INFORMATIONEN ZU BERTOLT BRECHT - EGON BREINER ÜBER BRECHT IM INTERVIEW 17.11.1980 PETER VILLWOCK ÜBER SCHWIERIGES ENTZIFFERN DIRK HEISSERER ÜBER ...
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Dreigroschenheft Informationen zu Bertolt Brecht 26. Jahrgang Heft 3/2019 Egon Breiner über Brecht im Interview 17.11.1980 Peter Villwock über schwieriges Entziffern Dirk Heisserer über Breloers Brecht-Film Die IBS tagte in Leipzig
Brechts erste Begegnung mit dem Kommunismus Brechts n Ansichte zur Räte - revolution Die Staats- u. Stadtbibliothek Augsburg würdigt den 100. Jahrestag der Räte- republik mit einem Ausstellungskatalog. ISBN: 978-3-95786-196-2 | 19,80 € 152 Seiten | Hardcover mit Prägung | 21 × 27,5 cm | erhältlich in der Staats- bibliothek, im Buchhandel oder direkt beim Verlag: www.wissner.com
Inhalt Die IBS tagte in Leipzig: Film „Brecht unter Fremden“. . . . . . . . . . . . . .2 Der Bänkelsang vom Scheusal . . . . . . . . . 36 Impressum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Breloers Brecht-Film Dirk Heißerer Brecht international Egon Breiner über Bert Brecht, Kunst 17. Nov. 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Der tat nie etwas umsonst. Brechts Interesse Abschrift eines Tonband-Interviews für Leonardo da Vinci. . . . . . . . . . . . . . 39 Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Mathias Mayer Der Augsburger Theater Erinnerungskultur: Augsburger „Arturo Ui“ am Schauspielhaus Linz: Universitätsbibliothek würdigt die Der Schoß ist fruchtbar noch . . . . . . . . . . 41 Sammlung Salzmann . . . . . . . . . . . . . . 25 Ernst Scherzer Wir alle sind Benjamin … Heidelberg spielte Lyrik neue Ruzicka-Oper nach. . . . . . . . . . . . 42 „Singender Wagen“. Ein unbekannter Druck Ernst Scherzer des Gedichts„Singende Steyrwagen“ von Bertolt Brecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Der Augsburger Klaus-Dieter Krabiel Was hat Brecht uns heute noch zu sagen?. . . 43 Helmut Gier Theater Brecht und die Barfüßerkirche. . . . . . . . . 44 „Kimono“, „Kinomann“, „Kinamo“ – ein Eine Prägung in 10 Stationen kleines philologisches Lehrstück . . . . . . . . 31 Michael Friedrichs Peter Villwock Leserbrief Kunst Ein Aprilscherz! . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Brecht – das neue Projekt von Ottmar Hörl. . 33 Replik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Bertolt-Brecht-Archiv Das Archiv des Berliner Ensembles. . . . . . 34 Sophie Werner Dreigroschenheft 3/2019
Die IBS tagte in Leipzig: Impressum „Brecht unter Fremden“ Dreigroschenheft Informationen zu Bertolt Brecht Gegründet 1994 Herausgeber 1994-2009: Kurt Idrizovic www.dreigroschenheft.de Erscheint vierteljährlich zu Quartalsbeginn Einzelpreis: 7,50 € Jahresabonnement: 30,- € Das 16. Symposium der International Brecht Society IBS fand vom 19. bis 23. Juni Anschrift: in Leipzig im Theater statt (das Foto zeigt Wißner-Verlag GmbH & Co. KG Stephen Brockmann und andere in einer Im Tal 12, 86179 Augsburg Telefon: 0821-25989-0 „Jasager“-Probe von Schülern und Stu- www.wissner.com denten auf der Studiobühne). Die Tagung redaktion@dreigroschenheft.de war sehr ertragreich, auch dank der per- vertrieb@dreigroschenheft.de fekten Organisation der Gastgeber vom Centre of Competence for Theatre an der Bankverbindung: Wißner-Verlag GmbH & Co. KG Stadtsparkasse Augsburg Universität. Thematische Schwerpunkte Swift-Code: AUGSDE77 waren Brechts Fremdheitserfahrungen IBAN: DE15 7205 0000 0000 0282 41 und die internationale Migration sowie ein produktiver Umgang mit Brechts Lehrstü- Redaktionsleitung: Michael Friedrichs (mf) cken. In vier parallel tagenden Panels waren Wissenschaftlicher Beirat: Dirk Heißerer, Tom Kuhn, Vorträge und Präsentationen zu erleben, es Joachim Lucchesi, Werner Wüthrich gab Keynotes, Workshops, Round Tables, Re-Enactments, Artist Talks und Theater. Autorinnen und Autoren in dieser Ausgabe: Gregor Acker- Prof. Günther Heeg hielt einen Einfüh- mann, Michael Friedrichs, Helmut Gier, Dirk Heißerer, rungsvortrag zum Thema „Ohne Halt und Klaus-Dieter Krabiel, Mathias Mayer, Ernst Scherzer, Peter Villwock, Sophie Werner in großer Fahrt. Brecht im Transit. Gestisch leben“: Die Angst der Eltern des „kleinen Titelbild: Das Auswanderer-Schiff Anne Johnson Mönchs“ und des „sehr alten Kardinals“ in (Foto: Sammlung Peter Breiner) Brechts Galilei vor Orientierungslosigkeit Druck: WirmachenDruck GmbH, Backnang und Bedeutungsverlust in einer Welt, in der ISSN: 0949-8028 Mensch und Erde nicht mehr im Zentrum stehen, setzte er parallel zu heutigen Äng- sten vor der internationalen Migration. – In der IBS-Mitgliederversammlung wurde der Gefördert durch die Vorschlag, das nächste Symposium in drei Stadt Augsburg oder vier Jahren unter einem Thema „Jews – Brecht – Jews“ oder „Resistance“ evtl. in Gefördert durch den Tel Aviv zu veranstalten, lebhaft diskutiert, Bert Brecht Kreis aber noch nicht entschieden. ¶ (mf) Augsburg e.V. Dreigroschenheft 3/2019
Egon Breiner über Bert Brecht, 17. Nov. 1980 Brecht International Abschrift eines Tonband-Interviews Auf der Überfahrt von Wladiwostok nach Signatur BBA-AVM 14.0130 Los Angeles warf Brecht Lenin-Bände ins Betreuende Archivabteilung: Bertolt-Brecht- Meer, die er in Wladiwostok gekauft hatte. Archiv Bekannt geworden ist das durch das grund- Bestand: Bertolt-Brecht-Archiv legende Buch von James K. Lyon*, Bertolt Bestand Bertolt-Brecht-Archiv Audiovisuelle Brecht in Amerika, deutsch 1984 bei Suhr- Medien kamp. Quelle hierfür ist der Interviewpart- Klassifikation 14. MC / Audiokassette ner Egon Breiner, mit dem Lyon 1972 und Titel Egon Breiner interviewed on Bert Brecht 1974 gesprochen hatte. by Carlton Moss Datierung 17. November 1980 Auf der Suche nach weiteren Informationen Objekttyp Audiodokument konnte im Bertolt-Brecht-Archiv ein Ton- Status des Bestands Extern band gefunden werden. Egon Breiner wird Freigabe wie Bestand dort ausführlich von einem englischspra- Permalink https://archiv.adk.de/objekt/2541262 chigen Interviewpartner befragt, er ant- Bemerkungen: Rechte: Peter Breiner: wortet fast ausschließlich auf Deutsch. Die Nov. 2018/Wizisla/AS Sache mit den geopferten Büchern kommt Technische Daten: Format: Compact Cassette vor, darüber hinaus gibt es viele wertvolle Länge/Spieldauer: 01:21:55 Informationen über die österreichische Exi- lantengruppe, der Egon Breiner angehörte, Als Digitalisat erhalten 14.11.2018. über die Bedingungen, unter denen das Die Transkription und Veröffentlichung hat Schiff unterwegs war, und über die recht Peter Breiner (Sohn von Egon Breiner) erlaubt. stabile Freundschaft der Familie Breiner Nach Auskunft von Peter Breiner ist der Inter- mit der Familie Brecht in Los Angeles. Wir viewer Carlton Moss* (1909–1997), ein afro- drucken daher das Interview in voller Län- amerikanischer Drehbuchautor, Schauspieler ge ab. Kurze unverständliche Passagen sind und Filmregisseur. mit [...] markiert, Zwischenüberschriften Dauer des Interviews: 1 Std. 22 Min. von der Redaktion. Transkription: Michael Friedrichs Was die erforderlichen oder wünschens- werten Hintergrundinformationen betrifft, so beschränken wir uns auf einige Kern- punkte. Ein Sternchen nach einem Namen* weist hin auf eine Erläuterung am Schluss des Interviews. Ein weiteres Tonband im Bestand der Aka- demie der Künste mit einem Breiner-Inter- view von Cornelius Schnauber 1985 (AVM – 32 3072) erwies sich in Sachen Brecht als unergiebig. Dreigroschenheft 3/2019
