Innovation und Organisation: Entwicklung eines Forschungsfeldes - WZB - discussion paper

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WZB – discussion paper

Ariane Berthoin Antal, Weert Canzler, Jeanette Hofmann,
Andreas Knie, Lutz Marz, Maria Oppen

Innovation und Organisation: Entwicklung
eines Forschungsfeldes

                             SP III 2008-106

ABAntal@wzb.eu
ZITIERWEISE / CITATION:

Ariane Berthoin Antal, Weert Canzler, Jeanette Hofmann,
Andreas Knie, Lutz Marz, Maria Oppen

Innovation und Organisation: Entwicklung eines Forschungsfeldes

Discussion Paper SP III 2008-106
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (2008)

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB)
Reichpietschufer 50, D-10785 Berlin
Telefon: +49 30 25491-201, Fax: +49 30 25491-209
http://www.wzb.eu/gwd/inno/
Inhalt

   1. Einleitung .......................................................................................................................... 5

   2. Programmphase I: 1988–1995 ............................................................................................ 8
      Technikentwicklung als sozialer Prozess: Konzeptioneller Rahmen ............................................... 8
      Empirische Arbeiten ................................................................................................................................ 9
      Ergebnisse und neue Weichenstellungen .............................................................................................. 9

   3. Programmphase II: 1996–2002 ........................................................................................ 10
      Technikgenese im Kontext von Institutionenbildung und Nutzungsperspektiven ..................... 10
      Projektbereich Internet .......................................................................................................................... 11
      Projektbereich Organisationslernen ..................................................................................................... 12
      Projektbereich Mobilität ........................................................................................................................ 14

   4. Programmphase III: 2003–2008 ...................................................................................... 16
      Innovationen in Netzwerken ................................................................................................................ 16
      Projektbereich Organisationslernen und Kultur ................................................................................ 17
      Projektbereich Wissenstransfer und Netzwerke ................................................................................ 17
      Projektbereich Internet Governance ................................................................................................... 19
      Projektbereich Mobilität ........................................................................................................................ 21
      Phase der „Abrundung und Bilanzierung“ ......................................................................................... 23

   5. Bilanz und Perspektiven ................................................................................................. 24
      Ergebnisse und Erträge .......................................................................................................................... 24
      Reflexionen über die Forschungserfahrungen ................................................................................... 27
      Forschungsperspektiven ........................................................................................................................ 30
      Publikationen ................................................................................................................ 35

                                                                            3
4
1. Einleitung                                              können. Im Kern ging es dabei immer um die
                                                           Bedeutung von Strukturen, Kulturen und
                                                           Prozessen der Wissensgenerierung und Ent-
Wie entwickelt sich ein Forschungsfeld? Der
                                                           scheidungsfindung in organisationalen Kon-
Rückblick über zwanzig Jahre Forschung in
                                                           texten für die Entstehung und Durchsetzung
einer Institution bietet die Möglichkeit dar-
                                                           von Innovationen.
über zu reflektieren, wie mehrere Generatio-
nen von Programmen ein breites, komplexes,                 Gleichwohl waren Wandel und Neuerung
und sich veränderndes Themenfeld bearbeit-                 nicht nur Forschungsgegenstand, sondern
bar machen. In diesem Bericht wird die Ent-                auch integraler Bestandteil des Verständnisses
wicklung der Forschung am WZB von 1988                     der Programmforschung der Abteilung. Dem-
bis 2008 über die Zusammenhänge und Dy-                    entsprechend wurde die Forschungsfragestel-
namiken von Organisation, Technik, Wissen                  lung im Zeitverlauf sukzessive verschoben
und Innovation nachgezeichnet. Zentrale                    und erweitert. Parallel zu den neuen For-
Ergebnisse werden resümiert, Erfahrungen                   schungsfragen wurde auch das Spektrum der
reflektiert, und einige Perspektiven für die               konzeptionellen und methodischen Zugänge
weitere Forschung skizziert.1                              weiter entwickelt. Nachdem die Forschung
                                                           sich zunächst auf die Untersuchung einzelner
Das Forschungsprogramm hat seine Wurzeln
                                                           Organisationen und Institutionen konzentriert
in den vorangegangenen gemeinsamen For-
                                                           hatte, rückten zunehmend ihre Beziehungen
schungsaktivitäten seiner Gründungsmitglie-
                                                           untereinander sowie deren gesellschaftliche
der während der Präsidentschaft von Meinolf
                                                           Einbettung in das Blickfeld.
Dierkes. 2 Unter der Leitung von Meinolf
Dierkes haben Wissenschaftlerinnen und                     Parallel dazu kamen auch neue empirische
Wissenschaftler aus unterschiedlichen Diszip-              Untersuchungsfelder hinzu: Von etablierten
linen im Laufe der rund zwanzigjährigen Ab-                Techniken wie der Schreib- oder Motoren-
teilungsgeschichte die vielfältigen wechselsei-            technik hin zu sich auflösenden oder im Ent-
tigen Beziehungen zwischen Organisation und                stehen begriffenen Technikfeldern wie etwa
Innovation untersucht. Dabei wurde immer                   das Internet oder die Biotechnologie. Ähnlich
auch der wissenschaftliche bzw. wissen-                    wie ein Fotoobjektiv, das durch das Wegzoo-
schaftspolitische sowie gesellschaftliche Kon-             men den Bildausschnitt vergrößert, erweiterte
text als Rahmenbedingung für Innovations-                  sich die Forschungsperspektive der Abteilung
prozesse und Organisationshandeln erforscht                von der ‚Nahaufnahme’ zur ‚Totalen’: Stand
(6, 7, 9, 12, 27, 31, 34, 55) 3 . Innovationen             zu Beginn beispielsweise die detaillierte histo-
bedürfen in modernen arbeitsteiligen Gesell-               rische Rekonstruktion der Motorenentwick-
schaften der Organisationen, die Ressourcen                lung im Vordergrund, so folgte darauf die
bündeln, um neue Produkte, Prozesse und                    Erforschung des Leitbilds Automobilität; die-
Dienstleistungen entwickeln und etablieren zu              se bildete wiederum die Grundlage für die
                                                           Untersuchung der Mobilität im Spannungs-
                                                           feld von gesellschaftlicher und technischer
1 Das vorliegende Discussion Paper basiert auf dem
                                                           Entwicklung.
Bericht an das Kuratorium des WZB über die Arbeit
der Abteilung „Organisation und Technikgenese“ und         Darüber hinaus hat sich im Laufe der For-
ihrer Nachfolgerin „Innovation und Organisation“.
                                                           schungsperioden der Abteilung der Unter-
2 Dabei handelte es sich um Forschungen zu den
Themen Wirtschaft und Gesellschaft, Technikfolgen          suchungszeithorizont erweitert: Wurden die
und Forschungspolitik.                                     Zusammenhänge zwischen technischen Ent-
3 Die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf       wicklungen und Organisationen zunächst
die nummerierte Publikationsliste der Abteilung am
Schluss dieses Berichtes (ab Seite 35).
                                                           retrospektiv betrachtet, begleitete man in der

