Inklusion und Bildung: FÜR ALLE HEISST FÜR ALLE 2020 - Deutsche UNESCO-Kommission

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Inklusion und Bildung: FÜR ALLE HEISST FÜR ALLE 2020 - Deutsche UNESCO-Kommission
W E LT B I L D U N G S B E R I C H T – K U R Z F A S S U N G   2020

Inklusion und Bildung:
FÜR ALLE HEISST FÜR ALLE

             Organisation    Ziele für
   der Vereinten Nationen    nachhaltige
für Bildung, Wissenschaft    Entwicklung
                und Kultur
Inklusion und Bildung: FÜR ALLE HEISST FÜR ALLE 2020 - Deutsche UNESCO-Kommission
Inklusion und Bildung: FÜR ALLE HEISST FÜR ALLE 2020 - Deutsche UNESCO-Kommission
W E LT B I L D U N G S B E R IC H T – K U R Z FA S S U N G

                       2020

      Inklusion
     und Bildung:
    FÜR ALLE HEISST FÜR ALLE

           Deutsche UNESCO-Kommission, Bonn 2020
Inklusion und Bildung: FÜR ALLE HEISST FÜR ALLE 2020 - Deutsche UNESCO-Kommission
KURZFASSUNG     W E LT B I L D U N G S B E R I C H T 2 0 2 0

        Gemäß der Incheon-Erklärung und dem Aktionsrahmen zur Agenda Bildung 2030 lautet das Mandat des Weltbildungs­
        berichts: „Der Weltbildungsbericht GEMR wird der Mechanismus für das Monitoring und die Berichterstattung über
        SDG 4 sowie über Bildung in den anderen SDGs sein. […] Er wird auch über die Implementierung nationaler und
        internationaler Strategien berichten, um dazu beizutragen, alle relevanten Partner anzuhalten, Rechenschaft über
        ihre Verpflichtungen als Teil des gesamten SDG-Follow-Up und deren Überprüfung abzulegen.“ Er wird durch ein
        unabhängiges, von der UNESCO eingerichtetes Team erstellt.

        Die verwendeten Bezeichnungen und die Präsentation der Inhalte in dieser Publikation stellen keinerlei Meinungs­
        äußerung seitens der UNESCO hinsichtlich des Rechtsstatus eines Landes, eines Territoriums, einer Stadt, eines
        Gebietes, deren Behörden oder hinsichtlich von Grenzverläufen dar.

        Das Global Education Monitoring Report Team trägt die Verantwortung für die Auswahl und Präsentation der in dieser
        Publikation enthaltenen Fakten und die darin zum Ausdruck gebrachten Meinungen, die nicht unbedingt denen der
        UNESCO entsprechen und die Organisation in keiner Weise verpflichten. Die Gesamtverantwortung für Ansichten und
        Meinungen im Bericht liegt beim Direktor des Teams.

                                      Das Global Education Monitoring Report Team
                                                           Direktor: Manos Antoninis

                     Daniel April, Bilal Barakat, Madeleine Barry, Nicole Bella, Erin Chemery, Anna Cristina D’Addio,
                      Matthias Eck, Francesca Endrizzi, Glen Hertelendy, Priyadarshani Joshi, Katarzyna Kubacka,
                      Milagros Lechleiter, Kate Linkins, Leila Loupis, Kassiani Lythrangomitis, Alasdair McWilliam,
                          Anissa Mechtar, Claudine Mukizwa, Yuki Murakami, Carlos Alfonso Obregón Melgar,
                       Judith Randrianatoavina, Kate Redman, Maria Rojnov, Anna Ewa Ruszkiewicz, Will Smith,
                                    Laura Stipanovic, Morgan Strecker, Rosa Vidarte und Lema Zekrya.

                          Fellows: Madhuri Agarwal, Gabriel Badescu, Donny Baum und Enrique Valencia-Lopez

        Der Global Education Monitoring Report (GEMR) ist eine unabhängige jährliche Veröffentlichung. Er wird durch
        mehrere Regierungen, multilaterale Organisationen und private Stiftungen finanziert und durch die UNESCO
        unterstützt und gefördert:

                                                                                                                                       MINISTÈRE
                                                                                                                                  DE L’EUROPE ET DES
                                                                                                                                 AFFAIRES ÉTRANGÈRES

                                                                                                 Organización     Objetivos de
                                                                                       de las Naciones Unidas     Desarrollo
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                                                                                        la Ciencia y la Cultura

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Global Education Monitoring Report 2020.                       Bibliographische Informationen der Deutschen
Inclusion and education: All means all. Summary.               Nationalbibliothek:
Deutsche Übersetzung                                           Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
                                                               Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;
Herausgegeben von                                              detaillierte bibliographische Angaben sind im Internet
                                                               abrufbar unter: http://dnb.d-nb.de
United Nations Educational, Scientific and Cultural
Organization (UNESCO)                                          Weitere Informationen zum Global Education Monitoring
7, place de Fontenoy, 75352 Paris 07 SP                        Report 2020 erhalten Sie über:
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und                                                            UNESCO, 7, place de Fontenoy
                                                               75352 Paris 07 SP, France
Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (DUK)                         Email: gemreport@unesco.org
Martin-Luther-Allee 42, 53175 Bonn                             Tel.: +33 1 45 68 07 41
                                                               www.unesco.org/gemreport
Verantwortlich:                                                https://gemreportunesco.wordpress.com
Dr. Philipp Disselbeck (DUK)
                                                               © UNESCO, 2020
Redaktion:                                                     Erste Auflage
Dr. Philipp Disselbeck, Dr. Carolin Butler Manning,
Philip Schimpf (DUK)                                           Titelfoto: Jenny Matthews (Panos)
                                                               Illustrationen: FHI 360 und Anne Derenne
Übersetzung: Hella Rieß, www.hellariess.de                     Grafikdesign: FHI 360

Die deutsche Kurzfassung ist online zugänglich unter:          Auf dem Titelfoto sind seilspringende Schülerinnen und Schüler
http://www.unesco.de/bildung/weltbildungsbericht.html          an der Grundschule St. Pius in Sierra Leone zu sehen.

Mit zusätzlichem Material ist die englische Kurzfassung online zugänglich unter: http://bit.ly/2020gemreport
Dort werden alle nach dem Druck festgestellten Fehler oder Auslassungen korrigiert.

Soweit möglich wurden im Text gender-neutrale Begriffe verwendet.
Wenn dies nicht möglich war, wurde aus Gründen der Lesbarkeit die maskuline Form gewählt.

ISBN: 978-3-947675-00-5

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Vorwort
Noch nie war es so wichtig, Bildung zu einem universellen Recht und zu einer Realität für alle zu machen. Unsere
sich rasch verändernde Welt steht vor anhaltenden großen Herausforderungen – von technologischer Disruption
bis hin zu Klimawandel, Konflikten, erzwungenen Wanderungsbewegungen, Intoleranz und Hass –, die die
Ungleichheiten weiter vergrößern und sich auf Jahrzehnte hinaus auswirken. Die COVID-19-Pandemie hat diese
Ungleichheiten weiter verstärkt und die Zerbrechlichkeit unserer Gesellschaften neuerlich offengelegt. Mehr
denn je haben wir eine kollektive Verantwortung, die am meisten benachteiligten Menschen zu unterstützen,
um dazu beizutragen, dass gesellschaftliche Bruchlinien abgebaut werden, die seit langer Zeit bestehen und die
unsere gemeinsame Humanität bedrohen.

