Humanes Leben - Humanes Leben Humanes Sterben

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Humanes Leben - Humanes Leben Humanes Sterben
Die Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben   41. Jahrgang · 2021-3

Humanes Leben
     Humanes Sterben

Noch keine klare Sicht im Bundestag
Abgeordnete orientieren sich beim Thema Suizidhilfe erst einmal

Wahlprüfsteine                    Wandel                            Willensentschluss
DGHS stellt Fragen                Ärzte ändern ihre                 Muss ein Sterbewilliger
an die Parteien                   Musterberufsordnung               seine Motive angeben?
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Humanes Leben - Humanes Leben Humanes Sterben
02   INHALT

      3   Editorial

     ■■ AKTUELLES
      4 Die Wahlprüfsteine der DGHS
        Was wir von den Parteien vor der Bundestagswahl
        wissen wollen
      8 38 Redebeiträge zur Suizidhilfe
        Bundestag orientiert sich erst einmal
      9 Der Bundestag debattierte über Suizidhilfe –
        eine kritische Einschätzung

                                                                    8
        Ein Kommentar von Präsidiumsmitglied                                Die Orientierungsdebatte im
        Dipl.-Päd. Ursula Bonnekoh                                          Bundestag zur Suizidhilfe blieb
                                                                            orientierungslos.
     11 Suizidhilfe-Verbot wird aus Musterberufsordnung
        gestrichen
        Eindrücke vom Deutschen Ärztetag am 4./5.5.2021
     13 Ein außergewöhnlicher katholischer Theologe
        Zum Tod von Hans Küng (93), Träger des von der
        DGHS verliehenen Arthur-Koestler-Preises 2013

     ■■ SERVICE
     16 Veranstaltungskalender
     19 Dialog unter Mitgliedern

                                                                                                                            Titelbild: Deutscher Bundestag/Simone M. Neumann; Bilder: Deutscher Bundestag/Christian Fischer, pxhere.com, pixabay_Lolame_fog
     20 Die Satzung: Verfassung des Vereins
     21 So können Sie uns erreichen / Experten-Telefon

                                                               15
     22 Ehrenamtliche lokale Ansprechpartner/innen                          Die Reform des Betreuungsrechts sieht
                                                                            auch ein dreimonatiges Notvertretungs-
     31 Mitglieder werben Mitglieder                                        recht für den Ehepartner vor.

     ■■ WISSEN
     14 Eine Reform des Betreuungsrechts tritt
        zum 1.1.2023 in Kraft
        Das Recht betreuter Menschen auf Selbstbestimmung
        wird verbessert
     24 Experimentierfeld Kanada
        Gesetz bringt weitgehende Neuerungen
     26 Blick über die Grenzen
     28 Blick in die Medien
     29 Ausstellungstipps / Für Sie gelesen

                                                               33
     33 Beratung von Sterbewilligen – ein Muss?                             Mit eigenen Gedanken sollte man sich
        Inhalt und Grenzen der Abklärung von Suizidabsichten                stets kritisch auseinandersetzen, damit
                                                                            Freiheit keine leere Worthülse bleibt.

     ■■ VEREINSLEBEN
     23 Aus den Regionen

                                                               Bitte beachten Sie auch den beigefügten Überwei-
     27   Leserbriefe                                          sungsträger. Hinweis: Dieses Heft enthält eine Beilage der
                                                               DGG mbh. Wir bitten um Beachtung.
     34   Impressum

           Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
Humanes Leben - Humanes Leben Humanes Sterben
EDITORIAL   03

                           Liebe Leserinnen und Leser,
                           in zahlreichen Mails und Briefen haben Viele von Ihnen an meiner
                           COVID-19-Erkrankung Anteil genommen und mir gute Besserung ge-
                           wünscht. Einige dieser Briefe haben mich sehr bewegt und ich habe
                           auf einige zurückgeschrieben. Es ist mir jedoch aus zeitlichen Gründen
                           leider unmöglich, auf alle Mails und Briefe persönlich zu antworten, so-
                           dass ich mich im Rahmen dieses Editorials für Ihre aufmunternden
                           Worte und Genesungswünsche herzlich bedanken möchte.

                           Mit Blick auf die im April im Bundestag stattgefundene sog. „Orientie-
                           rungsdebatte“ zu einer möglichen Neuregelung der Suizidhilfe ist fest-
                           zuhalten, dass die Wortbeiträge der meisten Abgeordneten durchge-
                           hend an der Oberfläche und im eigenen Wertekanon stecken blieben. Präsidiumsmit-
                           glied Ursula Bonnekoh nimmt in diesem Heft eine kritische Würdigung der Debatte vor.

                           Anfang Mai entschied der 124. Deutsche Ärztetag über eine wichtige Änderung in der
                           Musterberufsordnung der Ärzte. Mit überwältigender Mehrheit beschloss er, dass der
                           von Anfang an umstrittene Satz 3 des § 16 MBO-Ä: „Sie dürfen keine Hilfe zur Selbst-
                           tötung leisten“ ersatzlos gestrichen wird. Das oberste Gremium der ärztlichen Selbst-
                           verwaltung folgt damit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.2.2020, das
                           auf eine konsistente und insofern verfassungskonforme Änderung des ärztlichen Be-
                           rufsrechts hinwies.

                           Am 26.9.2021 steht die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag an. Die DGHS hat einer
                           guten Tradition folgend auch für diese Bundestagswahl Wahlprüfsteine zusammen-
                           gestellt und sie an die wichtigsten zur Wahl stehenden Parteien gesandt. Wahlprüfsteine
                           sollen die politische Entscheidungsfindung beeinflussen und gleichzeitig unsere par-
                           teipolitische Unabhängigkeit unterstreichen. Wie die Parteien geantwortet haben,
                           können Sie ab Mitte Juli und damit noch vor der Bundestagswahl auf unserer Inter-
                           net-Seite www.dghs.de nachlesen, um möglicherweise Ihre Wahlentscheidung an den
                           Antworten auszurichten. Wir werden gleich nach der konstituierenden Sitzung des
                           neuen Bundestages und der Besetzung der Ausschüsse, insbesondere des Rechts-
                           und Gesundheitsausschusses, mit den neuen rechts- und gesundheitspolitischen
                           Entscheidungsträgern Kontakt aufnehmen, um unsere Sicht einer gesetzlichen Neu-
                           regelung der Suizidhilfe darzustellen und dafür zu werben.

                           Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer und eine anregende und erkenntnisreiche
                           Lektüre des vorliegenden Heftes. Vor allem aber bleiben Sie gesund.

                           Ihr

                           RA Prof. Robert Roßbruch
Bild: DGHS/Oliver Kirpal

                           Präsident der DGHS e. V.

                                                                                                Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
Humanes Leben - Humanes Leben Humanes Sterben
04   AKTUELLES

     Die Wahlprüfsteine der DGHS
     Was wir von den Parteien vor der Bundestagswahl wissen wollen

     Am 26.9.2021 wird über die                                                                    TIPP
     Mehrheitsverhältnisse       im
     nächsten Deutschen Bundes-                                                                    Den Wortlaut des DGHS-Schrei-
     tag entschieden. Doch welche                                                                  bens können Sie gerne auch für
     Partei wird sich für die Inter-                                                               Ihre eigene Korrespondenz mit
                                                                                                   den Kandidaten Ihrer Heimatre-
     essen unseres Vereins am bes-
                                                                                                   gion benutzen. Dazu reißen Sie
     ten einsetzen? Wer steht für
                                                                                                   einfach die nächste Seite her-
     Selbstbestimmung bis zum Le-                                                                  aus, ergänzen Ihre persönlichen
     bensende? Von welchen Kan-                                                                    Daten sowie als Adressaten
     didaten können wir ein Votum                                                                  Name und Büro-Anschrift Ihres
     für ein möglichst hohes Maß                                                                   Wahlkreis-Kandidaten oder der
                                                     Ab Herbst konstituiert sich eine neue
     an Freiheit erwarten?                                                                         Kandidatin. Den jeweiligen Na-
                                                     Regierung. Wir haben die Wahl.
                                                                                                   men finden Sie sicher leicht in
                                                                                                   Ihrer Lokalpresse oder den vie-
                                                                                                                                         Bilder: fotolia-romulj, ccnull_tim_reckmann

            ie schon bei der Bundestagswahl          gen aus verschiedensten Themengebie-
     W      vor vier Jahren haben wir uns dar-
     über Gedanken gemacht und so ge-
                                                     ten ihre jeweiligen Wahlprüfsteine auf
                                                     den Weg. So sind die meisten Parteien
                                                                                                   len Werbeunterlagen.

     nannte „Wahlprüfsteine“ formuliert.             mittlerweile dazu übergegangen, ein ein-   folge) schickten: Alternative für
     Das sind die Fragen, deren Antworten            heitliches formales Verfahren zur Be-      Deutschland, Bündnis 90 / Die Grünen,
     für unsere zukünftige Arbeit und die            antwortung vorzugeben. Daran haben         CDU, CSU, Die Linke, Die Partei (Sati-
     entsprechenden politischen Rahmenbe-            wir uns Anfang April gehalten, als wir     repartei), FDP, Freie Wähler, Liberal-
     dingungen entscheidend sind. Mittler-           unsere Fragen an folgende zwölf Par-       Konservative Reformer, Partei der Hu-
     weile bringen viele Interessenvertretun-        teien (hier in alphabetischer Reihen-      manisten, SPD, Volt.

            Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
Humanes Leben - Humanes Leben Humanes Sterben
Absender:

                                   Anschrift:

                                                                                        Hier bitte falten!

                                   Wahlprüfsteine
                                   der DGHS
                                   Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V.

                                                                                        Hier bitte falten!
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Humanes Leben - Humanes Leben Humanes Sterben
Ort, Datum

                          Wahlprüfsteine 2021
Sehr geehrte Kandidatin, sehr geehrter Kandidat für die Bundestagswahl 2021,

die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) e.V. setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr
1980 für die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen auch im Sterbeprozess ein.
Meinungsumfragen bestätigen seit Jahren, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung ein Recht
auf selbstbestimmtes Sterben will. Das Bundesverfassungsgericht hat am 26.2.2020 geurteilt,
dass es zum Persönlichkeitsrecht gehört, dem eigenen Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen
und dafür auch Hilfe in Anspruch zu nehmen, sofern sie angeboten wird. Der Gesetzgeber kann
ein legislatives Schutzkonzept schaffen.

Die DGHS fordert:
• Änderungen im Betäubungsmittelgesetz, um Ärzten das Verschreiben entsprechender
  Medikamente zur Selbsttötung möglich zu machen.
• Eine verfassungskonforme Änderung der Berufsordnungen von Ärztinnen und Ärzten in
  den Landesärztekammern.
• Aufklärungs- und Informationspflichten auf Seiten der Freitodbegleiterinnen und
  -begleiter über medizinische Alternativen, aber keine Beratungspflicht für die Sterbewilligen.
• Keine Regelung im Strafrecht.

Wir fragen Sie nun:
1) Halten Sie die geltende Rechtslage für ausreichend, um Missbrauch zu ahnden? Können Sie
   sich vorstellen, keine explizite gesetzliche Neuregelung zu schaffen? Wo würden Sie die
   Neuregelung implementieren wollen? Im Strafgesetzbuch, im Bürgerlichen Gesetzbuch oder
   in einem eigenen Suizidhilfegesetz?

2) Welche gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe kann sich Ihre Partei vorstellen? Wie müsste
   diese konkret gestaltet sein? Was wären darin die wichtigsten Punkte?

3) Sehen Sie es als Aufgabe des Staates an, staatlich anerkannte Beratungsstellen für Fragen
   am Lebensende einzurichten oder sollte diese von gesellschaftlichen Gruppen oder privaten
   Anbietern eingerichtet werden?

4) Wie wollen Sie den Pflegeberuf attraktiver machen, um die steigende Zahl von pflegebedürf-
   tigen Personen zu versorgen?

5) Welche Maßnahmen können Sie sich vorstellen, um der zunehmenden Vereinsamung von
   Senioren entgegenzuwirken?

Wir freuen uns auf Ihre Antworten! Bitte schreiben Sie mir direkt oder an presse@dghs.de.

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift
Humanes Leben - Humanes Leben Humanes Sterben
07

                           Dies haben wir die
                           Parteispitzen gefragt:

                           Sehr geehrte Damen und Herren,
                           sehr geehrte Wahlkampfleitung,

                           die Deutsche Gesellschaft für Humanes
                           Sterben (DGHS) e.V. setzt sich seit ihrer
                           Gründung im Jahr 1980 für die Wahrung
                           des Selbstbestimmungsrechts des Ein-
                           zelnen auch im Sterbeprozess ein. Mei-
                           nungsumfragen bestätigen seit Jahren,
                           dass eine breite Mehrheit der Bevölke-
                           rung ein Recht auf selbstbestimmtes
                           Sterben will. Das Bundesverfassungsge-
                           richt hat am 26.2.2020 geurteilt, dass es
                           zum Persönlichkeitsrecht gehört, dem
                           eigenen Leben selbstbestimmt ein Ende
                           zu setzen und dafür auch Hilfe in An-
                           spruch zu nehmen, sofern sie angeboten
                           wird. Der Gesetzgeber kann ein legisla-
                           tives Schutzkonzept schaffen.
                                                                              Auch dieses Jahr kann per Briefwahl abgestimmt werden.
                           Die DGHS fordert:
                           • Änderungen im Betäubungsmittelge-
                           setz, um Ärzten das Verschreiben ent-        richten oder sollte diese von gesell-         chendes Angebot an Beratungsstellen
                           sprechender Medikamente zur Selbst-          schaftlichen Gruppen oder privaten An-        für erforderlich und fordert beim
                           tötung möglich zu machen.                    bietern eingerichtet werden?                  Thema Pflege u. a. einen einheitlichen
                           • Eine verfassungskonforme Änderung                                                        Pflegeschlüssel. In den Wahlprogram-
                           der Berufsordnungen von Ärztinnen            4) Wie wollen Sie den Pflegeberuf at-         men von SPD und Bündnis 90/Die
                           und Ärzten in den Landesärztekam-            traktiver machen, um die steigende Zahl       Grünen ist das Thema Suizidhilfe nicht
                           mern.                                        von pflegebedürftigen Personen zu ver-        aufgegriffen worden. Auch Die Linke
                           • Aufklärungs- und Informationspflich-       sorgen?                                       erwähnt das Thema in ihrem Wahl-
                           ten auf Seiten der Freitodbegleiterinnen                                                   programm nicht. Das Wahlprogramm
                           und -begleiter über medizinische Alter-      5) Welche Maßnahmen können Sie sich           der CDU/CSU war bis Redaktions-
                           nativen, aber keine Beratungspflicht für     vorstellen, um der zunehmenden Ver-           schluss noch nicht veröffentlicht.
                           die Sterbewilligen.                          einsamung von Senioren entgegenzu-               Bei der FDP findet sich ein ganzer
                           • Keine Regelung im Strafrecht.              wirken?                                       Absatz dazu: „Wir Freien Demokraten
                                                                                                                      fordern ein liberales Sterbehilfegesetz.
                           Wir fragen Sie nun:                          Soweit der Wortlaut der diesjährigen          Es soll klar regeln, unter welchen Vor-
                           1) Halten Sie die geltende Rechtslage        Wahlprüfsteine. Bis Redaktionsschluss         aussetzungen Menschen Hilfe zur
                           für ausreichend, um Missbrauch zu ahn-       dieser HLS-Ausgabe lagen erst einige          Selbsttötung in Anspruch nehmen und
                           den? Können Sie sich vorstellen, keine       Eingangsbestätigungen vor. Die „Partei        leisten dürfen. Es muss auch die Mög-
                           explizite gesetzliche Neuregelung zu         der Humanisten“ antwortet uns: „Wir           lichkeit geben, ein letal wirkendes Me-
                           schaffen? Wo würden Sie die Neurege-         halten die aktuelle Rechtslage für nicht      dikament zu erhalten. Voraussetzung
                           lung implementieren wollen? Im Straf-        ausreichend, da sie insbesondere keine        muss sein, dass der Wunsch frei und ei-
                           gesetzbuch, im Bürgerlichen Gesetz-          Rechtssicherheit für behandelnde              genverantwortlich sowie im Vollbesitz
                           buch oder in einem eigenen                   Ärzte darstellt. Weiterhin ist mit dem        der geistigen Kräfte gebildet wurde. Für
                           Suizidhilfegesetz?                           Urteil des Bundesverfassungsgerichts          uns gilt das Selbstbestimmungsrecht
                                                                        zu Paragraf 217 StGB die assistierte          auch am Lebensende.“ Soweit der Aus-
                           2) Welche gesetzliche Neuregelung der        Selbsttötung nicht hinreichend gere-          zug aus dem FDP-Wahlprogramm.
                           Suizidhilfe kann sich Ihre Partei vorstel-   gelt. Wir fordern, dass eindeutige               Bis Anfang Juli haben uns die meisten
                           len? Wie müsste diese konkret gestaltet      Regelungen zur Straffreiheit der              Parteien die Beantwortung in Aussicht
                           sein? Was wären darin die wichtigsten        geschäftsmäßigen und nicht-kommer-            gestellt. Im DGHS-Newsletter und auf
Foto: ccnull_Marco_Verch

                           Punkte?                                      ziellen, aktiven und passiven Sterbe-         unserer Webseite www.dghs.de halten
                                                                        hilfe getroffen werden, die die Selbst-       wir Sie auf dem Laufenden. Wenn Sie
                           3) Sehen Sie es als Aufgabe des Staates      bestimmtheit sterbewilliger Menschen          die HLS nicht zerfleddern wollen, finden
                           an, staatlich anerkannte Beratungsstel-      berücksichtigen.“ Die „Partei der             Sie das Blatt auch auf unserer Website
                           len für Fragen am Lebensende einzu-          Humanisten“ hält zudem ein ausrei-            www.dghs.de.                        Red.

