IVS-Aktionsplan Österreich - Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
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IVS-Aktionsplan Österreich Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Impressum Eigentümer, Herausgeber und Medieninhaber: Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie – BMVIT Radetzkystraße 2, 1030 Wien AutorInnen: Martin Böhm, Barbara Flechl, Gerhard Menzel, Reinhard Pfliegl, Martin Russ, Katharina Zwick (AustriaTech); Florian Matiasek, Helge Molin, Franz Schwammenhöfer (BMVIT) Endredaktion: jost.con.sult Kommunikationsbüro Dr. Johannes Steiner 1010 Wien Gestaltung und Produktion: Grafikbüro Mag. Alexander Schatek 2700 Wiener Neustadt Fotohinweise: iStockphoto (©: Cameron Whitman, Pei Ling Hoo, Nikada, pixac, George Clerk), lianem/Shotshop.com, iStockphoto (©: millionhope, 4x6, seraficus, diego cervo, samxmeg, Mlenny Photography, ollo, Eric Hood, querbeet, Joshua Hodge Photography) 2 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Vorwort Die Leistungsfähigkeit des österreichischen Verkehrs- ten Verkehrssystems im Zusammenspiel von Fahrzeug, systems ist ein wichtiger Standortfaktor und entschei- Infrastruktur, Verkehrssteuerung und Verkehrsinfor- dend für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirt- mation zu einem außerordentlichen Fortschritt geführt, schaft und auch für die Lebensqualität unserer Bürger insbesondere bei der Schaffung sogenannter Intelligen- und Bürgerinnen. Die Erfahrungen der vergangenen ter Verkehrssysteme (IVS). Diese erlauben neue Ansät- 50 Jahre bestätigen, dass Wirtschaftswachstum und ze in der Verkehrssteuerung und Verkehrsorganisation, Verkehrswachstum eng miteinander verknüpft sind. mit denen das Erarbeiten wirkungsvoller Strategien zur Die Verkehrspolitik hat in diesem Zeitraum auf dieses Lösung der zuvor aufgezeigten Probleme ermöglicht Verkehrswachstum mit einem kontinuierlichen Ausbau wird. der Infrastruktur geantwortet, um die erforderlichen Österreich hat bereits 2004 mit dem Rahmenplan für Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Heute stoßen den Einsatz der Telematik im österreichischen Ver- wir an die Grenzen der Finanzierbarkeit eines weiteren kehrssystem einen ersten wichtigen und vor allem in- großzügigen Infrastrukturausbaus. novativen und richtungsweisenden Schritt gesetzt, dem 2008 der EU-IVS-Aktionsplan und im August 2010 die Nationale wie europäische Prognosen zum zukünfti- EU-IVS-Richtlinie der Europäischen Kommission ge- gen Verkehrsgeschehen gehen trotz des zuletzt erleb- folgt sind. ten Einbruchs in Folge der Weltwirtschaftskrise von einem weiteren erheblichen Wachstum des Verkehrs Nunmehr ist es notwendig, Österreichs Strategie für ein aus. Gleichzeitig steigen im globalen Wettbewerb auch Intelligentes Verkehrssystem den europäischen Rah- die Qualitätsanforderungen an das Verkehrssystem, menbedingungen anzupassen. Mit dem vorliegenden und zwar im Güterverkehr wie im Personenverkehr. Das IVS-Aktionsplan formuliert das Bundesministerium Fehlen ausreichender Kapazitäten zur Abwicklung der für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) nach Verkehrsnachfrage würde zu unerwünschten Begleiter- sorgfältiger Analyse die Strategie für die Umsetzung ei- scheinungen für Standort, Gesellschaft und Wirtschaft nes Intelligenten Verkehrssystems im Einklang mit den führen, wie etwa zu Mobilitätseinschränkungen, Ver- europäischen Vorgaben für Österreich. lust der Erreichbarkeit und damit Verlust der Wettbe- werbsfähigkeit in einzelnen Sektoren der Wirtschaft. Wir sind der Überzeugung, mit diesem Vorhaben nicht nur den Vorgaben der europäischen EU-IVS-Richtlinie Welche Antworten sind darauf zu geben? zu entsprechen, sondern auch wesentliche Akzente für ein zukunftsfähiges Mobilitätssystem zu setzen – und Die technologischen Entwicklungen haben in den ver- damit einen wichtigen Beitrag zur Zukunft Österreichs gangenen 20 Jahren aus der Perspektive des integrier- zu leisten. Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 3
IVS-Aktionsplan Österreich 4 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Danksagung Der IVS-Aktionsplan ist in einem unvergleichlich dyna- Das Redaktionsteam hat diese Aufgaben in vielen Stun- mischen Umfeld entstanden. Dies wurde allen Beteilig- den der Diskussion, Konzeption und Verschriftlichung ten mehr als einmal deutlich vor Augen geführt, indem engagiert wahrgenommen und damit wesentlich zum Aufbau und Inhalt aufgrund aktueller Entwicklungen vorliegenden Ergebnis beigetragen. umstrukturiert bzw. neu verfasst werden mussten. Unser Dank gilt aber auch den vielen ExpertInnen der Dies betrifft in erster Linie die europäische Ebene: heimischen Telematiklandschaft, welche an den zahl- Während in Österreich am IVS-Aktionsplan gearbeitet reichen Workshops und Einzelgesprächen engagiert worden ist, wurden einige für die Zukunft der Verkehrs teilgenommen und ihre Ideen, Meinungen und Anre- telematik bzw. des Mobilitäts- und Verkehrsbereiches gungen eingebracht haben. insgesamt wesentliche Dokumente, wie Richtlinien und strategische Positionierungen, zuletzt etwa das Viele dieser Positionen finden sich im IVS-Aktionsplan Weißbuch der Kommission, veröffentlicht. und haben aus unserer Sicht dazu beigetragen, die vor- liegende Arbeit umfassend und ganzheitlich werden zu lassen. Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 5
IVS-Aktionsplan Österreich ACATECH Deutsche Akademie der Technikwissenschaften AIS Automatic Identification System ASFINAG Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft ASTRA Bundesamt für Straßen (CH) BIP Bruttoinlandsprodukt BITKOM Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien BMVBS Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (D) BMVBW Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (D) BMVIT Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (AUT) BVWP Bundesverkehrswegeplan (D) CEN Comité Européen de Normalisation CO2 Kohlendioxid E-FRAME Extend FRAMEwork architecture for cooperative systems EITSFA European Intelligent Transport Systems Framework A rchitecture ERTMS European Rail Traffic Management System ETS Electronic Tolling System ETSI European Telecommunications Standards Institute Abkürzungen EU Europäische Union FRAME European Framework Architecture for Intelligent T ransport Systems GIP Graphenintegrationsplattform GIP.at Graphenintegrationsplattform – Einheitlicher Verkehrsgraph für Österreich GIP.gv.at E-Government