COVID-19: Auf dem Weg zum "Next Normal" - Strategien für Händler und Hersteller der Kategorien Konsumgüter, Lebensmittel, Nonfood, Mode und ...

Die Seite wird erstellt Malte Geisler
 
WEITER LESEN
COVID-19: Auf dem Weg zum "Next Normal" - Strategien für Händler und Hersteller der Kategorien Konsumgüter, Lebensmittel, Nonfood, Mode und ...
Akzente Sonderedition Mai 2020

COVID-19:
Auf dem Weg zum
„Next Normal“
Strategien für Händler und Hersteller
der Kategorien Konsumgüter,
Lebensmittel, Nonfood, Mode
und Consumer Healthcare

Consumer Industries & Retail Group
Akzente Sonderedition Mai 2020

Inhalt

04          Intro
                                                                              Akzente
            COVID-19: Auf dem Weg zum „Next Normal“                           Sonderedition
            Die Erholung nach der Krise kann bis 2022 dauern – wie sich das   1/2020
            Geschäft von Konsum­güterherstellern und Handel verändert

09
                                                                               Akzente 1’20 Sonderedition

            Konsumgüter                                                        Perspektive
            Heute die Pole Position für morgen sichern                         COVID-19
                                                                               Erfahrungen – Handlungsempfehlungen – Szenarien

            Die Zeit der Krise nutzen: Ein Fünf-Stufen-Plan für die Märkte
            nach Corona

                                                                               1'20 Consumer Industries & Retail Group

13          Lebensmittelhandel
                                                                              Die erste Ausgabe zur
            Vom Verbrauchertrend zum Game Changer
                                                                              COVID-19-Krise vom März
            In der Lockdown-Phase lief das Geschäft – aber jetzt
            verschieben sich die Präferenzen der Kunden                       Alle Beiträge zum
                                                                              Download unter
                                                                              www.mckinsey.de/akzente

17          Nonfood-Handel

            Corona als Katalysator der Veränderung
            Stagnierende Umsätze gab es schon vor der Krise – der Weg
            ­zurück zum Wachstum führt über den E-Commerce

21          Bekleidungs- und Modesektor

            Weckruf zum Wandel
            Corona bringt es an den Tag: Die Branche hat strukturelle
            Probleme – was die Kunden künftig erwarten

25          Consumer Healthcare

            Neue Trends, neue Spielregeln
            Digitalisierungsschub, mehr Selbstversorgung, sparsamere Ver-
            braucher – neue Regeln für die wachstumsverwöhnte Branche

29          Autoren und Ansprechpartner

30          Impressum

                                                                                                                                 3
Akzente Sonderedition Mai 2020

COVID-19: Auf dem Weg
zum „Next Normal“
Die Erholung des Konsumgüter- und Handelssektors kann noch bis Ende 2022
dauern. Und auch danach wird das Geschäft ein anderes sein. Was sich für die
Branche ändert.

Von Frank Sänger und René Schmutzler

Deutschland ist bislang vergleichs­wei-       gefolgt vom optimis­ti­scheren Szenario     überstehen, sondern vielleicht sogar
se gut durch die Coronakrise gekom-           einer raschen Kontrolle der Pan­demie       gestärkt aus ihr her­vorzugehen? Diesen
men – gemessen an vielen anderen              und langsa­mer, aber stetiger wirt­         und weiteren Fragen gehen wir in unse-
Ländern Europas und der Welt. Den-            schaft­licher Erho­lung (Grafik 1). Beide   rer zweiten Akzente Sonder­edition auf
noch stehen der deutschen Wirtschaft          Sze­­na­rien – in der Analyse als A1 und    den Grund.
im Allgemeinen und dem Konsum­­-              A3 bezeich­net – haben wir in der ers-
güter- und H­ andelssektor im Beson­          ten Akzente Sonderedition vom März
deren noch herausfordernde Zeiten             2020 bereits im Einzelnen vor­gestellt      Entwicklung der Sektoren:
bevor. Die Ausbreitung des Virus zu           („Perspek­tive COVID-19“, abruf­bar         Erholung erst in zwei Jahren
Beginn dieses Jahres und die darauf­-         auf www.mckinsey.de).
hin ergriffenen einschneidenden Maß-                                                      Die Prognosen geben selbst Optimisten
nahmen zu seiner Bekämpfung haben             Deutschland tritt nun in die nächste        wenig Hoffnung: Eine rasche Rückkehr
der Gesellschaft und mit ihr auch der         Phase der Coronakrise ein. Wech­-           zur „alten“ Normalität innerhalb weni­-
Wirtschaft einen Schock versetzt. Die         seln­de Lockerungen und Lockdowns,          ger Monate oder auch binnen Jahres-
Mehrzahl der Ö ­ konomen, Unternehmer         neue Arbeits-, Alltags- und Konsum­         frist wird es aller Voraussicht nach nicht
und Top­manager hier­zulande rechnet          bedingungen sowie nie gekannte öko­         geben. Nach derzeitigen McKinsey-
für die kommenden Monate mit einem            no­mische Herausforderungen werden          Analysen entwickelt sich der private
wiederholten Auf und Ab von Locke­            zum „Next Normal“ im gesellschaft­          Haushaltskonsum weit über 2020 hin-
rungen und Lockdowns.                         lichen und wirtschaftlichen Miteinan­-      aus in allen untersuchten Kategorien
                                              der. Nach dem akuten Krisenmanage-          rückläufig; eine Erholung ist nicht vor
                                              ment der ersten Monate geht es nun          dem vierten Quartal 2021 zu erwarten –
Wirtschaften unter neuen                      darum, Wege zu finden, mit den neuen        im realistischsten Szenario A1 sogar
Bedingungen                                   Reali­täten als Unternehmen konstruk­-      erst Ende 2022 (Grafik 2).
                                              tiv umzugehen.
Diese mittelfristige Perspektive geht                                                     Der Blick auf die Analyse der einzelnen
von einer Ausbreitung und Wieder­             Wichtige Fragen gilt es dabei zu klä­-      Sektoren offenbart jedoch charakte­
eindämmung des Virus in mehreren              ren: Was bedeutet das „Next Normal“         ristische Unterschiede in der Nachfrage­
Wellen aus. Auch McKinsey nimmt sie           für die Entwicklung der Konsumgüter-        entwicklung. Während Lebensmittel
in seinen makroökonomischen Sze­na­           und Handelssektoren in Deutsch­-            und Güter des täglichen Bedarfs von
 rien, die es gemeinsam mit dem Analy­se­­    land? Wie ändert sich das Konsum­           den Lockdown-Maßnahmen verschont
institut Oxford Economics laufend             verhalten der Verbraucher über die          geblieben sind und deshalb nur mode-
­weiterentwickelt, aktuell als die wahr-      Krise hinaus? Und vor allem: Welche         rate Rückgänge verzeichnen, erfah­ren
 scheinlichste an. Ein Großteil der im        Chancen haben Hersteller und Händ­-         langlebige Konsumgüter und Beklei-
 April weltweit befragten Führungskräfte      ler von Lebens­mitteln, Nonfood-Pro-        dung einen vergleichsweise herben Ein-
 betrachtet das Wellenszenario eben-          dukten, Bekleidung und Consumer             bruch, von dem sie sich nicht so rasch
 falls als das realistischste (31 Prozent),   Healthcare, die Krise nicht nur zu          wieder erholen:

4
Intro

1. Die meisten Führungskräfte rechnen mit Szenario A1 – einer nur langsamen Erholung
der Weltwirtschaft in mehreren Wellen

Anteil der Befragten weltweit/in Europa1                                                                                             Wahrscheinlichstes Szenario
                                                                                                                                     Zweitwahrscheinlichstes Szenario
in Prozent

                            Schnelle und
                                                                                        B1                                     A3                              A4
                            effektive Kontrolle
                            der Virusaus-
                            breitung
                                                                                     15/14                                   16/15                            6/4
Virus-                      Effektive Reak ­tion,                                       B2                                     A1                              A2
aus­­breitung               aber (regionales)
und Reaktion                Wiederaufleben
des Gesund-                 des Virus
heitswesens                                                                          11/13                              31/37                                6/6
                            Weitgehendes                                                B3                                     B4                              B5
                            Scheitern der Inter­-
                            ventionen des
                            Gesundheitswesens
                                                                                       3/2                                    9/8                             2/2

                                                           Ineffektive                          Teilweise effektive                  Hocheffektive
                                                           Interventionen                       Interventionen                       Interventionen

                                                                       Ökonomische Auswirkungen und wirtschaftspolitische Reaktion

1
    	Befragung von 2.079 Führungskräften weltweit, davon 769 in Europa, 2.4. - 20.4.2020, letzte Aktualisierung 20.4.2020

Quelle: „In the tunnel: Executive expectations about the shape of the coronavirus crisis“, abrufbar auf www.mckinsey.com