                                                       5
Folge aktuelle Entwicklungen explorativ, um          letztendlich auch in der Neubenennung der
schließlich die Perspektiven möglicher Zu-           Abteilung ihren Niederschlag: von 1988 bis
künfte zu integrieren.                               2002 hieß sie „Organisation und Technikge-
                                                     nese“, dann wurde sie in „Innovation und
Für die Bearbeitung der Forschungsfragen
                                                     Organisation“ umbenannt.
wurden Theorien aus mehreren Disziplinen
herangezogen und miteinander verknüpft, ins-
                                                     Rückblickend lassen sich von 1988 bis 2008
besondere aus der Organisations- und Tech-
                                                     drei Hauptphasen identifizieren. Entspre-
niksoziologie, aber auch der Politikwissen-
                                                     chend diesen Phasen ist auch der Bericht
schaft, Managementforschung und der Eth-
                                                     strukturiert. Im Zeitverlauf ist erkennbar, dass
nologie. Gerade durch die Arbeit an Schnitt-
                                                     mehrere Forschungsstränge ausdifferenziert
stellen zwischen den Disziplinen erfüllte die
                                                     und erweitert, während andere mit Beendi-
Abteilung eine Agenda-Setting-Funktion. Sie
                                                     gung eines Projektes abgeschlossen bzw. nach
konnte die sozialwissenschaftliche For-
                                                     einer explorativen Phase nicht weiter verfolgt
schungslandschaft mitprägen und in einigen
                                                     wurden.
Fällen auch die materiellen Bedingungen für
neue Forschungen verbessern, indem sie zur
Einrichtung und Definition von neuen För-             Programmphase I:
derlinien bei Ministerien und Stiftungen bei-         von der Gründung im Jahr 1988 bis 1995
trug (Mobilität in Ballungsräumen, Kolleg
Organisationslernen, Internet).                       Programmphase II:
                                                      1996 bis 2002
Prägend für die Formulierung und die Weiter-
entwicklung des Forschungsprogramms der
                                                      Programmphase III:
Abteilung war der für das WZB charakteristi-
                                                      2003 bis 2008
sche Typus der „problemorientierten Grund-
lagenforschung“. Das heißt, dass die zur Un-
tersuchung der zentralen Forschungsfragen            An den Übergängen wurden die Forschungs-
konzipierten Einzelprojekte aus dieser Per-          perspektiven neu justiert und eine weitere
spektive einerseits programmlogischen An-            Phase der inhaltlichen Entfaltung und Konso-
forderungen folgten, andererseits aber auch          lidierung begann. Nicht immer geschah das in
die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz       allen Projektbereichen gleichzeitig. Im Inte-
des zu untersuchenden Problems zu beant-             resse der Übersichtlichkeit wird hier allerdings
worten war. Aufbauend auf den erzielten              auf die Darstellung solcher Details verzichtet.
Erkenntnissen wurde nicht nur die nachfol-
gende Projektgeneration entworfen, sondern
auch das Programm weiterentwickelt. Die              Die Programmphasen im Überblick:
thematischen Neuakzentuierungen fanden

                                                 6
„Organisation und Technikgenese“                                                                „Innovation und Organisation“

                 Programmphase I: 1988–1995                 Programmphase II: 1996–2002                          Programmphase III: 2003–2008

Zentrale For-    Soziale und institutionelle Faktoren der   Schlüsselfaktoren in Organisationslernprozessen      Bedingungen von Innovationsfähigkeit
schungsfragen    Technik- und Organisationsentwicklung
                                                            Institutionen als bewegliche soziale Phänomene       Wandel von Nutzungsrechten
                                                            Soziale, organisatorische und kulturelle Einflüsse    - Verhältnis von privaten und öffentlichen
                                                            auf technische und organisatorische Innovationen        Gütern
                                                            (ab 2000)
                                                                                                                  - Möglichkeiten und Grenzen von
                                                            Wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der              Selbststeuerung
                                                            Globalisierung (ab 2000)

Theoriefelder    Technikgenese                              Organisationslernen und Technikgenese                Governancetheorien
                                                            (1995–2000)
                 Leitbildtheorien                                                                                Theorien des Wandels in Wissensgesellschaften
                                                            Leitbildtheorien
                 Organisationskultur

Empiriefelder    Motortechniken                             Automobilität                                        Intermodale Mobilität
                 Schreibtechniken                           Kulturraum Internet                                  Internet Governance
                 Sich auflösende und neue Technikfelder     Transformationsprozesse in Organisationen            Organisationsinnovation
                 Führungsgrundsätze und strategische Ent-                                                        Wissensgenerierung
                 scheidungen in Unternehmen
                 Betriebliche Personal- und Sozialpolitik

Organisations-   Organisationseinheiten und Typen           Interorganistionsbeziehungen                         Organisationscluster
verständnis
                                                                                                                 Netzwerke

Innovations-     Invention                                  Lernen und Interaktion                               Wissensgenerierung/Wissenstransfer
verständnis
                 Imitation                                                                                       Innovationsarchitekturen
                 Diffusion

                                                                            7
2. Programmphase I: 1988–1995                           beiten in Organisationen auch organisations-
                                                        spezifische Perzeptionsmuster auf den Tech-
                                                        nikgeneseprozess einwirken, diese organisato-
Technikentwicklung als sozialer Prozess:                rischen Prägeformen aber in der traditionellen
Konzeptioneller Rahmen                                  betriebswirtschaftlichen Forschung nicht an-
                                                        gemessen bearbeitet werden. Organisatori-
Die Diskussionen in den Sozialwissenschaften            schen Perzeptionsmustern und Handlungsori-
über gesellschaftliche Dimensionen techni-              entierungen wurde insbesondere dort eine
schen Wandels erreichten im deutschsprachi-             hohe Prägungswirkung unterstellt, wo in lang-
gen Raum in den späten 1980er Jahren einen              fristigen Entwicklungsverläufen die Entschei-
Höhepunkt. Anders als in der Technikfolgen-             dungssituation wegen der Vielzahl von Opti-
abschätzung, bei der es zuvorderst um die               onen eher von Unsicherheit gekennzeichnet
vielfältigen gesellschaftlichen Wirkungen von           ist und in denen monetäre Kosten-Nutzen-
Technik ging, galt es nun, Technik als soziales         Berechnungen (noch) keine verlässliche Ent-
Phänomen umfassend zu verstehen (13, 107,               scheidungsgrundlage liefern können.
112, 125, 129, 131). Die Abteilung „Organisa-
tion und Technikgenese“ war maßgeblich am               Der Ansatz ging zudem von der Prämisse aus,
Agenda-Setting dieser Diskussion beteiligt              dass neben formellen und expliziten Organi-
und prägte den Begriff der Technikgenese                sations-, Kontroll- und Planungssystemen von
(159), der auch im Gründungsmanifest des                Unternehmen deren kulturelle Bedingungen
von der Abteilung mitinitiierten „Verbundes             wichtige informelle und implizite Wirkungs-
Sozialwissenschaftlicher Technikforschung“              faktoren in der Technikgenese sowie in ande-
den zentralen Markierungspunkt bildete.                 ren Bereichen der Unternehmenspolitik dar-
                                                        stellen (11, 41, 43, 107). Dabei handelt es sich
Bestimmend für das Konzept der Technikge-               etwa um die Herausbildung eines gemeinsam
nese war die Annahme, dass die Entwicklung              geteilten Selbstverständnisses der Mitglieder
technischen Wissens in modernen Gesell-                 von Organisationen, die sich vor allem in
schaften in die Formen und Arbeitsweisen                gemeinsamen Wahrnehmungen sowie Denk-
spezialisierter Organisationen und Institutio-          und Verhaltensweisen äußern. Etablierte und
nen eingebunden ist und durch deren Spezifi-            tradierte Kulturen, so die Annahme, wirken in
ka geprägt wird (138, 140). Demnach erfolgt             strategischen Entscheidungssituationen als
„wissenschaftlich-technischer Fortschritt“ nicht        Selektionsfilter (225, 226). Einerseits tragen
unilinear. Technisches Wissen wird durch die            Organisationskulturen zur Reduzierung der
Akteure in Forschung und Wissenschaft auch              Aushandlungs- und Entscheidungskosten bei,
nicht autonom und voraussetzungslos kreiert             andererseits müssen diese Vorzüge aber mit
(116, 117, 141). Anknüpfungen und Aus-                  einer drastischen Einschränkung der Hand-
schließungen werden vielmehr durch die lang-            lungsoptionen bezahlt werden (109, 110, 127,
fristig relativ stabilen, national divergierenden       136).
sozialen Organisationsformen der Wissens-
produktion zugleich ermöglicht und be-                  Mit der Verwendung des Technikgenesebe-
schränkt (6, 29). Die Logiken dieser Dynamik            griffs verband sich weiterhin die These, dass
sollten durch die Untersuchung von instituti-           wichtige Entscheidungen bereits während des
onellen Bedingungen und Formen technischer              Entstehungsprozesses einer Technik getrof-
Wissensproduktion näher bestimmt werden.                fen werden. Solche Entscheidungen sind –
In einer langfristigen Betrachtungsweise galt           wenn überhaupt – nur auf lange Sicht reversi-
es dabei, das wechselseitige Verhältnis von             bel; sie präformieren bestimmte Entwick-
technischen und gesellschaftlichen Entwick-             lungslinien, während Alternativen aus dem
lungen zu erhellen.                                     Prozess ausgeschlossen, zumindest weniger
                                                        wahrscheinlich werden (179). Die Selektions-
Eine weitere Annahme bestand darin, dass                und Eliminierungsentscheidungen im Prozess
infolge der verstärkten Verlagerung von Er-             der Entwicklung von Technik werden wie-
findungs-, Forschungs- und Entwicklungsar-              derum nachhaltig mitgeprägt durch die orga-