auf Basis der Graphenintegrationsplattform GSM Global System for Mobile Communications GVP-Ö Generalverkehrsplan Österreich IKT Informations- und Kommunikationstechnologien ISO International Organization for Standardization ITS Intelligent Transport Systems ITU-T International Telecommunication Union – Telecommunication Standardization Sector IV2S Innovative Verkehrstechnologien und Services IVS Intelligentes Verkehrssystem KAREN Keystone Architecture Required for European Networks KFZ Kraftfahrzeug KLIEN Klima- und Energiefonds der Bundesregierung LKW Lastkraftwagen LRIT Long-range Identification and Tracking MIV motorisierter Individualverkehr NOx Stickoxide ÖV Öffentlicher Verkehr P&R Park and Ride PKW Personenkraftwagen RBL Rechnergestütztes Betriebsleitsystem RIS River Information Systems SESAR Single European Sky Air Traffic Management Research SSN SafeSeaNet T3P Trusted Third Party TC Technical Committee TEN-V Transeuropäisches Verkehrsnetz TPEG Transport Protocol Experts Group TSI TAG Technische Spezifikation für die Interoperabilität –Telematik für den Güterverkehr TTS-A Transport Telematik Systeme Austria UKV unbegleiteter kombinierter Verkehr USA United States of America VAO Verkehrsauskunft Österreich VRI Verkehrs- und Reiseinformationsdienste VTMIS Vessel Traffic Monitoring and Information System WG Working Group 6 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Aktionsfelder Die Aktionsfelder beschreiben den Rahmen, in dem Maßnahmen zur Er- reichung der IVS-Vision gesetzt werden, und gliedern sich weiter in ver- schiedene Thematiken. Besonders gefährdete Besonders gefährdete VerkehrsteilnehmerInnen sind nicht motorisierte Verkehrsteil- VerkehrsteilnehmerInnen wie zum Beispiel Fußgänger und Fahrradfah- nehmerInnen rer sowie Motorradfahrer und Personen mit Behinderungen oder einge- schränkter Mobilität und eingeschränktem Orientierungssinn. Handlungsfelder Die Handlungsfelder beschreiben die drei wesentlichen Gebiete, auf die IVS-Dienste einen positiven Einfluss erzielen sollen: Sicherheit, Effizienz und Umwelt. Intelligente Verkehrs- Bei IVS handelt es sich um Systeme, bei denen Informations- und Kom- systeme (IVS) munikationstechnologien im Verkehr, einschließlich seiner Infrastruk- turen, Fahrzeuge und NutzerInnen, sowie beim Verkehrs- und Mobili- tätsmanagement und für Schnittstellen zwischen den Verkehrsträgern eingesetzt werden. Glossar Interoperabilität Interoperabilität ist die Fähigkeit von Systemen und der ihnen zugrunde liegenden Geschäftsabläufe, Daten auszutauschen und Informationen und Wissen weiterzugeben. IVS-Anwendung Eine IVS-Anwendung ist ein operationelles Instrument für die Anwen- dung von IVS. IVS-Dienst IVS-Dienst bedeutet die Bereitstellung einer IVS-Anwendung innerhalb eines genau definierten organisatorischen und operationellen Rahmens mit dem Ziel, zur Erhöhung der Nutzersicherheit, der Effizienz, des Kom- forts und des Umweltschutzes und/oder zur Erleichterung oder Unter- stützung von Abläufen im Verkehr und bei Reisen beizutragen. IVS-Dienste-Anbieter Ein IVS-Dienste-Anbieter ist ein Anbieter eines öffentlichen oder privaten IVS-Dienstes. IVS-NutzerInnen Die IVS-NutzerInnen sind NutzerInnen von IVS-Anwendungen oder -Diensten, einschließlich Reisende, besonders gefährdete Verkehrsteil- nehmerInnen, Nutzer und Betreiber der Verkehrsinfrastruktur, Flotten- manager und Betreiber von Notdiensten. IVS-Vision Die IVS-Vision formuliert die zentralen Kernelemente und Ziele eines In- telligenten Verkehrssystems in Österreich. Kooperative Systeme Unter kooperativen Systemen versteht man IVS-Dienste, die auf ver- netzter Kommunikation zwischen Fahrzeugen und der Infrastruktur (autonome Fahrerassistenzsysteme, Kommunikation zwischen Fahrzeug – Fahrzeug, Infrastruktur – Fahrzeug und Infrastruktur – Infrastruktur) ba- sieren. Maßnahmenkatalog Der Maßnahmenkatalog beschreibt Maßnahmen innerhalb des Rahmens der Aktionsfelder und Thematiken, die seitens der öffentlichen Hand stimuliert werden müssen, um positive Veränderungen hinsichtlich der Handlungsfelder der IVS-Vision zu erzielen. Telematik Telematik ist ein Kunstwort aus den Begriffen Telekommunikation, Au- tomation und Information und bezeichnet im Kontext von Verkehr und Transport die Integration dieser Komponenten in ein System oder Pro- dukt mit verkehrsrelevanter Funktionalität. Thematiken Thematiken konkretisieren Themengebiete innerhalb von Aktionsfel- dern, in denen Maßnahmen zur Erreichung der IVS-Vision gesetzt werden. Verkehrsträger Verkehrsträger sind die Elemente beziehungsweise Plattformen, wo Ver- kehr stattfindet – Wasser, Luft, Schiene und Straße. Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 7
IVS-Aktionsplan Österreich 8 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Inhalt Die Ausgangslage 10 Mobilität in Österreich 10 Intelligente Verkehrssysteme in Österreich 24 Verkehrstelematik in Europa 28 Die Herausforderungen 36 Verkehrliche Entwicklungen 36 Leitbild für das österreichische Verkehrssystem der Zukunft 39 Die Vision 44 Vision für ein Intelligentes Verkehrssystem 44 Handlungsfelder der Vision 45 Die Strategie 48 Identifikation der Aktionsfelder und Thematiken 48 Maßnahmenkatalog zur Umsetzung der Vision 52 Funktionales Schema zur Beschreibung der IVS-Dienste 54 Verzeichnisse 60 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 9
IVS-Aktionsplan Österreich Die Ausgangslage Mobilität in Österreich Der Rahmen Die Industrialisierung und in der Folge der Sprung von Kostenersparnis Antriebsfaktoren für die Investitions- der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und bereitschaft darstellen, eine rasche, kontinuierliche weiter zu den wissensbasierten Ökonomien unserer und erfolgreiche Weiterentwicklung zu beobachten Zeit haben den Verkehrssektor in Europa wesentlich ist, ist speziell im Bereich der Verkehrsinfrastruktur mitgeprägt. eine kongruente Entwicklung nicht erkennbar. Diese Diskrepanz ist ein weltweit zu beobachtendes Phäno- Die Entwicklungen im System Bahn, in der Schifffahrt, men. bei den Kraftfahrzeugen (KFZ) und auch in der Luftfahrt wurden im Die Gründe sind vielfältig und weitgehend bekannt. Lauf des 19. und 20. Jahrhunderts Sie liegen in: von stetigen Innovationen voran- unterschiedlich gelagerten politischen Interessen, getrieben. Und sie übten ihrerseits nicht zuletzt aufgrund der heterogenen Kompe- wieder einen signifikanten Einfluss tenzlagen im Verkehrsbereich, auf die globalen