IMK-STEUERSCHÄTZUNG 2016-2020 - Stabile Einnahmenentwicklung - Erbschaftsteuerreform nur Flickwerk - Hans-Böckler-Stiftung
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REPORT IMK Report 114, Mai 2016 IMK-STEUERSCHÄTZUNG 2016-2020 Stabile Einnahmenentwicklung – Erbschaftsteuerreform nur Flickwerk Katja Rietzler, Birger Scholz*, Dieter Teichmann**, Achim Truger*** AUF EINEN BLICK – Aus der gesamtwirtschaftlichen Prognose des – Die Bundesregierung tut sich schwer, das Erb- IMK resultieren bei den Steuereinnahmen in den schaftsteuerrecht an das Urteil des Bundesver- Jahren 2016 bis 2020 deutliche Mehreinnahmen. fassungsgerichts anzupassen. Sowohl die ur- Im Jahr 2016 wird sich das Aufkommen von Bund, sprüngliche als auch die offenbar koalitionsintern Ländern, Gemeinden und EU infolge von Steuer- modifizierte Fassung halten weitgehend an den rechtsänderungen und Erstattungen aufgrund bisherigen Privilegien für das Betriebsvermögen von Gerichtsurteilen deutlich schwächer als im fest. In diesem IMK-Report wird eine Alterna- Vorjahr auf 691,2 Mrd. Euro erhöhen (+2,7 %); tive vorgeschlagen, die sich eng am Gesetzent- dies ist ein Plus von 5 Mrd. Euro im Vergleich zum wurf der Bundesregierung orientiert. Die Be- Ergebnis des Arbeitskreises „Steuerschätzun- dürfnisprüfung wird indes so ausgestaltet, dass gen“ vom November 2015. In den Jahren danach sie verfassungsfest ist. Weil die Belastung des werden die Steuereinnahmen beschleunigt zule- Betriebsvermögens auf ein tragfähiges Niveau gen, so dass sich im Jahr 2020 ein Aufkommen begrenzt würde, wären beim Betriebsübergang von 806,8 Mrd. Euro ergibt; die Mehreinnahmen keine Arbeitsplatzverluste zu befürchten. Den- dürften sich damit auf gut 11 Mrd. Euro belaufen. noch würde die Erbschaftsteuer einen deutlich größeren Beitrag zur Steuergerechtigkeit leis- ten. Langfristig wäre mit einer Verdopplung des Erbschaftsteueraufkommens zu rechnen. * Freie Universität Berlin. Videostatement ** Volkswirt und Steuerexperte, Berlin. Katja *** Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin; Rietzler Senior Research Fellow IMK. Steuerschätzung 2016-2020 https://youtu.be/SDoel2eJzTQ
INHALTSVERZEICHNIS 1 Auf einen Blick 10 Reformbedarf bei der Erbschaftsteuer: Verfassungswidrige Begünstigung des 2 Zur Entwicklung der Steuereinnahmen Betriebsvermögens 2 Kräftiger Anstieg im Jahr 2015 13 Die „minimalinvasive“ Reform der Bundesregierung 5 Robuste binnenwirtschaftlich getragene Konjunktur 17 Eine „Flat-Tax“ als Alternative? 6 Schätzung der Steuereinnahmen 2016 bis 2020: 17 Vorschlag für eine aufkommensstarke und progressi- Spürbare Mehreinnahmen erwartet ve Erbschaftsteuer 10 Deutliches Aufkommensplus, aber Reformstau 19 Fazit bei der Erbschaftsteuer 10 Mehreinnahmen zur rechten Zeit ZUR ENTWICKLUNG DER STEUEREINNAHMEN Kräftiger Anstieg im Jahr 2015 kommen, das nur um 1,1 % über dem Vorjahresni- veau lag. Seit der Überwindung der Rezession 2009 befindet Nach einem kräftigen Rückgang im Jahr 2014 sich die deutsche Wirtschaft auf einem moderaten legte die Abgeltungsteuer im vergangenen Jahr Expansionskurs, der primär binnenwirtschaftlich mit 5,7 % wieder deutlich zu. Angesichts niedriger getragen wird. Dies spiegelt sich seither in einem Zinsen dürften dafür hauptsächlich hohe Veräuße- stabilen und kräftigen Wachstum der Steuereinnah- rungsgewinne maßgeblich sein. Das Körperschaft- men wider. Im vergangenen Jahr legte das gesamte steueraufkommen verringerte sich im vergangenen Steueraufkommen mit 4,6 % leicht beschleunigt zu Jahr hingegen spürbar um –3,0 % brutto. Aufgrund und erreichte 673,3 Mrd. Euro. Das tatsächliche Er- der rückläufigen Investitionszulagen schrumpfte gebnis lag damit um 1,6 Mrd. Euro über der Schät- das Kassenaufkommen der Körperschaftsteuer mit zung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ vom -2,3 % etwas weniger stark. November 2015. Die gute Binnenkonjunktur und die beschleunigt Stark profitiert haben dabei die gemeinschaft- steigenden Importe bewirkten einen deutlichen Zu- lichen Steuern, die ebenso stark stiegen wie das wachs bei den Steuern vom Umsatz; sie stiegen um gesamte Steueraufkommen. Mit einem Anteil von 3,4 %. Dabei legte vor allem die Einfuhrumsatzsteu- 71,8 % machten sie den Löwenanteil der Steuerein- er mit 4,1 % kräftig zu, während die inländische Um- nahmen aus. Bei einer robusten Beschäftigungs- satzsteuer mit 3,1 % langsamer expandierte als im entwicklung und deutlichen Lohnerhöhungen trug Vorjahr. Das binnenwirtschaftlich getragene Wachs- vor allem das sehr dynamische Wachstum des tum spiegelte sich auch in einem extrem kräfti- Lohnsteueraufkommens zur Expansion der gemein- gen Zuwachs bei den Zöllen wider, die um 13,3 % schaftlichen Steuern bei. Brutto – also vor Abzug zulegten. von Kindergeld und Altersvorsorgezulage – erhöhte Die Bundessteuern, die sich in den Vorjahren eher sich das Aufkommen um 5,7 % auf 220,7 Mrd. Euro. schwach entwickelt hatten, verzeichneten im ver- Da das Kindergeld deutlich langsamer zunahm, gangenen Jahr einen beschleunigten Zuwachs um stieg das Kassenaufkommen mit 6,5 % stärker und 2,4 %. Dabei war die Entwicklung bei den Einzel- erreichte 178,9 Mrd. Euro bzw. 26,6 % aller Steuer- steuern sehr heterogen. Das Aufkommen der Ener- einnahmen (Tabellen 1a und 1b). giesteuer, der mit 39,6 Mrd. Euro ergiebigsten Bun- Die gewinnabhängigen Gemeinschaftsteuern dessteuer, schrumpfte um 0,4 %. Ursächlich war ein entwickelten sich uneinheitlich. Einen kräftigen Zu- Rückgang beim Erdgasverbrauch, während die Ben- wachs verzeichnete die veranlagte Einkommensteu- zin- und Dieselmengen sowie der Heizölverbrauch er, die netto mit gleicher Rate stieg wie die Lohn- um 1,4 % bzw. 2,2 % gestiegen sind (BMF 2016a). steuer, obwohl das Bruttoaufkommen nur um 2,7 % Das Aufkommen aus der Tabaksteuer nahm mit zulegte. Maßgeblich dafür waren primär rückläufige 2,1 % deutlich langsamer zu als im Vorjahr (+5,7 %). Erstattungen an Arbeitnehmer, während die sinken- Die Einnahmen aus der Versicherungsteuer, der den Investitionszulagen und die Eigenheimzulage Kraftfahrzeugsteuer und der Luftverkehrsabgabe größenmäßig kaum noch eine Rolle spielten. Auch stiegen hingegen überdurchschnittlich. Infolge der bei den nicht veranlagten Steuern vom Ertrag führ- dynamischen Entwicklung bei den zugrundeliegen- ten rückläufige Erstattungen des Bundeszentral- den gemeinschaftlichen Steuern legte das Aufkom- amts für Steuern dazu, dass das Nettoaufkommen men des Solidaritätszuschlags mit 5,9 % besonders mit 3,0 % deutlich rascher stieg als das Bruttoauf- kräftig zu. Die Einnahmen aus der Kernbrennstoff- IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 2