                                                    8
nisationsspezifische Interpretation allgemeiner       (Schreib- und Motortechniken) in jeweils zwei
technischer Leitbilder. Das Leitbild-Konzept          historischen Situationen.4
wurde in die sozialwissenschaftliche Technik-         Zunächst wurde die (bereits lange zurücklie-
forschung übernommen, um den Einfluss ak-             gende) Entwicklungsgeschichte dieser Tech-
tueller und zukünftiger Nutzungs- und Be-             niken detailliert rekonstruiert und analysiert.
darfsvorstellungen auf die Technikentwick-            Anknüpfend an die mechanische Schreibtech-
lung zu untersuchen (14).                             nik wurde auch die Entstehung der elektroni-
Anfang der 90er Jahre wurde offensichtlich,           schen Textverarbeitung im Vergleich zu Text-
dass Ausmaß und Art der wirtschaftlichen              editoren untersucht (254, 318, 320, 377). Im
und sozialen Herausforderungen an die Lern-           Rahmen eines innovativen Technikfeldes, der
fähigkeit und Lernbereitschaft von Organisa-          Biotechnologie, konnte eine Genesephase
tionen eine neue Qualität erreicht hatten. Für        begleitet werden, die sich zu diesem Zeit-
die Innovationsfähigkeit von Organisationen           punkt durch eine große Entwicklungsoffen-
war die Frage des Organisations- bzw. Unter-          heit und Erwartungsunsicherheit auszeichnete
nehmenslernens von zentraler Bedeutung (11,           (53, 54, 344, 345).
174, 177). Mit dem Ziel, die Dynamik von              Die empirischen Untersuchungen auf dem
Technikgeneseprozessen umfassender zu ver-            Gebiet der Organisationskultur bezogen sich
stehen und gleichzeitig einen Beitrag zur
                                                      vor allem auf strategische Entscheidungen im
Entwicklung des Forschungsfeldes „Organisa-           internationalen Kontext, die betriebliche Per-
tionales Lernen“ zu leisten, wurde ihre theore-       sonal- und Sozialpolitik sowie auf Führungs-
tisch-konzeptionelle Rahmung auf die For-
                                                      grundsätze in Unternehmen. Die Untersu-
schungsagenda der Abteilung gesetzt.                  chungen wurden durch Drittmittel der
                                                      Deutsch-Britischen Stiftung sowie der Gott-
Empirische Arbeiten                                   lieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung mitfi-
                                                      nanziert. Die Ergebnisse der Studie verdeut-
In der ersten Programmphase (1988-1995)               lichten, dass die Organisationskultur eine
bildete die Untersuchung der Technikgenese            wichtige Variable für die Aufnahme- und
in organisatorischen Kontexten einen em-              Durchsetzungsfähigkeit von Ideen in Organi-
pirischen Schwerpunkt. Dafür wurden um-               sationen darstellt. Der Fokus auf Organisati-
fangreiche Drittmittel im Rahmen der Förde-           onskultur und insbesondere ihre Veränderun-
rung des „Verbundes Sozialwissenschaftliche           gen im Zeitverlauf erhellte auch die Bedeu-
Technikforschung“ durch das Bundesministe-            tung kultureller Orientierungen für die Wahr-
rium für Forschung und Technologie (BMFT)             nehmung von Chancen und Risiken im
eingeworben. Im Mittelpunkt stand die Frage           Umfeld und für Anpassungsprozesse von
nach der Bedeutung von Organisationskultu-            Organisationen an Veränderungen des Um-
ren und Konstruktionstraditionen bei der              felds (4, 11, 41, 177, 213, 226, 811).
Entwicklung des Motorenbaus und der ma-
schinellen Schreibtechniken. Ziel war es, die
                                                      Ergebnisse und neue Weichenstellungen5
Bedeutung von Strukturen des organisierten
Wahrnehmens, Bewertens, Wissens und Han-
                                                      In der ersten Programmphase lag der beson-
delns für die Ausprägung technischer Geräte
                                                      dere Beitrag der Abteilung in der Analyse or-
zu untersuchen. Vor dem Hintergrund der               ganisations- und professionskultureller Ein-
damals noch begrenzten Erfahrungen mit
dieser Forschungsperspektive wurde für die            4 Andere technologische Entwicklungen, z.B. technik-
empirischen Erkundigungen ein doppelt                 vermittelte Musik (117), Telefondienste (792), und Me-
komparativer Zugang gewählt: der Vergleich            dizintechnik (803) wurden in dieser Phase exploriert,
von zwei sehr unterschiedlichen Techniken             aber nicht weiter vertieft.
                                                      5 Die wichtigsten Ergebnisse dieser ersten For-
                                                      schungsphase sind dokumentiert in: Meinolf Dierkes
                                                      (Hg.) (1997), Technikgenese. Befunde aus einem For-
                                                      schungsprogramm, Berlin (40).

                                                  9
flüsse auf technische Innovationen. In Hin-           sogar abgelehnt werden (225) 6 . Die Abtei-
sicht auf die Entstehungs- und Verlaufsfor-           lungsarbeit verdeutlichte auch die Fruchtbar-
men technischer Entwicklungen konnte ge-              keit der Anwendung des Kulturansatzes für
zeigt werden, dass Selektions- und Eliminie-          die Analyse von Subkulturen in Organisatio-
rungsentscheidungen im Prozess der Ent-               nen und Professionskulturen (165, 200). Ent-
wicklung von Technik durch die organi-                wicklungslinien und Konflikte entstehen
sationsspezifische Interpretation allgemeiner         durch das Aufeinandertreffen von unter-
technischer Leitbilder geprägt ist (33, 165,          schiedlichen Sichtweisen und Wertvorstellun-
185). Im Einzelnen wurde belegt, dass organi-         gen in solchen Subkulturen (136, 154, 161,
sationscharakteristische Forschungsstrategien         217).
und organisationsspezifische Konstruktions-
stile die Auswahl und Anwendung bekannter
wissenschaftlicher und technischer Kenntnis-          3. Programmphase II: 1996–2002
se bestimmen. Deutlich wurde aber auch, dass
Aussagen über Entstehungs- und Verlaufsfor-
men technischer Entwicklungen in einem er-            Technikgenese im Kontext von Institutio-
heblichen Maße variieren, je nachdem, wel-            nenbildung und Nutzungsperspektiven
cher Techniktyp untersucht wird (13). So
zeigten die vergleichenden Studien zu Text-           Die Ergebnisse der ersten Phase (bis 1996)
editoren und frühen Textverarbeitungspro-             bildeten die Basis für die Weiterentwicklung
grammen, dass neue Nutzungskontexte selbst            des konzeptionellen Rahmens sowie die Er-
lang etablierte Entwicklungstraditionen durch-        weiterung der Forschungsfelder für eine zwei-
aus erschüttern können (255). Der Einstieg            te Projektgeneration. Es handelte sich hierbei
männlicher Nutzer in eine bislang „weiblich“          im Wesentlichen um drei Erweiterungen:
konnotierte Technik wie die Texterfassung             Erstens wurden Technikentwicklungen nun
beförderte einen solchen Wandel in den Nut-           zunehmend in ihrem gegenwärtigen Entwick-
zungskontexten (457). Angesichts der Tech-            lungsverlauf (also nicht mehr retrospektiv)
nikspezifizität und der verwendungsabhängi-           untersucht, was später in eine zukunftsgerich-
gen Varianz der Befunde bleibt eine einheitli-        tete Forschungsperspektive mündete (413).
che „Theorie der Technikgenese“ damit außer           Zweitens erlangten methodisch interaktive
Sichtweite (40).                                      und begleitende Forschungsprozesse stärkere
                                                      Bedeutung. Dadurch wurde es konzeptionell
Neben der maßgeblichen Beteiligung an der             leichter möglich, den Einfluss früher Formen
Etablierung der Forschungsperspektive „Tech-          der Nutzung auf die Ausprägung von Techni-
nikgenese“ und der innovativen Verbindung             ken zu bestimmen (504). Drittens wurde zu-
von organisations- und techniksoziologischen          sätzlich der Einfluss technikbezogener Leit-
Fragestellungen hat die Abteilung in dieser           bilder sowie Organisationsgrenzen überschrei-
Phase Konzepte der Organisationskultur in             tender Phänomene einbezogen, die spezifi-
die akademische Debatte der deutschen Or-             sche Technikentwicklungen anstoßen oder
ganisationsforschung eingebracht (183, 200,           deren Richtung beeinflussen können (506).
216, 217). Die Bedeutung von Leitbildern für          Quer zu den auf Technikfelder orientierten
die Technikentwicklung ist nicht zuletzt auch         Forschungen wurden Veränderungsprozesse
in den Ingenieurwissenschaften auf große              in Organisationen und Institutionen unter-
Resonanz gestoßen (178). Der organisations-           sucht. Hier lagen die Schwerpunkte der Ana-
kulturelle Analyseansatz zeigte auf, wie und          lyse auf Lernprozessen in und durch Organi-
warum bestimmte gesellschaftspolitische und           sationen sowie auf der Herausbildung und
technische Entwicklungen von Organisatio-             Genese von Institutionen.
nen entweder nicht wahrgenommen oder