wirtschaftlichen fehlenden betreiberübergreifenden Zielsetzungen, Entwicklungen aus. der fehlenden Priorisierung von Maßnahmen im Rahmen eines abgestimmten Gesamtkonzeptes Bis etwa 1980 dominierte dabei zwischen den staatlichen Hierarchieebenen (in Ös- die laufende technologische Wei- terreich: Bund, Länder, Kommunen), terentwicklung der Transportträger der fehlenden Realisierung eines harmonisierten, selbst, also der Lokomotiven, des in sich vernetzten Verkehrssystems, rollenden Materials, der Schiffe, fehlenden, exakt formulierten Handlungsempfeh- Automobile und Flugzeuge. Sie war lungen und konkreten Vorschlägen für die Umset- geprägt durch Optimierungen der zung einer mittelfristigen Perspektive – vor allem mechanischen und elektrotechni- auch über Kompetenzgrenzen hinweg, schen Komponenten der Transport- wirtschaftlichem Protektionismus oder aber dem mittel (Fahrzeugbau, Antriebe) und Rückzug aus den Gestaltungsbereichen (die Ge- durch die Verdichtung der Infrastruktur. staltung wird einem „Markt“ überlassen, welcher sich jedoch mangels Rahmenbedingungen und Ge- In den darauf folgenden Jahren haben die Fortschritte schäftsmodellen nicht bildet) sowie der Computertechnik – etwa in der Mikroelektronik, der Vernachlässigung volkswirtschaftlicher und so- der Systemsteuerung mittels Software, der Telekom- zialer Aspekte. munikation oder der digitalen Sensorik – auch im Ver- kehrsbereich Einzug gehalten. Das Zusammenwirken Um diese Situation in Österreich zu überwinden, hat dieser Technologien wird seither unter dem Begriff das BMVIT 2004 den „Rahmenplan für den Einsatz Telematik identifiziert. Damit begann eine stürmi- der Telematik im österreichischen Verkehrssystem“ sche und vor allem technologiegetriebene Entwick- veröffentlicht. Dieser Rahmenplan ging von der Prä- lung von Telematikanwendungen in allen Bereichen misse aus, dass seitens des BMVIT vor allem jene des Verkehrs (z.B. alle Verkehrsträger, Infrastruktur, Einsatzbereiche der Telematik im Verkehr zu forcie- Fahrzeuge, Güter- beziehungsweise Personenverkehr, ren sind, welche aus volkswirtschaftlicher Sicht ein Logistik). Diese wurden ausgehend vom US-amerika- positives Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen (im nischen Markt fortan unter dem Sammelbegriff Intel- Gegensatz zum privatwirtschaftlich/betriebswirt- ligent Transport Systems (ITS) beziehungsweise Intel- schaftlich motivierten Telematikeinsatz). Das betrifft ligente Verkehrssysteme (IVS) subsumiert. vor allem Bereiche wie die Steuerung des Verkehrs, die effiziente Nutzung der Infrastruktur, Sicherheit Während aber in den wirtschaftlich/industriell domi- und Umweltschutz. nierten Anwendungsbereichen, wo Wettbewerb und 10 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Abb. 1: Kosten-Nutzen-Analyse der 2004 definierten Intelligente Verkehrssysteme in Maßnahmen (BMVIT, 2004) der Infrastruktur Maßnahmenbündel 1 : kurzfristige Maßnahmen Maßnahmenbündel 2 : mittelfristige Maßnahmen IVS wird bis heute primär als Synonym für die indus- Maßnahmenbündel 3 : langfristige Maßnahmen triegetriebene, technologische Innovation telemati- scher Komponenten im Verkehrssystem betrachtet hoch – etwa in der Infrastruktur, am Fahrzeug oder bei personenbezogenen mobilen Endgeräten. Es wurde allerdings verabsäumt, Fragestellungen von öffentli- Nutzen mittel chem Interesse (Politik, Verwaltung, Administration) gleichrangig mit den technologischen Entwicklungen zu betrachten (z.B. sowohl rechtliche, organisatori- gering sche und operative Aspekte als auch Haftungsfragen und Ausrüstungsverpflichtungen) und intensiv in eu- gering mittel hoch ropäischem Kontext aufzuarbeiten. Kosten Dies mag einer der Hauptgründe sein, weshalb entge- Im Rahmenplan wurden Telematikanwendungen aus gen allen, noch Mitte der 1990er Jahre veröffentlich- allen Bereichen des Verkehrs hinsichtlich ihres volks- ten Prognosen der realisierte Technologieeinsatz weit wirtschaftlichen Nutzens bewertet (vgl. Abbildung hinter der Erwartungshaltung der Industrie, aber auch 1) und gereiht. Diese so priorisierten Anwendungen der Politik zurückgeblieben ist. Dadurch sind natur- wurden zu drei Maßnahmenbündeln zusammenge- gemäß die erwarteten positiven Auswirkungen weder fasst, die in einem Zeitraum von 15 Jahren umgesetzt für die einzelnen NutzerInnen noch auf das System werden sollten. als Ganzes eingetreten. Eine abnehmende Investiti- onsbereitschaft der öffentlichen Hand, der Infrastruk- Dieser pragmatisch-analytische Ansatz hat zum Zeit- turbetreiber und der öffentlichen Verkehrsbetreiber punkt der Veröffentlichung in Europa große Aufmerk- war die Folge. In letzter Konsequenz blieben auch die samkeit erzeugt und in vielen Ländern der Europäi- vorausgesagten Verbesserungen im Verkehrssystem schen Union (EU) nationale Aktivitäten ausgelöst, wie Verkehrsfluss, Effizienz, Zuverlässigkeit und ge- um auch dort zu nationalen Investitions- und Umset- samthafte Mobilitätsansätze aus. zungsplänen zu kommen. Diese Erfahrungen haben gezeigt, dass die Fokussie- So haben zum Beispiel Deutschland, Schweden, die rung auf technologische Entwicklungen im Verkehrs- Schweiz, Finnland und Norwegen seit 2005 nationa- system nicht aus sich heraus die gewünschten Ergeb- le Pläne ausgearbeitet und veröffentlicht, wenn auch nisse bringt. mit unterschiedlichen Ausgangspositionen und Ziel- setzungen. Die der Verkehrstelematik damit zugeschriebenen Po- tenziale zur Verkehrssteuerung und Effizienzsteige- Die Europäische Kommission hat ihrerseits nach in- rung waren überdies aus heutiger Sicht bei weitem zu tensiver Diskussion 2008 den EU-IVS-Aktionsplan optimistisch angesetzt. Effizienzgewinne von 30 und COM(2008) 886 zur Einführung Intelligenter Ver- mehr Prozent durch räumlich begrenzten Verkehrste- kehrssysteme in Europa publiziert. Mitte 2010 ist lematikeinsatz in Netzteilen sind nur in den seltens- die EU-IVS-Richtlinie 2010/40/EU in Kraft getreten, ten Fällen erreichbar. welche den Rahmen für die Einführung Intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Eine Fortschreibung des bisherigen, primär auf die Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern definiert. technologische Entwicklung fokussierten Weges Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 11