Lebensmittel. Erwartungsgemäß kom-                         Haushaltsgeräte. Langlebige Kon­­sum­                   Die Stimmung: Besser
men Nahrungsmittel von allen Konsum-                       güter wie Haushaltswaren und -elektro-                  als anderswo, doch Skepsis
güterkategorien am besten durch die                        nik erleiden den stärksten Nach­frage­                  dominiert
Coronakrise. Nach einer anfänglichen                       einbruch im Zuge der Corona-Pande-
Umsatzdelle von 14 Prozent stabilisieren                   mie: Ihre Umsätze gehen bis Anfang                      Maßgeblich für die weitere Entwicklung
sich die Umsätze von Lebensmitteln (und                    nächsten Jahres um bis zu 22 Pro­zent                   des deutschen Konsumgütermarkts sind
teilweise auch Getränken) relativ rasch                    zurück. Allerdings erholt sich die Kate-                die Konsumenten selbst – ihre Kauf­
und erreichen spätestens im zweiten                        gorie bis Ende 2022 wieder auf 95 Pro-                  laune, ihre Wünsche und Präferenzen
Quartal 2022 wieder Vorkrisenniveau.                       zent ihres Vorkrisenniveaus.                            unter dem Eindruck von COVID-19 und
                                                                                                                   darüber hinaus. Bereits jetzt zeichnet
Wasch- und Reinigungsmittel. Eben-                         Textilien, Lederwaren und Beklei­-                      sich ab: Die Deutschen bekommen die
falls relativ mild verläuft die Entwick-                   dung. Am längsten mit den Krisenfol-                    Krisenfolgen im internationalen Ver-
lung bei Seifen, Wasch- und Reini-                         gen zu kämpfen hat aus heutiger Sicht                   gleich bislang am wenigsten hart zu
gungsprodukten. Auch sie konnten                           der Modesektor. Zwar schrumpft das                      spüren; das spiegelt sich in ihrer Ein-
während des Lockdowns weiter gekauft                       Geschäft mit Bekleidung, Schuhen                        schätzung der nationalen Wirtschafts-
werden, erfuhren in dieser Zeit sogar                      und sonstigen Textilien nicht so stark                  lage wider.
einen Nachfrageschub und erleben nun                       wie das von Haushaltsgeräten. Doch
bis zum Jahresende einen moderaten                         der Sektor wird sich mittelfristig weni-                Jeder vierte Befragte hierzulande ist
Rückgang um etwa 15 Prozent. Ihre                          ger gut von der Krise erholen – die                     optimistisch, dass sich die heimi­sche
Erholungskurve zeigt einen ähnlichen                       Umsatzprog­nosen für Ende 2022                          Wirtschaft nach der Krise wieder er­­-
Verlauf wie die der Lebensmittelkate-                      ­liegen bei lediglich 90 Prozent des                    holt – deutlich mehr als in allen ande-
gorie, allerdings weniger steil.                            Niveaus von 2019.                                      ren untersuchten Ländern Europas.

                                                                                                                                                                    5
Akzente Sonderedition Mai 2020

2. Im wahrscheinlichsten „Wellenszenario“ A1 erholt sich der private Konsum in Deutschland
nicht vor Ende 2022

Entwicklung des Konsums in Deutschland nach Kategorien
Wertbeitrag zum BIP, indiziert, Q4 2019 = 100

       Szenario A1: Wiederkehrende Ausbreitung des Virus in mehreren Wellen
105 –                                                                                                         Privatkonsum gesamt
                                                                                                              Lebensmittel
                                                                                                              und Getränke
100 –
                                                                                                              Seifen, Wasch- und
                                                                                                              Reinigungsmittel
    95 –                                                                                                      Haushaltsgeräte
                                                                                                              Textilien, Lederwaren
                                                                                                              und Bekleidung
    90 –

    85 –

    80 –

    75 –

               2019                    2020                     2021                     2022
Quelle: McKinsey

Andererseits dominiert auch bei den        über die aktuelle Krise hinaus zum          nur weniger kauften, sondern auch
Deutschen das Gefühl der Unsicherheit:     „Next Normal“ werden; bei zwei Trends       preisbewusster. Mehr als jeder Fünfte
Fast zwei Drittel rechnen nicht vor        ist noch offen, ob und wie stark sie sich   (22 Prozent) wechselte zum Discoun-
kommendem Jahr mit einer wirtschaft­-      mittelfristig manifestieren.                ter – eine Gewohnheit, an der die Ver-
lichen Erholung und auch danach nur                                                    braucher voraussichtlich auch nach der
mit allenfalls schleppendem Wachstum.      Bei der bereits erwähnten Suche nach        Krise weiter festhalten werden.
Doch nur 14 Prozent der Bundesbürger       Sicherheit sowie drei weiteren Trends
erwarten eine länger anhaltende Re­-       handelt es sich um neue Phänomene,          Stärkere Häuslichkeit. Konsumenten
zes­sion über die Krise hinaus – europa-   die im Zuge der COVID-19-Krise erst-        werden trotz der sukzessiven Locke-
weit der niedrigste Wert (Grafik 3).       mals aufkamen. Im Wesentlichen sind         rung von Ausgangsbeschränkungen
                                           sie ein Effekt der erlebten Einschrän-      auch künftig mehr Zeit zu Hause ver-
                                           kungen und der daraus resultierenden        bringen als vor Ausbruch der Pandemie.
Die Konsumenten: Neues                     Verunsicherung. Die neu entstan­denen       Mehr als jeder Zweite (56 Prozent) will
Verhalten im „Next Normal“                 Trends betreffen das Preisbewusstsein,      seine neuen Routinen noch mindes­-
                                           die Mobilität am Heimatort und die          tens vier Monate beibehalten. Entspre-
In Zeiten der allgemeinen Verunsiche-      Reise­tätigkeit.                            chend stark wächst die Nachfrage
rung aber suchen auch die Deutschen                                                    nach Produkten „für zuhause“: So stieg
mehr denn je nach Sicherheit und Sta-      Erhöhte Preissensibilität. Die ökono­       beim Versandhändler Otto der Umsatz
bilität – nicht zuletzt in Bezug auf die   mischen Auswirkungen des Lockdown           mit Haar- und Bartschneidegeräten
Produkte und Marken, die sie kaufen.       haben viele Verbraucher beim Thema          zwischenzeitlich um das Zehnfache.
Und dies wird nicht die einzige Ände-      Finanzen vorsichtig werden lassen.
rung im Verbraucherverhalten bleiben.      Zwar registrierten bislang nur 27 Pro-      Reduzierte Reisetätigkeit. Die Investi­
McKinsey hat in Analysen zur Konsu-        zent einen Rückgang ihres Haushalts-        tionen der Konsumenten in Reisen
mentenstimmung in Europa insgesamt         einkommens; trotzdem drosselten             sind wegen der anhaltenden Restriktio-
neun Verhaltenstrends ausgemacht –         30 Prozent in den vergangenen sechs         nen massiv zurückgegangen – 70 Pro-
einige davon werden voraussichtlich        Wochen ihre Ausgaben, indem sie nicht       zent bestätigen, geplante Trips wegen

6
Intro

3. Deutschland hat den größten Anteil an Optimisten und den kleinsten an Pessimisten, doch
die Unsicherheit überwiegt

Vertrauen in die nationale wirtschaftliche Erholung nach COVID-191
Anteil der Befragten in Prozent
                                                                           Deutsch-          Groß-­                           Frank-
                                                                             land          britannien        Spanien           reich           Italien        Portugal

Optimistisch Die Wirtschaft wird sich binnen                                                                     16              14               12                 10
                                                                                                18
                                                                                25
2 - 3 Monaten erholen und ebenso stark oder
stärker wachsen als vor COVID-19

                                                                                                                 45              49               53                 56
Unsicher Die Wirtschaft bleibt für 6 - 12                                                       56
Monate oder länger beeinträchtigt und wird
                                                                                61
danach stagnieren oder nur langsam wachsen

Pessimistisch COVID-19 wird die Wirtschaft                                                                       39              37               35                 34
lange beeinträchtigen und zu anhaltender                                                        26
                                                                                14
Regression oder Rezession führen

1
    Frage: „Wie ist Ihr allgemeines Vertrauen in die ökonomische Lage nach der COVID-19-Krise?“ Antwortskala von 1 „sehr optimistisch“ bis 6 „sehr pessimistisch“

