Vom Willen zur Teilhabe - recke: in Das Magazin der Graf Recke Stiftung - recke:on

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Vom Willen zur Teilhabe - recke: in Das Magazin der Graf Recke Stiftung - recke:on
AUSGABE 4/2020

recke:in               Das Magazin der Graf Recke Stiftung

        Vom Willen
        zur Teilhabe
Vom Willen zur Teilhabe - recke: in Das Magazin der Graf Recke Stiftung - recke:on
Inhalt
                                                                     Wer wir
4    Kreuz & quer                                                    sind und was
8    Von Upcycling bis zum Umweltführerschein
     Ideen für den Graf Recke Zukunftspreis für Nachhaltigkeit       wir tun
10   Neue Horizonte                                                  Die Graf Recke Stiftung ist eine der
     Zwei Männer und ihr Weg in die Arbeitswelt                      ältesten diakonischen Einrichtungen in
12   Klarheit über den eigenen Lebensentwurf                         Deutschland. Sie hat ihren Sitz in Düssel-
     Wolfgang Hinte ist der geistige Vater                           dorf und begleitet mit mehr als 2.700 Mit-
     der »Sozialraumorientierung«                                    arbeitenden fast 4.300 Menschen in den
14   Den Willen des Klienten erkunden                                Aufgabenfeldern Erziehung & ­Bildung,
     Workshops auf dem Weg zur Sozialraumorientierung                Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik
                                                                     sowie Wohnen & Pflege. Ebenfalls zur
16   Anwältin der Klienten                                           Stiftung gehören die Graf Recke Päda-
     Case-Managerin Erika Röhling begleitet                          gogik gGmbH, Jugendhilfe Grünau, in
     Menschen auf dem Weg zu mehr Teilhabe                           Bad Salzuflen, das Seniorenheim Haus
18   Der Traum vom eigenen Zuhause                                   Berlin gGmbH in Neumünster und die
     Manfred Löhe hat einen schwierigen Weg hinter                   Dienstleistungsgesellschaft DiFS GmbH.
     sich – und ein großes Ziel erreicht
20   Teil der Gemeinschaft                                           Mehr Informationen und aktuelle News
     Wie der Familien unterstützende Dienst                          aus der Graf Recke Stiftung:
     Kindern Teilhabe ermöglicht                                          www.graf-recke-stiftung.de
                                                                          www.graf-recke-karriere.de
24   Theologischer Impuls: Heimlich
                                                                          www.recke-on.de
     Jesu Geburt als Zeichen: »Gott mit uns«
25   Bürgermeister zu Gast                                               www.facebook.com/GrafReckeStiftung
     Die Stadtspitze zu Gast in Hilden und Düsseldorf                     www.xing.de/companies/GrafReckeStiftung
26   Die erste recke:in erscheint
     recke:rückblick: Vor 25 Jahren
27   Die naive Frage
     Einsam in Coronazeiten?
28   Nächstes Jahr im Ahorn-Karree
     Advent in besonderen Zeiten
31   Seitenblick: Bella freut sich auf Frauchen
     Was macht Gabriele Becker, wenn sie nicht mehr im Dienst ist?
32   Zukunftsweisende Angebote in ungewöhnlicher Architektur
     Zwei Würfel in Wittlaer und für wen sie gebaut werden
34   Das Projekt: Kinderfreude Seilbahn
     Eine Spende für die Seilbahn macht Kindern
     gerade in Coronazeiten Freude                                   recke:in
                                                                     Das Magazin der Graf Recke Stiftung
36   Engagiert mit Herz: Der Spaß am Glück der anderen               Ausgabe 4/2020
     Andy Bloch hat viele Hobbys – und teilt sie gern                Herausgeber Vorstand der Graf Recke Stiftung
                                                                     Einbrunger Straße 82, 40489 Düsseldorf
38   Danke, dass es Sie gibt – bleiben Sie gesund!                   Redaktion Referat Kommunikation, Kultur & Fundraising
     Ihre Unterstützung                                              der Graf Recke Stiftung, Dr. Roelf Bleeker
                                                                     Gestaltung Claudia Ott, Nils-Hendrik Zündorf
                                                                     Bildnachweis Dirk Bannert, Roelf Bleeker, Frank Elschner,
                                                                     Achim Graf, Dietmar Redeker, Heide Storck, Walter-Kobold-Haus,
                                                                     Özlem Yılmazer, privat, VectorMine/Adobe Stock, Iracosma/
                                                                     Adobe Stock, Good Studio/Adobe Stock, Hurca/Adobe Stock,
     Titelfoto:                                                      Cienpiesnf/Adobe Stock, Szymon Fischer/Unsplash
     Dominik Münch hat stets an seinen persönlichen Zielen           Druckerei V+V Sofortdruck GmbH, 4.000 Exemplare
     gearbeitet und sagt: »Wenn ich mir was vornehme, dann           Umweltschutz recke:in wird CO2-neutral gedruckt.
     bleib ich da auch dran.« Was er wollte und geschafft
     hat, erzählt der 26-Jährige im Beitrag ab Seite 10.
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Editorial

                    Petra Skodzig und Pfarrer Markus Eisele.

           Liebe    es gibt diese Tage, die man sein Leben lang
                    nicht mehr vergisst. Der erste Kuss, der Fall
                                                                    Viel Zeit, Liebe und Aufmerksamkeit
                                                                    investieren auch unsere Inklusionsbegleiter
         Leserin,   der Mauer, Nine-Eleven oder auch der 13.
                    März 2020, der Tag, mit dem der Lockdown
                                                                    des Familien unterstützenden Dienstes
                                                                    (FuD). Dank ihrer Arbeit werden Kinder
           lieber   in Deutschland begann.                          und Jugendliche nicht mehr wegen ihrer
                        Da gibt es ein Vorher und ein Nach-         Einschränkungen ausgeschlossen, son-
           Leser,   her. Vielen unserer Klienten und                dern gehören in Schule und Kita dazu. Die
                    Bewohnerinnen geht es genauso – in ihrem        Begleiter haben ein Auge für ihre Bedürf-
                    privaten Leben.                                 nisse und eröffnen neue Möglichkeiten der
                        Manfred Löhe erlebte gerade wieder          Beteiligung. Was das für Metin, Nils und
                    solch einen Tag. Nach einem Vierteljahr-        Chiara bedeutet? Ihre Familien sprechen
                    hundert zog er um in eine eigene Woh-           in dieser recke:in davon. Auf einen Begriff
                    nung. »Quasi über Nacht ging ein Traum in       gebracht sind sie »Glücksbringer«, so eine
                    Erfüllung«, sagt er. Was für viele von uns      Mutter.
                    Normalität ist, fühlt sich für ihn wie »ein         Spielen, toben, lachen – das darf auch in
                    neues Leben« an. Denn auch ein zweites          Coronazeiten für die Kinder in den Wohn-
                    Datum markiert sein Leben: der Tag, an          gruppen auf unserem Areal in Düsseldorf-
                    dem er im Jahr 1995 in ein Wohnheim der         Wittlaer nicht zu kurz kommen. Wir wollen
                    Graf Recke Stiftung gezogen ist, weil es        jetzt eine neue Seilbahn bauen. 40 Meter
                    alleine nicht mehr ging. Seitdem hat er         Lebensfreude pur! Unterstützen Sie uns
                    nach und nach zurückgefunden in eine            dabei? Mehr dazu auf Seite 34.
                    weitgehende Eigenständigkeit.                       »Und der Engel sprach zu ihnen: Fürch-
                        Es sind Lebensgeschichten wie die von       tet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch
                    Manfred Löhe, die uns bewegen, motivie-         große Freude.« So die biblische Weih-
                    ren und glücklich machen.                       nachtsgeschichte. Engel nehmen Furcht
                        Das Bundesteilhabegesetz, das im            und schenken Freude. Wie eng liegt bei-
                    Moment Zug um Zug in der Eingliederungs-        des manchmal beisammen. Wir durften
                    hilfe umgesetzt wird, stellt den Rahmen,        erleben, wie Menschen in diesem Jahr
                    damit Menschen mit Behinderung solche           einander zu Engeln wurden. Auch wenn
                    Wege in die Selbstständigkeit gehen können.     das diesjährige Weihnachtsfest ganz anders
                    Dazu gehört, dass alle Beteiligten umdenken.    sein wird als bisher. Es ist die Kraft von
                    Für unsere Mitarbeitenden in der Graf Recke     Glaube, Liebe und Hoffnung, die unsere
                    Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik bedeutet      Tage erhellen und unsere verwundete
                    das: neue Konzepte entwickeln, neue             Gesellschaft heilen kann.
                    Abläufe einüben, neue Verantwortlichkeiten          Und jetzt nehmen wir Sie mit auf eine
                    definieren. Es bedeutet aber auch – so weit     Rundreise durch unsere Stiftung.
                    wie möglich –, Verantwortung abzugeben.             Eine vergnügliche Lektüre, frohe Weih-
                    Nämlich an die Klientinnen und Klienten.        nachten und ein gesegnetes Jahr 2021
                    Denn darum soll es immer gehen: ihnen               wünschen Ihnen
                    ein Leben in großer Selbstbestimmtheit
                    zu ermöglichen und ihren Willen und ihre        Ihr		                    Ihre
                    Ressourcen noch mehr in den Mittelpunkt
                    zu stellen. Wie man zur Ermöglicherin von
                    Teilhabe und Inklusion wird? Davon erzählt      Pfarrer Markus Eisele    Petra Skodzig
                    unsere Case-Managerin Erika Röhling, die        Theologischer Vorstand   Finanzvorstand
                    sich als Anwältin der Klienten versteht.