IVS-Aktionsplan Österreich ohne vorangestellte politische Vision eines messba- Serviceaktivitäten und Hol- und Bringdienste unter- ren, sichtbaren und spürbaren Nutzens für die Bür- teilt werden. In die Funktion Arbeiten fallen auch gerInnen und den Staat ist deshalb nicht weiter zu dienstliche oder geschäftliche Aktivitäten. Da die mit verfolgen. der Erfüllung dieser Funktionen verbundenen Aktivi- täten üblicherweise nicht an einem einzigen Ort er- Nutzen und Wirkung für die einzelnen Verkehrsteil- füllt werden können, muss sich der Mensch im Raum nehmerInnen und für das Verkehrssystem müssen bewegen. Sein Mobilitätsverhalten ist dabei je nach gegenüber der technologischen Innovation in den individueller Lebenssituation abhängig von Alter, Be- Vordergrund gestellt werden. Technologieentwick- schäftigung, Lebensstandard, Wohnort oder persönli- lung darf nicht zum Selbstzweck werden. Darüber chen Einstellungen unterschiedlich ausgeprägt. hinaus sind klare Vorgaben aus verkehrspolitischer Sicht zu formulieren, welche Dienste das Verkehrs- system seinen NutzerInnen in welcher Qualität zur Erhebungen des Verfügung stellen muss. Daraus sind nun die notwen- Mobilitätsverhaltens digen Maßnahmen auf rechtlicher, organisatorischer und technologischer Ebene abzuleiten und mittels Umfassende Untersuchungen des Mobilitätsverhal- eines koordinierten Aktionsplans aufeinander abge- tens werden wegen des hohen Aufwands nur selten stimmt umzusetzen. durchgeführt und sind meist auf ein abgegrenztes Ge- biet beschränkt. 10.000 Haushalte mit über 20.000 Personen gelten vielfach als Minimum für eine qua- litativ aussagekräftige Untersuchung. Damit können Personenverkehr schwerwiegende verkehrspolitische Entscheidungen mit belastbaren Grundlagendaten begründet und teu- Mobilität ist eines der zentralen Elemente unseres re Fehlentscheidungen vermieden werden. Seins. Sie ermöglicht uns die Teilhabe am gesellschaft- lichen Leben, beruflich ebenso wie privat. Wir alle ha- In der Theorie des Mobilitätsverhaltensmodells wird ben unsere individuellen Mobilitätsmuster, die durch angenommen, dass eine Person dann ihr Haus ver- eine Vielzahl von Faktoren bestimmt oder beeinflusst lässt beziehungsweise einen Weg durchführt, wenn werden. Lebensumstände, die mit einer Vielzahl von der persönlich bewertete Nutzen am Zielort höher ist Parametern wie Haushaltsgröße, Erwerbsquellen und als der entsprechend gewichtete Nutzen am Quellort Höhe der Erwerbseinkünfte in Beziehung stehen, so- einschließlich des mit der Ortsveränderung verbunde- wie Wohnort, Lage der Arbeitsstätte, Zugang zu An- nen Wegwiderstandes. Der Wegwiderstand setzt sich geboten des öffentlichen Verkehrs – oder allgemeiner aus Kosten, in erster Linie Fahrpreise, und Zeit, aber die Raum- und Siedlungsstruktur beeinflussen unser auch aus Sicherheitsbedenken oder anderen persönli- Mobilitätsverhalten. chen Einstellungen zusammen. Jeder dieser Faktoren wird zusätzlich einer individuellen Bewertung unter- zogen. Daseinsgrundfunktionen und Aktivitäten Während der Wegwiderstand für die Funktionen Wohnen, Arbeiten und Ausbilden kaum von Relevanz Das Leben der Menschen ist mit Aktivität verbunden. ist, stehen heute für die Erfüllung der Funktionen Die Mobilitätsverhaltensforschung identifiziert dabei Freizeit und Versorgen meist eine Vielzahl von mögli- fünf Daseinsgrundfunktionen, die der Mensch in sei- chen alternativen Zielorten zur Verfügung. ner Lebensgestaltung erfüllen muss: Wohnen, Arbei- ten, Ausbilden, Versorgen und Freizeit. Die Funktion Von Bedeutung ist der Unterschied zwischen Zweck- Versorgen kann noch weiter in Einkaufen, Erledigen, mobilität und Erlebnismobilität. Zweckmobilität be- 12 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich deutet, dass mit dem Zurücklegen eines Weges ein Diese Faktoren beeinflussen in erster Linie die zu- Zweck verfolgt wird: Die Ortsveränderung ist Mittel rückgelegten Wegstrecken. Gerade in peripheren zum Zweck. Bei der Erlebnismobilität ist hingegen der Gebieten sind die zurückgelegten Wegstrecken oft Weg das Ziel: Es geht nur ums Unterwegssein, egal deutlich höher als in verdichteten Räumen. ob zu Fuß, mit dem Rad, dem öffentlichen Verkehr Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln: Wenn ein be- oder mit dem Auto. Zweckmobilität und Erlebnismo- stimmtes Verkehrsmittel vorhanden ist, dann wird bilität haben völlig unterschiedliche Eigenschaften es auch benutzt. Das trifft sowohl auf nahegelegene und relevante Einflussparameter. Auch der Bezug der öffentliche Verkehrsmittel zu wie auch auf das eige- Verkehrsnachfrage zum Verkehrsangebot, etwa der ne Fahrzeug. Qualitätsanspruch an Infrastruktur oder Zuverlässig- Einkommen: Alle Studienergebnisse belegen, dass keit der Reisezeit, ist ein gänzlich anderer. ein hohes Einkommen eine hohe Mobilität mit sich bringt. Dies liegt einerseits an beruflich bedingten Wegen, andererseits am höheren Haushaltsbudget, Einflussfaktoren auf das das für Freizeitaktivitäten verfügbar ist. Mobilitätsverhalten Das Mobilitätsverhalten wird durch gesellschaftliche Mobilitätsindikatoren Entwicklungen und durch die individuellen Eigen- schaften und Werthaltungen der Menschen beein- Mobilitätsindikatoren sind als wesentliche Einfluss- flusst. Aber auch räumliche Prozesse haben Auswir- parameter zu beachten, wenn es um die Gestaltung kungen auf die Nachfrage nach Mobilitätsleistungen des Verkehrssystems geht. Sie können aber ebenso als und somit auf das Mobilitätsangebot. Qualitätsindikatoren für das Verkehrssystem an sich herangezogen werden. In allen gängigen Mobilitätsszenarien im europäi- schen Raum lassen sich gesellschaftliche und indi- Mobile Personen viduelle Faktoren als dominante Einflussgrößen der Rund 90 Prozent der Menschen verlassen täglich den Verkehrsnachfrageentwicklung identifizieren. Ort ihres Wohnens, und sei es nur für einen kurzen Alter und Gesundheitszustand: Diese beiden Fak- Spaziergang. Solche Personen werden mobil genannt. toren beeinflussen primär den Grad an Mobilität Der Anteil mobiler Personen hängt stark vom Alter einer Person. Ältere und jüngere Personen sind we- und der Beschäftigungssituation ab. Auch Wetter und niger mobil. Personen im mittleren Alter, zwischen Witterung können einen erheblichen Einfluss auf den 20 und 40 Jahren, weisen die höchste Mobilität auf. Anteil mobiler Personen haben. Allerdings sind die Mobilitätsanforderungen der äl- teren Generation stark im Steigen begriffen. Wege Erwerbstätigkeit beziehungsweise Beschäftigung: Eine durchschnittliche Person legt in Österreich rund Geht eine Person einer Beschäftigung nach, hat 3,7 Wege pro Tag (BMVIT, 2007) zurück. Weltweit dies erhebliche Auswirkungen auf ihr Mobilitäts- schwankt dieser Wert nur sehr geringfügig. In den verhalten. Erwerbstätige Personen sind weit mo- Vereinigten Staaten wird, verursacht durch den hö- biler als nichtbeschäftigte Personen. Am mobilsten heren Grad an Nutzungsentmischung im Raum und sind Personen im Bereich der Teilzeitarbeit und an- durch die Trennung beziehungsweise Spezialisierung derer flexibler Beschäftigungsformen. der Aktivitätsstandorte, eine Wegezahl von bis zu 4,5 Haushaltsgröße und Familienumstände: Sie beein- Wegen pro Person und Tag erreicht. flussen das Mobilitätsverhalten einer Person ganz wesentlich, wobei der Mobilitätsgrad mit zuneh- Verkehrszwecke mender Haushaltsgröße abnimmt. Verkehrszwecke beschreiben den Grund, warum Raum- und Siedlungsstruktur der Umgebung: ein bestimmter Weg durchgeführt wird. Während Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 13