Brecht International Foto: Anett Schubotz, Bertolt-Brecht-Archiv, 12. Feb. 2019. Alle anderen Abbildungen in diesem Beitrag aus der Sammlung Peter Breiner. Dreigroschenheft 3/2019
[…] lich alle mitgegangen sind. Die Leute, die Brecht International auf dem Boot waren, waren durchwegs I give you a hint. Ich sag jetzt meinen Na- Emigranten und ich will dann später noch men. Mein Name ist Egon Breiner. erzählen, wie wir überhaupt zu dieser Sa- che gekommen sind. Jedenfalls: Brecht war Are you German? auf dem Boot mit seiner Familie, mit seiner Sekretärin, ist dann auch mit uns in Los Ich bin ein Österreicher, bin in Wien ge- Angeles gelandet, nicht wahr, und hat sich boren, komm eigentlich aus der sozialisti- hier also festgesetzt, hat hier versucht mit schen Jugendbewegung, in der ich also viele der Filmindustrie Kontakt zu bekommen Jahre aktiv gewesen bin. und ist dann 1947 denke ich wieder zuerst nach der Schweiz und dann nach Deutsch- Now, where you left Vienna as refugee? land zurück. Ich bin jetzt gefragt worden, ob ich als ein Die Passagiere Refugee, als ein Emigrant Wien verlassen hab. Das stimmt. Ich bin als Refugee, also The refugee boat, can you tell me something als Emigrant aus Wien weg, als die Deut- about the people on the boat? schen 1938 in Wien eingefallen sind. Ich bin gefragt worden, ich soll etwas über Now when? die Leute, die auf dem Boot gewesen sind, sagen und ich soll auch erklären, weshalb Das war ungefähr im Juli 1938 nach dem es ein Refugee Boat war. Das ist ein bis- Einmarsch der Deutschen. schen kompliziert. Als die Deutschen nach Norwegen und nach Dänemark eingefallen Now how did you come to know Brecht? sind, nicht wahr, war eines der Boote, die in einem norwegischen Hafen gelegen sind, Wie kommt’s, dass Sie / dass du / dass Sie ein Boot, das „Annie Johnson“* geheißen Brecht kennen? Das war die Frage. Brecht hat und einer schwedischen Schifffahrtsli- kannte ich eigentlich nur ganz zufällig. Wir nie, Johnson Line, gehört hat. Um das Boot sind auf dem gleichen Boot von Wladiwo- zu retten, ist das Boot beauftragt worden, stok nach Los Angeles gefahren. Das Boot nach New York auszulaufen. Damals hatte hat ungefähr drei Wochen gebraucht, um man geglaubt, und für lange Zeit noch, dass über Manila aus Wladiwostok Los Angeles Schweden das nächste Opfer der Nazis sein zu erreichen. In dieser Zeit war Brecht und wird. Das Boot ist also daher nach – so hat seine Familie auf dem gleichen Boot und man mir erzählt – nach New York gegan- wir haben einigen Kontakt bekommen, so- gen, ist von New York durch den Panama- gar so weit, dass wir auf dem Boot, das also Kanal nach San Francisco und Los Angeles ein Refugee Boat, also ein Emigrantenboot gegangen und hat dort Cargo gesucht, also war, sogar einen Vortragsabend für Brecht Fracht gesucht. Wir müssen hinzufügen, veranstaltet haben, in dem Brecht also seine dass das Boot ein Fracht-Boot war, das eigenen Gedichte und sogar Erzählungen also nur Cargo geführt hat. Es hat nur 52, vorgelesen hat. Sogar ein Teil der Mann- denke ich, 52 Plätze gehabt, die für Pas- schaft, die deutsch konnten, sind dann da sagiere sehr vornehm ausgestattet waren gesessen und es war also ein sehr erfolgrei- und ursprünglich für die Gäste der schwe- cher Abend – begrenzt natürlich durch die dischen Schifffahrtsgesellschaft bestimmt Zahl der Teilnehmer, die ungefähr fünfzig, waren, die, wenn sie also der Schifffahrts- einundfünfzig betragen hat und die natür- gesellschaft Aufträge gegeben haben, auch Dreigroschenheft 3/2019
Brecht International Oben: Das schwedische Schiff „Anne Johnson“; unten: eine Gruppe von Passagieren (Egon Breiner mit Sonnenbrille hinten rechts) Dreigroschenheft 3/2019
umsonst oder für sehr wenig Geld mit dem ka kommen. Unter dem Druck der Nazis Brecht International Boot mitfahren konnten. Dieses Boot also haben dann die Japaner die Durchfahrt für ist dann dort gelegen, ist immer noch unter Emigranten, also für Refugees, eingestellt, schwedischer neutraler Flagge gewesen und so dass es nicht mehr möglich war, durch die schwedische Regierung, die unter un- Japan zu fahren, wodurch also jeder, der geheurem Druck der Nazis gestanden hat, aus Schweden weg wollte oder weg musste, hat dann versucht, mit den verschiedenen nicht wahr, nicht weg konnte. Die einzige Refugee-Organisationen Verbindung zu Möglichkeit war daher, ein schwedisches bekommen, um zu sehen, wie man einige neutrales Boot zu bekommen, das unter dieser Refugees loswerden könnte, vor al- Umsegelung von Japan direkt nach Ame- lem die, nicht wahr, die besonders belastet rika ging. Die „Annie Johnson“ hatte also waren, politisch belastet waren und die von Maschinen, denke ich, von San Francisco den Nazis gesucht wurden. Es muss noch geladen, hat sie nach Wladiwostok gebracht hinzugefügt werden, dass das Boot von San und hat dann eine fare, irgend eine Fracht Francisco nach Wladiwostok und zurück gesucht, nicht wahr, die die Schifffahrtsge- gefahren ist, Fracht genommen hat und sellschaft also gebraucht hatte. Sie hat dann dass die schwedische Regierung gehört hat, aber auch später diese Fracht bekommen, dass es da auch noch Passagierplätze gibt, als wir auf dem Schiff waren, gingen wir hat sie die Schifffahrtsgesellschaft praktisch nach Manila, in die Philippinen, und haben gezwungen, einen Teil dieser Passagierplät- in Manila Kopra geladen. Von Wladiwostok ze der schwedischen Regierung zur Verfü- bis Manila ist das Schiff faktisch leer gefah- gung zu stellen. Die Frage taucht also noch ren, dann von Manila nach San Francisco auf, weshalb man nicht von Göteborg aus und Los Angeles voll beladen mit Fracht nach New York gefahren ist, das doch viel und voll beladen mit Passagieren. näher ist und viel weniger kompliziert ist. Es handelt sich also bei politischen Refu- Ich bin also noch gefragt worden, soll es gees um solche, die von den Nazis gesucht erklären, die Zusammensetzung der Emi- wurden. Das Boot, das also von Göteborg, granten. Das war eine ganz bunte Gesell- solange Schweden neutral war, nach New schaft. Wir österreichischen Emigranten York gefahren ist, wurde von den Nazis hatten also das Recht gehabt, ein paar Leute kontrolliert und um überhaupt die Ver- zu nominieren. Mit mir ist also gekommen bindung Göteborg-New York aufrecht er- Karl Heinz*, der ehemalige Sekretär des Re- halten zu können, mussten die Listen, die publikanischen Schutzbund*, einer Selbst- Passagierlisten an die deutsche Regierung hilfe-, Selbstschutz-Organisation in Wien geschickt werden, die dann sie kontrolliert gegen den Faschismus. Dann ist mit mir hat, so dass wir keinerlei Aussicht hatten, gekommen ein Mann namens Robinson*, über Göteborg nach Amerika zu kom- der Chefredakteur des „Arbeiterwille“* in men. Die einzige Möglichkeit, die es da- Graz, der zweitgrößten sozialistischen Zei- mals gegeben hat, war über Wladiwostok. tung in Österreich, gewesen ist. Ein Mann Und da hat es natürlich keine neutralen namens Taurer*, der illegal in der deutschen Schiffe mehr gegeben. Und da muss noch sozialistischen Bewegung, und zwar in der folgendes hinzugefügt werden: Lange Zeit „Neu Beginnen“*-Bewegung gearbeitet hat. hindurch konnten auf diesem komplizier- Helene Bauer*, die die Frau Otto Bauers, ten Weg Refugee von Schweden, also von des sozialistischen Politikers und Theoreti- Stockholm, nach Moskau fliegen, von Mos- kers war und die für sich selber auch eine kau mit der Transsibirischen Eisenbahn ganz ausgezeichnete Schriftstellerin war, nach Wladiwostok und von dort mit einem die aus Polen stammte und mit Otto Bauer japanischen Schiff über Japan nach Ameri- verheiratet war. Sie selber war also, hat in Dreigroschenheft 3/2019
