JAHRESSCHRIFT 2020 DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR CHRONOMETRIE - Christian Doppler Wissensplattform
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Michael Neureiter Simon Stampfer. Der Mathematiker, Geodät und Physiker und seine zwei Turmuhren für Lemberg und Salzburg Bei einem Symposium in Salzburg anlässlich des 200. Geburtstags von Christian Doppler erklärte der Physiker Anton Zeilinger, derzeit Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, den »Doppler-Effekt« zum »Jahrtausend-Effekt«. »Christian Doppler ist damit der für die Menschheit bedeutendste Salzburger.«1 In Verbindung mit Doppler gab und gibt es in Salzburg auch eine aktive Erinnerung an des- sen Lehrer am Akademischen Gymnasium in Salzburg und Vorgänger auf dem Lehrstuhl für Geodäsie am Polytechnischen Institut (ab 1872 Technische Hochschule, seit 1975 Technische Universität) in Wien, Simon Stampfer. Simon Stampfer, ein Osttiroler in Salzburg und Wien Simon Stampfer wurde am 26. 10. 1790 in Win- disch Matrei (Matrei in Osttirol, Tirol, damals zum Fürsterzbistum Salzburg gehörig) gebo- ren. Er besuchte das Franziskanergymnasium in Lienz und ab 1807 das Gymnasium und Lyzeum in Salzburg, gleich neben der Kollegienkirche. Hier befand sich die Benediktineruniversität, die 1810 vom Königreich Bayern aufgelöst und in ein Abb. 1: Simon Stampfer in einer Lithografie von Lyzeum umgewandelt wurde. Josef Kriehuber 1842. Nach der Lehramtsprüfung in München 1814 u. a. in Mathematik und Naturwissenschaften konnte Stampfer ohne bayerische Staatsbürger- tarmathematik am Lyzeum und unterrichtete schaft sein Lehramt nicht ausüben und gab zwei auch Physik.2 Jahre Nachhilfe. Ab 1816 unterrichtete er vertre- 1816 erbat Steinmetzmeister Johann Dopp- tungsweise Elementarmathematik und Physik ler von Simon Stampfer einen Rat betreffend am Lyzeum und am Gymnasium in Salzburg. Ab die Ausbildung seines 1803 geborenen Sohns 1819 war er Ordentlicher Professor für Elemen- Christian. Wissenschaftshistoriker Peter Schus-
150 MICHAEL NEUREITER – B AD VIGAUN ter nannte das »einen der größten Glücksfälle der erarbeitete er die theoretischen Grundlagen für Wissenschaftsgeschichte«. Stampfer nahm sich deren praktische Neuerungen. Er entwickelte des Dreizehnjährigen an, entdeckte schnell des- das dialytische Fernrohr und bewirkte die Er- sen außerordentliche mathematische Begabung richtung der ersten Hütte für optisches Glas in und riet dem Vater, dem Buben eine höhere Bil- Wien. Damit war Österreich nicht mehr auf Im- dung zu ermöglichen. Christian Doppler kam portware angewiesen. im gleichen Jahr, in dem Salzburg an Österreich Auf physikalischem Gebiet publizierte er über fiel, in das sechsjährige Gymnasium.3 Eigenschaften von Wasser, über Alkoholmeter, Ab 1815 befasste sich Stampfer mit Astrono- über die Ausliterung von Fässern (»Stampfer- mie und dürfte 1816 die Genehmigung erhalten scher Weinvisierstab«) und über Zeitmessung. haben, im Turm des Schlosses Mirabell ein astro- Im Bereich der Zeitmessung konstruierte er nomisches Observatorium zu errichten.4 Der ba- die Turmuhren für Lemberg und Salzburg und rocke Mittelturm samt Sternwarte wurde Opfer publizierte über die Prüfung eines Chronome- des Stadtbrands 1818. Ab 1817 forschte er an der ters und verglich ihn mit vielen vorzüglichen Sternwarte des Stifts Kremsmünster. Später be- Chronometern.6 rechnete er die Sonnenfinsternisse 1842 und 1851 1847 war Simon Stampfer Gründungsmitglied sowie die Durchmesser kleiner Planeten. der Österreichischen Akademie der Wissen- 1816 und in den Folgejahren nahm Stampfer an schaften. der Landvermessung in Folge der neuen Grenz- 1848 wurde er als Professor für Praktische ziehung zwischen Österreich und Bayern teil. Er Geometrie in den Ruhestand versetzt: Ein Schlag machte Versuche über die Schallgeschwindigkeit auf den Kopf, den er als Kind durch ein fallendes bei großem Höhenunterschied und entwickelte Holzstück erlitten hatte, bewirkte ein hartnäcki- 1822 Logarithmentafeln. In diesem Jahr heiratete ges Leiden im Kopf und am rechten Arm, ver- er Johanna Wagner. bunden mit Schwerhörigkeit, mit Höhepunkt in 1825 wurde am Polytechnischen Institut in den Jahren 1843 bis 1847. Mit 58 Jahren lernte er, Wien der Lehrstuhl für Praktische Geometrie mit der linken Hand zu schreiben. frei. Stampfer, »der augenscheinlich darunter litt, 1849 wurde Stampfer in den Adelsstand erho- dass das nach unten ›reformierte‹ Lyzeum keine ben, er hieß nun »Simon Ritter von Stampfer«. wissenschaftliche Forschung mehr zuließ«, be- Im Jahr darauf traf ihn der Tod von zwei seiner warb sich, bekam den Ruf nach Wien »und bat Kinder, beide wegen Lungentuberkulose: Die seinen Nachfolger in Salzburg, Christian Doppler jüngere Tochter Barbara Maria und Sohn Anton, unter seine Fittiche zu nehmen«.5 Er trat seinen hochbegabt und dazu ausersehen, als Nachfolger Dienst in Wien 1826 an. seines Vaters und Christian Dopplers weiterzu- Gemeinsam mit dem Mechaniker Christof wirken. Die ältere Tochter Louise heiratete 1853 Starke entwickelte Simon Stampfer zahlreiche seinen Nachfolger am Lehrstuhl am Polytechni- geödätische, optische und astronomische Instru- schen Institut ab 1856, Joseph Philipp Herr.7 1856 mente, die aufgrund ihrer Präzision Weltruhm starb seine Gattin Johanna. erlangten (darunter das Optometer 1832, das Von 1849 bis 1851 leitete er das Institut noch Spärometer, ein optischer Entfernungsmesser, weiter, weil sein Nachfolger Christian Doppler ein Planimeter). 