                                                                                                                   Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
Humanes Leben - Humanes Leben Humanes Sterben
08   AKTUELLES

     38 Redebeiträge zur Suizidhilfe
     Bundestag orientiert sich erst einmal

          s sind diese seltenen Gelegenheiten          38 Wortbeiträge zu je drei Minuten        würfen. Sein Text, ein Eckpunktepapier,
     E    im Plenum des Deutschen Bundes-
     tages, dass die Abgeordneten in ihr In-
                                                     sind vorgesehen. Den Beginn machen
                                                     eher konservativ orientierte Abgeord-
                                                                                                 spricht sich für eine Regelung im Straf-
                                                                                                 gesetzbuch (StGB) aus.
     nerstes Einblick gewähren. Manche Po-           nete. Ansgar Heveling (CDU) würde              Als vierte Rednerin spricht Katrin
     litiker berichten Persönliches, andere          gerne eine Strafandrohung für Helfende      Helling-Plahr (FDP), mit deren libera-
     ziehen sich auf ihren Wertekanon zu-            erneut festschreiben, so hat er es in ei-   lem Entwurf die DGHS eher sympathi-
     rück. Am 21. April 2021, einem Mitt-            nem gemeinsamen Eckpunktepapier             siert. Darin ist ausdrücklich von einem
     wochnachmittag, gab es zwei Stunden             mit Hermann Gröhe u. a. notiert. Be-        flächendeckenden Beratungsangebot
     Zeit für Stellungnahmen. Eine so ge-            atrix von Storch (AfD) beschwört die        die Rede. Dr. Petra Sitte (Die Linke)
     nannte „Orientierungsdebatte“ ohne              „Büchse der Pandora“, die eine liberale     pflichtet ihr bei: „Sterbehilfe ist Le-
     konkrete Abschlussabstimmung war an-            Regelung öffnen würde. Sie wertet einen     benshilfe.“
     beraumt, Anlass: die Frage, wie nach            Suizid stets als „Ausdruck von Ver-            Für den dritten vorliegenden Gesetz-
     dem Urteil des Bundesverfassungsge-             zweiflung“. CDU-Politiker Prof. Dr.         entwurf steht Renate Künast (Bünd-
     richts vor 15 Monaten nun mit der Frage         Lars Castelucci ist einer der Autoren       nis 90/Die Grünen), die bei den Sterbe-
     der Suizidhilfe umzugehen sei.                  von insgesamt drei ersten Gesetzent-        willigen nach Vorliegen einer schweren

     Kurz nach Ostern war die Orientierungsdebatte im Bundestag anberaumt.

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                                                                                                         Krankheit differenzieren will. „Ein         Existenz von Beratungsstellen lehnt sie
                                                                                                         rechtssicherer Weg“ werde benötigt.         ab, es müsse Schutz vor „Druck und vor
                                                                                                         Nach weiteren Wortbeiträgen von Ver-        irreversiblen Entscheidungen“ geben.
                                                                                                         tretern aller Fraktionen mahnt Dr. Kirs-    SPD-Politiker Professor Dr. Edgar
                                                                                                         ten Kappert-Gonther (B 90/Die Grü-          Franke betont, dass nach dem Urteil
                                                                                                         nen) ein „Schutzkonzept“ an. Hermann        durch den Gesetzgeber ein Rahmen ge-
                                                                                                         Gröhe (CDU), einstmals Bundesge-            schaffen werden muss.
                                                                                                         sundheitsminister, bedauert die Ge-            In seiner Eigenschaft als Abgeordne-
                                                                                                         richtsentscheidung ausdrücklich. Er         ter geht Jens Spahn (CDU), der amtie-
                                                                                                         hatte sich sehr für den alten § 217 StGB    rende Bundesgesundheitsminister, ans
                                                                                                         stark gemacht. Eher als Befürworter des     Rednerpult. Er hebt auf die „Fürsorge-
                                                                                                         Urteils präsentieren sich Dr. Wieland       pflicht des Staates“ ab. Als er von dem
                                                                                                         Schinnenburg (FDP) und Gesine               Urteil gehört hat, habe er „schwer                Zwischen den einzelnen Redebei-
                                                                                                         Lötzsch (Die Linke).                        schlucken“ müssen. Wieder betont er,              trägen wird das Pult desinfiziert.
                                                                                                                                                     dass es keine Verpflichtung des Staates
                                                                                                         Unterschiedliche Meinungen                  geben könne, geeignete Medikamente
                                                                                                         Der einstige Wortführer für eine Straf-     zur Verfügung zu stellen. Der noch nicht      Behandlung des Themas oder gar einer
                                                                                                         rechtsverschärfung, Michael Brand           veröffentlichte Arbeitsentwurf aus sei-       Verabschiedung eines der vorliegenden
                                                                                                         (CDU), ist heute Sprecher für Men-          nem Ministerium sieht einen regulatori-       Gesetzestexte vor der Bundestagswahl
                                                                                                         schenrechte und (sic!) humanitäre Hilfe.    schen Rahmen vor, der Ärzte schützen          nicht zu rechnen ist. Also gilt weiterhin
                                                                                                         In seinem Beitrag geht es darum, dass       solle, der Aufklärung und ein Werbe-          die aktuelle Gesetzeslage. Es ist erlaubt,
                                                                                                         die Schwachen vor der Suizidhilfe ge-       verbot vorsieht und die Umsetzung von         was nicht verboten ist. Suizidhilfe für
                                                                                                         schützt werden müssten. Ein Abgeord-        Suizidhilfe nur durch Ärzte und durch         Menschen, die ihren dauerhaften Ent-
                                                                                                         neter der AfD, der Jurist Thomas Seitz,     gemeinnützige Vereine erlauben will.          schluss aus freien Stücken gefasst ha-
                                                                                                         vertrat die Auffassung, „Ärzte müssen          Nach einigen weiteren Rednern endet        ben, nicht von Dritten beeinflusst sind
                                                                                                         helfen dürfen“ und lehnt Tabuisierung       die Orientierungsdebatte kurz vor halb        und Einsichtsfähigkeit aufweisen, kann
                                                                                                         ab. Für eine Rüge durch den Sitzungs-       sechs. Dem offiziellen Protokoll konnten      nicht bestraft werden. Es sei denn, die
                                                                                                         präsidenten sorgt die SPD-Politikerin       noch ergänzende Wortbeiträge einge-           Helfer haben gegen andere geltende
                                                                                                         Kerstin Griese, weil sie in ihrem Furor     reicht werden.                                Gesetze oder eine der ärztlichen Lan-
                                                                                                         gegen die Suizidhilfe ihre Redezeit über-      Die Legislaturperiode endet in weni-       desberufsordnungen (die bald geändert
                                                                                                         zieht. Eine „Normalisierung“ durch die      gen Monaten, so dass mit einer weiteren       werden dürften!) verstoßen.            we

                                                                                                         Der Bundestag debattierte über Suizidhilfe –
Bild: Deutscher Bundestag/Christian Fischer; Deutscher Bundestag/Simone M. Neumann; DGHS/Oliver Kirpal

                                                                                                         eine kritische Einschätzung
                                                                                                         EIN KOMMENTAR    VON   PRÄSIDIUMSMITGLIED DIPL.-PÄD. URSULA BONNEKOH

                                                                                                              m 21. April debattierte der Deut-      persönlichen Werte vortra-                            Vorstellungen zu sterben.
                                                                                                         A    sche Bundestag zwei Stunden lang
                                                                                                         über Suizidhilfe. 38 Abgeordneten stan-
                                                                                                                                                     gen und damit bereits eine
                                                                                                                                                     Ausrichtung der Gesetzge-
                                                                                                                                                                                                           Wenn es überhaupt ein Ge-
                                                                                                                                                                                                           setz geben soll, müsste es si-
                                                                                                         den jeweils drei Minuten Redezeit zur       bung vorgeben. Letztend-                              cherstellen, dass freiverant-
                                                                                                         Verfügung. Es ist immer positiv und         lich führt das zu einem Ge-                           wortliche Suizide ohne
                                                                                                         interessant, wenn Volksvertreterinnen       setz nach eigenem Gusto                               unverhältnismäßige Hürden
                                                                                                         und Volksvertreter ihre persönlichen        der Abgeordneten. Es geht                             möglich sind. Es darf keinen
                                                                                                         Einstellungen, Erfahrungen und auch         aber nicht darum, dass                                paternalistischen Fürsorge-
                                                                                                         Werte offenlegen und austauschen. Zu        Gruppen von Abgeordne-          Ursula Bonnekoh,      anspruch geben, wie er bei
                                                                                                         kritisieren an dieser Debatte ist aller-    ten ihre persönlichen Wert-     Präsidiumsmitglied.   einem großen Teil der Ab-
                                                                                                         dings, dass es eben nicht nur um einen      vorstellungen in Gesetzes-                            geordneten zum Ausdruck
                                                                                                         kollegialen Gedankenaustausch ging,         form gießen und damit den Bürgerinnen kam. Das Bundesverfassungsgericht hat
                                                                                                         sondern dass die Debatte im Hinblick        und Bürgern auferlegen. Sie würden da-     in seinem Urteil vom 26. Februar 2020
                                                                                                         auf eine gesetzliche Neuregelung der        mit unrechtmäßig in die Selbstbestim-      zum § 217 StGB festgestellt:
                                                                                                         Suizidhilfe erfolgte.                       mung von Individuen eingreifen.              „Die Entscheidung des Einzelnen, dem
                                                                                                           Da erscheint es höchst bedenklich,           Es kann nicht sein, dass eine Interes-  eigenen Leben entsprechend seinem Ver-
                                                                                                         wenn Mitglieder des Bundestags ihre         sensgruppe uns alle zwingt, nach ihren ständnis von Lebensqualität und Sinn-