4/2020              recke:in                                                                                    3
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KREUZ & QUER

Seit 2010 finden zweimal jährlich Einführungstage für die neuen
Mitarbeitenden in der Graf Recke Stiftung statt. Nachdem
die Maiveranstaltung der Pandemie zum Opfer gefallen war,
strickten die Organisatoren für den zweiten Termin ein Konzept
für einen »hybriden« Einführungstag: halb digital, halb live.

Corona hat vieles digitalisiert, auch den Einführungstag
für neue Mitarbeitende, aber: »Ganz auf den persön-
lichen Kontakt verzichten wollten wir nicht«, sagt Anja
                                                                Ein hybrides Willkommen
Paulus, Leiterin des Veranstaltungsmanagements und
hauptverantwortliche Organisatorin der üblicherweise
zweimal jährlich stattfindenden Veranstaltung für neue
Kolleginnen und Kollegen. Statt alle gemeinsam durften
sich die Neuen in der ersten Einführungsveranstaltung
in Coronazeiten nur innerhalb ihrer eigenen Bereiche
treffen. Von dort wurden sie digital in einer Videokon-
ferenz zusammengeschaltet. Moderiert von Kommuni-
kationschef Roelf Bleeker kamen unter anderem Vor-
stand, Mitarbeitervertreter, Datenschutzbeauftragte
und Ombudsleute aus einem virtuellen Gästezimmer
oder vom eigenen Arbeitsplatz aus dazu, um sich den
neuen Mitarbeitenden vorzustellen. Zwischendurch
gab es immer wieder Live-Formate vor Ort an den ein-
zelnen Standorten. Die übliche Diskussion im Plenum
wurde ebenfalls digital abgehalten. Der gemeinsame
Spaziergang übers Gelände schließlich fand in Form
eines eingespielten Films statt, den Veranstaltungsma-
nagerin Paulus und Stiftungspfarrer Dietmar Redeker
vorab gedreht hatten. Fazit: Hybrid macht auch Spaß,
kann und soll das übliche Format der persönlichen
Begegnungen aber auf Dauer nicht ersetzen.
Hier gibt es das Video des digitalen Spaziergangs:
   www.recke-on.de/hybrides-willkommen

Seit 2018 erscheint das umfangreiche Bildungsprogramm der Graf
Recke Stiftung als gesammeltes Druckwerk. Nach den beiden
                                                                                              Schlankeres
ersten Ausgaben der letzten Jahren haben die Verantwortlichen
nachjustiert und Inhalt und Erscheinungsbild noch einmal
                                                                                              Outfit für
In neuem Look erscheint Ende Dezember         Melanie Klees. »Die ­Systematik bei den         ein volles
das dritte gedruckte Bildungsprogramm
der Graf Recke Stiftung. Ein handliches
                                              Seminaren bleibt weitestgehend gleich«,
                                              so Klees weiter. Die Fortbildungen finden       Programm
DIN-A5- löst das bisherige A4-Format          sich nach Geschäftsbereichen sortiert und
ab und der Inhalt zeigt sich deutlich ver-    grafisch noch einmal klarer voneinander
schlankt. Nicht, weil das Angebot an          abgegrenzt, auch innerhalb der Geschäfts-
Fort- und Weiterbildung weniger gewor-        bereiche wird nach Kategorien sortiert.
den wäre, sondern, so Melanie Klees vom       Es geht um Oberthemen wie »Kompetent
Team Personalentwicklung der Graf Recke       führen und leiten«, »Methodenkompe-
Stiftung: »Bei den insgesamt 75 Seminaren     tenz erweitern«, »Fachwissen ausbauen«,
verzichten wir erstmals auf die Nennung       Softwarevermittlung oder auch Angebote
von Datum, Räumen und Dozenten.«              rund um das Thema Diakonie. Die Inhalte
Dies, weil sich diese Angaben unterjäh-       richten sich grundsätzlich an alle Mit-
rig oft ändern, vor allem aber aktuell in     arbeitenden der Graf Recke Stiftung, ver-
Coronazeiten. »Deshalb steht prominent        einzelt auch an externe Interessenten.
vorne der Hinweis, dass sich diese Infor-     Weitere Infos und die Angebote in digita-
mationen online finden mit Angabe der         ler Form unter:
Webadresse und einem QR-Code«, erklärt            www.graf-recke-akademie.de

4                                                                                         recke:in          4/2020
Vom Willen zur Teilhabe - recke: in Das Magazin der Graf Recke Stiftung - recke:on
KREUZ & QUER

                                             Haus Berlin:
                                             weitere Anerkennung
                                             für Familienfreundlichkeit
                                             Zum Otto Heinemann Preis für Vereinbarkeit von Beruf und Pflege hat es
                                             nicht ganz gereicht, aber das Haus Berlin, gemeinnützige Tochtergesellschaft
                                             der Graf Recke Stiftung, hat es immerhin unter die drei Nominierten in der
                                             Kategorie bis 800 Mitarbeitende geschafft.

         Der Otto Heinemann Preis zeich-     Berlin im Rahmen eines promi-
         net Unternehmen und Institutio-     nent besetzten Festaktes die Aus-
         nen aus, die mit klugen Konzep-     zeichnung »Evangelisches Güte-
         ten und vorbildlichen Lösungen      siegel Familienorientierung« für
         ihre Mitarbeitenden entlasten.      familienbewusste Maßnahmen
         Das Seniorenheim Haus Berlin        in der Personalpolitik verliehen
         gGmbH hat es in diesem Jahr         bekommen. »Die Nominierung
         unter die drei nominierten          für den Otto Heinemann Preis
         Unternehmen in der Kategorie        und die Teilnahme an der Preis-
         für Unternehmen bis 800 Mitar-      gala waren für uns ein schönes
         beitende geschafft, musste in der   Erlebnis und eine Anerkennung
         prominent besetzten virtuellen      unseres Engagements«, bilan-
         Preisgala im Rahmen der Berliner    zierte Geschäftsführer Jürgen
         Pflegekonferenz jedoch dem          Büstrin. »Wir nehmen auch das
         Hessischen Justizministerium        als Ansporn, in unserem Streben
         den Vortritt lassen. Schon im       nach Familienfreundlichkeit
         vergangenen Jahr hatte das Haus     nicht nachzulassen.«

                                                                          Ein »Verschenk-Basar« von Ehrenamtlichen

     Alles geschenkt!
                                                                          sorgte bei Bewohnerinnen und Bewohnern des
                                                                          Walter-Kobold-Hauses für Freude und tröstete
                                                                          über den ausgefallenen Adventsbasar hinweg.

                                                                          Ein goldener Nachmittag im November, laue Tempera-
                                                                          turen, blauer Himmel – gute Voraussetzungen für einen
                                                                          Hofgottesdienst im Pflegezentrum Walter-Kobold-Haus,
                                                                          vermutlich dem letzten in diesem Jahr. Für rund 30
                                                                          Gottesdienstbesucher war neben dem Altar noch ein
                                                                          weiterer Tisch aufgebaut, auf dem vielfältige Fenster-
                                                                          dekorationen und auch jede Menge kleine Schachteln,
                                                                          gefüllt mit Schokolade, zu bewundern waren. Diese
                                                                          Schmuckstücke hatten die ehrenamtlichen Bastlerinnen
                                                                          des Frauenkreises der Graf Recke Kirche mit Geschick
                                                                          und Liebe gestaltet, am Ende des Gottesdienstes – pas-
                                                                          send zum Thema »Schenken« – wurden die Dekoratio-
                                                                          nen an die Besucher auf dem Hof und an den Fenstern
                                                                          ihrer Zimmer verschenkt. Die Idee entstand im Frauen-
                                                                          kreis, als klar wurde, dass der traditionelle Adventsba-
                                                                          sar im Walter-Kobold-Haus der Coronapandemie zum
                                                                          Opfer fallen würde. In den vergangenen Jahren hatten
                                                                          die Frauen mehrere Basare jährlich gestaltet und deren
                                                                          Erlös dann für die Bewohner des Walter-Kobold-Hauses
                                                                          gespendet. Um ihnen auf andere Weise eine Freude zu
                                                                          machen, wurde aus dem üblichen »Verkaufsbasar« ein
                                                                          »Verschenk-Basar«. Für den Frauenkreis nahmen Heide
                                                                          Ribisel und Ursula Freimuth beim Gottesdienst den
                                                                          Dank und spontanen Applaus der Bewohner entgegen.