Quelle: McKinsey COVID-19 Europe Consumer Pulse Survey, 24.3. - 19.4.2020 (n = 5.623)

der veränderten Rahmenbedingungen                          sich alle Prognosen einig. Bereits heute                   Bedeutung erlangt haben: In der Abwe-
nicht angetreten zu haben. Zwar wird                       planen 15 Prozent der Deutschen, in der                    senheit von Events und gemeinschaft­
sich dies mit Aufhebung der Reisebe-                       Zeit „danach“ mehr Produkte online zu                      lichen Aktivitäten rücken Gesundheit
schränkungen wieder ändern, doch ein                       kaufen als zuvor. Dies gilt jedoch nicht                   und Wohlbefinden wieder in den Mittel-
vollständiges Wiederaufleben der alten                     für Lebensmittel: Hier sind die Konsu-                     punkt des alltäglichen Lebens. Allein
Mobilität ist eher unwahrscheinlich.                       menten geteilter Meinung. Während                          beim Internethändler Amazon stieg
Denn die Gewöhnung an Erholungsziele                       ca. 15 Prozent der Befragten vorhaben,                     der Verkauf von Sport-Equipment in
in Wohnortnähe und die vermehrte                           zukünftig öfter Lebensmittel online zu                     Deutschland während des Lockdown
Interaktion über digitale Kanäle vor allem                 bestellen, will ein Viertel seine Netzein-                 im März um fast 60 Prozent.
im beruflichen Umfeld lassen erwarten,                     käufe nach der Krise wieder zurückfah-
dass die Reiseaktivität der Deutschen                      ren. Ein Grund hierfür könnte sein, dass                   Einfordern von Nachhaltigkeit. Schon
insgesamt langfristig geringer wird.                       das Online-Angebot der Lebensmittel-                       vor Corona forderten Konsumenten von
                                                           lieferanten den Erwartungen der Ver-                       den Unternehmen zunehmend nach­
Andere Verbrauchertrends wiederum                          braucher nicht gerecht werden konnte,                      haltiges und verantwortliches Handeln
existierten schon vor COVID-19 und                         was Produktverfügbarkeit, Qualität und                     sowie sinnvolle und nützliche Produkte
haben sich durch die Krise weiter                          Service betrifft.                                          ein. Die Ausnahmesituation von Corona
beschleunigt: die Nutzung digitaler                                                                                   hat den Anspruch an den „Purpose“
Kanäle, der Fokus auf Wellness und                         Fokus auf Wellness und Hygiene.                            noch weiter gesteigert. Einer globalen
Hygiene sowie das Einfordern von                           Die akute Ansteckungsgefahr, die ­                         Umfrage des Marktforschers Kantar
Nachhaltigkeit und verantwortlichem                        vom COVID-19-Virus ausgeht, hat das                        zufolge schätzen es 77 Prozent der Ver-
Handeln in Unternehmen.                                    Hygienebewusstsein der Menschen                            braucher, wenn Konsumgütermarken
                                                           erheblich geschärft. Damit einher geht                     den Wert und Nutzen ihrer Produkte für
Nutzung digitaler Kanäle. Die allgemein                    ein generell stärkerer Trend zu Fitness-                   den Alltag klar kommunizieren. Aller-
gestiegene Nutzung des Internets für                       und Wellness-Produkten, die durch                          dings sind ebenso viele der Meinung,
Einkäufe und soziale Interaktion wird                      die erzwungenen längeren Aufenthalte                       dass Unternehmen die Coronakrise
über die Krise hinaus anhalten – da sind                   in den eigenen vier Wänden ganz neue                       nicht für ihr Geschäft ausnutzen sollten.

                                                                                                                                                                          7
Akzente Sonderedition Mai 2020

4. Die Mehrzahl der Konsumenten fürchtet langfristige finanzielle Folgen – trotzdem gibt fast
jeder Fünfte wieder mehr aus

Durchschnittliche Veränderung gegenüber 6 Wochen                                          Einschätzung des zeitlichen Horizonts
zuvor in Prozent                                                                          in Prozent
                                                                                                         Auswirkungen
                    Haushalts-                   Haushalts-                                              auf Haushalts­
                    einkommen                    ausgaben                                                   finanzen

                                                                                                                                        ~ 60%
Gesteigert                 3                                                              Mehr als ein Jahr             10
                                                        18
                                                                                          7 - 12 Monate                 10
                                                                                                                                        der Befragten
Ungefähr                                                                                  4 - 6 Monate                  20              rechnen für
gleich                    70                                                                                                            mindestens
                                                        52                                                                              2 Monate mit
                                                                                          2 - 3 Monate                  20              finanziellen
                                                                                                                                        Belastungen
                                                                                          0 - 1 Monate                   6
                                                                                                                                        durch die
                                                                                                                                        Coronakrise

                                                       30                                 Keine Auswirkung              34
Reduziert                 27

Quelle: McKinsey COVID-19 German Consumer Pulse Survey, 28. - 29.3.2020 (n = 1.002) und 2. - 5.4.2020 (n = 1.010), Umfrageergebnisse bezogen auf die deutsche
Bevölkerung über 18 Jahre

Neben den bereits bestehenden und                     lich wahrgenommen wurden. Vor allem                    Krise auf ihre Haushaltssituation noch
in der Krise neu entstandenen Trends                  bekannte und starke Marken dürften                     eine ganze Weile spüren werden – jeder
gibt es schließlich auch solche, die sich             von diesem Trend profitieren.                          Fünfte sogar über ein halbes Jahr und
gerade erst abzuzeichnen beginnen                                                                            länger. Trotzdem planen 18 Prozent, ihre
und deren Langlebigkeit noch nicht                    De-Urbanisierung. War die jüngere                      Konsumausgaben wieder zu steigern –
absehbar ist. Dazu zählt zum einen die                Vergangenheit hierzulande von einem                    sechs Wochen vor der Befragung waren
Hinwendung zu neuen Marken und                        immer stärkeren Zuzug in Großstädte                    es gerade einmal 3 Prozent (Grafik 4).
Produkten, zum anderen De-Urbani­                     geprägt, könnte der Trend sich jetzt –
sierung – eine zumindest teilweise                    unter dem Eindruck der Pandemie –                      Wie wirken sich die hier beschriebenen
Abwendung vom urbanen Leben unter                     möglicherweise umkehren. Ausgangs-                     Ausgaben- und Verhaltensänderungen
dem Eindruck der Krisenerfahrung.                     beschränkungen, das Zurückgeworfen-                    der Konsumenten auf die Entwicklung
                                                      sein auf beengte Stadtwohnungen und                    der einzelnen Geschäftsfelder aus?
Neue Markenpräferenzen. Corona                        die Meidung von Menschenansamm-                        Und welche Handlungsstrategien erge-
hat die Verbraucher nicht nur mit Situa-              lungen können mittelfristig in eine                    ben sich daraus für die Unternehmen?
tionen plötzlicher Nichtverfügbarkeit                 Art „Stadtflucht“ münden. Menschen                     Dies und mehr erläutern die nachfol­gen­
konfrontiert (Stichwort Klopapier), son-              ziehen dann aufs dünner besiedelte                     den Sektorenberichte aus den Berei-
dern auch die Wertschätzung bestimm-                  Land, um den Freiraum zu genießen,                     chen Konsumgüter, Lebensmittel- und
ter Produkte und Marken gefördert.                    der in den Krisenzeiten zum begehrten                  Nonfood-Handel, Bekleidung und Con-
Als Folge dieser Erfahrungen könnten                  Gut geworden ist.                                      sumer Healthcare.
sich die Präferenzen für bestimmte Pro-
duktkategorien verschieben, die den                   Ein Kriseneffekt, der bereits heute
Warenkorb der Verbraucher dauerhaft                   klar hervortritt, wird sich auf jeden Fall             Die Autoren danken Paula Hübner,
verändern. Ebenso denkbar ist eine                    weiter manifestieren: Rund zwei Drittel                Beraterin aus dem Berliner Büro von
verstärkte Hinwendung zu Marken,                      der Konsumenten sind überzeugt, dass                   McKinsey, für ihre Mitarbeit an diesem
die in der Krise als besonders verläss-               sie die finanziellen Auswirkungen der                  Beitrag.

8
Konsumgüterindustrie

Heute die Pole Position
für morgen sichern
Durchstarten statt abwarten: Wie Konsumgüterunternehmen die Krise nutzen
können, um sich für die Zeit danach optimal aufzustellen.