                                                      6 Beispielsweise hilft der organisationskulturelle Analy-
                                                      seansatz die Barrieren, die Frauen im Management
                                                      entgegenstehen, zu verstehen (170, 202, 206, 225, 227).

                                                 10
Parallel zur Neuausrichtung der Programma-                   Wandel des Netzes (279). Die Projekte kon-
tik vollzog sich eine klarere Unterteilung in                zentrierten sich auf drei ausgewählte Bereiche,
Arbeitsfelder. Dies drückte sich in der Kon-                 um Prozesse der Institutionenbildung und die
stituierung der Projektbereiche Internet, Or-                Formen ihrer Transformation zu studieren:
ganisationslernen und Mobilität aus, 7 wobei                 die in den 1990er Jahren hegemoniale Be-
sich die eigenständigen Themenfelder Organi-                 triebstechnik der angeschlossenen Rechner
sationslernen und Internet bereits früher ab-                (UNIX), die Datenübertragungstechnik im
zeichneten. Eine differenziertere Binnenorga-                Netz (das Internetprotokoll IP) und einen
nisation in drei relativ autonome Projektberei-              populären Kommunikationsdienst (Usenet).
che wurde vor allem auch deshalb erforder-                   Die Feldstudien zielten darauf, das Netzge-
lich, weil umfangreiche Drittmittelprojekte                  schehen auf wiederkehrende, übergreifende
mit hoher Eigenverantwortung für die darin                   Phänomene hin zu beobachten. Da es sich bei
arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wis-                    der Netzwelt um einen neuartigen In-
senschaftler eingeworben worden waren. Zu-                   teraktionsraum handelte, der zu diesem Zeit-
gleich stieg damit die Notwendigkeit der Ko-                 punkt von den Sozial- und Kulturwissen-
ordination und „konzeptionellen Verklamme-                   schaften noch wenig beachtet oder genutzt
rung“ der Projektbereiche, um die Balance                    wurde, waren grundlegende theoretische so-
zwischen einer weitgehend autonomen Pro-                     wie methodische Vorarbeiten erforderlich.
jektarbeit und dem Abteilungsprogramm zu                     Dazu gehörte die Konzeptualisierung des
gewährleisten.                                               Internet als Kulturraum, dessen Regeln, Insti-
                                                             tutionen und Praktiken sich mit ethnographi-
Die Forschungsarbeiten vollzogen sich
                                                             schen Methoden untersuchen lassen (372,
schwerpunktmäßig innerhalb dieser drei Be-
                                                             456).
reiche. Daher werden Entwicklungen und
Ergebnisse dieser Forschungsphase entspre-                   Um kulturelle Entwicklungsprozesse im In-
chend dieser Dreiteilung skizziert.                          ternet für die Forschung zugänglich zu ma-
                                                             chen, hatte die Abteilung 1993 einen WWW-
                                                             Server 8 mit kontinuierlich aktualisierten Hin-
Projektbereich Internet                                      weisen auf Aktivitäten und Publikationen
                                                             eingerichtet. Eine 1994 eingerichtete Mai-
Verglichen mit der Entwicklung etablierter                   lingliste „Netzforum“ diente der öffentlichen
Techniken wie beispielsweise des Automobils                  Verständigung über die Entwicklung des In-
verlief der Wandel des Internet äußerst rasant.              ternet. Daneben betrieb die Projektgruppe ein
Aufbauend auf den Untersuchungen zu digi-                    deutschsprachiges MUD (Multi-User-Dun-
talen Schreib- und Kommunikationstechniken                   geon) 9 . Im Rahmen des ab 1996 von der
und ersten explorativen Studien zum Internet                 Volkswagen-Stiftung geförderten Kooperati-
(39, 311, 829, 830, 831) wurde 1994 eine in-                 onsprojekts zwischen WZB und Technischer
terdisziplinäre Projektgruppe zur Untersu-                   Universität Berlin „Interaktionsraum Internet
chung des elektronischen Kommunikations-                     – Netzkultur und Netzwerkorganisation in
netzes Internet gegründet. Die Projektgruppe                 offenen Computernetzen“ untersuchte die
Kulturraum Internet beschäftigte sich mit den                Projektgruppe aus einer ethnographisch ent-
konstitutiven Merkmalen der Netzkultur und                   wickelten Binnenperspektive die Regeln, Ge-
Netzwerkorganisation. Im Vordergrund des                     wohnheiten und Institutionen, die das Netz
Interesses stand das dynamische Zusammen-                    zusammenhalten und zugleich seinen Wandel
spiel technischer und gesellschaftlicher Kon-                prägen (842, 314). Materielle und immateriel-
ventionen in der Organisation wie auch im                    le, technische und soziale Elemente – so die
                                                             These – durchdringen sich und entwickeln
7 Daneben wurden die seit 1993 laufenden Einzelarbei-
ten im Bereich der neuen Biotechnologie (u.a. zum
Forschungs- und Entwicklungsprogramm der EU zur              8 Unter der Adresse http://duplox.wzb.eu/ ist die Pro-
Analyse des menschlichen Genoms (339) weitergeführt          jektgruppe im Internet nach wie vor präsent.
bzw. 1999 abgeschlossen (53, 343, 344, 345,392, 394,         9 MUDs waren eine Art textbasierte Vorläufer der
395, 396).                                                   heutigen Computer-Rollenspiele.