Brecht International Egon Breiner hat dieses Bild auf der Rückseite beschriftet als „Group of political Refugies in Stockholm Sweden in Egons 1 room appartment / Stockholm 1940 / Sweden“. Identifiziert sind bisher Bruno Kreisky (stehend, zweiter von links) und Egon Breiner (stehend, dritter von rechts). [?] gelebt. Sie war eine sehr geschulte, aus- Außerdem hat es dann noch eine Reihe von gezeichnete Marxistin, die vieles veröffent- Leuten gegeben, an die ich mich nur sehr licht hat, nicht wahr, die mit der marxisti- dunkel erinnere. Ich erinnere mich an ei- schen Theorie zusammenhängen. nen Mann namens Steinharter*, der aus- gesehen hat wie der Prototyp eines Nazis, Und mit mir war dann noch, der mit mir nicht wahr, mit kurz geschorenen Haaren, auch in der gleichen Kabine gesessen ist, sehr blond, und scharf geschnittenem Ge- Ernst Winkler*, der ursprünglich der Se- sicht, und ein unendlich frommer Jude war, kretär des Landarbeiterverbandes und der sich zum Beispiel nicht rasieren wollte, dann auch des Arbeiter-Bauern-Verban- weil irgendwo es verboten war, sich mit ei- des in Österreich gewesen ist, 1934 weg nem Schermesser zu rasieren, und fast ver- musste, in die Tschechoslowakei geflüchtet hungert ist, weil es kein koscheres Essen auf ist und in Brünn mit der ganzen Leitung dem Schiff gegeben hat. der sozialistischen Partei gesessen ist, die dort eine Zeitung herausgebracht hat, eine Es hat dann eine ganz große Anzahl von illegale Arbeiterzeitung, die dann nach sudetendeutschen Sozialisten gegeben, die Österreich geschmuggelt wurde. Winkler weg mussten, von der schwedischen Regie- war, glaube ich, der Hauptorganisator die- rung übernommen wurden, die dann eine ser Schmuggelorganisation für die illegale Zeitlang in Stockholm, also in Schweden, Zeitung. und in Malmö gelebt haben, also auch weg Dreigroschenheft 3/2019
Brecht International Egon Breiner in seinem Zimmer in Schweden mussten, also auch nach Amerika gekom- war. Es hat dann Zusammenstöße gegeben, men sind. Es ist uns gesagt worden, dass in nicht wahr, und er hat dann also hier in Chicago es eine ganz ganz große tschechi- Amerika, wie viele dieser eigenartigen, ko- sche Ansiedlung gibt mit Leuten, mit Mög- mischen Leute, als ein Militärfachmann ge- lichkeiten für Tschechen, unterzukommen. golten, als er hier angekommen ist. Die Sudetendeutschen, die zunächst einmal von den Tschechen ausgetrieben wurden Ein Teil der Leute waren also vollkommen und die zuerst von den Deutschen, von den unpolitische, nicht einmal verfolgte Leute, Nazis also, verfolgt worden sind, wurden die in Schweden bei einer Hilfsorganisa- von den Schweden übernommen und sind tion untergekommen sind, die von einer dann zum Teil mit dem Boot, mit dem glei- Gräfin Posse* geleitet wurde, der also alle chen Boot nach Amerika gekommen. möglichen Leute alle möglichen Geschich- ten erzählt haben und die, weil sie also eine Mit uns war noch, das will ich nicht ver- Adelige war, einigen Einfluss in Schweden gessen, ein österreichischer Major, dessen gehabt hat und daher Leuten also Hilfe an- Namen ich vergessen hab, der, obwohl 1918 getragen hat und auch Leute auf das Boot von 1938 sehr weit entfernt war, sich immer gebracht hat, die kaum die Möglichkeit ge- noch als Major bezeichnet hat, weil er ein- habt hätten, sonst irgendwie aus Schweden mal ein Major in der österreichisch-ungari wegzukommen. Für die war das also mehr schen Armee gewesen ist, als Fachmann oder weniger eine Emigration, die ihnen dort aufgetreten ist und sich aufgespielt hat die Möglichkeit gegeben hat, in ein anderes als der Leiter aller Österreicher, der er nicht Land zu kommen. Dreigroschenheft 3/2019
Das ist also ungefähr die Zusammenset- stok verlassen hat, begann der Einmarsch Brecht International zung. Und dann waren natürlich noch die der Deutschen in Russland. Und da hat es Brechts da. Da muss ich noch etwas hinzu- natürlich alle möglichen Reaktionen auf fügen. Brecht selber ist von Schweden vor dem Boot selber gegeben, von Brecht und meiner Zeit nach Finnland gekommen, wo- von uns allen, die wir alle versucht haben hin er durch die Sekretärin des damaligen natürlich, die Situation zu klären und zu Ministerpräsidenten Tanner* eingeladen analysieren – ziemlich falsch, wie sich dann wurde. Die Sekretärin, deren Namen ich später herausgestellt hat. nicht kenne, hat Brecht eingeladen, nach Finnland zu kommen, weil sie die Dreigro- Jetzt kommt die nächste Frage, die mir schenoper gekannt hat und von ihr beson- Carlton Moss gibt. ders stark beeindruckt war. Tanner selber, nicht wahr, hat als ein Feind der Russen ge- Breiners Verbindung zu Brecht golten, und es ist mir ziemlich unverständ- lich, wie Brecht durch seine Sekretärin da […] At this time, Brecht was a writer. What hinkommen konnte. Immerhin, er ist also was your profession at this time? von Finnland über Russland nach Wladi- wostok gegangen und hat in Wladiwostok Ja. Brecht war ein Schriftsteller, nicht wahr. dann dasselbe Schiff mit uns bestiegen. Wie komm ich zu Brecht? Also ich komm überhaupt nicht zu Brecht, denn ich bin ein Mit Brecht waren also dann Helli Weigel, Metallarbeiter von Beruf und bin also durch also seine Frau, die zwei Kinder Barbara meine sozialistische Arbeit und auch illega- und Stefan, und seine Sekretärin, mit der er le Arbeit in die Emigration gegangen, bin offenbar auf dem Schiff gearbeitet hat. in die Schweiz geflüchtet, von der Schweiz nach Frankreich, von dort nach Schweden, Auf demselben Schiff hat es auch die voll- und da Schweden bedroht war, und Schwe- ständige belgische Gesandtschaft, die in den also vor der deutschen Invasion gestan- Moskau gewesen ist, gegeben. Unter dem den hat, so haben wir das damals geglaubt, Druck der Deutschen hat die russische die Deutschen hatten damals schon in al- Regierung, da Belgien besetzt war, die len möglichen schwedischen Ostseehäfen belgische Gesandtschaft ausgewiesen, da Boote für die Invasion bereitgestellt – hatte Belgien als selbständiger Staat nicht mehr man die Ansicht, dass man versuchen müs- bestanden