CARTA 2020 Das Bildungsmagazin des Stifterverbandes
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Werte schaffen durch Innovation Mit mehr als 128 Jahren an Erfahrung sind wir immer noch ausgesprochen neugierig – für unsere kommenden Generationen. Für Boehringer Ingelheim ist der Erfolg als pharmazeutisches Unternehmen gleichbedeutend mit der Einführung innovativer Präparate und Darreichungsformen. Den Unterschied machen die Menschen, die sich dafür einsetzen. Mehr als 46.200 Mitarbeitern weltweit, davon rund 13.100 in Deutschland, arbeiten daran, die Aussichten auf ein gesünderes Leben Realität werden zu lassen. www.boehringer-ingelheim.de Boehringer Ingelheim unterstützt die Bildungs- initiative des Stifterverbandes.
AUFTAKT Maria Habekost studiert an der Universität Jena. Sie will Geografie- und Deutschlehrerin werden. Mehr über sie auf Seite 13 Sie müssen Fragen nach Quadratwurzeln, Präpositionen oder Kohlenwasserstoff beantworten, Streit schlichten, Werte vermitteln, Elternabende organisieren und im Klassenzimmer bisweilen auf den Tisch hauen. Von ihrer Qualifikation hängt ab, wie gut die Schüler lernen. Aber wer bereitet die Lehrer eigentlich auf all das vor? Und wie schaffen wir es, dass Kinder und Jugendliche in der Schule erfolgreicher lernen? Foto (Titel): Peter Rigaud Ein Magazin auf den Spuren der Lehrer von morgen. 3
Inhalt Was bisher geschah CARTA EINE VISIONÄRIN, DIE BEWAHREN WILL. 2020 Das Magazin zur Bildungsinitiative des Stifterverbandes NACHHALTIGE MOBILITÄT. FÜR UNS DER NÄCHSTE SCHRITT. Wenn Simone Lempa-Kindler ihre Arbeit macht, versucht sie stets, die Auswirkungen auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten. Als Spezialistin für Nachhaltigkeit in der Entwicklung arbeitet sie an außergewöhnlichen Maßnahmen, die die Ökobilanz unserer Fahrzeuge immer weiter verbessern. Das können Teile aus nachwachsenden Rohstoffen sein, oder eine Produktion, die mit regenerati- ven Energien betrieben wird. Und natürlich Fahrzeuge, die Fahrspaß mit einem guten Gewissen verbinden, wie die Elektrofahrzeuge von BMW i, an deren Realisierung Simone Lempa-Kindler maßgeblich beteiligt ist. So kann sie sicherstellen, dass auch die Umwelt etwas von der Freude am Fahren hat. Die BMW Group ist zum achten Mal in Folge nachhaltigster Automobilhersteller der Welt. Erfahren Sie mehr über den Branchenführer im Dow Jones Sustainability Index auf www.bmwgroup.com/whatsnext Jetzt Film ansehen. WIR MACHEN... Erste CARTA-Ausgabe 001_TC_Stifterverband_Umschlag 1 14.12.12 11:30 vom Januar 2013 In der ersten CARTA-Ausgabe nannten Domos. Nachdem er vor einem Jahr ging es um die davon in der letzten Ausgabe wichtigsten Aufgaben, die un- berichtet hatte, meldete sich ein ser Bildungssystem bestehen Leser bei ihm, der als Investor muss. Die sind natürlich noch helfen wollte. Zusammen haben nicht alle gelöst, aber einiges sie am Businessplan gearbeitet. Der hat sich seither bewegt – auch Das Risiko fand Hidalgo schließ für die Menschen, über die lich zu groß, weil die Domos viel wir berichtet haben. zu teuer seien. Den Traum gibt er aber nicht auf – und will die härteste Job Domos jetzt selbst konstruieren, Die Landschaftsökologin um Geld zu sparen. Mit seinem Frauke Müller hatte sich in ersten Prototypen, vor dem er einem großen Interview mit einer sich stolz fotografiert hat, ist er der Welt Personalmanagerin der Deut offensichtlich zufrieden. schen Bahn über Karriere und Bildung unterhalten – und da Als dem Düsseldorfer Design- rüber, ob Wissenschaftler in der Professor Wilfried Korfma- Wirtschaft eine Chance haben. cher die CARTA-Ausgabe in die Noch nie waren die gesellschaftlichen Erwartungen Haben sie; den Beweis hat Müller Hände fiel, kam ihm gleich ein an Lehrer so hoch: Sie sollen Erzieher sein, Psychologen, inzwischen angetreten. Nachdem zündender Gedanke: Er machte Medienexperten, Konfliktlöser und natürlich sie ihre Promotion abgeschlossen die Bildungsinitiative des Stifter- Spezialisten in ihrem Fach. Eine Reise auf den Spuren hatte, fing sie jetzt bei der Bahn verbandes zum Thema für seine der guten Lehrer an – als Referentin für Umwelt Studenten. Die entwarfen mit Seite 6 schutz im Personenverkehr. viel Humor und einem Augen- zwinkern eine ganze Plakatserie. Der Chilene Tommy Hidalgo, der Tourismusmanagement Einige der Ergebnisse stellen wir vor – in dieser Ausgabe auf Die faule Bande studiert hat, ist seinem Traum Seite 52. Mehr Klischees als über Lehrer ein Stück näher gekommen: gibt es über keinen Beruf. Da hilft Er will in seinem Heimatland Die Geschichten der ersten nur eins: Selbstironie Seite 16 mitten in der Natur ein Hotel Ausgabe lesen Sie unter: bauen, das aus kuppelförmigen www.stifterverband.info/bildungs- Holzhäuschen besteht, soge initiative/magazin/index.html 4
DIENST NACH VORSCHRIFT? NICHT MIT UNS! Mit Robotern und Trompeten: DIE BILDUNGSINITIATIVE Engagierte Lehrer im Porträt Klar definierte Ziele und inspirierende Projekte – Seite 39 so gibt der Stifterverband der Debatte um bessere Bildung mehr Substanz. In dieser Ausgabe der CARTA, dem Magazin zur Bildungsinitiative, „DEUTSCHLAND geht es um das Handlungsfeld Lehrer-Bildung. SOLLTE EIN FAIRES LAND BLEIBEN” IMPRESSUM Pharmaunternehmer Christian Herausgeber Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. Boehringer im Gespräch über seine Chefredaktion eigene Schulzeit – und darüber, Michael Sonnabend (V.i.S.d.P.), Kilian Kirchgeßner warum er jetzt auch Schulen baut Redaktion Seite 18 Roman Heflik (Textchef), Simone Höfer, PANZERSCHLACHT Cornelia Herting (Bild) IM KLASSENZIMMER Autoren Lars Klaaßen, Mareike Knoke, Hans Anand Pant, Dirk Richter, Petra Stanat Ein pensionierter Schulleiter Anzeigen und eine Junglehrerin im Gespräch Benedikt M. Rey, Hubert Honvehlmann über die Sorgen vorne an der Tafel Art Direktion Annett Osterwold Seite 44 Bildredaktion Hannah Schuh, Beatrice Jansen WIE DAS NEUE IN DIE Verlag TEMPUS CORPORATE GmbH HOCHSCHULE KOMMT Ein Unternehmen des ZEIT Verlags Fotos: Frank Bauer (Seite 4), Malwine Schomburg (Seite 4), Angelika Zinzow, Fritz Beck; Illustration: Jindrich Novotny/2agenten Büro Berlin: Askanischer Platz 3, 10963 Berlin Wie der Stifterverband gute Ideen Büro Hamburg: Buceriusstraße, Eingang Speersort 1, 20095 Hamburg an den Hochschulen fördert www.tempuscorporate.zeitverlag.de FRÜH ÜBT SICH Seite 48 Geschäftsführung Ulrike Teschke, Manuel J. Hartung Warum Grundschulen oft unterschätzt LEIDENSCHAFT Projektleitung werden – und wie die Lehrer der Andrea Rützel Kleinsten Großes leisten. Ein Essay Seite 24 UND HUMOR Herstellung Dirk Schmoll Wie junge Kommunikationsdesigner Druck Krögers Buch- und Verlagsdruckerei GmbH, das Thema Bildung sehen Industriestraße 21, 22880 Wedel DIE WELT Seite 52 Druckauflage: 595.000 Liegt bei in: DIE ZEIT Gesamtauflage Inland IN EINEM RAUM Kontakt Schulklassen spiegeln die ganze DARUM Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft Barkhovenallee 1, 45239 Essen, Tel.: 0201 - 8401-0 Gesellschaft. Eine fotografische Fernreise SIND WIR DABEI E-Mail: mail@stifterverband.de www.stifterverband.info www.facebook.com/stifterverband Seite 28 Drei Wirtschaftsführer über ihr www.youtube.com/stifterverband Engagement für bessere Bildung Klimaneutral gedruckt Seite 56 DIE UNTERSCHÄTZTEN RIESEN SCHULE IN ZAHLEN Papier und Betrieb (Krögers Buch- und Verlagsdruckerei GmbH, Industriestraße 21 An Berufsschulen lernen die Was die Statistik über Schüler 22880 Wedel) FSC®-zertifiziert Fachkräfte von morgen. Ausgerechnet und Lehrer sagt – und über hier herrscht Lehrermangel den Matheunterricht Seite 34 Seite 58 5