4/2020                                          recke:in                                                                                  5
Vom Willen zur Teilhabe - recke: in Das Magazin der Graf Recke Stiftung - recke:on
KREUZ & QUER

                                                                                                                      Martina Wagner, Einrichtungsleitung
                                                                                                                           Jugendhilfe Grünau; Dr. Svenja

20.000 Meter                                                                                                               Bergmann, Kuratoriumsmitglied
                                                                                                                         Stiftung Grünau; Albrecht Nacke,
                                                                                                                           Vorstandsvorsitzender Stiftung

für den
                                                                                                                                 Grünau; Michael Mertens,
                                                                                                                               Geschäftsführer Graf Recke
                                                                                                                                       Pädagogik gGmbH,
                                                                                                                               Alexander Meyer zu Hölsen,

Umzug                                                                                                                         Kuratoriumsmitglied Stiftung
                                                                                                                              Grünau (Foto: Heide Storck).

Nach etwa eineinviertel Jahren Bauzeit ist der
Neubau auf dem Gelände der Jugendhilfe Grünau
­fertiggestellt und zwei Gruppen aus dem Gebäude
 ­Kinderhaus sind Anfang und Mitte Oktober umgezogen.

Die Aufregung war bei allen Beteiligten groß, als der
Termin für den Umzug festgelegt wurde. Koffer und
Kartons wurden gepackt, einiges bei dieser Gelegenheit
auch einmal aussortiert. Mithilfe von Bollerwagen und           der Graf Recke Pädagogik gGmbH, in alle Bauabschnitte
Sackkarre halfen die Kinder und Jugendlichen den                ist ein Gebäude entstanden, das genau den aktuellen
Mitarbeitenden des Technischen Dienstes beim Umzug.             Anforderungen der stationären Jugendhilfe entspricht, auf
Am Abend fielen dann alle geschafft, aber glücklich ins         die Bedarfe der dort lebenden Kinder und Jugendlichen
Bett. Wie viel bei dieser Aktion geleistet wurde, bestätigten   abgestimmt ist und gleichzeitig gute Arbeitsbedingungen
den Mitarbeitenden, Kindern und Jugendlichen                    für die Mitarbeitenden bietet. Somit konnten Michael
auch die Angaben der Fitnessuhr – mehr als 20.000               Mertens, Geschäftsführer der Graf Recke Pädagogik
gelaufene Meter! Aufgrund der Pandemie wurde auf eine           gGmbH, und Martina Wagner, Einrichtungsleitung
Einweihungsfeier verzichtet. Abhängig von der weiteren          Jugendhilfe Grünau, dem Vorstand der Stiftung Grünau,
Pandemieentwicklung wird dies aber im kommenden                 Albrecht Nacke, sowie den Kuratoriumsmitgliedern
Sommer mit einem kleinen Sommerfest nachgeholt.                 der Stiftung Grünau, Dr. Svenja Bergmann und
Zur offiziellen Übergabe kamen der Vorstand sowie               Alexander Meyer zu Hölsen, ihren herzlichen Dank
Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung Grünau als              für den gelungenen Neubau aussprechen. Die noch
Eigentümer des Gebäudes sowie die Geschäftsführung              fehlenden Arbeiten im Außenbereich werden im
und Einrichtungsleitung der Jugendhilfe Grünau                  Frühjahr fertiggestellt, sodass dann die beiden
zusammen. Durch die Einbeziehung der Jugendhilfe                Gruppen auch über einen eigenen Gartenbereich
Grünau, heilpädagogisch-therapeutische Einrichtung              mit Terrasse und Spielgeräten verfügen werden.

                                    Aktuelle Stellenangebote, Online-        Vorhang auf für das Karriereportal: www.graf-recke-karriere.de ist
                                    bewerbung und Infos rund um die          »das neue Zuhause für Personalmarketing und Recruiting bei der
                                   Arbeitgeberin Graf Recke Stiftung:        Graf Recke Stiftung«. So beschreibt Karin Kemper, Personalmar-
                                    Das brandneue Karriereportal der         keting in der Graf Recke Stiftung, die brandneue Website rund um
                                       Graf Recke Stiftung ist online.       die Arbeitgeberin Graf Recke Stiftung. »Bewerber, Bewerberinnen

    Vorhang auf für das
                                                                             sowie interessierte Menschen, die es werden wollen, können im
                                                                             Karriereportal nicht nur unsere Stellenangebote einsehen und sich
                                                                             direkt online bewerben. In kurzen Videoclips erfahren sie auch, wie

         Karriereportal                                                      zukünftige Kolleginnen und Kollegen aus den Geschäftsbereichen
                                                                             ihre Arbeit bei der Stiftung erleben, was sie motiviert, herausfordert
                                                                             und was sie zufrieden macht.« Das Portal werde weiter ausgebaut
                                                                             und verlinkt natürlich auch auf andere Sites, damit sich Interes-
                                                                             sierte umfänglich über die Graf Recke Stiftung informieren können.
                                                                             Mit dem Karriereportal ist nun ein weiteres zentrales Element des
                                                                             Onlineauftritts der Graf Recke Stiftung im Netz. Nach dem gerade
                                                                             online gegangenen Newsportal recke:on wurden bereits und werden
                                                                             weiterhin Microsites zu den Arbeitsbereichen der Stiftung umge-
                                                                             setzt, so zuletzt für den Sozialpsychiatrischen Verbund oder die
                                                                             Graf-Recke-Kindertagesstätten gGmbH.

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Vom Willen zur Teilhabe - recke: in Das Magazin der Graf Recke Stiftung - recke:on
KREUZ & QUER

                                                    Die
                                                    wandernde
                                                    Kanzel
         Die Graf Recke Kirche wird aktuell reno-   Kanzel, die schon seit Jahrzehnten nicht
         viert, um in Zukunft nicht nur wie bis-    mehr genutzt wird, wurde nun entfernt
         her als Gottesdienstraum, sondern auch     und steht vorläufig auf der Terrasse des
         als Begegnungs- und Tagungszentrum         Gräfin Mathilde Hauses direkt neben der
         genutzt werden zu können. Dazu wird        Graf Recke Kirche. Hier wurde sie in den
         die Kirche besser isoliert, sie bekommt    letzten Wochen im Rahmen der Garten-
         eine Fußbodenheizung, eine flexible        Gottesdienste, die dort in Coronazeiten
         Bestuhlung und einen offeneren, vielfäl-   in unregelmäßigen Abständen gefeiert
         tiger nutzbaren Bereich in der vorderen    werden, als Predigtort benutzt. Die Graf
         halbrunden Apsis hinter dem Altar. Die     Recke Kirche soll ab nächstem Jahr in
         hier ursprünglich zentral angeordnete      ihrer neuen Form wieder nutzbar sein.

                              Corona und
                                                                                Pandemiekoordinator Marek Leczycki betont, dass es im neu-
                                                                                erlich dynamischen Infektionsgeschehen der sogenannten
                                                                                zweiten Coronawelle bisher – Stand: Ende November – zu

                              der »Segen der                                    keinen schweren Erkrankungen kam. Für ihn ein klarer Hin-
                                                                                weis auf die Wirksamkeit der Maßnahmen in den Einrich-

                              Schnelltests«                                     tungen: »Wir stellen im Pandemiestab fest, dass die meisten
                                                                                Infektionen im privaten und nicht im beruflichen Kontext
                                                                                stattfinden.« Von außen eingetragene Infektionen ließen
                              Auch in der Graf Recke Stiftung sind die Aus-     sich deshalb nicht verhindern, hätten sich bislang aber in
                              wirkungen der sogenannten zweiten Welle der       den Einrichtungen der Graf Recke Stiftung kaum weiterver-
                              Coronapandemie spürbar geworden. Sie gingen       breitet. »Wir haben hier insbesondere im Mai im Senioren-
                              einher mit steigenden Infektionszahlen und        zentrum Zum Königshof lernen können, dass vor allem der
                              sorgten dafür, dass über einige Jugendwohn-       flächendeckende Einsatz der FFP2-Maske in der Altenpflege
                              gruppen, Kitagruppen und Senioreneinrich-         unkontrollierte Ausbrüche verhindern konnte«, so Leczycki.
                              tungen zeitweilig Quarantäne verhängt werden      »Das ist sehr erfreulich.« Einen »Segen« nennt Marek Leczycki
                              musste. Als einen »Segen« bezeichnet der          die Schnelltests: »Damit können wir bei Verdacht umgehend
                              Pandemiekoordinator die neuen Schnelltests.       testen, ob eine SARS-CoV-2-Infektion vorliegt.« Mitarbeiten-
                                                                                de aller Bereiche sind dazu geschult worden. Es handelt sich
                                                                                dabei um Mitarbeitende, die eine medizinische oder pflegeri-
                                                                                sche Grundausbildung haben, wie examinierte Pflegefachkräf-
                                                                                te oder auch Rettungssanitäter. »Diese Mitarbeitenden haben
                                                                                wir glücklicherweise in allen Geschäftsbereichen«, sagt Marek
                                                                                Leczycki. Auch die Belieferung durch die Apotheken mit den
                                                                                Antigentests funktioniere gut.

