Japan nach zwei Jahren "Abenomics"
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SWP-Aktuell Einleitung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Japan nach zwei Jahren »Abenomics« Geldpolitische Illusionen, Reformen ohne Mut: Der Wirtschaftskurs von Premier Abe hat seine Ziele bislang verfehlt Hanns Günther Hilpert Als Shinzo Abe im Dezember 2012 japanischer Ministerpräsident wurde, weckte er hohe wirtschaftspolitische Erwartungen. Er versprach eine radikale Wende in der Geldpolitik, eine langfristige fiskalische Konsolidierung und Strukturreformen zur ökonomischen Belebung. Zwei Jahre später fällt die Zwischenbilanz der »Abenomics« ernüchternd aus. Trotz beispielloser geldpolitischer Expansion und kräftiger fiskali- scher Stimulierung ließen sich Deflation und Wachstumsschwäche in Japan nicht überwinden. Und obwohl die Verbrauchssteuer erhöht wurde, ist der Staatshaushalt von nachhaltiger Konsolidierung weit entfernt. Die bahnbrechenden Reformen, die Wachstum anregen sollten, ist Abe dem Land bisher ebenso schuldig geblieben. Warum konnten die gesetzten Ziele nicht erreicht werden? Welche Optionen bleiben der japa- nischen Konjunktur- und Wirtschaftspolitik noch – angesichts einer hohen, weiter wachsenden Staatsverschuldung und der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft? Japans Wirtschaft hat sich nie wirklich vom des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Anderer- Bubble-Schock der frühen 1990er Jahre er- seits konnte die Bank of Japan, die Zentral- holt. Damals war eine bis heute beispiellose bank des Landes, selbst mit stark expansi- Spekulationsblase bei Vermögenswerten ver Geldpolitik eine milde Deflation nicht wie Grundstücken und Aktien geplatzt. Es abwenden. Zugleich fielen immer mehr folgten eine hohe Verschuldung von Privat- Menschen in prekäre Beschäftigungs- haushalten und Unternehmen, eine läh- verhältnisse; die Ungleichheit in der Ein- mende Bankenkrise und das dauerhafte kommens- und Vermögensverteilung des Absinken des japanischen Potentialwachs- Landes nahm stetig zu. tums von vormals 4 auf 1 Prozent. Nur Während der politisch-gesellschaftliche fortlaufende fiskalische Mehrausgaben für Konsens zerfiel, der Japans traditionelle zuweilen absurde Bauprojekte konnten ver- Wachstumskoalition aus Politik, Adminis- hindern, dass Japan in eine Depression ab- tration und Wirtschaft geprägt hatte, ver- glitt. Dadurch stieg die Staatsverschuldung legten sich die etablierten Interessengrup- nach Berechnungen des Internationalen pen darauf, die eigenen Besitzstände zu Währungsfonds auf inzwischen 245 Prozent verteidigen. Bislang ausgeblieben ist der Dr. Hanns Günther Hilpert ist Leiter der Forschungsgruppe Asien SWP-Aktuell 24 März 2015 1
Prozess einer kreativen Zerstörung, wie er die fiskalische Expansion begünstigte in für einen positiven Wandel nötig wäre – konventioneller Weise vor allem die heimi- etwa durch Aufbrechen von Kartellen und sche Bauwirtschaft. Dagegen kam die Neu- oligopolistischen Marktstrukturen oder ausrichtung der Geldpolitik einer institu- durch Veränderungen in der Corporate tionellen und monetären Revolution gleich. Governance japanischer Unternehmen. Zwar ist die Unabhängigkeit der für Geld- Auch der temporäre Machtwechsel, der politik zuständigen Bank of Japan gesetz- 2009 die Demokratische Partei (DPJ) für lich verankert. Dennoch konnte Abe die drei Jahre an die Regierung brachte, konn- Widerstände gegen einen monetären Kurs- te die Hoffnungen auf wegweisende Refor- wechsel rasch überwinden – durch politi- men, Strukturwandel und wirtschaftlichen schen Druck und die turnusmäßige Neu- Aufschwung