Tabelle 1a Steuereinnahmen Tabelle 1a in den Jahren 2013 bis 2020 1 inSteuereinnahmen Mrd. Euro in den Jahren 2011 bis 2018 in Mrd. Euro 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Gemeinschaftliche Steuern 442,8 462,0 483,2 499,6 527,3 553,1 574,7 597,5 2 Lohnsteuer 158,2 168,0 178,9 186,3 198,9 210,6 222,0 234,1 2 Veranlagte Einkommensteuer 42,3 45,6 48,6 49,7 52,2 54,6 56,8 59,0 3 Nicht veranl. Steuern v. Ertrag 17,3 17,4 17,9 17,0 17,4 19,0 19,3 19,7 4 Abgeltungsteuer 8,7 7,8 8,3 8,4 8,5 8,6 8,7 8,8 3,7 Körperschaftsteuer 19,5 20,0 19,6 18,3 21,8 24,5 25,0 25,8 5 Steuern vom Umsatz 196,8 203,1 209,9 219,9 228,4 235,9 243,0 250,2 Zölle 4,2 4,6 5,2 5,4 5,7 5,9 6,1 6,3 Bundessteuern 100,5 101,8 104,2 104,2 104,7 105,9 106,9 108,0 Energiesteuer 39,4 39,8 39,6 39,8 39,8 39,8 39,9 39,9 Stromsteuer 7,0 6,6 6,6 6,6 6,6 6,6 6,6 6,6 Kernbrennstoffsteuer 1,3 0,7 1,4 0,8 0,0 0,0 0,0 0,0 Kraftfahrzeugsteuer 8,5 8,5 8,8 8,8 8,8 8,8 8,8 8,8 Luftverkehrsabgabe 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0 1,1 1,1 1,1 Tabaksteuer 13,8 14,6 14,9 14,7 14,7 14,6 14,6 14,6 6 Branntweinsteuer 2,1 2,1 2,1 2,1 2,1 2,1 2,0 2,0 Versicherungsteuer 11,6 12,0 12,4 12,7 13,0 13,3 13,6 13,9 Solidaritätszuschlag 14,4 15,0 15,9 16,2 17,2 18,1 18,9 19,7 Sonstige 1,5 1,4 1,5 1,5 1,5 1,5 1,5 1,5 Ländersteuern 15,7 17,6 20,3 21,8 22,8 23,3 23,7 24,0 Erbschaftsteuer 4,6 5,5 6,3 6,6 6,7 6,8 6,8 6,9 Grunderwerbsteuer 8,4 9,3 11,2 12,4 13,3 13,7 13,9 14,2 Sonstige 2,7 2,8 2,8 2,8 2,9 2,9 2,9 2,9 Gemeindesteuern 56,5 57,7 60,4 60,3 65,2 67,0 68,9 71,0 Gewerbesteuer 43,0 43,8 45,7 45,1 49,6 51,2 52,8 54,5 Grundsteuern 12,4 12,7 13,2 13,7 13,9 14,2 14,4 14,6 Sonstige 1,1 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,7 1,8 Kassenmäßige Steuereinnahmen insgesamt 619,7 643,6 673,3 691,2 725,6 755,2 780,3 806,8 Bund 259,9 270,7 281,6 289,1 301,0 315,0 326,7 337,5 Länder 244,2 254,3 267,9 278,0 289,0 300,6 309,2 319,9 Gemeinden 84,5 87,6 92,8 94,1 101,9 104,4 108,3 112,5 EU 31,1 31,0 30,9 30,0 33,7 35,1 36,1 36,9 Abweichungen in den Summen durch Runden. Abweichungen in den Summen durch Runden. 11 2016-2020 Prognose des IMK. 2014-2018 Prognose des IMK. 22 Beteiligungsverhältnis: Bund 42,5 %, Länder 42,5 %, Gemeinden 15 %. Beteiligungsverhältnis: Bund 33 Beteiligungsverhältnis: Bund42,5 %, Länder 50 %, Länder 42,5 50 %.%, Gemeinden 15 %. Bund 50%, Länder 50%.Bund 44 %, Länder 44 %, Gemeinden 12 %. 4 Beteiligungsverhältnis: 54 Bund Bund vorab 44%, Länder 4,45 %44%, Gemeinden 12%. für Arbeitslosenversicherung, 5 vom Rest: Bund vorab 5,05 % für Rentenversicherung, Bund vorab 4,45 % für Arbeitslosenversicherung, vomvom Rest: Rest: BundGemeinden vorab 5,05vorab % für 2,2 % zuzüglich Festbeträge, Rentenversicherung, vomvom Rest: Rest: Bund 49,7 Gemeinden %, 2,2 vorab Länder %, 50,3 % zu-/abzüglich Festbeträge. 6vom Einschl. Rest:Alcopopsteuer. Bund 49,7 %, Länder 50,3 % zu-/abzüglich Festbeträge. 76 Der starke Anstieg im Jahr 2018 resultiert aus dem Wegfall der Altkapitalerstattung, die das Aufkommen bis 2017 jährlich um 2,2 Mrd. Euro mindert. Einschl. Alcopopsteuer. 7 Quellen: Bundesministerium Der starke der Finanzen; Anstieg im Jahr 2018 Statistisches resultiert aus dem WegfallBundesamt; der Berechnungen und Prognosen des IMK. Altkapitalerstattung, die das Aufkommen bis 2017 jährlich um 2,1 Mrd. Euro mindert. IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 3 Quellen: Bundesministerium der Finanzen; Statistisches Bundesamt; Berechnungen des IMK.
Tabelle 1b Tabelle 1b Steuereinnahmen in den Jahren 2014 bis 2020 Steuereinnahmen in den Jahren 2012 bis 20181 Veränderung gegenüber Vorjahr Veränderung gegenüber Vorjahr in % in % 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Gemeinschaftliche Steuern 4,3 4,6 3,4 5,5 4,9 3,9 4,0 2 Lohnsteuer 6,2 6,5 4,1 6,8 5,9 5,4 5,5 2 Veranlagte Einkommensteuer 7,9 6,5 2,3 5,1 4,5 4,0 3,9 3 Nicht veranl. Steuern v. Ertrag 1,0 3,0 -5,0 2,1 9,1 2,0 2,0 4 Abgeltungsteuer -9,8 5,7 1,2 1,2 1,2 1,2 1,2 3,7 Körperschaftsteuer 2,7 -2,3 -6,5 19,3 12,0 2,2 3,0 5 Steuern vom Umsatz 3,2 3,4 4,7 3,9 3,3 3,0 3,0 Zölle 7,6 13,3 4,7 5,6 3,5 3,4 3,3 Bundessteuern 1,3 2,4 -0,1 0,5 1,2 1,0 1,0 Energiesteuer 1,0 -0,4 0,4 0,1 0,1 0,1 0,1 Stromsteuer -5,3 -0,7 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 Kernbrennstoffsteuer -44,9 93,6 -41,6 - - - - Kraftfahrzeugsteuer 0,1 3,6 0,1 -0,1 -0,2 -0,2 -0,2 Luftverkehrsabgabe 1,2 3,3 0,7 1,0 1,0 1,0 0,9 Tabaksteuer 5,7 2,1 -1,7 -0,1 -0,1 -0,1 -0,1 6 Branntweinsteuer -2,1 0,5 0,0 -0,5 -0,5 -0,5 -0,5 Versicherungsteuer 4,3 3,1 2,5 2,5 2,2 2,0 2,0 Solidaritätszuschlag 4,6 5,9 1,8 6,0 5,5 4,1 4,2 Sonstige -1,9 2,3 -0,4 -0,3 -0,3 -0,3 -0,3 Ländersteuern 11,7 15,9 7,1 4,7 2,1 1,6 1,5 Erbschaftsteuer 17,7 15,4 4,2 2,1 1,1 1,1 1,0 Grunderwerbsteuer 11,3 20,4 10,2 7,1 3,0 2,0 2,0 Sonstige 2,5 1,3 1,1 0,7 0,7 0,7 0,5 Gemeindesteuern 2,1 4,6 -0,2 8,1 2,8 2,8 3,0 Gewerbesteuer 1,7 4,5 -1,4 10,1 3,1 3,1 3,4 Grundsteuern 2,5 4,1 3,4 2,0 1,5 1,5 1,5 Sonstige 11,3 12,2 5,0 5,0 5,0 5,0 5,0 Kassenmäßige Steuereinnahmen insgesamt 3,9 4,6 2,7 5,0 4,1 3,3 3,4 Bund 4,2 4,0 2,7 4,1 4,7 3,7 3,3 Länder 4,1 5,4 3,8 3,9 4,0 2,8 3,5 Gemeinden 3,6 5,9 1,4 8,3 2,5 3,7 3,9 EU -0,4 -0,2 -3,2 12,4 4,2 2,8 2,1 1 2016-2020: Prognose des IMK. 2 Beteiligungsverhältnis: Bund 42,5 %, Länder 42,5 %, Gemeinden 15 %. 31Beteiligungsverhältnis: 2014 - 2018: PrognoseBund 50 %, Länder 50 % des IMK. 42Beteiligungsverhältnis Bund 44 %, Länder 44 %, Gemeinden 12 %. Beteiligungsverhältnis: Bund 42,5 %, Länder 42,5 %, Gemeinden 15 %. 53Bund vorab 4,45 % für Arbeitslosenversicherung, Beteiligungsverhältnis: Bund 50%, Länder 50%. 4 vom Rest: Bund vorab 5,05 % für Rentenversicherung, Beteiligungsverhältnis vom Rest: GemeindenBund vorab44%, Länder 2,2 % 44%,Festbeträge, zuzüglich Gemeinden 12%. 5 Bund vomvorab 4,45 %49,7 Rest: Bund für %, Länder 50,3 % zu-/abzüglich Festbeträge. 6Arbeitslosenversicherung, Einschl. Alcopopsteuer. 7vom Der Rest: starkeBund Anstieg im Jahr vorab 2018 5,05 % fürresultiert aus dem Wegfall der Altkapitalerstattung, die das Aufkommen bis 2017 jährlich um 2,2 Mrd. Euro mindert. Rentenversicherung, Quellen: Bundesministerium der Finanzen; Statistisches Bundesamt; Berechnungen und Prognosen des IMK. vom Rest: Gemeinden vorab 2,2 %, vom Rest: Bund 49,7 %, Länder 50,3 % zu- IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 4 /abzüglich Festbeträge.