SCHWERPUNKT Wie Kinder unterrichtet werden, ändert sich rasant. Nur eins bleibt gleich: Engagierte Pädagogen sind der wichtigste Faktor, damit Schüler besser lernen. Eine Reise auf den Spuren der guten Lehrer. Text: Kilian Kirchgeßner 7
SCHWERPUNKT WALTER BALD Schulleiter, Erich-Kästner- Gesamtschule Bochum „Wir wollen unsere Schüler so eng wie möglich betreuen. Deshalb hat jede Klasse zwei Klassenleh- rer, darüber hinaus gibt es immer für zwei Jahrgangsstufen einen Beratungslehrer. Dabei gilt das Prinzip der offenen Tür: Wenn ein Schüler eine Frage hat oder ein Problem, kann er jederzeit kommen. So können wir bei den Kindern ihre Ressourcen heben.“ Jeder für sich und doch alle gemeinsam: Beim kooperativen Unterricht in der Bochumer Erich-Kästner-Gesamtschule sollen die Schüler voneinander lernen. S o ganz haben sie explodiert?“, will Eeske wissen, ein Thema“, sagt Jörg Heine- es noch nicht und Simran hebt an zu einem mann. Anschließend werden die verstanden, was Vortrag über glühende Lava- Gruppen gemischt, und jeder GABRIELE KAISER Simran da zu ströme und Frühwarnsysteme. referiert über sein Spezialgebiet. Mathematik-Didaktikerin, den Vulkanen Hinten im Klassenraum steht Heinemann geht dabei von Tisch Universität Hamburg erklärt: „Mit Jörg Heinemann und schaut zu Tisch und steht bereit, falls es Vulkanerde“, zufrieden seinen Schülern zu. zusätzliche Fragen gibt. „Ko- „Ich stelle immer wieder fest, liest der Acht- „Wenn sie sich das gegenseitig operativen Unterricht“ nennen dass Mathematik viel zu trocken klässler vor, „ist erklären“, sagt er, „dann können Schulforscher dieses Prinzip, bei unterrichtet wird. Viele Schüle- Trockenfeldbau sie sich den Stoff viel besser dem sich die Schüler gegenseitig rinnen und Schüler ziehen sich möglich. Unter guten klima- merken.“ In sechs Gruppen hat helfen. Für die Lehrer ist das eine dann zurück und sagen, dass tischen Bedingungen kön- der Lehrer seine Klasse geteilt, Herausforderung: Sie müssen sie das im späteren Leben nie nen die Bauern dreimal im jedes Team bereitet ein Thema genau im Blick haben, was sich wieder bräuchten. Wir wollen, Jahr säen.“ Fünf Mitschüler vor: Simran kümmert sich mit in den Arbeitsgruppen tut, und dass die Mathematiklehrkräfte stehen um Simran herum ein paar Mitschülern um die auch die präzise Vorbereitung stärker mit Beispielen aus dem und schauen auf das selbst Vulkane, Michelle informiert solcher Stunden ist wesentlich echten Leben arbeiten. Das gemalte Plakat, das der Junge sich über Erdbeben, Yann über aufwendiger. Aber das Ergeb- kann so manche Blockade auf dem Tisch ausgebreitet die Kontinentalverschiebung. nis, da ist sich Jörg Heinemann durchbrechen.“ hat. „Und wenn der Vulkan „Jeder wird zum Experten für sicher, lohne die Mühe. 8
Simran und seine Freunde Wie schafft es die Schule, dass gehen auf die Erich-Kästner- sie starke und schwache Kinder Gesamtschule in Bochum. fördert? Dass der Anteil der Dass sie im Unterricht zusam- Schüler mit Migrationshinter- menarbeiten, daran haben sie grund in den Abiturklassen sich schon längst gewöhnt: genauso hoch ist wie in der Die meisten Lehrer der Schu- fünften Klasse? Wer sich einige le unterrichten so, in vielen Zeit an der Erich-Kästner-Schule Klassenräumen stehen die umsieht, erkennt schnell einen Tische von vornherein für die der Gründe für den Erfolg: Gruppenaufgaben zusammen. Unter den Lehrern herrscht ein Aber natürlich gibt es auch besonderer Teamgeist. Die 119 den klassischen Frontalunter- Pädagogen sind im Schulgebäu- richt – je nach Fach, je nach de auf mehrere Lehrerzimmer Situation arbeiten die Lehrer verteilt; darin sitzen immer die mit der ganzen Bandbreite der zusammen, die vor allem in didaktischen Mittel. „Die Kinder einer bestimmten Klassenstufe sollen sich so angenommen füh- unterrichten. Dadurch bleiben len, dass sie angstfrei lernen“, die Wege für Absprachen kurz: zitiert Walter Bald sein Credo. Wenn ein Schüler gerade beson- ders intensiv gefördert werden E muss, tauschen sich die betrof- r leitet die Erich-Käst- fenen Lehrer schnell darüber ner-Schule, und mit aus. Und einmal im Monat seinen Kollegen hat er trifft sich das ganze Kollegium ein kleines Wunder abends zum großen Stamm- vollbracht: Vor gut tisch. „Die Zusammenarbeit hier JÜRGEN MENTHE zehn Jahren, bevor er ist unschlagbar“, bestätigt etwa Chemie-Didaktiker, Universität das Ruder übernahm, Jenna Wegener, die als Referen- Hamburg stand die Schule noch darin an die Schule gekommen kurz vor der Schließung, weil es ist. „Das merkt man sogar an Das grundsätzliche Dilemma kennt Jürgen Menthe noch aus zu wenige Schüler in die Ober- Kleinigkeiten: Wenn ich meinen seiner eigenen Studienzeit: „Man lernt an der Universität, stufe geschafft haben. Heute hat Kommilitonen an der Uni erzäh- was man als Diplom-Chemiker braucht“, sagt er: „Was für den sie 1.300 Schüler, ein nagelneu- le, dass die Kollegen einem hier eigenen Unterricht wichtig ist, lernt man hingegen oft erst, es Gebäude, einen Spitzenplatz morgens zulächeln und dass sie wenn man als Lehrer wieder zurückkommt an die Schule.“ So beim deutschen Schulpreis und uns Referendaren alle denkbare habe er im Studium komplizierte Experimente rund um die eine Lernatmosphäre, um die Hilfe anbieten – das können die Brennstoffzelle gemacht, aber kaum darüber nachgedacht, wie sie viele andere Einrichtungen einfach nicht glauben.