Im Lichte dieser Herausforderungen sind die Botschaften des Weltbildungsberichts 2020 zur Inklusion in der
Bildung umso eindringlicher. Der Bericht warnt davor, dass die Bildungschancen nach wie vor ungleich verteilt
sind. Die Barrieren für eine hochwertige Bildung sind für zu viele Lernende noch immer zu hoch. Bereits vor
COVID-19 war unter Kindern und Jugendlichen 1 von 5 von Bildung vollkommen ausgeschlossen. Stigmatisierung,
Stereotypisierung und Diskriminierung führen dazu, dass Millionen weitere Kinder und Jugendliche in ihren
Klassenräumen ausgegrenzt werden.

Die derzeitige Krise wird die verschiedenen Formen der Exklusion weiter verstetigen. Mehr als 90 Prozent der
Lernenden weltweit sind aufgrund von COVID-19 von Schulschließungen betroffen – damit befindet sich die
Welt inmitten einer historisch beispiellosen Erschütterung der Bildung. Durch die soziale und digitale Spaltung
sind jene Menschen, die am stärksten benachteiligt sind, dem Risiko von Lernverlusten und Schulabbrüchen
ausgesetzt. Vergangene Erfahrungen – wie z. B. im Zusammenhang mit Ebola – haben gezeigt, dass
Gesundheitskrisen viele Menschen zurücklassen können, insbesondere die ärmsten Mädchen, von denen viele
vielleicht nie wieder in die Schule zurückkehren werden.

Die zentrale Empfehlung dieses Berichts an alle Bildungsakteure, ihr Verständnis von inklusiver Bildung zu
erweitern, um alle Lernenden zu inkludieren, unabhängig von ihrer Identität, ihrem Hintergrund oder ihren
Fähigkeiten, kommt nun, da die Welt versucht, die Bildungssysteme bei ihrem Wiederaufbau inklusiver zu
gestalten, zu einem passenden Zeitpunkt.

Dieser Bericht identifiziert verschiedene Formen der Exklusion, wie sie verursacht werden und was wir dagegen
tun können. Er ist ein Aufruf zum Handeln, den wir befolgen sollten, wenn wir den Weg ebnen für resilientere
und gleichberechtigtere Gesellschaften in der Zukunft. Ein Aufruf, bessere Daten zu sammeln, ohne die wir das
wahre Ausmaß des Problems nicht verstehen oder messen können. Ein Aufruf, politische Vorgaben weitaus
inklusiver zu gestalten, und zwar auf der Grundlage von Beispielen effektiver Vorgaben, die bereits in Kraft sind,
sowie durch Zusammenarbeit, um intersektionelle Benachteiligungen anzugehen, so wie wir gesehen haben,
zu welcher Zusammenarbeit Ministerien und Regierungsstellen in Bezug auf COVID-19 fähig waren.

Nur wenn wir aus diesem Bericht Lehren ziehen, können wir verstehen, welchen Weg wir in Zukunft einschlagen
müssen. Die UNESCO ist bereit, den Staaten und der Bildungsgemeinschaft zu helfen, so dass wir gemeinsam
die Bildung entwickeln können, die die Welt so dringend benötigt und die gewährleistet, dass Lernen niemals
aufhört.

Um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, ist die Umsetzung des Ziels einer zunehmend inklusiven
Bildung nicht verhandelbar – Untätigkeit ist keine Option.

                                                                                                    Audrey Azoulay
                                                                                      Generaldirektorin der UNESCO

                                                                                                                            7
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Vorwort
Bildung leistet einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau inklusiver und demokratischer Gesellschaften, in denen
unterschiedliche Meinungen frei geäußert werden können und das breite Spektrum an Stimmen gehört werden kann
– im Streben nach sozialem Zusammenhalt und in Wertschätzung der Vielfalt.

Der diesjährige Weltbildungsbericht erinnert uns daran, dass Bildungssysteme immer nur in dem Maße inklusiv sind,
wie sie von ihren Machern erschaffen werden. Benachteiligung kann durch diese Systeme und ihre Kontexte erzeugt
werden. Sie besteht dort, wo die Bedürfnisse von Menschen nicht berücksichtigt werden.

Inklusion in der Bildung bedeutet sicherzustellen, dass sich jede und jeder Lernende wertgeschätzt und respektiert
fühlt und ein unmissverständliches Zugehörigkeitsgefühl genießen kann. Diesem Ideal stehen jedoch viele Hürden
im Weg. Durch Diskriminierung, Stereotypisierung und Entfremdung werden viele Menschen ausgeschlossen. Diese
Ausgrenzungsmechanismen sind im Wesentlichen identisch, unabhängig von Geschlecht, Wohnort, Wohlstand,
Behinderung, ethnischer Zugehörigkeit, Sprache, Migrations- oder Vertriebenenstatus, sexueller Orientierung, Haft,
Religion oder anderen Überzeugungen und Einstellungen.

Der Bericht erinnert uns an anhaltende und bestürzende Disparitäten in der Bildung, auch bei der Gewährleistung des
Zugangs zu Bildung für alle Menschen, was die Grundlage von Inklusion sein sollte. Der Ansatz „Für alle heißt für alle“
bedeutet aber auch, auf stigmatisierende Etikettierungen, mit denen Kinder gekennzeichnet werden, zu verzichten.
Der Einsatz von Lernansätzen, die auf solchen Etikettierungen beruhen, beschränkt das Potenzial der Lernenden und
ignoriert die Vorteile, die unterschiedliche Lernansätze für alle Kinder mit sich bringen können.

Deshalb ist es entscheidend, wie Bildungssysteme konzipiert werden. Dabei können die Länder selbst entscheiden,
was bei der Bewertung der Frage zählt, ob ihre Bildungssysteme auf dem richtigen Weg sind oder nicht. Sie können sich
dazu entschließen, Inklusion scheibchenweise anzugehen, oder sie können alle Herausforderungen frontal anpacken.

Das Ideal einer vollkommenen Inklusion zu erreichen, bringt Schwierigkeiten und Spannungen mit sich. Der Übergang
von dem heutigen Zustand hin zu Systemen, die den Bedürfnissen aller Lernenden gerecht werden, einschließlich
jener mit schweren Behinderungen, ist keine kleine Leistung und unter Umständen sogar unmöglich. Dieser Bericht
leugnet nicht, dass das Ideal einer vollkommenen Inklusion auch Nachteile haben kann. Gut gemeinte Anstrengungen
für mehr Inklusion können in einen Konformitätszwang umschlagen, Gruppenidentitäten verringern, Sprachen
verdrängen. Eine ausgeschlossene Gruppe im Namen der Inklusion anzuerkennen und ihr zu helfen, könnte sie
gleichzeitig marginalisieren. Es gibt darüber hinaus Herausforderungen bezüglich der Entscheidung über die
Geschwindigkeit der Veränderungen – sei es für reichere Länder, die von Systemen abkehren wollen, die ursprünglich
auf Segregation beruhten, oder für ärmere Länder, die ein inklusives System von Grund auf neu schaffen wollen.

Ungeachtet der Anerkennung dieser Herausforderungen, hinterfragt der Bericht die Notwendigkeit einer Recht­
fertigung für das Anliegen einer inklusiven Bildung. Er argumentiert, dass eine Debatte über die Vorteile inklusiver
Bildung zu führen, als gleichbedeutend mit einer Debatte über die Vorteile der Abschaffung der Sklaverei oder der
Apartheid betrachtet werden kann. Inklusive Bildung ist ein Prozess, kein Endpunkt. Viele Veränderungen auf diesem
Weg sind kostenlos: in Bezug auf das Handeln von Lehrkräften, das Leitbild, welches Schulleiterinnen und Schulleiter
für ihre Lernumgebungen schaffen, die Schulwahl durch Familien und unsere Entscheidung, was wir als Gesellschaft
für unsere Zukunft wollen.