Von Marcus Jacob, Markus Schmid und René Schmutzler

Im Kampf gegen das Coronavirus hat           Die wichtigsten Verbraucher-                den Händlern verschärft sich, die
die Konsumgüterindustrie bislang eine        trends aus Herstellersicht                  Handelsmargen sinken, der Verhand-
tragende Rolle gespielt – als Grundver-                                                  lungsdruck nimmt weiter zu.
sorger der Bevölkerung mit Lebensmit-        Dafür werden andere Verhaltenstrends,
tel- und Hygieneprodukten. Gerade diese      die im Zeichen von Corona entstanden        Vermehrte Häuslichkeit. Zu Hause
Kategorien und weitere Güter des tägli-      oder beschleunigt worden sind, das          bleiben ist das neue Ausgehen. Auch
chen Bedarfs verzeichneten in der Krise      Konsumgütergeschäft noch weit über          nach der Lockerung von Ausgangsbe-
sprunghafte Wachstumsraten, zumal            die Krise hinaus prägen. Dazu zählen        schränkungen und Kontaktverboten
sie vom Lockdown auch nicht betroffen        Veränderungen im Preis- und Kanal­          werden die Menschen mehr Zeit daheim
waren. Andere Sparten wiederum er­­-         verhalten, der Trend zur Häuslichkeit,      verbringen als früher – aus vielfältigen
fuh­ren teils herbe Umsatzeinbrüche.         das gestiegene Gesundheitsbewusst-          Gründen. Anhaltende Sicherheitsbe-
Die gesamte Branche aber wird mit den        sein sowie nicht zuletzt der stärker wer-   denken spielen ebenso eine Rolle wie
­Krisenfolgen konfrontiert – mit zuneh-      dende Ruf nach mehr Nachhaltigkeit.         der Wunsch, Geld zu sparen, oder das
 mender Volatilität und drohender Rezes-                                                 Bedürfnis, die gerade getätigten In­­
 sion. Nach dem von McKinsey entworfe-       Erhöhte Preissensibilität. Wie Konsu-       vestitionen in Haus und Garten voll aus-
 nen „Wellenszenario“ (siehe auch S. 4ff.)   menten in Krisenzeiten reagieren, hat       zukosten. Für Konsumgüterunterneh-
 fällt der Haushaltskonsum der Deutschen     die Finanzkrise von 2008/09 schon           men heißt das: Der At-Home-Konsum
 bis zum Ende dieses Jahres auf 85 Pro-      einmal ans Licht gebracht. Damals dau-      wird weiter zunehmen – und damit der
 zent seines Niveaus von 2019 zurück.        erte es rund zwei Jahre, bis die Kon-       Bedarf an entsprechenden Produkten.
                                             sumfreude der Deutschen zurückkehr-
Die jüngsten Lockerungen dürften             te. Der Preis wurde zum wichtigsten         Nutzung digitaler Kanäle. Die wochen-
nur bedingt helfen, die Lücke wieder         Einkaufskriterium: Verbraucher suchten      langen Lockdowns verliehen dem
zu schließen. Denn die Kauflaune             gezielt nach Sonderangeboten, wählten       E-Commerce zunächst einen gewalti-
der Konsumenten bleibt weiterhin             billigere Marken (ein Drittel der Konsu-    gen Schub. Allein bei Lebensmitteln
gebremst, wie eine McKinsey-Umfrage          menten griff 2009 vermehrt zu Han-          stiegen die Online-Ausgaben der Ver-
von Anfang Mai zeigt: Während die            delsmarken) und kauften bei preisgüns-      braucher nach Nielsen-Erhebungen
Nachfrage nach Lebensmitteln, Reini-         tigen Händlern. Damals überwog der          zwischenzeitlich um 81 Prozent gegen-
gungs- und Pflegeprodukten noch              Anteil derer, die verstärkt bei Discoun-    über 2019. Auch wenn die erste Um­­
weitgehend stabil bleibt, fahren Ver-        tern einkauften, gegenüber jenen, die       satzwelle schon wieder abgeflaut ist:
braucher ihre Ausgaben in allen ande-        es weniger taten, um 41 Prozent. Die        Dauerhaft werden mehr Menschen die
ren Kategorien zurück. Am stärksten          aktuelle Coronasituation zeigt ganz         digitalen Kanäle nutzen, weil sie sich an
betroffen sind Möbel und Haushaltsge-        ähnliche Reaktionen: 22 Prozent der         den Komfort von Internetbestellungen
räte, gefolgt von Unterhaltungselektro-      von McKinsey befragten Konsumenten          gewöhnt haben. Allerdings hat die Krise
nik und alkoholischen Getränken (Grafik      geben an, seit Beginn der Krise zum         auch deren Mängel zutage treten las-
1). Wie lange die Kaufzurückhaltung          Discounter gewechselt zu sein. Mögli-       sen: Fehlende Verfügbarkeit, unzurei-
anhält, lässt sich noch nicht absehen.       che Folge: Der Wettbewerb zwischen          chender Service und Lieferprobleme

                                                                                                                                 9
Akzente Sonderedition Mai 2020

1. Konsumenten reduzieren kategorieübergreifend ihre Ausgaben – außer bei Lebensmitteln,
Hygiene- und Pflegeprodukten

Geplante Ausgaben pro Kategorie in den nächsten 2 Wochen1
                                                                                                                         Mehr    Gleich viel   Weniger
Anteil der Befragten in Prozent

                      10               9               7               6                5               5                3             8                 7
       17
                                                                                                                                      50
                                                                                                                                                      37
                      19                              24                                                                17
                                      15                               15
       5                                                                                8               7

     Lebens-      Snacks           Tabak­         Alkoholi-       Produkte Haushalts- Körper-                        Haut­       Möbel und    Unter­
      mittel                       waren            sche          für Kinder waren (z.B.    pflege                  pflege       Haushalts- haltungs-
                                                  Getränke        (Nonfood,   Wasch-     (z.B. Seife,                 und         geräte    elektronik
                                                                   z.B. Win- und Putz- Shampoo,                     Makeup
                                                                     deln)    mittel)    Deodorant)
Differenz Mehrausgaben/Reduktion2

       +12            -9               -6           -17                -9                -3               -2          -14               -42              -30

1
 Frage: „Planen Sie innerhalb der nächsten 2 Wochen in den folgenden Kategorien mehr, gleich viel oder weniger auszugeben?“
 Werte summieren sich rundungsbedingt nicht immer auf 100%
2
  Net Intent = Differenz zwischen „plane mehr/weniger auszugeben“, in Prozent der Befragten

Quelle: McKinsey COVID-19 German Consumer Pulse Survey vom 30.4. - 3.5.2020 (n = 1.002), repräsentative Stichprobe (entspricht der Bevölkerungsverteilung
über 18 Jahre)

haben viele Käufer von weiteren Online-                Zweck unternehmerischen Handelns,                       Zeithorizonte hinweg. Für diese strate-
Einkäufen abgeschreckt. Sie wieder­                    wird lauter unter den Konsumenten.                      gische Aufgabe sollte ein eigenes Pla-
zugewinnen, erfordert ein rasches Auf-                 Vor allem Nachhaltigkeit wird immer                     nungsteam geschaffen werden. Bei der
rüsten von digitaler Kompetenz und                     häufiger eingefordert. Die Herausfor-                   Umsetzung hilft eine Systematik, die
­Infrastruktur (siehe auch S. 15f.).                   derung für die Industrie wird hierbei                   McKinsey speziell für die Coronasitua­
                                                       sein, das Nachhaltigkeitspostulat mit                   tion entwickelt hat: Der nachfolgend
Stärkeres Gesundheits- und Hygiene-                    dem erhöhten Preisbewusstsein und                       vorgestellte Fünf-Stufen-Plan liefert
bewusstsein. Der schon vor Corona                      den steigenden Hygieneanforderungen                     das methodische Rüstzeug, um gut
existierende Gesundheits- und Well-                    in Einklang zu bringen.                                 ­vorbereitet in die nächste Phase der
nesstrend wurde durch die Krise massiv                                                                          COVID-19-Ära einzutreten (Grafik 2).
verstärkt. Hygiene ist zum Kernelement
und Treiber dieses Trends geworden.                    Mit System und Stufenplan                               Wie bei jeder strategischen Neuauf­
Markenhersteller können das neue Kon-                  in die nächste Phase                                    stellung steht auch hier am Anfang die
sumentenbedürfnis bedienen, in­dem sie                                                                         Prüfung der Ausgangslage: Wo stehen
alternative Formen der Herstellung oder                Fast alle Unternehmen verfügen mitt-                    wir? Parameter wie Kosten- und Wachs-
Verpackung wählen und die Themen                       lerweile über Krisenstäbe, die den Ver-                 tumstreiber, aber auch Strategien aus
Hygiene und Wohlbefinden ins Zentrum                   lauf der Coronasituation überwachen                     der Zeit vor Corona sollten als „weiterhin
ihrer Werbebotschaften stellen.                        und auf neue Entwicklungen reagieren.                   gültig“, „unklar“ oder „obsolet“ einge-
                                                       Die Vorbereitung auf das „Next Normal“                  stuft werden. Auch geplante Produkt-
Einfordern von Nachhaltigkeit. Die                     erfordert jedoch noch mehr, nämlich                     einführungen oder Kampagnen gehören
Frage nach dem Purpose, dem Sinn und                   eine weitsichtige Planung über mehrere                  auf den Prüfstand. Zuletzt gilt es, die