                                                        11
sich in einem reziproken Verhältnis zueinan-            können, so der Befund der Projektgruppe
der (368). Das Untersuchungsziel bestand                (874).
darin, konstitutive Ordnungselemente des                Die Projektgruppe Kulturraum Internet ge-
dezentralen, scheinbar unreglementierten                hörte zu den Pionieren der sozialwissen-
Computernetzes zu ermitteln. Den Erwartun-              schaftlichen Internetforschung in Europa. Mit
gen gemäß ließen die Untersuchungsergebnis-             ihrem ethnographischen Forschungsansatz
se aus den drei Fallstudien übereinstimmende            hat die Gruppe einen wegweisenden und viel
Organisationsmuster und Organisationsprin-              beachteten Beitrag zum Verständnis der Netz-
zipien im Interaktionsraum Internet erkennen.           welt „von innen heraus“ geleistet. Zugleich
In allen drei Handlungsbereichen bildeten               stellte das Forschungsteam ein gelungenes
Dezentralität, Teilhabe und Transparenz wie-            Beispiel für die disziplinübergreifende Zu-
derkehrende und strukturierende Grund-                  sammenarbeit von Ethnologie, Soziologie und
muster. Als bestimmendes und sich reprodu-              Politologie bei der Erkundung wissenschaftli-
zierendes Governance-Merkmal im Internet                chen Neulands dar.
wurde „Kooperative Anarchie“ identifiziert,
die in unterschiedlichen Spielarten auf allen
untersuchten Ebenen des Netzes – Daten-                 Projektbereich Organisationslernen
transport (422), Betriebssysteme (366) und
Anwendungen (373) – zu finden war.                      Ausgehend von Arbeiten der Phase I zur Or-
Dementsprechend vollzog sich der rasche                 ganisationskultur und deren Einfluss auf die
Wandel des Internet weder beliebig noch                 Technikentwicklung hatte die Abteilung Un-
chaotisch, sondern wies rekonstruierbare                tersuchungen zu Möglichkeiten und Grenzen
Muster auf, in denen ein gewissermaßen im-              der gezielten Organisationsveränderung be-
pliziter Designplan des Netzes zur Geltung              gonnen. Ziel war es, zur Entwicklung einer
kam. Mit Blick auf die hohe Innovationsdy-              empirisch fundierten Theorie organisationalen
namik zeichnete sich ein Muster ab, das als             Lernens beizutragen. Im Gegensatz zur angel-
„Wandel durch Integration“ bezeichnet wur-              sächsischen Forschung mit primärem Fokus
de. Das Integrationsprinzip sorgte dafür, dass          auf (US-)Unternehmen wurde in diesem Pro-
neue Kommunikationsdienste wie das sich                 jektbereich eine deutlich breitere Palette von
Mitte der 1990er Jahre rasch ausbreitende               Akteuren (über die Management-Ebene hin-
WorldWideWeb bestehende Dienste nicht                   aus) und Organisationstypen einbezogen (u.a.
ablöste, sondern sich mit diesen verband,               supranationale Organisationen, Ministerien,
(etwa in Form web-basierter elektronischer              multinationale Unternehmen aus Europa,
Post) wie auch neue Anwendungen und                     staatliche Betriebe in China).
Dienste hervorbrachte. Als wichtige Voraus-             Da bei dem damaligen Stand der Forschung
setzung für dieses Innovationsmuster wurde              dieses Ziel kaum in einem einzigen, wenn-
die Offenheit der Netzarchitektur identifiziert.        gleich umfangreichen, Projektrahmen erreicht
Darunter sind zum einen offene Schnittstellen           werden konnte, wurde frühzeitig nach Mög-
zu verstehen, die für ein reibungsloses Zu-             lichkeiten der Erweiterung der Erfahrungsba-
sammenspiel der verschiedenen Netzschich-               sis und des Erkenntnisaustauschs gesucht.
ten, -dienste und -anwendungen sorgen (Inte-            Deshalb engagierten sich die Wissenschaftler
roperabilität). Zum anderen aber zählt dazu             im Projektbereich Organisationslernen seit
auch die für das Internet typische Gemein-              1993 in verschiedenen Kooperationsprojek-
freiheit der für den Datentransport und die             ten. Dazu gehörte als wesentlicher Bestandteil
Kommunikationsdienste          verantwortlichen         die Konzipierung und Leitung einer inter-
Software. Der Verzicht auf Eigentumsrechte              national vergleichenden Untersuchung zur
im Bereich der Datenübertragung und Diens-              Lernfähigkeit von Unternehmen, die in Zu-
te stellt sicher, dass Innovationen nicht durch         sammenarbeit mit der Shanghai Academy of
Eigentumsansprüche ausgebremst werden                   Social Sciences und dem Interdisciplinary
                                                        Center for Technological Advance and Fore-

                                                   12
casting der Tel Aviv University durchgeführt              rien von Führungskräften zu Lernprozessen
wurde. Diese vergleichende Untersuchung                   in Unternehmen10. Das jeweilige interne Ver-
beruhte auf einer breiten Datenbasis: in den              ständnis von Organisationslernen, so wurde
drei Ländern wurden anhand von 183 qualita-               dabei deutlich, wird stark durch die Struktur
tiven Interviews Einzelfallstudien in Unter-              und Kultur der Organisation, aber auch durch
nehmen unterschiedlicher Wirtschaftszweige                das vorherrschende Menschenbild geprägt.
erstellt.                                                 Hierbei spielen Führungs- sowie Gründungs-
                                                          persönlichkeiten eine wesentliche Rolle. Ent-
Eine weitere Plattform im Projektbereich
Organisationslernen war, in (erneuter) Zu-                gegen geläufiger Managementlehren ist mithin
                                                          nicht von einer einzigen „best practice“ aus-
sammenarbeit mit der Gottlieb Daimler- und
                                                          zugehen, vielmehr können unterschiedliche
Karl Benz-Stiftung, die Einrichtung des auf
fünf Jahre angelegten internationalen „For-               Kombinationen dieser Ensembles für das
                                                          Organisationslernen förderlich sein. Ent-
schungskolleg Organisationslernen“, an dem
                                                          scheidend ist jedoch die Passfähigkeit der
Wissenschaftler unterschiedlicher disziplinärer
Herkunft und Praktiker teilnahmen, um For-                einzelnen Elemente (257, 401, 435, 436, 875).
schungsprojekte durchzuführen und den                     Die Theoriebildung zu Organisationslernen
Stand des Wissens auf diesem Feld zusam-                  wurde zudem durch empirische Untersuchun-
menzutragen und weiterzuentwickeln. Diese                 gen zur Wissensakquisition und Informati-
Arbeit mündete unter anderem in die Veröf-                onsverarbeitung in Restrukturierungspro-
fentlichung der Annotated Bibliography of Organ-          zessen und zu den Rollen unterschiedlicher
izational Learning and Knowledge Creation (50, 61)        Akteure beim Organisationslernen weiter
und des Handbook of Organzational Learning and            ausdifferenziert (z.B. Expatriates und Unter-
Knowledge (62, 63). Dieses international ausge-           nehmensberater als grenzüberschreitende
richtete Forschungskolleg, unter Einbezie-                Wissensträger) (75, 400, 470, 495, 499). Aus
hung von Experten wie Ikurijo Nonaka, John                diesem Forschungsstrang entstand ein Pro-
Child, William Starbuck und Bo Hedberg, hat               zessmodell des Organisationslernens, das
das Forschungsfeld erstmals umfassend auf-                bisher unbeachtete Phasen des Lernens sowie
gearbeitet und eine weiterführende For-                   Aspekte der Lernbereitschaft und der Prob-
schungsagenda formuliert. Mit der Annotier-               lemdefinition integrierte. Dieses wurde dann
ten Bibliographie und dem Handbuch wurde                  mit Konzepten der Personalplanung ver-
ein internationaler Referenzrahmen für die,               knüpft, um einen theoriegeleiteten Ansatz für
um die kulturelle Dimension erweiterte Kon-               den lernorientierten Einsatz internationaler
zeption des Feldes geschaffen.                            Führungskräfte zu begründen.
In diesem Zeitraum wurde auch in anderen                  Ebenfalls aus dieser Forschung kristallisierte
Abteilungen des WZB der innovative und                    sich ein Modell der Interaktionen zwischen
weiterführende Charakter von Organisations-               Akteuren mit unterschiedlichen Rollen und
lernen erkannt. Daher kooperierte die Pro-                Wissensbeständen heraus. In einem weiteren
jektgruppe mit der Abteilung „Market Dyna-                Forschungsstrang wurden die Ergebnisse der
mics“ bei der Herausgabe des WZB-Jahr-                    Leitbild- und Technikgeneseforschung für das
buchs 1998 zum Thema „Institutionelle und                 Feld des Organisationslernens fruchtbar ge-
kulturelle Dimensionen des Organisationsler-              macht und weiterentwickelt (506). Eine Un-
nens“ (45). Das Buch bot den ersten systema-              tersuchung zu den Katalysatoren des Organi-
tischen Überblick zu diesem Thema für den                 sationslernens beleuchtete drei zentrale Typen
deutschsprachigen Raum.                                   des Organisationslernens anhand von Studien
                                                          zur Technikgenese im Bereich der Schreibma-
Die Publikationen, die aus der 1994 begon-
                                                          schine, der Automobilität und des Internets.
nenen international vergleichenden Studie zur
Lernfähigkeit von Unternehmen in China,
                                                          10 Die Ergebnisse dieser Drei-Länder-Studie wurden in
Deutschland und Israel hervorgingen, thema-               einem All-Academy Symposium bei der Jahrestagung
tisieren unter anderem die impliziten Theo-               der Academy of Management in San Francisco im
                                                          August 1995 vorgetragen.