steuer haben sich auf 1,4 Mrd. Euro nahezu verdop- Zuwachs bei den Steuereinnahmen verzeichneten pelt, hier spielten aber erhebliche Rückerstattungen mit 5,9 % die Kommunen, die von der starken Zu- im Vorjahr eine Rolle (BMF 2016a). Die übrigen Bun- nahme bei den reinen Gemeindesteuern und bei den dessteuern entwickelten sich ähnlich rasch wie die gemeinschaftlichen Steuern profitierten. Zusätzlich Bundessteuern insgesamt. erhielten sie im Zusammenhang mit der Flüchtlings- Die reinen Ländersteuern befinden sich auf einem migration auch einen um 500 Mio. Euro erhöhten sehr dynamischen Expansionskurs. Im vergangenen Anteil an der Umsatzsteuer. Auch die Steuereinnah- Jahr stieg ihr Aufkommen um 15,9 %. Insbesonde- men der Länder nahmen kräftig zu (+ 5,4 %). Die re die zwei aufkommensstärksten Steuern legten Steuereinnahmen des Bundes stiegen um immerhin äußerst kräftig zu. Das Aufkommen der Grunder- 4 %, während die Einnahmen der EU geringfügig werbsteuer, der aufkommensstärksten Ländersteu- zurückgingen. er, stieg mit 20,4 % außerordentlich stark. Dies war auch auf die Erhöhung der Steuersätze in mehreren Bundesländern – insbesondere im bevölkerungs- Robuste binnenwirtschaftlich getragene reichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen – zu- Konjunktur rückzuführen. Dabei ist die Bemessungsgrundlage mit 12,3 % deutlich langsamer, aber immer noch Grundlage für diese Steuerschätzung ist die aktuelle sehr kräftig gestiegen. Frühjahrsprognose des IMK (Horn et al. 2016) und Mit 6,3 Mrd. Euro überstieg das Aufkommen der eine darauf aufbauende mittelfristige Projektion bis Erbschaftsteuer das Vorjahresniveau um 15,4 %. 2020. Hier dürften verschiedene Effekte eine Rolle gespielt Die deutsche Wirtschaft sieht sich einem schwie- haben. Aufgrund der bevorstehenden Neuregelung rigen außenwirtschaftlichen Umfeld gegenüber. der Erbschaft- und Schenkungsteuer haben die Zwar befindet sich die US-Wirtschaft weiter in ei- Schenkungen zuletzt sehr stark zugenommen. Aller- nem stabilen Aufschwung, die Konjunktur hat sich dings handelt es sich dei den vorgezogenen Schen- aber in vielen Schwellenländern deutlich abgekühlt; kungen zum großen Teil um steuerbegünstigtes Russland und Brasilien befinden sich gar in einer Betriebsvermögen, bei dem der durchschnittliche Rezession. Die verringerte weltwirtschaftliche Dyna- effektive Steuersatz sehr niedrig sein dürfte. 1 Eine mik schlägt sich in niedrigen Rohstoffpreisen nieder nicht unwesentliche Rolle spielte dabei vermutlich und dämpft die Importnachfrage rohstoffexportie- auch der aktuelle Anstieg der Vermögenspreise, der render Länder. Der Euroraum hat seine Krise noch zu einer starken Erhöhung der Bemessungsgrundla- nicht überwunden und erholt sich bei einer etwas ge beitrug. Die Einnahmen aus den übrigen reinen gelockerten Fiskalpolitik nur allmählich. All dies be- Ländersteuern, unter anderem aus der Rennwett- lastet die deutsche Exportwirtschaft und bremst de- und Lotteriesteuer, der Biersteuer und der Feuer- ren Expansion. schutzsteuer, haben mit 1,3 % nur wenig zugelegt. Hinzu kommen erhebliche politische Unsicher- Das Aufkommen der reinen Gemeindesteuern heiten wie beispielsweise der drohende Austritt des entwickelte sich mit einem Zuwachs von 4,6 % im Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gleichen Tempo wie das Steueraufkommen insge- sowie zunehmende nationalistische Tendenzen in samt. Die bedeutsamste Gemeindesteuer ist die vielen Mitgliedsländern. Dies erhöht in einem labilen Gewerbesteuer, die drei Viertel zum Aufkommen der weltwirtschaftlichen Umfeld die Unsicherheit und reinen Gemeindesteuern beiträgt. Sie ist im vergan- hemmt die Investitionsneigung. genen Jahr mit 4,5 %, nach 1,7 % im Vorjahr, sehr Vor diesem Hintergrund erweist sich die deutsche kräftig gestiegen. Auch die Grundsteuereinnahmen Konjunktur dennoch als relativ robust. Das liegt verzeichneten einen deutlichen Zuwachs (+4,1 %). auch daran, dass sie seit einigen Jahren vermehrt Dabei dürften auch Hebesatzerhöhungen bei der binnenwirtschaftlich getragen ist. In diesem und im Grundsteuer B eine Rolle gespielt haben. Die übri- nächsten Jahr steigen die verfügbaren Einkommen gen Gemeindesteuern (z.B. Hundesteuer, Vergnü- der Haushalte infolge von spürbaren Lohnerhöhun- gungssteuer) tragen nur wenig zum Aufkommen bei. gen und einer stetigen Beschäftigungsausweitung Angesichts der prekären Finanzlage vieler Kommu- deutlich, was die privaten Konsumausgaben be- nen wurden sie in den vergangenen Jahren jedoch günstigt. Die Bruttolohn- und -gehaltsumme dürfte kräftig angehoben. Allein im vergangenen Jahr er- um 4,2 % in diesem und um 4,1 % im kommenden höhte sich ihr Aufkommen um 12,2 %. Jahr zunehmen. Die nominalen Konsumausgaben Vom gesamten Steueraufkommen in Höhe von werden mit 3,1 % 2016 und 3,4 % in zwei aufein- 673,3 Mrd. Euro entfielen 281,6 Mrd. Euro (41.8 %) anderfolgenden Jahren so kräftig zunehmen wie zu- auf den Bund, 267,9 Mrd. Euro (39,8 %) auf die Län- letzt um die Jahrtausendwende. der, 92,8 Mrd. Euro (13,8 %) auf die Gemeinden und Die zusätzlichen Ausgaben für die Versorgung 30,9 Mrd. Euro (4,6 %) auf die EU. Den kräftigsten und Integration der Flüchtlinge in zweistelliger Mil- liardenhöhe und weitere insgesamt expansiv aus- gerichtete Maßnahmen wirken wie ein Konjunk- 1 Im Jahr 2014 lag der effektive Steuersatz bei Schenkungen turprogramm. All dies kompensiert den dämpfen- von mehr als 20 Mio. Euro bei nur 0,4 % (Tabelle 6). IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 5
den Effekt einer schwachen außenwirtschaftlichen Schätzung der Steuereinnahmen 2016 bis 2020: Entwicklung. Spürbare Mehreinnahmen erwartet Damit bleiben die Aussichten für 2016 und 2017 insgesamt günstig, wenngleich das Wachstum des Die jüngst veröffentlichten Steuereingänge vom realen Bruttoinlandsprodukts mit jeweils 1,5 % mo- BMF für die ersten drei Monate dieses Jahres zei- derat bleibt. Nominal wird das Bruttoinlandsprodukt gen in der Tendenz eine Fortsetzung des positiven im Jahr 2016 um 3,3 % und 2017 um 3,0 % zuneh- Trends bei der Einnahmenentwicklung. Die gesam- men, wobei der für das kommende Jahr erwartete ten Steuern (ohne Gemeindesteuern) lagen im ers- Anstieg der Importpreise für die Verlangsamung der ten Quartal 2016 um 5,4 % höher als im Vorjahr. nominalen Wachstumsrate ursächlich ist (Tabelle 2). Besonders stark gestiegen sind dabei die gemein- Die robuste Binnenkonjunktur wird sich in der schaftlichen Steuern (6 %), obwohl es bei der Ab- Tendenz auch im weiteren Projektionszeitraum fort- geltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge setzen. Für die IMK-Steuerschätzung wurde ange- (-30 %) zu deutlichen Einbrüchen gekommen ist. nommen, dass das nominale Bruttoinlandsprodukt Auch die Einnahmen aus der Lohnsteuer nahmen im Zeitraum von 2018 bis 2020 jährlich um 3,2 % ex- mit 2,5 % nur wenig zu. Ursächlich dafür sind die pandiert. Die Bruttolohn- und -gehaltsumme dürfte seit Jahresbeginn wirksam gewordenen Entlastun- im weiteren