Innovation und Organisation: Entwicklung eines Forschungsfeldes - WZB - discussion paper
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WZB – discussion paper Ariane Berthoin Antal, Weert Canzler, Jeanette Hofmann, Andreas Knie, Lutz Marz, Maria Oppen Innovation und Organisation: Entwicklung eines Forschungsfeldes SP III 2008-106 ABAntal@wzb.eu
ZITIERWEISE / CITATION: Ariane Berthoin Antal, Weert Canzler, Jeanette Hofmann, Andreas Knie, Lutz Marz, Maria Oppen Innovation und Organisation: Entwicklung eines Forschungsfeldes Discussion Paper SP III 2008-106 Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (2008) Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) Reichpietschufer 50, D-10785 Berlin Telefon: +49 30 25491-201, Fax: +49 30 25491-209 http://www.wzb.eu/gwd/inno/
Inhalt 1. Einleitung .......................................................................................................................... 5 2. Programmphase I: 1988–1995 ............................................................................................ 8 Technikentwicklung als sozialer Prozess: Konzeptioneller Rahmen ............................................... 8 Empirische Arbeiten ................................................................................................................................ 9 Ergebnisse und neue Weichenstellungen .............................................................................................. 9 3. Programmphase II: 1996–2002 ........................................................................................ 10 Technikgenese im Kontext von Institutionenbildung und Nutzungsperspektiven ..................... 10 Projektbereich Internet .......................................................................................................................... 11 Projektbereich Organisationslernen ..................................................................................................... 12 Projektbereich Mobilität ........................................................................................................................ 14 4. Programmphase III: 2003–2008 ...................................................................................... 16 Innovationen in Netzwerken ................................................................................................................ 16 Projektbereich Organisationslernen und Kultur ................................................................................ 17 Projektbereich Wissenstransfer und Netzwerke ................................................................................ 17 Projektbereich Internet Governance ................................................................................................... 19 Projektbereich Mobilität ........................................................................................................................ 21 Phase der „Abrundung und Bilanzierung“ ......................................................................................... 23 5. Bilanz und Perspektiven ................................................................................................. 24 Ergebnisse und Erträge .......................................................................................................................... 24 Reflexionen über die Forschungserfahrungen ................................................................................... 27 Forschungsperspektiven ........................................................................................................................ 30 Publikationen ................................................................................................................ 35 3
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1. Einleitung können. Im Kern ging es dabei immer um die Bedeutung von Strukturen, Kulturen und Prozessen der Wissensgenerierung und Ent- Wie entwickelt sich ein Forschungsfeld? Der scheidungsfindung in organisationalen Kon- Rückblick über zwanzig Jahre Forschung in texten für die Entstehung und Durchsetzung einer Institution bietet die Möglichkeit dar- von Innovationen. über zu reflektieren, wie mehrere Generatio- nen von Programmen ein breites, komplexes, Gleichwohl waren Wandel und Neuerung und sich veränderndes Themenfeld bearbeit- nicht nur Forschungsgegenstand, sondern bar machen. In diesem Bericht wird die Ent- auch integraler Bestandteil des Verständnisses wicklung der Forschung am WZB von 1988 der Programmforschung der Abteilung. Dem- bis 2008 über die Zusammenhänge und Dy- entsprechend wurde die Forschungsfragestel- namiken von Organisation, Technik, Wissen lung im Zeitverlauf sukzessive verschoben und Innovation nachgezeichnet. Zentrale und erweitert. Parallel zu den neuen For- Ergebnisse werden resümiert, Erfahrungen schungsfragen wurde auch das Spektrum der reflektiert, und einige Perspektiven für die konzeptionellen und methodischen Zugänge weitere Forschung skizziert.1 weiter entwickelt. Nachdem die Forschung sich zunächst auf die Untersuchung einzelner Das Forschungsprogramm hat seine Wurzeln Organisationen und Institutionen konzentriert in den vorangegangenen gemeinsamen For- hatte, rückten zunehmend ihre Beziehungen schungsaktivitäten seiner Gründungsmitglie- untereinander sowie deren gesellschaftliche der während der Präsidentschaft von Meinolf Einbettung in das Blickfeld. Dierkes. 2 Unter der Leitung von Meinolf Dierkes haben Wissenschaftlerinnen und Parallel dazu kamen auch neue empirische Wissenschaftler aus unterschiedlichen Diszip- Untersuchungsfelder hinzu: Von etablierten linen im Laufe der rund zwanzigjährigen Ab- Techniken wie der Schreib- oder Motoren- teilungsgeschichte die vielfältigen wechselsei- technik hin zu sich auflösenden oder im Ent- tigen Beziehungen zwischen Organisation und stehen begriffenen Technikfeldern wie etwa Innovation untersucht. Dabei wurde immer das Internet oder die Biotechnologie. Ähnlich auch der wissenschaftliche bzw. wissen- wie ein Fotoobjektiv, das durch das Wegzoo- schaftspolitische sowie gesellschaftliche Kon- men den Bildausschnitt vergrößert, erweiterte text als Rahmenbedingung für Innovations- sich die Forschungsperspektive der Abteilung prozesse und Organisationshandeln erforscht von der ‚Nahaufnahme’ zur ‚Totalen’: Stand (6, 7, 9, 12, 27, 31, 34, 55) 3 . Innovationen zu Beginn beispielsweise die detaillierte histo- bedürfen in modernen arbeitsteiligen Gesell- rische Rekonstruktion der Motorenentwick- schaften der Organisationen, die Ressourcen lung im Vordergrund, so folgte darauf die bündeln, um neue Produkte, Prozesse und Erforschung des Leitbilds Automobilität; die- Dienstleistungen entwickeln und etablieren zu se bildete wiederum die Grundlage für die Untersuchung der Mobilität im Spannungs- feld von gesellschaftlicher und technischer 1 Das vorliegende Discussion Paper basiert auf dem Entwicklung. Bericht an das Kuratorium des WZB über die Arbeit der Abteilung „Organisation und Technikgenese“ und Darüber hinaus hat sich im Laufe der For- ihrer Nachfolgerin „Innovation und Organisation“. schungsperioden der Abteilung der Unter- 2 Dabei handelte es sich um Forschungen zu den Themen Wirtschaft und Gesellschaft, Technikfolgen suchungszeithorizont erweitert: Wurden die und Forschungspolitik. Zusammenhänge zwischen technischen Ent- 3 Die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf wicklungen und Organisationen zunächst die nummerierte Publikationsliste der Abteilung am Schluss dieses Berichtes (ab Seite 35). retrospektiv betrachtet, begleitete man in der 5