“ Denn sich das auf den Wissensstand von Schülern herunterbrechen beneiden. Jeder zweite Schüler ihre Studienfreunde, berichtet lasse – und welche Versuche sich in den einfacheren Schul- Fotos: Malwine Schomburg (Seite 6, Seite 8), Axel Martens (Seite 8, Seite 9) hat einen Migrationshinter- Wegener, würden an ande- laboren überhaupt durchführen lassen. Das will er jetzt mit grund, viele kommen aus sozial ren Schulen oft ganz anderes seinen Kollegen an der Hamburger Universität ändern: Für die schwierigen Verhältnissen – erleben. angehenden Lehrer entwickeln Fachchemiker und Fachdidak- und trotzdem hat die Erich- „Wie gut die Lernergebnis- tiker künftig gemeinsame Seminare und Praktika – und achten Kästner-Schule inzwischen se von Schülern sind, hängt darauf, dass die mögliche Anwendung in der Schule nicht zu einen so guten Ruf, dass sich maßgeblich von den Kompeten- kurz kommt. Ein Beispiel sind Brennstoffzellen, mit denen sich auch reihenweise Schüler aus zen der Lehrer ab“, sagt Bettina die saubere Energieumwandlung demonstrieren lässt: „Bei der gutbürgerlichen Elternhäusern Jorzik vom Stifterverband. Sie Zerlegung von Wasser in die Elemente Wasserstoff und Sau- bewerben. „Was wir machen“, leitet dort den Bereich Lehre erstoff und umgekehrt der Synthese von Wasser aus den Ele- sagt Walter Bald bescheiden, und akademischer Nachwuchs. menten sollten die Studierenden schon an der Universität die „finden Sie in ähnlicher Form Gern zeigt sie auf internationale spätere Praxis reflektieren“, sagt Menthe. Denn obwohl sie an an etlichen anderen Gesamt- Studien: Die Länder, in denen den Schulen bisweilen keine so aufwendige Laborausstattung schulen im ganzen Land.“ die Kinder besonders erfolg- haben wie an der Universität, können sie ein wichtiges Ziel auch Was aber ist das Erfolgs- reiche Schüler sind, haben mit einfacheren Mitteln erreichen: „Die zukünftigen Lehrkräfte geheimnis seiner Einrichtung? besonders gute Lehrer. „Es > sollen ihre Lernenden zum Forschen anregen!“ 9
SCHWERPUNKT gibt kein Naturtalent, das Eine Antwort auf diese Frage bieten in ausgewählten Fächern jemanden zu einem guten sucht Gabriele Kaiser schon gemeinsame Seminare an, in Lehrer macht“, sagt Jorzik. „Es seit vielen Jahren. Sie bildet denen Fachwissenschaftler und kommt darauf an, die Lehrer an der Universität Hamburg Didaktiker miteinander koope- richtig für ihre Aufgabe zu junge Lehrer aus – ausgerech- rieren. Die Inhalte werden zum qualifizieren – und deshalb net in Mathematik, jenem Teil gemeinsam ausgesucht und richten wir unser besonderes Fach, das bei vielen Schülern immer auch in ihrer Bedeutung Augenmerk auf die Universi- denkbar unbeliebt ist. „Natür- für die Schule thematisiert.“ täten, in denen sie auf ihren lich muss eine Lehrkraft sich M Beruf vorbereitet werden.“ in ihrem Fach hervorragend Mit gezielten Förderprogram- auskennen, damit sie auch it welchen Pro- REINER LEHBERGER men wie der Lehrer-Initiative schwierige Fragen beantworten blemen Lehrer Leiter des Zentrums unterstützt der Stifterverband kann“, sagt sie. Aber: „Unser bei der Arbeit im für Lehrerbildung, innovative Ansätze, mit denen Hauptproblem ist, dass Mathe Klassenzimmer Universität Hamburg angehende Lehrer gut geschult häufig in einer Art und Weise gelegentlich kon- werden (Mehr Informationen vermittelt wird, dass es nicht frontiert werden, „Eines unserer Ziele ist es, die zur Lehrer-Initiative gibt es begeistert. Wir wissen sogar, hat Lehramts- angehenden Lehrer besser auf unter www.stifterverband.de/ an welchem Punkt die meis- student Robert den Schuldienst vorzubereiten. Lehrer). Innerhalb der ten Schülerinnen und Schüler Mews vor Kurzem erfahren: Der Dazu haben wir die Praxisanteile Bildungsinitiative „Zukunft aussteigen: beim Übergang von 25-Jährige, der in Jena studiert, im Studium erhöht und arbeiten machen“ ist Lehrer-Bildung der Arithmetik zur Algebra, stand unlängst zum ersten Mal eng mit dem Landesinstitut für zudem eines von sechs Hand- also von den Grundrechenarten vor einer Klasse. „Mich haben Lehrerbildung zusammen und lungsfeldern, auf denen der zu den Gleichungen. Dabei ist zum Beispiel einige Schüler aus gestalten zum Beispiel das Kern- Stifterverband das deutsche das keine Zauberei; man muss einer neunten Klasse geduzt“, praktikum gemeinsam.“ Bildungssystem kontinuierlich es einfach gut erklären.“ Um erzählt er – dabei sollte er als verbessern will. genau diesen Punkt dreht sich Lehrer doch eigentlich Autori- ihre Forschung: Wie kann man tätsperson sein. Mews erinnerte Z den angehenden Lehrern die sich an seine Vorbereitung an wischen 20.000 und Mathematik so vermitteln, dass der Uni und nahm die betrof- 30.000 neue Lehrer sie danach in der Lage sind, fenen Schüler zur Seite, um gehen pro Jahr in auch ihre Schüler mitzureißen? mit ihnen die Spielregeln zu den Schuldienst, Die Universität Hamburg klären. „Hätte ich das offen rund 70 Universitä- nutzt solche Fragen als Impuls, vor der Klasse gemacht, hätte ten in Deutschland um – mit Unterstützung der das eskalieren können. Im bilden sie aus. Am Lehrer-Initiative des Stifterver- Einzelgespräch aber war die Anfang studieren bandes – ihre Lehrerbildung Sache schnell vom Tisch“, sie an der Hochschule, dann zu reformieren. Während die sagt er. Dass Mews solche Fotos: Axel Martens (Seite 10), Peter Rigaud (Seite 10), Malwine Schomburg (Seite 11) KARIN KLEINESPEL wechseln sie für Praktika und Studierenden bislang fachwis- Erfahrungen macht, gehört an Wissenschaftliche Geschäfts- schließlich für das Referen- senschaftliche Seminare und der Universität in Jena zum führerin des Zentrums für dariat an eine Schule. Was didaktische Veranstaltungen un- Konzept. Die Studierenden Lehrerbildung und Bildungs- genau in diesen beiden Phasen abhängig voneinander besucht gehen dort nicht kurz vor forschung, Universität Jena passiert, dafür hat jedes haben, werden diese Inhalte Schluss ihres Studiums zum Bundesland eigene Regeln und nun miteinander kombiniert – ersten Mal an die Schule, wie „Bei unserem Jenaer Modell jede Hochschule wiederum ein nicht nur in der Mathematik, es an fast allen anderen Uni- gehen die angehenden Lehrer eigenes Konzept. In der Ziel- sondern Schritt für Schritt in versitäten üblich ist, sondern im fünften Semester zum setzung indes sind sich alle ei- allen Fächern. „Wir brechen schon im fünften Semester. ersten Mal an eine Schule. Der nig: Wenn er vor seiner Klasse alte Strukturen auf“, sagt Reiner Der Mann, der für diesen Grundgedanke ist, dass sie dort steht, muss ein Lehrer in Per- Lehberger, der Leiter des Ham- Realitätsschock gesorgt hat, schon einmal alles mitmachen, sonalunion Fachwissenschaft- burger Zentrums für Lehrerbil- ist inzwischen 73 Jahre alt was später im Schulalltag auf sie ler, Psychologe, Pädagoge und dung: „Bislang waren Fachwis- und trägt einen grauen Voll- wartet – von der Notenkonfe- Didaktiker sein – nur wie man senschaft und Fachdidaktik bart. „Unterrichten“, sagt Will renz über die Elternsprechstunde ihn in allen diesen Bereichen organisatorisch und inhaltlich Lütgert, „lernt man nicht aus bis zum eigenen Unterricht.“ am besten ausbildet, darüber getrennt.“ Jetzt entsteht eine Büchern.“ Der Professor hat das gibt es keinen Konsens. neue Organisationsform: „Wir Jenaer Modell zusammen mit > 10