nicht erfüllen. ernennung des Gouverneurs und zweier Mitglieder des geldpolitischen Lenkungs- rates (Policy Board) der Bank. »Drei Pfeile« für Japans Der personell veränderte Lenkungsrat wirtschaftliche Erneuerung unter dem neuen Gouverneur Haruhiko Mit dem Versprechen professioneller Regie- Kuroda kündigte im April 2013 an, durch rungsführung und nachhaltiger wirtschaft- eine quantitative und qualitative Geld- licher Besserung gelang Shinzo Abe, der mengen-Expansion (QQME) innerhalb von bereits 2006/2007 für ein Jahr Minister- zwei Jahren eine Inflationsrate von 2 Pro- präsident gewesen war, ein erdrutscharti- zent zu erreichen. Die neue geldpolitische ger Wahlsieg bei den Unterhauswahlen von Zielgröße, die Geldbasis, sollte von 138 Bil- Dezember 2012. Damit kehrte die Liberal- lionen Yen (Jahresende 2012) auf 270 Billio- demokratische Partei (LDP), die von 1955 nen Yen (Jahresende 2014) verdoppelt wer- bis 2009 das Land fast ununterbrochen den, unabhängig von der Zinsentwicklung. regiert hatte, an die Macht zurück. Abe Verdoppeln sollte sich damit auch der da- kündigte an, die Deflation mit einer aggres- mals schon beispiellos hohe Anteil der siven Geldpolitik zu bekämpfen, die Kon- Geldbasis am BIP – auf nunmehr fast 60 junktur mittels expansiver Fiskalpolitik Prozent. International waren noch bis 2007 zu stimulieren und Investitionsblockaden Geldbasis-BIP-Relationen von 5 bis 10 Pro- durch strukturelle Reformen zu überwin- zent üblich. Dies zeigt, dass die japanische den. Für seine Konjunktur- und Wachs- Zentralbank mit einer solchen Expansion tumspolitik verwendete er die in Japan his- geldpolitisches Neuland betrat. Umgesetzt torisch bekannte »Drei-Pfeile-Metapher«. wurde (und wird) die Geldmengen-Auswei- Damit vermittelte er eine klare Botschaft: tung durch den Kauf japanischer Staats- Die Durchschlagskraft einer in sich abge- anleihen, einschließlich längerfristiger stimmten Geld-, Fiskal- und Strukturpolitik Papiere von sechs bis acht Jahren, um da- wird das Land wirtschaftlich erneuern und mit auch qualitativ Einfluss auf den lang- wieder erstarken lassen. Japan, die weltweit fristigen Kapitalmarktzins zu nehmen. drittgrößte Volkswirtschaft, die im inter- Mit dieser neuen Politik verfolgt die nationalen Vergleich beim Export an fünf- Bank of Japan das Ziel, die langfristigen ter, bei Auslandsinvestitionen an siebter Zinsen nach unten zu drücken, die Ent- und bei Patentanmeldungen an zweiter wicklung der realen Vermögenswerte posi- Stelle rangiert, sollte wieder eine »first-tier tiv und den Außenwert des Yen negativ zu nation« werden. beeinflussen. Auf diese Weise will sie die Allerdings war von Anfang an sichtbar, gesamtwirtschaftliche Nachfrage stärken dass sich die drei Pfeile in Größe und Be- und die Deflationserwartungen der Wirt- deutung stark voneinander unterscheiden. schaftssubjekte brechen. Am Ende der Wir- Strukturpolitische Reformen waren vorerst kungskette sollen höhere Preise, höhere nur als Ankündigungen zu erkennen, und Löhne, mehr Investitionen und mehr An- SWP-Aktuell 24 März 2015 2
schaffungen langlebiger Konsumgüter fiel und damit auch die Glaubwürdigkeit stehen. Die gesamtwirtschaftliche Nach- der Bank of Japan litt, sah sich Gouverneur fragelücke wäre geschlossen. Kuroda genötigt, das expansive Geldmen- gen-Wachstum nochmals zu verstärken. Am 31. Oktober 2014 kündigte er an, bis Eine gemischte Zwischenbilanz Ende 2015 den Anteil der Geldbasis am BIP Gesamtwirtschaftliche Entwicklung: Nach auf 70 bis 75 Prozent auszubauen. Zu die- nunmehr zwei Jahren Wirtschaftspolitik im sem Zweck versprach die Zentralbank, das Zeichen der Abenomics ist