10
Konsumgüterindustrie

2. Ein 5-Stufen-Plan bringt Konsumgüterunternehmen bereits heute in die Pole Position für
die Phase nach Corona

  1. Ausgangslage          2. Szenarien­             3. Zielrichtung         4. Maßnahmen            5. Startpunkte
      prüfen                    entwickeln                 festlegen                beschließen              setzen

Bilanz ziehen über      Szenarien entwickeln       Übergeordnete Leit-       Für jedes Szenario      Maßnahmen dyna-
Kapazitäten, Kosten-    unter Einbeziehung         linien für einzelne       Maßnahmenpakete         misch managen
und Wachstumstrei-      von Ländern, Kate-         strategische Schritte     ausarbeiten (z.B.       durch das Setzen
ber (z.B. Märkte,       gorien und Kanälen         entwickeln (z.B. Wahl     E-Commerce stär-        individueller Start-
Kunden, Kategorien)                                des Preissegments,        ken, Vertriebskunden    und Zielpunkte für die
                        In jedem Szenario          bevor­zugte Wachs-        neu segmentieren,       einzelnen Aktionen
Prämissen bisheriger    Stresstests von            tumsmärkte, Marke-        Supply Chain resi­
Strategieentschei-      Geschäftsmodell            ting- und Promotion-      lienter gestalten)      Schlüsselindikatoren
dungen auf den          und -strategie             pläne)                                            ausmachen für das
Prüfstand stellen       durchführen                                                                  richtige Timing

                                                              Iteration in kurzen Zyklen
                                                              Pro Tag 1 Ergebnis und zügige Umsetzung
Quelle: McKinsey

Wachstumserwartungen für 2020 und            Richtungsentscheidungen                    empfiehlt es sich, den weiteren Verlauf
2021 neu zu bewerten und die Ressour-        und Maßnahmenpakete                        der Pandemie und mögliche Reaktionen
cen entsprechend umzuverteilen.                                                         ständig im Blick zu behalten – auch auf
                                             Nach der Szenarienplanung geht es an       lokaler Ebene, da politische Entschei-
Schritt zwei widmet sich dem Entwerfen       die Festlegung der strategischen Ziele:    dungen zur Eindämmung des Virus
von Szenarien: Welchen Verlauf könnte        Wohin wollen wir steuern? Richtungs-       in Deutschland zunehmend dezentral
die Pandemie und deren Bekämpfung            entscheidungen stehen vor allem in vier    fallen. Das Monitoring sollte ein Team
noch nehmen und welche Folgen hätte          Bereichen an. Erstens beim Portfolio:      übernehmen, das über neue Ereignisse
dies für das eigene Geschäft? Die Ent-       Lieber in den At-Home-Konsum investie-     laufend informiert.
wicklung solcher Szenarien ist alles         ren oder die Nachfrage von Produkten
andere als trivial: Makroökonomische         ankurbeln, die in der Krise kaum Absatz    Die Maßnahmenpakete selbst sollten
Dynamiken, regionale Unterschiede            fanden? Zweitens bei der Preisgestal-      dann möglichst detailliert ausgearbeitet
und ein nur schwer abschätzbares Kon-        tung: Eher auf günstige Marken setzen      werden und alle Themenfelder abde-
sumentenverhalten machen die Auf­            oder Premiumangebote an die neuen          cken, die für das Geschäft relevant sind,
gabe hochkomplex. Als Ausgangsbasis          Verbrauchertrends anpassen? Drittens in    von der Formulierung des Purpose bis
könnten die globalen Szenarien dienen,       der Markenführung: Lohnt es sich, Mar-     zur Planung von Zukäufen.
die das McKinsey Global Institute ent­       ken neu zu positionieren, etwa in Bezug
wickelt hat („Safeguarding our lives and     auf Hygiene, Regionalität und Nachhal-     Purpose. Das Handeln eines Unterneh-
our livelihoods“, www.mckinsey.com).         tigkeit? Viertens schließlich im Kanal-    mens in Krisenzeiten prägt sein Image
Für die Zukunftsplanung empfiehlt sich       und Key-Account-Management: Weiter         bei den Konsumenten. Es lohnt sich
die Erarbeitung von mindestens vier          auf den stationären Handel setzen oder     daher, darüber nachzudenken, welches
Szenarien, die mögliche Auswirkungen         besser auf die digitalen Kanäle? Die       die eigenen Handlungsmaximen sind,
der jeweiligen Entwicklungen auf Kate-       Antworten auf diese Fragen legen den       diese ins Zentrum der Kommunikation
gorien, Kanäle und Länder durchspie-         Grundstein für die nächsten Schritte.      zu stellen und alle künftigen Maßnah-
len und dabei staatliche Interventionen                                                 men daran auszurichten.
in verschiedenen Varianten (Eindäm-          Das Herzstück des Fünf-Stufen-Plans
mungs- und Lockerungsmaßnahmen,              bildet die Erarbeitung konkreter Maß-      Portfolio. Den heimischen Konsum för-
Finanzhilfen) berücksichtigen.               nahmen für die Zeit nach Corona. D­ abei   dern oder Marken wiederbeleben, die in

                                                                                                                               11
Akzente Sonderedition Mai 2020

der Krise zum Ladenhüter wurden?           Supply Chain. Corona hat einmal mehr        Zukäufe. Krisenzeiten eignen sich,
Strategische Fragen wie diese gilt es zu   bewiesen: Ökonomischer Erfolg steht         um nach attraktiven Zielen im Bereich
beantworten, wenn es darum geht, das       und fällt mit der Funktionsfähigkeit von    Mergers and Acquisitions (M&A) Aus-
Produktportfolio an das „Next Normal“      Lieferketten. Nächstes Ziel muss des-       schau zu halten. Allerdings sollte der­-
anzupassen. Zu berücksichtigen sind        halb eine intelligent aufgestellte und      zeit weniger die Effizienzsteigerung
außerdem die veränderten Bedingun-         flexible Supply Chain sein, die künftigen   als der strategische Aufbau von Wider-
gen in Beschaffung und Lieferkette.        Krisen sicher standhält. Standorte, Pro-    standskraft im Vordergrund stehen.
Dabei zahlt sich Differenzierung aus,      zesse und Tools gilt es auf diese Resili-   Lohnende Übernahmeziele wären zum
denn jede Käufergruppe und jeder           enz hin zu durchleuchten, notwendige        Beispiel Marken, die das Portfolio
Kaufanlass, jeder Kanal und Handels-       Flexibilitäten gegen die Effizienz bishe-   ergänzen, Herausforderer innerhalb
kunde erfordert maßgeschneiderte           riger Zentrallösungen abzuwägen. In         der eigenen Kategorie oder starke
Angebote.                                  diesem Zusammenhang sollte auch             Spieler aus benachbarten Sparten. Um
                                           erwogen werden, ältere Infrastrukturen      die Liquidität für derartige Zukäufe zu
Kanäle und Kunden. Corona hat die Art,     zu ersetzen durch autonome End-to-          schaffen, sollte parallel der Verkauf
wie Menschen einkaufen, verändert:         End-Planungssysteme auf der Basis           weniger strategischer oder leistungs-
One-Stop-Shopping statt Einkaufs-          von Advanced Analytics.                     schwacher Segmente erwogen werden.
bummel, Click-and-Collect statt Laden­
besuche. Damit verschieben sich für        Produktivität. In der Finanzkrise von
Hersteller die Prioritäten von Kanälen     2008/09 senkten die 20 Topunterneh-         Wissen, wann Zeit ist zu
und Handelskunden. Sicher ist: Der         men der Welt ihre Kosten und starteten      starten
Druck auf den Handel ist gestiegen, die    ihre Investitionen, noch bevor sich die
kommenden Jahresverhandlungen wer-         Wirtschaft insgesamt wieder erholte.        Timing ist alles – auch beim Übergang
den härter sein. Für die Hersteller ist    Wie haben sie das geschafft? Indem sie      zum „Next Normal“. Der fünfte und
jetzt der Zeitpunkt, neue Verhandlungs-    gezielt auf Aktivitäten setzten, die ihre   letzte Schritt im Stufenplan ist deshalb
strategien zu erarbeiten, um optimal       Produktivität steigerten. Das gelingt       dem Setzen von Startpunkten für jede
vorbereitet in die Gespräche zu gehen.     nur mit einem Zero-based-Ansatz bei         einzelne Maßnahme vorbehalten.
Im Bereich Food Service etwa können        der Festlegung der neuen Budgets.           Dabei besteht die Kunst darin, frühzei-
produzierende Unternehmen mit inno-        Im aktuellen Fall wird die massive Kon-     tig die Schlüsselindikatoren zu erken-
vativen Business-Modellen dazu beitra-     sumveränderung während der Krise            nen, die anzeigen, wann die Zeit reif ist
gen, das Geschäft wieder zum Laufen        als Basis genommen und ein Fahrplan         für konkrete Schritte. Datenanalysen
zu bringen. Für manche könnte sogar        für die gezielte Wiederaufnahme von         helfen, diese „Trigger“ rechtzeitig aus-
eine höhere Vertikalisierung in diesem     Investi­tionen aufgestellt. Produktivi-     zumachen. Schließlich ist es am Top­
Bereich die richtige Option sein.          tätssteigernd wirken vor allem Projekte     management, zügig grünes Licht zu
                                           zur Digitalisierung – von der Beschaf-      erteilen, damit die geplanten Maßnah-
E-Commerce. Den Partnern im Online-        fung bis zum Backoffice.                    men ebenso zügig umgesetzt werden.
Handel kommt eine Schlüsselstellung
zu, wenn es darum geht, digitale Ver-      Planung. Corona hat gezeigt, dass           Konsumgüterunternehmen, die dem
triebskanäle gezielt auszubauen. Das       bereichsübergreifende Planung bei           Fünf-Stufen-Plan konsequent folgen,
Benennen von „Category Captains“,          der Bewältigung akuter Krisensituatio-      gehen nicht nur gestärkt aus der Coro-
stärkerer Datenaustausch und gemein-       nen enorm helfen kann. Vertrieb und         nakrise hervor. Sie verschaffen sich
same Lagernutzung können helfen,           Operations sollten ihre Planungen           zugleich die beste Ausgangsposition,
diese Partnerschaften zu vertiefen. Um     daher gemeinsam vornehmen, um bes-          um in der Phase danach wieder durch-
sich zukünftig nicht zu abhängig von       ser abschätzen zu können, ob etwa ein       zustarten – vor allen anderen.
den E-Marktplätzen der Internetgigan-      plötzlicher Nachfrageanstieg nur der
ten zu machen, sollten die Beziehungen     Einmaleffekt aus einer Aktion oder
zu spezialisierten Online-Händlern aus-    dauerhafter angelegt ist. Auch bietet
gebaut und eigene E-Commerce-Platt-        es sich an, die Monatsplanungen um          Die Autoren danken Raphael Buck,
formen für den Direktvertrieb geschaf-     wöchentliche Kontrollzyklen zu ergän-       Senior Partner bei McKinsey und Leiter
fen werden. Denn diese erlauben eine       zen, um Kosten und Service im Gleich-       des europäischen Konsumgüter- und
stärkere Personalisierung von Produkt-     gewicht zu halten. Für Key Accounts         Handelssektors, sowie Tracy Francis,
angeboten und den Zugriff auf wert­        im Handel empfiehlt sich nicht zuletzt      Paula Hübner, Eldon Little, Jessica
volle Daten zur Customer Journey der       ein vernetztes Bestandsmanagement,          Moulton und Samantha Phillips für ihre
Konsumenten.                               um ihre Flexibilität zu steigern.           Mitarbeit an diesem Beitrag.