Alles klar? Edgard aus Bochum hört zu, wie ein Freund aus seiner Arbeitsgruppe tektonische Verschiebungen erklärt. 11
Wir unterstützen die Erforschung der Erdwärme. Geothermie kann 30 % des Wärmebedarfs in Deutschland decken. Nur ist die Geothermie noch nicht hinreichend erforscht. Deshalb finanziert unsere Schwestergesellschaft, die NATURpur Institut für Klima- und Umweltschutz gGmbH, in Zusammenarbeit mit dem Stifterverband eine Professur für Geothermie an der Technischen Universität Darmstadt. Mehr Informationen finden Sie auch unter hse.ag und naturpur-institut.de. Das NATURpur Institut unterstützt die Bildungsinitiative des Stifterverbandes. entega.de
SCHWERPUNKT mal, dass die Mädchen mitten in der Stunde demonstrativ ihren Schminkkoffer auspacken und aus den Augenwinkeln be- obachten, wie der neue Lehrer reagiert.“ Seine Kommilitonin Anja Behrendt kämpft indes damit, die Stunden didaktisch angemessen zu konzipieren. „Am Anfang packt man immer viel zu viel in so eine Dreivier- telstunde“, sagt sie: „Da denke MARIA HABEKOST ich, dass den Kindern drei Mi- Lehramtsstudentin, nuten reichen, um das Tafelbild Universität Jena abzuschreiben, und sie sind nach zehn Minuten immer noch „Mich fasziniert am Lehrerberuf, nicht fertig.“ dass man nie zum Stillstand kommt: Immer gibt es neue F Aufgaben, neue Herausforde- ür genau solche rungen. Inzwischen stand ich Erfahrungen schicken zum ersten Mal selbst vor einer die Jenaer Lehreraus- Klasse, und es ist wirklich gar bilder ihre Studie- nicht so leicht, die Perspektive zu renden so früh an wechseln – erst selbst Schülerin, die Schule. „Das ist jetzt auf einmal Lehrerin.“ eine Spielwiese, auf der sie unterschiedli- che Strategien einfach einmal ausprobieren können. Später im Beruf geht das kaum noch“, sagt Karin Kleinespel, die wis- senschaftliche Geschäftsfüh- Wie sag ich’s meinen Schülern? Angehende Deutschlehrer rerin des Jenaer Zentrums für im Didaktik-Seminar an der Universität Jena. Lehrerbildung und Bildungs- forschung. 20 Stunden pro Fach, das ist das Ziel, sollen die Studierenden in den fünf Monaten selbst unterrichten – MICHAELA GLÄSER-ZIKUDA einigen Kollegen ersonnen und „Was in der Schule passiert, genug, um zu erkennen, ob ih- Schulpädagogin, 2007 eingeführt. „Wer bereits darauf kann das beste Semi- nen der Job vorne an der Tafel Universität Jena mitten im Lehramtsstudium nar allein nicht vorbereiten“, wirklich Spaß macht und ob eine Praxiserfahrung gemacht davon ist inzwischen auch der sie den Belastungen gewachsen „Wir müssen unsere Studieren- hat, der studiert anschließend angehende Lehrer Robert Mews sind. Dass sie dabei ständig den darauf vorbereiten, dass völlig anders“, ist sich Lütgert überzeugt. Fachwissen allein betreut und mit wissenschaft- sich das Bild von Schule wandelt. sicher. Was die Studierenden macht eben noch keinen guten licher Expertise begleitet wer- Sie wird stärker als Teil der in der Schule am eigenen Leib Lehrer aus – das erkennen fast den, gehört zu den wichtigsten Gesellschaft betrachtet – und erfahren, fließe anschließend alle seine Kommilitonen, wenn Prinzipien des Jenaer Modells. auf einmal wird zum Beispiel ge- noch einmal in die Seminare an sie zum ersten Mal vor einer Dadurch werden sie auch fragt: ‚Was brauchen die Kinder der Uni ein. Denn dort erzählen Klasse stehen. „Klar testen die darauf vorbereitet, dass Schule als Vorbereitung auf die globali- sie häufig von kritischen Situa- Schüler erst einmal aus, wie heute oftmals anders funkti- sierte Welt?‘ Die Lehrer müssen Fotos: Peter Rigaud tionen, die sie mit Professoren weit sie gehen können“, sagt oniert als zu der Zeit, in der Antworten dafür anbieten.“ und Kommilitonen analysieren Carsten Röder, der später Sport sie selbst noch Schüler waren. und für die sie Handlungsmög- und Sozialkunde unterrichten „Die Schulen müssen sich stär- lichkeiten ausloten. will: „Da passiert es schon ein- ker in die gesellschaftlichen > 13
SCHWERPUNKT Entwicklungen integrieren“, sich wieder an seine eigene sagt Michaela Gläser-Zikuda, Ausbildung zum Lehrer, ein Professorin für Schulpädagogik paar Jahrzehnte liegt das inzwi- in Jena: „Sie bauen deshalb schen zurück. „Wir sind nach zum Beispiel eigene Profile auf, dem Studium ganz schön naiv etwa zur Fremdsprachigkeit an die Schule gegangen. Wenn oder zur Medienkompetenz.“ ich mir heute die Referendare Auch dafür müssten die Lehrer anschaue, die zu uns kommen: gewappnet sein. Bei diesem Die sind idealistisch und hoch Paradigmenwechsel, davon ist qualifiziert. Und sie wissen Gläser-Zikuda überzeugt, kön- von vornherein, was sie in ne das Jenaer Modell mit sei- der Schule erwartet. Das war nem engen Praxisbezug helfen: bei uns noch anders.“ Derzeit „Weil sie so früh in der Schule denkt Bald mit seinen Kollegen sind, sehen sich die Studie- darüber nach, die Unterrichts- renden von vornherein stärker stunden auf 60 Minuten zu als Lehrer – und eben nicht in verlängern, damit man tiefer in erster Linie als Mathematiker, den Stoff einsteigen kann. Das Physiker oder Germanisten.“ englischsprachige Schultheater könnte man institutionalisieren E oder mit den Jugendlichen ein infallsreiche Modelle Projekt für die benachbarten zur Lehrerbildung Grundschulen auf die Beine wie in Jena oder in stellen. Dann schüttelt Walter Hamburg gibt es an Bald den Kopf. „Es gibt immer vielen deutschen etwas zu verbessern“, sagt er CHRISTIAN HOPPE UND JENNA WEGENER Universitäten. „Viele und schmunzelt, „es ist ja nicht Referendare an der Erich-Kästner- Hochschulen sind in so, dass man irgendwann im Gesamtschule Bochum einer ganzen Reihe von pädagogischen Himmel ankom- Aspekten sehr gut“, lobt Bettina men würde und dass ab dann Ihre erste Feuerprobe kam für Jenna Wegener aus heiterem Jorzik vom Stifterverband. Die alles fertig ist.