eine nachhaltige jährliche Kaufvolumen für langläufige japa- Erholung der japanischen Ökonomie nicht nische Staatsanleihen von 50 auf 80 Billio- in Sicht. Dabei hatten Geld- und Fiskalpoli- nen Yen zu erhöhen sowie Immobilien- und tik zunächst einen glänzenden Start. Die Aktienmarkt unmittelbar oder mittelbar Ankündigung der geldpolitischen Wende zu stützen. Wie im Frühjahr 2013 schlug durch Zentralbank-Chef Kuroda verfehlte die expansive Geldpolitik unmittelbar auf ihre Wirkung nicht, zumal Regierung und die Finanzmärkte durch: Die Renditen fie- Parlament auch zwei Nachtragshaushalte len auf nahezu null Prozent, die Aktien- verabschiedeten. Schon bald stiegen die kurse stiegen wieder an, und der Yen verlor Aktienkurse, verbesserten sich die Geschäfts- weiter an Wert. Bei sinkenden Ölpreisen erwartungen, fielen die Anleiherenditen – rutschte die Inflationsrate aber wieder in und der Yen erreichte immer neue Tiefstän- den negativen Bereich – mit einem Wert de. Dank kräftiger Steigerungsraten bei von -0,4 Prozent im Dezember 2014. Die Konsum, Wohnungsbau und öffentlichen Realwirtschaft zeigte sich dieses Mal unbe- Investitionen nahm das BIP 2013 real um eindruckt, da es an fiskalischen Impulsen 1,6 Prozent zu. Die positive Konjunktur- zunächst fehlte. Für eine Erholung des Kon- entwicklung fand ihren Höhepunkt im sums mangelt es den privaten Haushalten ersten Quartal 2014. Konsumenten zogen schlicht an Kaufkraft. Abermals sanken damals den Kauf langlebiger Konsumgüter 2014 die Reallöhne. Japans Nominallöhne vor, weil eine Erhöhung der Verbrauchs- sind, bei wieder leicht anziehender Infla- steuer von 5 auf 8 Prozent bevorstand. tion, über das Gesamtjahr gerechnet gar Folge war, dass die Wirtschaft real um 2,4 nicht oder nur sehr mäßig gestiegen. Prozent gegenüber dem Vorquartal wuchs. Außerdem hat der Yen abgewertet, und Nach der Steuererhöhung zum 1. April die Zins-Spareinkommen sind gesunken. 2014 aber stürzten privater Konsum und Unter diesen Voraussetzungen ist vorerst Konjunktur regelrecht ab. Für die beiden nicht damit zu rechnen, dass der Konsum Folgequartale fiel die Wirtschaft ins Minus, wieder anziehen wird. Japan befand sich vorübergehend wieder Beschäftigung und Arbeitsmarkt: in der Rezession. Übers Gesamtjahr 2014 Japans absolute Zahl an Beschäftigten ist gerechnet, konnte das BIP ausweislich vor- 2014 auf einen neuen Höchststand gestie- läufiger statistischer Angaben des Cabinet gen. Die Arbeitslosigkeit fiel im Dezember Office real gerade einmal den Stand des auf 3,4 Prozent. Kehrseite dieser positiven Vorjahrs halten (+0,0 Prozent). Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist der Preisentwicklung und Geldpolitik: bereits seit mehr als 20 Jahren zu beobach- Noch vollkommen offen ist, ob der deflatio- tende Rückgang der regulären Beschäfti- näre Preistrend gebrochen werden kann. gung. Derzeit befinden sich 21 Prozent der Zwar befindet sich im Zuge der Geldmen- Männer und 55 Prozent der Frauen in mehr gen-Expansion die am Verbraucherpreis- oder minder prekären Beschäftigungsver- index (CPI) gemessene Inflationsrate wieder hältnissen. Sie erhalten im Vergleich zu im positiven Bereich; im April 2014 stieg sie regulär Beschäftigten eine deutlich gerin- auf den Spitzenwert von 2,1 Prozent. Weil gere Entlohnung, genießen keinen Kündi- anschließend die Inflationsrate aber wieder gungsschutz und sind sozial schlechter ab- SWP-Aktuell 24 März 2015 3