1836 erhielt er ein Patent für bereits auf den ersten Lehrstuhl für Physik der ein Nivelliergerät mit der Stampferschen Mess- Universität Wien berufen worden war. Danach schraube. Er führte Maßvergleiche durch und befasste er sich »mit dem ungeschwächten Feuer setzte sich vorerst erfolgreich gegen die Einfüh- der Jugend«8 aber nur mehr mit der Himmels- rung des metrischen Maßsystems ein. kunde, »der von Anfang an seine ganze Leiden- 1833 erfand er die »stroboskopische Scheibe«, schaft gegolten hat«. die dem Betrachter den Eindruck eines laufen- Simon Stampfer starb nach einem Schlaganfall den Bildes ermöglicht. »Dieses Prinzip weiter- am 10. 11. 1864 in Wien. 1894 wurde eine kleine entwickelnd, schuf er die ersten Grundlagen Gasse im 13. Bezirk nach ihm benannt, 1993 er- für den Film.« Als Berater für Wiener Optiker hielt der Kleinplanet 1950 DD seinen Namen.9
SIMON STAMPFER UND SEINE ZWEI TURMUHREN FÜR LEMBERG UND SALZBURG 151 Die Salzburger Kollegienkirche und ihre burg« auch mit einer Turmuhr zu versehen: Dafür Zifferblätter im Wandel sprechen die sechs Zifferblätter, die er auf der Vor- Der Salzburger Fürsterzbischof Johann Ernst derseite und der Rückseite sowie an den Seiten der Graf von Thun und Hohenstein (1687 – 1709) beiden Türme vorsah. Ein Beleg dafür sind auch schuf 1694 die Voraussetzung: Bisher waren die die Stundenzeiger, die der Architekt in seiner Fas- Benediktiner gezwungen gewesen, die Universi- sadenansicht 1721 an den beiden Türmen ausge- tätsgottesdienste in jenem Saale zu feiern, »alwo führt hat.12 (Von den fünf Glocken, die 1707 / 1708 man sonsten die Comoedien und andere prophana angeschafft wurden, ist noch eine erhalten.)13 zu exhibieren pflegt«,10 der heutigen Universitäts- Im gleichen Jahr schuf Johann Michael Rott- aula. »Man kann ohne Zweifel davon ausgehen, mayr das Altarbild für den östlichen Seitenaltar: dass (Johann Bernhard) Fischer von Erlach von Es zeigt den hl. Karl Borromäus bei der Pest in Anfang an als inventierender Baumeister vorgese- Mailand unter den Sterbenden, im Hintergrund hen war, denn er hat im engeren Sinne sämtliche ist die Universitätskirche dargestellt – auch bei Hauptprojekte des Erzbischofs durchgeführt …«11 Rottmayr trägt das Zifferblatt des linken Turms Die Kirchweihe fand am 20. November 1707 statt. einen Zeiger. Ähnlich die Darstellung der Uni- Fischer von Erlach hatte sicher die Absicht, die versitätskirche in Gold-Eglomise von Josef Döl- »neue Kirchen zu Unserer Lieben Frauen zu Saltz- zer aus Mondsee, 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts.14 Abb. 2: Die Schauseite der Kirche aus dem Altarblatt von Rottmayr.15
152 MICHAEL NEUREITER – B AD VIGAUN Von den Darstellungen abgesehen wäre das Tittmoning geschaffen hatte. Diese Werke wie- Vorhandensein eines Turmuhrwerks schon ab sen in der Regel nur einen Stundenzeiger auf. dem Bau der neuen Kirche naheliegend, auch Das Fürsterzbistum Salzburg war im 18. Jahr- wenn in den zahlreichen Rechnungen kein Uhr- hundert stark vom Interesse der Landesfürsten macher aufscheint: Erzbischof Johann Ernst war für Uhren geprägt, neben Erzbischof Johann auch Auftraggeber des Salzburger Glockenspiels. Ernst ist auch Erzbischof Leopold Anton Frei- Er erwarb 1695 35 Glocken beim Glockengießer herr von Firmian (1727 – 1744) zu erwähnen, Melchior de Haze in Antwerpen. 1698 unter- dem »Uhrenfreundlichkeit« und »Uhrenleiden- nahm der Salzburger Uhrmachermeister Jere- schaft« attestiert werden.18 Schwer vorstellbar, mias Sauter (1650 – 1709) eine Informationsreise dass die Universitätskirche keine Turmuhr ge- über die Errichtung von Glockenspielen in die habt haben soll. Spanischen Niederlande, 1702 begann er mit Es gibt also Hinweise für und Hinweise der Errichtung des Spielwerks für den Glocken- gegen ein Turmuhrwerk der Kollegienkirche spielturm.16 Sauter hat als »Klein Groß Hoff und im 18. Jahrhundert: Dafür spricht auch, dass ein Landtuhrmacher« auch zahlreiche Turmuhr- teilweise erhaltener Schlaghammer in der Glo- werke im Auftrag des Hofs geschaffen, ein Auf- ckenstube in die Barockzeit verweisen dürfte, trag betreffend ein Turmuhrwerk für die neue dagegen spricht, dass »im Jahr 1783 der Einbau Universitätskirche ist zu vermuten, aber nicht zu der alten Domuhr mit sechs freskierten Ziffer- belegen.17 blättern geplant« war: Die sechs Zifferblätter Falls schon im 18. Jahrhundert ein Uhrwerk waren nachweislich vorhanden, aus Kostengrün- vorhanden war, wies es wohl einen Spindelgang den kam das Projekt nicht zur Ausführung.19 Im mit Kurzpendel auf, wie Jeremias Sauter es z. B. Salzburger Dom hatte Johann Bentele sen. 1782 für 1693 im Auftrag von Erzbischof Johann Ernst ein neues Turmuhrwerk eingebaut, das Vorgän- für die Burgkapelle im bis 1816 salzburgischen gerwerk, die »alte Domuhr«, war 1683 von Jere- Abb. 3: Das Turmuhrwerk 1693 der Schlosskapelle Tittmoning.