Inklusion ist nicht nur ein Thema für politische Entscheidungsträger. Inklusion wird niemals funktionieren, wenn sie
von oben herab verordnet wird. Deshalb wird Ihnen als Leserinnen und Leser im Weltbildungsbericht 2020 die Frage
gestellt, ob Sie bereit sind, gegenwärtige Denkmuster zu hinterfragen und anzuerkennen, dass Bildung für jeden
einzelnen Menschen da ist und dass sie danach streben muss, für alle Menschen inklusiv zu sein.

                                                                                                     Helen Clark
                                                        Vorsitzende des Advisory Boards des Weltbildungsberichts

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     KERNAUSSAGEN
     Identität, Herkunft und Befähigung bestimmen Bildungschancen.
     In allen Ländern, außer denen mit hohem Einkommen in Europa und Nordamerika, schließen im Verhältnis zu 100 der reichsten
     Jugendlichen nur 18 der ärmsten die Sekundarschule ab. In mindestens 20 Ländern, vorrangig in Subsahara-Afrika, schließt kaum
     eine arme und junge Frau aus dem ländlichen Raum überhaupt die Sekundarschule ab.

     Von Exklusion bedrohte Lernende sind in ähnlicher Weise von Diskriminierungs-, Stereotypisierungs- und
     Stigmatisierungsmechanismen betroffen.
     Zwar verfügen 68% der Länder über eine Definition von inklusiver Bildung, doch nur 57% dieser Definitionen beinhalten mehrere
     marginalisierte Gruppen.

     Trotz Fortschritten erheben, melden oder nutzen viele Länder noch immer keine Daten zu jenen, die zurückgelassen werden.
     Seit 2015 haben 41% der Länder, in denen 13% der Weltbevölkerung leben, noch keine öffentlich verfügbare Haushaltserhebung durch-
     g­eführt, um disaggregierte Daten1 zu den zentralen Bildungsindikatoren zu erlangen. Nordafrika und Westasien ist dabei die Region
     mit der geringsten Datenverfügbarkeit. Neueste Daten aus 14 Ländern, die mit dem Kurzfragebogen der „Washington Group on
     Disability Statistics“ arbeiteten, ergeben, dass Kinder mit Behinderungen 15% all jener Kinder ausmachen, die keine Schule besuchen.

     Millionen haben keine Bildungschancen.
     In Ländern mit mittlerem Einkommen besuchen nur drei Viertel der 15-Jährigen noch die Schule, trotz eines Anstiegs um
     25 Prozentpunkte in den vergangenen 15 Jahren. Davon erlangt nur die Hälfte Grundkenntnisse – diese Quote hat sich im
     gesamten Zeitraum nicht verändert. Zudem überschätzen viele Erhebungen die Fähigkeiten der Lernenden: In einer regionalen
     Erhebung von 15 lateinamerikanischen Ländern wurde drei Vierteln der Lernenden, die auf Multiple-Choice-Fragen nur zufällig
     geratene Antworten geben konnten, Lesekompetenz bescheinigt.

     Ein wesentliches Hindernis für Inklusion in der Bildung ist die mangelnde Überzeugung, dass sie möglich und
     wünschenswert ist.
     2018 berichtete ein Drittel der Lehrkräfte in 43 Ländern mit mehrheitlich höherem mittlerem und hohem Einkommen,
     dass sie ihren Unterricht nicht an die kulturelle Vielfalt von Schülerinnen und Schülern anpassen.

     Obwohl sich einige Länder auf den Weg machen hin zu einem inklusiven Bildungssystem, überwiegt nach wie vor Segregation.
     In Fall von Lernenden mit Behinderungen ist in 25% der Länder (allerdings über 40% in Asien sowie in Lateinamerika und der
     Karibik) Bildung in getrennten Lernumgebungen gesetzlich vorgeschrieben, in 10% der Länder Integration und in 17% Inklusion.
     Alle übrigen entscheiden sich für Kombinationen aus Segregation und gemeinsamem Unterricht. In den OECD-Ländern besuchen
     mehr als zwei Drittel aller Lernenden mit Migrationshintergrund Schulen, in denen mindestens die Hälfte der Lernenden einen
     Migrationshintergrund hat.

     Finanzierung muss den Bedürftigsten zugutekommen.
     In 32 OECD-Ländern besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass an sozioökonomisch benachteiligten Schulen geringer qualifizierte
     Lehrkräfte zum Einsatz kommen. In Lateinamerika wurde der Bildungsstand seit 1990 durch Conditional Cash Transfer-Programme
     (CCT) um 0,5 bis 1,5 Jahre gesteigert. Ein Viertel der Länder verfügt über irgendeine Art von Förderprogrammen für benachteiligte
     Gruppen, um marginalisierte Menschen beim Zugang zu tertiärer Bildung zu unterstützen. Etwa 40% der Länder mit niedrigem und
     niedrig-mittlerem Einkommen haben während der COVID-19-Krise keine Maßnahmen zur Unterstützung der von Exklusion bedrohten
     Lernenden ergriffen.

     Lehrkräfte, Lehrmaterialien und Lernumgebungen ignorieren häufig die Vorteile von Vielfalt.
     Etwa 25% der Lehrkräfte in 48 Bildungssystemen berichten von einem hohen Bedarf an beruflicher Weiterbildung im Bereich
     des Unterrichts für Lernende mit besonderen Bedürfnissen. Nur 41 Länder weltweit erkennen die Gebärdensprache als offizielle
     Sprache an. In Europa thematisieren 23 von 49 Ländern sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität nicht explizit in ihren
     Lehrplänen.

     1 Disaggregation bezeichnet die Aufschlüsselung von statistischen Daten nach bestimmten Merkmalen in unterschiedliche Einzelgrößen.

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D    ie Verpflichtung des vierten Zieles für nachhaltige          Was wir alle gemeinsam haben, sind unsere Unterschiede
     Entwicklung (Sustainable Development Goal 4, SDG 4),            Von    100 Kindern …
„inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung” zu
gewährleisten sowie „lebenslanges Lernen für alle“ zu fördern,                           Haben diese eventuell eine Behinderung.
ist Teil der Forderung der Globalen Nachhaltigkeitsagenda
2030 der Vereinten Nationen (UN), niemanden zurückzulassen.
Die Agenda verspricht eine „gerechte, faire, tolerante, offene
                                                                                                 Von den übrigen sind diese
und sozial inklusive Welt, in der für die Bedürfnisse der am                                                 vielleicht arm.
stärksten Benachteiligten gesorgt wird“.

Soziale, ökonomische und kulturelle Faktoren können das
Erreichen von Chancengerechtigkeit und Inklusion in der
                                                                                            Von den übrigen haben diese eventuell
Bildung begünstigen oder ihm zuwiderlaufen. Bildung kann                                             besondere Lernbedürfnisse.
ein entscheidender Faktor für inklusive Gesellschaften sein,
wenn die Vielfalt Lernender nicht als Problem, sondern
als Herausforderung verstanden wird: um alle möglichen
Formen individueller Talente zu erkennen und Bedingungen
für ihre Entfaltung zu schaffen. Leider werden benachteiligte                                             Von den übrigen sind diese
                                                                                                                   vielleicht LGBTI.
Gruppen durch mehr oder weniger subtile Entscheidungen
von Bildungssystemen ferngehalten oder daraus verdrängt.
Dies führt zur Exklusion von Lehrplänen, zu irrelevanten
Lernzielen, Stereotypisierung in Lehrbüchern, Diskriminierung
bei der Ressourcenverteilung und der Leistungsbeurteilung,            Von den übrigen könnten diese Migranten, im Heimatland
zur Tolerierung von Gewalt sowie zu einer Vernachlässigung            Vertriebene oder Flüchtlinge sein.
von Bedürfnissen.