“ Himmel: Eine Schülerin weigerte sich, ihr Buch herauszu- wichtigste Aufgabe sei es jetzt, holen – und als sie das Mädchen noch mal dazu aufforderte, die guten Ansätze in die Breite rannte es einfach aus der Klasse. „Ich wusste genau, was zu tragen. Dazu gehören nach MONITOR man uns an der Uni immer eingeschärft hatte: Du hast ihrer Ansicht Praxisphasen wie LEHRERBILDUNG die Aufsichtspflicht für die ganze Klasse“, erinnert sich in Jena, bei denen die Studie- Mit dem Monitor Lehrerbildung Wegener. Und jetzt war eine Schülerin irgendwo draußen renden eng betreut und deren gibt es im Internet erstmals einen unterwegs, 29 Kinder saßen noch da, und sie müsste sich Ergebnisse in den Seminaren Überblick über die Wege in den eigentlich um alle kümmern. „Darauf bereitet einen keine theoretisch hinterfragt werden. Lehrerberuf: In der Datenbank Uni der Welt vor“, sagt sie. Intuitiv hat sie übrigens richtig Und dazu gehört ein ganzheit- sind Angaben zum Studium an reagiert: Sie bat den Kollegen aus dem Nachbarzimmer, licher Ansatz wie im Hamburger 63 verschiedenen Hochschulen doch auch noch ein Auge auf ihre Klasse zu werfen – und Sozietätsmodell, bei dem Fach- zusammengetragen, die ein jeweils machte sich dann auf die Suche nach der ausgebrochenen wissenschaftler und Didaktiker eigenes Ausbildungssystem haben. Schülerin. eng zusammenarbeiten. „Wir Interessenten finden Informationen Mathelehrer Christian Hoppe umschiffte derweil in seinem brauchen ein Curriculum aus etwa zu Mobilität, Praxisbezug Referendariat eine ganz andere Klippe. Als seine Schüler mit einem Guss, in dem die künfti- oder Studienverlauf und eine den geometrischen Formen kämpften, ließ er sie kurzer- gen Lehrer schon erfahren, wie Aufschlüsselung nach Bundeslän- hand per Zollstock das Klassenzimmer ausmessen. „Seit sie theoretisches Wissen und die An- dern. Die große Internetdatenbank das einmal gemacht haben, verstehen sie plötzlich, was es wendung im Klassenzimmer zu- ist eine Gemeinschaftsinitiative Foto: Malwine Schomburg bedeutet, eine Fläche zu berechnen“, sagt er. sammenhängen“, fordert Jorzik. von Stifterverband, Bertelsmann In der Bochumer Erich- Stiftung, dem CHE Centrum für Kästner-Gesamtschule streift Hochschulentwicklung und der Schulleiter Walter Bald über Deutsche Telekom Stiftung. den Pausenhof und erinnert www.monitor-lehrerbildung.de 14
Wir leben unseren Traum. Weltraum. The AerospAce FAmily Der Weltraum fasziniert und begeistert die Menschen. Uns ganz besonders: Denn wir kennen den Wert der Raumfahrt für Mensch und Gesellschaft. Dafür übernehmen wir Verantwortung. Als ein führendes Unternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie setzt OHB auf kluge Ideen, innovative Technologien und packenden Teamspirit in einer starken, internationalen Unternehmensfamilie. Mit viel Raum für leidenschaftliche Spezialisten, die nie aufhören, zu träumen. www.ohb.de OHB unterstützt die Bildungsinitiative des Stifterverbandes.
Die faule Bande Über keine andere Berufsgruppe gibt es mehr Klischees als über Lehrer. Da hilft nur eins: Selbstironie. Comic: Maren Amini 16
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INTERVIEW „ DEUTSCHLAND SOLLTE EIN FAIRES LAND BLEIBEN” Der Unternehmer Christian Boehringer ist leidenschaftlicher Verfechter einer besseren Schule. Ein Gespräch über die Mängel seiner eigenen Schulzeit, die Werkswohnungen seines Großvaters – und darüber, warum sich das Engagement für die Bildung lohnt. Interview: Kilian Kirchgeßner Herr Boehringer, Hand aufs baden. Ich glaube, dass meine waren lange im Ausland – es fach beim Lehrkörper anfangen: Herz: Wenn Sie wieder in eine Eltern damals überhaupt keine sieht ganz so aus, als sei das Wir brauchen mehr Ausländer Schule kommen – werden da Notwendigkeit gesehen haben, Rüstzeug aus der Schule gut in den Lehrerzimmern. Schüler schöne oder schmerzhafte über private Schulen nachzu- gewesen. sollen schon früh Lehrer aus Erinnerungen an Ihre eigene denken, weil sie das Gefühl Die Schüler von heute sind verschiedenen Nationen in ihrer Schulzeit wach? hatten, dass ich in einem besser darauf vorbereitet, sich Unterschiedlichkeit erleben. Ich war in der Schule nir- normalen Umfeld aufwachsen die richtigen Leute und die Wann haben Sie als gendwo besonders gut und sollte – und dass die staatli- richtigen Informationen zu Pharmaunternehmer ange- nirgendwo besonders schlecht, chen Schulen sehr gut sind. suchen, wenn sie ein Problem fangen, sich für das Thema deswegen war am Ende Sehen Sie das rückblickend lösen müssen. Das finde ich Bildung zu interessieren? meiner Schulzeit noch nicht genauso? ganz entscheidend, ich selbst Als mein Sohn vor zehn Jahren klar, wie ich meinen weite- Wenn ich mir ansehe, wie habe mir diese Fähigkeit erst im auf die Frankfurt International ren beruflichen Weg planen führende Schulen heute un- Beruf angeeignet. Bei meinen School kam, wurde ich ins wollte. Im Rückblick denke terrichten, denke ich oft: Das Stationen im Ausland habe ich Board gewählt und habe mich ich gern an meine Schulzeit. hätte mir damals auch gefallen! übrigens auch gesehen, dass es das erste Mal damit befasst, Fotos: Angelika Zinzow Waren Sie auf einer privaten Was hat Ihnen denn gefehlt? nicht nur den deutschen Weg was eine gute Schule ausmacht. Schule? Sie haben in anderen Firmen gibt, um Probleme oder Aufga- Damals haben wir das Prin- Nein, ich war von der Grund- Karriere gemacht, bevor Sie ben zu lösen. Das sollte Schule zip der „Lernenden Schule“ schule bis zum Abitur auf in Ihr Familienunternehmen heute ebenfalls vermitteln, finde entwickelt. Das heißt: Die staatlichen Schulen in Wies- zurückgekehrt sind, Sie ich. Damit kann man ganz ein- Schule schreibt ihre Vision > 18
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INTERVIEW sechs in Deutschland gibt. in dem mehr Kinder eine gute Ab der ersten Klasse lernen Chance erhalten – und dazu die Kinder Englisch. gehört eine gute Schulbildung. Genau. Mein Bruder und ich Moment: Sie fordern ein faires unterstützen das Phorms- Land und fördern Privatschu- Konzept. Denn private Schulen len – liegt darin nicht ein kosten in den ersten Jahren Widerspruch? immer mehr, als sie erwirtschaf- Ich appelliere immer dafür, die ten: Man baut ein Gebäude, Feindschaft zwischen privaten hat aber noch keine vollen und öffentlichen Schulen end- Schülerzahlen. Wir haben der lich zu beenden. Und dafür tun Phorms-Holding Eigenkapital wir auch etwas: Unseren Ansatz gegeben, das sie dann unter an- von der „Lernenden Schule“ derem als Kredit an die Schule wollen wir hier in Hessen jetzt weiterreicht. Wenn die Schule zum ersten Mal mit ein paar das Geld zurückzahlt, kann Schulen im Verbund testen, die Holding damit die nächste mit staatlichen und privaten Schule aufbauen. So können gleichermaßen. Die Kernfrage wir im Laufe unseres Lebens mit dabei ist, wie man trotz der CHRISTIAN BOEHRINGER (48) ist Vorsitzender des dem gleichen Betrag mehrere unterschiedlichen Vorausset- Gesellschafterausschusses von Boehringer Ingelheim, Schulen gründen. Auch bei zungen etwas verbessern kann. einem der weltweit führenden Pharmakonzerne. Phorms arbeiten wir übrigens Viele Politiker erklären zwar, Er ist Urenkel des