gesichert. Die Zunahme irregulärer Beschäf- hatte die 36-prozentige Abwertung des Yen tigung ist mitverantwortlich für die sin- gegenüber dem US-Dollar (von Anfang 2013 kenden Reallöhne und Japans schleppende bis Ende 2014) ein beträchtliches Export- Produktivitätsentwicklung. Betriebliche plus zur Folge, aber auch die Importe sind Investitionen in Aus- und Weiterbildung kräftig angestiegen. Netto gingen vom unterbleiben, wenn die langfristige Mit- Export keine positiven Impulse aus. arbeit nicht gesichert ist. Bei Kosten- und Strukturreformen: Die Abe-Regierung Wettbewerbsproblemen ersetzen Unter- hat eine Reihe von Reformmaßnahmen in nehmen reguläre durch irreguläre Beschäf- die Wege geleitet, ohne dass bisher spekta- tigung, anstatt in produktivitätssteigernde kuläre Durchbrüche erkennbar wären, die Maßnahmen zu investieren. dem Wirtschaftswachstum einen Schub Staatshaushalt und Fiskalpolitik: verleihen oder das Potentialwachstum Während im Jahr 2013 über Nachtrags- dauerhaft anheben könnten. Vielmehr be- haushalte finanzierte Mehrausgaben die wegt sich der Reformprozess in der Konti- lahmende Konjunktur stimulierten, schlug nuität vergangener Jahre – zögerlich und 2014 die Finanzpolitik einen Konsolidie- schrittweise passen sich Japans Politik und rungskurs ein. Die bereits erwähnte Erhö- Wirtschaft den gesellschaftlichen Umbrü- hung der Verbrauchssteuer hatte zur Folge, chen und den wettbewerblichen Heraus- dass die Konjunktur abstürzte. Wegen forderungen der Globalisierung an. Positiv Steuer-Mindereinnahmen lag dann 2014 zu verzeichnen ist, dass Abes Strukturpoli- das staatliche Haushaltsdefizit mit 7,1 Pro- tik die richtigen Akzente setzt, etwa bei der zent – bezogen auf das BIP – noch ähnlich Förderung von Frauen im Berufsleben, der hoch wie 2013 (8,3 Prozent). Die Brutto- Stärkung von Aktionären im Verhältnis zu staatsverschuldung stieg auf den Spitzen- Aktiengesellschaften und institutionellen wert von 245 Prozent des BIP (netto 138 Pro- Investoren oder durch den Fokus auf inves- zent). Inzwischen befindet sich die Fiskal- titionsfördernder Liberalisierung und De- politik wieder auf Expansionskurs. regulierung, beispielsweise in Landwirt- Außenhandel: Japans Handelsbilanz schaft und Energiesektor. Zu den bisher ein- war 2014 wie schon im Vorjahr kräftig im geleiteten Maßnahmen zählen die Liberali- Minus; das Defizit lag bei 108 Milliarden sierung des Landerwerbs, die es erleichtern US-Dollar. Dagegen verzeichnet die Leis- soll, größere, rentablere Agrarflächen zu tungsbilanz aufgrund hoher Vermögens- bilden; der Ausbau von Kinderkrippen und einnahmen aus dem Ausland mit geschätz- Horten; die Schaffung von sechs Sonder- ten 45 Milliarden US-Dollar noch einen wirtschaftszonen, in denen ein liberaleres Überschuss. Aus Japans vormals legendär Arbeits- und Baurecht gilt; die Förderung hohem strukturellen Handelsbilanzüber- von Exporten und Auslandsinvestitionen; schuss ist ein strukturelles Handelsbilanz- Erarbeitung eines Corporate-Governance- defizit geworden. Drei Faktoren sind dafür Kodex sowie – nach britischem Vorbild – verantwortlich. Erstens hat die Industrie die Einführung individueller Sparkonten aus Kosten- und Absatzgründen inzwischen als neue Säule der Rentenversicherung. über 20 Prozent ihrer Produktion ins Aus- land verlagert. Zweitens wurden die Atom- kraftwerke, die Japan nach der Katastro- Wirtschaftsreformen als Katalysator phe von Fukushima heruntergefahren hat, einer konservativ-nationalen Politik durch importierte fossile Energieträger So durchwachsen die bisherige ökonomi- ersetzt. Und drittens stoßen viele Export- sche Erfolgsbilanz der Abenomics auch sein produkte auf unerwartete Absatzprobleme. mag – politisch sind sie ein Erfolg. Gleich Daher stimuliert eine Yen-Abwertung die zu Beginn seiner Amtszeit weckte Abe Exporte Japans mittlerweile in weit gerin- große Euphorie, indem er die eingängige gerem Maße als zu früheren Zeiten. Zwar Drei-Pfeile-Metapher nutzte und wirt- SWP-Aktuell 24 März 2015 4