Kontextabhängige Faktoren – wie Politik, Ressourcen und
Kultur – können den Anschein erwecken, dass die Herausfor­            Von den übrigen gehören diese eventuell einer
derungen bei der Inklusion je nach Land oder Gruppe variieren.     ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheit
                                                                            oder einer indigenen Gruppe an.
In Wirklichkeit ist die Herausforderung jedoch dieselbe, un­ab­
hängig vom Kontext. Bildungssysteme müssen jede Lernen­de
und jeden Lernenden mit Würde behandeln, um Barrieren zu
überwinden, höhere Abschlüsse zu erreichen und den Lernpro­
                                                                                             Von den übrigen leben diese vielleicht
zess zu verbessern. Die Systeme müssen damit aufhören,                                        in abgelegenen ländlichen Gebieten.
Lernende zu etikettieren – eine Praxis, die unter dem Vorwand
der Erleichterung von Planung und Zielerfüllung im Bildungs­
bereich angewandt wird. Inklusion kann nicht erreicht werden,
wenn jeweils nur eine Gruppe angesprochen wird (Abbildung 1).                                          Von den übrigen könnten
Lernende haben zahlreiche, sich überschneidende Identitäten.            diese einer anderen marginalisierten Gruppe angehören,
Zudem gibt es kein Einzelmerkmal, das mit einer prädeter­                                 zum Beispiel einer Ethnie oder Kaste.
minierten Lernfähigkeit verbunden ist.

INKLUSION IN DER BILDUNG IST IN
                                                                               Von den übrigen sind diese vielleicht Mädchen.
ERSTER LINIE EIN PROZESS
Inklusion meint alle. Inklusive Bildung wird gemeinhin mit den
Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen und dem
Zusammenhang von allgemeinem Unterricht und besonderer            Von den übrigen sind diese möglicherweise übergewichtig,
Förderung assoziiert. Seit 1990 haben die Anliegen von            depressiv, müssen nach der Schule arbeiten, haben ihre
Menschen mit Behinderungen die globale Sicht auf Inklusion        Schulbildung unterbrochen, sind Waisen, straffällig geworden,
in der Bildung geprägt, was zur Anerkennung des Rechts            Linkshänder, leiden an Asthma oder Allergien…
auf inklusive Bildung in Artikel 24 des Übereinkommens
der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention,
UN-BRK) von 2006 geführt hat. Inklusion umfasst jedoch
                                                                                            Und das letzte Kind?          Hallo!
                                                                                            Das ist neu hier!
KURZFASSUNG             W E LT B I L D U N G S B E R I C H T 2 0 2 0

     mehr, wie 2016 in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 4 zu diesem Artikel anerkannt wurde. Dieselben Mechanismen schließen
     nicht nur Menschen mit Behinderungen aus, sondern auch andere Menschen – aufgrund von Geschlecht, Alter, Wohnort,
     Armut, ethnischer Zugehörigkeit, Indigenität, Sprache, Religion, Migrations- oder Vertriebenenstatus, sexueller Orientierung
     oder geschlechtlicher Identität, Haft, Überzeugungen und Einstellungen. Es sind das System und der Kontext, welche die
     Diversität und die Vielfalt von Bedürfnissen nicht berücksichtigen, wie auch die COVID-19-Pandemie offenbart hat. Es sind die
     Gesellschaft und die Kultur, die Regeln bestimmen, Normalität definieren und Unterschiede als Abweichungen wahrnehmen.
     Das Konzept der Barrieren für Teilhabe und Lernen sollte das Konzept der besonderen Bedürfnisse ablösen.

     Inklusion ist ein Prozess. Inklusive Bildung ist ein Prozess, der zum Erreichen des Ziels der sozialen Inklusion beiträgt.
     Um chancen­gerechte Bildung zu definieren, muss zwischen „Gleichberechtigung“ und „Chancengerechtigkeit“ unterschieden
     werden. Gleichberechtigung ist ein Zustand (was): Ein Resultat, das anhand von Inputs, Outputs und Effekten festgestellt
     werden kann. Chancengerechtigkeit ist ein Prozess (wie): Es geht um Maßnahmen, die zum Ziel haben, Gleichberechtigung
     zu gewährleisten. Inklusive Bildung zu definieren ist komplizierter, da Prozess und Resultat miteinander verschmolzen sind.
     Dieser Bericht tritt dafür ein, Inklusion als Prozess zu denken: Maßnahmen, die Vielfalt in positiver Weise annehmen und ein
     Gefühl der Zugehörigkeit entstehen lassen, das in der Überzeugung wurzelt, dass jeder Mensch Wert und Potenzial hat und
     respektiert werden sollte – unabhängig von seiner Herkunft, Fähigkeit oder Identität. Doch Inklusion ist auch ein Zustand,
     der von der UN-Behindertenrechts­konvention und der Allgemeinen Bemerkung Nr. 4 nicht präzise definiert worden ist,
     wahrscheinlich aufgrund verschiedener Ansichten darüber, wie das Resultat aussehen sollte.

     INKLUSION IN DER BILDUNG ALS RESULTAT: DER ANFANG LIEGT BEI BILDUNG
     FÜR ALLE
     Armut und Ungleichheit stellen bedeutende Hemmnisse dar. Trotz Fortschritten bei der Reduktion extremer Armut,
     besonders in Asien, sind 1 von 10 Erwachsenen und 2 von 10 Kindern davon betroffen – in Subsahara-Afrika sogar 5 von
     10 Kindern. Die Einkommensungleichheit nimmt in Teilen der Welt zu, und selbst wenn sie sinkt, bleibt sie im Ländervergleich

     AB B I LD UN G 2 :
     Eine Viertelmilliarde Kinder und Jugendliche gehen nicht zur Schule
               a. Anteil an Kindern und Jugendlichen im Grundschul- und                                b. Anzahl der Kinder und Jugendlichen im Grundschul- und
              Sekundarstufenalter, die keine Schule besuchen, 1990-2018                                Sekundarstufenalter, die keine Schule besuchen, 1990-2018

                                                                                                                                               Welt, 258 Welt, 258
                                                                                                         Millionen
                                                                                           Millionen

                                                              Subsahara-Afrika,
                                                   Subsahara-Afrika, 31         31

                                                               Zentral-/Südasien,
                                                   Zentral-/Südasien, 21          21
                                                                                                                                                          Subsahara-Afrika,
                                                                                                                                               Subsahara-Afrika, 97         97
                                                   Welt, 17    Welt, 17
                                                               Nordafrika/Westasien,
                                                   Nordafrika/Westasien, 15          15
                                                               Lateinamerika/Karibik,
                                                   Lateinamerika/Karibik, 10          10                                                                   Zentral-/Südasien,
                                                                                                                                               Zentral-/Südasien, 94          94
                                                   Ozeanien, 9 Ozeanien, 9
                                                               Ost-/Südostasien,
                                                   Ost-/Südostasien, 9           9
                                                                                                                                                           Ost-/Südostasien,
                                                                                                                                               Ost-/Südostasien, 33          33
                                                              Europa/Nordamerika,
                                                   Europa/Nordamerika, 3          3                                                                        Nordafrika/Westasien,
                                                                                                                                               Nordafrika/Westasien, 17          17

     GEM StatLink: http://bitly/GEM2020_Summary_fig2
     Quelle: UIS-Datenbank.