Firmengründers Albert Boehringer. an dem Prinzip „Lernende dass man nur mit mehr Geld Seit vielen Jahren engagiert er sich für bessere Schulen. Schule“ – und wir sehen tat- etwas bewegen könne – ich als Eines seiner Lieblingsprojekte sind die privaten sächlich eine ähnliche Entwick- Unternehmer bin aber daran Phorms-Schulen: In ihnen werden die Schüler von lung: Die Zufriedenheit von gewöhnt, mit den vorhande- Anfang an zweisprachig ausgebildet; ein besonderer Eltern, Kindern und Lehrern nen Mitteln zu arbeiten und Schwerpunkt liegt auf dem differenzierten Lernen, steigt, auch die Unterrichtsqua- das Beste daraus zu machen. bei dem jeder Schüler individuell gefördert wird. lität verbessert sich stetig weiter. Wenn Sie Ihre Unternehmer- Warum ist Ihnen diese Ent- rolle ansprechen: Merken Sie wicklung so wichtig, dass Sie in Ihrer Firma an den Bewer- dafür so viel Geld und Zeit bern, was in der Schulpolitik investieren? im Argen liegt? Machen Sie doch mal ein Ex- Ja, natürlich. Wir bekom- Beim Stifterverband ist Christian Boehringer periment: Sprechen Sie abends men erstens spürbar weniger Mitglied des Vorstandes und Themenbotschafter mal unter Ihren Freunden das Bewerbungen als früher – und für das Handlungsfeld Lehrer-Bildung. Thema Schule an. Sie werden zweitens fehlt den Absolventen sehen: Alle sind sich einig, dass häufig etwas. Zum Beispiel das wir auf diesem Gebiet ein Pro- Selbstbewusstsein: Sie trauen blem haben. Wenn Deutschland sich selbst oft schlicht nichts fest. Sie legt nieder, was sie den Hat das funktioniert? in Forschung und Wirtschaft zu. Das kann man mit ganz Schülern vermitteln, wo sie In Frankfurt hat es geklappt, weltweit zu den führenden simplen Methoden verändern: Schwerpunkte setzen und wie da hat die Schule ihr akademi- Ländern gehören will, dann Wenn sie in der Schule oder in sie deren Umsetzung messen sches Ergebnis kontinuierlich brauchen wir auch genügend der Ausbildung bei Theaterauf- will. Anhand der Zielerreichung verbessert und wurde von einer junge Leute, die gut ausgebildet führungen mitspielen, erleben können Sie sehr gut feststel- sehr guten Schule zu einer sind. Die Zeit, in der wir einen sie, dass sie etwas können, dass len, wo die Schwachpunkte Spitzenschule. Das fand ich Nobelpreisträger nach dem sie wahrgenommen werden, des Unterrichts liegen – und so spannend, dass ich danach anderen gestellt haben und eine dass es auf sie ankommt. So an denen dann zusammen mit dachte: Das Prinzip müsste Spitzenstellung in der Wissen- etwas sind Grundprinzipien, dem Lehrerkollegium arbeiten. sich auf andere Schulen schaft innehatten, die ist schon die jede Haupt- oder Real- So eine gezielte Messung der übertragen lassen, etwa die längst vorbei. Damit hängt das schule vermitteln könnte. Das Erfolge und eine konsequente Phorms-Schulen. Thema Schule unmittelbar zu- ist keine Frage des Geldes. Verbesserung wird heute an Das sind private Schulen, sammen. Ich finde, Deutschland Es ist erstaunlich, dass Sie wenigen Schulen praktiziert. von denen es inzwischen sollte ein faires Land bleiben, als Unternehmer nicht die > 20
Partner der Bildungsinitiative www.gfk-verein.org Wissbegierde aufsess.com Wissen kann nur dann angewendet werden, wenn es in den Köpfen ist. Der GfK Verein ist der Think Tank der Marktfor- schung und sieht es als seine Aufgabe, Wissen zu schaffen und zu vermitteln. Sein Ziel ist es, innovative Marktforschungs- methoden in enger Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen zu entwickeln sowie neue Erkenntnisse über Märkte und Trends zu gewinnen und weiterzugeben. Zu den Schwerpunkten seiner aktuellen Forschungsarbeit zählt der- zeit die Emotionsanalyse. Der GfK Verein ist Hauptaktionär der GfK SE. info@gfk-verein.org | ++49.911.395-2231 | www.gfk-verein.org
INTERVIEW Defizite in den naturwissen- Ist es aber nicht eigentlich die schaftlichen Fächern oder in Aufgabe des Staates, für gute Mathematik kritisieren. Bildung zu sorgen? Natürlich habe ich ein Interesse Einige Leute denken so, ich daran, ambitionierte Natur- weiß; aber zu denen gehöre wissenschaftler zu gewinnen! ich nicht. Die Familienunter- Aber alles fängt beim Umgang nehmen in Deutschland haben miteinander und dem eigenen immer einen Teil ihrer Mittel Selbstwertgefühl an: In der für die Ausbildung gegeben. PISA-Studie etwa schneiden die Das war sogar schon gleich Länder besser ab, in denen die nach dem Krieg so, als niemand Schulen zuerst an der Sozial- etwas hatte und alle jeden kompetenz arbeiten und danach Pfennig umdrehen mussten – da die Schraube beim Lernen haben die Unternehmer schon anziehen. Wir versuchen, erste angefangen, den Stifterverband Ideen zu entwickeln, wie man aufzubauen, damit wieder das bei uns umsetzen kann. Bildung stattfinden kann. Das klingt noch sehr Trotzdem: Sie haben die vorsichtig. gewaltige Bandbreite der Pro- Das Problem ist, dass man bleme ja selbst genannt – ist akademische Kompetenz recht so eine Sisyphosaufgabe nicht leicht messen kann, die soziale ungemein frustrierend? Kompetenz hingegen kaum. Wir Sie wäre es, wenn man erwarte- bräuchten ein Werkzeug, um te, alles bis morgen komplett zu genau zu analysieren, wo ein lösen. Wir nehmen uns deshalb Kind steht. Dann kann man den beim Schulthema immer einen Lehrplan so anpassen, dass die schwachen Schüler genauso ge- „WIR SUCHEN BESONDERS Teilaspekt nach dem anderen vor. Mein Urgroßvater wusste fördert werden wie die starken. GELUNGENE METHODEN. ja auch nicht, dass Boehringer In den Ballungsräumen haben wir es zudem noch mit Kindern DENN ERFOLGSREZEPTE LASSEN irgendwann einmal ein Welt- unternehmen sein würde, er aus vielen Nationen zu tun. Die SICH GUT REPRODUZIEREN.” wollte einfach eine chemische große Herausforderung ist, sie Christian Boehringer Substanz produzieren. So ist kulturell abzuholen und gut in das auch bei mir: Ich bilde mir den Unterricht einzubinden. nicht ein, das Schulsystem im Das sind gleich mehrere große Alleingang umzukrempeln. Baustellen. Ist das nicht ein dazu bieten die Lehrerbildung an verbessern wollen – oder als Aber ich kann einen Beitrag bisschen viel auf einmal? Universitäten und die Lehrerwei- Unternehmer, der auf gute dazu leisten, damit die Ent- Deshalb ist es der Ansatz des terbildung. Absolventen angewiesen ist? wicklung ein bisschen schneller Stifterverbandes, an einer einzi- Und woher wissen Sie, welche Als mein Großvater Werks- geht. Und schauen Sie, wie gen, aber eben einer entschei- Ideen dort wirklich gefragt sind? wohnungen gebaut hat – war viel man selbst als Einzelper- denden Stelle anzusetzen: bei Beim Stifterverband suchen wir der nur sozial oder war der son verändern kann: Wie viele