schaftspolitische Entschlossenheit signa- Weg zu bringen. Was die Zukunftsfähigkeit lisierte. Die Hoffnung auf ein Ende der Stag- des Landes angeht, müsste das Pflichtenheft nation schien berechtigt. Bis heute halten der Regierung natürlich noch weiter gefasst die Befürworter der Abenomics die wirt- sein. Zu den dringendsten Aufgaben zählt, schaftspolitische Meinungsführerschaft. In die schleichende Erosion heimischer Wett- Japans Medien und Öffentlichkeit gilt die bewerbsfähigkeit und Standortqualität zu Abe-Regierung als ökonomisch kompetent, stoppen, den demographischen Wandel zu was – ähnlich wie in Deutschland – der ent- bewältigen und einen Staatsbankrott abzu- scheidende Parameter für einen generellen wenden. Vor diesem Hintergrund stellt sich politischen Zuspruch ist. Ministerpräsident die Frage nach den Chancen und Risiken Abe ist das Kunststück gelungen, bis in die von Abes Geld-, Fiskal- und Strukturpolitik Gegenwart bei Umfragen Zustimmungs- – den drei Pfeilen der Abenomics-Strategie. raten von über 40 Prozent zu erreichen. Nachdem er für den 18. Dezember 2014 überraschend Neuwahlen zum Unterhaus Geldpolitik: Die Transmission angesetzt hatte, gelang es der Opposition stockt, die Risiken nehmen zu nicht, Abes Diktum von der »Alternativ- Schon jetzt kann als gesichert gelten, dass losigkeit« seiner Wirtschaftspolitik etwas Zentralbank-Chef Kuroda sein Versprechen entgegenzusetzen. Die Regierungskoalition einer Inflationsrate von 2 Prozent im Jahr aus LDP und Komeito konnte so ihre Zwei- 2015 nicht halten kann. Auch ist die von drittelmehrheit im Parlament verteidigen. ihm theoretisch prognostizierte Wirkungs- Blickt man aber genauer auf die Initiati- kette, an deren Ende höhere Ausgaben ven und Handlungen, in die Abe politisches von Unternehmen und Haushalten stehen Kapital investiert, so zeigt sich, dass sein sollten, so nicht eingetreten, zumindest vorrangiges Ziel nicht die Gesundung der noch nicht. Dabei sind die Abenomics japanischen Wirtschaft ist und schon gar wohl nicht an der vorschnell durchgeführ- nicht die Durchsetzung von Strukturrefor- ten Verbrauchssteuer-Erhöhung geschei- men. Vielmehr scheint die Wirtschafts- tert, sondern sehr viel grundsätzlicher auf politik für den Ministerpräsidenten eher Ebene der geldpolitischen Transmission. Mittel zum Zweck zu sein. Primär geht es Erstens finanzieren sich Unternehmen Abe darum, sicherheitspolitische Hand- in Japan nicht mit Anleihen wie in der lungsfähigkeit im Sinne eines »proaktiven angelsächsischen Welt, sondern über Bank- Pazifismus« zu gewinnen, ein nationalis- kredite, wie es auch in der Eurozone der tisches Geschichtsbild zu etablieren und Fall ist. Die Kreditausleihungen der Banken auch die Bildungspolitik stärker patriotisch haben in Japan trotz der ultraniedrigen auszurichten. Die Wirtschaftspolitik hat Zinsen aber kaum zugenommen. Zweitens dabei gewissermaßen die Funktion eines haben sich, wie erwähnt, Realeinkommen Katalysators. Wie schon in der Regierungs- und Kaufkraft rückläufig entwickelt, vor zeit von Premier Junichiro Koizumi (2001– allem weil die Löhne nicht den gestiegenen 2006) dient auch unter Abe das Reform- Preisen angepasst wurden. Und drittens Narrativ in erster Linie als Instrument, um haben die japanischen Exporte weit weni- eine konservativ-nationale Agenda zu ver- ger stark zugenommen, als nach der star- wirklichen. ken Yen-Abwertung zu erwarten gewesen Die Wiederwahl verdankt Abe allerdings wäre. nicht einer allgemeinen Zustimmung zu Darüber hinaus ist grundsätzlich zu seinen politischen Zielen. Vielmehr haben fragen, ob die milde Deflation überhaupt Japans Wähler den Ministerpräsidenten die entscheidende Ursache für Japans lang- mit dem Mandat ausgestattet, seine Wirt- jährige Wachstumsschwäche und anhal- schaftspolitik fortzusetzen und insbesonde- tende Stagnation ist – oder nicht eher ein re wachstumsfördernde Reformen auf den Symptom derselben. Der monistischen SWP-Aktuell 24 März 2015 5