SIMON STAMPFER UND SEINE ZWEI TURMUHREN FÜR LEMBERG UND SALZBURG 153 mias Sauter gebaut worden. Es ist aber unwahr- In den Franzosenkriegen wurde die bisherige scheinlich, dass man ein vorhandenes Werk mit Universitätskirche ab 1800 als Kriegsgefange- einem anderen aus einer ähnlichen baulichen nenlager bzw. als Heu-, Stroh- und Haferma- »Generation« ersetzen wollte. Ein Kupferstich gazin zweckentfremdet. Nach einer Instandset- von Jacobus Harrewyn (vor 1697) zeigt auch zwei zung wurde die Kirche 1812 erneut geweiht. Nach Zifferblätter des Doms mit je einem Zeiger. und nach erfolgten auch Renovierungen und Der Publizist Lorenz Hübner berichtete in sei- Bestandsergänzungen. Eine Turmuhr bzw. eine ner Beschreibung der Stadt Salzburg 1792 nicht neue Turmuhr (anstelle einer verloren gegan- nur vom Ausbau einer noch früheren Domuhr genen?) ließ weiter auf sich warten. »1838 sind beim Abbruch des Doms 1599, sondern auch von dann erneut Bestrebungen zur Anschaffung einer der »Universitätskirche: zwischen diesen Pilastern nach den Entwürfen Fischer von Erlachs immer sind über 20 Fuß hohe an die Wand gemahlte vorgesehenen Turmuhr angestellt worden, die nun Uhrtafeln befindlich, hinter denen aber die Uhr offenbar endlich Erfolg hatten.«21 Die turmuhr- fehlt«.20 lose Zeit der Kirche neigte sich dem Ende zu. Abb. 4: Im Marmorboden unter der Kuppel erinnert noch heute ein Brandfleck an die Kriegszeiten, in denen die Kirche profaniert wurde.
154 MICHAEL NEUREITER – B AD VIGAUN Abb. 5: Franz von Kurz schuf 1829 dieses Aquarell der nunmehrigen Lyzealkirche, auf den Zifferblättern sind keine Zeiger zu sehen. Der Balken zwischen dem rechten Turm und dem Mittelteil oberhalb des Zifferblatts trägt vermutlich die Minutenwelle, die vom Uhrwerk im rechten Turm zu den Zifferblättern im linken Turm führte? Simon Stampfers Turmuhr für Lemberg Steigrad, Anker und Pendel, ganz aus Gußeisen Als Astronom und Geodät war Simon Stampfer besteht, und die hinsichtlich ihres genauen Gan- immer um eine genaue Zeitmessung bemüht: Er ges unstreitig zu den besten Thurmuhren Wiens erhielt 1838 vom Gubernium Lemberg (Galizien) gehört, denn sie kömmt öfter während vielen Wo- den Auftrag zur Lieferung einer neuen Turmuhr chen nicht aus der Minute.«22 Ganz offensichtlich für das neue Lemberger Rathaus. gab es also schon in den Zwanzigerjahren des Stampfer hatte eine Erfahrung mit einem 19. Jahrhunderts Turmuhren aus Gusseisen: »In Großuhrwerk: »Die gräflich Wrmna’sche (richtig: neuerer Zeit hat man angefangen, Thurmuhren Wrbna’sche) Eisengießerei zu Horowitz in Böh- von Gußeisen zu verfertigen.«23 men liefert Thurmuhren in verschiedener Größe. Für den Rathausturm in Lemberg wurde eine Im hiesigen polytechnischen Institute ist eine sol- ähnliche Uhr in der Werkstätte des Instituts che Uhr aus der genannten Gießerei schon über hergestellt, die gusseisernen Bestandteile bezog 10 Jahre als Hausuhr im Gange, welche, außer man aus der Gießerei in Böhmen. Das Werk war
SIMON STAMPFER UND SEINE ZWEI TURMUHREN FÜR LEMBERG UND SALZBURG 155 Abb. 6: Das Rathaus von Lemberg, von 1827 bis 1835 im Stil des Wiener Klassizismus errichtet.
156 MICHAEL NEUREITER – B AD VIGAUN dreiteilig mit Gehwerk und zwei Schlagwerken, die hintereinander lagen – unüblich für die meist nebeneinander angeordneten Industrieuhren.24 Simon Stampfer fasste seine Verbesserungen zwei Jahre nach der Installation des neuen Werks in einem umfangreichen Beitrag für die »Jahrbü- cher des kaiserlichen und königlichen polytechni- schen Institutes in Wien« zusammen:25 Erstens war ihm die »tägliche Störung« wäh- rend des Aufziehens wichtig: Er beantwortete sie mit der bekannten Feder des Gegengesperrs. Ein zweites Anliegen war ihm der Isochro- nismus und die mit der Veränderung der Pen- dellänge erforderliche Kompensation der Uhr- pendel. Dabei setzte er sich vor allem mit den Arbeiten des britischen Physikers und Astrono- men Henry Kater (1777 – 1835) auseinander. Dann ging Stampfer auf den Ausschlagwinkel des Pendels ein und auf die Widerstände, die einem immer gleichen Ausschlag entgegenste- hen. Außerdem ging er auf Christiaan Huygens ein: Dieser habe »an der gemeinen Zykloide oder Radlinie die merkwürdige Eigenschaft entdeckt, vermöge welcher ein durch die Schwerkraft getrie- bener Punkt, der gezwungen ist, auf dieser Kurve sich zu bewegen, immer dieselbe Zeit braucht, bis zum tiefsten Punkte (dem Scheitel der Zykloide) zu fallen, der zu durchlaufende Bogen mag groß oder klein seyn.« Die »Unvollkommenheit der ausübenden Mechanik« habe dazu geführt, dass man diese Idee wieder verließ und das Bestreben dahin gehe, »die Veränderlichkeit des Ausschlag- winkels bei einem kreisförmig schwingenden Pen- del möglichst klein und unschädlich zu machen.« Ein weiteres Anliegen war Stampfer, dass das Gehwerk einer Turmuhr die Auslösung der Schlagwerke und die »schweren und oft weit fort- geführten Gestänge und mittels dieser die Zeiger sammt ihren Vorlagwerken in Bewegung (zu) set- zen«. Abb. 7: Die Abbildungen zu Stampfers Als sechstes Thema sprach er die Hemmungen Turmuhrwerk für Lemberg26 an und plädierte für den Stiftengang, »da diese Hemmung sehr einfach ist, einen ruhigen Gang gibt, und einen großen Spielraum des Ausschlages zuläßt.« Der Mathematiker, Geodät und Physiker führte für das Jahrbuch seines Instituts aus, wel- che Lösungen beim Uhrwerk für den »neuen