hat. Die belgische Gesandtschaft, ste, aus Schweden wegzukommen. Und zu die also nicht weg konnte, aber noch weiter- denen, die also auch wegkommen sollten, hin funktioniert hat für die alliierten Mäch- nicht wahr, hab ich gehört. Ursprünglich te, ist auf diesem Schiff, ungefähr fünf oder war der gegenwärtige Bundeskanzler Bru- sechs oder acht Leute, nicht wahr, mit Kind no Kreisky* bestimmt, nach Amerika zu und Kegel gewesen, und es ist nur interes- gehen, hat sich aber im letzten Augenblick sant, festzustellen, dass sie telegrafisch, als entschlossen und hat mich angerufen und die Deutschen in Russland einmarschiert mir vorgeschlagen, ob ich nicht gehen woll- sind, zurückberufen wurde, versucht hat te. Ich hab mir das dann überlegt und hab und wieder nach Moskau zu kommen mich dann entschlossen, aus Schweden – […] sie sollte also wieder zurück nach wegzugehen. Und so bin ich also hierher- Moskau kommen, konnte aber nicht, weil gekommen. sie auf dem Boot war. What kind of conversation … Vielleicht kann man noch sagen, dass … wenige Tage, nachdem das Boot Wladiwo- Yes yes but […] tut mir leid, bin jetzt ins 10 Dreigroschenheft 3/2019
Englische verfallen. Ich sollte … ja, als was … ein paar Wahrheiten enthält, nicht Brecht International Metallarbeiter hab ich also meinen Beruf wahr. Das werden ja wahrscheinlich andere ausgeübt in Schweden, war natürlich po- Leute anders feststellen. litisch aktiv, interessiert nach wie vor, und für Brecht, denke ich, nicht wahr, war ich Ich glaube, Brecht war überaus klug, über- irgendwie so etwas wie jemand, der Stim- aus weltfremd. Die Tatsache, dass er über mungen und Ansichten von Arbeitern Arbeiterprobleme geschrieben hat, über weitergeben konnte, da Brecht also im We- Arbeiter überhaupt geschrieben hat, über sentlichen doch, scheint mir, überhaupt nur die Probleme der Linken Stücke gemacht mit Intellektuellen, mit Theaterleuten, mit hat, nicht wahr, hat eigentlich damit nichts Schriftstellern, mit Schauspielern zu tun zu tun. Die Arbeiterbewegung war ihm gehabt hat und im Großen und Ganzen, vollkommen fremd, und die realistischen das hat sich später erwiesen, viel mehr eine Möglichkeiten, die Pragmatik dieser Dinge, sehr verkehrte und ein bisschen verworre- über die ich dann später sprechen werde, ne Ansicht über das Leben von Arbeitern die Tatsache, dass er Pragmatismus über- gehabt hat. haupt nicht verstanden hat, dass er nicht verstanden hat, dass es im Wesentlichen den Das war also über mich selber, nicht wahr. Arbeitern um unmittelbare Vorteile gegan- Vielleicht ist das auch wichtig zu sagen, ich gen ist, mehr als alles andere, zumindest der war damals also ungefähr dreißig Jahre alt, großen Majorität der Arbeiter, nicht wahr, nicht wahr, also das heißt, ich war noch hat er nicht verstanden. verhältnismäßig jung und hab viele Dinge anders gesehen als andere, war noch immer Er selber war überaus bescheiden. Seine sehr optimistisch, wie überhaupt das Alter Kleider, über die wahrscheinlich schon an- etwas mit Optimismus zu tun gehabt hat. dere gesprochen haben, waren eher schäbig. Es gibt Leute, die haben mir erzählt, dass Vielleicht kann ich da noch einfügen, ich Brechts Kleidung mit Absicht schäbig war, hab in Paris den Sohn der Clara Zetkin, den das glaube ich nicht. Ich glaube, er war, Kostja Zetkin* getroffen, der ganz bedrückt was man so nennt, nachlässig, hat nicht gewesen ist, nicht wahr, über meinen Opti- viel Wert auf Äußeres gelegt, war gewöhn- mismus, weil er geglaubt hat, dass er so gar lich unrasiert, hatte ein altes verschmiertes keine Basis hat. Er selber war furchtbar de- Käppchen an, eine Schildkappe, so ähnlich primiert über die ganze Situation. Ich will wie sie Lenin getragen hat. Hatte eine et- also damit nur feststellen, nicht wahr, dass was quiekende, hohe Stimme, hat jeden- mein Optimismus damals selbst unter den falls überaus überzeugt geklungen, wenn er schwierigsten Umständen noch immer be- etwas gesagt hat, und hat immer den Ein- standen hat. Ich bin jetzt viel weniger opti- druck hervorgerufen, dass es nur Schwarz mistisch als je zuvor. und Weiß und niemals Grau gibt. Schwarz waren die Reaktionäre, und die Andern Now, another question. Brecht, what kind of überhaupt, und Weiß waren alle die Leute, person was he? mit denen er Freundschaft gehalten hat, und die politischen Ansichten, die er vertreten Ich bin jetzt gefragt worden, was für eine hat. Dazwischen hat es kaum irgendetwas Art von Mensch der Brecht gewesen ist. gegeben, das Mittlere, das Kompromisse Nun, da kann ich also nur eine sehr sehr erzeugt hat. Er war überaus liebenswürdig, persönliche Ansicht wiedergeben, die unter überaus nett, überaus entgegenkommend, Umständen vollkommen falsch ist. Voll- freundlich, der freundlichste Mensch, den kommen falsch ist und doch irgendwie et- ich je gesehen hab. Wenigstens einer der Dreigroschenheft 3/2019 11
freundlichsten und entgegenkommendsten, ner jüdischen Arbeiter-Organisation, ein Brecht International menschlichsten Menschen, und gleichzeitig Rest dieser großen jüdischen Auswande- einer, der sagen konnte, „Wenn man den an rung nach den Pogromen 1905, die noch die Wand gestellt hätte, wäre es besser für … und mit uns allerdings hat es noch zwei die ganze Menschheit gewesen.“ Damit hat Leute gegeben, mit denen wir persönlichen er nicht nur Hitler gemeint. Damit hat er Kontakt gehabt haben, das war Paul Hertz*, auch seine Gegner gemeint, damit hat er ein ehemaliger sozialistischer … sozialde- also auch vor allem Sozialisten gemeint, mokratischer deutscher Führer, der ehema von denen er geglaubt hat, dass sie also der lige Vorsitzende der deutschen Reichstags Sowjetunion oder … kritisch gegenüberste- fraktion im deutschen Reichstag, und ein hen. Er war überhaupt mit dem Aufhängen persönlicher Bekannter von mir, ein Mann und mit dem An-die-Wand-Stellen, nicht namens Berthold König*, der Vorsitzende wahr, war er sehr sehr rasch bei der Hand der zweitgrößten österreichischen Gewerk- und ich kann mich an faktisch Hunderte schaft, der Eisenbahner-Gewerkschaft, der von Beispielen erinnern, wo er also gesagt hier in Los Angeles gelebt hat. hat, „Warum hat man ihn nicht aufgehängt, warum hat man ihn eigentlich nicht er- Mit Brecht selber bin ich … sind wir ziem- schossen, warum hat man ihn nicht um die lich oft zusammengekommen. Nicht nur, Ecke gebracht, nicht wahr. Wäre doch bes- dass wir den Kontakt gesucht haben, schon ser gewesen für die Menschheit.