                                                                                                                                                                                                Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
Humanes Leben - Humanes Leben Humanes Sterben
10   AKTUELLES

     haftigkeit der eigenen Existenz ein Ende                                                     die dadurch entstehen kann, dass Dritte
     zu setzen, entzieht sich einer Bewertung                                                     Druck ausüben. Vor einer Suizidhilfe
     anhand allgemeiner Wertvorstellungen,                                                        müsse unbedingt ausgeschlossen sein,
     religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leit-                                                  dass Dritte einen Menschen zum Suizid
     bilder für den Umgang mit Leben und                                                          drängen. Aber auch das Umgekehrte ist
     Tod oder Überlegungen objektiver Ver-                                                        denkbar, dass Dritte Druck ausüben, um
     nünftigkeit. Sie bedarf keiner weiteren                                                      einen freiverantwortlichen Suizid zu ver-
     Begründung oder Rechtfertigung, son-                                                         hindern. Dies kann z. B. geschehen
     dern ist im Ausgangspunkt als Akt auto-                                                      durch psychischen oder moralischen
     nomer Selbstbestimmung von Staat und                                                         Druck, Vorenthalten von Informatio-
     Gesellschaft zu respektieren.“ Rn 210                                                        nen, Behinderung des Zugangs zu Sui-
                                                                                                  zidhilfen     oder     ungerechtfertigte
        Damit verbietet es sich, dass persönli-                                                   (Zwangs)-Einweisungen in die Psychia-
     che Wertvorstellungen oder Überzeu-                                                          trie. Insbesondere in die Versorgung von
     gungen von Mitgliedern des Bundesta-                                                         schwer kranken Menschen sind einige
     ges Richtschnur für eine gesetzliche                                                         Gruppen involviert, die neben einem
     Regelung werden. Menschen, die auf-                                                          weltanschaulichen oder einem morali-
     grund ihrer Wertvorstellungen ein na-             Im Bereich für Zuhörer gilt viel Ab-       schem auch ein persönliches Interesse
     türliches Sterben unter palliativer Be-           stand.                                     am Weiterleben der Sterbewilligen ha-
     gleitung für den richtigen Weg halten,                                                       ben: Hospize, Krankenhäuser, Pflege-
     haben genauso das Recht, diesen zu ge-          lich ist, auch in ein arztunabhängiges Si-   dienste, Pharmaindustrie, Angehörige
     hen wie Menschen, die eine Fortsetzung          cherungskonzept gebracht werden kann.        usw. Teilweise haben diese Gruppen
     ihres Lebens unter den gegebenen Be-            Nur Renate Künast und Katja Keul ha-         auch ein finanzielles Interesse daran,
     dingungen und Alternativen für nicht            ben dafür einen Plan, der aber im Detail     ihre „Kunden“ länger zu behalten. All
     mehr wünschenswert oder sinnvoll er-            in vielen Punkten zu kritisieren ist. Dann   das wurde weder in der Debatte noch in
     achten. Nur so kann jede Person ihre            ist da noch die Gruppe derjenigen, die       den bisher vorgelegten Gesetzesent-
     Selbstbestimmung ausüben. Dazu ge-              einen möglichst unabhängigen Suizid in       würfen bedacht.
     hört, dass man die Entscheidungen an-           Eigenregie und ohne Begleitung wol-
     derer Menschen, die diese aufgrund an-          len. Selbst wenn man die Größe dieser        Ausüben von Rechten
     derer Wertvorstellungen treffen,                Gruppe nicht genau kennt, muss auch          Last but not least ist die Konzentration
     tolerieren muss. Man kann jedoch nicht          für sie ein verantwortlicher Weg gefun-      auf schwer, schwerst oder final Er-
     seine eigenen für alle anderen verbind-         den werden, will man sie nicht als irre-     krankte zu einseitig. Die Diskussion
     lich machen. Auch nicht dadurch, dass           levant betrachten und unberücksichtigt       über Suizidhilfe fokussiert häufig auf
     man die Verwirklichung einer freiver-           lassen.                                      ärztlich assistierten Suizid als eine Hilfe,
     antwortlichen Lebensbeendigung mit                                                           um schweres Leiden an Krankheitszu-
     möglichst hohen Hürden so schwer wie            Druck durch Dritte?                          ständen vorzeitig zu beenden. Von Bi-
     möglich macht. Das würde dem Geist              In der Debatte war häufig vom Schutz         lanz- und Alterssuiziden war in dieser
     des Urteils und dem Menschenbild des            vulnerabler Gruppen die Rede. Dabei          Debatte wenig zu hören. Schließlich ent-
     Grundgesetzes nicht gerecht werden.             wurde immer wieder auf die Gefahr für        steht spätestens bei den zahlreichen vor-
        „Der Verfassungsordnung des Grund-           psychisch Kranke hingewiesen. Ihr            gesehenen Beratungen, Prüfungen und
     gesetzes liegt ein Menschenbild zugrunde,       Schutz vor nicht freiverantwortlichen        Inspektionen der Eindruck, als würde
     das von der Würde des Menschen und              Suiziden ist unbedingt sicherzustellen.      den Sterbewilligen letztendlich „Gnade“
     der freien Entfaltung der Persönlichkeit        Wenn durch ein psychiatrisches Fach-         zuteil, wenn der Zugang zu Suizidhilfe
     in Selbstbestimmung und Eigenverant-            gutachten festgestellt wird, dass trotz      „gewährt“ wird.
     wortung bestimmt ist. Dieses Menschen-          Vorliegen einer psychiatrischen Er-            Dann muss man nach dem ganzen
     bild hat Ausgangspunkt jedes regulatori-        krankung, die Person in der Lage ist, ei-    Prozedere auch noch einen Arzt finden,
     schen Ansatzes zu sein.“ Rn 274                 nen freiverantwortlichen Sterbewillen        der zur Suizidhilfe bereit ist – nochmals
                                                     zu bilden und dieser Wunsch nicht das        eine Abhängigkeit von der Zustimmung
     Ein anderer Punkt, den man kritisch be-         Symptom der Krankheit darstellt, muss        eines Dritten. Mitgefühl, Empathie und
                                                                                                                                                 Bild: Deutscher Bundestag/Henning Schacht

     trachten kann, ist die ausschließliche          auch sie ihr Recht auf selbstbestimmte       daraus resultierende Hilfsbereitschaft
     Bindung der Suizidhilfe an einen Arzt.          Lebensbeendigung ausüben können.             sind wertvolle menschliche Eigenschaf-
     Was soll ein Mann wie Herr Gärtner              Dazu sind fundierte fachliche Überle-        ten und Fähigkeiten. Dennoch geht es
     (der Protagonist in dem Theaterstück            gungen notwendig, wie beides durch ent-      hier nicht um ein „Gewähren“ von Hil-
     „GOTT“ von Ferdinand von Schirach),             sprechende Regelung erreicht werden          fen, sondern um die Ausübung verfas-
     der sterben möchte, ohne krank zu sein,         kann. Beides muss gewährleistet sein –       sungsrechtlich gesicherter Rechte. Das
     bei einem Arzt?                                 Schutz wo nötig, Ausübung von Selbst-        Bundesverfassungsgericht hat seine
       Folglich wäre zu überlegen, inwieweit         bestimmung wo möglich.                       ganze Urteilsbegründung auf das Selbst-
     eine Abgabe von Natrium-Pentobarbi-             Viele Rednerinnen und Redner thema-          bestimmungsrecht in allen Krankheits-
     tal, wenn sie denn endlich einmal mög-          tisierten die Gefahr für die Autonomie,      und Lebensphasen gegründet.

            Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
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                                                Suizidhilfe-Verbot wird aus
                                                Musterberufsordnung gestrichen
                                                Eindrücke vom Deutschen Ärztetag am 4./5. Mai 2021

                                                       it großer Spannung wurde der          statement: „Wir wollen eine                              Dr. Klaus Reinhardt,
                                                M      diesjährige Deutsche Ärztetag er-
                                                wartet. Eines der zentralen Themen war
                                                                                             grundlegende Debatte füh-
                                                                                             ren. Wir konnten leider
                                                                                                                                                      der Präsident der
                                                                                                                                                      Bundesärztekam-
                                                                                                                                                      mer, führte durch
                                                die Reaktion der Berufsvertretung auf        nicht voriges Jahr beim Ärz-                             die zweitägige Ver-
                                                das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das     tetag diskutieren, weil die-                             anstaltung und be-
                                                für die Suizidhilfe neue Voraussetzungen     ser wegen Corona nicht                                   grüßte die meisten
                                                schuf. Die Ärztinnen und Ärzte muss-         stattfinden konnte. Zwei                                 Delegierten über
                                                                                                                                                      Video-Zuschaltung.
                                                ten darauf reagieren.                        elementare Aspekte: Wel-
                                                  Nachdem der Deutsche Ärztetag im           che Rolle Ärzte bei der Su-
                                                vorigen Frühjahr pandemiebedingt             izidassistenz übernehmen
                                                komplett entfiel, war für den April die-     wollen/sollen/nicht übernehmen wollen?         wir. Für uns ist das mehr: Der Vereinsa-
                                                ses Jahres die in Rostock vorgesehene        Zweitens wollen wir die MBO in den             mung entgegenwirken, Jugendliche er-
                                                Veranstaltung als Hybrid-Modell ange-        Blick nehmen. Wichtig: Es geht NICHT           reichen. Suizidassistenz ist keine ärztli-
                                                dacht. Letztlich fand die Tagung als reine   um Sterbehilfe, sondern um Suizidhilfe.“       che Aufgabe“, sagt Reinhardt. Er sei
                                                Online-Veranstaltung an zwei Tagen           Er teile die Kritik des Bundesgesund-          Begleitender, nicht einer, der assistiert.
                                                statt. Während das Präsidium und we-         heitsministers an dem Gerichtsurteil und       Er könne es sich aber für den Einzelfall
                                                nige Gäste in einem Berliner Hotel sa-       meint, dass das Urteil eine Tendenz zur        vorstellen, dass er einen Freitodwunsch
Bild: fotolia-psdesign, Bundesärztekammer (2)

                                                ßen, waren die meisten Delegierten per       Überhöhung des Autonomiebegriffs hat.          begleite. Man stehe am Beginn einer
                                                Video-Kontakt und Chat dabei.                Es sei schwierig, Sterbewunsch als Aus-        grundsätzlichen Debatte, die das Selbst-
                                                                                             druck von Autonomie anzuerkennen.              verständnis der Ärzte prägen wird.
                                                Wichtiger                                       Ein umfassendes Schutzkonzept sel-            Dr. Josef Mischo, Präsident der Lan-
                                                Tagesordnungspunkt                           ber zu entwickeln sei nicht Aufgabe des        desärztekammer des Saarlandes, be-
                                                Er war angekündigt als TOP IV „Kon-          Ärztetags, so Reinhardt.                       tonte in seinem Redebeitrag, er sei froh,
                                                sequenzen des Urteils des BVerfG zum            Ein Beitrag für Prävention seien An-        dass es nicht um die Tötung auf Verlan-
                                                § 217 StGB – Allgemeine Aussprache“.         laufstellen, regionale Verbünde etc. „Ich      gen gehe. Es geht heute „nur“ um die
                                                Ärztekammer-Präsident Dr. Klaus              denke, dass Politiker unter Suizidprä-         Streichung des Satzes 3 des Artikels 16
                                                Reinhardt betonte in seinem Eingangs-        vention etwas was anderes verstehen als        der MBO, dass Ärzte keine Hilfe zur

                                                                                                                                         Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
12   AKTUELLES

                                                                                                Menschen ohne lebensverkürzende und
                                                                                                schwere Erkrankungen? Dafür könn-
                                                                                                ten Ärzte doch kaum die richtigen ers-
                                                                                                ten Ansprechpartner sein. Es hieß:
                                                                                                „Menschen mit Wunsch nach Bilanzsu-
                                                                                                izid sind keine eigentlichen Patienten“
                                                                                                und „Es soll wohl eine neue Art des
                                                                                                Sterbens geben“. Mit Blick auf die in
                                                                                                den jeweiligen Bundesländern gelten-
                                                                                                den Berufsordnungen, die sich an der
                                                                                                zur Debatte stehenden Musterberufs-
                                                                                                ordnung orientieren, war den Diskutan-
                                                                                                ten wichtig, dass verantwortlich helfende
                                                                                                Ärzte keine Sanktionen befürchten
                                                                                                müssen.

                                                                                                Debatte ist noch lange nicht
                                                                                                zu Ende
     Dass das Berufsrecht nicht verfassungswidrig sein darf, war bei den Dele-                  Schließlich endet die Debatte zum
     gierten des Ärztetages Konsens.                                                            Thema Suizidhilfe am Mittwochnach-
                                                                                                mittag um 16.30 Uhr. Es liegen einige
                                                                                                konkrete Anträge vor, über die zügig ab-
     Selbsttötung leisten dürfen. Allen Be-          sion ist überfällig“; „Wir sprechen mit    gestimmt wird. Das Ergebnis: Der seit
     teiligten präsent war die nur zwei Wo-          unseren Patienten noch viel zu wenig       dem Jahr 2011 in § 16 geltende Satz
     chen zuvor stattgefundenen Bundes-              übers Sterben“; „Der Satz 2 zur aktiven    „Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttö-
     tagsdebatte zur Suizidhilfe und die             Sterbehilfe MUSS bleiben“. Aber was        tung leisten“ wird gestrichen. Ergänzt
     unterschiedlichen ersten Gesetzesent-           ist, wenn man die Suizidhilfe nicht an-    wird eine Formulierung: „Die Mitwir-
     würfe. Mischo dazu: „Einer der Gesetz-          biete? Geht der Gesprächsfaden zum         kung an einer Selbsttötung ist keine
     entwürfe will Ärzten eine zentrale Rolle        Patienten dann verloren?                   ärztliche Aufgabe“. Dass die Debatte
     zuweisen. Das wollen wir nicht.“ Denk-             Wenn die Ärzte keine zu zentrale        auch innerhalb der Ärzteschaft noch
     bar sei für ihn, diese Frage nicht explizit     Rolle spielen wollen, stellt sich zum      lange nicht an einem Ende angelangt ist,
     zu regeln. Als Grundlage für weiteres           wiederholten Male die Frage, wer dann?     war allen klar. Zudem warte man auf
     Vorgehen solle ein ausführliches Dis-           „Vielleicht brauchen wir eine neue Be-     weitere Entscheidungen der Politik.
     kussionspapier des Vorstands dienen.            rufsgruppe für die Menschen, die nicht        In einer aktuellen Presse-Erklärung
     Für die Aussprache und die Beschluss-           krank sterben wollen“, war eine der        (DGHS-PE vom 6.5.2021) freute sich
     fassung waren in der Tagesordnung ins-          Überlegungen. Bei schwersterkrankten       DGHS-Präsident RA Prof. Robert Roß-
     gesamt vier Stunden eingeplant.                 Patienten sei am Ende die Palliativ- und   bruch über das Signal des Ärztetages.
                                                     Hospizversorgung die erste Wahl. Dass      Nun dürfte es für Betroffene deutlich
     Diskussionsbedarf war da                        dabei eine kleine Gruppe von Menschen      leichter sein, ihren Hausarzt oder einen
     Auf der Rednerliste stehen sogleich 22          übrigbleiben kann, deren Qualen selbst     anderen Arzt oder eine Organisation
     Personen. Die jeweilige Redezeit wird           die beste Palliativmedizin nicht helfen    auf das Thema Freitodbegleitung anzu-
     auf je drei Minuten, später zwei Minuten        kann, wurde zugestanden. Doch was ist      sprechen und auf Hilfestellung zu hof-
     begrenzt. Ein paar Zitate aus der De-           mit einer weiteren Gruppe, der mit den     fen.                        Wega Wetzel
     batte: „Wir sollten keine billige Rich-
     terschelte betreiben“; „Öffentlichkeit
     erwartet von uns Positionierung zu dem
                                                     Info

     Thema“; „Die nächsten Jahre werden                      (Muster-)Berufsordnung für Ärzte (2011 bis Mai 2021):
     Veränderung bringen“; „Wir wollen                       § 16 Beistand für Sterbende
     keine holländischen Verhältnisse“ (mit                  Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und
     Blick auf Vorbild Niederlande); „Es be-                 unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientin-
     steht Regelungsbedarf für Politik“; „Wir                nen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe
     werden Satz 3 streichen müssen“.                        zur Selbsttötung leisten.
       Deutlich wurde bei den Meinungs-
     beiträgen aber auch, dass die Ärztinnen
     und Ärzte sich dem Gesprächsbedarf                      (Muster-)Berufsordnung für Ärzte (neu ab 2021):
     ihrer Patienten stellen wollen. „Die To-                § 16 Beistand für Sterbende
     deswünsche sind meist ambivalent“, gab                  Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und
     eine Medizinerin aus Sachsen zu be-                     unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientin-
     denken. Andere sagten: „Die Diskus-                     nen und Patienten auf deren Verlangen zu töten.