Folge aktuelle Entwicklungen explorativ, um letztendlich auch in der Neubenennung der schließlich die Perspektiven möglicher Zu- Abteilung ihren Niederschlag: von 1988 bis künfte zu integrieren. 2002 hieß sie „Organisation und Technikge- nese“, dann wurde sie in „Innovation und Für die Bearbeitung der Forschungsfragen Organisation“ umbenannt. wurden Theorien aus mehreren Disziplinen herangezogen und miteinander verknüpft, ins- Rückblickend lassen sich von 1988 bis 2008 besondere aus der Organisations- und Tech- drei Hauptphasen identifizieren. Entspre- niksoziologie, aber auch der Politikwissen- chend diesen Phasen ist auch der Bericht schaft, Managementforschung und der Eth- strukturiert. Im Zeitverlauf ist erkennbar, dass nologie. Gerade durch die Arbeit an Schnitt- mehrere Forschungsstränge ausdifferenziert stellen zwischen den Disziplinen erfüllte die und erweitert, während andere mit Beendi- Abteilung eine Agenda-Setting-Funktion. Sie gung eines Projektes abgeschlossen bzw. nach konnte die sozialwissenschaftliche For- einer explorativen Phase nicht weiter verfolgt schungslandschaft mitprägen und in einigen wurden. Fällen auch die materiellen Bedingungen für neue Forschungen verbessern, indem sie zur Einrichtung und Definition von neuen För- Programmphase I: derlinien bei Ministerien und Stiftungen bei- von der Gründung im Jahr 1988 bis 1995 trug (Mobilität in Ballungsräumen, Kolleg Organisationslernen, Internet). Programmphase II: 1996 bis 2002 Prägend für die Formulierung und die Weiter- entwicklung des Forschungsprogramms der Programmphase III: Abteilung war der für das WZB charakteristi- 2003 bis 2008 sche Typus der „problemorientierten Grund- lagenforschung“. Das heißt, dass die zur Un- tersuchung der zentralen Forschungsfragen An den Übergängen wurden die Forschungs- konzipierten Einzelprojekte aus dieser Per- perspektiven neu justiert und eine weitere spektive einerseits programmlogischen An- Phase der inhaltlichen Entfaltung und Konso- forderungen folgten, andererseits aber auch lidierung begann. Nicht immer geschah das in die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz allen Projektbereichen gleichzeitig. Im Inte- des zu untersuchenden Problems zu beant- resse der Übersichtlichkeit wird hier allerdings worten war. Aufbauend auf den erzielten auf die Darstellung solcher Details verzichtet. Erkenntnissen wurde nicht nur die nachfol- gende Projektgeneration entworfen, sondern auch das Programm weiterentwickelt. Die Die Programmphasen im Überblick: thematischen Neuakzentuierungen fanden 6
„Organisation und Technikgenese“ „Innovation und Organisation“ Programmphase I: 1988–1995 Programmphase II: 1996–2002 Programmphase III: 2003–2008 Zentrale For- Soziale und institutionelle Faktoren der Schlüsselfaktoren in Organisationslernprozessen Bedingungen von Innovationsfähigkeit schungsfragen Technik- und Organisationsentwicklung Institutionen als bewegliche soziale Phänomene Wandel von Nutzungsrechten Soziale, organisatorische und kulturelle Einflüsse - Verhältnis von privaten und öffentlichen auf technische und organisatorische Innovationen Gütern (ab 2000) - Möglichkeiten und Grenzen von Wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der Selbststeuerung Globalisierung (ab 2000) Theoriefelder Technikgenese Organisationslernen und Technikgenese Governancetheorien (1995–2000) Leitbildtheorien Theorien des Wandels in Wissensgesellschaften Leitbildtheorien Organisationskultur Empiriefelder Motortechniken Automobilität Intermodale Mobilität Schreibtechniken Kulturraum Internet Internet Governance Sich auflösende und neue Technikfelder Transformationsprozesse in Organisationen Organisationsinnovation Führungsgrundsätze und strategische Ent- Wissensgenerierung scheidungen in Unternehmen Betriebliche Personal- und Sozialpolitik Organisations- Organisationseinheiten und Typen Interorganistionsbeziehungen Organisationscluster verständnis Netzwerke Innovations- Invention Lernen und Interaktion Wissensgenerierung/Wissenstransfer verständnis Imitation Innovationsarchitekturen Diffusion 7
2. Programmphase I: 1988–1995 beiten in Organisationen auch organisations- spezifische Perzeptionsmuster auf den Tech- nikgeneseprozess einwirken, diese organisato- Technikentwicklung als sozialer Prozess: rischen Prägeformen aber in der traditionellen Konzeptioneller Rahmen betriebswirtschaftlichen Forschung nicht an- gemessen bearbeitet werden. Organisatori- Die Diskussionen in den Sozialwissenschaften schen Perzeptionsmustern und Handlungsori- über gesellschaftliche Dimensionen techni- entierungen wurde insbesondere dort eine schen Wandels erreichten im deutschsprachi- hohe Prägungswirkung unterstellt, wo in lang- gen Raum in den späten 1980er Jahren einen fristigen Entwicklungsverläufen die Entschei- Höhepunkt. Anders als in der Technikfolgen- dungssituation wegen der Vielzahl von Opti- abschätzung, bei der es zuvorderst um die onen eher von Unsicherheit gekennzeichnet vielfältigen gesellschaftlichen Wirkungen von ist und in denen monetäre Kosten-Nutzen- Technik ging, galt es nun, Technik als soziales Berechnungen (noch) keine verlässliche Ent- Phänomen umfassend zu verstehen (13, 107, scheidungsgrundlage liefern können. 112, 125, 129, 131). Die Abteilung „Organisa- tion und Technikgenese“ war maßgeblich am Der Ansatz ging zudem von der Prämisse aus, Agenda-Setting dieser Diskussion beteiligt dass neben formellen und expliziten Organi- und prägte den Begriff der Technikgenese sations-, Kontroll- und Planungssystemen von (159), der auch im Gründungsmanifest des Unternehmen deren kulturelle Bedingungen von der Abteilung mitinitiierten „Verbundes wichtige informelle und implizite Wirkungs- Sozialwissenschaftlicher Technikforschung“ faktoren in der Technikgenese sowie in ande- den zentralen Markierungspunkt bildete. ren Bereichen der Unternehmenspolitik dar- stellen (11, 41, 43, 107). Dabei handelt es sich Bestimmend für das Konzept der Technikge- etwa um die Herausbildung eines gemeinsam nese war die Annahme, dass die Entwicklung geteilten Selbstverständnisses der Mitglieder technischen Wissens in modernen Gesell- von Organisationen, die sich vor allem in schaften in die Formen und Arbeitsweisen gemeinsamen Wahrnehmungen sowie Denk- spezialisierter Organisationen und Institutio- und Verhaltensweisen äußern. Etablierte und nen eingebunden ist und durch deren Spezifi- tradierte Kulturen, so die Annahme, wirken in ka geprägt wird (138, 140). Demnach erfolgt strategischen Entscheidungssituationen als „wissenschaftlich-technischer Fortschritt“ nicht Selektionsfilter (225, 226). Einerseits