Projektionszeitraum wieder etwas lang- gen im Steuertarif (Erhöhung des Grundfreibetrages samer zunehmen. Auch bei den Unternehmens- und von 8 472 auf 8 652 Euro und eine Rechtsverschie- Vermögenseinkommen wird mittelfristig eine Rück- bung des Tarifs um 1,48 % sowie eine Erhöhung der kehr zu einer moderateren Zuwachsrate unterstellt. Kinderfreibeträge und des Kindergeldes). Bei den Bei nach wie vor spürbar steigenden verfügbaren Bundessteuern – hauptsächlich Verbrauchsteuern – Einkommen, bleiben die privaten Konsumausgaben wirken die seit langem zu erkennenden Sättigungs- auch mittelfristig auf Expansionskurs. tendenzen nach wie vor (1,3 %). Bei der Tabaksteu- Damit unterstellt das IMK für den Schätzzeitraum er, die mit 22,4 % überaus kräftig zulegte, hat es insgesamt eine ähnliche Entwicklung der gesamt- offenbar einen Vorzieheffekt gegeben, der sich im wirtschaftlichen Aktivität wie auch der Arbeits- Laufe des Jahres ausgleichen dürfte (BMF 2016b). kreis „Steuerschätzungen“ im November 2015 (BMF Die Entwicklung der reinen Ländersteuern deutet 2015a). Dabei fällt das Bruttoinlandsprodukt anfäng- darauf hin, dass sich die starken Mehreinnahmen lich etwas niedriger und später leicht höher aus. Für in den vergangenen zwei Jahren vermutlich – wenn die Bruttolohn- und -gehaltsumme erwartet das IMK auch etwas abgeschwächt – fortsetzten dürften; im hingegen eine deutlich kräftigere Entwicklung als ersten Quartal nahmen die Ländersteuern nochmals vom Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ angenom- kräftig zu (knapp 9 %); dies gilt in erster Linie für die men worden ist. Mit Ausnahme des Jahres 2016, Grunderwerbsteuer (16,6 %). für das die IMK-Prognose eine Beeinträchtigung der In der gesamtwirtschaftlichen IMK-Prognose für Gewinne durch die außenwirtschaftliche Entwick- die Jahre 2016 bis 2020 ist unterstellt, dass die Pro- lung erwartet, liegen auch die Zuwachsraten der Kopf-Löhne (ohne geringfügige Beschäftigung) in Unternehmens- und Vermögenseinkommen in der diesem und im kommenden Jahr mit Zuwächsen IMK-Projektion deutlich über denen des Arbeitskrei- von 2,4 % und 2,6 % noch etwas höher ausfallen ses „Steuerschätzungen“. Dem gegenüber zeigen könnten als im vergangenen Jahr (2,2 %). In den ver- sich bei den Annahmen über die Konsumausgaben bleibenden drei Jahren des Prognosezeitraums dürf- keine nennenswerten Unterschiede. ten sie dann eher schwächer expandieren (jeweils um 2,5 %). Die Prognose des Lohnsteueraufkom- Tabelle 2 Tabelle 2 Gesamtwirtschaftliche Eckdaten (Veränderungen gegenüber Vorjahr) Gesamtwirtschaftliche Eckdaten (Veränderungen gegenüber Vorjahr) Vorgaben für den Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ November 2015 und IMK April 20161 im Vergleich Vorgaben für den Arbeitskreis “Steuerschätzungen“ November 2015 und IMK April 20161 im Vergleich 2016 2017 2018 2019 2020 AK IMK AK IMK AK IMK AK IMK AK IMK Nov 2015 2016 Nov 2015 2016 Nov 2015 2016 Nov 2015 2016 Nov 2015 2016 BIP nominal 3,4 3,3 3,3 3,0 3,1 3,2 3,1 3,2 3,1 3,2 Bruttolohn- und -gehaltssumme 3,5 4,2 3,5 4,1 3,0 3,6 3,0 3,4 3,0 3,4 Unternehmens- und Vermögenseinkommen 4,5 3,3 4,1 4,5 3,3 4,0 3,3 3,5 3,3 3,5 Private Konsumausgaben 3,0 3,1 3,0 3,4 3,1 3,0 3,1 3,0 3,1 3,0 1 Auf Basis 1 Auf Basis der der Prognose Prognose des des IMK IMKvom vomMärz März2016. 2016. Quellen: Quellen: Bundesministerium derFinanzen; Bundesministerium der Finanzen;Berechnungen Prognosen desdes IMK. IMK. IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 6
mens erfolgt mit Hilfe des IMK-Lohnsteuermodells. 2 aussagen lässt. Normalerweise orientiert sich die Im laufenden Jahr dürften die Einnahmen aus der Schätzung weitgehend an dem Pfad der Unterneh- Lohnsteuer brutto (vor Abzug des zu Jahresbeginn menseinkommen. In den Jahren 2016 und 2017 ist erhöhten Kindergeldes sowie der Altersvorsorgezu- indes eine Sonderentwicklung zu berücksichtigen, lage) um nur noch 3,7 % zulegen. Der im Vergleich die aus einem EuGH-Urteil vom 20.10.2011 (Streu- zum Vorjahr geringere Anstieg resultiert aus der Ent- besitzdividenden) resultiert, und in diesem und im lastung durch das Gesetz zur Anhebung des Grund- kommenden Jahr zu Erstattungen von insgesamt freibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes 2,6 Mrd. Euro führen dürfte (BMF 2015a). Bei den und des Kinderzuschlags vom 16. Juli 2015. Kassen- Kasseneingängen der nicht veranlagten Steuern mäßig – also nach Berücksichtigung der beiden Ab- vom Ertrag dürfte dies im Jahr 2016 ein Minus von zugsbeträge – ergibt sich, weil diese schwächer zu- 5 % bedeuten. Da im Jahr 2017 die Erstattungssum- nehmen als die Bruttolohnsteuer, eine Zunahme um me in derselben Größenordnung ausfallen dürfte, 4,1 % (Tabellen 1a und 1b). Von 2017 an resultieren aus wird dies gewinnbedingt zu einem leichten Plus in der Prognose bei der Lohnsteuer Änderungsraten, der Kasse führen (2,1 %). Für das Jahr 2018 dürften die progressionsbedingt auf einem ähnlichen Ni- vermutlich keine Erstattungen aus dem EuGH-Urteil veau liegen wie in den Jahren vor 2016. Der Anstieg mehr anfallen, so dass für das Kassenaufkommen dürfte dabei 2017 mit 6,8 % am höchsten ausfallen ein deutliches Plus wahrscheinlich ist (9,1 %). Bis und in den folgenden Jahren lohn- und beschäfti- zum Jahr 2020 dürften die Einnahmen aus dieser gungsbedingt leicht bis auf 5,5 % zurückgehen. Steuer dann etwas schwächer als die Unterneh- Bei den Unternehmensgewinnen ist in der ge- mensgewinne expandieren und ein Aufkommen von samtwirtschaftlichen Prognose angenommen 19,7 Mrd. Euro erreichen. worden, dass sie in diesem Jahr mit 3,3 % etwas Die Einnahmen aus der Abgeltungsteuer, die auf schwächer zunehmen werden als im vergangenen Zinsen, Dividenden und realisierte Kursgewinne er- Jahr (3,9 %). Alles in allem wird damit gerechnet, hoben wird, sind in hohem Maße von den Zinsen dass die Einnahmen aus der veranlagten Einkom- auf Kapitalanlagen geprägt. Die Verzinsung auf mensteuer brutto, also vor Abzug der aus dem Auf- Geldanlagen ist indes seit Jahren rückläufig, und kommen gezahlten Erstattungen nach § 46 EStG, es gibt sogar Befürchtungen, dass die Banken und nur noch um 2,6 % zunehmen dürften. Der geringe Sparkassen Negativzinsen auf Bankkonten erheben Anstieg wird auch dadurch verursacht, dass es im könnten. Vor diesem Hintergrund werden für die vergangenen Jahr im Rahmen der Einkommensteu- Prognoseperiode nur sehr geringe Mehreinnahmen erveranlagungen zu Sonderzahlungen gekommen erwartet. Bis 2020 könnte das Aufkommen somit ist, die sich in diesem Jahr vermutlich nicht wieder- auf 8,8 Mrd. Euro zunehmen. holen dürften. Nach Abzug der aus dem Einkom- Das Aufkommen der Körperschaftsteuer wird im mensteueraufkommen gezahlten Erstattungen an Prognosezeitraum weniger von der Entwicklung der Arbeitnehmer, die etwas rascher expandieren als Bemessungsgrundlagen, sondern in viel stärkerem das Bruttoaufkommen, resultiert 2016 eine Zunah- Maße durch die finanziellen Folgen von juristischen me um 2,3 %. Aus der gesamtwirtschaftlichen