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                               Ein außergewöhnlicher katholischer
                               Theologe ist gestorben
                               Zum Tod von Hans Küng (93), Träger des von der DGHS verliehenen
                               Arthur-Koestler-Preises 2013

                               VON PROF. DR. DR. H. C. DIETER BIRNBACHER

                                    ie DGHS trauert um einen der pro-                                                             rungsbandes „Erlebte
                               D    minentesten katholischen Theolo-
                               gen des 20. Jahrhunderts, der sich
                                                                                                                                  Menschlichkeit“.
                                                                                                                                  „Theologe und Christen-
                                                                                                                                                           Als

                               wiederholt und nachdrücklich für die                                                               mensch“, so formulierte
                               Freiheit des Menschen zu einem selbst-                                                             er in einer seiner letzten
                               bestimmten Sterben bekannte. Für die                                                               Stellungnahmen           zur
                               DGHS war Hans Küng bis in seine letz-                                                              Frage des selbstbestimm-
                               ten Lebensjahre hinein ein guter Freund,                                                           ten Sterbens, sei für ihn
                               der regelmäßig Kontakt hielt und die                                                               das Leben zwar eine
                               Arbeit der Gesellschaft wohlwollend be-                                                            Gabe Gottes. Aber damit
                               gleitete.                                                                                          sei es zugleich „in unsere
                                                                                                                                  verantwortliche Verfü-
                               Er brach mit Dogmen                                                                                gung gegeben“. Niemand
                               Hans Küng war ein außergewöhnlicher                                                                solle zum Sterben ge-
                               katholischer Theologe. Er entsprach nur                                                            drängt, aber auch nie-
                               wenig den Erwartungen, die sich mit die-                                                           mand zum Leben ge-
                               sem Berufsstand verbinden. Er war ein                                                              zwungen werden.
                               „Mann von Welt“, der sich in der Welt                                                                 Außergewöhnlich war
                               der Mächtigen der Staaten und Reli-                                                                Hans Küng vor allem da-
                               gionsgemeinschaften bewegte und dem                                                                durch, dass er nicht nur zu
                               es um den Frieden in der Welt mehr als                                                             den vielen Theologen ge-
                               um den Frieden mit Gott ging. Seine                                                                hörte, die mit den Dog-
                               Theologie war eher zukunfts- als ver-                                                              men der Kirche hadern,
                               gangenheitsorientiert und inspiriert von                                                           der sie gleichwohl loyal
                               weltlich-menschlichen Bedürfnissen –                                                               verbunden bleiben, son-
                               nach Sinnfindung, Orientierung, Schutz                                                             dern dass er zu den weni-
                               und Tröstung im Leiden. Sein Rebellen-                                                             gen gehörte, die dies in al-
                               tum richtete sich deshalb nicht generell                                                           ler Öffentlichkeit taten
                               gegen alle Dogmen und Autoritäten. Es                                                              und es dabei auch auf den
                               richtete sich auf genau diejenigen, die                                                            Bruch mit der Kurie an-
                               ihre Orientierungsfunktion seit langem                                                             kommen ließen. Mut und
                               eingebüßt haben, weil sie in eine von                                                              Unabhängigkeit bewies er
                               der Aufklärung und der Idee der De-                                                                nicht zuletzt in seinen zah-
                               mokratie geprägte Zeit nicht mehr pas-                                                             leichen öffentlichen Auf-
                               sen.                                          Hans Küng nahm 2013 mit Freude von Elke Baez-        tritten. Allen, die bei ei-
                                  Zu diesen Dogmen zählt das bis heute       ner den Arthur-Koestler-Preis der DGHS entge-        nem oder mehreren dabei
                               von der Amtskirche aufrechterhaltene          gen. Prof. Birnbacher (re.) hielt damals die Lau-    waren, wird Hans Küng
                                                                             datio.
                               Dogma von der Unverfügbarkeit des ei-                                                              als glänzender Redner in
                               genen Todes und der Unzulässigkeit je-                                                             Erinnerung bleiben. Sel-
Bilder: DGHS/Herby Sachs (2)

                               der aktiven Form von Sterbehilfe. Mit      ben?“, dann in seinem Beitrag zu dem ten war er allerdings so überzeugend
                               diesem Dogma hat sich Hans Küng in         zusammen mit Walter Jens veröffent-        und authentisch wie dann, wenn er, der
                               mehr als einer Phase seines Denkens        lichten Band „Menschenwürdig ster-         das qualvolle Sterben seines früh ver-
                               und Schaffens auseinandergesetzt – das     ben“ von 1995, schließlich im Schluss-     storbenen Bruders Georg miterlebt
                               erste Mal in Vorlesungen von 1981, ver-    kapitel seines letzten, die Summe seines hatte, für ein selbstbestimmtes und
                               öffentlicht unter dem Titel „Ewiges Le-    Lebensrückblicks ziehenden Erinne-         selbstverantwortetes Sterben eintrat.

                                                                                                                  Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
14   WISSEN

     Eine Reform des Betreuungsrechts
     tritt zum 1.1.2023 in Kraft
     Das Recht betreuter Menschen auf Selbstbestimmung wird verbessert

     VON RECHTSANWALT DR.      JUR.   OLIVER KAUTZ

           er Gesetzgeber hat im                               eingeführt, das alle über den     mit zukünftig unzulässig. Außerdem wird
     D     Mai 2021 die Umset-
     zung von wichtigen Vorha-
                                                               bisherigen Vermittlungsauf-
                                                               trag der Betreuungsbehörde
                                                                                                 die Geltung des Erforderlichkeitsgrund-
                                                                                                 satzes ausdrücklich auch für die Anord-
     ben bewerkstelligt: die Ein-                              hinausgehenden Maßnahmen          nung eines jeden einzelnen Aufgaben-
     führung eines Ehegattenver-                               umfasst, die geeignet sind, die   bereichs bestimmt.
     tretungsrechts sowie die Re-                              Bestellung eines Betreuers
     form des Betreuungsrechts.                                zu vermeiden, und die keine       Rechtlicher Vorrang der
     Die Neuregelungen wurden                                  rechtliche Vertretung des Be-     Wünsche der Betreuten
     am 4.5.2021 vom Bundestag                                 troffenen durch die Behörde       Mit der Normierung dieses Grundsatzes
     verabschiedet und am             Dr. Oliver Kautz.        erfordern.                        wird ein grundsätzlicher Vorrang der
     12.5.2021 im Bundesgesetz-                                                                  Wünsche des Betreuten als zentraler
     blatt veröffentlicht. Die Reform widmet Voraussetzungen der                                 Maßstab des Betreuerhandelns und des
     sich vielen, teilweise oft monierten Pro- Betreuerbestellung                                Betreuungsrechts vorgesehen. Dem
     blempunkten in der Betreuung und soll In § 1814 BGB als der zentralen Norm                  Wunsch des Betroffenen nach einem
     überkommene Defizite im Umgang mit für die Voraussetzungen der Bestellung                   bestimmten Betreuer – vorausgesetzt,
     Betreuungsbedürftigen ausräumen.              eines Betreuers soll künftig anders als       er ist geeignet – wie auch seiner Ableh-
                                                   im geltenden Recht der objektive Be-          nung eines bestimmten Betreuers soll
     Erforderlichkeitsgrundsatz                    treuungs- und Unterstützungsbedarf,           grundsätzlich entsprochen werden. Dabei
     Ein übergeordnetes Ziel des Entwurfs also die Feststellung, dass der Volljährige            bleibt die Ehrenamtlichkeit weiterhin
     ist es, für eine bessere Umsetzung des nicht in der Lage ist, seine Angelegen-              das gesetzgeberische Leitbild der recht-
     sog. Erforderlichkeitsgrundsatzes im heiten zu besorgen, als erste Vorausset-               lichen Betreuung. Soweit der Betroffene
     Vorfeld, aber auch innerhalb der Be- zung genannt werden. Damit wird der                    den möglichen Betreuer vor dessen Be-
     treuung zu sorgen. Die Reform des Be- Kritik an der Formulierung in § 1896                  stellung nicht kennt, soll ihm auf Wunsch
     treuungsrechts zielt damit vornehmlich Absatz 1 BGB begegnet, diese sei zu                  ein persönliches Gespräch zum Ken-
     auf eine Stärkung des Selbstbestim- stark auf die medizinische Feststellung                 nenlernen ermöglicht werden, das durch
     mungsrechts und der Autonomie unter-          von Defiziten der betreffenden Personen       die Betreuungsbehörde zu vermitteln
     stützungsbedürftiger Menschen. Der Er-        fokussiert.                                   ist und im BtOG neu geregelt wird
     forderlichkeitsgrundsatz besagt, dass                                                       (§ 12 Absatz 2 BtOG). Das Mittel der
     eine Betreuung nur angeordnet werden Aufgabenkreis des Betreuers                            Stellvertretung soll der Betreuer nur
     darf, wenn sämtliche, einer Betreuungs- Mit § 1815 BGB wird eine eigenständige              dann einsetzen dürfen, wenn dies unbe-
     anordnung vorgelagerten sozialrecht- Vorschrift zum Umfang der Betreuung                    dingt erforderlich ist, weil der Betreute
     lichen Hilfen nicht mehr aussichtsreich geschaffen, der im Wesentlichen folgen-             im konkreten Fall zu einer eigenen ver-
     sind, um den Betroffenen ausreichend den Regelungsinhalt hat: Als „Aufga-                   nunftbestimmten Handlung nicht in der
     zu versorgen (§ 1814 Abs. 3 BGB).             benkreis“ wird weiterhin die Gesamtheit       Lage ist (§ 1821 BGB).
        Die neuen Regelungen sehen ver- der vom Betreuer zu regelnden Aufgaben
     schiedene Maßnahmen zur effektiveren bezeichnet, einzelne Bestandteile des                  Bessere gerichtliche
     Umsetzung des Erforderlichkeitsgrund- Aufgabenkreises bzw. die konkret zu                   Kontrolle der Betreuer
                                                                                                                                             Bilder: DGHS-Archiv, pxhere.com