tragen unilinear. Technisches Wissen wird durch die Organisationskulturen zur Reduzierung der Akteure in Forschung und Wissenschaft auch Aushandlungs- und Entscheidungskosten bei, nicht autonom und voraussetzungslos kreiert andererseits müssen diese Vorzüge aber mit (116, 117, 141). Anknüpfungen und Aus- einer drastischen Einschränkung der Hand- schließungen werden vielmehr durch die lang- lungsoptionen bezahlt werden (109, 110, 127, fristig relativ stabilen, national divergierenden 136). sozialen Organisationsformen der Wissens- produktion zugleich ermöglicht und be- Mit der Verwendung des Technikgenesebe- schränkt (6, 29). Die Logiken dieser Dynamik griffs verband sich weiterhin die These, dass sollten durch die Untersuchung von instituti- wichtige Entscheidungen bereits während des onellen Bedingungen und Formen technischer Entstehungsprozesses einer Technik getrof- Wissensproduktion näher bestimmt werden. fen werden. Solche Entscheidungen sind – In einer langfristigen Betrachtungsweise galt wenn überhaupt – nur auf lange Sicht reversi- es dabei, das wechselseitige Verhältnis von bel; sie präformieren bestimmte Entwick- technischen und gesellschaftlichen Entwick- lungslinien, während Alternativen aus dem lungen zu erhellen. Prozess ausgeschlossen, zumindest weniger wahrscheinlich werden (179). Die Selektions- Eine weitere Annahme bestand darin, dass und Eliminierungsentscheidungen im Prozess infolge der verstärkten Verlagerung von Er- der Entwicklung von Technik werden wie- findungs-, Forschungs- und Entwicklungsar- derum nachhaltig mitgeprägt durch die orga- 8
nisationsspezifische Interpretation allgemeiner (Schreib- und Motortechniken) in jeweils zwei technischer Leitbilder. Das Leitbild-Konzept historischen Situationen.4 wurde in die sozialwissenschaftliche Technik- Zunächst wurde die (bereits lange zurücklie- forschung übernommen, um den Einfluss ak- gende) Entwicklungsgeschichte dieser Tech- tueller und zukünftiger Nutzungs- und Be- niken detailliert rekonstruiert und analysiert. darfsvorstellungen auf die Technikentwick- Anknüpfend an die mechanische Schreibtech- lung zu untersuchen (14). nik wurde auch die Entstehung der elektroni- Anfang der 90er Jahre wurde offensichtlich, schen Textverarbeitung im Vergleich zu Text- dass Ausmaß und Art der wirtschaftlichen editoren untersucht (254, 318, 320, 377). Im und sozialen Herausforderungen an die Lern- Rahmen eines innovativen Technikfeldes, der fähigkeit und Lernbereitschaft von Organisa- Biotechnologie, konnte eine Genesephase tionen eine neue Qualität erreicht hatten. Für begleitet werden, die sich zu diesem Zeit- die Innovationsfähigkeit von Organisationen punkt durch eine große Entwicklungsoffen- war die Frage des Organisations- bzw. Unter- heit und Erwartungsunsicherheit auszeichnete nehmenslernens von zentraler Bedeutung (11, (53, 54, 344, 345). 174, 177). Mit dem Ziel, die Dynamik von Die empirischen Untersuchungen auf dem Technikgeneseprozessen umfassender zu ver- Gebiet der Organisationskultur bezogen sich stehen und gleichzeitig einen Beitrag zur vor allem auf strategische Entscheidungen im Entwicklung des Forschungsfeldes „Organisa- internationalen Kontext, die betriebliche Per- tionales Lernen“ zu leisten, wurde ihre theore- sonal- und Sozialpolitik sowie auf Führungs- tisch-konzeptionelle Rahmung auf die For- grundsätze in Unternehmen. Die Untersu- schungsagenda der Abteilung gesetzt. chungen wurden durch Drittmittel der Deutsch-Britischen Stiftung sowie der Gott- Empirische Arbeiten lieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung mitfi- nanziert. Die Ergebnisse der Studie verdeut- In der ersten Programmphase (1988-1995) lichten, dass die Organisationskultur eine bildete die Untersuchung der Technikgenese wichtige Variable für die Aufnahme- und in organisatorischen Kontexten einen em- Durchsetzungsfähigkeit von Ideen in Organi- pirischen Schwerpunkt. Dafür wurden um- sationen darstellt. Der Fokus auf Organisati- fangreiche Drittmittel im Rahmen der Förde- onskultur und insbesondere ihre Veränderun- rung des „Verbundes Sozialwissenschaftliche gen im Zeitverlauf erhellte auch die Bedeu- Technikforschung“ durch das Bundesministe- tung kultureller Orientierungen für die Wahr- rium für Forschung und Technologie (BMFT) nehmung von Chancen und Risiken im eingeworben. Im Mittelpunkt stand die Frage Umfeld und für Anpassungsprozesse von nach der Bedeutung von Organisationskultu- Organisationen an Veränderungen des Um- ren und Konstruktionstraditionen bei der felds (4, 11, 41, 177, 213, 226, 811). Entwicklung des Motorenbaus und der ma- schinellen Schreibtechniken. Ziel war es, die Ergebnisse und neue Weichenstellungen5 Bedeutung von Strukturen des organisierten Wahrnehmens, Bewertens, Wissens und Han- In der ersten Programmphase lag der beson- delns für die Ausprägung technischer Geräte dere Beitrag der Abteilung in der Analyse or- zu untersuchen. Vor dem Hintergrund der ganisations- und professionskultureller Ein- damals noch begrenzten Erfahrungen mit dieser Forschungsperspektive wurde für die 4 Andere technologische Entwicklungen, z.B. technik- empirischen Erkundigungen ein doppelt vermittelte Musik (117), Telefondienste (792), und Me- komparativer Zugang gewählt: der Vergleich dizintechnik (803) wurden in dieser Phase exploriert, von zwei sehr unterschiedlichen Techniken aber nicht weiter vertieft. 5 Die wichtigsten Ergebnisse dieser ersten For- schungsphase sind dokumentiert in: Meinolf Dierkes (Hg.) (1997), Technikgenese. Befunde aus einem For- schungsprogramm, Berlin (40). 9
flüsse auf technische Innovationen. In Hin- sogar abgelehnt werden (225) 6 . Die Abtei- sicht auf die Entstehungs- und Verlaufsfor- lungsarbeit verdeutlichte auch die Fruchtbar- men technischer Entwicklungen konnte ge- keit der Anwendung des Kulturansatzes für zeigt werden, dass Selektions- und Eliminie- die Analyse von Subkulturen in Organisatio- rungsentscheidungen im Prozess der Ent- nen und Professionskulturen (165, 200). Ent- wicklung von Technik durch die organi- wicklungslinien und Konflikte entstehen sationsspezifische Interpretation allgemeiner durch das Aufeinandertreffen von unter- technischer Leitbilder geprägt ist (33, 165, schiedlichen Sichtweisen und Wertvorstellun- 185). Im Einzelnen wurde belegt, dass organi- gen in solchen Subkulturen (136, 154, 161, sationscharakteristische Forschungsstrategien 217). und organisationsspezifische Konstruktions- stile die Auswahl und Anwendung bekannter wissenschaftlicher und technischer Kenntnis- 3. Programmphase II: 1996–2002 se bestimmen. Deutlich wurde aber auch, dass Aussagen über Entstehungs- und Verlaufsfor- men technischer Entwicklungen in einem er- Technikgenese im Kontext von Institutio- heblichen Maße variieren, je nachdem, wel- nenbildung und Nutzungsperspektiven cher Techniktyp untersucht wird (13). So zeigten die vergleichenden Studien zu Text- Die Ergebnisse der ersten Phase (bis 1996) editoren und frühen Textverarbeitungspro- bildeten die Basis für die Weiterentwicklung grammen, dass neue Nutzungskontexte selbst des konzeptionellen Rahmens sowie