SIMON STAMPFER UND SEINE ZWEI TURMUHREN FÜR LEMBERG UND SALZBURG 157 Rathhausthurm zu Lemberg« realisiert wurden, vom Gehwerke nur alle Minuten ausgelöst wird, das aus Gusseisen gefertigt wurde und Bodenrä- wodurch springende Minuten entstehen, und das der mit 24 Zoll (63,2 cm) Durchmesser aufwies: Gehwerk von der Reibung in den Zeigerstangen, »Mit dieser Uhr wurde eine bessere Einrichtung von der Einwirkung des Windes auf die Zeiger etc. des Pendels und der Hemmung verbunden, und für unabhängig gemacht wird.« Stampfer trennte also letztere der sogenannte Stiftengang gewählt. Ferner das Gehwerk vom Laufwerk. Im Gehwerk wies sollte nicht das Gehwerk unmittelbar durch starre das Mittelrad die Stifte zur Auslösung der Minu- Gestänge die Zeiger treiben, sondern dieß einem ten (im Laufwerk) und das Bodenrad die Stifte besonderen Laufwerke überlassen werden, welches zur Auslösung des Viertelschlagwerks auf. 27 Er
158 MICHAEL NEUREITER – B AD VIGAUN empfahl, das Gehwerk unmittelbar mit dem Ge- macher Josef Geist (1772-nach 1836), der u. a. stell des Laufwerks zu verbinden, wodurch die 1822 die 1712 gebaute Turmuhr auf dem Grazer Minutenauslösung wesentlich erleichtert werde. Schlossberg erneuerte:28 Dieser habe »schon vor Später kam Stampfer auch auf die Dimensio- vielen Jahren« Turmuhren eingerichtet, indem nen zu sprechen: Wenn zusätzlich zum Gehwerk er das Gehwerk »in einen Regulator verwandelte, ein besonderes Laufwerk, das er auch »Regula- und diesen durch eine astronomische Pendeluhr tor« nennt, für die Bewegung der Zeiger sorge, alle Minuten auslösen ließ«.29 »so ist es unnöthig, das Gehwerk in der Größe zu Für die Auslösung der springenden Minute bauen, welche bei Thurmuhren üblich ist, sondern durch das Gehwerk sah Stampfer einen Draht- selbes kann ungleich kleiner seyn«. Er verwies in zug zum Laufwerk/Regulator vor. Von diesem diesem Zusammenhang auf den Grazer Uhr- erfolgte die Bewegung der Zeiger über Gestänge. Stampfer war wichtig, dass die Auslösestifte des Gehwerks für die Minuten und die Viertelstun- den so exakt standen, dass der Minutensprung und der Viertelschlag exakt passten.31 Das Pendel wies ein Pendelgewicht aus Guss- eisen mit ca. 70 Pfund (ca. 39,3 kg) auf, hing an einer 9,6 cm langen englischen Stahlfeder und hatte die Form von zwei Zylindersegmen- ten. Die Kompensation der Länge der eisernen Pendelstange beschrieb Simon Stampfer so: »In Fig. 1 ist ab eine Stange von Zink, welche auf den Hebel cef wirkt, der bei c seinen Drehpunkt hat, und am andern Ende f das Pendel trägt. Das Stück be ist von Stahl und durchbrochen, um die Achse des Ankers durchzuführen.«32 Die Kompensation ergab sich also durch das Zusammenwirken der Ausdehnungen der Zinkstange bzw. der eisernen Pendelstange. Besonders intensiv setzte sich Stampfer bei seiner Konstruktion des Turmuhrwerks Lem- berg mit dem Zykloidenpendel auseinander: Er beschrieb neben Berechnungen auch die Her- stellung von Zykloidenbacken aus Buchsholz und Metall und seine Beobachtungen und for- mulierte eine ausgiebige Anleitung zur Herstel- lung von zykloidischen Backen. Schließlich stellte Stampfer fest, dass das Bo- genstück einer Zykloide von einem Kreise sehr wenig abweiche: Es dränge sich die Frage auf, »in wie ferne sich eine Kompensation der verschiede- Abb. 8: Das Gehwerk in Stampfers Beitrag über das Werk für Lemberg weist einen Stiftengang (»Älterer Stiftengang«) auf und zeigt in der Pendelaufhängung die Zykloidenbacken unterhalb der Aufhängung der Pendelfeder.30
SIMON STAMPFER UND SEINE ZWEI TURMUHREN FÜR LEMBERG UND SALZBURG 159 Abb. 9: Darstellung der Kompensa- tion der Länge der eisernen Pendel- stange durch eine Zinkstange.33 nen Ausschlagwinkel erreichen lasse, wenn man »Durch vorsichtiges Schleifen und wiederholtes das Pendel an zylindrischen Backen sich abwi- Abmessen mittelst eines mikroskopischen oder ckeln lässt.« Diese könne man auf der Drehbank Fühlhebel-Apparates wurde in der Werkstätte des leicht herstellen. »Wegen den großen Schwierig- polytechnischen Instituts die nöthige Schärfe er- keiten, mit welchen die Herstellung zykloidischer reicht.«35 Backen verbunden ist, dürften zylindrische den In seiner umfassenden Darstellung der Wir- Vorzug verdienen, weil erstere bei einer minder kungsweise des Turmuhrwerks für Lemberg genauen Ausführung leicht eine schlechtere Wir- brachte Stampfer noch Erfahrungen und Glei- kung hervorbringen können, als die letzteren.«34 chungen ein und erwähnte Untersuchungen der Er resümierte allerdings für die Lember- Turmuhren von St. Stephan und der Karlskirche ger Uhr mit einer Pendellänge von 68,1 Zoll in Wien. Er stellte auch ein Gerät (»Kulminato- (ca. 179,38 cm) und einem Radius des »Erzeu- rium oder Passageninstrument«) vor, mit dem in gungskreises« von 5,056 Zoll (ca. 13,18 cm) die Lemberg die genaue Zeitbestimmung der Kul- Schwierigkeit der Herstellung der Zykloiden: minationszeit der Sonne erfolgte, und ergänzte