IVS-Aktionsplan Österreich Abb. 2: Verkehrszwecke in Österreich in Mio. Wegen pro Tag: 2005 (links) & Prognose für 2025 (rechts) (BMVIT, 2009) 2005 2025 Arbeit 11,40 % 12,70 % Personenwirtschaftsverkehr 22,30 % 20,90 % Einkauf private Erledigungen Freizeit 21,80 % 3,20 % 22,80 % Ausblidung 3,60 % Urlauber-Lokalverkehr 9,40 % 11,40 % 9,40 % 10,50 % 20,20 % 20,50 % Arbeitswege in den vergangenen Jahren abgenom- im Jahr 1995 etwa 29 km (Werktagsmobilität). In men haben, steigt die Anzahl von Freizeitwegen und Niederösterreich betrug die durchschnittliche Tages- Einkaufswegen. Dies zeigt auch die in Abbildung 2 wegelänge 35 km im Jahr 1995 und 43 km im Jahr dargestellte prozentuelle Aufteilung der Wege nach 2003 (BMVIT, 2007). Tendenziell ist eine Steigerung Verkehrszweck. Laut der Prognose für 2025 werden der Wegelängen pro Jahr um ein Prozent zu bemer- die Anteile von Personenwirtschaftsverkehr, Einkauf, ken. privaten Erledigungen und Freizeit insgesamt um 3,7 Prozentpunkte gegenüber 2005 zunehmen. Die rest- Tageswegedauer lichen Bereiche Ausbildung, Urlauber-Lokalverkehr Die „im Verkehr“ – also „unterwegs“ – zugebrachte und Arbeit werden im gleichen Zeitraum um insge- Zeit bleibt seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhun- samt 3,8 Prozentpunkte zurückgehen. derten, gleich. Rund 90 Minuten verbringt eine mobi- le Person pro Tag damit, seine verschiedenen Ziele im Tageswegelänge Raum zu erreichen. Dieser Wert ist auch für Personen Die Tageswegelänge, also die Anzahl zurückgelegter in Entwicklungsländern kaum größer oder kleiner. Kilometer pro Person und Tag, betrug in Österreich 14 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Abb. 3: Durchschnittliche Unterwegszeit nach Bruttoinlandsprodukt (BMVBS, 2010) 5,0 African Villages in: City Surveys: National Travel Surveys: I Tanzania, 1986 01 Tianjin (China), 1993 19 Paris (France), 1983 A Belgium, 1965/66 II Ghana, 1988 02 Kazanlik (Bulgaria), 1965/66 20 Paris (France), 1991 B Austria, 1983 4,5 03 Lima-Callao (Peru), 1965/66 21 Sendai ( Japan), 1972 C Great Britain, 1985/86 04 Pskov (Former USSR), 1965/66 22 Sapporo ( Japan), 1972 D Germany, 1976 Unterwegszeit pro Tag und Einwohner 05 Maribor (Former Yugoslavia), 1965/66 23 Kanazawa ( Japan), 1974 E Netherlands, 1979 4,0 06 Kragujevac (F. Yugoslavia), 1965/66 24 Kagoshima ( Japan), 1974 F Great Britain, 1989/91 07 Torun (Poland), 1965/66 25 Kumamoto ( Japan), 1973 G Finland, 1986 08 Gyoer (Hungary), 1965/66 26 Hamamatsu ( Japan), 1975 H Netherlands, 1987 3,5 09 Olomouc (Fomer CSFR), 1965/66 27 Fukui ( Japan), 1977 I France, 1984 10 Hoyerswerde (Fomer GDR), 1965/66 28 Niigata ( Japan), 1978 J Germany, 1982 11 Sao Paulo (Brazil), 1987 29 Hiroshima ( Japan), 1978 K Netherlands, 1989 3,0 12 Sao Paulo (Brazil), 1977 30 Osaka ( Japan), 1980 L USA, 1990 13 Warsaw (Poland), 1993 31 Tokyo ( Japan), 1980 M Germany, 1989 14 6 Cities (France), 1965/66 32 Osaka ( Japan), 1985 N Switzerland, 1984 2,5 15 Osnabrück (Germany), 1965/66 33 Tokyo ( Japan), 1985 O Switzerland, 1989 16 44 Cities (USA), 1965/66 34 Cities No. 21-29 in 1987 P Australia, 1986 17 Jackson (USA), 1965/66 35 Tokyo ( Japan), 1990 Q Singapore, 1991 2,0 18 Paris (France), 1976 36 Osaka ( Japan), 1990 R Norway, 1985 S Norway, 1992 T Japan, 1987 1,5 2 3 4 13 18 19 20 G 6 16 7 31 J H 17 R 35 O 12 D B K P 1 S 1,0 I 5 8 11 22 21 23 25 29 33 32 T N L II 30 9 A 14 15 24 E F M 36 10 28 C I 26 27 34 0,5 Q 0,0 0 2.000 4.000 6.000 8.000 10.000 12.000 14.000 16.000 18.000 20.000 Bruttosozialprodukt pro Einwohner in US-Dollar (1985) Die erforderliche Intelligenz des Verkehrssystems nicht zu groß werden. Die Flexibilisierung der Ar- beitszeiten und das zunehmende Aufweichen tra- Ein Intelligentes Verkehrssystem muss in der Lage ditioneller Aktivitätsroutinen führen zu einem – für sein, die Belastungen in der Spitzenstunde ohne allzu die Verkehrsplanung vorteilhaften – Abflachen der hohe Verluste aufnehmen zu können. Die dement- Aufkommenskurven. Darüber hinaus können heute sprechende Dimensionierung des Verkehrssystems moderne Techniken dazu beitragen, die Spitzen der ist eine hochdiffizile Aufgabe, denn einerseits wäre Belastungskurven abzutragen, etwa durch nachfrage- es ineffizient, das System auf die selten auftreten- abhängige Systeme zur Preisgestaltung oder die vo- den Spitzenwerte zu dimensionieren, andererseits rauseilende Bereitstellung von Informationen für die dürfen die durch Überlastung eintretenden Verluste VerkehrsteilnehmerInnen. Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 15
IVS-Aktionsplan Österreich Abb. 4: Startzeiten der Wege (absolut in Mio. Wegen pro Tag) nach Wochentagen: Werktage, Samstag und Sonntag (BMVBS, 2010) werktags Samstag Sonntag 30 20 10 0 Uhrzeit 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Bei den heute immer komplexer werdenden Verket- Vorteile eines hohen tungen von Aktivitäten spielen segmentierte Wege Mobilitätsgrades eine zunehmende Rolle. Ein segmentierter Weg wird durch die sequenzielle Verwendung mehrerer Ver- Mobilität ermöglicht die Erweiterung des Horizonts, kehrsmittel charakterisiert (z.B. mit dem Personen- den kulturellen Austausch, die Vernetzung von Men- kraftwagen zur Park-and-Ride-Anlage vor der Stadt, schen sowie den Austausch von Wissen und erlern- dann mit dem öffentlichen Verkehr in die Stadt und ten Kulturtechniken. Ebenso wird die Erledigung von dann das letzte Stück mit dem Fahrrad zum Zielort). Versorgungsaktivitäten durch einen hohen Mobili- Die Erfassung solcher segmentierter Wege im Zuge tätsgrad erleichtert und