den Lehrern. Viele von ihnen uns einige Hochschulen aus, auch ein guter Unternehmer? Schüler gehen in zehn Jahren wären bereit, viel mehr zur die sich bei der Lehrerbildung Vermutlich hat er ganz einfach durch die Frankfurt Interna- Lösung der Probleme beizu- besonders engagieren, und stu- gedacht: Wer ein Dach über tional School, an der wir etwas tragen – wenn man ihnen nur dieren dort, wie sie es schaffen, dem Kopf hat und einmal am verbessert haben? Wie viele helfen würde, ihre Ideen richtig die Lehrer zu motivieren. Diese Tag ein warmes Essen be- besuchen die Phorms-Schulen umzusetzen. Derzeit passiert das Methoden zeichnen wir aus, kommt, der wird auch anstän- und wie viele die anderen nicht: Ein Drittel der Lehrer in denn die Erfolgsrezepte lassen dig arbeiten. Er war weder nur Schulen, die wir jetzt noch in Deutschland ist frustriert – diese sich gut reproduzieren. Das ist sozial noch nur kalkulieren- den Kreis mit aufnehmen? Ich Quote ist höher als in vielen der Gedanke bei der Bildungs- der Unternehmer, es ist eine muss nicht immer die ganze anderen europäischen Ländern. initiative des Stifterverbandes. Mischung aus beidem. Auch Welt verändern. Wenn es für ein Glücklicherweise lässt sich dieser Engagieren Sie sich eigentlich, ich sehe in beiden Ansät- paar Tausend Schüler ist, ist es Zustand ändern. Einen Schlüssel weil Sie als Bürger Ihr Land zen keinen Widerspruch. doch auch nicht schlecht. Oder? 22
Foto: Cultura/Luc Beziat/Getty Images WERDEN SIE BILDUNGSSTIFTER! Bildung geht uns alle an. Die Aufgaben, die vor uns liegen, Die Stiftung ist ein Dach für alle jene, die mit innovativen können wir nur gemeinsam bewältigen. Wir laden Sie Projekten, maßgeschneiderten Initiativen und mit persön- herzlich ein, mit uns Großes zu schaffen: ein faires und lichem und finanziellem Engagement unser Bildungssystem nachhaltiges Bildungssystem, das junge Menschen und ihre weiterbringen wollen. Talente fördert. Machen Sie mit: Holen Sie mit uns zusammen die besten WIRKEN SIE MIT! Ideen ans Licht und sorgen Sie für deren Verbreitung. Hier können Sie sich informieren: gegründet vom Tel.: (0 30) 32 29 82-5 31 Die Stiftung Bildung und Gesellschaft unterstützt www.stiftung-bildung-und-gesellschaft.de die Bildungsinitiative des Stifterverbandes.
Früh übt sich Die Grundschulen werden oft ausgeklammert, wenn Politiker über den Erfolg von Schulen debattieren – dabei spielen sie eine wichtige Rolle für den späteren Erfolg der Schüler. Grundschullehrer verdienen deshalb mehr Aufmerksamkeit, schreiben die Bildungsforscher Dirk Richter, Hans Anand Pant und Petra Stanat in ihrem Essay. 24
ESSAY die Sprach- und Leseförderung verläuft, variiert allerdings stark. Besonders aussagekräftig sind die Zahlen, die erst auf den zweiten Blick auffallen: So berichtet knapp die Hälfte der Lehrer, dass sie im Bereich der Sprachförderung dringend eine Fort- bildung bräuchten. Manche haben dieses wichtige Thema im Studium gar nicht behandelt, bei anderen wird das alte Wissen den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht. Daraus folgt eine zentrale Herausforderung für die Bildungspolitik: Die D Lehrer müssen gezielt in Sachen Sprach- und Leseförderung weitergebildet werden – und die Förderprogramme an den er Befund sorgte für Schlagzeilen in allen großen Schulen sorgfältig evaluiert werden. Genau dieses Ziel verfolgt Medien: Das Niveau der Schüler in Mathematik die Bund-Länder-Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“, und Naturwissenschaften schwanke extrem von die im vergangenen Jahr gestartet ist. In diesem Projekt werden Bundesland zu Bundesland, am besten schnitten bestehende Angebote der Sprachförderung, Sprachdiagnos- die ostdeutschen Bundesländer ab, zu den Schluss- tik und Leseförderung weiterentwickelt und wissenschaftlich lichtern zählten Bremen und Nordrhein-Westfalen analysiert. Die Initiative setzt damit an einem Punkt an, der sich Zutage gefördert hat diese Ergebnisse der Län- im Ländervergleich 2011 als besonders wichtig erwiesen hat. dervergleich 2012, in dem Forscher die Leistun- gen von Schülern in der neunten Klasse unter die Feminisierung der Lehrerschaft Lupe genommen haben. Was angesichts solcher Zu einem großen Teil hängt es von der Kompetenz der Lehrkräfte medienwirksamen Ergebnisse leicht aus dem Blick gerät: Die ab, wie gut Kinder und Jugendliche lernen und wie gut sie den Weichenstellung für schulische Karrieren vollzieht sich schon Unterrichtsstoff bewältigen. Deshalb lag ein wichtiges Augen- deutlich früher. Auch unter den Viertklässlern gibt es erhebliche merk des Ländervergleichs 2011 auf den Lehrkräften. Schon ein Leistungsunterschiede; das ergab der Ländervergleich im Jahr Blick in die Statistik zeigt: Die Lehrerschaft an Grundschulen 2011, der sich mit den Grundschulen beschäftigte. Bundesweit unterscheidet sich deutlich von der an weiterführenden Schulen. haben 27.000 Schüler aus der vierten Jahrgangsstufe daran teil- So sind etwa 90 Prozent der Grundschullehrkräfte Frauen, an genommen. Dabei erhielten die Kinder unter anderem verschie- Gymnasien sind es knapp 60 Prozent. In der öffentlichen Dis- dene Texte, die sie durchlesen mussten. Anschließend sollten sie kussion wird mit diesem überproportional hohen Frauenanteil einfache Fragen dazu beantworten; so lässt sich feststellen, ob häufig begründet, dass Jungen im schulischen Erfolg oft hinter sie sie auch wirklich verstanden haben. Die Ergebnisse waren Mädchen zurückstehen. Es fehle an männlichen Rollenvorbildern deutlich: Während in Berlin fast ein Viertel der getesteten Schüler in der Schule, so heißt es oft, deshalb seien die Jungen weniger im Lesen nicht einmal die Mindeststandards erreichte, waren es bereit zu lernen. Außerdem sei der Unterricht von Lehrerinnen bei ihren bayerischen Altersgenossen nur zehn Prozent. Es ist also durch weibliche Interessen und Handlungsweisen geprägt, so an der Zeit, sich verstärkt mit den Grundschulen zu beschäftigen, dass Mädchen beim schulischen Lernen einen Vorteil hätten. denn hier werden die Grundlagen für weitere Lernerfolge der Auf Grundlage dieser Argumente ließe sich erwarten, dass Schüler geschaffen. Den Ländervergleich 2011 hat das Institut Jungen in Leistungstests durchweg schlechtere Ergebnisse errei- zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Humboldt- chen als Mädchen. In Wirklichkeit schneiden die Jungen aber Universität zu Berlin im Auftrag der Kultusminister durchgeführt. ausschließlich in den Kompetenzbereichen Lesen und Orthografie Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich in drei Themenbereiche schlechter ab, in den Bereichen Mathematik und