12
W E LT B I L D U N G S B E R I C H T 2 0 2 0             KURZFASSUNG

und innerhalb der Länder unvertretbar hoch. Auch
sind die zentralen Errungenschaften gesellschaftlicher                  A B B IL DU NG 3 :
Entwicklungen un­gleich verteilt. In 30 Ländern mit                     Abhängig vom Wohlstand herrschen starke Disparitäten
                                                                        bei Anwesenheit, Abschluss und Lernergebnissen
niedrigem und mittlerem Einkommen waren 41% der
                                                                        Wohlstandsparitätsindex bei Anwesenheit, Abschluss und
Kinder unter fünf Jahren aus den ärmsten 20% der
                                                                        Mindestkompetenzen in Lesen und Mathematik, nach
Haushalte mangelernährt. Dieser Anteil ist mehr als                     Bildungsstufe, ausgewählte Länder, 2013-2017
doppelt so hoch wie bei den reichsten 20%, was ihre
Chancen, von Bildung zu profitieren, stark beeinträchtigt.                                                                                        Parität

Die Entwicklung bei der Beteiligung an Bildung stagniert.
Geschätzte 258 Millionen Kinder, Heranwachsende und
Jugendliche besuchen keine Schule – das entspricht
einem Gesamtanteil von 17% (Abbildung 2). Abhängig vom

                                                                         Wohlstandsparitätsindex
Niveau des Wohlstands sind die Ungleichheiten bei den
Anwesenheitsraten groß: In 65 Ländern mit niedrigem
und mittlerem Einkommen betrug der durchschnittliche
Unterschied bei den Anwesenheitsraten zwischen den
ärmsten und den reichsten 20% der Haushalte bei Kindern
im Grundschulalter 9 Prozentpunkte, bei Heranwachsen­
den im unteren Sekundarstufenalter 13 und bei Jugend­
lichen im oberen Sekundarstufenalter 27 Prozentpunkte.
Da die Wahrscheinlichkeit, Klassenstufen zu wiederholen
und die Schule früh zu verlassen, für die Ärmsten höher
                                                                                                        Anwesenheit    Abschluss     Lernergebnisse: Lernergebnisse:
ist, sind die Unterschiede abhängig vom Wohlstand bei                                                                                    Lesen         Mathematik
den Abschlussraten noch höher: 30 Prozentpunkte beim
Abschluss der Primarstufe, 45 in der unteren und 40 in der                                              Primarstufe   Untere Sekundarstufe      Obere Sekundarstufe
oberen Sekundarstufe.
                                                                        GEM StatLink: http://bitly/GEM2020_Summary_fig3
                                                                        Anmerkung: Die Auswahl bezieht Länder mit hohem Einkommen in Europa
Armut wirkt sich auf Anwesenheit, Abschluss und                 und Nordamerika nicht ein.
Lernchancen aus. In allen Regionen, außer Europa                Quelle: Analyse des Global Education Monitoring Report Teams, basierend
                                                                auf Haushaltserhebungen (Anwesenheit und Abschluss) und UIS-Datenbank
und Nordamerika, besuchten im Vergleich zu                      (Lernergebnisse).
100 Heranwachsenden aus den reichsten 20% der
Haushalte 87 aus den ärmsten 20% der Haushalte die
untere Sekundarstufe; 37 schlossen sie ab. Von denjenigen,
die die untere Sekundarstufe abgeschlossen haben, erreichten im Vergleich zu 100 Heranwachsenden aus den reichsten
20% der Haushalte etwa 50 aus den ärmsten 20% Mindestkompetenzen in Lesen und Mathematik (Abbildung 3). Häufig
überschneiden sich Benachteiligungen. Diejenigen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit, von Bildung ausgeschlossen zu
werden, sind auch aufgrund von Sprache, Wohnort, Geschlecht und Ethnizität benachteiligt. In mindestens 20 Ländern,
zu denen Daten vorliegen, schloss kaum eine arme und junge Frau aus dem ländlichen Raum die obere Sekundarstufe ab.

DIE AUSWIRKUNGEN INKLUSIVER BILDUNG SIND MÖGLICHERWEISE NICHT
LEICHT ZU BESTIMMEN, SIE SIND ABER KEINE ILLUSION, SONDERN REAL
Es besteht Einigkeit, dass der universelle Zugang zu Bildung eine Vorbedingung für Inklusion ist. Weniger Einigkeit
besteht jedoch in Bezug auf die Frage, was es darüber hinaus bedeutet, Inklusion in der Bildung zu erreichen – für
Lernende mit Behinderungen sowie für andere benachteiligte Gruppen, die von Exklusion bedroht sind.

Inklusion von Lernenden mit Behinderungen bedeutet mehr als nur die Gewährung eines Schulplatzes im allgemeinen
Bildungssystem. Der Fokus der UN-Behindertenrechtskonvention auf die Gewährung eines Schulplatzes im allgemeinen
Bildungssystem stellte nicht nur einen Bruch mit der historischen Tendenz dar, Kinder mit Behinderungen von Bildung
auszuschließen oder sie in speziellen Schulen zu segregieren, sondern auch mit der Praxis, sie für einen langen Zeitraum
oder die meiste Zeit in separaten Klassen unterzubringen. Inklusion umfasst jedoch viele weitere Veränderungen sowohl
in Bezug auf schulische Unterstützung als auch im Hinblick auf schulische Leitbilder. Obwohl die Konvention nicht
argumentierte, dass Sonderschulen gegen die Konvention verstoßen, weisen jüngste Berichte des UN-Fachausschusses
für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zunehmend in diese Richtung. Die UN-Konvention ließ den Regierungen

                                                                                                                                                                       13
KURZFASSUNG     W E LT B I L D U N G S B E R I C H T 2 0 2 0

        freie Hand hinsichtlich der Ausgestaltung eines inklusiven Bildungssystems und erkannte damit implizit die
        Hindernisse an, die einer vollständigen Inklusion im Wege stehen. Während einerseits die exkludierenden
        Praktiken vieler Regierungen offengelegt werden sollten, die im Widerspruch zu ihren sich aus der Konvention
        ergebenden Verpflichtungen stehen, müssen andererseits auch die Grenzen hinsichtlich der Flexibilität
        allgemeiner Schulen und Bildungssysteme anerkannt werden.

        Inklusive Bildung trägt zu einer Vielzahl von Zielen bei. Zwischen den wünschenswerten Zielen einer Maximie­
        rung der Interaktion mit anderen (alle Kinder unter einem Dach) und der Ausschöpfung von Lernpotenzialen
        (dort, wo die Lernenden am besten lernen) bestehen potenzielle Spannungen. Andere Bedenken beziehen sich
        auf die Geschwindigkeit, mit der Systeme sich einem Idealzustand annähern können, die Prozesse während einer
        Übergangsphase sowie den Konflikt zwischen einer frühen Bedarfsfeststellung und dem Risiko der Etikettierung
        und Stigmatisierung.

        Die gleichzeitige Verfolgung unterschiedlicher Ziele kann komplementär oder widersprüchlich sein. Politische
        Entscheidungsträger, Gesetzgeber und das pädagogische Personal stehen vor heiklen und kontextspezifischen
        Fragen im Zusammenhang mit Inklusion. Sie müssen sich zum einen möglicher Widerstände aufseiten
        derjenigen bewusst sein, die für den Erhalt segregierender Strukturen im Bildungssystem stehen. Zum anderen
        müssen sie sich bewusst sein, dass schnelle Veränderungsprozesse möglicherweise nicht nachhaltig sind,
        was wiederum dem Wohlergehen gerade derjenigen schaden könnte, denen das System dienen soll. Kinder mit
        Behinderungen in allgemeine Schulen aufzunehmen, die darauf nicht vorbereitet sind, keine Unterstützung
        erfahren oder nicht rechenschaftspflichtig in Bezug auf das Erreichen von Inklusion sind, kann Erfahrungen der
        Exklusion verstärken und Gegenreaktionen in Bezug auf die inklusivere Gestaltung von Schulen und Systemen
        provozieren.