                                                                                Immer aktuell informiert die Graf Recke
                                                                                ­Stiftung auf ihrer Corona-Infoseite:
                                                                                     www.graf-recke-stiftung.de/coronavirus

4/2020                                          recke:in                                                                                        7
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GRAF RECKE STIFTUNG

GRAF RECKE ZUKUNFTSPREIS FÜR NACHHALTIGKEIT

Von Upcycling bis zum
Von Roelf Bleeker
                                                                                            1. Platz
Mit dem Thema »Zukunftskunst« hatte der Präsident des Wuppertal
Instituts für Klima, Umwelt, Energie und heutige Oberbürgermeister in
Wuppertal, Uwe Schneidewind, beim Neujahrsempfang im Februar den
Aufschlag gemacht. Mit der Verleihung des Graf Recke Zukunftspreises
für Nachhaltigkeit wird das Jahresthema nun rund: Übers Jahr
hatten Mitarbeitende, Klienten oder auch ganze Wohngruppen
Ideen und Vorschläge für ein nachhaltigeres Leben und Arbeiten
gemacht. Daraus wurden jetzt die Gewinner ermittelt. Auf Platz eins:
die »ökologische Alltagsgestaltung« der Tagesgruppe Delfine.

Mehr Infos zu den eingereichten Ideen und Projekten gibt es unter
  www.graf-recke-stiftung.de/zukunftskunst                                                  Die Tagesgruppe Delfine überzeugte
                                                                                            die Jury mit kreativer Nachhaltigkeit.

                                             »Zukunftskunst«
                                             ­
                                                 Ideen und Projekte                               Nachhaltige Getränke
                                                 rund um das Thema                                gegen die Hitze
                                                                                                  Mit ihren eigens gemixten
                                                 »Zukunftskunst«
                                                                                                  »Detox«-Getränken, zum Bei-
                                                                                                  spiel aus Kräutern aus dem
                                                 Insektenfreundlicher Garten
                                                                                                  Garten, haben Mitarbeitende und
                                                 Bereits seit 2019 hat es sich
                                                                                                  Klienten der Ergotherapie des
                                                 der Verein Ingal e. V. im
                                                                                                  Sozialpsychiatrischen Verbunds
                                                 Service-Wohnen »Düsselthal«
                                                                                                  nicht nur ihren Durst gelöscht,
                                                 zur Aufgabe gemacht, einen
                                                                                                  sondern ganz bewusst nach einer
                                                 Rückzugs- und Lebensraum
                                                                                                  nachhaltigen Erfrischung für
                                                 für Insekten zu schaffen. Das
                                                                                                  heiße Tage gesucht.
                                                 Projekt wird seitdem nach und
                                                 nach durch das Anlegen von
                                                 Wildblumenwiesen und Hoch-
                                                 beete ausgeweitet.

8                                                                                recke:in                                       4/2020
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GRAF RECKE STIFTUNG

Umweltführerschein

A
             cht Monate lang hatten alle         haltens im Alltag geht«, so die Jury in ihrer   und daran zu orientieren. »Das Team der
             Mitarbeitenden, Bewohner und        Würdigung.                                      Zentralküche setzt sich unter anderem mit
             Klienten in der Graf Recke Stif-        Platz zwei ging an die Idee des »Umwelt-    dem Thema Fleischkonsum als einem der
             tung die Möglichkeit, ihre Ideen,   führerscheins für Klienten« aus der Ergo-       größten globalen Treiber des Klimawandels
Vorschläge oder auch schon umgesetzten           therapie des Sozialpsychiatrischen Ver-         auseinander«, heißt es seitens der Jury
Projekte bei der Jury, bestehend aus den         bunds. »Das Team der Ergotherapie               dazu. »Eine Reduzierung des Konsums kann
Mitgliedern des Qualitätszirkels für Nach-       setzt mit seinem Vorschlag dort an, wo          besonders zusammen mit dem verstärkten
haltigkeit, einzureichen. Der Qualitätszirkel    die Grundlage für nachhaltiges Verhalten        Einsatz von regionalen und saisonalen Pro-
setzt sich zusammen aus Vertretern aller         geschaffen wird: bei der Vermittlung von        dukten einen deutlich positiven Einfluss
Bereiche der Stiftung und zeigte sich von        Wissen«, so würdigt die Jury den Vorschlag,     auf Umwelt und Klima nehmen.« Die Jury
einem Vorschlag besonders beeindruckt:           ein partizipatives Angebot zu schaffen,         hob besonders hervor, dass hier die Balan-
So hat die Tagesgruppe Delfine, eine teil-       indem bei den Klienten der Ergotherapie         ce aus den drei Säulen der Nachhaltigkeit
stationäre Gruppe für Kinder von sieben bis      zunächst ein Bewusstsein für das Thema          berücksichtigt sei: sozial, ökologisch und
elf Jahren in Ratingen, in echter Teamarbeit     erzeugt wird, um sie im Weiteren zu Exper-      wirtschaftlich.
zwischen Kindern und Erziehern Ideen rund        ten für das eigene umweltbewusste Han-              Die Preisvergabe findet nun am 14.
um das ressourcenschonende Einkaufen,            deln zu machen.                                 Dezember im virtuellen Rahmen statt. Der
Gärtnern, die Vermeidung von Plastik sowie           Einen dritten Platz gab es nicht, denn      Graf Recke Zukunftspreis wird jährlich ver-
Upcycling und Müllsammelaktionen ent-            ebenfalls auf die zweite Stufe des Trepp-       liehen und zeichnet Ideen und Projekte aus,
wickelt und schon mit viel Kreativität in die    chens hob die Jury des Qualitätszirkels         die sich mit dem jeweiligen Jahresthema
Tat umgesetzt. »Die Tagesgruppe Delfine ist      für Nachhaltigkeit die Idee der Zentral-        der Graf Recke Stiftung auseinandersetzen.
somit eine Inspiration für andere Gruppen        küche der Graf Recke Wohnen & Pflege,           2020 war dies »Zukunftskunst: Nachhaltig-
und Einrichtungen der Graf Recke Stiftung,       die Speisepläne in den Einrichtungen unter      keit in der Graf Recke Stiftung«, im Jahr
wenn es um die Frage nachhaltigen Ver-           Nachhaltigkeitsaspekten zu überprüfen           zuvor »Digitaler Wandel«. //

Aus Alt mach Neu                                                   Grüner Strom
Aus Resten des Wohngruppen­                                        Die Graf Recke Stiftung wird ab
alltags und mit viel Kreativität                                   Januar 2021 an allen Standorten,
hat die WG Schwarzbach der                                         inklusive der Tochtereinrichtun-
Graf Recke Erziehung & Bil-                                        gen in Neumünster und Bad Salz­
dung aus vermeintlichem Müll                                       uflen, auf Ökostrom umsteigen.
Neues geschaffen: Deko aus                                         Der TÜV-geprüfte Strom wird zu
Fahrradfelgen, Blumentöpfe und                                     100 Prozent aus regenerativen
Lampenschirme aus kaputten                                         Energien erzeugt.
Fußbällen, neue Sitzbänke aus
Getränkekisten.

Waschen mit Kastanien
Katja Ruhrmann beweist gemein-
sam mit ihren Klientinnen und
Klienten im Betreuten Wohnen
der Graf Recke Sozialpsychia-
trie & Heilpädagogik, dass man
Waschmittel ganz leicht selbst
herstellen kann – aus Kastanien.