IMK- Entscheidungen geprägt. In diesem Zusammenhang Prognose ergibt sich für die verbleibenden Jahre dürfte es im laufenden Jahr zu hohen Erstattungen des Prognosezeitraums eine etwas höhere Zunah- kommen, die aus Urteilen des BFH vom 24.7.2014 me der Gewinneinkommen. Dies führt bei der ver- (AZ.:I R 33/09) und vom 30.7.2014 (AZ.: I R 74/12) zu anlagten Einkommensteuer in den nächsten beiden § 40a KAGG und STEKO resultieren. Nach rund 500 Jahren zu einer Zunahme des Kassenaufkommens Mio. Euro 2015 sind in diesem Jahr sogar knapp 3 um 5,1 % und 4,5 %. Im Jahr 2020 könnte das Auf- Mrd. Euro veranschlagt. Unter der Annahme, dass kommen dann in einer Größenordnung von 59 Mrd. die Körperschaftsteuer geringfügig unterhalb der Euro liegen. prognostizierten Entwicklung der Unternehmensge- Die nicht veranlagten Steuern vom Ertrag wer- winne expandieren dürfte, ergibt sich für die Kasse den überwiegend vom Ausschüttungsverhalten der einschließlich der Sondereffekte im Jahr 2016 ein Unternehmen bestimmt, das sich exakt kaum vor- Rückgang um 6,5 % auf 18,3 Mrd. Euro. Da im Jahr 2017 keine Erstattungen mehr zu erwarten sind, be- deutet dies für das Kassenaufkommen eine deutli- 2 Das IMK-Lohnsteuermodell ist auf der Basis einer Sonder- che Zunahme auf 21,8 Mrd. Euro (19,3 %). Auch im auswertung der Lohnsteuerstatistik aufgebaut, die vom Sta- Jahr 2018 sorgt ein Sondereffekt erneut für deutli- tistischen Bundesamt durchgeführt worden ist. Die detail- che Mehreinnahmen. In den Jahren 2008 bis 2017 lierten Ergebnisse nach verschiedenen Steuermerkmalen und Einkommensklassen sind mit der Entwicklung der Brut- hat eine Altkapitalerstattung von gut 2 Mrd. Euro tolöhne (ohne geringfügige Beschäftigung) fortgeschrieben jährlich das Körperschaftsteueraufkommen belas- worden. Aus der Anwendung des jeweiligen Steuertarifs tet, die von 2018 an indes entfällt. Daher dürfte das und der pauschalierten Abzugsbeträge auf die jeweiligen Durchschnittseinkommen wird die Aufkommenselastizität Aufkommen nochmals kräftig steigen, und zwar auf der Lohnsteuer je Arbeitnehmer (ohne geringfügige Be- 24,5 Mrd. Euro (12 %). Von 2019 an expandiert das schäftigte) mit Hilfe des Modells ermittelt. Die Elastizität Aufkommen dann wieder leicht unterproportional zu ist die Basis für die Ableitung der Lohnsteuer aus den pro- gnostizierten Beschäftigungsdaten der VGR (Bruttolohn je den Unternehmenseinkommen. Im Jahr 2020 könn- Beschäftigten und Zunahme der Zahl der Beschäftigten). IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 7
ten die Körperschaftsteuereingänge bei 25,8 Mrd. gewandelt. Bei der Grunderwerbsteuer sind die Län- Euro liegen (3 %). der unter dem herrschenden Finanzdruck seit 2011 Bei den Steuern vom Umsatz – der quantitativ dazu übergegangen die Steuersätze zu erhöhen. Er- bedeutsamsten Einzelsteuer im deutschen Steuer- möglicht wurde dies durch die Föderalismusreform system – dürften die Komponenten der steuerlichen von 2006, durch die die Bundesländer berechtigt Bemessungsgrundlage in diesem Jahr spürbar ra- worden sind, den Steuersatz bei der Grunderwerb- scher expandieren als im Jahr 2015. Dies gilt ein- steuer selbst zu bestimmen. Im Jahr 2008 betrug mal für den nominalen privaten Verbrauch als die der Steuersatz noch 3,5 % in allen Bundesländern. Hauptquelle für die Besteuerung mit Umsatzsteuer. Seither haben viele Länder die Steuersätze sukzes- In der IMK-Prognose ist unterstellt, dass die Zunah- sive angehoben. Zu Beginn dieses Jahres lag der me des nominalen privaten Verbrauchs im Jahr 2016 mit den Bemessungsgrundlagen des Jahres 2015 mit 3,1 % wohl um einen halben Prozentpunkt höher gewogene Durchschnitt bereits bei 5,2 %. 3 Das ausfallen könnte als im vergangenen Jahr. Im Jahr Bundesland Thüringen plant, den Steuersatz bei der 2017 ist eine noch stärkere Zunahme um 3,4 % un- Grunderwerbsteuer vom 1.1.2017 an von 5 auf 6,5 % terstellt, die in den Jahren bis 2020 in der Tendenz zu erhöhen. Aufgrund einer weiterhin dynamischen etwas geringer ausfällt (jeweils 3 %). Die staatlichen Immobilienmarktentwicklung dürfte das Aufkom- Ausgaben, die der Mehrwertsteuer unterliegen (mo- men auch in kommenden Jahren vermutlich weiter difizierter staatlicher Konsum und Bruttoinvestitio- zunehmen. Alles in allem könnte das Aufkommen nen), die schon im vergangenen Jahr vor allem im in diesem Jahr nochmals kräftig steigen (10,2 %), Zusammenhang mit dem Flüchtlingsstrom kräftig wenn auch bei weitem nicht so stark wie im Vor- gestiegen waren, dürften vermutlich auch in den jahr (20,4 %). Im kommenden Jahr ist dann mit einer kommenden Jahren, wenn auch abgeschwächt, ex- Abschwächung der jährlichen Zunahme zu rechnen pandieren. Deutliche Impulse für die Steuern vom (7,1 %). Im Jahr 2020 könnte das Aufkommen aus Umsatz sind auch aus den privaten Wohnungsbau- der Grunderwerbsteuer bei 14,2 Mrd. Euro liegen. investitionen zu erwarten. Der Staat will den Woh- Bei der Erbschaftsteuer hat die Diskussion um eine nungsbau künftig stärker fördern, um Flüchtlingen Reform dieser Steuer dazu geführt, dass die betrof- und Normalverdienern bezahlbaren Wohnraum fenen Unternehmenseigner verstärkt dazu überge- zur Verfügung zu stellen. Alles in allem dürften die gangen sind, ihre Unternehmensanteile wegen der kassenmäßigen Einnahmen bei den Steuern vom bevorstehenden Erbschaftsteuerreform noch vorher Umsatz im Jahr 2016 auf 219,9 Mrd. Euro steigen an ihre Erben über Schenkungen zu übertragen (vgl. (4,7 %). In den folgenden Jahren wird mit einem Abschnitt „Reformbedarf…“, S. 10). Das IMK geht leicht abnehmenden Expansionstempo gerechnet, davon aus, dass das Volumen der Schenkungen in so dass im Jahre 2020 die Kasseneinnahmen 250 diesem Jahr deutlich rückläufig sein wird, die Erb- Mrd. Euro erreichen dürften. schaften aber weiter expandieren dürften. Zudem Der große Block der Bundessteuern enthält ne- werden vermutlich auch 2016 noch vorgezogene ben den Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag, Schenkungen der Jahre 2014 und 2015 kassenwirk- der an die Lohnsteuer, die veranlagte Einkommen- sam. Insgesamt bedeutet dies für das Jahr 2016 steuer, die Körperschaftsteuer, die nicht veranlagten ein Aufkommen von 6,6 Mrd. Euro (4,2 %). Bis zum Steuern vom Ertrag und die Abgeltungsteuer gekop- Ende der Prognoseperiode dürften sich die Zunah- pelt ist, vor allem verbrauchsabhängige Steuern, die men weiter abflachen und 2020 ein Aufkommen schon seit langem stagnieren oder nur noch sehr von 6,9 Mrd. Euro erreicht wird. verhalten zunehmen. Sie sind für den Bund jedoch Die Gemeindesteuern werden zu einem sehr ho- bedeutsam, machten sie doch im Jahr 2015 immer- hen Anteil durch die Einnahmenentwicklung der hin 36 % der dem Bund nach der Verteilung zuste- konjunkturreagiblen Gewerbesteuer bestimmt. Wie henden Steuereinnahmen aus. Alles in allem dürften bei der Körperschaftsteuer wird auch bei der Gewer- die Bundessteuern im Jahr 2016 mit einem Auf- besteuer in diesem Jahr mit hohen Erstattungen aus kommen von 104,2 Mrd. Euro