                                                     13
Leitbilder galten in diesem Zusammenhang               bunden ist. Das Ziel war es, das Forschungs-
sowohl als Resultat als auch als Katalysator           feld Verkehr stärker in soziale Kontexte zu-
des Organisationslernens und spielten inso-            rückzuführen und das Verkehrsverhalten als
fern eine Doppelrolle. Die Studie lieferte An-         Teil sozialer Praxis auszuweisen. Entspre-
haltspunkte dafür, dass Organisationen, die            chend der Logik des Funktionsraums und des
einen Pool neuer Ideen entwickeln und daraus           Verkehrs als sozialer Praxis mussten auch
tragfähige Leitbilder gestalten können, den            neue Verkehrskonzepte daran gemessen wer-
Herausforderungen des technischen Wandels              den, inwieweit sie die gegebenen gesellschaft-
eher gewachsen sind als andere (414).                  lichen und politischen Rahmenbedingungen
                                                       erfüllen, um auf Akzeptanz zu stoßen (404,
Der intensive internationale Austausch mit
                                                       410, 424, 438, 460).
Wissenschaftlern sowie Experten aus der
Praxis über den Forschungsstand zu Struktu-            Die Suche nach einem funktionalen Äquiva-
ren und Prozessen des Organisationslernens             lent zum Automobil bildete den verkehrspo-
verdeutlichte, dass eine Ausweitung der Em-            litischen Hintergrund dieses erweiterten For-
piriefelder notwendig war, um konzeptionelle           schungsinteresses. Wenig erfolgreich waren
Weiterentwicklungen voranzubringen. Diese              bis dahin etwa Versuche gewesen, Verhaltens-
Einsicht bildete die Basis für eine Erweiterung        änderungen bei Verkehrsteilnehmern durch
und Verschiebung des Untersuchungsfokus-               Appelle zu erreichen, zum Beispiel mit der
ses in der nachfolgenden Programmphase auf             Aufforderung an Autofahrer, auf öffentliche
Lernprozesse in öffentlichen Institutionen wie         Verkehrsmittel umzusteigen. Offensichtlich
in interorganisationalen Zusammenhängen.               war, dass der Automobilismus nicht zuletzt
                                                       auf den Eigensinnigkeiten seiner Nutzer be-
                                                       ruhte. Vielen „Umstiegskampagnen“ lagen
Projektbereich Mobilität                               funktionalistisch oder ökonomisch verkürzte
                                                       Erklärungen von Verkehrswahlverhalten zu-
Unmittelbar aufbauend auf den früheren Ar-             grunde. Und doch schienen andererseits die
beiten zur Genese von Motor- und Fahr-                 Zeiten vorbei, als das Auto in erster Linie ein
zeugtechniken (8, 15, 22, 24), entwickelte die         Ausweis des wirtschaftlichen Aufstiegs war
Projektgruppe Mobilität konzeptionelle Über-           (22). Die Kritik an der Massenmotorisierung
legungen zu einem besseren Verständnis des             und an den Nebenfolgen des dominierenden
gesellschaftlichen Phänomens „Mobilität“. Es           Antriebskonzeptes war in den 1980er Jahren
ging in den folgenden Jahren nicht mehr dar-           angewachsen wie nie zuvor in der Geschichte
um, die „Karriere-Etappen“ einzelner techni-           des motorisierten Individualverkehrs. Erstma-
scher Geräte zu rekonstruieren, sondern Ver-           lig gewannen Konzepte der Integration der
kehrstechniken über den unmittelbaren Ent-             Verkehrsträger auch im politischen Diskurs
stehungskontext hinaus in ihren sozialen Wir-          an Gewicht.
kungsdimensionen zu beobachten (232, 272,
282). Zugleich wurde damit ein Untersu-                Dass eine „Krise des Automobils“ auch für
chungsrahmen für mögliche zukünftige Ent-              die volkswirtschaftlich so bedeutsame Auto-
wicklungen abgesteckt, der stärker an hand-            mobilindustrie einschneidende Folgen haben
lungstheoretischen Fragestellungen orientiert          könnte, war nicht zuletzt auch durch Ver-
war. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive          öffentlichungen aus dem Projektbereich Mo-
wurde der Gebrauch des Automobils als ab-              bilität zunehmend bewusst geworden (211,
hängig von einem „Funktionsraum“ verstan-              383, 426). Eng verbunden mit der Erosion
den (47, 350, 379). Dieser hat eine technische         des lange erfolgreichen Automobil-Leitbildes
und rechtliche Dimension, aber vor allem               war die Frage, ob die Automobilindustrie sich
auch eine Nutzungsdimension. Verkehr insge-            vom Fahrzeughersteller zu einem Verkehrs-
samt wurde als Bewegung in öffentlichen                dienstleister wandeln würde (233). Dieses
Räumen und damit als Teil einer sozialen               Problem stand im Mittelpunkt eines seit Ende
Praxis verstanden, die oft widersinnig organi-         1995 vom Bundesministerium für Bildung
siert und mit nicht intendierten Effekten ver-         und Forschung geförderten Forschungspro-

                                                  14
jekts „Leitbildforschung am Automobil –                       lichen Formen der Begleitforschung blieb hier
Auflösungserscheinungen, Beharrungstenden-                    die Projektgruppe als Erzeuger des Wissens
zen und neue technische Optionen“ (839).                      steuernder Akteur über den Verwendungs-
Mit dieser Fragestellung wurde an das Leit-                   prozess. Das zu testende Produkt war ein
bildkonzept der sozialwissenschaftlichen                      „Full-Service-Leasing-Angebot“ für ein Auto
Technikgeneseforschung angeknüpft, aber                       unter dem Namen CashCar, das die Option
über die Genese von Leitbildern hinaus nach                   einschloss, selbstbestimmt zeitweise auf das
Zerfalls- und Modernisierungspotenzialen                      Auto zu verzichten. Dieser „temporäre Ver-
von Leitbildern und den hieran beteiligten                    zicht auf Verfügbarkeit“ wurde mit Gutschrif-
sozialen Akteuren gefragt.11                                  ten auf die Leasingrate vergütet, da das Fahr-
                                                              zeug während dieser Zeit als Carsharingauto
Ausgehend von der Prämisse, dass sich durch
                                                              vermietet wurde. Entwickelt wurde also ein
die Individualisierung der Gesellschaft der
                                                              gänzlich anderes Angebot, da es sich weder
Trend zur „Selbstbeweglichkeit“ (Auto-Mobi-
                                                              um ein klassisches privat genutztes Leasing-
lität) verstärkt, war zu erwarten, dass ein at-
                                                              fahrzeug noch um ein klassisches Mietauto
traktives Konzept für die Zukunft des Perso-
                                                              handelte. Doch offen war, welche Bedeutung
nenverkehrs nur unter Berücksichtigung eines
                                                              potenzielle Nutzerinnen und Nutzer dem
Moduls „Automobil“ funktionieren würde
                                                              innovativen Autokonzept zuschreiben wür-
(462, 463). Für die Untersuchung dieser
                                                              den. Die CashCar-Leasingnehmer wurden
Hypothese brauchte die Projektgruppe Mobi-
                                                              ausführlich zu ihrem Nutzungs- und insbe-
lität Zugang zu einem Feld, das es noch nicht
                                                              sondere zu ihrem „Verzichts-“verhalten be-
gab. Daher trieb sie ein ungewöhnliches Feld-
                                                              fragt. Die Befragung der Pilotnutzerinnen und
experiment voran: Um ein Angebot zur intel-
                                                              -nutzer von CashCar zielte darauf, Faktoren
ligenten Nutzung des Automobils zu ent-
                                                              zu identifizieren, die den möglichen Wechsel
wickeln, anzubieten und zu testen, das die
                                                              in der Bedeutungszuschreibung des Automo-
Präferenzen des Endverbrauchers berücksich-
                                                              bils von einem Privatwagen zu einem gemein-
tigt und die traditionelle verkehrsmitteldomi-
                                                              schaftlichen Nutzungsgut fördern oder be-
nierte Beförderungslogik in eine funktionsori-
                                                              hindern (47, 459).
entierte Dienstleistung transformiert, wurde
die choice Mobilitätsproviding GmbH 12 ge-                    Die Erkenntnisse des umfänglichen Feldver-
gründet. Diese Ausgründung stellte eine für                   suchs bildeten wichtige Versatzstücke bei der
das WZB neuartige Verbindung von For-                         Erarbeitung einer Theorie der Automobilnut-
schung und Praxis dar. Der Vorteil der ge-                    zung im Rahmen einer neu zu formulierenden
wählten Firmenkonstruktion lag darin, dass                    Mobilitäts- und Verkehrssoziologie. Es bestä-
die Nutzung sozialwissenschaftlichen Wissens                  tigte sich die enge Kopplung von modernen
in einer experimentellen Situation beeinflusst                Lebensformen und individualisierten Lebens-
werden konnte. Im Unterschied zu herkömm-                     entwürfen mit der Verfügbarkeit und Nut-
                                                              zung des Automobils (66, 460). Moderne Ge-
11 Nicht zuletzt befördert durch die Arbeiten der             sellschaften sind (auto-)mobile Gesellschaf-
Projektgruppe Mobilität hat die Deutsche Bahn AG              ten, auf der individuellen Handlungsebene
später, nämlich 2001, damit begonnen, ein bundeswei-
tes Car-Sharing-Franchise-System aufzubauen mit dem           leistet das Automobil zudem einer habituali-
Ziel, in allen deutschen Ballungsräumen ein einheitli-        sierten Nutzung Vorschub. Es unterstützt in-
ches Car-Sharing-Angebot für Bahnkunden zu ermög-             dividualisierte Wegeketten und bietet das als
lichen.                                                       ideal angesehene technische Unterpfand für
12 Die Firma choice Mobilitätsproviding GmbH wurde
vom WZB zusammen mit den Partnern StattAuto
                                                              die Realisierung von „Eigenraum und Eigen-
CarSharing GmbH, Audi AG sowie der Deutschen                  zeit“ (382).
Bahn AG 1998 gegründet. Das Projekt war zuvor unter
dem Titel „CashCar – Vom Privatauto zum öffentli-             Im Zuge der Forschungen zur Lebensqualität
chen Verkehrsmittel“ bei einer Ausschreibung der              Älterer, die im Rahmen der Sozialindikato-
Bundesregierung als eines von 13 Projektverbünden –           renuntersuchungen im WZB betrieben wur-
von insgesamt 151 eingereichten Skizzen – zur Förde-          den, und auch im Querschnittsprojekt zu
rung einer sechsmonatigen Vorphase ausgewählt wor-
den.                                                          „Arbeit und Nachhaltigkeit“ wurde der enge