12
Lebensmittelhandel

Vom Verbrauchertrend
zum Game Changer
Der Lebensmittelhandel hat von der Krise bisher stärker profitiert als andere.
Aber auch er wird sich neu erfinden müssen, denn das Verhalten der
Konsumenten verändert sich.

Von Sebastian Gatzer, Daniel Läubli, Julia Spielvogel und Tobias Wachinger

Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) hat     Facetten neu erfinden müssen. Die           als auch die aktuelle Prognose von
turbulente Wochen hinter sich. Zwar        Pandemie führt zu einer neuen Lebens-       McKinsey („Safeguarding our lives and
konnten die meisten Unternehmen von        und Alltagsrealität, die den Konsumen-      our livelihoods“, www.mckinsey.com).
der Situation profitieren und sind somit   ten und sein Einkaufsverhalten wohl         Die ökonomischen Folgen der aktuellen
privilegiert gegenüber den Fach- oder      für die nächsten Monate und Jahre ver-      Krise werden für viele Konsumenten
Bekleidungshändlern, deren Türen           ändern wird. Noch ist unklar, wie sich      Auswirkungen auf das verfügbare Ein-
während der Lockdowns größtenteils         die Lage weiterentwickeln wird (z.B.        kommen und somit auf ihr Einkaufs­
geschlossen blieben. Jedoch musste         ob etwa eine zweite Infektionswelle ent-    verhalten haben. Vom Abschwung
sich auch der LEH an ein neues Konsu-      steht) und welche Implika­tionen damit      profitieren werden (wie bereits in der
mentenverhalten anpassen, das sich im      verbunden sind. Etwa in Bezug auf           Finanzkrise von 2008/09) vor allem
Zuge der Krise rasch ausgebildet hat       den Online-Einkauf von Lebens­mitteln:      Preiseinstiegsprodukte und Handels-
und nun laufend verändert.                 Wie nachhaltig der aktuelle Zuwachs         marken. Auch diesmal zeigt sich wieder,
                                           bleibt, wird stark davon ab­­hängen, wie    dass die deutschen Konsumenten ihre
Die anfängliche Phase der Bevorratung      lange die Krise noch andauert. Diese        Einkaufsstätten wechseln – auf Grund
insbesondere mit haltbaren Lebensmit-      Entwicklungen laufend zu beobachten         von Sicher­heitsbedenken und einge-
teln und die geschlossenen Restaurants     und schnell zu reagieren, wird die Her-     schränkter Mobilität, aber auch wegen
haben kurzfristig zu einem enormen         ausforderung für den LEH werden –           günsti­gerer Preise und Sonderange­
Umsatzanstieg geführt. Und weiter­hin      und seine Chance.                           bote (Grafik 1).
wird viel zu Hause gekocht und geges-
sen: Zutaten, Frischeprodukte und                                                      Das Category Management im LEH
gesunde Lebensmittel verzeichnen seit      Höhere Preissensibilität …                  wird seine Strategie auf diesen neuen
dem Lockdown deutliche Zuwächse.                                                       Trend einstellen müssen. Handelsmar-
Aber auch andere Kategorien wie etwa       Reagieren müssen Händler vor allem          ken, Einstiegspreise und zielgerichtete
Snacks und Bier werden wieder ver-         auf zwei Veränderungen: die neuen           Aktionen werden zum zentralen Instru-
stärkt gekauft. Doch es geraten inzwi-     Verhaltenstrends bei den Konsumenten        ment, um Kunden, die ihre Einkäufe
schen auch andere Faktoren zurück in       und die Verlagerung des Geschäfts in        sonst auf mehrere Händler verteilen
den Fokus – beispielsweise Preise, die     neue Kanäle.                                würden, im jeweiligen Kanal zu halten.
zeitweise zu Gunsten von Verfügbarkeit                                                 In den USA verzeichnen Handelsmar-
an Bedeutung verloren hatten.              Der wahrscheinlich dominanteste             ken nach McKinsey-Analysen bereits
                                           Effekt im „Next Normal“ ist die Preis-      einen um 4 Prozentpunkte höheren
                                           sensibilität der Konsumenten – eine         Marktanteil als noch 2019. Der attrakti-
Die größten Veränderungen –                Situation, die Händler aus vergangenen      ve Produktpreis, so scheint es, gewinnt
und erste Antworten darauf                 Rezessionen nur zu gut kennen. Die          gegenüber der Preis-Leistungs-Wahr-
                                           ­jetzige wird wohl die gravierendste seit   nehmung des gesamten Warenkorbs an
Die Zukunft wird nicht weniger turbu-       Jahrzehnten sein, sagen sowohl füh­        Bedeutung. In Reaktion darauf kann
lent und der LEH wird sich in vielen        rende Wirtschaftsforschungsinstitute       zum Beispiel mit Lieferanten an neuen,

                                                                                                                             13
Akzente Sonderedition Mai 2020

1. Deutsche Konsumenten achten wieder stärker auf den Preis – und wechseln zu günstigeren
Einkaufsstätten

„Haben Sie seit dem COVID-19-Ausbruch                                            Hauptgründe für den Ladenwechsel
eines der folgenden Dinge getan?“                                                Anteil der Befragten, die einen Wechsel
Anteil der Befragten in Prozent                                                  vorgenommen haben, in Prozent

                                                    Absicht, es
                                                   fortzuführen                    42               Das Geschäft ist weniger überfüllt

Einkauf in
einem neuen
Lebensmittel­-               9                          63                         36               Das Geschäft ist näher/leichter zu erreichen

geschäft

                                                                                   29               Die Preise sind günstiger
Wechsel meines
Geschäfts erster
Wahl                         6                          48                         25               Das Geschäft hat ein größeres Sortiment

                                                                                   17
                                                                                                    Das Geschäft bietet Aktionen auf Marken und
                                                                                                    Produkte an, die für mich relevant sind