Naturwissen- gliedern. schaften sind sie am Ende der vierten Klassenstufe hingegen deut- lich besser – und das, obwohl die Fächer oft von denselben Leh- Sprach- und Leseförderung rern unterrichtet werden. Trotzdem bleibt die Frage, ob Mädchen Seit der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 mit ihren alarmieren- im Lesen nicht doch durch Lehrerinnen besser gefördert werden. den Ergebnissen haben die Bundesländer viel unternommen, um Studien, die diesen Fragen nachgingen, weisen übereinstimmend die Sprachentwicklung und die Lesefähigkeit von Kindern und darauf hin, dass es weder für Mädchen noch für Jungen Vorteile Jugendlichen stärker zu fördern: Inzwischen werden schon in mit sich bringt, von Lehrern des jeweils gleichen Geschlechts Illustration: Jindrich Novotny/2agenten den Kindertagesstätten die sprachlichen Kompetenzen geschult, unterrichtet zu werden. Der hohe Frauenanteil unter den Grund- damit die Kinder erfolgreich den Sprung in die Schule bewälti- schulpädagogen ist somit als Erklärung für geschlechterspezifische gen. Und auch an den Grundschulen selbst gibt es oft deutlich Leistungsunterschiede nicht haltbar. Demnach spricht nichts mehr Angebote als früher, um schwache Schüler zu unterstüt- dafür, dass sich durch eine Erhöhung des Anteils männlicher zen. Fast alle Schulen bieten Zusatzkurse im Fach Deutsch an Lehrkräfte an Grundschulen die Leistungsnachteile von Jungen oder Förderkurse für Kinder, die mit dem Lesen und Schreiben verringern würden. Vielmehr sollte die Aus- und Fortbildung pro- noch Probleme haben. Auch Büchereien gibt es inzwischen fast fessionalisiert werden, um eine hohe Unterrichtsqualität sicherzu- flächendeckend an den Schulen. Wie fundiert und systematisch stellen – unabhängig vom Geschlecht der Lehrkraft. > 25
ESSAY Wenn man nun vergleicht, wie die Schüler abschneiden, die von Lehrkräften mit oder ohne Lehrbefähigung im jeweiligen Fach unterrichtet werden, zeigt sich ein eindeutiges Resul- tat: Im Mittel erreichen diejenigen Klassen mit einschlägig qualifizierten Lehrern bessere Ergebnisse. Dieser Unterschied zeigte sich insbesondere für das Fach Mathematik und war für leistungsschwache Klassen wesentlich stärker ausgeprägt als für leistungsstarke. Im Klartext: Wenn sich die Schüler mit Mathe- matik schwertun, können spezialisierte Mathelehrer ihnen zu besseren Ergebnissen verhelfen. Damit bestätigt sich auch für die Grundschule, dass die fach- spezifischen Kompetenzen der Lehrer eng mit dem Lernerfolg von Schülern zusammenhängen. Nötig ist dort also eine solide fachliche und fachdidaktische Ausbildung in den Kernfächern. Erste Schritte in diese Richtung zeichnen sich beispielsweise in den Empfehlungen der Expertenkommission Lehrerbildung in Berlin ab: Demnach sollen angehende Grundschulpädagogen ver- pflichtend die Lernbereiche Deutsch und Mathematik gleicher- maßen studieren. Fazit Große Schulleistungsstudien wie der Ländervergleich 2011 untersuchen in erster Linie, wie gut die Schüler in ausgewähl- Professionelle Kompetenz von Grundschullehrern ten Bereichen abschneiden. Was diese Studien allerdings nicht Lehrer, die über mehr fachdidaktisches Wissen verfügen, gestal- können: Sie geben keine konkreten Handlungsanweisungen, was ten einen anspruchsvolleren und strukturierteren Unterricht, der Bildungspolitiker tun müssten, um die Situation zu verbessern. bei den Schülern höhere Lernzuwächse mit sich bringt – dieser Erste Orientierungspunkte für eine langfristige Strategie aber Zusammenhang ist aus diversen Studien bekannt. In Deutschland beinhalten sie durchaus – denn wo ein Bildungssystem seine wurde dies bislang für das Fach Mathematik in der Sekundar- Stärken und Schwächen hat und wie sich das Leistungsniveau im stufe I nachgewiesen; Erkenntnisse über vergleichbare Zusam- Laufe der Zeit verändert, fördern die Studien sehr deutlich zutage. menhänge in der Grundschule hingegen fehlten bis vor wenigen Da bereits an den Grundschulen die Weichen für einen späteren Jahren. Um diese Forschungslücke zu schließen, wurde im Län- Lernerfolg an den weiterführenden Schulen gestellt werden, muss dervergleich 2011 auch die fachliche Qualifikation der Unterrich- dort ein stabiles Fundament geschaffen werden, auf dem sie an- tenden erfasst. Mit den erhobenen Daten konnte man feststellen, schließend aufbauen können. Das mag banal klingen, gerät aber wie hoch der Anteil der Lehrkräfte in allen Ländern ist, die das bei der Diskussion um die Ergebnisse etwa des PISA-Tests schnell von ihnen unterrichtete Fach studiert haben, und diese Zahl zu außer Acht, denn der wird erst in höheren Klassen durchgeführt. den erreichten Kompetenzen der Schüler in Beziehung setzen. In den Klassen eins bis vier müssen Kinder, die zu Hause nicht Die Besonderheit vieler Grundschulen ist, dass die Klassen- nur Deutsch sprechen, so in ihrer Sprach- und Lesekompetenz ge- lehrer fast alle Fächer selbst unterrichten – auch dann, wenn fördert werden, dass sie dem Unterricht folgen können und nicht sie an der Universität etwas anderes studiert haben. So gibt also schon deshalb an Aufgaben scheitern, weil sie die Fragestellung beispielsweise der Deutschlehrer auch Matheunterricht oder nicht verstehen. Hierbei kommt den Lehrern eine zentrale Rolle umgekehrt. Im schulischen Jargon hat sich dafür der Begriff zu. Die Grundschullehrer im Bereich der Sprach- und Leseförde- des „fachfremd“ unterrichtenden Lehrers eingebürgert. Danach rung und in den Kernfächern besser auszubilden kann also einen wurde im Ländervergleich gefragt. Das Ergebnis: Etwa ein wichtigen Ansatzpunkt für die Bildungspolitik darstellen. Sechstel aller Deutschlehrkräfte und ein Viertel aller Mathema- tiklehrkräfte gab an, im jeweiligen Fach über keine Lehrbefähi- gung zu verfügen. Die länderspezifischen Unterschiede waren DIRK RICHTER vertritt derzeit die Professur dabei erheblich. So variierte im Fach Mathematik der Anteil der für Bildungsforschung und Methodenlehre an fachfremd Unterrichtenden zwischen etwa einem Prozent in der Universität Erfurt. Zuvor forschte er am Thüringen und knapp 50 Prozent in Hamburg. In allen ostdeut- Institut zur Qualitätsentwicklung im schen Ländern fiel der Anteil sehr niedrig aus, da ein Großteil Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität der Lehrer die Ausbildung noch in der DDR absolviert hat. Dort Berlin und koordinierte den Ländervergleich 2011. gehörten die Fächer Deutsch und Mathematik zum Kernbe- Am Beitrag wirkten Hans Anand Pant und Petra Stanat mit. Sie sind standteil des Lehramtsstudiums. seit 2010 Direktoren des IQB an der Humboldt-Universität Berlin. 26
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