überlegen. Vor 40 Jahren
  unter den Bedingungen zunehmender Globalisierung,                 wurden sogar in China Elemente von Marktwirtschaft ein-
  enorm beschleunigter Innovationsprozesse und expansiv             geführt. Seit dem Ende des Kalten Krieges erlebt die Markt-
  be­­­­ziehungs­weise protektionistisch betriebener Wirtschafts­   wirtschaft einen weltweiten Siegeszug.
  politik anderer Länder?
                                                                    In Deutschland hat es gleichwohl immer wieder industrie­
Seit Ludwig Erhard hat unser Staat unmittelbar Verantwor-           politische Eingriffe des Staates in die Wirtschaft gegeben:
tung für die Schaffung und den Erhalt von Wohlstand                 Von der Airbus-Gründung im Jahre 1969 über „Rettungsver-
übernommen. Sein Programmsatz „Wohlstand für alle“                  suche“ für einzelne Unternehmen (Salzgitter, Holzmann,
formuliert ein weitreichendes politisches Versprechen an            Opel, Quelle) bis hin zur Ansiedlung von Photovoltaik-
alle Bürgerinnen und Bürger, über alle sozialen Schichten           Unter­nehmen oder der Produktion von Halbleitern und
hinweg.                                                             Mikro­chips. Manche Eingriffe gingen fehl, weil sie zu kurz
                                                                    griffen und der Staat ganz grundsätzlich nicht der bessere
In über sieben Jahrzehnten ist es gelungen, dieses Verspre-         Unternehmer ist. Und weil sie – anders als z. B. bei Airbus –
chen in einem Maße einzulösen, das sich seinerzeit niemand          auf punktuelle Effekte zielten, Fehlallokationen auslösten,
vorstellen konnte. Heute ist das Wohlstandsversprechen              aber keinerlei strategische Funktion erfüllten.
von Ludwig Erhard – neben Freiheit und Sicherheit – Teil
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