die Er- lang etablierte Entwicklungstraditionen durch- weiterung der Forschungsfelder für eine zwei- aus erschüttern können (255). Der Einstieg te Projektgeneration. Es handelte sich hierbei männlicher Nutzer in eine bislang „weiblich“ im Wesentlichen um drei Erweiterungen: konnotierte Technik wie die Texterfassung Erstens wurden Technikentwicklungen nun beförderte einen solchen Wandel in den Nut- zunehmend in ihrem gegenwärtigen Entwick- zungskontexten (457). Angesichts der Tech- lungsverlauf (also nicht mehr retrospektiv) nikspezifizität und der verwendungsabhängi- untersucht, was später in eine zukunftsgerich- gen Varianz der Befunde bleibt eine einheitli- tete Forschungsperspektive mündete (413). che „Theorie der Technikgenese“ damit außer Zweitens erlangten methodisch interaktive Sichtweite (40). und begleitende Forschungsprozesse stärkere Bedeutung. Dadurch wurde es konzeptionell Neben der maßgeblichen Beteiligung an der leichter möglich, den Einfluss früher Formen Etablierung der Forschungsperspektive „Tech- der Nutzung auf die Ausprägung von Techni- nikgenese“ und der innovativen Verbindung ken zu bestimmen (504). Drittens wurde zu- von organisations- und techniksoziologischen sätzlich der Einfluss technikbezogener Leit- Fragestellungen hat die Abteilung in dieser bilder sowie Organisationsgrenzen überschrei- Phase Konzepte der Organisationskultur in tender Phänomene einbezogen, die spezifi- die akademische Debatte der deutschen Or- sche Technikentwicklungen anstoßen oder ganisationsforschung eingebracht (183, 200, deren Richtung beeinflussen können (506). 216, 217). Die Bedeutung von Leitbildern für Quer zu den auf Technikfelder orientierten die Technikentwicklung ist nicht zuletzt auch Forschungen wurden Veränderungsprozesse in den Ingenieurwissenschaften auf große in Organisationen und Institutionen unter- Resonanz gestoßen (178). Der organisations- sucht. Hier lagen die Schwerpunkte der Ana- kulturelle Analyseansatz zeigte auf, wie und lyse auf Lernprozessen in und durch Organi- warum bestimmte gesellschaftspolitische und sationen sowie auf der Herausbildung und technische Entwicklungen von Organisatio- Genese von Institutionen. nen entweder nicht wahrgenommen oder 6 Beispielsweise hilft der organisationskulturelle Analy- seansatz die Barrieren, die Frauen im Management entgegenstehen, zu verstehen (170, 202, 206, 225, 227). 10
Parallel zur Neuausrichtung der Programma- Wandel des Netzes (279). Die Projekte kon- tik vollzog sich eine klarere Unterteilung in zentrierten sich auf drei ausgewählte Bereiche, Arbeitsfelder. Dies drückte sich in der Kon- um Prozesse der Institutionenbildung und die stituierung der Projektbereiche Internet, Or- Formen ihrer Transformation zu studieren: ganisationslernen und Mobilität aus, 7 wobei die in den 1990er Jahren hegemoniale Be- sich die eigenständigen Themenfelder Organi- triebstechnik der angeschlossenen Rechner sationslernen und Internet bereits früher ab- (UNIX), die Datenübertragungstechnik im zeichneten. Eine differenziertere Binnenorga- Netz (das Internetprotokoll IP) und einen nisation in drei relativ autonome Projektberei- populären Kommunikationsdienst (Usenet). che wurde vor allem auch deshalb erforder- Die Feldstudien zielten darauf, das Netzge- lich, weil umfangreiche Drittmittelprojekte schehen auf wiederkehrende, übergreifende mit hoher Eigenverantwortung für die darin Phänomene hin zu beobachten. Da es sich bei arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wis- der Netzwelt um einen neuartigen In- senschaftler eingeworben worden waren. Zu- teraktionsraum handelte, der zu diesem Zeit- gleich stieg damit die Notwendigkeit der Ko- punkt von den Sozial- und Kulturwissen- ordination und „konzeptionellen Verklamme- schaften noch wenig beachtet oder genutzt rung“ der Projektbereiche, um die Balance wurde, waren grundlegende theoretische so- zwischen einer weitgehend autonomen Pro- wie methodische Vorarbeiten erforderlich. jektarbeit und dem Abteilungsprogramm zu Dazu gehörte die Konzeptualisierung des gewährleisten. Internet als Kulturraum, dessen Regeln, Insti- tutionen und Praktiken sich mit ethnographi- Die Forschungsarbeiten vollzogen sich schen Methoden untersuchen lassen (372, schwerpunktmäßig innerhalb dieser drei Be- 456). reiche. Daher werden Entwicklungen und Ergebnisse dieser Forschungsphase entspre- Um kulturelle Entwicklungsprozesse im In- chend dieser Dreiteilung skizziert. ternet für die Forschung zugänglich zu ma- chen, hatte die Abteilung 1993 einen WWW- Server 8 mit kontinuierlich aktualisierten Hin- Projektbereich Internet weisen auf Aktivitäten und Publikationen eingerichtet. Eine 1994 eingerichtete Mai- Verglichen mit der Entwicklung etablierter lingliste „Netzforum“ diente der öffentlichen Techniken wie beispielsweise des Automobils Verständigung über die Entwicklung des In- verlief der Wandel des Internet äußerst rasant. ternet. Daneben betrieb die Projektgruppe ein Aufbauend auf den Untersuchungen zu digi- deutschsprachiges MUD (Multi-User-Dun- talen Schreib- und Kommunikationstechniken geon) 9 . Im Rahmen des ab 1996 von der und ersten explorativen Studien zum Internet Volkswagen-Stiftung geförderten Kooperati- (39, 311, 829, 830, 831) wurde 1994 eine in- onsprojekts zwischen WZB und Technischer terdisziplinäre Projektgruppe zur Untersu- Universität Berlin „Interaktionsraum Internet chung des elektronischen Kommunikations- – Netzkultur und Netzwerkorganisation in netzes Internet gegründet. Die Projektgruppe offenen Computernetzen“ untersuchte die Kulturraum Internet beschäftigte sich mit den Projektgruppe aus einer ethnographisch ent- konstitutiven Merkmalen der Netzkultur und wickelten Binnenperspektive die Regeln, Ge- Netzwerkorganisation. Im Vordergrund des wohnheiten und Institutionen, die das Netz Interesses stand das dynamische Zusammen- zusammenhalten und zugleich seinen Wandel spiel technischer und gesellschaftlicher Kon- prägen (842, 314). Materielle und immateriel- ventionen in der Organisation wie auch im le, technische und soziale Elemente – so die These – durchdringen sich und entwickeln 7 Daneben wurden die seit 1993 laufenden Einzelarbei- ten im Bereich der neuen Biotechnologie (u.a. zum Forschungs- und Entwicklungsprogramm der EU zur 8 Unter der Adresse http://duplox.wzb.eu/ ist die Pro- Analyse des menschlichen Genoms (339) weitergeführt jektgruppe im Internet nach wie vor präsent. bzw. 1999 abgeschlossen (53, 343, 344, 345,392, 394, 9 MUDs waren eine Art textbasierte Vorläufer der 395, 396). heutigen Computer-Rollenspiele. 11