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Vom Willen zur Teilhabe - recke: in Das Magazin der Graf Recke Stiftung - recke:on
SOZIALPSYCHIATRIE & HEILPÄDAGOGIK

Neue
Horizonte
Dominik Münch und Andreas Schafheuer
sind am ersten Arbeitsmarkt angekommen:
Der eine arbeitet als Hauswirtschaftskraft
in einem Seniorenheim, der andere bereitet
Fahrzeuge in einem Autohaus auf. Das ist
keine Selbstverständlichkeit. Menschen mit
einer geistigen Behinderung sind in der freien
Wirtschaft noch immer die Ausnahme. Dabei
können beide Seiten gewinnen: Wertschätzung
und selbst verdientes Geld die eine, hoch
motivierte Mitarbeitende die andere.
Von Achim Graf

D
            ominik Münch hat stets an          JEDEN TAG MIT AUTOS ZU TUN                     so sein Ding, das zweite allerdings hat ihn
            seinen persönlichen Zielen         Jeden Tag von 8 bis 17 Uhr, abzüglich Mit-     begeistert.
            gearbeitet, schon als er klein     tagspause, bereitet Andreas Schafheu-              Im Seniorenheim Haus Salem der Kai-
            war, wie er sagt. »Und wenn ich    er im Autohaus Gierten in Hilden Autos         serswerther Diakonie in Ratingen-Lintorf
mir was vornehme, dann bleib ich da auch       auf, innen wie außen, Neuwagen oder            hat Dominik Münch seinen Traumjob
dran.« Andreas Schafheuer kennt das. Sein      Gebrauchte. Staubsaugen, Fenster putzen        gefunden – in der Hauswirtschaft. Weil nach
Ziel war es, nicht mehr von der finanziellen   oder Felgenreinigung gehören zu seinem         seinem Praktikum keine Stelle frei war, hat
Unterstützung durch andere abhängig zu         Aufgabenbereich. 2014 sei er von den WfB-      er gleich ein zweites angehängt. Seit dem 1.
sein. »Ich wollte mein eigenes Geld ver-       Betreuern gefragt worden, ob er sich ein       Januar ist er nun regulär auf einer 50-Pro-
dienen«, betont er. Und was soll man sagen?    Praktikum dort vorstellen könne, erzählt       zent-Stelle beschäftigt, bereitet etwa für die
Sie haben es geschafft und arbeiten jetzt in   er. Keine Frage, das konnte er – »und das      Senioren auf seinem Stockwerk das Früh-
der freien Wirtschaft. Das ist keine Selbst-   hat gepasst«. Aus dem Praktikum wurde          stücksbuffet zu. »Für einige der Bewohner
verständlichkeit, die beiden Männer haben      eine reguläre Festanstellung. Er habe jetzt    schmieren wir auch die Brötchen«, berichtet
eine geistige Behinderung.                     jeden Tag mit Autos zu tun, ihm mache der      er. »Wir haben eine Liste, wer was haben
    Dominik Münch und Andreas Schafheu-        Job viel Spaß, sagt er. Okay, an den kleinen   möchte.« Sind alle versorgt, geht es mit dem
er leben in Häusern des Heilpädagogischen      Suzuki erinnert er sich nur ungern. »Der war   Spüldienst oder der Reinigung der Zimmer
Verbunds der Graf Recke Stiftung, der eine     voller Hundehaare, bis in die kleinsten Rit-   und Flure weiter. Wegen Corona sei das
in Ratingen, der andere in Hilden. Was         zen. Da waren wir zu dritt drei Tage dran.«    alles aufwendiger geworden, erzählt er, man
die beiden darüber hinaus verbindet: dass      Aber ansonsten sei alles prima.                müsse viel desinfizieren.
sie bis vor einiger Zeit in einer Werkstatt        Das gilt auch für Dominik Münch. Der
für angepasste Arbeit beschäftigt waren.       26-Jährige hatte nach der Schule zunächst      MIT KOLLEGEN REDEN HILFT
Andreas Schafheuer hat in den Werk-
­                                              in einer Werkstatt für Menschen mit            Wie Andreas Schafheuer hat Dominik
stätten für Behinderte (WfB) des Kreises       Behinderung der Evangelischen Stiftung         Münch auf dem sogenannten ersten Arbeits-
Mettmann in Langenfeld Badewannen-             Hephata in der Küche gearbeitet, war dort      markt nur gute Erfahrungen gemacht: Er
Untergestelle zusammengeschraubt, wie          unter anderem fürs Spülen und für die          werde behandelt wie alle anderen auch,
er erzählt. »Das war ziemlich langweilig,      Bodenreinigung zuständig. »Ich hatte aber      ob mit oder ohne Behinderung, freut er
da bin ich fast eingeschlafen«, meint er       das Gefühl, dass ich zu fit für den Job        sich. Dass er mit Menschen zu tun hat, war
lachend. Langeweile kennt der 38-Jährige       bin«, sagt er selbstbewusst. Deshalb habe      ihm bei der Berufswahl wichtig. »Ich konn-
mittlerweile nicht mehr. Vielmehr weiß er,     er beim Sozialen Dienst der Werkstatt          te schon immer mit anderen umgehen«,
was er getan hat, wenn er abends von der       angefragt, ob er ein Praktikum machen          meint er. Das sei jetzt ein Vorteil, wenn ein
Arbeit nach Hause kommt.                       könne. Das erste in einer Fabrik war nicht     Bewohner stirbt, was ja vorkomme. »Mit

10                                                                                 recke:in                                           4/2020
SOZIALPSYCHIATRIE & HEILPÄDAGOGIK

                                                                                                    »Ich wollte mein
                                                                                                    eigenes Geld
                                                                                                    verdienen.«
                                                                                                         ANDREAS SCHAFHEUER

Kollegen drüber zu reden hilft mir dann«,        Dominik Münch fühlt sich »voll akzeptiert«,    Stolpersteine, auf die ich keinen Einfluss
sagt er. »Ich kenne die Leute ja ziemlich gut,   wie er sagt. »Ich bin froh, dass die mich so   habe?«
das nimmt einen schon mit.«                      nehmen, wie ich bin.« Laut seiner Chefin sei       Zu diesen Hemmnissen gehört zweifel-
    Andreas Schafheuer schüttelt den Kopf.       er »eine Bereicherung«.                        los auch die zuweilen weiter vorhandene
»Also für mich wäre das ja nichts«, sagt er                                                     Zurückhaltung von infrage kommenden
dann. Auch in seinen Job als Geldzähler          »SCHWER ENGAGIERTE MITARBEITER«                Unternehmen. Für die Arbeitgeber von
für eine Transportfirma, den er zwischen-        Für Annette Methfessel und Christoph           Andreas Schafheuer und Dominik Münch
zeitlich mal ausgeübt hat, will er nicht         Schluckebier ist das keine Überraschung.       gilt das freilich nicht: Diese haben durch
zurück. »Da mache ich lieber meine Autos«,       Die beiden Bereichsleiter erkennen in bei-     ihre Offenheit zwei Menschen mit geisti-
meint er lachend. Obwohl, im Moment              den »hoch motivierte und schwer engagier-      ger Behinderung vielmehr neue Horizonte
sei er mit Kollegen fast ausschließlich mit      te Mitarbeiter«. Das zeichne sie auch im       eröffnet – nicht nur beruflich.
Renovierungsarbeiten beschäftigt: »Wir           jeweiligen Wohnbereich aus: Dominik etwa
machen eine Lagerhalle hübsch.« Das sei          setzt sich laut Christoph Schluckebier auch    DIE NÄCHSTEN SCHRITTE
aber nur vorübergehend. Er freut sich jetzt      immer wieder für andere Klienten ein, »das     Dominik Münch, der seit einem Jahr in einer
schon, wenn er bald wieder Neuwagen zur          ist seine soziale Ader«. Annette Methfessel    betreuten Zweier-WG gegenüber dem Haus
Auslieferung bereit machen kann, inklusive       hat bei Andreas »eine fast bedingungslose      Gießerstraße in Ratingen lebt, hofft nicht
Tanken. »Außer den Opel Ampera natür-            Hilfsbereitschaft« erkannt, trotz Job. Egal,   nur auf eine baldige Aufstockung seiner
lich, der fährt ja mit Strom.«                   welche Aufgaben im Haus anstünden, er          Teilzeitstelle. Der 26-Jährige träumt zudem
    Apropos Umwelt: Der 38-Jährige selbst        stehe bereit, lobt sie.                        davon, in naher Zukunft mit seiner Freun-
fährt täglich mit dem Rad ins Autohaus, egal         Doch bei aller gewonnenen Wert-            din zusammenzuziehen. »Sie fände das
bei welchem Wetter. »Das sind nur zehn           schätzung durch den beruflichen Erfolg –       auch gut«, versichert er lachend. Andreas
Minuten, Regenhose an und los geht’s«, sagt      die beiden sind weiterhin Ausnahmen: Von       Schafheuer dagegen hat einen anderen Plan.
er. Noch schöner ist es für ihn, dass er die     aktuell 66 Klienten in besonderer Wohn-        Er, der zurzeit im Haus Hilden mit drei
Strecke seit einiger Zeit mit einem neuen        form und 51 im ambulant betreuten Woh-         anderen Männern eine WG bildet, hätte
Treckingrad zurücklegt, das er vom selbst        nen hätten bislang genau fünf eine Stelle      gerne »mal was Eigenes, was für mich allei-
verdienten Geld bezahlt hat. »Das hat für        am ersten Arbeitsmarkt, berichtet Annette      ne«, wie er gesteht. Noch sei die Sache nicht
mich eine große Bedeutung«, sagt er. Mit         Methfessel. Allerdings: »Der Wunsch, im        konkret, räumt er dann ein. »Aber das wäre
seiner Behinderung sei er unter den Kolle-       nicht geschützten Rahmen zu arbeiten, ist      mein nächster Schritt.« //
gen von Anfang an offen umgegangen, was          groß und darf individuell betrachtet wer-
für niemanden ein Problem gewesen sei.           den«, sagt sie. »Was möchte ich, wie kann
»Wir haben viel Spaß zusammen.« Auch             ich das realisieren und wo sind mögliche