SIMON STAMPFER UND SEINE ZWEI TURMUHREN FÜR LEMBERG UND SALZBURG 161 den Beitrag mit zwölf Monatstafeln »der mittlern sentin auf die Kompensation und auf die Zyk- Zeit im wahren Mittage«.36 loidenbewegung des Pendels ein sowie auf die Stampfer kam auch auf die wirtschaftliche springende Minute. »Die bisherigen Prüfungen Seite von Gusseisenuhrwerken zu sprechen: Es haben das allergünstigste Zeugniß für die Uhr ge- sei einleuchtend, »daß eine Thurmuhr nach der geben, Als Thurmuhr möchte sie wohl die erste in vorgeschlagenen Einrichtung bedeutend wohlfeiler der Welt seyn.« zu stehen kömmt, als eine gewöhnliche, bei wel- Es werden noch das »kleine Passagen-Instru- cher alle Theile mühsam aus Schmiedeeisen oder ment« und die Aufzugsintervalle 48 Stunden für Messing ausgearbeitet sind«.37 das Gehwerk und 30 Stunden für die Schlag- Schließlich wurde über das bisherige Verhal- werke erwähnt sowie die Tatsache, dass seitens ten der gegen Ende September 1837 fertig auf- des Magistrats die Beaufsichtigung einem »ge- gestellten Uhr berichtet und über Regulierungs- bildeten, talentvollen jungen Manne« übergeben maßnahmen: Es erfolgte eine Reduktion des wurde. Die Rezension erschien textgleich am Gehwerksgewichts, eine heftige Kälte führte im 30. Oktober und 1. November 1837 in Österrei- Januar zum Zurückbleiben der Uhr um täglich chisches Bürgerblatt für Verstand und Gemüth. 15 Sekunden. Ein Beitrag der Brünner Zeitung erschien am Schon kurz nach der Inbetriebnahme der 4. Januar 1838 in der Wiener Zeitung: Der Stadt neuen Uhr erschien am 21. Oktober 1837 in der Lemberg sei zu ihrer Neuerwerbung Glück zu Österreichisch-Kaiserliche privilegierte Wiener wünschen. »Was jedoch den […] cycloidischen Zeitung eine aus dem Galizischen Abendblatt Pendel betrifft, so muß die Wahrheitsliebe äußern, »Mnemosyne« übernommene Besprechung aus daß diese Einrichtung als eine Verbesserung nicht der Feder von Dr. Strasznicki: Dabei ist die Rede angesehen werden kann.« Einem solchen müsse von »einem Kunstwerke, welches in so inniger sogar »widerrathen« werden. Nachahmenswert Verbindung mit den täglichen Geschäften unseres sei allerdings das Aufziehen ohne Unterbre- Lebens stehet«, das »unter der Leitung des rühm- chung des Gangs. Ein Nachsatz dazu erschien lichst bekannten Herrn Professors Stampfer […] am 8. Januar ebenfalls in der Wiener Zeitung: Er und unter seiner unermüdeten und unverdrosse- unterstrich die Kritik am Zykloidenpendel, lobte nen Obsorge hier aufgestellt und reguliert wurde.« allerdings die »stehenden Minuten«. Bei allen Fortschritten in der Uhrmacherkunst In seiner Entgegnung, die am 20. Januar 1838 in sei für die Turmuhren »sehr wenig geschehen«, der Wiener Zeitung erschien, betonte Stampfer sie seien ein ziemlich vernachlässigter Gegen- die Notwendigkeit der Genauigkeit öffentlicher stand. Im Detail ging der Rezensent/die Rezen- Uhren »innerhalb einer Minute«, was in Wien ◄ Abb. 10: Der Rathausturm heute Abb. 11: Nach der Zerstörung des Turmuhrwerks von Stampfer 1848 ist dieses Werk heute im Rat- hausturm von Lemberg zu besichtigen: ein großes dreiteiliges Turmuhrwerk aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit einem Zusatzwerk.
162 MICHAEL NEUREITER – B AD VIGAUN durch das Stellen nach einer astronomischen Uhr fast täglich erfolge, oder in Graz durch die Regulierung mithilfe einer guten Pendeluhr. Er ging fast ausschließlich auf das Zykloidenpendel ein und kündigte eine ausführlichere wissen- schaftliche Darstellung an, die 1839 erfolgte.38 Als im Revolutionsjahr 1848 die Polen ver- suchten, die Wirren der Revolution für sich auszunutzen, trat der österreichische General William Friedrich von Hammerstein diesen Umsturzbestrebungen entschieden entgegen und ließ die Stadt Lemberg, seit der Ersten Teilung Polens 1772 österreichisch, mit Kano- nen beschießen, wodurch viele bedeutende alte Gebäude in Brand gerieten. Schließlich wur- den die Akademie, die Universitätsbibliothek, das alte Theater und das Rathaus ein Opfer der Flammen. Dabei wurde auch Simon Stampfers Turmuhrwerk schon elf Jahre nach seinem Ein- bau zerstört. Galizien musste noch bis 1854 den Belagerungszustand ertragen. Heute kann der Besucher den 65 Meter hohen Turm besteigen und den Blick auf die ganze Stadt genießen. Dabei kann auch das große Turm- uhrwerk betrachtet werden, das leider nicht von Simon Stampfer stammt: Das Lemberger Rathaus hatte seit dem 15. Jahrhundert eine Turmuhr und erhielt nach dem Neubau 1837 das von Simon Stampfer entwickelte Werk. Nach den Ereignissen 1848 wurde bei deren Behebung das Werk einge- baut, das heute zu besichtigen ist, sein Alter wird mit etwa 160 Jahren angegeben. Es ist nicht mehr in Betrieb. Abb. 12: Das Turmuhrwerk der Kollegienkirche schmalseitig Stampfers Turmuhr für Salzburg Im Jahr 1824 unternahmen Simon Stampfer und sein engster Freund und Kollege am Salzburger Peter Carl Thurwieser (1789 – 1865) war Salz- Lyzeum, Peter Carl Thurwieser, eine »Glock- burger Weltpriester, Professor für das Bibelstu- nerfahrt«, wobei in Stampfer ein bergerfahrener dium und orientalische Sprachen – und begeister- Forscher und in Thurwieser ein