sich in einem reziproken Verhältnis zueinan- können, so der Befund der Projektgruppe der (368). Das Untersuchungsziel bestand (874). darin, konstitutive Ordnungselemente des Die Projektgruppe Kulturraum Internet ge- dezentralen, scheinbar unreglementierten hörte zu den Pionieren der sozialwissen- Computernetzes zu ermitteln. Den Erwartun- schaftlichen Internetforschung in Europa. Mit gen gemäß ließen die Untersuchungsergebnis- ihrem ethnographischen Forschungsansatz se aus den drei Fallstudien übereinstimmende hat die Gruppe einen wegweisenden und viel Organisationsmuster und Organisationsprin- beachteten Beitrag zum Verständnis der Netz- zipien im Interaktionsraum Internet erkennen. welt „von innen heraus“ geleistet. Zugleich In allen drei Handlungsbereichen bildeten stellte das Forschungsteam ein gelungenes Dezentralität, Teilhabe und Transparenz wie- Beispiel für die disziplinübergreifende Zu- derkehrende und strukturierende Grund- sammenarbeit von Ethnologie, Soziologie und muster. Als bestimmendes und sich reprodu- Politologie bei der Erkundung wissenschaftli- zierendes Governance-Merkmal im Internet chen Neulands dar. wurde „Kooperative Anarchie“ identifiziert, die in unterschiedlichen Spielarten auf allen untersuchten Ebenen des Netzes – Daten- Projektbereich Organisationslernen transport (422), Betriebssysteme (366) und Anwendungen (373) – zu finden war. Ausgehend von Arbeiten der Phase I zur Or- Dementsprechend vollzog sich der rasche ganisationskultur und deren Einfluss auf die Wandel des Internet weder beliebig noch Technikentwicklung hatte die Abteilung Un- chaotisch, sondern wies rekonstruierbare tersuchungen zu Möglichkeiten und Grenzen Muster auf, in denen ein gewissermaßen im- der gezielten Organisationsveränderung be- pliziter Designplan des Netzes zur Geltung gonnen. Ziel war es, zur Entwicklung einer kam. Mit Blick auf die hohe Innovationsdy- empirisch fundierten Theorie organisationalen namik zeichnete sich ein Muster ab, das als Lernens beizutragen. Im Gegensatz zur angel- „Wandel durch Integration“ bezeichnet wur- sächsischen Forschung mit primärem Fokus de. Das Integrationsprinzip sorgte dafür, dass auf (US-)Unternehmen wurde in diesem Pro- neue Kommunikationsdienste wie das sich jektbereich eine deutlich breitere Palette von Mitte der 1990er Jahre rasch ausbreitende Akteuren (über die Management-Ebene hin- WorldWideWeb bestehende Dienste nicht aus) und Organisationstypen einbezogen (u.a. ablöste, sondern sich mit diesen verband, supranationale Organisationen, Ministerien, (etwa in Form web-basierter elektronischer multinationale Unternehmen aus Europa, Post) wie auch neue Anwendungen und staatliche Betriebe in China). Dienste hervorbrachte. Als wichtige Voraus- Da bei dem damaligen Stand der Forschung setzung für dieses Innovationsmuster wurde dieses Ziel kaum in einem einzigen, wenn- die Offenheit der Netzarchitektur identifiziert. gleich umfangreichen, Projektrahmen erreicht Darunter sind zum einen offene Schnittstellen werden konnte, wurde frühzeitig nach Mög- zu verstehen, die für ein reibungsloses Zu- lichkeiten der Erweiterung der Erfahrungsba- sammenspiel der verschiedenen Netzschich- sis und des Erkenntnisaustauschs gesucht. ten, -dienste und -anwendungen sorgen (Inte- Deshalb engagierten sich die Wissenschaftler roperabilität). Zum anderen aber zählt dazu im Projektbereich Organisationslernen seit auch die für das Internet typische Gemein- 1993 in verschiedenen Kooperationsprojek- freiheit der für den Datentransport und die ten. Dazu gehörte als wesentlicher Bestandteil Kommunikationsdienste verantwortlichen die Konzipierung und Leitung einer inter- Software. Der Verzicht auf Eigentumsrechte national vergleichenden Untersuchung zur im Bereich der Datenübertragung und Diens- Lernfähigkeit von Unternehmen, die in Zu- te stellt sicher, dass Innovationen nicht durch sammenarbeit mit der Shanghai Academy of Eigentumsansprüche ausgebremst werden Social Sciences und dem Interdisciplinary Center for Technological Advance and Fore- 12
casting der Tel Aviv University durchgeführt rien von Führungskräften zu Lernprozessen wurde. Diese vergleichende Untersuchung in Unternehmen10. Das jeweilige interne Ver- beruhte auf einer breiten Datenbasis: in den ständnis von Organisationslernen, so wurde drei Ländern wurden anhand von 183 qualita- dabei deutlich, wird stark durch die Struktur tiven Interviews Einzelfallstudien in Unter- und Kultur der Organisation, aber auch durch nehmen unterschiedlicher Wirtschaftszweige das vorherrschende Menschenbild geprägt. erstellt. Hierbei spielen Führungs- sowie Gründungs- persönlichkeiten eine wesentliche Rolle. Ent- Eine weitere Plattform im Projektbereich Organisationslernen war, in (erneuter) Zu- gegen geläufiger Managementlehren ist mithin nicht von einer einzigen „best practice“ aus- sammenarbeit mit der Gottlieb Daimler- und zugehen, vielmehr können unterschiedliche Karl Benz-Stiftung, die Einrichtung des auf fünf Jahre angelegten internationalen „For- Kombinationen dieser Ensembles für das Organisationslernen förderlich sein. Ent- schungskolleg Organisationslernen“, an dem scheidend ist jedoch die Passfähigkeit der Wissenschaftler unterschiedlicher disziplinärer Herkunft und Praktiker teilnahmen, um For- einzelnen Elemente (257, 401, 435, 436, 875). schungsprojekte durchzuführen und den Die Theoriebildung zu Organisationslernen Stand des Wissens auf diesem Feld zusam- wurde zudem durch empirische Untersuchun- menzutragen und weiterzuentwickeln. Diese gen zur Wissensakquisition und Informati- Arbeit mündete unter anderem in die Veröf- onsverarbeitung in Restrukturierungspro- fentlichung der Annotated Bibliography of Organ- zessen und zu den Rollen unterschiedlicher izational Learning and Knowledge Creation (50, 61) Akteure beim Organisationslernen weiter und des Handbook of Organzational Learning and ausdifferenziert (z.B. Expatriates und Unter- Knowledge (62, 63). Dieses international ausge- nehmensberater als grenzüberschreitende richtete Forschungskolleg, unter Einbezie- Wissensträger) (75, 400, 470, 495, 499). Aus hung von Experten wie Ikurijo Nonaka, John diesem Forschungsstrang entstand ein Pro- Child, William Starbuck und Bo Hedberg, hat zessmodell des Organisationslernens, das das Forschungsfeld erstmals umfassend auf- bisher unbeachtete Phasen des Lernens sowie gearbeitet und eine weiterführende For- Aspekte der Lernbereitschaft und der Prob- schungsagenda formuliert. Mit der Annotier- lemdefinition integrierte. Dieses wurde dann ten Bibliographie und dem Handbuch wurde mit Konzepten der Personalplanung ver- ein internationaler Referenzrahmen für die, knüpft, um einen theoriegeleiteten Ansatz für um die kulturelle Dimension erweiterte Kon- den lernorientierten Einsatz internationaler zeption des Feldes geschaffen. Führungskräfte zu begründen. In diesem Zeitraum wurde auch in anderen Ebenfalls aus dieser Forschung kristallisierte Abteilungen des WZB der innovative und sich ein Modell der Interaktionen zwischen weiterführende Charakter von Organisations- Akteuren mit unterschiedlichen Rollen und lernen erkannt. Daher kooperierte die Pro- Wissensbeständen heraus. In einem weiteren jektgruppe mit der Abteilung „Market Dyna- Forschungsstrang wurden die Ergebnisse der mics“ bei der Herausgabe des WZB-Jahr- Leitbild- und Technikgeneseforschung für das buchs 1998 zum Thema „Institutionelle und Feld des Organisationslernens fruchtbar ge- kulturelle Dimensionen des Organisationsler- macht und weiterentwickelt (506). Eine Un- nens“ (45). Das Buch bot den ersten systema- tersuchung zu den Katalysatoren des Organi- tischen Überblick zu diesem Thema für den sationslernens beleuchtete drei zentrale Typen deutschsprachigen Raum. des Organisationslernens anhand von Studien zur Technikgenese im Bereich der Schreibma- Die Publikationen, die aus der 1994 begon- schine, der Automobilität und des Internets. nenen international vergleichenden Studie zur Lernfähigkeit von Unternehmen in China, 10 Die Ergebnisse dieser Drei-Länder-Studie wurden in Deutschland und Israel hervorgingen, thema- einem All-Academy Symposium bei der Jahrestagung tisieren unter anderem die impliziten Theo- der Academy of Management in San Francisco im August 1995 vorgetragen. 13