4/2020                                           recke:in                                                                                  11
SOZIALPSYCHIATRIE & HEILPÄDAGOGIK

                                                                             Klarheit über
                                                                             den eigenen
                                                                             Lebensentwurf
                                                                             Von Roelf Bleeker

                                                Wolfgang Hinte ist der geistige Vater des Konzepts der
                                                »Sozialraumorientierung«, das in der Eingliederungshilfe auch in
                                                der Graf Recke Stiftung eine wichtige Rolle spielt. Zentrale Aussage
                                                des Konzepts: Teilhabepläne und damit verbundene Leistungen
                                                sollen ausgerichtet sein auf den Willen des leistungsberechtigten
                                                Menschen, seine Stärken und die Ressourcen seiner Lebenswelt.

I
       m Zentrum stehen immer die Inte-         immer noch gelte: »Um eine Leistungs-          len verändern sich dadurch auch für die
       ressen und der Wille der leistungs-      berechtigung zu erhalten, müssen wir ein       begleitenden Fachkräfte fundamental – von
       berechtigten Menschen – egal ob sie      Defizit konstatieren.«                         der fürsorglichen Betreuung zur Assistenz,
       uns gefallen oder nicht.« Ein Satz aus       Wolfgang Hintes Ansatz, der auch in        orientiert an den individuellen Ressourcen
einem Fachkonzept von Wolfgang Hinte,           Fortbildungen und Workshops der Graf           der oder des Leistungsberechtigten.
emeritierter Professor der Universität Duis-    Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik            Im Zentrum: Der Wille des leistungsbe-
burg-Essen und geistiger Vater des Kon-         vermittelt wird, geht bei seiner Idee des      rechtigten Menschen, der »durch Ziele kon-
zepts der »Sozialraumorientierung«, kurz        Sozialraums davon aus, dass soziale Arbeit     kretisiert und in eine Form gegossen wird.
SRO, die in der Eingliederungshilfe auch in     heute »Arrangements schaffen und Ver-          Aufgabe sozialarbeiterischer Begleitung ist
der Graf Recke Stiftung eine immer wich-        hältnisse gestalten« müsse. Aufgabe profes-    es, zu helfen, diesen inneren Zustand zu
tigere Rolle spielt. Die aktuellen Teilhabe-    sioneller Sozialarbeiterinnen und -arbeiter    ordnen und möglichst kleinteilig erreichbare
pläne, so Professor Hinte, »strotzen nur so     sei es, »leistungsgesetzliche Möglichkeiten    Ziele zu formulieren« – als »roter Faden« im
von Zielen, die von den Leistungsträgern        mit individuellen Ressourcen zu verbinden,     Unterstützungsprozess, so Wolfgang Hinte.
für die Betroffenen formuliert wurden«. Bis     Unterstützung bei der Organisation von All-
heute fehle es an einer »systematischen         tagsprozessen zu geben und mit Blick auf       MIT DEM BEHINDERTENBUS IN DIE
Erarbeitung des Willens leistungsbe-            individuelle und sozialräumliche Möglich-      WERKSTATT, MIT DEM ÖPNV INS KINO
rechtigter Menschen«, konstatiert der Pro-      keiten Verbindungen zu anderen hilf-           »In einem sozialräumlichen Konzept schau-
fessor der Universität Duisburg-Essen, denn     reichen Akteuren herzustellen«. Die Rol-       en wir konsequent auf die Ressourcen

12                                                                                  recke:in                                         4/2020
SOZIALPSYCHIATRIE & HEILPÄDAGOGIK

                                                          Dreiecksverhältnis der Leistungen
                                                          der Eingliederungshilfe

                                                                                      Leistungsträger

                                                                             nis es

                                                                                                                  Öf
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                                                               Leistungs-                 Privatrechtlicher       Leistungs­-
                                                               berechtigte                     Vertrag            erbringer

sowohl der einzelnen Menschen wie auch         wie kann er dabei unterstützt werden?«           Er fordert eine »wirklich systematische
der Quartiere«, betont Wolfgang Hinte.         Dazu sei der Rollator »nur eine Möglich-         Kooperation der Träger«, um »vorhandene
»Viele kennen das Beispiel des Behinderten,    keit, eine andere ist ein systematisches         Ressourcen in den jeweiligen Arbeitsfeldern
der morgens vom Behindertenbus abgeholt        Training bestimmter Muskelgruppen oder           besser abzustimmen und insbesondere die –
und in die Werkstatt für Behinderte            die stützende Begleitung einer Nachbarin«.       gerade in Deutschland – stark zergliederten
gebracht wird – und der am Abend locker        Damit ist die Blickrichtung der Sozialraum-      Finanzierungsstränge stärker zu kombinie-
mit dem ÖPNV durch die Stadt fährt, wenn       orientierung gewiesen: Die Steuerung von         ren, bis hin etwa zu Budgets für bestimmte
er ins Kino will.« Bei diesen Fähigkeiten      Hilfen geschieht nicht in der Logik derer, die   Leistungen und für soziale Räume«.
will der »Vater der Sozialraumorientierung«    die Leistungen bezahlen, oder der leistungs-         Der Wille der oder des Leistungsbe-
ansetzen: »Was können die Menschen             erbringenden Institution und ihren Struk-        rechtigten steht für Wolfgang Hinte im Zen-
selbst? Was wollen sie erreichen?« Erst        turen und Angeboten, sondern in der Logik        trum der Leistungen, nicht als »Befehl«,
dann komme die Frage nach der benötigten       des Willens der Betroffenen und ihren            aber als Grundlage für alle »fachlichen
Unterstützung.                                 »lebensweltlichen Bezugsgrößen«.                 und leistungsgesetzlichen Möglichkeiten«
    Wolfgang Hinte macht das anschau-                                                           und ein möglichst selbstständiges Leben
lich am Beispiel des imaginären Falls eines    DER »ZIELGRUPPENUNSPEZIFISCHE BLICK«             im Lebensumfeld des leistungsberechtigten
gehbehinderten Mannes und der Frage, ob        »Sozialräumliche Arbeit muss zielgruppen-        Menschen. Der »rote Faden einer Hilfe«
diesem ein Rollator zustehe. Diese Frage       und bereichsübergreifend angelegt sein« –        solle sich an den vom leistungsberechtigten
sei zweitrangig, so Hinte, »entscheidend ist   ein weiterer zentraler Satz Wolfgang Hintes.     Menschen formulierten Zielen orientie-
vorab: Will der leistungsberechtigte Mensch    Das Wohnquartier, in dem sich die oder der       ren. Als »Konzept für professionelles Han-
mit Handicap sich bewegen, laufen, und         Leistungsberechtigte bewegt, solle sogar mit     deln, das methodische, strukturelle und
                                               einem »zielgruppenunspezifischen Blick«          finanzierungstechnische Anregungen gibt«,
                                               betrachtet werden, fordert Hinte, denn:          betont Wolfgang Hinte, könnten leistungs-
                                               »Ein Wohnquartier ist nicht fein sortiert        berechtigte Menschen so »Klarheit über