        Vollständige Inklusion kann unter bestimmten Umständen auch Nachteile mit sich bringen. In einigen
        Kontexten kann Inklusion unbeabsichtigt den Druck in Richtung Konformität verstärken. Identitäten, Praktiken,
        Sprachen und Überzeugungen bestimmter Gruppen könnten abgewertet, gefährdet oder beseitigt werden,
        wodurch wiederum ein Gefühl der Zugehörigkeit geschwächt würde. Das Recht einer Gruppe, ihre Kultur
        zu schützen, sowie das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstvertretung werden zunehmend anerkannt.
        Widerstand gegen Inklusion kann in Vorurteilen begründet sein oder aber in der Erkenntnis, dass Identität
        nur dann erhalten und soziale Stärkung nur dann erreicht werden können, wenn eine Minderheit in einem
        bestimmten Gebiet eine Mehrheit darstellt. Statt positive gesellschaftliche Partizipation zu bewirken, können
        politische Vorgaben zur Inklusion unter bestimmten Umständen soziale Exklusion verschärfen. Die Exponierung
        einer Minderheit gegenüber der Mehrheit kann herrschende Vorurteile verstärken und die Benachteiligung
        von Minderheiten intensivieren. Eine gezielte Unterstützung kann auch zu Stigmatisierung und Etikettierung
        bestimmter Gruppen oder unwillkommenen Formen der Inklusion führen.

        Zur Lösung von Problemen bedarf es wirkungsvoller Teilhabe. Inklusive Bildung sollte auf Dialog, Partizipation
        und Offenheit basieren. Zwar sollten politische Entscheidungsträger und pädagogisches Personal das lang­
        fristige Ideal von Inklusion nicht kompromittieren, geringschätzen oder aus den Augen verlieren, sie sollten
        sich jedoch nicht über die Bedürfnisse und Präferenzen der Betroffenen hinwegsetzen. Fundamentale
        Menschenrechte und Prinzipien geben zwar moralisch und politisch die Richtung vor für Entscheidungen im
        Bildungssystem, dennoch ist die Realisierung eines inklusiven Idealzustandes nicht trivial. Die Bereitstellung
        ausreichend differenzierter und individualisierter Unterstützung erfordert Ausdauer, Widerstandsfähigkeit
        und eine langfristige Perspektive. Die Abkehr von einem Bildungssystem, das sich für einige Kinder eignet und
        andere zur Anpassung verpflichtet, kann nicht einfach per Dekret erfolgen. Vorherrschende Einstellungen und
        Vorstellungen müssen hinterfragt werden. Inklusive Bildung kann sich als unlösbare Aufgabe erweisen, selbst bei
        bestem Willen und höchstem Engagement. Daher plädieren manche dafür, die Ambitionen inklusiver Bildung zu
        begrenzen. Der einzige Weg nach vorn besteht jedoch im Erkennen der Barrieren und in deren Abbau.

        Inklusion bringt Vorteile. Die sorgsame Planung und Bereitstellung inklusiver Bildung kann zur Verbesserung
        akademischer Leistungen, der sozialen und emotionalen Entwicklung, des Selbstwertgefühls und der Akzeptanz
        bei Gleichaltrigen führen. Die Inklusion unterschiedlicher Lernender im gemeinsamen Unterricht und in
        allgemeinen Schulen kann Stigmatisierung, Stereotypisierung, Diskriminierung und Entfremdung verhindern.
        Darüber hinaus bestehen potenzielle Effizienzgewinne durch die Abschaffung paralleler Strukturen und

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die effizientere Nutzung von Ressourcen in einem einzigen inklusiven Bildungssystem. Die ökonomische
Rechtfertigung für inklusive Bildung ist zwar von Bedeutung für die Planung, insgesamt jedoch nicht aus­
reichend. Wenige Systeme kommen dem Idealzustand inklusiver Bildung nahe genug, um eine Schätzung der
Gesamtkosten zu ermöglichen. Zudem lassen sich die Vorteile eines inklusiven Bildungssystems nur schwer
quantifizieren, da sie sich über Generationen erstrecken.

Inklusion ist ein moralischer Imperativ. Die Diskussion über die Vorteile inklusiver Bildung gleicht der Diskussion
über die Vorteile der Menschenrechte. Inklusion ist eine Grundvoraussetzung für nachhaltige Gesellschaften.
Sie ist eine Voraussetzung für die Bildung in einer und für eine Demokratie, die auf Fairness, Gerechtigkeit
und Chancengerechtigkeit aufbaut. Sie bietet einen systematischen Rahmen zum Abbau von Barrieren nach
folgendem Prinzip: Jeder Lernende und jede Lernende zählt und zwar in gleichem Maße. Zudem wirkt Inklusion
Tendenzen in Bildungssystemen entgegen, wonach Ausnahmen und Exklusion möglich sind, wie z. B. in Fällen,
in denen Schulen anhand einer einzigen Dimension bewertet werden und die Zuteilung von Ressourcen an ihre
Leistung gekoppelt ist.

Inklusion verbessert das Lernen aller. In den vergangenen Jahren hat das Narrativ einer „Lernkrise“ die
Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass die Mehrheit der Kinder im Schulalter in Ländern mit niedrigem und
mittlerem Einkommen in den Grundfähigkeiten keine Mindestkompetenzen erreicht. Dieses Narrativ übersieht
in den am weitesten zurückliegenden Ländern jedoch möglicherweise Dysfunktionen der Bildungssysteme –
wie Exklusion, Elitarismus und Ungleichheit. Es ist kein Zufall, dass SDG 4 die Länder ausdrücklich dazu
auffordert, inklusive Bildung zu gewährleisten. Mechanische Lösungen, die sich nicht mit den tiefer liegenden
Gründen für Exklusion auseinandersetzen, können nur begrenzt zur Verbesserung von Lernergebnissen führen.
Inklusion muss die Grundlage von Lehr- und Lernkonzepten darstellen.

Der Weltbildungsbericht 2020 wirft im Kontext inklusiver Bildung Fragen auf, die im Zusammenhang stehen
mit zentralen politischen Lösungsansätzen, Umsetzungshindernissen, Koordinierungsmechanismen,
Finanzierungskanälen und dem Monitoring. Soweit möglich, untersucht der Bericht, wie sich diese Fragen und
ihre Beantwortung im Laufe der Zeit verändert haben. Ein so komplexes Themengebiet wie die Inklusion ist
jedoch bislang auf globaler Ebene nicht gut dokumentiert. Dieser Bericht sammelt Informationen dazu,
wie jedes Land – von Afghanistan bis Zypern – den Herausforderungen von Inklusion in der Bildung begegnet.
Die Informationen sind auf einer neuen Website unter dem Titel „PEER“ (education-profiles.org) verfügbar.
Länder können diese Website nutzen, um Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen – insbeson­
dere auf regionaler Ebene, wo Kontexte eine Ähnlichkeit aufweisen. Die Länderprofile können als Ausgangsbasis
für die Überprüfung qualitativer Fortschritte bis 2030 dienen.

Der Bericht identifiziert die unterschiedlichen Kontexte und Herausforderungen, vor denen Länder bei der
Bereitstellung inklusiver Bildung stehen. Er identifiziert die verschiedenen Gruppen, die vom Ausschluss aus
der Bildung bedroht sind, und die Barrieren, die sich einzelnen Lernenden in den Weg stellen, besonders wenn
sich Merkmale überschneiden. Der Bericht zeigt auch, dass Exklusion in physischer, sozialer (in Beziehungen
zwischen einzelnen Personen und Gruppen), psychologischer und systemischer Form auftreten kann. Diese
Herausforderungen adressiert der Bericht anhand von sieben Themenfeldern, die in entsprechenden Kapiteln
behandelt werden – ein kurzer Abschnitt beleuchtet zudem, welche Rolle diese Herausforderungen im Kontext
von COVID-19 spielen.