nur minimal geringer den genannten BFH-Urteilen des Jahres 2014 ge- ausfallen als 2015 (-0,1 %). Positiv beeinflusst wird rechnet (2,5 Mrd. Euro). Per saldo wird die gewinn- die Entwicklung der Bundessteuern vor allem durch bedingte Zunahme im Bruttoaufkommen durch die die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag und der Versicherungsteuer, bei der sich die kontinuier- liche Anhebung der Prämien weiterhin in Mehrein- nahmen niederschlagen dürfte. In den Jahren 2018 3 2009 begann das Bundesland Hamburg den Erhöhungs- wettlauf mit einer Anhebung des Steuersatzes auf 4,5 %. bis 2020 könnten die Bundessteuern daher jährlich Bayern und Sachsen sind die einzigen Bundesländer, die bis- mit jeweils etwa einem Prozent auf 108 Mrd. Euro her auf eine Anhebung des Steuersatzes verzichtet haben; expandieren. der Steuersatz beträgt unverändert 3,5 %. Das Bundesland Hamburg blieb bis heute bei 4,5 %; einen Steuersatz von Auch die reinen Ländersteuern gehörten in 5 % wenden die Bundesländer Baden-Württemberg, Bre- der Vergangenheit eher zu den Steuern mit gerin- men, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rhein- ger Aufkommensdynamik. Dies hat sich vor allem land-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen an. In Berlin und Hessen gilt ein Steuersatz von 6 %. Der bislang höchste bei der Grunderwerbsteuer, aber auch bei der Erb- Satz von 6,5 % wird zurzeit in Brandenburg, Nordrhein- schaftsteuer in den vergangenen Jahren deutlich Westfalen, dem Saarland und Schleswig-Holstein erhoben. IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 8
Tabelle 3 Tabelle 3 Vergleich Vergleichder derIMK -Steuerschätzung IMK-Steuerschätzung mit mit dem dem Ergebnis Ergebnis des Arbeitskreises des Arbeitskreises “Steuerschätzungen“ “Steuerschätzungen“ November 2015 November 2015 2016 2017 2018 2019 2020 AK IMK AK IMK AK IMK AK IMK AK IMK Nov. 2015 2016 Nov. 2015 2016 Nov. 2015 2016 Nov. 2015 2016 Nov. 2015 2016 Bund 288.1 289.1 299.3 301.0 312.3 315.0 324.0 326.7 334.8 337.5 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 2.4 2.7 3.9 4.1 4.4 4.7 3.7 3.7 3.3 3.3 Länder 275.3 278.0 284.8 289.0 295.4 300.6 304.1 309.2 314.9 319.9 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 2.9 3.8 3.5 3.9 3.7 4.0 2.9 2.8 3.5 3.5 Gemeinden 92.9 94.1 99.9 101.9 101.7 104.4 105.2 108.3 109.0 112.5 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 1.1 1.4 7.5 8.3 1.9 2.5 3.4 3.7 3.6 3.9 EU 30.0 30.0 33.7 33.7 35.1 35.1 36.2 36.1 37.0 36.9 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % -2.4 -3.2 12.4 12.4 4.2 4.2 3.1 2.8 2.1 2.1 Kassenmäßige Steuereinnahmen 686.2 691.2 717.6 725.6 744.6 755.2 769.5 780.3 795.6 806.8 insgesamt Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 2.2 2.7 4.6 5.0 3.8 4.1 3.3 3.3 3.4 3.4 Volkswirtschaftliche Steuerquote 21.9 22.1 22.2 22.5 22.3 22.7 22.4 22.8 22.4 22.8 Abweichungen in den Summen durch Runden. Quellen: Bundesministerium Abweichungen derdurch in den Summen Finanzen; Berechnungen und Prognosen des IMK. Runden. Quellen: Bundesministerium der Finanzen, Berechnungen des IMK. zu erwartenden Erstattungen mehr als aufgezehrt; dere die Zunahme der Bruttolöhne und -gehälter hö- das Kassenaufkommen der Gewerbesteuer dürfte in her einschätzt. Hinzu kommen Unterschiede in der diesem Jahr auf 45,1 Mrd. Euro zurückgehen (-1,4 %). Einschätzung bei der möglichen Entwicklung der Be- Da die erstattungsbedingten Mindereinnahmen 2017 messungsgrundlagen bei einigen Steuern (Grunder- entfallen, kommt es zu positiven Aufkommensef- werbsteuer, Erbschaftsteuer). fekten, so dass die Einnahmen auf 49,6 Mrd. Euro Bei der Verteilung der Steuereinnahmen auf Bund, steigen könnten (10,1 %). Für den Rest der Periode Länder, Gemeinden und EU zeigt sich, dass sich ist unterstellt, dass die Gewerbesteuereinnahmen Strukturveränderungen nur in engen Grenzen erge- weitgehend im Tempo der Unternehmensgewinne ben. 4 Der Anteil des Bundes an den gesamten Steu- expandieren und im Jahr 2020 bei 54,5 Mrd. Euro ereinnahmen bleibt im Prognosezeitraum fast unver- liegen könnten (3,4 %). Für die Gemeindesteuern ändert bei 41,8 %. Im Jahr 2016 bedeutet dies Steuer- zusammen bedeutet dies ein Aufkommen von 60,3 einnahmen von insgesamt gut 289 Mrd. Euro. Dem- Mrd. Euro (-0,2 %) im Jahr 2016, das bis 2020 auf 71 gegenüber müssen die Haushalte der Bundesländer Mrd. Euro steigen könnte. insgesamt mit geringen Einbußen zurechtkommen; Aus der IMK-Steuerschätzung ergibt sich insge- bei ihnen verringert sich der Anteil der ihnen zuste- samt, dass die Gebietskörperschaften im Vergleich henden Steuereinnahmen von 40,2 % (2016) auf zur Prognose des Arbeitskreises „Steuerschätzun- 39,7 % (2020). Dies sind Einnahmen von insgesamt gen“ vom November 2015 in diesem Jahr mit deutli- 278 Mrd. Euro im Jahr 2016 und von knapp 320 Mrd. chen Steuermehreinnahmen (5,0 Mrd. Euro) rechnen Euro im Jahr 2020. Von der Strukturverschiebung können (Tabelle 3). Im Jahr 2017 wird dann ein Plus zu Lasten der Bundesländer profitieren die Haus- von 8,0 Mrd. Euro erwartet; 2018 könnten es bereits halte der Gemeinden und der Haushalt der EU. Bei 10,8 Mrd. Euro sein, und im Jahre 2020 errechnet den kommunalen Haushalten erhöht sich der Anteil sich ein Plus von 11,2 Mrd. Euro. Mehreinnahmen von 13,6 % (2016) auf 13,9 % (2020) und für den EU- ergeben sich bei den gemeinschaftlichen Steuern Haushalt von 4,3 % auf 4,6 %. Damit verfügen die vor allem bei der Lohnsteuer (2016: +1,6 Mrd. Euro; Gemeindehaushalte 2016 über 94,1 Mrd. Euro und im 2020: +5,3 Mrd. Euro) und bei den Steuern vom Um- Jahr 2020 über 112,5 Mrd. Euro. Im EU-Haushalt sind satz (2016: +1,3 Mrd. Euro; 2020: +0,3 Mrd. Euro), es 2016 30 Mrd. Euro und 2020 knapp 37 Mrd. Euro. während bei der Körperschaftsteuer geringe Minder- einnahmen erwartet werden (2016: -0,7 Mrd. Euro; 2020: -0,9 Mrd. Euro). Betrachtet man die reinen Ländersteuern dann rechnet das IMK bei der Grund- 4 Das Finanzausgleichsgesetz, das diese Steuervertei- erwerbsteuer (2016: +0,6 Mrd. Euro; 2020: +1,5 Mrd. lung regelt, läuft zwar zum 31.12.2019 aus, eine Einigung Euro) und der Erbschaftsteuer (2016: +0,9 Mrd. Euro über die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbezie- 2020: +1,7 Mrd. Euro) mit einem Plus im Vergleich hungen steht aber noch aus. Sollte dies nicht fristge- recht erfolgen, bleibt das geltende Recht übergangs- zum Arbeitskreis „Steuerschätzungen“. Ursächlich weise bestehen. Daher wurde das geltende Recht für für die Mehreinnahmen ist, dass das IMK insbeson- die IMK-Steuerschätzung weiterhin zugrunde gelegt. IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 9