entdeckungs- ter Alpinist: Erzherzog Johann und der Salzburger freudiger Alpinist steckten. Der Reisebericht Erzbischof Kardinal Schwarzenberg gehörten zu wurde im Jahr darauf in Band 7 der Jahrbücher seinen Begleitern, 1834 wurde »Gambspeter« als des kaiserlichen königlichen polytechnischen Erstbesteiger des Dachsteins gefeiert.40 Instituts in Wien publiziert, wohin Stampfer be- Die Beiden blieben nach Stampfers Übersied- rufen worden war. Ein Schlechtwettereinbruch lung nach Wien in Kontakt, vor allem brieflich. verhinderte die Besteigung des Großglockners, Sie teilten jahrzehntelange Beobachtungen me- nicht aber des Kleinglockners, dank ihrer um- teorologischer Erscheinungen und beteiligten fangreichen Ausrüstung konnten sie zahlreiche sich an einer von der Universität Edinburgh aus- Vermessungen durchführen.39 geschriebenen weltweiten Wettermessung.41
SIMON STAMPFER UND SEINE ZWEI TURMUHREN FÜR LEMBERG UND SALZBURG 163 1836 wurde Thurwieser, Rektor des Lyzeums, Theologischen Fakultät wieder zur Universitäts auch Kustos der Lyzealkirche. Als solcher enga- kirche.43 gierte er sich für »seine« Kirche, die in den Jahren Thurwiesers Einsatz galt auch und gerade seit den Franzosenkriegen und der neuerlichen einer fehlenden Turmuhr: Thurwieser wollte Kirchweihe 1812 noch manche Mängel aufwies, eine Normaluhr für die ganze Stadt herstellen. und war auch intensiv als Sammler unterwegs. »Sein vieljähriger treuer Freund, Simon Stampfer »Jedem seiner Zuhörer preßte er zum mindesten hatte eben (1837) eine nach seinen Prinzipien kon- einen Zwanz’ger heraus, keiner seiner zahlreichen struirte und in der Werkstätte des Polytechnikums Freunde blieb ungeschoren.«42 ausgeführte Thurmuhr für den Rathausthurm in Tatsächlich erfolgten in Thurwiesers Kus- Lemberg aufgestellt und in Gang gebracht. Auf ihn todiat, das er bis 1862 innehatte, zahlreiche also richtete Thurwieser das Augenmerk. Stamp- Maßnahmen für die Kirche: 1838 wurden die fer übernahm die Sache mit größter Bereitwillig- Gesimse repariert, ab 1839 wurde mit den Maß- keit und die Uhr wurde aufgestellt.«44 nahmen für eine Außenrenovierung begonnen. Beim Turmuhrwerk im Nordturm der Kol- Das Dach wurde mit Lärchenschindeln neu ein- legienkirche handelt es sich ohne Zweifel um gedeckt, die offenbar sehr schadhaften Skulp- das Werk, das Simon Stampfer dem Werk für turen und Brüstungsgeländer an den Türmen das Rathaus in Lemberg nachgebaut hat. Dies und der Hauptfassade bearbeitet u. v. m. 1850 kann durch einen Vergleich der Pläne und der wurde die Lyzealkirche mit der Errichtung der zahlreichen Details in den Veröffentlichungen Abb. 13: Das Turmuhrwerk Kollegienkirche im Draufblick
SIMON STAMPFER UND SEINE ZWEI TURMUHREN FÜR LEMBERG UND SALZBURG 165 Stampfers über die Uhr für Lemberg mit den Der Biograph Peter Carl Thurwiesers, Joseph Ansichten des Salzburger Werks nachgewiesen Anton Schöpf, hat uns auch die Krisen überlie- werden: Seine Angaben über die Maße der Bo- fert, die Thurwieser mit dem Uhrwerk erlebte, denräder finden wir am Salzburger Werk wie- und legt ihm Spottzeilen in den Mund: der, das Salzburger Uhrgestell und seine Details wie die Stuhlform sind gleich wie seine Pläne für »Und die Sterblichen sahen hinauf, Lemberg usw. In Salzburg sind auch noch Ele- begierig der Zukunft, mente des Gehwerks vorhanden, das die »sprin- Schulter an Schulter gedrängt, gende Minute« auslöste. Das erhaltene Salzbur- ich selbst stand hoch auf dem Thurme. ger Werk ist 160 cm breit, 68 cm tief und 121 cm Jetzt war die Sonn’ im Zenith hoch. und sieben schlug die Normaluhr.«46 Das Turmuhrwerk der heutigen Kollegien- kirche ist in einem schlechten und verdreckten Zustand: Im Bild das Stundenschlagwerk mit der »Schlossscheibe« für die Steuerung der Zahl der Schläge zur vollen Stunde, dahinter das Viertel- schlagwerk und hinten das Gehwerk/Laufwerk. Bemerkenswert ist auch hier die Bauweise hin- tereinander, war im 19. Jahrhundert doch die Bauweise der nebeneinander liegenden Walzen und Werke Standard. Die beiden vorderen Teil- werke – Stundenschlagwerk und Viertelschlag- werk – stammen aus dem Werk Simon Stamp- fers, das Gehwerk/Laufwerk ganz hinten hat seit ca. 1840 mehrere Umbauten erfahren. Im Draufblick ist der Aufbau der beiden Schlagwerke mit Bodenrad, Zwischenrad und Windbremse gut zu sehen – das Werk war für täglichen oder zweitägigen Aufzug konzipiert. Das Gehwerk ist nur in Fragmenten vorhanden: Der Windflügel rechts hinten erinnert an Stamp- fers Zweiteilung in Gehwerk und Laufwerk, die Windbremse stammt vom Laufwerk. Ein kleiner Hebel stammt vermutlich von der Auslösung des Laufwerks durch das Gehwerk. Das Werk im Lemberger Rathaus funktio- nierte, das Werk in der Salzburger Kollegienkir- che nicht: »Aber recht gehen wollte das Ding nie. Zum Ärger Thurwiesers wurde die ›Collegiuhr‹ sprichwörtlich, d. h. mit diesem Namen bezeich- nete man einen Menschen, der nie zur rechten Zeit am rechten Flecke stand.«45 ◄ Abb. 14: Abb. 15: Der Mannhardt’sche Freischwinger, der Die Hauptfassade der Kollegienkirche 1873 für das Salzburger Glockenspiel geliefert und im ausgehenden 19. Jahrhundert von J. B. Fischer eingebaut wurde.