                                                         15
Zusammenhang von Automobilnutzung und                 und zugleich neue Möglichkeitsräume zu nut-
gesellschaftlicher Individualisierung zu einem        zen bzw. zu schaffen. Dabei finden Koordi-
zentralen Thema. In beiden Fällen gab es eine         nation und Kooperation zunehmend in Orga-
fruchtbare Kooperation, die nicht zuletzt zu          nisationsgrenzen überschreitenden Netzwer-
gemeinsamen Veranstaltungen und Publikati-            ken statt. Die erkenntnisleitende Frage der
onen führte (878, 879).                               Abteilung richtete sich auf die Bedingungen
Die Projektgruppe Mobilität hat in dieser             von Innovationsfähigkeit in verschiedenen
Phase zum einen zur konzeptionellen Fundie-           gesellschaftlichen und ökonomischen Hand-
rung einer sozialwissenschaftlichen Verkehrs-         lungsfeldern, aber zugleich auch auf deren
und Mobilitätsforschung beigetragen, zum an-          Blockaden. Folgende Teilhypothesen bildeten
deren aber auch Modelle zukünftiger Ver-              die Grundlage für die Forschung in den ein-
kehrsgestaltung entwickelt sowie deren Chan-          zelnen Projektbereichen:
cen ausgelotet. Dies war zukunftsweisend,              1. (Organisations-)Kulturen prägen die
nicht nur weil der motorisierte Individualver-             Wahrnehmung von gesellschaftlichen
kehr eine Belastung für Mensch und Umwelt                  Problemen und die als relevant und legi-
darstellt, sondern auch vor dem Hintergrund                tim angesehenen Handlungsoptionen zu
einer beginnenden Deregulierung des öffentli-              deren Bewältigung. Folglich prägen Kul-
chen Verkehrs. Konsequenterweise wurde der                 turen auch gesellschaftliche Umstruktu-
Schritt von der Erklärung individuellen Ver-               rierungsprozesse. Um kulturell verfestig-
kehrsverhaltens unter Bedingungen verbindli-               te Problemdefinitionen zu verändern
cher sozialer Rollenerwartungen hin zu einer               und die Palette der Handlungsoptionen
akteurs- und institutionenbezogenen Policy-                zu erweitern, stehen Organisationen vor
Analyse im Verkehr vollzogen. Angesichts der               der Herausforderung zu lernen. Hier-
Einsicht in das besondere Gewicht von                      durch schaffen sie neue soziale Mög-
Macht- und Herrschaftsstrukturen bei der                   lichkeitsräume.
Etablierung bzw. Blockierung von Innovati-
onsprozessen im Verkehrssektor wurden am               2.   Kennzeichnend für moderne Gesell-
Ende der zweiten Programmphase zuneh-                       schaften sind Ausdifferenzierungs- und
mend Governance-Fragen thematisiert (65,                    Entgrenzungsprozesse von Organisatio-
542, 580).                                                  nen, die zur Entstehung von Hybriden
                                                            zwischen Markt und Staat auf lokaler,
                                                            regionaler, nationaler wie supranationa-
                                                            ler Ebene führen. Dabei bilden faktische
4. Programmphase III: 2003–2008                             wie symbolische Überschreitungen von
                                                            territorialen, kulturellen, sozialen und
Innovation und Organisation                                 mentalen Grenzen wichtige Voraus-
                                                            setzungen für Innovationen.13
Die Abteilung firmierte seit dem 1. Januar
2003 unter dem Namen „Innovation und                   3.   Die Erzeugung und Nutzung von Wis-
Organisation“ als Teil des neuen WZB-                       sen in modernen Gesellschaften, ins-
Schwerpunktes „Organisationen und Wis-                      besondere im Hinblick auf technische
sen“. Im Rahmen einer Umorganisation des                    und soziale Innovationen, erfordern
WZB ist das Programm um einen vierten                       neue Formen der Regulierung und Insti-
Projektbereich ergänzt worden, nämlich                      tutionenbildung, denn Innovationen
„Wissenstransfer und Netzwerke“, der auf                    sind häufig mit Konflikten verbunden.
Forschungen in der früheren Abteilung „Re-
gulierung von Arbeit“ aufbaute. Leitgedanke
der nun erweiterten Abteilung war, dass mo-           13 Positive wie negative Implikationen von Entgren-
derne Gesellschaften stärker denn je von Or-          zungen wie Grenzziehungen werden in dem von Aria-
                                                      ne Berthoin Antal und Sigrid Quack herausgegebenen
ganisationen geprägt sind, die Wissen einset-         Band „Grenzüberschreitungen – Grenzziehungen“
zen und generieren, um Probleme zu lösen              diskutiert (86).