Quelle: McKinsey COVID-19 Consumer Pulse Survey Germany, 30.4. - 5.5.2020 (n = 1.002), repräsentative Stichprobe (entspricht der Bevölkerungsverteilung über 18 Jahre)

preiswerten Produkt­varianten gearbei-                  Lust auf den „kleinen“ Luxus. Auch in                     Fokus auf Gesundheit und Nachhal­
tet werden.                                             Zukunft werden Kunden sich etwas                          tigkeit. Corona hat bei den Konsu­
                                                        gönnen wollen – auch und gerade                          menten ein noch nie dagewesenes
Die Folge für die Händler wird – selbst                 wegen Corona. Durch den Wegfall des                      Bewusstsein für Gesundheit geschaf-
bei steigenden Umsätzen – zusätzlicher                  Urlaubs oder die Einschränkung von                       fen, das sich bei vielen unmittelbar
Margendruck sein, der kostenseitig                      Restaurantbesuchen gewinnt der klei-                     im Einkaufsverhalten niederschlägt.
durch Investitionen in die Einhaltung                   ne Luxus am heimischen Esstisch an                       McKinsey-Umfragen zufolge sind für
von Hygienestandards noch verstärkt                     Wert. Das Phänomen des „Cocooning“                       gut jeden zweiten Kunden in Deutsch-
wird. Die Verbesserung der Profitabili-                 (sich es im eigenen Zuhause gemütlich                    land gesunde Produkte sehr bis extrem
tät ist daher erfolgsentscheidend und                   einrichten), von dem schon in der                        wichtig geworden, für jeden Dritten
sollte nicht nur intern, sondern auch                   Finanzkrise Baumärkte und Möbel­                         auch ökologisch nachhaltige. Schon
gemeinsam mit den Lieferanten ange-                     häuser profitiert hatten, zeigt sich nun                 vor der Krise spielten diese Attribute
gangen werden.                                          auch in der Coronakrise und kann                         eine starke Rolle. So gaben 2019 acht
                                                        trotz höherer Preissensibilität zu einer                 von zehn Österreichern an, dass ihnen
                                                        Steigerung der Lebensmittel­ausgaben                     die regionale Herkunft von Produkten
… und komplementäre                                     führen: Der Restaurant­besuch an­­                       wichtig bis sehr wichtig sei, da sie
Effekte                                                 lässlich einer Familienfeier etwa wird                   ­diesen eine höhere Nachhaltigkeit
                                                        durch ein schönes Essen daheim                            und bes­sere Qualität zusprachen. Ins-
Die höhere Preissensibilität ist eine                   ersetzt. Händler sollten dieses Be­­                     gesamt wird der Trend weiter an Rele-
zentrale Veränderung im Verhalten der                   dürfnis bedienen und gezielt Möglich-                    vanz gewinnen, nicht zuletzt auch weil
Verbraucher, aber nicht die einzige.                    keiten zum kleinen Luxus bieten (der                     die Politik ihn mit stützt. Zudem zwin-
Weitere komplementäre Effekte kom-                      allerdings immer noch erschwinglich                      gen Lieferengpässe Händler inzwischen
men hinzu, auf die der LEH reagieren                    sein sollte), am besten unterstützt                      häufiger dazu, ihr Sortiment aus der
und die er mit dem Trend zum günstigen                  durch zielgruppen­gerechte Kommuni-                      Region zu beschaffen. Allerdings:
Preis in Einklang bringen muss.                         kation.                                                  Selbst wenn Kunden für Qualitätspro-

14
Lebensmittelhandel

2. Der Verbrauchertrend zu mehr Gesundheit und Nachhaltigkeit hat durch Corona
deutlich zugenommen

„Wie wichtig waren Ihnen folgende Produktattribute in Ihrer letzten Einkaufswoche?“                                            Unwichtig
Anteil der Befragten in Prozent                                                                                                Sehr oder extrem wichtig

                                                                                                                                           Veränderung gegen-
                                                                                                                                           über Vorkrisenzeit

Gesund                                                                                 6                                   56              +50%
Umweltfreundlich                                                                  12                        34                             +22%
Tierversuchsfrei                                                     27                                  31                                +4%
Biolebensmittel                                               37                                    24                                     -13%
Pflanzenbasiert                     72                                                     9                                               -63%
                                                                                                                                           -2%
 Marken mit über-
                                                                   30                                  28
­geordneten Werten

Quelle: McKinsey COVID-19 Consumer Pulse Survey Europe, 16. - 19.4.2020 (n = 5.623); repräsentative Stichprobe für Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien,
Spanien und Portugal (entspricht der Bevölkerungsverteilung über 18 Jahre) – Auszug für Deutschland

dukte aus der Region oftmals eine                       Online als „sichere“ Alterna­                            deutlich über dem Vorkrisenniveau liegt,
höhere Zahlungsbereitschaft zeigen,                     tive – aber ausbaubedürftig                              legen nahe, dass es auch hierzulande zu
müssen die Preise attraktiv bleiben.                                                                             einer nachhaltigen Kanalverschiebung
„Günstig und gesund“ lautet das                         Zusätzlich könnte die aktuelle Situa­-                   kommen könnte. Bereits eine EU-weite
Erfolgsrezept der Zukunft (Grafik 2).                   tion zu einer dauerhaften Umsatz­                        Befragung von Anfang April zeigt, dass
                                                        verschiebung in digitale Kanäle führen.                  knapp 60 Prozent eine Online-Lebens-
Einfordern von Werten. Neben einem                      In welcher Größenordnung, wird vom                       mittellieferung nach Hause ausprobiert
Sortiment, das ihren Bedürfnissen ent-                  weiteren Verlauf der Coronakrise                         haben und 46 Prozent derjenigen, die
spricht, erwarten Konsumenten von                       abhängen – sowohl auf der Nachfrage-                     sehr zufrieden waren, diesen Service
den Unternehmen, bei denen sie ein-                     als auch auf der Angebotsseite, etwa                     weiter nutzen wollen (Grafik 3). Weitere
kaufen, ein klares Bekenntnis zu über-                  durch die Vielfalt und Qualität der                      Befragungen zeigen ähnliche Resultate:
geordneten Werten. Lebensmittel-                        Angebote, die entstehen.                                 Fast jeder Zweite will auch weiterhin
händler sollten ihre Positionierung in                                                                           online bestellen – über alle Zufrieden­
Bezug auf Hygiene, Sicherheit, Nach-                    Gesundheitliche Bedenken und gerin-                      heits­stufen hinweg.
haltigkeit, Regionalität und Transparenz                gere Mobilität haben zu einem Anstieg
klar bestimmen und kommunizieren.                       des E-Commerce geführt: Eine Viel­zahl                   Die Umfrageergebnisse zeigen: Wie
Auch die angebotenen Produkte sollten                   von Verbrauchern hat während des                         sehr sich der Lebensmitteleinkauf tat-
in ihren Attributen diese Wertverspre-                  Lockdown zum ersten Mal Lebensmittel                     sächlich in den Online-Kanal verlagern
chen spiegeln. Dabei wird sich zeigen,                  online bestellt. Nach den jüngsten                       wird, hängt stark von der Fähigkeit der
ob große, bekannte Marken die derzeit                   McKinsey-Konsumentenanalysen von                         Händler ab, gute Einkaufserlebnisse zu
gefragte Stabilität stärker ausstrahlen                 Anfang Mai liegt der Kundenzuwachs                       bieten. Kaum ein Kunde wird in Zukunft
oder ob kleinere Marken mit ihrem                       EU-weit bei 44 Prozent, in Deutschland                   mehr bereit sein, limitierte Sortimente
­lokalen oder spezialisierten Charakter                 etwas verhaltener bei 31 Prozent. Beob-                  oder schwachen Service wie zu Beginn
 eher punkten können, wie dies in der                   achtungen aus China, wo der Online-                      der Krise in Kauf zu nehmen. Der Auf-
 Vergangenheit mitunter der Fall war.                   Anteil im Lebensmittelhandel weiterhin                   bau eines attraktiven Angebots, einer

                                                                                                                                                                  15
Akzente Sonderedition Mai 2020

3. Die Online-Bestellung von Lebensmitteln polarisiert – bessere Einkaufserlebnisse
sind nötig, um Kunden langfristig zu überzeugen

Gewählter Kanal für den Kauf von                               Zufriedenheit mit dem                                                    Sehr oder eher unzufrieden

Lebensmitteln, Getränken und                                   gewählten Kanal                                                          Leicht zufrieden oder zufrieden
                                                                                                                                        Sehr zufrieden
Produkten des täglichen Bedarfs                                Anteil der Befragten in Prozent
Anteil der Befragten in Prozent