166 MICHAEL NEUREITER – B AD VIGAUN Der Kustos konnte nun seine Kondition stärken, Mannhardt mit einem freischwingenden Pendel indem er täglich den Turm bestieg und die Uhr versehen worden war, das sich aber nicht bewährte, aufziehen konnte, »während er selbst wegen der wieder gehend gemacht. Er stellte ein einzelnes Re- schlechten Uhr noch öfters ›aufgezogen‹ wurde.« gulierwerk mit Grahamgang und Sekundenpendel Er soll mit dem Läuten der Betglocke und dessen auf, das selbständig jede halbe Minute auf mecha- Dauer seine Stimmung zum Ausdruck gebracht nischem Wege die große Turmuhr auslöst.« Hans und beim Kirchenportal Körben und Karren Peter Kuban vom Stuttgarter Turmuhrenarchiv der Verkaufsstände eigenhändig auf die Straße Turmuhrenmagazin hat dem Autor dieses Bei- geworfen haben. Seine Eigenheiten und Eigen- trags berichtet, dass der Erlanger Turmuhrmacher händigkeiten wurden schließlich an seinem »Se- Peter Hohlweg nach einem Angebot 1943 seinen kundiztage«, seinem Goldenen Priesterjubiläum Auftrag bis 1948 erledigte, der den Umbau des 1862, als Ballade vorgetragen.47 Uhrwerks der Kollegienkirche mit Sekundenpen- Es folgten mehrere Umbauten des Turmuhr- del und die Lieferung einer »Ziehglocke für Vier- werks, durchwegs am Gehwerk/Laufwerk: Eine telschlag« mit Ton e, 59,4 cm Durchmesser und Reparatur erfolgte 1867, eine weitere 1868.48 Die 85 kg mit Klöppel, Läutachse und Lager umfasste. Salzburger Chronik meldete am 17. Oktober Simon Stampfers Turmuhrwerke für das Rat- 1870: »Die hiesige Kollegienkirche wird in Bälde haus in Lemberg und die Kollegienkirche in eine vom Meister Jos. Fischer angefertigte Thurm- Salzburg belegen, dass sich der Mathematiker, uhr erhalten.« Tatsächlich lieferte in diesem Jahr Geodät und Physiker auch in der Zeitmessung die J. Mannhardt’sche Thurmuhren-Fabrik »zur intensiv eingebracht hat. Im 19. Jahrhundert gab Thurmuhr der hiesigen Collegienkirche ein Geh- es ja interessante technische Entwicklungen im werk mit freischwingendem Pendel«, wie eine von Uhrenbau, es ist bei den Turmuhren auch die J.(ohann) B.(aptist) Fischer gezeichnete Referenz Zeit des langsamen Übergangs von Schmiede- 1884 feststellt.49 eisenwerken zu Gusswerken. Simon Stampfer, Der letzte Umbau, den die mechanische Turm- Lehrer Christian Dopplers in Salzburg und uhr der Salzburger Kollegienkirche erfuhr, er- sein Vorgänger am Polytechnischen Institut in folgte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Karl Wien, hat dazu in Theorie und Praxis beigetra- Engl berichtete am 28. April 1948 in den Salzbur- gen. ger Nachrichten über Turmuhren in Salzburg und Für die wertvolle Hilfe vor Ort ist der Katholi- über die der Kollegienkirche: »Meister Hohlweg schen Hochschulgemeinde Salzburg zu danken, hat diese Turmuhr, die vor ungefähr 60 Jahren die für die Verwaltung der Kollegienkirche ver- von dem bekannten Münchner Turmuhrmacher antwortlich ist. Abb. 16: Zwei der drei Zifferblätter am Westturm der Kollegienkirche heute, dahinter befindet sich das Turmuhrwerk. Die beiden Zeigerpaare haben weiterhin die alte Stellung mit langem Stunden- und kurzem Minutenzeiger.
168 MICHAEL NEUREITER – B AD VIGAUN Anmerkungen der National- und Universitätsbibliothek , GZAS 1 HUTTER , Clemens M.: Christian Doppler. Der 61 fis 47 (zit. in Peter Prange: Johann Bernhard Fi- für die Menschheit bedeutendste Salzburger, Salz- scher von Erlachs Salzburger Bauten in seinen An- burg 2017. S. 11. sichten, in: Kollegienkirche Salzburg. Das Meis- 2 PESDITSCHEK , M.(artina): Stampfer Simon, terwerk des J. B. Fischer von Erlach, hg. Von Ro- in: Österreichisches Biographisches Lexikon nald Gobiet, Salzburg 2013, S. 60 – 89. hier S. 67.) 1815 – 1950. Bd. 13, Wien 2007 – 2010, S. 86 – 87. 13 KRAL , Josef: Glockengedächtnis. Die Glocken- 3 HUTTER : ebda, S. 25 f. kunde des P. Augustin Jungwirth Salzburg, Salz- 4 STRASSER , Christian: Simon Stampfer in Salz- burg 2017, S. 394 f. (Schriftenreihe des Archivs der burg (1790 – 1825), in: Peter Schuster/Christian Erzdiözese Salzburg 16) Strasser: Simon Stampfer 1790 – 1864. Von der 14 PRANGE : ebda. S. 76 f. (Foto Stefan Zenzmaier) Zauberscheibe zum Film, Salzburg 1998, S. 7 – 114, 15 SEDLMAYR , Hans: Kollegienkirche Salzburg, hier S. 42. (Schriftenreihe des Landespressebüros Salzburg 1980, S. 13 (Christliche Kunststätten Ös- Serie Sonderpublikationen 142) terreichs 120) 5 HUTTER : ebda, S. 40 – 41. 16 PLASSER , Gerhard: Das Salzburger Glocken- 6 STAMPFER , Simon: Prüfung eines von Fr. Jos. spiel in der Neuen Residenz, in: Das Salzburger Vorauer, Kleinuhrmacher in Wien, verfertigten Glockenspiel in der Neuen Residenz, hg. Vom Chronometers, in: Allgemeines Wiener poly- Bundesdenkmalamt und dem Salzburg Museum, technisches Journal Nr. 68, Wien 1843. Andere S. 55 – 79. (Publikationen des BDA und Jahres- Uhren als die beiden Turmuhren in Lemberg und schrift des Salzburg Museum 55) Salzburg sind von Stampfer nicht bekannt. Im 17 Vgl. NEUREITER , Michael: Jeremias Sauter als Standardwerk Jürgen Abeler: Meister der Uhr- Turmuhrmacher, in: Das Salzburger Glockenspiel macherkunst, Wuppertal 2. Aufl. 2010, S. 537 ist in der Neuen Residenz, hg. Vom Bundesdenkmal- »Stampfer, Joseph, Hof-Uhrmacher Innsbruck … amt und dem Salzburg Museum, S. 37 – 51 (Publi- 19. Jh ….« angeführt, nach ihm wohl »unser« kationen des BDA und Jahresschrift des Salzburg Stampfer mit einem Werk: »Stampfer, Fr., Wien. Museum 55) Arb. Turmuhr in Lemberg (Böhmen) um 1800«. 