Leitbilder galten in diesem Zusammenhang bunden ist. Das Ziel war es, das Forschungs- sowohl als Resultat als auch als Katalysator feld Verkehr stärker in soziale Kontexte zu- des Organisationslernens und spielten inso- rückzuführen und das Verkehrsverhalten als fern eine Doppelrolle. Die Studie lieferte An- Teil sozialer Praxis auszuweisen. Entspre- haltspunkte dafür, dass Organisationen, die chend der Logik des Funktionsraums und des einen Pool neuer Ideen entwickeln und daraus Verkehrs als sozialer Praxis mussten auch tragfähige Leitbilder gestalten können, den neue Verkehrskonzepte daran gemessen wer- Herausforderungen des technischen Wandels den, inwieweit sie die gegebenen gesellschaft- eher gewachsen sind als andere (414). lichen und politischen Rahmenbedingungen erfüllen, um auf Akzeptanz zu stoßen (404, Der intensive internationale Austausch mit 410, 424, 438, 460). Wissenschaftlern sowie Experten aus der Praxis über den Forschungsstand zu Struktu- Die Suche nach einem funktionalen Äquiva- ren und Prozessen des Organisationslernens lent zum Automobil bildete den verkehrspo- verdeutlichte, dass eine Ausweitung der Em- litischen Hintergrund dieses erweiterten For- piriefelder notwendig war, um konzeptionelle schungsinteresses. Wenig erfolgreich waren Weiterentwicklungen voranzubringen. Diese bis dahin etwa Versuche gewesen, Verhaltens- Einsicht bildete die Basis für eine Erweiterung änderungen bei Verkehrsteilnehmern durch und Verschiebung des Untersuchungsfokus- Appelle zu erreichen, zum Beispiel mit der ses in der nachfolgenden Programmphase auf Aufforderung an Autofahrer, auf öffentliche Lernprozesse in öffentlichen Institutionen wie Verkehrsmittel umzusteigen. Offensichtlich in interorganisationalen Zusammenhängen. war, dass der Automobilismus nicht zuletzt auf den Eigensinnigkeiten seiner Nutzer be- ruhte. Vielen „Umstiegskampagnen“ lagen Projektbereich Mobilität funktionalistisch oder ökonomisch verkürzte Erklärungen von Verkehrswahlverhalten zu- Unmittelbar aufbauend auf den früheren Ar- grunde. Und doch schienen andererseits die beiten zur Genese von Motor- und Fahr- Zeiten vorbei, als das Auto in erster Linie ein zeugtechniken (8, 15, 22, 24), entwickelte die Ausweis des wirtschaftlichen Aufstiegs war Projektgruppe Mobilität konzeptionelle Über- (22). Die Kritik an der Massenmotorisierung legungen zu einem besseren Verständnis des und an den Nebenfolgen des dominierenden gesellschaftlichen Phänomens „Mobilität“. Es Antriebskonzeptes war in den 1980er Jahren ging in den folgenden Jahren nicht mehr dar- angewachsen wie nie zuvor in der Geschichte um, die „Karriere-Etappen“ einzelner techni- des motorisierten Individualverkehrs. Erstma- scher Geräte zu rekonstruieren, sondern Ver- lig gewannen Konzepte der Integration der kehrstechniken über den unmittelbaren Ent- Verkehrsträger auch im politischen Diskurs stehungskontext hinaus in ihren sozialen Wir- an Gewicht. kungsdimensionen zu beobachten (232, 272, 282). Zugleich wurde damit ein Untersu- Dass eine „Krise des Automobils“ auch für chungsrahmen für mögliche zukünftige Ent- die volkswirtschaftlich so bedeutsame Auto- wicklungen abgesteckt, der stärker an hand- mobilindustrie einschneidende Folgen haben lungstheoretischen Fragestellungen orientiert könnte, war nicht zuletzt auch durch Ver- war. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive öffentlichungen aus dem Projektbereich Mo- wurde der Gebrauch des Automobils als ab- bilität zunehmend bewusst geworden (211, hängig von einem „Funktionsraum“ verstan- 383, 426). Eng verbunden mit der Erosion den (47, 350, 379). Dieser hat eine technische des lange erfolgreichen Automobil-Leitbildes und rechtliche Dimension, aber vor allem war die Frage, ob die Automobilindustrie sich auch eine Nutzungsdimension. Verkehr insge- vom Fahrzeughersteller zu einem Verkehrs- samt wurde als Bewegung in öffentlichen dienstleister wandeln würde (233). Dieses Räumen und damit als Teil einer sozialen Problem stand im Mittelpunkt eines seit Ende Praxis verstanden, die oft widersinnig organi- 1995 vom Bundesministerium für Bildung siert und mit nicht intendierten Effekten ver- und Forschung geförderten Forschungspro- 14
jekts „Leitbildforschung am Automobil – lichen Formen der Begleitforschung blieb hier Auflösungserscheinungen, Beharrungstenden- die Projektgruppe als Erzeuger des Wissens zen und neue technische Optionen“ (839). steuernder Akteur über den Verwendungs- Mit dieser Fragestellung wurde an das Leit- prozess. Das zu testende Produkt war ein bildkonzept der sozialwissenschaftlichen „Full-Service-Leasing-Angebot“ für ein Auto Technikgeneseforschung angeknüpft, aber unter dem Namen CashCar, das die Option über die Genese von Leitbildern hinaus nach einschloss, selbstbestimmt zeitweise auf das Zerfalls- und Modernisierungspotenzialen Auto zu verzichten. Dieser „temporäre Ver- von Leitbildern und den hieran beteiligten zicht auf Verfügbarkeit“ wurde mit Gutschrif- sozialen Akteuren gefragt.11 ten auf die Leasingrate vergütet, da das Fahr- zeug während dieser Zeit als Carsharingauto Ausgehend von der Prämisse, dass sich durch vermietet wurde. Entwickelt wurde also ein die Individualisierung der Gesellschaft der gänzlich anderes Angebot, da es sich weder Trend zur „Selbstbeweglichkeit“ (Auto-Mobi- um ein klassisches privat genutztes Leasing- lität) verstärkt, war zu erwarten, dass ein at- fahrzeug noch um ein klassisches Mietauto traktives Konzept für die Zukunft des Perso- handelte. Doch offen war, welche Bedeutung nenverkehrs nur unter Berücksichtigung eines potenzielle Nutzerinnen und Nutzer dem Moduls „Automobil“ funktionieren würde innovativen Autokonzept zuschreiben wür- (462, 463). Für die Untersuchung dieser den. Die CashCar-Leasingnehmer wurden Hypothese brauchte die Projektgruppe Mobi- ausführlich zu ihrem Nutzungs- und insbe- lität Zugang zu einem Feld, das es noch nicht sondere zu ihrem „Verzichts-“verhalten be- gab. Daher trieb sie ein ungewöhnliches Feld- fragt. Die Befragung der Pilotnutzerinnen und experiment voran: Um ein Angebot zur intel- -nutzer von CashCar zielte darauf, Faktoren ligenten Nutzung des Automobils zu ent- zu identifizieren, die den möglichen Wechsel wickeln, anzubieten und zu testen, das die in der Bedeutungszuschreibung des Automo- Präferenzen des Endverbrauchers berücksich- bils von einem Privatwagen zu einem gemein- tigt und die traditionelle verkehrsmitteldomi- schaftlichen Nutzungsgut fördern oder be- nierte Beförderungslogik in eine