“ Wie ge- wenn wir einige Zeit nicht zu Brecht gekom- sagt, er war in seinem persönlichen Leben men sind, hat gewöhnlich Helli angerufen, überaus bescheiden und angenehm, nicht weshalb wir nicht kommen. Der Grund war wahr, und in seinen politischen Ansichten zweifach, denke ich. Der erste Grund war absolut … nicht nur radikal, er war unver- natürlich der, dass ich sozusagen die Oppo- ständlich beinahe, nicht wahr, denn das was sition vertreten habe. Ich bin nach wie vor er gemeint hat mit dem Erschießen usw. hat Sozialist gewesen und bin es immer noch er vielleicht nicht ernst gemeint, aber ge- und habe daher zu vielen der Meinungen, sagt hat er’s jedenfalls. Hätte dazu geführt, die Brecht da vertreten hat, Stellung ge- nicht wahr, dass die ganze Welt eine unbe- nommen und sie nicht akzeptiert. Dazu wohnbare Welt gewesen wär, nicht wahr, in kommt aber allerdings noch, dass meine der nur einige Leute ein Recht zum Leben Frau Ärztin ist und sich um Brechts und gehabt hätten, die Brecht akzeptiert hat. vor allem um die Gesundheit der Kinder [Knacken] und auch der Helli Brecht gekümmert hat. Und da wir regelmäßig hingekommen sind, Kontakte in Los Angeles konnte man gewöhnlich über auch ein paar Dinge sprechen, die mit der Gesundheit der As you arrived in Los Angeles, Brecht went Brecht-Familie zusammenhingen. Einer der into the motion picture group, you came in Gründe, glaube ich, weshalb wir uns ziem- as a working person – how much did you see lich oft gesehen haben, war eigentlich auch of him? noch, dass ich in einer Fabrik gearbeitet habe. Dass ich Stimmungen wiedergeben Ich bin gefragt worden, wie oft wir uns ge- hab können, die divergierend waren, die sehen haben, nachdem wir in Los Ange- also die Illusionen Brechts und auch ande- les angekommen sind. Lasst mich einmal rer zerstört haben. Und vor allem deswegen sagen: Als wir in San Pedro angekommen denke ich, weil Brecht hier die Verbindung sind, ist Brecht von den beiden Feucht- und die Freundschaft von Menschen gehabt wangers* empfangen worden und wir von hat, die ganz weit weg waren vom täglichen einem jüdischen Labour Komitee, also ei- Leben. Das waren für gewöhnlich Leute, die 12 Dreigroschenheft 3/2019
also für die Filmindustrie gearbeitet haben, ich nicht kenne, nicht wahr, hat sich Dessau Brecht International viele [ab jetzt Nebengeräusche und Stim- uns angeschlossen, ist Tag und Nacht zu uns men im Hintergrund] Tausende von Dollars gekommen, das Haus war ihm immer offen, wöchentlich verdient haben, auf einem un- Dessau konnte in das Haus hinein, hat ei- geheuer großen Fuß gelebt haben, einfach nen Schlüssel zum Haus gehabt, konnte in fantastisch viel Geld verdient haben und den refrigerator hinein, konnte sich Essen gleichzeitig ganz links waren und gleichzei- holen, konnte sich einladen, wann er wollte, tig Ideen gehabt haben von der Welt, nicht hat niemals telefoniert und war immer da. wahr, die einfach nicht bestanden hat. Sie haben also … das waren gewöhnlich Schau- [Zwischengeräusche] spieler, Leute, die für die Filmindustrie ge- arbeitet, geschrieben haben, und Leute, die Ich denke da vor allem daran, dass also natürlich überhaupt keinen Kontakt mit Dessau und Winge die waren, mit denen dem Leben der Menschen gehabt haben, wir besonders innigen und engen Kontakt die … denen es nicht sehr gut gegangen ist. gesucht haben. Wir haben mit Brecht ei- Viele von denen sind zu Brecht gekommen gentlich bis zum letzten Tag Kontakt gehabt, und haben Brecht eigentlich nur verstärkt bis zu dem Tag, da er nach New York, nach in seiner etwas fremden Art, Dinge zu se- Washington zu dem Un-American Activity hen. Komitee gefahren ist, nicht wahr. Wir ha- ben dann sogar noch einige seiner Bücher Bei Brecht haben wir auch noch intensi- bekommen, nicht wahr, der Dinge, die er ver zwei Leute kennengelernt, mit denen dort stehen gehabt hat. Brechts Bibliothek wir engen Kontakt gehabt haben. Der eine war eigentlich sehr armselig, verständlich war Hans Winge*, der eigenartigerweise in natürlich auch, da er kaum irgendetwas Wien ein Redakteur der Neuen Freien Pres- mitnehmen konnte und seine Beziehung zu se, einer der ganz reaktionären Zeitungen Büchern eigenartigerweise eigentlich eine gewesen ist, nach Los Angeles gekommen sehr lose gewesen ist, nicht. ist, hier sehr links geworden ist, mit Brecht Kontakt gehabt hat, geglaubt hat, dass wenn Wladiwostok Brecht zurück geht, auch für ihn etwas zu arbeiten sein wird. Es hat aber allerdings Vielleicht kann ich jetzt noch einiges hinzu- dann nicht funktioniert, Winge ist dann fügen. Nicht wahr, wir sind also … wir haben nach Wien gegangen, ist dann dort ein … Brecht und ich haben in Wladiwostok Fachmann für television geworden, was da- in der Staats- … in der Buchhandlung, die mals eine große Industrie geworden ist, und dem russischen Staat gehört hat, Bücher ge- ist dann in Wien ganz … mit sechzig Jahren kauft. Deutsche Bücher gekauft, die damals gestorben. Winge war … mit ihm waren wir deutsch herausgekommen sind. Ich hab mir also ziemlich eng beisammen, nicht wahr, „Das Elend der Philosophie“ von Marx und wahrscheinlich vor allem deswegen, weil den „Anti-Dühring“ von Engels gekauft, den er auch ein Österreicher gewesen ist, und ich immer noch hab. Brecht hatte auch ein deswegen, weil er auch als Film Cutter, als paar Bücher gekauft, die er auch an Bord einer, der so Filme zurechtschneidet, eini- mitgenommen hat. Und als wir in San Pe- germaßen auf proletarischem … nicht ganz dro, also in Los Angeles gelandet sind, also in proletarischem Fuß gelebt hat. den Hafen eingefahren sind, kam Brecht mit einem ganzen Haufen von Büchern, die er in Der zweite, mit dem wir zusammen waren, Wladiwostok gekauft hatte, und warf sie ins war Paul Dessau*, den man ja später sehr Wasser. Er wollte mit diesen Büchern nicht gut kennengelernt hat. Aus Gründen, die ertappt werden. Wer also will, kann daraus Dreigroschenheft 3/2019 13
solche oder andere Konsequenzen ziehen. Ja, ich bin jetzt gefragt worden, ob ich Brecht International Ich hätte es nicht getan, und ich denke auch, mich an irgendeine besondere Diskussion dass es eine Art von Vorsicht war, eine Art mit Brecht erinnere. Eigentlich nicht. Der von … Brecht sagte „revolutionäre Gescheit- Brecht war … Brecht war immer sehr ge- heit“, war, mit der ich eigentlich nicht sehr scheit. Immer sehr klug, immer sehr ein- viel anfangen kann. In den Schriften von drucksvoll in seiner Art, wie er Dinge ge- Brecht wird diese Art von Vorsicht, von Ver- bracht hat. Aber ich kann mich nicht an teidigung, von Abschirmen eigentlich im- irgendetwas erinnern, an irgendeine Situa- mer wieder betont. tion, in der er etwas ganz Besonderes gesagt hätte. Hätte er es gesagt, vielleicht hätte es Er hat das auch ähnlich im … vor dem Un- sich auf die Bühne, aufs Theater bezogen, American Activity Komitee gemacht. Ich und das kann ich schwer beurteilen. Das ist bin nicht ganz sicher, ob ich mit den Leuten außerhalb meiner Sphäre, die ich verstehe, übereinstimmen kann, die da sagen, dass die ich gut verstehe. Ich verstehe das, was Brecht richtig gehandelt hat. Ich bin eher ein durchschnittlicher Mann … Mensch, der Meinung, dass man unter Umständen der Theater durchschnittlich liebt, versteht, für eine Sache einstehen sollte, selbst da, aber nicht mehr. wo es gefährlich ist. Umso mehr da, wo es überhaupt nicht gefährlich ist, denn in Ich kann mich an einige Szenen erinnern, dem damaligen Amerika sind Bücher nicht die besonders eindrucksvoll waren, weil beschlagnahmt worden. Und da Brecht be- sie politische Szenen waren. Ich denke, es kannt war als ein Schriftsteller und ein Vi- muss knapp nach dem Krieg gewesen sein, sum nach