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        Recht und Politik
        Bindende Rechtsinstrumente und nicht bindende Erklärungen sind Ausdruck des internationalen Strebens
        nach Inklusion. Das UNESCO-Übereinkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen von 1960 und die
        Erklärung „Bildung für alle“ der UNESCO-Weltkonferenz 1990 von Jomtien, Thailand, forderten die Länder auf,
        Maßnahmen zu ergreifen, um „Gleichbehandlung auf dem Gebiet des Unterrichtswesens“ zu gewährleisten
        und keine „Diskriminierung beim Zugang zu Bildungsmöglichkeiten“ für „benachteiligte Gruppen“ zuzulassen.
        Die Erklärung und der Aktionsrahmen, die 1994 in Salamanca verabschiedet wurden, stellten das Prinzip auf, dass
        jedes Kind in die Schule gehen sollte, „die es besuchen würde, hätte es keine Behinderung“ – dies wurde 2006 als
        Rechtsanspruch bestätigt. Diese Texte haben nationale Gesetzgebungen und politische Vorgaben beeinflusst,
        die entscheidend sind für Fortschritte auf dem Weg zu Inklusion.

        Nationale Definitionen von inklusiver Bildung basieren tendenziell auf einem breit gefassten Verständnis von
        Inklusion. Analysen für diesen Bericht ergaben, dass 68% der Länder inklusive Bildung in Gesetzen, politischen
        Vorgaben, Plänen oder Strategien definieren. 57% der Länder haben Definitionen, die alle marginalisierten
        Gruppen abdecken. In 17% der Länder bezieht sich die Definition von inklusiver Bildung ausschließlich auf
        Menschen mit Behinderungen oder besonderen Bedürfnissen.

        Gesetze zielen für gewöhnlich auf spezifische Gruppen ab, die von Exklusion in der Bildung bedroht sind.
        Das breit gefasste Verständnis von Inklusion, welches alle Lernenden in Bildung einbezieht, ist in nationalen
        Gesetzgebungen kaum präsent. Nur bei 10% der Länder beinhalten die Gesetze zu allgemeiner und inklusiver
        Bildung umfassende Regelungen für alle Lernenden. Häufiger beziehen sich Gesetze der Bildungsministerien
        auf spezifische Gruppen. Von allen Ländern verfügten 79% über Gesetze mit Bezug auf Bildung für Menschen
        mit Behinderungen, 60% für sprachliche Minderheiten, 50% für Geschlechtergleichberechtigung und 49% für
        ethnische und indigene Gruppen.

        Politische Vorgaben weisen in der Tendenz eine umfassendere Sicht auf Inklusion in der Bildung auf.
        Etwa 17% der Länder verfügen über politische Vorgaben, die umfassende Regelungen für alle Lernenden
        enthalten. Die Tendenz ist in weniger bindenden Texten deutlich ausgeprägter: So erklären 75% der nationalen
        Bildungspläne und -strategien die Absicht, alle benachteiligten Gruppen einzubeziehen. Ungefähr 67% der
        Länder verfügen über Strategien zur Inklusion von Lernenden mit Behinderungen, wobei die Verantwortung
        dafür zwischen Bildungsministerien und anderen Ministerien nahezu gleich verteilt ist.

        Gesetze und politische Vorgaben beantworten die Frage, ob Lernende mit Behinderungen allgemeine
        Schulen besuchen sollten, unterschiedlich. In 25% der Länder schreibt das Gesetz Bildung in getrennten
        Lernumgebungen vor, wobei dieser Anteil in Asien sowie in Lateinamerika und der Karibik 40% übersteigt.
        Etwa 10% der Länder schreiben Integration vor und 17% Inklusion, die verbleibenden entscheiden sich für
        Kombinationen aus Segregation und gemeinsamem Unterricht. Im Kontext politischer Vorgaben lässt sich
        eine größere Tendenz zur Inklusion feststellen: 5% der Länder verfügen über politische Vorgaben für Bildung in
        getrennten Lernumgebungen, während sich 12% für Integration und 38% für Inklusion entscheiden. Trotz der
        guten Absichten, die sich in Gesetzen und politischen Vorgaben wiederfinden, gewährleisten die Regierungen
        häufig nicht deren Umsetzung.

        Politische Vorgaben müssen für alle Altersklassen und Bildungsstufen konsistent und kohärent sein.
        Der Zugang zu frühkindlicher Förderung und Erziehung ist extrem ungleich gestaltet und ist bedingt durch
        Wohnort und sozioökonomischen Status. Inklusion wird auch bestimmt durch Qualität, insbesondere
        Interaktionen, Integration und kindzentrierte Ansätze auf spielerischer Basis. Die frühe Identifikation der
        Bedürfnisse von Kindern ist für die Konzeption der richtigen Maßnahmen von entscheidender Bedeutung.
        Gleichwohl ist eine Etikettierung von Differenzen im Namen der Inklusion unter Umständen wenig zielführend.
        Eine disproportionale Zuordnung von benachteiligten Gruppen zu Kategorien besonderer Bedürfnisse kann
        ein Hinweis auf diskriminierende Verfahren sein. Dies zeigen beispielsweise erfolgreiche juristische Verfahren
        bezüglich des Rechts auf Bildung von Lernenden, die der Minderheit der Roma angehören.

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Um vorzeitige Schulabbrüche zu verhindern, bedarf es politischer Vorgaben an mehreren Fronten.
Bildungssysteme stehen vor einem Dilemma. Nichtversetzungen führen anscheinend zu mehr Schulabbrüchen,
doch automatische Versetzungen erfordern systematische Ansätze für unterstützende Maßnahmen, die viele
Länder zwar proklamieren, an deren Umsetzung sie jedoch scheitern. Gesetze und politische Vorgaben stehen
möglicherweise im Widerspruch zu Inklusion, z. B. in Ländern mit niedrigen Altersgrenzen für Kinderarbeit oder
Eheschließungen. Bangladesch gehört zu den wenigen Ländern, die umfassend in „Second-Chance“-Programme
investieren, die für das Erreichen von SDG 4 unerlässlich sind.

Regierungen streben nach einer inklusiveren Gestaltung von Bildung nach der allgemeinen Schulpflicht
sowie von Erwachsenenbildung. Berufliche Bildung kann die Inklusion von benachteiligten Gruppen in den
Arbeitsmarkt begünstigen, insbesondere im Fall junger Frauen und von Menschen mit Behinderungen.
Um Potenziale zu wecken und zu nutzen, müssen Lernumgebungen sicherer und zugänglich gestaltet werden,
wie beispielsweise in Malawi. Inklusionsorientierte Maßnahmen im Bereich der tertiären Bildung legen
tendenziell den Schwerpunkt auf einen besseren Zugang für benachteiligte Gruppen, entweder durch Quoten
oder indem der Zugang bezahl­barer gemacht wird. Dennoch verfügten nur 11% von 71 Ländern über umfassende
Strategien zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit; weitere 11% arbeiteten nur Ansätze für bestimmte
Gruppen aus. Digitale Inklusion, insbesondere von älteren Menschen, stellt eine große Herausforderung für
diejenigen Länder dar, die zunehmend von Informations- und Kommunikationstechnologie abhängen.

In den Reaktionen auf die COVID-19-Krise, von der 1,6 Milliarden Lernende betroffen waren, wurde nicht
genügend auf die Inklusion aller Lernenden geachtet. Während sich 55% der Länder mit niedrigem Einkommen
für Online-Fernunterricht in der Primar- und Sekundarstufe entschieden haben, verfügen nur 12% der Haushalte
in den am wenigsten entwickelten Ländern zu Hause über einen Internetzugang. Selbst solche Ansätze, die nur
einfache Technologie erfordern, können die Kontinuität des Lernens nicht gewährleisten. Von den ärmsten
20% der Haushalte besaßen in Äthiopien nur 7% ein Radio, keiner der Haushalte besaß einen Fernseher.
Insgesamt haben etwa 40% der Länder mit niedrigem und niedrig-mittlerem Einkommen Lernende, die von
Exklusion bedroht sind, nicht unterstützt. In Frankreich hatten bis zu 8% der Lernenden nach drei Wochen der
pandemiebedingten Ausgangssperre den Kontakt zu den Lehrkräften verloren.