                             INFO              nach Zielgruppen, es ist eine nur lose ver-
                                               koppelte Anarchie.« Daraus folgt: »Wer mit
                                               offiziell Behinderten arbeitet, muss auch
                                                                                                ihren Lebensentwurf« gewinnen und »ihren
                                                                                                daraus folgenden Zielen entsprechend
                                                                                                selbstbestimmt ihren Alltag gestalten«. //
     Leistungsträger, Leistungsberech-
                                               mit den normal Behinderten arbeiten.« Eine
     tigte und Leistungserbringer – die
     Rollen in der Eingliederungshilfe         ressourcenorientierte Arbeit der Leistungs-
     bilden ein Dreieck unterschied-           erbringer müsse also Unterstützungs-             Diese von Wolfgang Hinte freigegebene
     licher Rechtsbeziehungen.                 arrangements schaffen, von denen auch            Zusammenfassung basiert auf dem Text
     ­Leistungsberechtigte sind hier die       weitere Zielgruppen im Quartier profitieren      »Sozialraumorientierung – ein Fachkonzept
      Menschen mit Teilhabeeinschrän-          können. Sich nur auf eine bestimmte Grup-        als Grundlage des Umbaus der Eingliede-
      kungen, denen Leistungen zuste-          pe zu konzentrieren, meint Hinte, verstelle      rungshilfe. Das Fachkonzept SRO«. Der
      hen. Leistungsträger, oft auch als       den Blick für die Verflochtenheit dieser         Beitrag ist erschienen in dem von Wolfgang
      Kostenträger bezeichnet, sind zum        Gruppe mit einem Wohnquartier und könne          Hinte und Oliver Marco Pohl herausgegebe-
      Beispiel der Landschaftsverband          die Isolation und Marginalisierung dieser        nen Buch »Der Norden geht voran. SRO in der
      Rheinland, die Agentur für Arbeit        Gruppe sogar noch verstärken.                    Eingliederungshilfe im Landkreis Nordfries-
      oder Rentenversicherer. Die Graf             Deshalb seien »die Vernetzung und            land«, im Internet abrufbar unter
      Recke Stiftung tritt in diesem Drei-     Abstimmung der zahlreichen sozialen                  www.zeitschriftmenschen.at/index.php/
      eck als Leistungserbringer auf.          Dienste Grundlage für funktionieren-             content/view/full/116014
                                               de Einzelhilfen«, erklärt Professor Hinte.

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SOZIALPSYCHIATRIE & HEILPÄDAGOGIK

Den Willen
des Klienten
erkunden
Wie kann ich eigentlich sozialräumlich orientiert arbeiten? In
Workshops erarbeiten Mitarbeitende der Graf Recke Sozialpsychiatrie
& Heilpädagogik das Fachkonzept Sozialraumorientierung. Die
Resonanz: sehr positiv. Dabei ist dieser Paradigmenwechsel
für die Mitarbeitenden eine große Herausforderung.

Von Heike Lagemann

V
            or gut einem Jahr gab Wolfgang     seit Langem mit Professor Hinte zusammen       sozialräumlichen Möglichkeiten und Chan-
            Hinte, emeritierter Professor      und haben gemeinsam Qualifizierungsmaß-        cen zu erkennen und zu nutzen. Dazu
            der Universität Duisburg-Essen     nahmen entwickelt, um Mitarbeitenden           müssen sich die Akteure im sozialen Raum
            und geistiger Vater des Konzepts   den Einstieg in die Sozialraumorientierung     auskennen, dort bekannt sein, also auch
der »Sozialraumorientierung«, vor Mit-         zu erleichtern und so den Anforderungen        Kontakte zu lokalen Akteuren pflegen. Die
arbeitenden der Graf Recke Sozialpsychiatrie   des Bundesteilhabegesetzes gerecht zu          eigene Haltung dahingehend zu verändern,
& Heilpädagogik eine Einführung in             werden. In sechs ganztägigen Workshops         dass das, was der soziale Raum zu bieten
sein Fachkonzept. Schnell war den Teil-        erarbeiteten die Teilnehmenden die Inhal-      hat, noch besser sein kann als das eigene
nehmenden klar: Das ist erst der Auftakt       te praxisorientiert in Vorträgen, Übungen      professionelle Engagement, ist für Fach-
zu einem komplexen Thema. Es würde             und Kleingruppenarbeit. So lernten die Teil-   kräfte nicht immer einfach zu akzeptieren.
einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit      nehmenden, die drei Ebenen der sozial-             Die teilnehmenden Mitarbeitenden
dem Konzept der Sozialraumorientierung         räumlichen Arbeit zu unterscheiden (siehe      äußerten sich nichtsdestotrotz durchweg
bedürfen, um geeignete Settings zu schaffen    Infokasten).                                   positiv zu den Schulungen und fühlten
und damit Menschen in schwierigen Lebens-          Wesentliche Frage im Workshop: »Wie        sich mit ihren Kompetenzen und Alltagser-
lagen gezielt professionell zu unterstützen,   kann der Wille des Menschen als wesent-        fahrungen gut eingebunden. So sollen nun
damit sie selbst und aus eigener Kraft an      liche Energiequelle herausgearbeitet wer-      die anstehenden Veränderungen gemeinsam
allen Bereichen des Lebens teilhaben. Für      den?« Der Workshop bot Übungen, um den         entwickelt und in neuen Teamstrukturen
die bisherige Arbeit und Haltung der Mit-      Fähigkeiten des Menschen zu trauen, ein        umgesetzt werden. Die Schulungsreihe wird
arbeitenden geht das mit einer fundamenta-     Klima zu schaffen, in dem sich Menschen,       im Rahmen der Personalentwicklung auch
len Veränderung einher.                        orientiert an ihrem Willen, entwickeln kön-    an weiteren Standorten fortgesetzt. //
    Für eine Schulungsreihe an ver-            nen. Es soll eben nicht mehr darum gehen,
schiedenen Standorten der Graf Recke           Einzelpersonen mit pädagogischen Maß-
Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik konn-        nahmen zu ändern, sondern die Lebens-
ten die Referenten Dr. Gaby Reinhard und       bedingungen gemeinsam mit den Menschen
Johannes Groppe des Instituts für Sozial-      in ihrem Sinne zu gestalten. Individuelle
raumorientierte Arbeit und Beratung e. V.      Ressourcenkarten oder gar »Schatzkarten«
(ISAB) gewonnen werden. Beide arbeiten         helfen dabei, die individuellen wie die

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SOZIALPSYCHIATRIE & HEILPÄDAGOGIK

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                                                            Fallspezifi
                                                                                     Der Fall

                                                                                                                     e Arbeit
                                                                                     im Feld

                                                                         al                                      i
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                                                   Die drei Ebenen der sozialräumlichen Arbeit
                                                   Das Fachkonzept Sozialraumorientierung umfasst drei Ebenen.
                                                   Erstens: die fallspezifische Arbeit, die alle Aktivitäten beinhaltet,
                                                   die sich unmittelbar auf den Menschen oder eine Gruppe, also den
                                                   »Fall«, beziehen. Zweitens: die fallübergreifende Arbeit; hier geht
                                                   der Blick über den spezifischen Fall hinaus auf die Akquirierung
                                                   und Mobilisierung von Ressourcen im Sozialraum, um diese für den
                                                   Fall zu nutzen. Drittens: die fallunspezifische Arbeit, bei der alle Ak-
                                                   tivitäten zusammengefasst werden, die sich auf den sozialen Raum
                                                   richten, um Ressourcen zu erschließen, zu aktivieren, zu pflegen
                                                   und um das Wissen über Themen und Bedarfslagen im Quartier zu
                                                   erlangen. Diese Arbeit kann später wiederum dem Fall, also dem
                                                   Menschen oder der Gruppe, zugutekommen und deren Lebensbe-
                                                   dingungen verbessern.

Ressourcenkarte
Persönliche                                    Materielle
Ressourcen                                     Ressourcen
ƒ   Körperliche                                ƒ    Finanzen
    Konstitution                               ƒ    Besitz und Eigentum
ƒ   Geistige und                               ƒ    Wohnung
    emotionale
                                               ƒ    Fortbewegungsmittel
    Fähigkeiten
ƒ   Talente
ƒ   Bildung
                                                                                                  Infrastrukturelle
                   Soziale                                                                        Ressourcen
                   Ressourcen                                                                     ƒ   Verkehr
                   ƒ   Familiäre Beziehungen                                                      ƒ   Einkaufsmöglichkeiten
                   ƒ   Freundeskreis                                                              ƒ   Spiel- und Freizeitangebote
                   ƒ   Nachbarschaft                                                              ƒ   Schule und Ausbildung
                   ƒ   Allgemein nützliche                                                        ƒ   Arbeitsplätze
                       Beziehungen                                                                ƒ   Wohnen

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SOZIALPSYCHIATRIE & HEILPÄDAGOGIK

                    Anwältin der Klienten
                   Als Case-Managerin kümmert sich Erika Röhling seit Anfang 2020
                   darum, Klientinnen und Klienten in der Graf Recke Sozialpsychiatrie &
                   Heilpädagogik mehr selbstbestimmte Teilhabe an der Gesellschaft zu
                   ermöglichen. Die Heilerziehungspflegerin und ihre sieben Kolleginnen
                   und Kollegen ermitteln den individuellen Bedarf der Menschen,
                   schreiben Teilhabepläne und stellen entsprechende Anträge bei den
                   Leistungsträgern. Für die Mitarbeitenden im Gruppendienst bedeutet
                   dies eine spürbare Entlastung, für die 39-Jährige ist es ein Job, den
                   sie immer machen wollte – Übersetzungsleistungen inklusive.