     satzes im Vorfeld der Betreuung, insbe- regelnden Bereiche hingegen nunmehr                 Im betreuungsrechtlichen System ist das
     sondere an der Schnittstelle zum Sozi- neu als „Aufgabenbereiche“. Es wird                  Betreuungsgericht der Garant der rechts-
     alrecht, vor. Neben notwendigen Klar- klargestellt, dass die Aufgabenbereiche               staatlich gebotenen Sicherung der Qua-
     stellungen zum Verhältnis von Betreu- vom Betreuungsgericht im Einzelnen                    lität der Betreuungsführung durch die
     ungsrecht und Sozialrecht wird im Be- angeordnet und konkret bezeichnet wer-                ihm obliegende laufende Beratung sowie
     treuungsorganisationsgesetz das Instru- den müssen. Die Anordnung einer Be-                 die Ausübung der Aufsicht und Kontrolle
     ment einer „Erweiterten Unterstützung“ treuung in allen Angelegenheiten ist da-             der Betreuertätigkeit. Die Kontrolle des

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                                                                                              Das neue BtOG regelt die Zuständigkeit
                                                                                              der Betreuungsbehörden in den §§ 1 ff
                                                                                              BtOG und verpflichtet diese gemäß § 8
                                                                                              BtOG zur Ausschöpfung von Beratungs-
                                                                                              und Unterstützungsangeboten, um die
                                                                                              Anordnung einer Betreuung nach Mög-
                                                                                              lichkeit zu vermeiden.

                                                                                              Ehegattenvertretung
                                                                                              Das Gesetz sieht darüber hinaus die
                                                                                              Verbesserung der Beistandsmöglichkei-
                                                                                              ten unter Ehegatten in Akut- oder Not-
Künftig gibt es ein dreimonatiges Notvertretungsrecht für den Ehepartner.                     situationen vor. Hierzu wird dem Ehe-
                                                                                              gatten zeitlich begrenzt eine Möglichkeit
                                                                                              eröffnet, den handlungsunfähigen Ehe-
Betreuerhandelns im Rahmen der Auf-          treuungsgericht den Betreuten künftig            gatten in einer Krankheitssituation zu
sicht ist ein wichtiges Instrument zum       persönlich anzuhören.                            vertreten. Das Vertretungsrecht be-
Schutz des Betreuten vor einer über-            In § 1863 Absatz 1 BGB wird ein               schränkt sich auf die Angelegenheiten
mäßigen oder sogar missbräuchlichen          obligatorischer Anfangsbericht über die          der Gesundheitssorge und damit eng
Ausübung der dem Betreuer mit der            persönlichen Verhältnisse des Betreuten          zusammenhängende Angelegenheiten.
Bestellung eingeräumten (Eingriffs-)Be-      eingeführt, der mit Übernahme der Be-            Es setzt voraus, dass der behandelnde
fugnisse durch eine unabhängige Stelle.      treuung zu erstellen ist, und der Angaben        Arzt bestätigt hat, dass der vertretene
Eine solche Kontrolle erscheint insbe-       zu der persönlichen Ausgangssituation            Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit
sondere deshalb rechtsstaatlich geboten,     des Betreuten, den Betreuungszielen,             oder einer Krankheit diese Angelegen-
weil der Staat mit der Betreuerbestellung    den bereits durchgeführten und beab-             heiten rechtlich nicht besorgen kann.
einer Privatperson erhebliche Eingriffs-     sichtigten Maßnahmen sowie zu den                Ein Vertretungsrecht besteht nicht, wenn
befugnisse überträgt und der Betroffene      Wünschen des Betreuten hinsichtlich              die Ehegatten getrennt leben, dem Ehe-
regelmäßig nicht in der Lage ist, die        der Betreuung zu enthalten hat. Durch            gatten oder dem Arzt bekannt ist, dass
ordnungsgemäße Wahrnehmung dieser            dieses neue Instrument, das in der ge-           der erkrankte Ehegatte einer Vertretung
Befugnisse durch den Betreuer zu kon-        richtlichen Praxis bereits zum Teil genutzt      widersprochen hat oder wenn in anderer
trollieren. Durch einen Ausbau der ge-       wird, sollen eine möglichst frühzeitige          Weise Vorsorge getroffen wurde, etwa
richtlichen Kontrolle – in der Regel         Einbindung des Betreuten und eine Er-            durch eine Vorsorgevollmacht, oder ein
durch den Rechtspfleger – sollen Pflicht-    mittlung von dessen Wünschen durch               Betreuer für den relevanten Aufgaben-
widrigkeiten des Betreuers, die das          Betreuer und Betreuungsgericht erreicht          bereich bestellt ist
Selbstbestimmungsrecht des Betreuten         werden.                                             Um den Betroffenen eine Übergangs-
beeinträchtigen, besser erkannt und ge-                                                       zeit einzuräumen, in der sie sich fachlich
gebenenfalls auch sanktioniert werden        Auskunfts- und Mitteilungs-                      und organisatorisch auf die Änderungen
können. Hierdurch und durch spezielle        pflichten des Betreuers                          einstellen können, tritt die Reform erst
Kriterien für die Auswahl eines kon-         Schließlich werden in § 1864 BGB sämt-           zum 1.1.2023 in Kraft. Es ist davon aus-
kreten Betreuers soll ein höherer Qua-       liche bisher an unterschiedlichen Stellen        zugehen, dass die Betreuungsgerichte
litätsstandard erreicht werden.              geregelten Auskunfts- und Mitteilungs-           bereits vor Geltung der neuen Rege-
   In § 1862 Absatz 1 BGB wird künftig       pflichten des Betreuers zusammengefasst          lungen diese bereits im Rahmen des
für alle Maßnahmen der gerichtlichen         und um die Pflicht ergänzt, über die             rechtlich Zulässigen anwenden werden.
Kontrolle und Aufsicht an zentraler          jährliche Berichtspflicht hinaus dem Be-         Für alle Beteiligten sind die geänderten
Stelle bestimmt, dass diese sich an dem      treuungsgericht wesentliche Änderungen           Regelungen zu begrüßen. Für den Be-
Maßstab des § 1821 Absatz 2 bis 4 BGB        der persönlichen und wirtschaftlichen            treuten wird es mehr Selbstbestimmung
zu orientieren haben. Wünsche des Be-        Verhältnisse des Betreuten unverzüglich          geben, für die anderen Beteiligten mehr
treuten, hilfsweise sein mutmaßlicher        mitzuteilen, damit das Gericht zeitnah           Rechtssicherheit und mehr Unterstüt-
Wille, sind im Hinblick auf konkret an-      in die Lage versetzt wird, seiner Auf-           zung. Das Reformvorhaben erscheint
stehende Maßnahmen zu ermitteln und          sichtspflicht nachzukommen.                      gelungen. Ob die Regelungen ausreichen,
im Rahmen der gesetzlichen Grenzen              Sämtliche öffentlich-rechtlich gepräg-        bleibt abzuwarten.
umzusetzen. Wenn Anhaltspunkte dafür         ten Vorschriften zu Betreuungsbehörden,
vorliegen, dass der Betreuer pflichtwidrig   Betreuungsvereinen sowie ehrenamt-
                                                                                                      Rechtsanwalt
den Wünschen des Betreuten entgegen          lichen und beruflichen Betreuern werden
                                                                                                      Dr. Oliver Kautz
den Vorgaben des § 1821 Absatz 2 bis 4       im Betreuungsorganisationsgesetz
BGB nicht oder nicht in geeigneter           (BtOG) zusammengefasst. Damit werden                     Perzheimstr. 24
Weise entspricht oder seinen Pflichten       bisher in verschiedenen Gesetzen vor-                    86150 Augsburg
gegenüber dem Betreuten in anderer           gesehene Rechtsnormen als auch das                       Telefon 08 21/51 70 21
Weise nicht nachkommt, hat das Be-           Betreuungsbehördengesetz aufgehoben.                     Telefax 08 21/15 22 17

                                                                                           Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
16   SERVICE

                                   2021
     Veranstaltungskalender

                                                     Juli bis September

     Veranstaltungen sind, von Ausnahmen abgesehen, kosten-
     los und öffentlich.
                                                                     Wichtiger Hinweis: Dieses Jahr finden wieder Delegier-
                                                                      tenwahlen statt. Nehmen Sie Ihre Rechte als Mitglied
                                                                         wahr und wählen Sie im entsprechenden Bezirk Ihre
     Einzelsprechstunden werden nur für DGHS-Mitglieder an-              Delegierten! Ein Verein lebt durch die Mitwirkung sei-
     geboten.                                                            ner Mitglieder!