funktionsori- hindern (47, 459). entierte Dienstleistung transformiert, wurde die choice Mobilitätsproviding GmbH 12 ge- Die Erkenntnisse des umfänglichen Feldver- gründet. Diese Ausgründung stellte eine für suchs bildeten wichtige Versatzstücke bei der das WZB neuartige Verbindung von For- Erarbeitung einer Theorie der Automobilnut- schung und Praxis dar. Der Vorteil der ge- zung im Rahmen einer neu zu formulierenden wählten Firmenkonstruktion lag darin, dass Mobilitäts- und Verkehrssoziologie. Es bestä- die Nutzung sozialwissenschaftlichen Wissens tigte sich die enge Kopplung von modernen in einer experimentellen Situation beeinflusst Lebensformen und individualisierten Lebens- werden konnte. Im Unterschied zu herkömm- entwürfen mit der Verfügbarkeit und Nut- zung des Automobils (66, 460). Moderne Ge- 11 Nicht zuletzt befördert durch die Arbeiten der sellschaften sind (auto-)mobile Gesellschaf- Projektgruppe Mobilität hat die Deutsche Bahn AG ten, auf der individuellen Handlungsebene später, nämlich 2001, damit begonnen, ein bundeswei- tes Car-Sharing-Franchise-System aufzubauen mit dem leistet das Automobil zudem einer habituali- Ziel, in allen deutschen Ballungsräumen ein einheitli- sierten Nutzung Vorschub. Es unterstützt in- ches Car-Sharing-Angebot für Bahnkunden zu ermög- dividualisierte Wegeketten und bietet das als lichen. ideal angesehene technische Unterpfand für 12 Die Firma choice Mobilitätsproviding GmbH wurde vom WZB zusammen mit den Partnern StattAuto die Realisierung von „Eigenraum und Eigen- CarSharing GmbH, Audi AG sowie der Deutschen zeit“ (382). Bahn AG 1998 gegründet. Das Projekt war zuvor unter dem Titel „CashCar – Vom Privatauto zum öffentli- Im Zuge der Forschungen zur Lebensqualität chen Verkehrsmittel“ bei einer Ausschreibung der Älterer, die im Rahmen der Sozialindikato- Bundesregierung als eines von 13 Projektverbünden – renuntersuchungen im WZB betrieben wur- von insgesamt 151 eingereichten Skizzen – zur Förde- den, und auch im Querschnittsprojekt zu rung einer sechsmonatigen Vorphase ausgewählt wor- den. „Arbeit und Nachhaltigkeit“ wurde der enge 15
Zusammenhang von Automobilnutzung und und zugleich neue Möglichkeitsräume zu nut- gesellschaftlicher Individualisierung zu einem zen bzw. zu schaffen. Dabei finden Koordi- zentralen Thema. In beiden Fällen gab es eine nation und Kooperation zunehmend in Orga- fruchtbare Kooperation, die nicht zuletzt zu nisationsgrenzen überschreitenden Netzwer- gemeinsamen Veranstaltungen und Publikati- ken statt. Die erkenntnisleitende Frage der onen führte (878, 879). Abteilung richtete sich auf die Bedingungen Die Projektgruppe Mobilität hat in dieser von Innovationsfähigkeit in verschiedenen Phase zum einen zur konzeptionellen Fundie- gesellschaftlichen und ökonomischen Hand- rung einer sozialwissenschaftlichen Verkehrs- lungsfeldern, aber zugleich auch auf deren und Mobilitätsforschung beigetragen, zum an- Blockaden. Folgende Teilhypothesen bildeten deren aber auch Modelle zukünftiger Ver- die Grundlage für die Forschung in den ein- kehrsgestaltung entwickelt sowie deren Chan- zelnen Projektbereichen: cen ausgelotet. Dies war zukunftsweisend, 1. (Organisations-)Kulturen prägen die nicht nur weil der motorisierte Individualver- Wahrnehmung von gesellschaftlichen kehr eine Belastung für Mensch und Umwelt Problemen und die als relevant und legi- darstellt, sondern auch vor dem Hintergrund tim angesehenen Handlungsoptionen zu einer beginnenden Deregulierung des öffentli- deren Bewältigung. Folglich prägen Kul- chen Verkehrs. Konsequenterweise wurde der turen auch gesellschaftliche Umstruktu- Schritt von der Erklärung individuellen Ver- rierungsprozesse. Um kulturell verfestig- kehrsverhaltens unter Bedingungen verbindli- te Problemdefinitionen zu verändern cher sozialer Rollenerwartungen hin zu einer und die Palette der Handlungsoptionen akteurs- und institutionenbezogenen Policy- zu erweitern, stehen Organisationen vor Analyse im Verkehr vollzogen. Angesichts der der Herausforderung zu lernen. Hier- Einsicht in das besondere Gewicht von durch schaffen sie neue soziale Mög- Macht- und Herrschaftsstrukturen bei der lichkeitsräume. Etablierung bzw. Blockierung von Innovati- onsprozessen im Verkehrssektor wurden am 2. Kennzeichnend für moderne Gesell- Ende der zweiten Programmphase zuneh- schaften sind Ausdifferenzierungs- und mend Governance-Fragen thematisiert (65, Entgrenzungsprozesse von Organisatio- 542, 580). nen, die zur Entstehung von Hybriden zwischen Markt und Staat auf lokaler, regionaler, nationaler wie supranationa- ler Ebene führen. Dabei bilden faktische 4. Programmphase III: 2003–2008 wie symbolische Überschreitungen von territorialen, kulturellen, sozialen und Innovation und Organisation mentalen Grenzen wichtige Voraus- setzungen für Innovationen.13 Die Abteilung firmierte seit dem 1. Januar 2003 unter dem Namen „Innovation und 3. Die Erzeugung und Nutzung von Wis- Organisation“ als Teil des neuen WZB- sen in modernen Gesellschaften, ins- Schwerpunktes „Organisationen und Wis- besondere im Hinblick auf technische sen“. Im Rahmen einer Umorganisation des und soziale Innovationen, erfordern WZB ist das Programm um einen vierten neue Formen der Regulierung und Insti- Projektbereich ergänzt worden, nämlich tutionenbildung, denn Innovationen „Wissenstransfer und Netzwerke“, der auf sind häufig mit Konflikten verbunden. Forschungen in der früheren Abteilung „Re- gulierung von Arbeit“ aufbaute. Leitgedanke der nun erweiterten Abteilung war, dass mo- 13 Positive wie negative Implikationen von Entgren- derne Gesellschaften stärker denn je von Or- zungen wie Grenzziehungen werden in dem von Aria- ne Berthoin Antal und Sigrid Quack herausgegebenen ganisationen geprägt sind, die Wissen einset- Band „Grenzüberschreitungen – Grenzziehungen“ zen und generieren, um Probleme zu lösen diskutiert (86). 16
In der dritten Programmphase spielen also Lernen in Organisationen ist. Jedoch zeigte Organisations- und Governance-Aspekte in sich an diesem Beispiel (entgegen der weit- allen nunmehr vier Projektbereichen eine grö- verbreiteten Vorstellung, mehr Wissen und ßere Rolle als zuvor. Die Projektbereiche eine maximale Offenheit für die relevanten divergieren vor allem in ihrem Drittmittel- Bezugsgruppen der Organisation seien prinzi- anteil und damit auch in der Zahl der projekt- piell positiv), dass die Durchlässigkeit von bezogen Beschäftigten. Insbesondere ist der Organisationsgrenzen durch eine Reihe von Projektbereich Mobilität stark gewachsen. So grenzüberschreitenden Aktivitäten strategisch erklärt sich auch die im Folgenden unter- gesteuert werden muss, um die Verwertung schiedlich ausführliche Schilderung der Er- von neuem Wissen zu sichern. Die Fähigkeit, gebnisse aus den einzelnen Projektbereichen. sich von Wissensflüssen auch abzuschirmen, erwies sich als bisher unterschätzter Faktor (91, 691). Projektbereich Organisationslernen und Kultur Überraschende Erkenntnisse für die Theo- riebildung erbrachte auch die empirische Un- Der rapide weltweite soziale, politische, wirt- tersuchung des Transformationsprozesses