Daten
Daten über und für Inklusion in der Bildung sind essenziell. Daten zur Inklusion können Unterschiede in den
Bil­dungschancen und -erfolgen zwischen Gruppen von Lernenden deutlich machen, indem sie sowohl diejenigen
identifizieren, die Gefahr laufen, zurückgelassen zu werden, als auch das Ausmaß der Barrieren erfassen, denen
sie ausgesetzt sind. Anhand solcher Informationen können Regierungen Strategien zur Inklusion entwickeln und
weitere Daten zur Umsetzung dieser Strategien sowie zu weniger leicht erfassbaren qualitativen Effekten
erheben.

Die Formulierung geeigneter Fragen zu Merkmalen, die mit Benachteiligung verbunden sind, kann sensibel sein.
Daten zu Bildungsdisparitäten in der Bevölkerung, die durch Zensusdaten und Erhebungen ermittelt werden,
schaffen in Bildungsministerien ein Bewusstsein für Ungleichheiten. Abhängig von ihrer Formulierung können
Fragen zu Merkmalen wie Nationalität, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, sexueller Orientierung und Geschlechts­
identität jedoch sensible persönliche Identitäten berühren, aufdringlich sein und Verfolgungsängste schüren.

Die Formulierung von Fragen zu Behinderungen hat sich verbessert. Die Einigung auf ein allgemein anerkanntes
Messverfahren von Behinderung war das Ergebnis eines langen Prozesses. Die „Washington Group on Disability
Statistics“ der UN-Statistikkommission schlug 2006 einen Kurzfragebogen für Zensusdaten und Erhebungen
vor, der kritische funktionale Beeinträchtigungen der Fähigkeiten und Aktivitäten von Erwachsenen erfasst.
Ein kinderspezifisches Modul wurde in Zusammenarbeit mit UNICEF entwickelt. Die Fragen bringen behin­
derungs­bezogene Statistiken in Einklang mit dem sozialen Modell von Behinderung und lösen ernste Vergleich­
barkeitsprobleme. Die Übernahme dieser Fragen geschieht allerdings nur langsam.

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        Die gegenwärtige Datenlage zu Behinderungen ist zwar qualitativ hochwertig, aber nach wie vor lückenhaft.
        Eine Analyse von 14 Ländern im Rahmen der „Multiple Indicator Cluster Surveys (MICS)“ 2017-2019 und die
        Nutzung des breiter angelegten kinderspezifischen Moduls zeigen eine Prävalenz von Behinderungen von
        12% infolge hoher Angst- und Depressionsraten, innerhalb einer Bandbreite von 6% bis 24%. In all diesen
        Ländern machten Kinder und Jugendliche mit Behinderungen 15% derjenigen aus, die keine Schule besuchten.
        Im Vergleich zu ihren Altersgenossen im Grundschulalter sowie im unteren und oberen Sekundarstufenalter
        stieg die Wahrscheinlichkeit, dass diejenigen mit einer Behinderung nicht zur Schule gingen, um jeweils 1, 4 und
        6 Prozentpunkte. Bei denjenigen mit einer sensorischen, körperlichen oder geistigen Behinderung stieg die
        Wahrscheinlichkeit um 4, 7 und 11 Prozentpunkte.

        Einige Befragungen an Schulen ermöglichen tiefere Einsichten in Bezug auf Inklusion. Bei der Internationalen
        Schulleistungsstudie der OECD (PISA) 2018 berichtete jede/r fünfte 15-Jährige, sich an der Schule als Außenseiter/
        in zu fühlen. In Brunei Darussalam, der Dominikanischen Republik und den Vereinigten Staaten lag der Anteil sogar
        bei über 30%. In allen teilnehmenden Bildungssystemen war die Wahrscheinlichkeit, sich zugehörig zu fühlen,
        bei Schülerinnen und Schülern mit niedrigerem sozioökonomischem Status geringer. Administrative Daten können
        wirksam eingesetzt werden, um qualitative Evidenz zur Inklusion zu sammeln. Neuseeland überprüft systematisch
        weiche Indikatoren auf nationaler Ebene, unter anderem ob Schülerinnen und Schüler das Gefühl haben, dass
        sich um sie gekümmert wird, ob sie sich sicher und geborgen fühlen und inwiefern sie in der Lage sind, positive
        Beziehungen aufzubauen und zu erhalten, die Bedürfnisse anderer zu respektieren und Empathie zu zeigen. Fast
        die Hälfte der Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen erhebt keine administrativen Daten zu Lernenden
        mit Behinderungen.

        Die Daten zeigen, wo nach wie vor Segregation stattfindet. In Brasilien stieg durch eine Anpassung politischer
        Vorgaben der Anteil der Lernenden mit Behinderungen, die allgemeine Schulen besuchen, von 23% im Jahr
        2003 auf 81% im Jahr 2015. In Asien und der Pazifikregion gingen fast 80% der Kinder mit Behinderungen in
        allgemeine Schulen, wobei der Anteil von 3% in Kirgisistan bis zu 100% in Timor-Leste und Thailand reichte.
        Vereinzelte Daten dokumentieren Schulen, die sich um bestimmte Gruppen kümmern, z. B. um Mädchen,
        sprachliche Minderheiten und religiöse Gemeinschaften. Ihr Beitrag zur Inklusion ist zwiespältig: So können
        indigene Schulen zum einen ein Umfeld bieten, wo Traditionen, Kulturen und Erfahrungen respektiert werden,
        zum anderen können sie jedoch auch dazu beitragen, Marginalisierung aufrechtzuerhalten. Schulische Erhebungen
        wie die PISA-Studie zeigen ein hohes Niveau an sozioökonomischer Segregation in Ländern wie Chile und
        Mexiko, wo die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler einer anderen Schule zugewiesen werden müsste, um eine
        einheitliche sozioökonomische Durchmischung zu erreichen. Diese Art der schulischen Segregation hat sich im
        Zeitraum 2000-2015 kaum verändert.

        Die Feststellung besonderer Bedürfnisse ist ein strittiges Thema. Die Feststellung von Lernbedürfnissen
        versetzt Lehrkräfte in die Lage, die Förderung und Umgebung der Lernenden gezielt zu gestalten. Andererseits
        könnten Kinder durch Gleichaltrige, Lehrkräfte und Verwaltungspersonal auf ihre Bedürfnisse reduziert werden,
        was wiederum stereotypes Verhalten ihnen gegenüber auslösen und eine rein medizinisch-diagnostische
        Herangehensweise fördern könnte. Portugal verordnete kürzlich einen flexiblen Ansatz zur Feststellung
        besonderer Bedürfnisse. Geringe Erwartungen, die durch eine Etikettierung ausgelöst werden können, z. B.
        die Feststellung von Lernschwierigkeiten, können selbsterfüllend werden. In Europa reichte der Anteil der
        Lernenden mit besonderen Lernbedürfnissen von 1% in Schweden bis zu 20% in Schottland. In den Vereinigten
        Staaten stellte Lernschwäche die größte Kategorie im Bereich der besonderen Bedürfnisse dar, in Japan hingegen
        war sie unbekannt. Solche Abweichungen erklären sich vorrangig durch länderspezifische Unterschiede in der
        Ausgestaltung solcher Kategorien: Anforderungen an Institutionen, Finanzen und Ausbildung variieren ebenso wie
        politische Vorgaben.

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