                                                                                                                         Anteil der sehr zufrie-
                                                                                                                                                            38%
Online-Bestellung und
                                          49                         17                             60         23        denen Kun­den, die
Abholung im Geschäft
                                                                                                                         den Online-Kanal
                                                                                                                         auch nach der Krise
                                                                                                                                                            46%
Online-Bestellung und
                                             59                     14                         55               32       weiter nutzen wollen
Lieferung nach Hause

Besuch eines großen
                                                       92        12                               62           26
Supermarkts

Besuch eines kleineren
                                                  79            9                                64             27
Lebensmittelgeschäfts

Quelle: McKinsey COVID-19 Consumer Pulse Survey Europe, 30.3. - 3.4.2020 (n = 5.614), repräsentative Stichprobe für Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien,
Spanien und Portugal (entspricht der Bevölkerungsverteilung über 18 Jahre)

stabilen Infrastruktur und verlässlichen                 auch aus Geldmangel längerfristig                        übernehmen, eine attraktive, neue
Auslieferungskette wird daher von zen-                   weniger besucht werden.                                  Wachstumsopportunität.
traler Bedeutung sein, wenn es darum
geht, eine echte Alternative zum statio-                 Außer-Haus-Lieferungen von Restau-                       Die Zeit nach Corona wird eine andere
nären Handel zu bieten. Die Einlösung                    rants erfuhren während des Lockdown                      sein, auch und im Besonderen für den
von Kundenwertversprechen ist dabei                      zwar einen Boom (24 Prozent Kunden-                      LEH. Die Unsicherheit über die Versor-
ebenso sicherzustellen wie eine effizi-                  wachstum allein in Deutschland). Aller-                  gung mit Gütern des täglichen Bedarfs
ente Logistik; stellt doch die Profitabili-              dings ist fraglich, ob dieser vergleichs-                wird nicht gänzlich verschwinden, Kun-
tät des Online-Kanals nach wie vor eine                  weise teure Kanal seine Beliebtheit                      den werden ihr Verhalten weiter anpas-
der größten Herausforderungen für den                    bei den Konsumenten behalten wird.                       sen. Das erfordert von den Händlern
Lebensmittelhandel dar.                                  Supermärkte könnten jetzt mit Ready                      digitale Kompetenzen und preisgüns­
                                                         Meals in diese Lücke stoßen – als dau-                   tige Produktalternativen sowie Investi-
                                                         erhaft günstigere Alternative bei gleich-                tionen in neue Segmente. Was vor
Ready Meals als neues                                    zeitig hoher Convenience. Mit gesünde-                   Corona „nur“ Trends waren, wird durch
Wachstumssegment                                         ren Produkten, als klassische Fertigge-                  die Krise zum echten Game Changer.
                                                         richte sie bieten, treffen Lebensmittel-                 Gewinner werden die sein, die sich ent-
Neben dem Ausbau des Online-Ver-                         händler das neue Kundenbedürfnis                         schlossen auf die neue Realität einstel-
triebs lohnt sich auch der Blick auf                     vielleicht sogar besser. Dabei kann                      len und das „Next Normal“ mit all seinen
andere Verkaufskanäle. So könnten                        sowohl über Sortimentserweiterungen                      Unwägbarkeiten kreativ gestalten.
Lebensmittelhändler unter anderem                        als auch über Lieferdienste (eventuell in
nach Wegen suchen, wie sie die Nach-                     Kooperation) oder Mitnahmemöglich-
frage nach Speisen zum Sofortverzehr                     keiten aus den Filialen nachgedacht                      Die Autoren danken Katharina Buhtz,
oder für die einfache Zubereitung zu                     werden. Die genaue Ausgestaltung ist                     Projektleiterin im Berliner Büro von
Hause bedienen können, wenn Restau-                      noch offen und bietet Händlern, die                      McKinsey, für ihre Mitarbeit an diesem
rants aus Sicherheitsbedenken oder                       bereit sind, hier die Vorreiterrolle zu                  Beitrag.

16
Nonfood-Handel

Corona als Katalysator
der Veränderung
Für Nonfood-Händler war die Welt schon vor Corona in Unordnung – nun
müssen sie sich auch noch auf die Kaufzurückhaltung der Konsumenten und
einen beschleunigten Wechsel zu Online-Kanälen einstellen.

Von Thomas Eder, Karsten Lafrenz, Fabio Mann und Daniel Rexhausen

Das Umfeld war für viele Nonfood-            flächen vieler Filialen über der Grenze    Konsumenten im Sparmodus
Händler schon vor Corona hart. In den        von 800 Quadratmetern l­iegen, konnten     und auf Online-Kurs
meisten Subsektoren stagniert der            viele Geschäfte erst spät oder nur ein­
Umsatz seit Jahren, Online-Anbieter          geschränkt öffnen.                         Auch nach den Ladenöffnungen halten
jagen den stationären Geschäften                                                        sich Konsumenten mit nicht dringend
immer mehr Kunden ab. Für die kom-           Drogerieartikel und Kosmetik. Droge-       notwendigen Aus­gaben zurück. Stark
menden fünf Jahre prophezeiten Markt-         riemärkte waren je nach ihrer Sorti-      betroffen sind Möbelunternehmen. In
forscher bereits vor Corona anhaltende        mentszusammenstellung unterschied-        einer McKinsey-Umfrage geben 49 Pro-
Stagnation im Offline-Geschäft, online        lich betroffen und verschiede­nen Dyna-   zent der Konsumenten an, hier in nächs-
hingegen ein durchschnittliches Wachs-       miken ausgesetzt: Sie profitierten         ter Zeit sparen zu wollen, 37 Prozent
tum von rund 9 Prozent pro Jahr, ver-        einerseits von der gestiegenen Nach-       wollen weniger für Unterhaltungselek­
gleichbar mit den fünf Vorjahren. Die        frage nach Hy­gieneartikeln und der        tronik ausgeben.
Zahl der Filialen sollte im gleichen Zeit-   ­stabilen Nachfrage nach Grundbedarfs-
raum um 3 Prozent sinken.                     artikeln des täglichen Lebens, sahen      Wichtiger noch als eine zeitweilige
                                              jedoch eine sinkende Nachfrage nach       Kaufzurückhaltung könnte sich für
Nun kommt es zumindest 2020 noch              erweiterten Sortimenten wie Kosmetik      statio­näre Nonfood-Händler auf Dauer
schlimmer: Eine McKinsey-Analyse              und Düfte.                                eine an­dere Zahl aus der Umfrage
zeigt, dass 87 Prozent der Nonfood-                                                     erweisen: 15 Prozent der Befragten
Han­delsunternehmen schon nach einem         Heimwerker- und Gartenbedarf.              geben an, im Lockdown zum ersten Mal
Monat Zwangsschließung durch Corona          Geschäften in diesem Subsektor half        online ein­gekauft zu haben. In Sub­
in finanziellen Schwierigkeiten steckten.    der so genannte „Cocooning-Effekt“,        sektoren, deren stationäre Geschäfte
Nach fast zweimonatigem Umsatzaus-           die Neigung der Deutschen, sich in         geschlossen waren, haben sich die
fall erwarten die Händler in den meisten     ­Krisenzeiten das heimische Umfeld zu      Umsätze der Online-Händler zum Teil
Subsektoren sinkende Umsätze für das          verschönern. Die Branche verzeichnet      verfünffacht. Sie profitierten von der
Geschäftsjahr – das Online-Wachstum           nur einen geringen Umsatzrückgang,        Schließung der stationären Konkurrenz
gleicht die stationären Verluste bei          allerdings ebbt der Effekt schon ab.      mit Umsatz­steigerungen zwischen 10
Weitem nicht aus. Doch es trifft nicht                                                  und 40 Prozent im Schnitt. Insgesamt
alle mit der gleichen Vehemenz:              Elektro und Elektronik. Die Händler        stieg die Wachstumsrate des Online-
                                             steigerten in der akuten Krise ihren       Geschäfts in den ersten vier Monaten
 Haushaltswaren, Möbel, Sportartikel.        Online-Umsatz um bis zu 30 Prozent,        um 6 Prozentpunkte gegenüber dem
 Dieser Subsektor ist mit Umsatzrück-        auch getrieben durch vereinzelte           gleichen Zeitraum 2019.
 gängen von 90 Prozent im stationären        ­Nachfragespitzen, etwa nach Home
 Handel sehr stark betroffen, mit             Entertainment und Gaming-Zubehör.         Eine zweite Umfrage zeigt zwar, dass
­Ausnahme kurz­fristiger Nachfrage­           Doch schwerer wiegt für die meisten,      sich die Konsumenten freuen, wieder in
 spitzen nach Sportartikeln für den           dass ihre stationären Geschäfte lange     Geschäfte zu gehen, doch 64 Prozent
 Heimgebrauch. Weil die Verkaufs­             geschlossen waren.                        wollen ihre Einkaufsgewohnheiten

                                                                                                                             17
Sie können auch lesen