                    Von Achim Graf

E
         rika Röhling war schon immer           Anträge von Sozialleistungen und die jewei-     Es gelte vor allem, den Willen des Einzel-
         ein wenig anders: Der staatlich        ligen Fristen«, berichtet sie. Hinzu kom-       nen zu ergründen – und diesen vom rei-
         anerkannten          Heilerziehungs-   men die Korrespondenz mit den Leistungs-        nen Wunsch abzugrenzen, erklärt sie. Ein
         pflegerin hat ihre Arbeit direkt am    trägern, den Jobcentern und den Pflege-         kleiner, aber feiner Unterschied: Oftmals
Menschen immer viel Freude bereitet, gar        und Krankenkassen, zudem das Aufnahme-          stecke hinter einem Anliegen nämlich gar
keine Frage. Doch die 39-Jährige hatte auch     management sowie die Klärung rechtlicher        kein expliziter Wille, für den der Klient auch
Spaß an administrativen Tätigkeiten, etwa       Fragen. Dadurch könnten sich »die Mit-          bereit wäre, wirklich etwas in seinem Leben
am Schreiben der bisherigen Hilfepläne          arbeitenden in den Gruppen auf ihre eigent-     zu verändern. Der Wunsch müsse »den Rea-
für die von ihr betreuten Klienten in den       liche Tätigkeit konzentrieren«.                 litätscheck bestehen«, sagt sie.
heilpädagogischen Einrichtungen der Graf                                                            So steckte beispielsweise hinter dem
Recke Stiftung. »Das hat mich von meinen        IST ES WUNSCH ODER WILLE?                       Wunsch eines Klienten, den Führerschein
Kolleginnen und Kollegen unterschieden,         Dass die Hilfepläne nun Teilhabepläne hei-      machen zu wollen, etwas ganz anderes:
die meisten haben das gehasst«, sagt sie        ßen, ist dabei nur die augenfälligste von       Der Mann, der weder lesen noch schreiben
lachend. Seit Anfang des Jahres sind diese      vielen Änderungen, die vor allem mit dem        kann, wollte mobiler sein, wie Erika Röhling
davon weitgehend befreit, Erika Röhling         seit 2016 stufenweise in Kraft tretenden        im Gespräch herausfand. »Außerdem wollte
erledigt das für sie – sie ist Case-Managerin   Bundesteilhabegesetz (BTHG) zusammen-           er nicht mehr mit dem Fahrdienst zur Werk-
bei der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heil-    hängen. Und doch ist der Name Pro-              statt gebracht werden, sondern die öffentli-
pädagogik.                                      gramm: Die Neuausrichtung will mehr             chen Verkehrsmittel nutzen.« Wie und auf
    Case-Managerin – ein sperriges Wort         Selbstbestimmung für Menschen mit psy-          welchem Weg dieses Bedürfnis nach Selbst-
für eine weitere Professionalisierung der       chischen, geistigen und körperlichen Ein-       bestimmung in die Tat umgesetzt werden
Arbeit in der Stiftung – und eine echte Win-    schränkungen erreichen, will deren Willen       kann, das sei im Anschluss die Aufgabe
win-Situation. Neben Erika Röhling küm-         und vorhandene Ressourcen in den Mittel-        für die Kollegen. Die Case-Manager über-
mern sich seit Februar 2020 noch sieben         punkt stellen. Es ist laut Erika Röhling »ein   wachten eine solche Maßnahme lediglich.
weitere Case-Manager »um die Initiierung,       Paradigmenwechsel«. Doch einer, der für sie     »Wenn wir sehen, dass das Teilhabeziel aus
die Steuerung, das Controlling und die Eva-     überfällig war, wie sie sagt. »Es gab bislang   dem Blick verloren geht, schreiten wir ein«,
luation des Teilhabeplanverfahrens für die      ein ganzes Arsenal von Hilfsangeboten, die      sagt Erika Röhling lachend.
Klienten«, wie es offiziell heißt. Bei ihnen    den Bedürfnissen des Klienten aber oft nicht
laufen für jeweils rund 60 Klienten »die        gerecht wurden.«                                DER UNABHÄNGIGE BLICK VON AUSSEN
Fäden zusammen«, wie es Röhling formu-              Diese Bedürfnisse im persönlichen Kon-      Doch Ziele können sich ändern. Durch eine
liert. »Wir behalten den Überblick über die     takt mit den Menschen aufzuspüren, ist          alle sechs Monate stattfindende Evaluation
nötige Beantragung oder bereits gestellte       eine wichtige Aufgabe der Case-Managerin.       werden sie zuweilen angepasst. Das Teil-

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SOZIALPSYCHIATRIE & HEILPÄDAGOGIK

habeplan-Verfahren ist laut Erika Röhling      Klienten im Haus Haarbachhöfe in Ratin-           kann ihr akademisches Wissen bereits in
zum Glück »nicht mehr so starr wie noch        gen im Gruppendienst betreut, bevor sie           ihren Job einfließen lassen.
zu Hilfeplanzeiten«. Dazu sei es zunächst      2016 als Bezugsmitarbeiterin ins ambu-                Sicherlich, bekennt Erika Röhling dann:
notwendig, die materiellen, sozialen und       lant betreute Wohnen gewechselt war.              Manchmal fehle ihr das schon, die von ihr
persönlichen Ressourcen des Klienten           Gespräche mit Angehörigen oder ehe-               »theoretisch beantragten Leistungen ins
zu ermitteln, zudem dessen persönliches        maligen Mitarbeitenden können für die             Praktische umzusetzen, das zu begleiten«.
Umfeld mit einzubinden, von den Leistungs-     Bedarfsermittlung ebenfalls hilfreich sein.       Doch sie mag nicht nur Veränderungen,
trägern über die gesetzlichen Betreuer bis     Auch die archivierte Dokumentation und            wie sie sagt, sie liebe es auch, sich persön-
hin zur Bereichsleitung. »Sozialraumorien-     selbst Fotoalben aus der Kinderzeit des           lich und beruflich weiterzuentwickeln.
tierte Arbeit« nennt sich der Ansatz, der      Klienten können eine Quelle sein. Biografie-      Als »Anwälte der Klienten« würden die
sich an der tatsächlichen Lebenswelt des       arbeit nennen das die Profis. Dazu gehört,        Case-Manager gerne bezeichnet, was ihr
Klienten orientiert. Der geografische Raum     wie der Mensch aufgewachsen ist, welche           sehr gefalle. Darüber hinaus ist sie aber
spiele genauso eine Rolle wie etwa die         Erfahrungen er gemacht hat, wie er soziali-       immer auch ein wenig Übersetzerin. Wenn
persönlichen Beziehungen, erläutert Erika      siert wurde.                                      die Antwort eines Menschen mit geistiger
Röhling. (Siehe dazu auch die Beiträge auf                                                       Behinderung auf die Frage nach seinem
den vorherigen Seiten.)                        PERSÖNLICH UND BERUFLICH                          Lebensziel schlicht »Pommes essen« lau-
    Grundsätzlich ist bei diesem Vorhaben      WEITERENTWICKELT                                  tet, sei das vordergründig sicher amüsant.
der unabhängige Blick von außen hilfreich,     Für die gebürtige Münsterländerin, die einst      Dahinter könne jedoch ein ernsthaftes
»auf Ressourcen und Barrieren«, wie sie        für ihr Freiwilliges Soziales Jahr nach Düssel-   Bedürfnis stecken: der Wille, einfach mehr
sagt. Das gelinge eher, wenn man nicht so      dorf gekommen war, ist diese detektivische        rauszukommen. //
ins Tagesgeschäft eingebunden sei. Dass sie    Aufgabe äußerst reizvoll. Als im Vorjahr
die meisten ihrer Klienten aus ihrer frühe-    die neuen Stellen im Case-Management              Lesen Sie auch in unserem Newsportal
ren Tätigkeit kennt, hat in ihrem speziellen   der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heil-          recke:on: »Anwälte für die Teilhabe«:
Fall jedoch Vorteile. Neben einer geistigen    pädagogik ausgeschrieben waren, musste               www.recke-on.de/anwaelte-fuer-die-teilhabe
Behinderung verfügen einige ihrer Klienten     sie daher nicht lange überlegen: »Das ist das,
über keine Lautsprache, was die Sache mit      was ich immer machen wollte«, sagt sie und
der Formulierung des eigenen Willens sehr      strahlt. Dass die 39-Jährige vor einigen Jah-
erschwert.                                     ren zudem ein berufsbegleitendes Studium
    Wie gut, dass die Heilerziehungs-          der Sozialen Arbeit aufgenommen hatte,
pflegerin vieles auch nonverbal versteht.      kommt ihr jetzt ebenfalls zugute. Mittler-
Mehrere Jahre lang hatte Erika Röhling die     weile steht sie kurz vor dem Abschluss und

4/2020                                         recke:in                                                                                     17
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