Amerika gehabt hatte, so war es als Brecht einen Brief von … mit Gedichten umso leichter, diese Bücher mitzunehmen, und wahrscheinlich auch ein Schreiben von wenn man sie mitnehmen wollte. Becher, Johannes R. Becher* bekommen hat. Und da waren ein oder zwei Gedich- Vielleicht kann ich noch etwas anderes te enthalten, die überaus chauvinistisch, hinzufügen. Brecht hat Kriminalromane deutsch-nationalistisch gefärbt waren, ähn- geliebt, gelesen. Und in Brechts Toilette sind lich wie Nazi-Gedichte geklungen haben, Haufen von Kriminalromanen gelegen, die auch die ganze Mentalität der Nazi wider offenbar von der ganzen Familie mit gro- spiegelt haben, und nur ein bisschen aufge- ßer Begeisterung gelesen wurden, denn wir putzt waren dadurch, dass das Wort Arbei- haben immer wieder gehört, (lacht) dass terklasse und so hineingeflochten war. Und Brechts Kinder … Blasen … gehabt haben, da ist Brecht also plötzlich explodiert, nicht weil sie so lange da draußen gesessen sind. wahr. Brecht, der sich eigentlich, denke ich, Ob das stimmt oder nicht, weiß ich nicht, sonst immer mit Kritik zurückgehalten hat, aber ich glaube es ist interessant, dass man wenn ich da war, wie ich denke aus nahe- also Kriminalromane in dem Haus eines liegenden Gründen, da er nicht Wasser auf der größten Schriftsteller, Dichter, nicht meine Mühle gießen wollte, ist da plötzlich wahr, Schreiber, nicht wahr, des heutigen losgebrochen und hat geschimpft und hat Deutschland finden konnte. geflucht. Und hat über diesen neuen Geist, der sich da breitmacht, nicht wahr, hat er Besondere Diskussionen kritisiert. Und Brecht hat das Wort Scheiße und Dreck und so weiter, das hat er ja sehr Ok. Now, over the long years that you’re liv- geliebt, nicht wahr, er stammte aus dem Teil ing here, can you tell us any memorable con- Bayerns, nicht wahr, aus der bayerischen versation or discussions that you have had Pfalz, denke ich. Und hat das also eigent- with him. lich immer wieder in dem Zusammenhang 14 Dreigroschenheft 3/2019
gebraucht. Er hat also das abgelehnt, hat es wahr. Ich erinner mich, dass Brecht ver- Brecht International vorgelesen, nicht wahr, und hat es mir vor- sucht hat, das Kommunistische Manifest gelesen, nicht wahr, um dazu Stellung zu in Verse zu fassen. Ich denke, das Ding ist nehmen. Offenbar war seine Empörung so nie zu Ende gekommen. Aber es gibt also, groß, dass er jede Selbstbeherrschung ver- es ist halbfertig. Und er hat ein paar Leute loren hat. eingeladen, um dazu Stellung zu nehmen. Was er überhaupt gerne getan hat. Nämlich Ansonsten hat es also eigentlich solche Art seine eigenen Sachen kritisieren zu lassen. von Diskussionen nur sehr wenige gegeben. Und Brecht hat daraus einiges vorgelesen, Vielleicht soll ich das in dem Zusammen- hat das, was er geschrieben hatte, vorgele- hang … kann ich einfügen, dass ich zwei- sen und hat dazu Stellungnahmen verlangt. mal dabei war, da Brecht ähnlich explodier- Ich nehme an, dass ich deshalb dazu einge- te. Einmal war es im Zusammenhang mit laden war, weil ich also sozusagen auch als Peter Viertel*, von dem es einiges auch zu Marxist gegolten hab. Und ich hab damals sagen gibt. Peter Viertel hat, wenn ich mich gemeint, dass das, was ich vom Kommu- richtig erinnere, in einer Fabrik gearbeitet, nistischen Manifest weiß und versteh, ei- und kam zu Brecht und hat also – wenn ich gentlich nicht verbessert werden kann. Und mich jetzt richtig erinnere – den Trotzkis- ich denke, dass man die Sprache von Karl mus verteidigt. Und Brecht hat reagiert wie Marx, gerade hier, die so leicht verständlich alle Menschen, wie viele Menschen reagie- und so klar ist, viel besser verstehen kann, ren, wenn man zu sogenannten Renegaten als wenn man es in einer poetischen Ge- spricht. Er hat mich akzeptiert, aber er hat dichtform liest. Und dann hab ich gemeint, den Trotzkist nicht akzeptiert. Und hat ihn dass die poetische Fassung, also eine Ge- in einem Maße beschimpft, wie ich es doch dichtform-Fassung des Kommunistischen selten gehört hab. Alle die Freundlichkeit Manifestes einfach keinen Sinn hat. Ob das war plötzlich verschwunden, nicht wahr. ihn beeindruckt hat oder nicht, weiß ich Und er wurde also … Viertel wurde als Ver- natürlich überhaupt nicht. Ich weiß nur, räter, also Schwein, also wurde traktiert in dass ich das gesagt hab. Nicht wahr, und einer Art, nicht wahr, wie ich sie von Brecht ich weiß auch, dass das Ding nie zu Ende eigentlich nie gehört habe vorher. Das war gekommen ist. Das hat mich sehr persön- deswegen so eindrucksvoll, und ist deswe- lich beeindruckt natürlich, weil ich das nun gen so in meiner Erinnerung haften geblie- eben gesagt habe, nicht wahr, und weil ich ben, weil ich einfach Brecht nie so gesehen mir eingebildet hab, was natürlich vollkom- hab. Und weil ich natürlich auch der Mei- men falsch ist wahrscheinlich, dass ich auf nung bin, dass was man am meisten hasst, die Nicht-Vollendung einen Einfluss gehabt und das gilt nicht nur für Religion und für hab. Soweit. [Knacken] politische Überzeugungen, den Renegaten einfach immer mehr hasst als den ausge- Brechts Kinder sprochenen Feind. Wenn es einen Feind überhaupt gibt. You mentioned the children. What was his relationship to his children? Das ist eigentlich die Antwort auf meine Frage. Ich kann mich an viele Diskussio- Ich bin gefragt worden, was seine Bezie- nen erinnern, aber ich kann mich an keine hung zu seinen eigenen Kindern war. Ich Diskussion erinnern, die irgendwie ganz glaube, sie war im Allgemeinen sehr sehr besonders gewesen ist. gut, soweit sie überhaupt sehr gut sein kann für einen Menschen, nicht wahr, der Ich denke, es gibt so kleine Episoden, nicht seine Reputation hatte, der mit so vielen Dreigroschenheft 3/2019 15
Schauspielern und Freunden fast kontinu- Besondere Besucher Brecht International ierlich zu tun hatte. Helli Brecht war eine entzückende Mutter. Eine hingebungsvolle Wir sollen einige Erinnerungen an Brecht, Mutter, die ihre Kinder geliebt hat. Brecht an meine Beziehungen zu ihm, an unsere selber war positiv eingestellt zu seinen Besuche schildern. Das will ich so gut ich Kindern. Ich erinnere mich noch, dass wir kann tun, obwohl dies Schilderungen si- mit ihm diskutierten, ob Brecht, ob Stefan cher nicht ganz vollständig sein werden und Brecht, welchen Beruf Stefan Brecht er- wahrscheinlich vieles vergessen ist, was sich greifen sollte. Und Brecht selber war der damals ereignet hat. Ich erinnere mich zum Meinung, dass er einen praktischen Beruf Beispiel sehr genau an zwei Episoden, nicht ergreifen sollte. Er sollte also irgendetwas wahr, die wir selbst in die Wege geleitet ha- lernen, womit man in der bürgerlichen ben. Wir haben unter den Emigranten, die Welt etwas anfangen kann, womit man gut wir in Los Angeles hatten, zwei eminent leben kann. Und er hat gemeint, also er soll- politische. Der eine war Paul Hertz, der te Physik oder Mathematik studieren oder ehemalige Vorsitzende der sozialdemokra- aber er sollte irgendetwas Praktisches tun. tischen Reichstagsfraktion im Deutschen Er hat also gemeint, wir könnten