ei- schaftliche und technologische Wandel stellt nes multinationalen Konzerns, die hemmende Organisationen vor die Herausforderung, und förderliche Wirkungen von Organisati- Wissen zu akquirieren bzw. zu generieren und onskultur auf Organisationslernen beleuchtete es so zu verarbeiten, dass es auch umgesetzt (521, 522).14 Hier konnte nachgezeichnet wer- werden kann. Da Wissen aber immer kon- den, wie kulturbedingte Lernblockaden im textgebunden ist, stellt sich die Frage, unter Zentrum der Organisation durch die Einbe- welchen Voraussetzungen und wie Organisa- ziehung von Wissen aus der Peripherie über- tionen – mit ihren jeweiligen kulturellen Aus- wunden wurden. Akteure, die sich in anderen prägungen – von Ideen und Erfahrungen, die kulturellen Kontexten bewegten, verfügten in anderen Kontexten zu Wissen geronnen über Wissen, das die Organisation brauchte, sind, lernen können. um angemessen auf Veränderungen in Märk- ten oder der Gesellschaft zu reagieren. Die Um herauszufinden, ob sich die zuvor in erfolgreiche Einspeisung solch fremden Wis- Wirtschaftsunternehmen beobachteten Pro- sens ist aber daran gebunden, dass entspre- zesse des Organisationslernens in anderen chende Strukturen und Prozesse in der Orga- Organisationsformen ähnlich gestalten oder nisation verfügbar sind und genutzt werden, davon abweichen, wurden im Projektbereich d.h. an die Fähigkeit, innerhalb der dominan- Organisationslernen und Kultur Fallstudien in ten Organisationskultur verändernd zu agie- einem deutschen Bundesministerium, in ei- ren (527, 601). nem multinationalen Konzern und in einer supranationalen Organisation durchgeführt. Dabei konnte gezeigt werden, dass die bisher Projektbereich Wissenstransfer und im Unternehmenskontext entwickelten Lern- Netzwerke konzepte grundsätzlich auch in politisch- administrativen Organisationen anwendbar Die Restrukturierung des öffentlichen Sektors sind. Andererseits wurde aber auch deutlich, nach Prinzipien von New Public Management dass die Einbeziehung solcher Organisationen wie Ausgliederung, Privatisierung und Con- in die Untersuchung zusätzliche neue Impulse tracting-out hat nicht nur zu einer Vervielfäl- für das Forschungsgebiet Organisationslernen tigung von Organisationsformen öffentlicher liefern kann. So bestätigte die Studie zum Organisationslernen innerhalb der EU- Kommission (Generaldirektion für Informa- 14 Das Henley Management College hat diese Fallstu- die als Kernstück in sein MBA-Programm übernom- tionsgesellschaft und Medien), wie förderlich men und sie wurde, mit einer zusätzlichen Teaching die Offenheit für organisationsexterne Sicht- Note versehen, auch vom European Case Clearing weisen, Interessen und Erwartungen für das House als Lehrmaterial aufgenommen. 17
Aufgabenerledigung und -finanzierung, son- Risiken und Nutzen sowie zur Konfliktbewäl- dern auch zu einer zunehmenden Fragmentie- tigung zusammenhängt. Nahezu jede Koope- rung von Kompetenzen und Wissensbestän- ration durchlief Entwicklungsphasen von der den geführt. Diese Entwicklung birgt das Anbahnung über das Wachstum bis zur Kon- Risiko, die Problemlösungsfähigkeit der öf- solidierung, d.h. in öffentlich-privaten Part- fentlichen Hand weiter zu unterhöhlen, zumal nerschaften wie in Städtenetzwerken ließen in vielen Bereichen Wettbewerbsmechanis- sich „Lebenszyklen“ der Kooperation nach- men etabliert wurden, die dazu geführt haben, weisen. Dabei mussten die Partner immer dass die verschiedenen Leistungsanbieter auch mit spezifischen Krisen rechnen. Die untereinander um knappe Ressourcen kämp- Bewältigung von solchen Konflikten ist nicht fen. Städte und Gemeinden experimentieren nur Bedingung für die weitere Zusammenar- daher seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend beit. Sie kann durchaus zu (unerwarteten) mit neuartigen Kooperationsverbünden über Produktivitäts- und Kreativitätsschüben füh- Sektorgrenzen hinweg (81, 669). ren. Voraussetzung dafür ist ein sensibles Netzwerkmanagement, dem die prekäre Ba- Der neue Projektbereich der Abteilung „Wis- lance zwischen innovationsfördernden – aber senstransfer und Netzwerke“ (ehemals „Pub- tendenziell desintegrierenden – Dynamiken lic Governance“) hat sich deshalb mit den und zielführenden – aber tendenziell stagnati- spezifischen Lern- und Innovationsprozessen onsanfälligen – Institutionalisierungsprozes- befasst, die sich durch die Generierung und sen gelingt (587, 681). den Transfer von Wissen vollziehen, und zwar in Städtenetzwerken (ein Projekt, das Die Frage nach den Leistungen und Effekten durch die Hans-Böckler-Stiftung gefördert Organisationsgrenzen überschreitender Ko- wurde), im Rahmen von Public Private Part- operationsbeziehungen ist differenziert zu nerships (eine Sieben-Länder-Studie gefördert beantworten: Public Private Partnerships zei- durch das Bundesministerium für Bildung tigten in den meisten untersuchten Fällen und Forschung) sowie in dem Engagement insbesondere inkrementale Verbesserungen von Wirtschaftsunternehmen in sozialen Ein- etwa hinsichtlich der Effizienz der Leistungs- richtungen, das unter Corporate Citizenship erstellungsprozesse oder einer expliziten Nut- firmiert (eine Pilotstudie unterstützt von der zerorientierung und -integration. Grundlegen- Friedrich-Ebert-Stiftung). Bezogen auf diese de Produktinnovationen blieben dagegen ins- exemplarischen Felder wurde der Frage nach- besondere in den hoch regulierten öffentli- gegangen, welche Strukturdesigns und Go- chen Aufgabenfeldern die Ausnahme. Oft vernance-Mechanismen die Problemlösungs- diente die Beteiligung an der Partnerschaft potenziale in besonderer Weise fördern (aber den Interessen der jeweiligen Akteure, wie auch behindern) können. Das theoretische zum Beispiel ihrer Suche nach Reputation Interesse richtete sich auf die Verbindung und nach Anerkennung ihrer Kooperations- einer interaktionistischen, dynamischen Go- fähigkeit; sie erwiesen sich gleichwohl als vernance-Perspektive mit wissenssoziologi- wichtige Triebkräfte der Kooperationsdyna- schen und lerntheoretischen Konzepten zur mik. Der Kooperationsmehrwert für die teil- Wissensgenerierung und Wissensdiffusion. nehmenden Organisationen insgesamt hielt Eine zentrale Frage lautete, unter welchen sich demgegenüber in Grenzen. Nur in einer Bedingungen Austausch- und Interaktions- Minderheit von Kooperationsverbünden wur- prozesse zwischen diesen Partnern auf kom- den von Beginn an parallele Entwicklungs- munaler Ebene zum Wissenstransfer und zur prozesse in den beteiligten Organisationen Wissensgenerierung beitragen können. angestoßen oder wenigstens der Rückfluss von Kooperationserfahrungen und -ergeb- Als übergreifendes Ergebnis der Studien zu nissen systematisch vorbereitet. Das Ziel, den neuartigen Kooperationsverbünden zeigte Veränderungs- und Lernprozesse in den Teil- sich, dass ihr Erfolg eng mit ihrer Fähigkeit nehmerorganisationen zu fördern, geriet viel- zur Einbindung von Akteuren und damit zu fach über die Mühen der Etablierung interor- einer als „fair“ angesehenen Aufteilung von 18
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