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In der dritten Programmphase spielen also              Lernen in Organisationen ist. Jedoch zeigte
Organisations- und Governance-Aspekte in               sich an diesem Beispiel (entgegen der weit-
allen nunmehr vier Projektbereichen eine grö-          verbreiteten Vorstellung, mehr Wissen und
ßere Rolle als zuvor. Die Projektbereiche              eine maximale Offenheit für die relevanten
divergieren vor allem in ihrem Drittmittel-            Bezugsgruppen der Organisation seien prinzi-
anteil und damit auch in der Zahl der projekt-         piell positiv), dass die Durchlässigkeit von
bezogen Beschäftigten. Insbesondere ist der            Organisationsgrenzen durch eine Reihe von
Projektbereich Mobilität stark gewachsen. So           grenzüberschreitenden Aktivitäten strategisch
erklärt sich auch die im Folgenden unter-              gesteuert werden muss, um die Verwertung
schiedlich ausführliche Schilderung der Er-            von neuem Wissen zu sichern. Die Fähigkeit,
gebnisse aus den einzelnen Projektbereichen.           sich von Wissensflüssen auch abzuschirmen,
                                                       erwies sich als bisher unterschätzter Faktor
                                                       (91, 691).
Projektbereich Organisationslernen
und Kultur                                             Überraschende Erkenntnisse für die Theo-
                                                       riebildung erbrachte auch die empirische Un-
Der rapide weltweite soziale, politische, wirt-        tersuchung des Transformationsprozesses ei-
schaftliche und technologische Wandel stellt           nes multinationalen Konzerns, die hemmende
Organisationen vor die Herausforderung,                und förderliche Wirkungen von Organisati-
Wissen zu akquirieren bzw. zu generieren und           onskultur auf Organisationslernen beleuchtete
es so zu verarbeiten, dass es auch umgesetzt           (521, 522).14 Hier konnte nachgezeichnet wer-
werden kann. Da Wissen aber immer kon-                 den, wie kulturbedingte Lernblockaden im
textgebunden ist, stellt sich die Frage, unter         Zentrum der Organisation durch die Einbe-
welchen Voraussetzungen und wie Organisa-              ziehung von Wissen aus der Peripherie über-
tionen – mit ihren jeweiligen kulturellen Aus-         wunden wurden. Akteure, die sich in anderen
prägungen – von Ideen und Erfahrungen, die             kulturellen Kontexten bewegten, verfügten
in anderen Kontexten zu Wissen geronnen                über Wissen, das die Organisation brauchte,
sind, lernen können.                                   um angemessen auf Veränderungen in Märk-
                                                       ten oder der Gesellschaft zu reagieren. Die
Um herauszufinden, ob sich die zuvor in                erfolgreiche Einspeisung solch fremden Wis-
Wirtschaftsunternehmen beobachteten Pro-               sens ist aber daran gebunden, dass entspre-
zesse des Organisationslernens in anderen              chende Strukturen und Prozesse in der Orga-
Organisationsformen ähnlich gestalten oder             nisation verfügbar sind und genutzt werden,
davon abweichen, wurden im Projektbereich              d.h. an die Fähigkeit, innerhalb der dominan-
Organisationslernen und Kultur Fallstudien in          ten Organisationskultur verändernd zu agie-
einem deutschen Bundesministerium, in ei-              ren (527, 601).
nem multinationalen Konzern und in einer
supranationalen Organisation durchgeführt.
Dabei konnte gezeigt werden, dass die bisher           Projektbereich Wissenstransfer und
im Unternehmenskontext entwickelten Lern-              Netzwerke
konzepte grundsätzlich auch in politisch-
administrativen Organisationen anwendbar               Die Restrukturierung des öffentlichen Sektors
sind. Andererseits wurde aber auch deutlich,           nach Prinzipien von New Public Management
dass die Einbeziehung solcher Organisationen           wie Ausgliederung, Privatisierung und Con-
in die Untersuchung zusätzliche neue Impulse           tracting-out hat nicht nur zu einer Vervielfäl-
für das Forschungsgebiet Organisationslernen           tigung von Organisationsformen öffentlicher
liefern kann. So bestätigte die Studie zum
Organisationslernen innerhalb der EU-
Kommission (Generaldirektion für Informa-              14 Das Henley Management College hat diese Fallstu-
                                                       die als Kernstück in sein MBA-Programm übernom-
tionsgesellschaft und Medien), wie förderlich          men und sie wurde, mit einer zusätzlichen Teaching
die Offenheit für organisationsexterne Sicht-          Note versehen, auch vom European Case Clearing
weisen, Interessen und Erwartungen für das             House als Lehrmaterial aufgenommen.

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Aufgabenerledigung und -finanzierung, son-            Risiken und Nutzen sowie zur Konfliktbewäl-
dern auch zu einer zunehmenden Fragmentie-            tigung zusammenhängt. Nahezu jede Koope-
rung von Kompetenzen und Wissensbestän-               ration durchlief Entwicklungsphasen von der
den geführt. Diese Entwicklung birgt das              Anbahnung über das Wachstum bis zur Kon-
Risiko, die Problemlösungsfähigkeit der öf-           solidierung, d.h. in öffentlich-privaten Part-
fentlichen Hand weiter zu unterhöhlen, zumal          nerschaften wie in Städtenetzwerken ließen
in vielen Bereichen Wettbewerbsmechanis-              sich „Lebenszyklen“ der Kooperation nach-
men etabliert wurden, die dazu geführt haben,         weisen. Dabei mussten die Partner immer
dass die verschiedenen Leistungsanbieter              auch mit spezifischen Krisen rechnen. Die
untereinander um knappe Ressourcen kämp-              Bewältigung von solchen Konflikten ist nicht
fen. Städte und Gemeinden experimentieren             nur Bedingung für die weitere Zusammenar-
daher seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend           beit. Sie kann durchaus zu (unerwarteten)
mit neuartigen Kooperationsverbünden über             Produktivitäts- und Kreativitätsschüben füh-
Sektorgrenzen hinweg (81, 669).                       ren. Voraussetzung dafür ist ein sensibles
                                                      Netzwerkmanagement, dem die prekäre Ba-
Der neue Projektbereich der Abteilung „Wis-
                                                      lance zwischen innovationsfördernden – aber
senstransfer und Netzwerke“ (ehemals „Pub-
                                                      tendenziell desintegrierenden – Dynamiken
lic Governance“) hat sich deshalb mit den
                                                      und zielführenden – aber tendenziell stagnati-
spezifischen Lern- und Innovationsprozessen
                                                      onsanfälligen – Institutionalisierungsprozes-
befasst, die sich durch die Generierung und
                                                      sen gelingt (587, 681).
den Transfer von Wissen vollziehen, und
zwar in Städtenetzwerken (ein Projekt, das            Die Frage nach den Leistungen und Effekten
durch die Hans-Böckler-Stiftung gefördert             Organisationsgrenzen überschreitender Ko-
wurde), im Rahmen von Public Private Part-            operationsbeziehungen ist differenziert zu
nerships (eine Sieben-Länder-Studie gefördert         beantworten: Public Private Partnerships zei-
durch das Bundesministerium für Bildung               tigten in den meisten untersuchten Fällen
und Forschung) sowie in dem Engagement                insbesondere inkrementale Verbesserungen
von Wirtschaftsunternehmen in sozialen Ein-           etwa hinsichtlich der Effizienz der Leistungs-
richtungen, das unter Corporate Citizenship           erstellungsprozesse oder einer expliziten Nut-
firmiert (eine Pilotstudie unterstützt von der        zerorientierung und -integration. Grundlegen-
Friedrich-Ebert-Stiftung). Bezogen auf diese          de Produktinnovationen blieben dagegen ins-
exemplarischen Felder wurde der Frage nach-           besondere in den hoch regulierten öffentli-
gegangen, welche Strukturdesigns und Go-              chen Aufgabenfeldern die Ausnahme. Oft
vernance-Mechanismen die Problemlösungs-              diente die Beteiligung an der Partnerschaft
potenziale in besonderer Weise fördern (aber          den Interessen der jeweiligen Akteure, wie
auch behindern) können. Das theoretische              zum Beispiel ihrer Suche nach Reputation
Interesse richtete sich auf die Verbindung            und nach Anerkennung ihrer Kooperations-
einer interaktionistischen, dynamischen Go-           fähigkeit; sie erwiesen sich gleichwohl als
vernance-Perspektive mit wissenssoziologi-            wichtige Triebkräfte der Kooperationsdyna-
schen und lerntheoretischen Konzepten zur             mik. Der Kooperationsmehrwert für die teil-
Wissensgenerierung und Wissensdiffusion.              nehmenden Organisationen insgesamt hielt
Eine zentrale Frage lautete, unter welchen            sich demgegenüber in Grenzen. Nur in einer
Bedingungen Austausch- und Interaktions-              Minderheit von Kooperationsverbünden wur-
prozesse zwischen diesen Partnern auf kom-            den von Beginn an parallele Entwicklungs-
munaler Ebene zum Wissenstransfer und zur             prozesse in den beteiligten Organisationen
Wissensgenerierung beitragen können.                  angestoßen oder wenigstens der Rückfluss
                                                      von Kooperationserfahrungen und -ergeb-
Als übergreifendes Ergebnis der Studien zu
                                                      nissen systematisch vorbereitet. Das Ziel,
den neuartigen Kooperationsverbünden zeigte
                                                      Veränderungs- und Lernprozesse in den Teil-
sich, dass ihr Erfolg eng mit ihrer Fähigkeit
                                                      nehmerorganisationen zu fördern, geriet viel-
zur Einbindung von Akteuren und damit zu
                                                      fach über die Mühen der Etablierung interor-
einer als „fair“ angesehenen Aufteilung von

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