Breite: 157,15 mm = 6-spaltig - 1 Grafik & 6-spaltig Abbildung 1 DEUTLICHES AUFKOMMENSPLUS, Kassenmäßiges Steueraufkommen 2007 - 2020: Vergleich alternativer Steuerschätzungen, in Mrd. Euro ABER REFORMSTAU BEI DER Kassenmäßiges Steueraufkommen 2007 - 2020: ERBSCHAFTSTEUER Vergleich alternativer Steuerschätzungen, in Mrd. Euro 850 Mehreinnahmen zur rechten Zeit 800 Die Finanzpolitik hatte das große Glück, dass sie seit Frühjahr 2010 keine negativen Überraschungen 750 bei der Steuerschätzung mehr erleben musste. Die finanzielle Lage ist viel besser als damals erwartet 700 (Abbildung 1). Dadurch konnten die öffentlichen Haus- halte in Deutschland insgesamt ohne allzu harte 650 Einschnitte auf der Ausgabenseite große Konsolidie- rungsfortschritte erzielen. Die vom IMK erwarteten 600 Mehreinnahmen kommen angesichts der finanzpo- litischen Herausforderungen durch die Flüchtlings- migration zur rechten Zeit. Sie werden im Rahmen 550 der Berechnungen zur Schuldenbremse, zumindest 500 –– – beim Bund, überwiegend als strukturell verbucht: 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Die von der Bundesregierung geschätzten Produk- – tionslücken haben sich von der Herbst- zur Früh- jahrsprojektion sogar leicht vergrößert (BMWi/BMF Mai 2008 Mai 2010 November 2010 2015 und 2016), so dass die zusätzlichen Mittel auch Mai 2o11 Mai 2012 Mai 2014 Mai 2015 November 2015 IMK 2016 tatsächlich für Mehrausgaben zur Verfügung stehen und nicht zur konjunkturbedingten Konsolidierung Quellen: BMF; IMK-Prognose. verwendet werden müssen. Die gute Einnahmensituation hängt überwiegend mit der relativ guten Konjunktur und der stabilen Reformbedarf bei der Erbschaftsteuer: Einkommens- und Beschäftigungsentwicklung zu- Verfassungswidrige Begünstigung des sammen; sie ist jedoch auch der Tatsache zu ver- Betriebsvermögens danken, dass die Politik sich nicht – wie früher in Jahren guter Einnahmenentwicklung – zu kostspie- Die Erbschaft- und Schenkungsteuer spielt für die ligen Steuersenkungen hat verleiten lassen. Wegen Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit konzeptionell der nach wie vor bestehenden fiskalischen Heraus- eine wichtige Rolle. Sie erfasst nur leistungslose forderungen sollte die Regierung daher in absehba- Vermögenszuwächse und ist damit auch unter Ge- rer Zukunft auch weiterhin auf umfangreiche Steu- sichtspunkten der Leistungsgerechtigkeit besonders ersenkungen verzichten. Zentrale Zukunftsinvestiti- legitimiert. So gilt diese Steuer selbst für viele markt- onen in Bildung und Infrastruktur müssen – wegen liberale Finanzwissenschaftler als ein bevorzugtes der Flüchtlingsmigration mit nochmals erhöhter steuerliches Umverteilungsinstrument, dessen Vor- Dringlichkeit – getätigt werden und viele Länder und züge gegenüber anderen Arten der Vermögens- Kommunen brauchen dringend finanzielle Unterstüt- besteuerung – insbesondere der Vermögensteuer zung, um ihre Kernaufgaben erfüllen und die Kon- – immer wieder betont werden (Wissenschaftlicher solidierungsziele erreichen zu können. Trotz dieser Beirat beim BMF 2013, S. 32). Auch in der prakti- und anderer Herausforderungen hat sich die Große schen Steuerpolitik kommt die verteilungspolitische Koalition seit geraumer Zeit offenbar in einer steuer- Zielsetzung durch progressive Steuersätze deutlich und finanzpolitischen Pattsituation eingerichtet, die zum Ausdruck. In der Steuerklasse I für nahe Ver- keine größeren Reformprojekte mehr erlaubt. Dies wandte steigen die Sätze von 7 % bis 30 % und in gilt gegenwärtig in besonderem Maße für die Erb- der Steuerklasse II für übrige Verwandte von 15 % schaft- und Schenkungsteuer, bei der wegen eines bis 43 %. Bei allen anderen Erben oder Beschenkten Urteils des Bundesverfassungsgerichts ein dringen- wird in der Steuerklasse III sofort mit 30 % und bei der und weitreichender Reformbedarf besteht. Großerwerben sogar mit 50 % zugegriffen. Grundsätzlich ist die Erbschaftsteuer also eindeu- tig auf eine überproportionale steuerliche Belastung hoher Vermögenswerte hin angelegt. Allerdings wird dies nach geltendem Recht vor allem durch umfangreiche Privilegien für Erwerber von Be- triebsvermögen unterlaufen. Diese Begünstigungen wurden bei der letzten Reform der Erbschaftsteuer im Jahr 2008 von der damaligen Bundesregierung eingeführt. Eine Reform der Erbschaftsteuer war IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 10
notwendig geworden, weil das Bundesverfassungs- und deutlich niedriger besteuertem Immobilien- und gericht das zuvor geltende Recht aufgrund der Un- Betriebsvermögen andererseits für verfassungswid- gleichbehandlung von Finanzvermögen einerseits rig erklärt hatte (Infobox 1). Infobox 1 Die Erbschaftsteuer vor dem Bundesverfassungsgericht: Eine unendliche Geschichte? Dreimal hat das Bundesverfassungsgericht legierung des Betriebsvermögens – in Teilen für (BVerfG) in den vergangenen 20 Jahren das gelten- verfassungswidrig. de Recht als in Teilen verfassungswidrig moniert. Das Urteil des BVerfG steckt den rechtlichen Im Jahr 1995 erklärte das BVerfG (2 BvR 552/91 Rahmen ab, innerhalb dessen sich die von der vom 22. Juni 1995) die Bewertung des Grundbesit- Bundesregierung laut Fristsetzung des Gerichts bis zes auf Basis der niedrigen Einheitswerte von 1964 zum 30. Juni 2016 umzusetzende Reform bewe- für verfassungswidrig, da bei anderen Vermögens- gen muss. Allerdings gibt es bereits wieder ernst- arten realistische, viel höhere Gegenwartswerte hafte Zweifel, dass der im September vorgelegte angesetzt wurden. Als Reaktion auf das Urteil sind Gesetzentwurf verfassungskonform ist. Der Bun- die Grundstückswerte ab 1996 nach dem einfa- desrat (2015) bewertete Teile der Neuregelung als chen Ertragswertverfahren ermittelt worden. Es verfassungswidrig. In der öffentlichen Anhörung galt das 12,5-fache der durchschnittlichen Jahres- des Finanzausschusses des Bundestages gab es nettomiete. Hauptgewinner der damaligen Reform keinen Sachverständigen, der den Gesetzentwurf waren vor allem Erwerber von Betriebsvermögen, – auf ausdrückliche Nachfrage der Abgeordneten da an der günstigen Bewertung nach der Steuerbi- Paus – als verfassungsgemäß bezeichnen wollte. lanz festgehalten wurde. Ihnen wurde ein zusätzli- Als explizit verfassungswidrig charakterisierte Prof. cher Freibetrag von umgerechnet knapp 256.000 Dr. Joachim Wieland von der Universität Speyer Euro ebenso eingeräumt wie ein pauschaler Be- den Gesetzentwurf wegen der fortgesetzten Über- wertungsabschlag, der zuletzt 35 % betrug. Neu privilegierung des Betriebsvermögens (Deutscher war auch eine Behaltensfrist von fünf Jahren, die Bundestag 2015a, S. 219). Auch bei dem laut Me- an keine weiteren Auflagen geknüpft war. dienberichten erzielten und bislang von der CSU Die damit fortwährende, nicht marktkonforme blockierten Kompromissvorschlag der Regierungs- Bewertung des Grund- wie des Betriebsvermögens parteien (Infobox 2) bestehen bereits Bedenken. führte 2006 abermals zur Feststellung der Verfas- Kommt es nicht zu einer durchgreifenden Än- sungswidrigkeit durch das BVerfG (1 BvL 10/02 derung der Reformpläne, wäre daher eine erneute vom 7. November 2006). Die damalige Bundes- Klage vor dem BVerfG wahrscheinlich. Sollte die regierung entschied sich daraufhin, die Verscho- Frist des BVerfG zur Neuregelung verstreichen, nungsregeln stark auszubauen, um eine Höherbe- gälte zwar das bisherige Recht vorerst weiter. Das