ihm raten Reichstag vor Hitler, ein ehemaliger Funk- können, was man also so tun könnte, nicht tionär der Bekleidungsarbeitergewerkschaft, wahr. Brecht hatte damals nicht die Illusion, später dann ein Linker, der der illegalen die so viele unserer Freunde gehabt hatten, Gruppe „Neu Beginnen“ angehört hat, die dass man, um Kontakt mit den Arbeitern – wenigstens vorübergehend – leninistische zu haben, in die Fabrik gehen müsse. Vor Organisationsmethoden akzeptiert hat. Paul allem hatte er diese Illusion nicht für seine Hertz also war hier in Los Angeles, wo er eigenen Kinder. Und ich denke eigentlich seinen Sohn hatte, als Refugee, und wir hat- auch, dass das richtig war. Hier war er also ten ziemlich engen Kontakt mit ihm. Paul absolut realistisch. Wir alle glaubten, nicht Hertz, mit dem wir also sehr häufig dis- wahr, dass man, um mit Arbeitern Verbin- kutierten, und der ein eminentes Wissen dung zu haben, um Arbeiter verstehen zu nicht nur über die Weimarer Verhältnisse können, mit Arbeitern Verbindung haben hatte, über die Geschichte der Arbeiterbe- müsse. Das ist sicher richtig. Aber es ist wegung vor Hitler, sondern auch ein ganz wahrscheinlich nicht sehr fruchtvoll, wenn ausgezeichneter Nationalökonom war, der man in die Fabrik geht. [Mehrfaches Knac- viel vom Marxismus wusste. Den hatten wir ken, Stimme und Atmosphäre verändert] eingeladen einmal zum Abendessen, mit Brecht zusammen, in der Erwartung, dass Well, I … ich hab versucht, also zu erklä- beide über die Zeiten, die sie bewusst erlebt ren, … zunächst möchte ich mich mal ent- haben – beide sind also aufgewachsen in der schuldigen. Wir haben Schwierigkeiten ge- Zeit nach 1918 als bewusste deutsche Sozia- habt mit dem Tonband, so dass, wenn sich listen oder deutsche Oppositionelle – dass irgendwo Wiederholungen ergeben, nicht sie also uns erzählen sollten, uns, die wir viel wahr, so hängt das damit zusammen, dass jünger waren, wie sich die Dinge damals zu- wir am nächsten Tag erst versucht haben, getragen hatten. Hinzu kommt noch, dass wieder die zweite Seite zu besprechen und wir erwartet hatten, dass Brecht seine poli- es dadurch möglich ist, dass sich gewisse tische Meinung, die er eigentlich sonst sehr Wiederholungen zeigen, die wir schon im sehr häufig und sehr sehr intensiv zu ver- ersten besprochen haben. Ich bitte deshalb treten pflegte, äußern würde und dass es zu um Entschuldigung. Ok. [Hintergrundge- einer richtiggehenden Diskussion über die räusche] Weimarer Verhältnisse zwischen Brecht und Hertz kommen würde. 16 Dreigroschenheft 3/2019
Nun, beide saßen bei Tisch, haben sich das Gewerkschaften, allerdings ganz auf dem Brecht International Essen sehr gut schmecken lassen und ha- rechten Flügel, und eingestellt auf soziale ben also auch über die Weimarer Verhält- Errungenschaften. An diesem Abend hatten nisse diskutiert. Zu unserem Leidwesen al- wir Brecht auch eingeladen und haben ge- lerdings nicht über politische Verhältnisse. meint, dass es da auch zu Auseinanderset- Brecht sprach da übers Weimarer Theater, zungen kommen würde, vor allem mit die über die Schauspieler, über die kulturellen pragmatische Arbeit, die man unter Arbei- Verhältnisse, und Hertz eigentlich auch. tern leisten könne und die Brecht eigentlich Beide zusammen gingen wie eine Katze im Allgemeinen abgelehnt hat. Nun – es ist um den heißen Brei um die Gegensätze nicht dazu gekommen. König sprach sehr herum, die sie eigentlich getrennt haben. viel von seinen Gewerkschaftserfahrungen, Sie haben beide kaum erwähnt, dass es Ge- und Brecht war sehr vergnügt und hat eine gensätze zwischen Kommunisten und Sozi- ganze Menge von Dingen sich aufgeschrie- aldemokraten gegeben hat, sie haben auch ben über die Verhältnisse, über die Arbeit, kaum erwähnt, was die Voraussetzungen über die Dinge, die also Arbeiter betreffen für die Machtergreifung der Nazis waren. und die ihm offenbar vollkommen unbe- Hingegen haben sie sich sehr intensiv mit kannt gewesen sind. Nun, König sprach den den kulturellen Angelegenheiten und kultu ganzen Abend von den Forderungen der rellen Problemen der Weimarer Republik Arbeiter, und ich erinnere mich ganz deut- befasst, die an sich sehr interessant waren, lich an eine einzige Szene, weil ich sie dann aber keineswegs befriedigend für die, nicht wieder in Brechts Schweyk im Zweiten Welt- wahr, die erwartet hatten, dass sie einiges krieg wiedergefunden habe. König erzählte über die Verhältnisse hören würden, die es also von den Vorkriegsverhältnissen in der damals also im Vorkriegsdeutschland gege- Österreichisch-Ungarischen Monarchie ben hatte. und auch von der Macht, die schon damals die Arbeiter gehabt haben, vor allem die An sich war der Abend ein sehr netter, sehr Eisenbahner, die sehr gut organisiert wa- lieber Abend und eine ganz große Enttäu- ren. König, der Mitte der Siebzig, vielleicht schung, aus politischen Gründen. Ah, viel- nahe der Achtzig gewesen ist damals, hat leicht sollte noch nebenbei erwähnt wer- also davon erzählt, dass in einer Zeit, in der den, dass meine Frau, Poldi also, ein Essen die Arbeiter Lohnforderungen erhoben ha- vorbereitet hatte, das im Wesentlichen ein ben, diese Lohnforderungen nicht bewilligt europäisches Essen war, und sie voller Stolz wurden und die Zeiten so schlecht waren zu Brecht gemeint hätte, sie hätte heute und eine Krisenzeit es gegeben hat, in der zum ersten Mal auch einiges beim Kochen man also Lohnforderungen einfach nicht versucht. Wobei Brecht schmunzelte, und befriedigt bekommen konnte, weil also an das erinnere ich mich noch sehr genau, einfach das Geld nicht da war. Trotzdem und gemeint hätte, bin doch sehr sehr dafür haben die Arbeiter zwar nicht beschlossen für alle möglichen Experimente im Theater. zu streiken, weil der Streik also damals sehr Aber ich bin nicht dafür für Experimente gefährlich war, sie haben bloß beschlossen, im Kochen. [Knacken] alle Regeln, alle Voraussetzungen zu erfül- len, die in der Betriebsordnung festgelegt Ein zweites Mal hatten wir zum Abendessen wurden. Und an dem Tag, an dem sie das eingeladen Berthold König. Berthold König getan haben und nur das getan haben, was war also einer der Führer der Eisenbahner- in der Betriebsordnung festgelegt wurde, gewerkschaft in Österreich, ein alter und standen in 24 Stunden alle Lokomotiven in sehr sehr pragmatischer Gewerkschafts- der ganzen – in der großen österreichisch- funktionär, ein Sozialist wie alle in den ungarischen Monarchie still. Was es gewe- Dreigroschenheft 3/2019 17