die erzielbare Qualität erhöht. von Mobilitätserhebungen ist eine komplexe Aufgabe Dabei geht es nicht nur um das Einkaufen, sondern und wird erst seit kurzem durchgeführt. Die Bedeu- auch um private Erledigungen, etwa Arztbesuche und tung solcher Wege wird zunehmen, weil sie auf die dergleichen. Durch einen hohen Mobilitätsgrad ist für Verwendung der verschiedenen Verkehrsmittel ge- Menschen ein größeres Angebot wahrnehmbar, der mäß ihren Stärken abzielen und dazu beitragen kön- Wettbewerb zwischen Anbietern verstärkt sich und nen, erhebliche Effizienzgewinne zu realisieren. Aller- sorgt so für höhere Qualität und niedrigere Preise, dings erfordern derartige segmentierte Wege mitunter während ineffiziente monopolartige Strukturen durch diffizile Planungen oder den Einsatz telematischer einen hohen Mobilitätsgrad zurückgedrängt werden. Anwendungen, etwa im Bereich der Stellplatzreser- Außerdem werden Freizeitaktivitäten durch mehr vierung für PKW oder Fahrrad, um den NutzerInnen Mobilität vielfältiger, Menschen können auf ein grö- ein möglichst attraktives Mobilitätsangebot hoher ßeres Angebot zurückgreifen, ihre Erholungsphasen Akzeptanz anzubieten. abwechslungsreicher gestalten und damit neue Ener- gie und Impulse für den Arbeitsalltag freilegen. 16 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Nicht zuletzt aus diesen Gründen ist der freie Perso- Gesamtsystems beeinflusst. Puffer- und Wartezeiten nenverkehr einschließlich der Niederlassungsfreiheit können verkürzt oder vermehrt genutzt werden, die zu einer Grundfeste der Europäischen Union und des Nutzungsintensität des Bestandes wird insgesamt er- Binnenmarktes erkoren worden. Dies wurde auch höht, ohne dass der Bestand erweitert werden muss. im 2011 veröffentlichten EU-Weißbuch „Fahrplan Widerstände und Verluste werden reduziert – man zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum spricht von einem Intelligenten Verkehrssystem. – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und res- sourcenschonenden Verkehrssystem“ bekräftigt. Die Einschränkung von Mobilität sei keine Option zur Erreichung der angestrebten Emissionsreduktionen Güterverkehr und („Curbing mobility is not an option“, Europäische Kommission, 2011). Logistik Ziel der Verkehrspolitik ist es, die Rahmenbedingungen Neben jener für den Personenverkehr wird der euro- so zu gestalten, dass der Bevölkerung ein leistungsfä- päische Binnenmarkt von den Freiheiten für Güter-, higes und qualitativ hochwertiges Verkehrssystem zur Dienstleistungs- und Kapitalverkehr dominiert. Der Verfügung gestellt werden kann, das die Erfüllung der Zweck des Güterverkehrs liegt in der Versorgung der genannten Daseinsgrundfunktionen nicht nur ermög- Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs und licht, sondern stetig verbessert und kostengünstiger darüber hinaus. Produkte, die in früheren Zeiten ge- gestaltet. Der Staat ist heute in seiner gemeinwirt- meinhin als Luxusgüter bezeichnet wurden, sind heu- schaftlichen Verantwortung mehrheitlich nur noch für te für den Großteil der Bevölkerung täglich verfügbar die Bereitstellung einer Verkehrsinfrastruktur verant- und definieren eine Art erweiterten Bedarf. Ob die wortlich, während der Betrieb und die Dienstleistung Erfüllung dieses erweiterten Bedarfs in Relation zu zunehmend privatwirtschaftlich unter Wettbewerbs- setzen ist zu von der Bevölkerung als negativ erlebten bedingungen abgewickelt werden. Aufgabe der öffent- Auswirkungen steigenden Gütertransports und da- lichen Hand ist es, geeignete Rahmenbedingungen her einschränkende Maßnahmen zu ergreifen sind, zu schaffen, die es der Bevölkerung ermöglichen, den ist Gegenstand des verkehrspolitischen Diskurses. Wunsch nach Mobilität zu befriedigen. Dem realisier- Allerdings hat sich der gemeinschaftsrechtlich veran- ten Mobilitätsverhalten liegen höchst komplexe Ent- kerte europäische Binnenmarkt in erster Linie durch scheidungsstrukturen zugrunde. einen Abbau von diskriminierenden Hemmnissen für den Güteraustausch definiert und damit den libera- Anwendungen der Telematik sorgen für einen opti- lisierten Markt für Verkehrsdienstleistungen in die mierten Betrieb von Verkehrssystemen und beeinflus- Wege geleitet. Die Disposition gemeinschaftsrecht- sen damit Qualität und Attraktivität eines bestimmten lich verankerter Grundsätze scheint an dieser Stelle Verkehrsmittels oder einer bestimmten Route. Ver- nicht angebracht und wird daher auch nicht repliziert. kehrstelematiklösungen liefern Informationen an die Zutreffend erscheint dennoch, dass die mit höherer NutzerInnen von Verkehrssystemen über Bedingun- Transportleistung einhergehende internationale Spe- gen, Nutzen und Kosten ihrer Entscheidungen. Damit zialisierung von Produktions- wie Dienstleistungs- werden Entscheidungen sowohl auf Seiten der An- standorten zu einer Freisetzung von Skalenerträgen bieter von Verkehrsdienstleistungen sowie auf Seiten geführt hat, welche die Bereitstellung des erweiterten der NutzerInnen im Interesse einer Optimierung des Bedarfs für einen Großteil der Bevölkerung erst er- Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 17
IVS-Aktionsplan Österreich möglicht hat. Die internationale Arbeitsteilung und strecke, was die Kosten und die Transportzeit betrifft, Spezialisierung geht einher mit dem Abbau organisa- kaum mit dem Lastkraftwagen (LKW) konkurrieren. torischer Hemmnisse an Grenzen und der Steigerung In Österreich werden die meisten Inlandstranspor- von Leistungsfähigkeit und Qualität des Verkehrsan- te innerhalb eines Radius von 150 km abgewickelt. gebots. Das verbesserte Verkehrsangebot wird wie- Die durchschnittliche Transportentfernung betrug im derum im Allgemeinen mit Liberalisierung, also der Jahr 2004 lediglich 48 km. In Deutschland war dieser Schaffung eines freien Marktes unter Wettbewerbs- Wert mit 97 km mehr als doppelt so hoch. bedingungen zwischen den Anbietern von Transport- dienstleistungen, in Verbindung gebracht. Abbildung 5 zeigt, dass die Güterverkehrsleistung in Österreich in den vergangenen 20 Jahren erheblich zugenommen hat, sowohl auf der Straße als auch auf Maßzahlen zum Güterverkehr der Schiene. Die Verteilung des Transportaufkommens nach Gü- tergruppen und Verkehrsträgern gibt Hinweise auf die besonderen Eignungen der Verkehrsträger. Das Abb. 5: Güterverkehr in Österreich (UBA, 2010) weitaus größte Transportaufkommen besteht für die Warengruppe der Steine, Erden und Baustoffe. Die- Straße Bahn Donau 45.000 ses Material wird zumeist in der Fläche gewonnen 40.000 und verteilt. Dementsprechend erreicht der Anteil des Straßengüterverkehrs 95 Prozent des Gesamtaufkom- 35.000 mens. Sehr flächenbezogen und daher auch straßen- 30.000 Mio. Tonnen-km lastig sind beispielsweise die Sammlung und Vertei- 25.000 lung von Nahrungs- und Futtermitteln. Die Transporte 20.000 von Kohlen und Erzen sind hingegen bahnaffin. Hier besteht ein ungebrochener Quell- und Zielverkehr mit 15.000 hohem Transportaufkommen und geringeren Ansprü- 10.000 chen an Transportgeschwindigkeit und Pünktlichkeit. 