     Meldungen zu Veranstaltungen im vierten Quartal 2021 kön-      Zu den Delegiertenwahlen (vgl. § 9 DGHS-Satzung sowie
     nen (wie Manuskripte oder HLS-Artikel) noch bis 15.8.2021      Vereinsordnung) beachten Sie bitte die angegebenen Ter-
     berücksichtigt werden. Bitte setzen Sie sich rechtzeitig mit   mine. Die DGHS-Satzung kann kostenlos bei der Geschäfts-
     Frau Wiedenmann, Tel. 0 30/2 12 22 33 70, Fax 0 30/21 22 23    stelle angefordert werden.
     37 77 in Verbindung oder schreiben Sie uns. Die Redaktion
     behält sich vor, bei zu spät gemeldeten Veranstaltungen ent-   Der Veranstaltungskalender kann leicht aus der Heftmitte
     sprechende Hinweise nicht mehr abzudrucken.                    entnommen und z. B. an die Pinnwand gehängt werden.
                                                                    Damit haben Sie die DGHS-Termine immer zur Hand.

      Der Veranstaltungskalender ist auch im Internet, ggf.
       mit ergänzenden Hinweisen, zu finden: www.dghs.de,           Änderungen vorbehalten; alle Angaben ohne Gewähr.
          Rubrik „Veranstaltungen“.                                 n = DGHS, l = andere Veranstalter

                                  VERANSTALTUNGEN NACH ORTEN VON A-Z

     n Augsburg: 6./13./20./27.7.2021; 3./10./17./24./31.8.2021;    n Köln: 23.9.2021

        7./14./21./28.9.2021                                        n Leipzig: 21.8.2021

     n Bad Neuenahr: 17.7.2021, 24.7.2021                           n Mainz: 4.9.2021

     n Braunschweig: 17.7.2021                                      n München: 22.7.2021

     n Dresden: 4.9.2021                                            n Neustadt an der Weinstraße: 27.8.2021

     n Gießen: 7./14./21./28.7.2021; 4./11./18./25.8.2021;          n Saarbrücken: 3.9.2021

        1./8./15./22./29.9.2021                                     n Stuttgart: 2.9.2021

     n Hannover: 17.9.2021                                          n Zwickau: 28.8.2021

            Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
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TERMIN           REFERENTEN/THEMA                           ORT                                      VERANSTALTER
                                                                                                     ANMELDUNG/AUSKUNFT
n     6.7.2021   Einzelgespräche                            Augsburg                                 Gerhard Rampp
    13.7.2021    Gerhard Rampp: Die DGHS bietet die         Zentrum des Bundes für                   Tel. 01 76/41 73 09 38
    20.7.2021    Möglichkeit zur persönlichen Beratung      Geistesfreiheit Augsburg
    27.7.2021    an den aufgeführten Terminen.              Haunstetter Str. 112 (direkt an der      Um Voranmeldung wird gebeten
    jeweils                                                 Straßenbahnhaltestelle „Sportanlage      für den Fall, dass die Sprech-
    dienstags                                               Süd“)                                    stunde bereits belegt ist oder
                                                            18.00-19.30 Uhr                          ausnahmsweise entfällt.

n    7.7.2021    Einzelgespräche                            Gießen                                   Wigbert Rudolph
    14.7.2021    Wigbert Rudolph: Die DGHS bietet die       Informationen zum Veranstaltungsort      Tel. 06 41/7 31 15
    21.7.2021    Möglichkeit zur persönlichen Beratung      und zur Uhrzeit erhalten Sie bei Ihrer   W.Rudolph@RWC-Advokat.de
    28.7.2021    an den aufgeführten Terminen.              Anmeldung.
    jeweils                                                                                          Um rechtzeitige Anmeldung wird
    mittwochs                                                                                        gebeten.

n 17.7.2021      Gesprächskreis                             Bad Neuenahr                             Anmeldung erforderlich:
    Samstag      Volker Leisten/Klaus Vogt: DAS             Haus der Familie/                        Volker Leisten
                 LEBENSENDE SELBST BESTIMMEN!               Mehrgenerationenhaus                     Tel. 0 24 49/20 71 13
                 Alle Optionen rechtssicher im Überblick    Weststraße 6 (Eingang über den Hof)      v.leisten@t-online.de
                 Vortrag – Diskussion                       15.00-17.00 Uhr
                 Wegen Begrenzung der Teilnehmerzahl        Achtung: Neuer Tagungsort!               Klaus Vogt
                 wird die Veranstaltung am 24.7.2021                                                 Tel. 0 26 33/20 04 56
                 wiederholt.                                                                         rac@gmx.de

n   17.7.2021    Gesprächskreis                             Braunschweig                             Elke Neuendorf, Leiterin
    Samstag      Elke Neuendorf: Was tut sich in            Brunsviga – Kulturzentrum                der DGHS-Kontaktstelle
                 der DGHS? Bericht über die aktuelle        Karlstr. 35                              Niedersachsen/Bremen
                 Situation zur Sterbehilfe.                 15.00 Uhr
                                                                                                     Eine Anmeldung ist – Corona-
                                                                                                     bedingt – zwingend erforderlich:
                                                                                                     Elke.Neuendorf@dghs.de
                                                                                                     Tel. 05 11/2 34 41 76

                                                                                                     Bitte Anmeldebestätigung
                                                                                                     abwarten.

n   22.7.2021  Gesprächskreis                               München                                  Gerhart Groß, Leiter der
    Donnerstag Gerhart Groß: Aktuelle Themen aus der        Ratskeller am Marienplatz                DGHS-Kontaktstelle Bayern
               DGHS incl. FTB, der Gesetzgebung und         Raum: der sog. „Sumpf“                   Anmeldung erbeten:
               Rechtsprechung, Tipp: Kontaktoptionen        15.00 Uhr                                gerhart.gross@dghs.de
               für Einsame etc.                                                                      Tel. 01 72/2 70 91 49
               Gerhart Groß berichtet und beantwortet
               Ihre Fragen.                                                                          Aktueller Coronahinweis:
                                                                                                     Teilnahme nur für nachweislich
                                                                                                     Geimpfte, Genesene und Getes-
                                                                                                     tete, notfalls ist ein Schnelltest in
                                                                                                     der Rathausapotheke möglich.
                                                                                                     Für Wege von außen zum sowie
                                                                                                     außerhalb des Veranstaltungs-
                                                                                                     raums ist das Tragen einer
                                                                                                     Maske vorgeschrieben.

n   24.7.2021    Gesprächskreis                             Bad Neuenahr                             Anmeldung erforderlich:
    Samstag      Volker Leisten/Klaus Vogt: DAS LEBENS-     Haus der Familie/                        Volker Leisten
                 ENDE SELBST BESTIMMEN!                     Mehrgenerationenhaus                     Tel. 0 24 49/20 71 13
                 Alle Optionen rechtssicher im Überblick    Weststraße 6 (Eingang über den Hof)      v.leisten@t-online.de
                 Vortrag – Diskussion                       15.00-17.00 Uhr
                                                            Achtung: Neuer Tagungsort!               Klaus Vogt
                                                                                                     Tel. 0 26 33/20 04 56
                                                                                                     rac@gmx.de

n    3.8.2021    Einzelgespräche                            Augsburg                                 Gerhard Rampp
    10.8.2021    Gerhard Rampp: Die DGHS bietet die         Zentrum des Bundes für                   Tel. 01 76/41 73 09 38
    17.8.2021    Möglichkeit zur persönlichen Beratung an   Geistesfreiheit Augsburg
    24.8.2021    den aufgeführten Terminen.                 Haunstetter Str. 112 (direkt an der      Um Voranmeldung wird gebeten
    31.8.2021                                               Straßenbahnhaltestelle „Sportanlage      für den Fall, dass die Sprech-
    jeweils                                                 Süd“)                                    stunde bereits belegt ist oder
    dienstags                                               18.00-19.30 Uhr                          ausnahmsweise entfällt.

                                                                                         Humanes Leben · Humanes Sterben 2021-3
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