lastung des Betriebsvermögens auszuschließen. BVerfG würde dann aber nach Aussage des Ge- Eingeführt wurden Verschonungsabschläge von richtssprechers aller Wahrscheinlichkeit nach recht 85 % (Regelverschonung) oder gar 100 % (Op- schnell abermals entscheiden und konkrete Aufla- tionsverschonung), wenn über einen gewissen gen erteilen, wenn ein Betroffener vor einem Fi- Zeitraum nach Erwerb des Vermögens eine „Min- nanzgericht gegen seinen Bescheid klagte und der destlohnsumme“ als Bedingung erreicht wurde. Fall dem BVerfG erneut vorgelegt würde. Im Tenor De facto waren die Regeln so großzügig angelegt, des Urteils heißt es denn auch, dass das bisherige dass es zu einer weitgehenden Verschonung des Recht bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar Betriebsvermögens im Rahmen der Erbschaft- und sei. Damit besteht im Unterschied zum Vermögen- Schenkungsteuer kam. steuerurteil von 1995 (2 BvL 37/91 vom 22.6.1995) Das BVerfG urteilte Ende 2014 zum dritten Mal nicht die Gefahr, dass keine Erbschaftsteuer mehr zur Erbschaftsteuer (1 BvL 21/12 vom 17. Dezem- erhoben werden kann, wenn der Gesetzgeber ber 2014) und erklärte das Gesetz – eben wegen keine fristgerechte Novellierung vorlegt. Wie es der als unverhältnismäßig eingeschätzten Privi- scheint, wird die Erbschaftsteuer das BVerfG auch weiterhin beschäftigen. IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 11
Eine marktorientierte Bewertung hätte zu einer deut- teil der vererbten oder verschenkten Betriebe – von lich steigenden steuerlichen Belastung des Betriebs- der Lohnsummenregel befreit, d.h. bei ihnen genügt vermögens beim Übergang auf die Erben geführt. lediglich die Fortführung des Betriebes, um in den Weil befürchtet wurde, dass dies die Fortführung Genuss der Verschonung zu kommen. vererbter Betriebe und damit Arbeitsplätze gefähr- Es ist wenig erstaunlich, dass diese Regeln in den könnte, entschied sich die damalige Bundesre- der Praxis zu einer sehr weitgehenden Verscho- gierung dafür, sehr weitreichende Verschonungsre- nung des Betriebsvermögens führten. So schätzt geln für das Betriebsvermögen in die Erbschaft- und Bach (2015), dass dem Fiskus durch die Privilegien Schenkungsteuer einzubauen. Zu der ohnehin schon für das Betriebsvermögen mittelfristig rein rechne- bestehenden Begünstigung, dass Betriebsvermö- risch ein Aufkommensverlust von 8 Mrd. Euro jähr- gen grundsätzlich in den Genuss einer Besteuerung lich entsteht. Von 2009 bis 2014 wurde insgesamt nach Steuerklasse I kam und damit mit maximal ein Betriebsvermögen im Wert von 171 Mrd. Euro 30 % besteuert wurde, wurden umfangreiche Ver- steuerfrei übertragen. Die hieraus resultierenden schonungsabschläge von 85 % (Regelverschonung) Steuerausfälle belaufen sich auf 43,5 Mrd. Euro oder gar 100 % (Optionsverschonung) eingeführt. (BMF 2015b). Der größte Teil geht dabei auf Schen- Die Verschonung war an die Bedingung geknüpft, kungen zurück, die aus Angst vor einer bevorste- dass über einen gewissen Zeitraum nach Erwerb henden Gesetzesverschärfung vorgezogen worden des Vermögens eine „Mindestlohnsumme“ erreicht sind, nachdem der Bundesfinanzhof die Verscho- wird. Der Verschonungsabschlag sollte demnach nungsregeln im Jahr 2012 als verfassungswidrig be- mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen nach der Über- wertete und dem BVerfG zur Entscheidung vorlegte nahme des Unternehmens verknüpft werden. Ziel (Tabelle 4). Die Einnahmeverluste übersteigen im be- war es ausdrücklich, diejenigen Unternehmen von trachteten Zeitraum deutlich die Steuereinnahmen der Steuer zu entlasten, bei „denen im Zuge des in Höhe von 27,6 Mrd. Euro (BMF 2015b, Anlage 4, Betriebsübergangs die Arbeitsplätze weitestgehend S. 7). gesichert werden.“ (Deutscher Bundestag 2008). Betrachtet man die steuerfreien Übertragungen Ein Jahr später wurden die steuerlichen Begünsti- nach der Größe des Erwerbs, so zeigt sich eine mas- gungen für Unternehmenserben mit dem so ge- sive Konzentration im allerhöchsten Vermögensbe- nannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz noch- reich. Nur 0,5 % der steuerfreien Übertragungen mals ausgeweitet. Seither beträgt die Mindestlohn- von Betriebsvermögen überstiegen von 2009 bis summe innerhalb der Behaltensfrist von fünf Jahren 2014 den Wert von 50 Mio. Euro. Sie machten aber für die Regelverschonung 400 % und bei der Opti- über 54 % des übertragenen Volumens aus. Dage- onsverschonung innerhalb von sieben Jahren 700 %. gen lagen 86 % der steuerfreien Erwerbe unter 1 Zudem darf der Anteil des nicht betriebsnotwendi- Mio. Euro; ihr Aufkommensanteil betrug dennoch gen Verwaltungsvermögens nach § 13b ErbStG für nur 7,6 % (Tabelle 5). Für das Jahr 2014 verzeichne- die Inanspruchnahme der Regelverschonung nicht te die Statistik gar 80 Erwerbe von Betriebsvermö- größer als 50 % und für die Inanspruchnahme der gen über 100 Mio. Euro. Der durchschnittliche Wert Optionsverschonung nicht größer als 10 % des Be- der steuerfreien Erbschaft (6 Fälle) oder Schenkung triebsvermögens sein. Die Kriterien für die weitreichende Verscho- nung – immerhin wird die Steuerlast bei der Re- gelverschonung um 85 % vermindert und bei der Tabelle 4 Optionsverschonung ist gar keine Steuer zu ent- richten – erweisen sich jedoch als wenig restriktiv: Das Verwaltungskostenkriterium lässt sich mittels Tabelle 5: Steuerfrei Steuerfrei übertragenes übertragenes Betriebsvermögen und Betriebsvermögen undSteuermindereinnahmen Steuermindereinnahmen 2009 bis 2014 Steuergestaltung relativ leicht umgehen. Das Lohn- 2009 bis 2014 summenkriterium zur Sicherstellung des Arbeits- platzerhalts ist ebenfalls so ausgestaltet, dass es Steuerfrei übertragenes Betriebsvermögen Mehreinnahmen bei Kassenmäßige leicht zu erfüllen ist. Als Ausgangslohnsumme wird nach Wegfall der Einnahmen der § 13a ErbStG in Mrd. Euro Steuerbegünstigungen nämlich der Durchschnitt der nominalen Lohnzah- Erbschaftsteuer in nach § 13a ErbStG in lungen der letzten fünf Jahre vor dem Stichtag de- Erbschaften Schenkungen gesamt Mrd. Euro Mrd. Euro finiert. Wird etwa eine nominale Lohnsteigerung in Höhe von 2,5 % pro Jahr unterstellt, so ist es mög- 2009 0,9 2,5 3,4 1,3 4,6 lich, in erheblichem Umfang direkt nach der Be- 2010 2,3 4,8 7,2 1,5 4,4 triebsübernahme Arbeitsplätze abzubauen, weil die 2011 4,4 15,6 20,0 5,6 4,3 Lohnsumme im relevanten Zeitraum aufgrund der 2012 3,7 36,4 40,2 10,8 4,3 nominalen Lohnsteigerungen insgesamt trotzdem 2013 3,7 30,4 34,1 8,0 4,6 noch steigt. Bei der Regelverschonung können im 2014 6,4 59,6 66,0 16,3 5,5 Rechenbeispiel demnach 29 % der Arbeitnehmer gesamt 21,6 149,3 170,9 43,5 27,6 entlassen werden; bei der Optionsverschonung sind es immerhin noch 14 %. Zudem sind Betriebe mit 20 oder weniger Beschäftigten – und damit ein Groß- Quelle: Quellen: BMF (2015b); Darstellung Bundesministerium und Berechnung der Finanzen derDarstellung 2015, eigene Autoren. und Berechnung IMK Report Nr. 114, Mai 2016 Seite 12
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