sen ist – und das hat Brecht mit großem ge vorbei. In der Zwischenzeit sind viele Brecht International Schmunzeln, mit Schmunzeln akzeptiert Dinge vergessen und verloren gegangen, – war einfach, dass die Arbeiter ein ganz und Brecht, der ja 1947 oder 48 Amerika großes Stück Intelligenz verwenden müs- verlassen hat, das ist also jetzt vor etwa 22 sen, um diese Regeln, die also schwarz auf Jahren, nicht wahr, – wir haben also eigent- weiß niedergeschrieben wurden, zu inter- lich schon viel vergessen von den Dingen, pretieren. Tatsache ist, dass, wenn man nur die sich damals ereignet haben. Ein paar mit Papierverordnungen irgendeinen Be- Dinge sind mir noch im Gedächtnis haften trieb aufrechterhalten will, man es nur tun geblieben. kann, wenn die Menschen, die dabei sind, auch die Dinge mit einem gewissen spirit, Kommunistisches Manifest mit einem gewissen Geist erfüllen. Wie ge- sagt, Brecht hat Schweyk im Zweiten Welt- Brecht hat das Kommunistische Manifest krieg das erwähnen lassen, nicht wahr, um einmal in Verse fassen wollen und hat es zu zeigen, wie sehr unmöglich es ist, nicht auch zum Teil getan. Ich denke, dieses Kom- wahr, ohne die menschliche Anteilnahme munistische Manifest ist niemals vollendet Dinge zu tun und Arbeit zu erfüllen. worden, und Brecht hat es also dann auch – denke ich – stehen gelassen. Den Grund da- Ich denke da auch sehr häufig, nicht wahr, für kenne ich nicht. Ich will darüber einiges an die große Hilfe, die Helli Brecht gegeben erzählen. Wir sind eines Abends eingeladen hat. Helli war also eine ausgezeichnete Kö- worden zu Brechts, eine Reihe von Leuten, chin. Sie hat also wunderbar gekocht, das an die ich mich jetzt nicht mehr genau er- Haus war ein offenes Haus, in das wir zu innere, enge Freunde Brechts, die also ihm jeder Tages- und fast zu jeder Nachtzeit auch politisch nahe gestanden sind, und kommen konnten, besonders meine Frau, auch ich, ausnahmsweise, da Brecht wusste, die also Ärztin war und häufig bei ihnen in dass ich Marxist war. Und wollte uns das der Nähe zu tun hatte, hatte einen Schlüssel Kommunistische Manifest, das er also in und hatte die Gelegenheit und die Möglich- Verse gebracht hat, den Beginn der ersten keit, in das Haus hineinzugehen und, wenn paar Kapitel vorlesen. Hat er auch getan sie wollte und niemand zu Hause war, sich und hat dann nachher wie schon so oft um etwas aus dem Eisschrank hinauszuholen Kritik gebeten. Als ich an die Reihe kam, und etwas zu essen. Es war also an sich ein habe ich glaube ich als Einziger damals ge- sehr inniges Verhältnis, und ich denke auch meint, dass Marx‘ Sprache so luzid, so klar an eine eigenartige Beziehung, die damit war, und so schön war, und so eindrucks- zusammenhängt, dass man sich gegen- voll war, dass man eigentlich daran nichts seitig braucht. Helli hat einmal den Witz verbessern konnte. Dass das Kommuni- gemacht, sie bekommt Rezepte von mei- stische Manifest als ein Dokument, nicht ner Frau für die Krankheiten, meine Frau wahr, ein großartiges Dokument war, und bekommt Küchenrezepte, und da die Helli dass man das Kommunistische Dokument eine ausgezeichnete Köchin war, so einen nicht unbedingt in Verse fassen müsste, da gegenseitigen Austausch von verschieden- Verse an sich, nicht wahr, nicht sehr viel artigen Rezepten hat es da gegeben. [Knac- gelesen werden und vor allem von denen ken] nicht gelesen werden, von den Arbeitern, an die sie gerichtet waren. Und hab also Ich muss mich entschuldigen, dass die Din- dann gemeint, es wäre eigentlich ziemlich ge einigermaßen unzusammenhängend unnötig, das Kommunistische Manifest in erzählt werden. Die Art der Besuche oder Verse zu fassen. Es ist auch nie vollendet die Emigration Brechts ist schon lange lan- worden, und obwohl ich nicht glaube, dass 18 Dreigroschenheft 3/2019
es stimmt, aber meine Eitelkeit, nicht wahr, ist mit uns ausgegangen, und wenn wir aus- Brecht International würde beinahe sagen, dass ich möglicher- gefahren sind, ist mit uns gefahren. Er hat- weise einen gewissen Einfluss darauf gehabt te damals eine kleine Freundin, ich denke: hab und möglicherweise Brecht beeinflusst ein 18-jähriges Mädchen, nicht wahr, das er habe. Ich kann’s nicht recht glauben, aber entweder sitzen gelassen hat oder so, jeden- man möchte gerne die Dinge wahr haben. falls, er hat … er ist damals einer unserer besten Freunde geworden, mit dem wir ei- Wie überhaupt auch in dem Zusammen- gentlich ganz ganz oft zusammengekom- hang ich sagen möchte, dass wenn Brecht men sind, nicht wahr, der also trotzdem über den politischen Einfluss des Theaters … er hat uns zu Filmen mitgenommen, in gesprochen hat, nicht wahr, denke ich, ei- denen seine Musik also verwendet wur- nen großen Fehler begangen hat. Theater in de, und wir haben ihn eigentlich bis zum vielen Ländern war fast immer eine Sache, letzten Tag, nicht wahr, haben wir Dessau die von der Elite getragen wurde. Die Thea- immer wieder gesehen und mit ihm gespro- ter haben immer nur einen ganz ganz klei- chen. Dessau war kein politischer Mensch, nen Teil von Menschen erfasst und kaum er hat seine kommunistische Überzeugung beeinflusst, denke ich, nicht wahr, ganz anders vertreten als Brecht. Brecht hatte wenig. Und weniger noch jetzt in diesen niemals gemeint, er wäre ein Partei … ein Zeiten als je zuvor, in Zeiten von television. kommunistischer Parteimann gewesen. Und ich glaube daher auch, dass Brecht, Dessau hat das immer wieder betont, dass wenn er von revolutionärem Theater ge- er der Kommunistischen Partei angehöre, sprochen hat, sich nie bewusst war, wie dass er mit allen Dingen einverstanden sei klein der Einfluss des Theaters war, nicht und so weiter. Wir haben dann später von wahr. Seine Spezialität, das ist natürlich das Dessau nur einmal noch gehört, als er uns Privileg, das Menschen haben, nicht wahr, aus Frankreich über die schlimme Politik zu glauben, dass die Dinge, die sie tun, be- der Sozialisten in Frankreich einen langen sonders wichtig sind. Das hat auch er ge- Brief geschrieben hat. [Knacken] tan. Ich denke nur, dass man also nicht in denselben Fehler verfallen soll, wenn man Geschenke nicht ein Theatermann ist, und mit ihm, nicht wahr, diesen ungeheuren Einfluss des Bei Brecht wurde auch Weihnachten gefei- Theaters, den er immer wieder betont hat, ert, so eigenartig es klingt, und die Freunde auch akzeptieren soll. Brechts, und wir auch, wurden jedes Jahr mit Weihnachtsgeschenken bedacht. Eines Paul Dessau der Weihnachtsgeschenke, an das ich mich erinnern kann, war eines der rührendsten, Ich möchte auch noch etwas anderes sagen. an die wir uns erinnern. Brecht hatte eine Wir sind indirekt durch Brecht Dessau nahe kleine copy eines Breughelbildes hängen, gekommen, oder Dessau eigentlich uns. und wir hatten gemeint, dass es eine beson- Wir haben Dessau, Paul Dessau bei Brecht ders schöne copy ist, worauf er uns erzählte kennengelernt, und eines Tages, nicht wahr, … worauf Brecht das Bild erklärte … es ist ohne, wie das so üblich ist, Einladung kam das Bild nicht wahr mit Köpeln (?), die also Dessau eines spät nachts hinein und sagte, Geschenke betteln, und wir hatten gemeint, er möchte gerne etwas zu essen haben. Und wir mögen … wir möchten es gerne kaufen. in der Folge dann ist er recht häufig gekom- Am nächsten Weihnachtstisch war das Bild men und hat ohne irgendwelche formale für uns da, nicht wahr, mit einer Widmung Einladung, was uns sehr sehr recht war, hat von Brecht, von beiden Brechts. Bei einem sich zu Tisch gesetzt, hat mit uns gegessen, anderen Weihnachtsabend haben wir eine Dreigroschenheft 3/2019 19
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