5.000 Dank der Industriestandorte an der Donau hält die 0 Schifffahrt in den Transporten von Düngemitteln und 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 Erzen relativ hohe Anteile. Die Bahn kann in gebro- chenen Transporten mit unter 300 km Beförderungs- 18 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Abb. 6: Fahrleistungen im ASFINAG-Netz (ASFINAG, 2010a; Statistik Austria, 2004 & 2010b) 100.000 25.000 Importe Exporte 90.000 PKW-Fahrleistung 80.000 LKW-Fahrleistung 20.000 Fahrleistung in Mio. KFZ-km Exporte / Importe in 1000t 70.000 60.000 15.000 50.000 40.000 10.000 30.000 20.000 5.000 10.000 0 0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Die Wirtschaftskrise hat tiefe Spuren im Handelsvo- lumen und damit auch im Transportvolumen hinter- Verkehrssicherheit 12,9 lassen, wie Abbildung 5 zeigt. Der Güterverkehr ist im Eine der zentralen Aufgaben eines Intelligenten Ver- Jahr 2009 erheblich eingebrochen, für 2010 kündigte kehrssystems ist die Erhöhung der Verkehrssicherheit sich allerdings bereits eine leichte Erholung der Nach- sowie die damit verbundene Reduzierung des Unfall- fragedaten an. risikos und der Unfallfolgen. Die Abbildung 6 zeigt die Fahrleistungen im Netz der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs- Aktiengesellschaft (ASFINAG) und macht den Unter- schied zwischen den Verkehrsbelastungen, die einer- seits von PKW und andererseits von LKW verursacht werden, deutlich. Vom Volumen übertrifft die Fahr- leistung des PKWs jene des LKWs um ein Vielfaches. Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 19
IVS-Aktionsplan Österreich Abb. 7: Entwicklung des Unfallgeschehens in Österreich: 1990 –2010 (KFV, 2010a) 70.000 1.800 1.600 60.000 1.400 Anzahl der Verkehrsunfälle und 50.000 Anzahl der Verkehrstoten der verletzten Personen 1.200 40.000 Verkehrsunfälle 1.000 Verletzte Personen 800 Verkehrstote 30.000 600 20.000 400 10.000 200 0 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 Seit 1961 werden Straßenverkehrsunfälle systema- ner. Wien und das Burgenland haben mit 27,2 und tisch erhoben und statistisch ausgewertet. So ist im 34,0 Unfällen pro 10.000 Einwohner die geringsten Jahr 2010 mit insgesamt 522 getöteten Personen im Unfallwerte innerhalb Österreichs. Straßenverkehr ein historischer Tiefstand erreicht worden (vgl. Abbildung 7). Bis Ende der 1990er Jahre Im europäischen Vergleich liegt Österreich 2009 lagen die Zahlen der pro Jahr auf Österreichs Straßen mit 7,6 im Straßenverkehr getöteten Personen pro tödlich Verunglückten zwischen 1.000 und 2.000. Ein 100.000 Einwohner im Mittelfeld. In Griechenland Rückgang ist auch bei den Unfällen insgesamt und hingegen sterben im Durchschnitt 12,9 Personen den dabei verletzten Personen zu verzeichnen. Die- pro 100.000 Einwohner im Verkehr. Das ist mehr als se Entwicklung ist sicherlich eine Folge von forcierten dreimal so viel wie in Großbritannien, dem Land mit Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit den wenigsten tödlichen Verkehrsunfällen. wie zum Beispiel die Kindersitz-Pflicht (1994) oder Intelligente Verkehrssysteme werden als ein effek- die Senkung des Blutalkohol-Grenzwertes auf 0,5 tives Mittel gesehen, um positiv auf die Verkehrssi- Promille (1998). Auch das 2002 präsentierte Konzept cherheit einzuwirken. So wird die Harmonisierung des Österreichischen Verkehrssicherheitsprogramms und Anwendung von Technologie für die Straßenver- trägt maßgeblich zur Erhöhung der Sicherheit auf Ös- kehrssicherheit – u.a. Systeme zur Fahrerunterstüt- terreichs Straßen bei. Dabei wird erstmals versucht, zung, eCall, kooperative Systeme und Fahrzeug-Inf- bestehende Problemlagen gesamtheitlich zu erfassen rastruktur-Schnittstellen – als wichtige europäische und entsprechende Lösungswege aufzuzeigen. Be- Maßnahme zur Erreichung einer „Vision Zero“ für zogen auf die Einwohnerzahl gab es im Jahr 2009 in die Straßenverkehrssicherheit gesehen (Europäische Österreich im Schnitt 51 Verkehrsunfälle pro 10.000 Kommission, 2011). Durch den gezielten Einsatz Einwohner. Innerhalb Österreichs ist Oberösterreich Intelligenter Verkehrssysteme sollen die IVS-Nutzer mit 65,9 Unfällen pro 10.000 Einwohner das Bundes- Innen geschützt, die Koordination der Einsatzkräfte land mit den meisten Verkehrsunfällen, gefolgt von erleichtert und die Einhaltung von Verkehrsgesetzen der Steiermark mit 62,8 Unfällen pro 10.000 Einwoh- besser überwacht werden. 20 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Abb. 8: Verkehrstote pro 100.000 Einwohner, internationaler Vergleich 2009 (KFV, 2010b) 13 12,9 12 12,0 11 Verkehrstote pro 100.000 Einwohner 10 9 9,7 8 8,4 8,6 8,2 7,9 7 7,6 7,1 6,8 6 5,9 5 5,3 5,3 5,5 5,1 5,2 4 4,4 4,5 3,8 3,9 3,9 3 2 1 0 UK S NL N CH D FIN IS IRL DK E F I A P H SLO CZ L PL GR Land Verkehrsinfrastruktur km pro 1.000 km2) und liegt damit im guten Mittel- feld. Netze Die Eisenbahnnetzdichten liegen in ganz Europa deut- lich über den entsprechenden Autobahnnetzdichten. Netzdichten und die über die Netze abgewickelten In Österreich ist die Eisenbahnnetzdichte mehr als Transporte von Personen und Gütern geben einen dreimal so hoch wie die Autobahnnetzdichte. ersten Überblick über Ausbaugrad und Erreichbarkei- ten innerhalb dieser Netze, aber auch über den Grad Knoten der Inanspruchnahme nach Transportleistungen. Stellvertretend für die Infrastrukturknoten des Perso- Vergleicht man die österreichischen Transportnetze nen- und Güterverkehrs soll an dieser Stelle die Auf- innerhalb Europas (EU27 im Jahr 2007), wird klar, kommensentwicklung der intermodalen Umschlags- dass Österreich zum gegenwärtigen Zeitpunkt hin- anlagen des Güterverkehrs erläutert werden: sichtlich der Verkehrsträger Schiene und Straße eine über dem europäischen Durchschnitt liegende Netz- In Österreich gibt es gegenwärtig 17 Umschlagsan- dichte aufweist, wenngleich Österreich klar hinter den lagen im unbegleiteten kombinierten Verkehr (UKV), Beneluxstaaten (z.B. alle über 50 km Autobahn-Netz- welche rund 800.000 Ladeeinheiten umschlagen. Im stecke pro 1.000 km2 Landesfläche) sowie Deutsch- Jahr 2025 wird die Zahl der umgeschlagenen Einhei- land mit in etwa 34 km pro 1.000 km2 zurückbleibt. ten (jeweils ohne Leercontainer und Gateway-Züge) auf etwa 1,5 Mio. Einheiten angewachsen sein. Österreich verfügt über eine Autobahnnetzdichte von 20,2 km pro 1.000 km2 Landesfläche (EU-Durch- Die stärksten Nachfragen sowie die absolut größten schnitt: 15,1 km) und über eine Eisenbahnnetzdichte Zuwächse sind – etwa deckungsgleich zu den demo- von 69,3 km pro 1.000 km2 (EU-Durchschnitt: 49,1 grafischen und verkehrlichen Entwicklungen in den Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 21