18 Vgl. NEUREITER , Michael: Das Bentele-Jahrhun- 7 SCHUSTER , Peter M.: Weltbewegend – unbe- dert 1734 – 1826, in: Mitteilungen Deutsche Gesell- kannt. Leben und Werk des Physikers Christian schaft für Chronometrie 159, S. 56 – 63. Hier S. 56. Doppler und die Welt danach, Pöllauberg u. a. 19 NADLER , Stefan: Bau und Ausstattung bis zum 2003, S. 117. Ende des 18. Jahrhunderts im Spiegel der Quellen, 8 HERR , J.(osef): Simon Stampfer. Eine Lebensge- in: Kollegienkirche Salzburg. Das Meisterwerk des schichte, Wien 1865 S. 16. (Almanach der Kaiserli- J. B. Fischer von Erlach, hg. Von Ronald Gobiet, chen Akademie der Wissenschaften 15. Jahrgang) Salzburg 2013, S. 92 – 98. hier S. 98. (Salzburger 9 SCHUSTER /STRASSER : ebda, S. 149 ff. Beiträge zur Kunst und Denkmalpflege VII ) 10 TIETZE , Hans (Bearb.): Die kirchlichen Denk- 20 HÜBNER ,Lorenz: Beschreibung der hochfürst- male der Stadt Salzburg, Wien 1912, S. 236 (Öster- lich-erzbischöflichen Haupt- und Residenzstadt reichische Kunsttopographie Bd. IX ) Salzburg und ihrer Gegenden … Erster Band, 11 KREUL , Andreas: Ein Tempel der Weisheit und Salzburg 1792, S. 98. des Glaubens, in: Kollegienkirche Salzburg. Das 21 NADLER , Stefan: Restaurierungsgeschichte und Meisterwerk des J. B. Fischer von Erlach, hg. Von Veränderungen in der Nutzung nach 1800, in: Ronald Gobiet, Salzburg 2013, S. 44 – 59. hier S. 45. Kollegienkirche Salzburg. Das Meisterwerk des (Salzburger Beiträge zur Kunst und Denkmal- J. B. Fischer von Erlach, hg. Von Ronald Gobiet, pflege VII ) Salzburg 2013, S. 152 – 159. hier S. 153. (Salzburger 12 Prospekt der Kollegienkirche, Bleistift, Feder in Beiträge zur Kunst und Denkmalpflege VII ) Schwarz, laviert, Zagreb, Graphische Sammlung
SIMON STAMPFER UND SEINE ZWEI TURMUHREN FÜR LEMBERG UND SALZBURG 169 22 STAMPFER , Simon: Ueber Verbesserungen an »mit welcher Prof. Stampfer so ruhmvoll gerun- Thurmuhren und andern Pendeluhren, ange- gen«. Schreiber übernahm auf S. 229 ff. großteils wendet auf die neue Thurmuhr auf dem Rath- Stampfers Darstellung in den »Jahrbüchern« 1839 hausturme zu Lemberg, in: Jahrbücher des kai- (Anm. 20). Und 1875 erwähnte Moritz Rühlmann: serlichen königlichen polytechnischen Instituts Allgemeine Maschinenlehre. Erster Band, Braun- in Wien 20. Band, 1839, S. 78 – 144 mit einer Tafel, schweig 1875 S. 40 Simon Stampfers Rathausuhr hier S. 91. Der komplette Beitrag steht hier zum zu Lemberg, die »bis zu ihrer Zerstörung im Jahr Download bereit: https://www.dropbox.com/s/ 1848 im Sommer und Winter mit bewunderns- pxl809a9dm98pbt/StampferThurmuhren1839. werther Genauigkeit (trotz nicht sehr guter War- pdf?dl=0 tung) gegangen sei«. 23 STAMPFER : ebda, S. 90. 39 STAMPFER , S.(imon) und P.(Peter) K.(arl) Thur- 24 SCHMIDT , Bernhard: Turmuhrwerke, Georgs- wieser: Reise auf den Glockner im September marienhütte 2001, S. 26 vermutet den Übergang 1824, in: Jahrbücher des kaiserlichen königlichen von der Bauart hintereinander liegender Werke polytechnischen Instituts in Wien 7. Band, 1825, auf die Anordnung nebeneinander um 1700. S. 1 – 22. Wie zahlreiche Beispiele in der Datenbank www. 40 STRASSER : ebda, S. 53 – 55. turmuhrenaustria.at belegen, erfolgt diese Ände- 41 STRASSER : ebda, S. 56. rung jedenfalls im 18. Jahrhundert. 42 SCHÖPF , J.(oseph) A. (nton): Peter Carl Thurwie- 25 STAMPFER : ebda, S. 80 – 89. Im 20. Band der ser, Salzburg 1871, S. 28. »Jahrbücher« stammten drei der sechs Beiträge 43 NADLER : Restaurierungsgeschichte, S. 153 f. von Stampfer! 44 SCHÖPF : ebda, S. 28 f. Joseph Anton Schöpf war 26 STAMPFER : ebda, Anhang. Professor an der 1850 anstelle des Lyzeums ein- 27 STAMPFER : ebda, S. 91 f. gerichteten Theologischen Fakultät, beschreibt 28 ABELER , Jürgen: Meister der Uhrmacherkunst, Stampfer: »Er war ein aufrichtiger Freund der Wuppertal 2. Aufl. 2010, S. 176. Studenten, der es verstand die Jugend an sich zu 29 STAMPFER : ebda, S. 115 ziehen.« Er habe seinen Studenten auch außeror- 30 STAMPFER : ebda, Anhang. »Älterer Stiftengang« dentliche Vorträge über Messkunst und derglei- ist die Bezeichnung durch Curt Dietzschold: chen angeboten. Die Turmuhren mit Einschluß der sogenannten 45 SCHÖPF : ebda, S. 29. Kunstuhren, Weimar 1894, Tafel 4, Fig. 51. 46 SCHÖPF : ebda, S. 29. 31 STAMPFER : ebda, S. 123. 47 SCHÖPF : ebda, S. 29. 32 STAMPFER : ebda, S. 95. 48 NADLER : Restaurierungsgeschichte, S. 155 33 STAMPFER : ebda, Anhang 49 Referenzen der J. Mannhardt’schen Thurmuhren- 34 STAMPFER : ebda, S. 97 – 114 Fabrik, München o. J. S. 29. 35 STAMPFER , Simon: Die neue Thurmuhr in Lem- berg, in: Österreichisch-Kaiserliche privilegierte Wiener Zeitung vom 20. Jänner 1838 S. 105. Bildnachweis 36 STAMPFER : Ueber Verbesserungen an Thurmuh- 1: https://www.dolomitenstadt.at/2017 / 11 / 09/simon-st ren S. 124 – 144. ampfer-ein-vater-des-films-stammt-aus-matrei/ 37 STAMPFER : ebda, S. 116 3, 4, 12, 13, 15, 16: horologium, Michael Neureiter 38 STAMPFER : Die neue Thurmuhr in Lemberg 5, 14: Salzburg Museum S. 105. Dass Stampfer mit der Lemberger Turm- 6: https://go-east.de/ausflug-individuell/lviv-lemberg- uhr in die Fachwelt hineinwirkte, belegte Ema- stadtrundfahrt nuel Schreiber: Vollständiges Handbuch der 10: istockphoto.com Uhrmacherkunst, Weimar 2. Aufl. 1856 (Neuer 11: https://www.holidaycheck.at/m/uhrwerk-im-turm/ Schauplatz der Künste und Handwerke 171. Band), ac5422d0-82d4-3514-b19e-470d4626d6d6 S. 210, zur Frage der Genauigkeit von Pendeln,
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