IVS-Aktionsplan Österreich Räumen und Netzen – in den wirtschaftlichen Zent- Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur beschäfti- ralräumen um die Ballungszentren zu erwarten. gen zunächst Unternehmen unmittelbar oder als Zu- lieferer. Daraus entstehen Unternehmer- und Lohn- Verkehrlich spiegelt sich dies vor allem in den Vor- einkommen. Werden diese Einkommen investiert und Nachlaufverkehren auf der Straße (Trucking) wi- oder konsumiert, so wird dadurch die gesamte Wirt- der, wobei die Beschickung und Abholung der inter- schaft belebt (Multiplikatoreffekt). modalen Ladegefäße nicht gleichmäßig über den Tag verteilt erfolgt, sondern in der Regel danach getrachtet Weiters senkt eine Verbesserung der Verkehrsinfra- wird, Zwischenumschläge und damit Kosten zu ver- struktur unmittelbar die Beschaffungs- und Vertei- meiden (induzierte Spitzen) und die bereitgestellten lungskosten der Unternehmen, indem die Produk- Eisenbahntragwagen nach Möglichkeit direkt zu be- tivität des Verkehrssektors erhöht wird. So hat ein schicken. LKW-Fahrer auf einer gut ausgebauten Autobahn die vierfache Arbeitsproduktivität eines LKW-Fahrers auf einer Landstraße, der dort nur mit halber Durch- Die volkswirtschaftliche schnittsgeschwindigkeit und infolge von Gewichtsbe- schränkungen nur mit halber Ladung fahren kann. Dimension des Verkehrs- Neben diesen produktionsrelevanten Auswirkungen systems für Österreich des Infrastrukturausbaus können sich auch die Le- bensqualität verbessernde Wirkungen ergeben, zum Das Verkehrswesen hat in einer Volkswirtschaft viel- Beispiel: bequemeres und schnelleres Reisen, besse- fältige Aufgaben. Verbesserungen im Verkehrswesen re Anbindungen, schönere Bahnhöfe, weniger Zeit- haben sowohl wirtschaftliche als auch gesellschaftli- verlust und Ärger im Stau, geringeres Unfallrisiko, che Auswirkungen. Eine den Bedürfnissen der Wirt- weniger Umweltbelastungen, größere Wahlmöglich- schaft und der Industrie entsprechende Infrastruktur keiten für den Wohnsitz und die Freizeitaktivitäten. verringert die Kosten der Raumüberwindung und er- (Puwein, 2006) höht somit die Attraktivität des Standorts Österreich. Niedere Transportkosten beleben einerseits die Kon- Somit steigert auch die Verfügbarkeit von IVS-Diens- kurrenz auf dem Regionalmarkt, andererseits wird der ten zur Verbesserung und Erhöhung der Mobilität die Zugang zu entfernten Märkten attraktiver. Lebensqualität der Bevölkerung sowohl im Rahmen beruflicher als auch privater Aktivitäten. 22 Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich
IVS-Aktionsplan Österreich Andererseits müssen negative Auswirkungen des Ver- minus den Vorleistungen und den Steuern und Abga- kehrssystems auf die Volkswirtschaft reduziert bezie- ben zuzüglich der Subventionen. Im Jahr 2007 wur- hungsweise neue Wege beschritten werden, um sie de eine Wertschöpfung von € 13,1 Mrd. erzielt. Dies gänzlich zu vermeiden. Das Ziel ist, nicht die Trans- stellt verglichen mit dem Vorjahr eine Steigerung von portleistungen per se, sondern die vom Verkehr ver- knapp fünf Prozent dar (WKO, 2009). ursachten Lärm- und Schadstoffemissionen, Unfall- kosten und sonstigen negativen Effekte zu reduzieren. In Summe tätigten die Unternehmen der Sparte Die externen Kosten in Österreich alleine im Straßen- Transport und Verkehr im Jahr 2007 Bruttoinves- verkehr betrugen im Jahr 2000 über € 9,2 Mrd. Der titionen in der Höhe von knapp € 7 Mrd., was eine Gesamtbetrag setzt sich hierbei aus externen Unfall- Steigerung von knapp 17 Prozent verglichen mit dem kosten, Lärmkosten, Gesundheitskosten, Schadstoff- Vorjahr bedeutet. Die höchsten Bruttoinvestitionen kosten, Gebäude- und Klimakosten (CO2) zusammen. sind dabei den Schienenbahnen mit mehr als € 3 Mrd. zuzuschreiben (WKO, 2009). Die Fortschreibung der Unfallkostenrechung 2004 für das Jahr 2006 weist für sämtliche Straßenverkehrs- Die Mauterlöse (inkl. der Sondermautstellen und Vi- unfälle in Österreich jährliche Kosten in der Höhe von gnetten) beliefen sich im Jahr 2008 in Österreich auf € 10 Mrd. aus. In dieser Summe sind sowohl die inter- rund € 1.516 Mio. Davon entfallen € 1.062 Mio. (ent- nen, somit die von den Verursachern selbst getrage- spricht mehr als 70 Prozent) auf LKW. Die Vignetten- nen, als auch die externen, also von der Allgemeinheit erlöse und somit der Beitrag der PKW zum Ausbau getragenen Unfallkosten enthalten (BMVIT, 2007). und der Instandhaltung der Infrastruktur liegen bei € Die volkswirtschaftliche Betrachtung des Verkehrs- 336 Mio. (Quelle: ASFINAG). An den österreichischen systems umfasst jedoch auch die Wirtschaftsindika- Sondermautstellen wurden 2008 durch LKW (über toren der im Transport und Verkehr angesiedelten 3,5 Tonnen) mehr als € 181 Mio. eingenommen, wo- Unternehmen. Mit Ende 2009 waren in den der Spar- bei alleine die Maut für die Brenner Autobahn einen te Transport und Verkehr zugeordneten Unternehmen Anteil von 61 Prozent ausmacht. Mehr als 6,2 Mio. 197.283 ArbeitnehmerInnen beschäftigt. In Summe LKW überqueren die österreichischen Sondermaut- wurden in diesen Unternehmen (ohne Fahrschulen) stellen, wobei die Brenner Autobahn mit rund 36 Pro- im Jahr 2007 Erlöse und Erträge im Wert von rund € zent die höchste Frequenz aufweist. Zwischen 2002 41,9 Mrd. erzielt, das sind um 5,5 Prozent mehr als und 2008 stiegen die Mauteinnahmen durch LKW im vorhergehenden Jahr 2006. Die Bruttowertschöp- um knapp 16 Prozent, die LKW-Frequenz um 14 Pro- fung zu Faktorkosten ist definiert als Umsatzerlöse zent (WKO, 2009). Strategie zur Umsetzung eines Intelligenten Verkehrssystems in Österreich 23
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