monetären Sicht ließe sich entgegenhalten, könnte die Reputation der Bank of Japan dass das mangelnde Vertrauen der Investo- langfristig Schaden nehmen, wenn sie ren in Japans Wirtschaftsentwicklung vor selbst zur Quelle finanzieller Instabilität allem strukturelle Ursachen hat und dass wird. Es steht zu befürchten, dass Abes die Zurückhaltung heimischer Konsumen- Geldpolitik außer monetären Illusionen ten ganz wesentlich auch durch den Über- vor allem neue, schwer beherrschbare gang in eine alternde Gesellschaft bedingt Risiken generiert. ist. Geldpolitik eignet sich aber wenig dazu, strukturelle Engpässe zu überwinden oder demographische Probleme zu lösen. Fiskalpolitik: Stop-and-go bei Andererseits ist aus Theorie und Empirie drohender Staatsinsolvenz nicht unbekannt, dass eine expansive Geld- Japans Fiskalpolitik ist seit zwei Dekaden politik lange und variable Wirkungsverzö- durch das Dilemma bestimmt, dass eine gerungen haben kann. Insofern ist das letz- fortlaufende keynesianische Nachfrage- te Wort über die Abenomics noch nicht Stimulierung nötig ist, zugleich aber eine gesprochen; die weitere Entwicklung von haushälterische Konsolidierung geboten Preisen und gesamtwirtschaftlichen Aus- wäre. Dieses Dilemma spitzt sich nun zu. gaben bleibt abzuwarten. Aber auch wenn Einerseits hat Japan seine gesamtwirt- vorläufig noch offen ist, wie wirksam die schaftliche Nachfrageschwäche noch nicht extreme Geldmengen-Expansion letztlich überwunden. Daher sind immer wieder ist, dürfen auf keinen Fall die Risiken aus fiskalische Stimulierungsmaßnahmen er- dem Blick geraten. forderlich, um die Konjunktur zu stabilisie- Erstens könnte infolge steigender Prei- ren. Das kurz vor Jahresende 2014 verab- se und Nominalzinsen sehr schnell ein schiedete Konjunkturpaket, das einen Um- Teufelskreis entstehen, in dem sich die Ren- fang von 3,5 Billionen Yen (ca. 24 Milliar- diten für Staatsanleihen und die budgetä- den Euro) hat, ist nur die jüngste Station ren Zinsbelastungen gegenseitig hoch- einer seit mehreren Jahren zu beobachten- schaukeln – Japan geriete in eine Staats- den Stop-and-go-Politik. Für die laufende schuldenkrise. Zweitens könnte es ange- Legislaturperiode ist zu erwarten, dass die sichts der enorm aufgeblähten Geldbasis Regierungskoalition – wie seit langem dis- schwierig werden, die Inflation niedrig zu kutiert – den Spitzensatz der Körperschafts- halten. Bekanntermaßen ist die Umlauf- steuer (derzeit 35,6 bis 39,5 Prozent) senkt, geschwindigkeit des Geldes eine schwer um Wettbewerbsfähigkeit und Investitions- zu kontrollierende Größe. Das Szenario ist kraft der heimischen Unternehmen zu nicht auszuschließen, dass eine galoppie- stärken. rende Inflation und ein international ab- Andererseits zwingt die exorbitant stürzender Yen für eine harte Landung hohe Staatsverschuldung die Regierung sorgen werden. auf einen Konsolidierungskurs. Japans Drittens gehen von der expansiven Finanzen drohen außer Kontrolle zu gera- Geldpolitik im globalen Rahmen negative ten. Seit dem Fiskaljahr 2010 liegt das Haus- externe Effekte aus. Die Yen-Abwertung haltsdefizit zwischen 7 und 10 Prozent des verschlechtert die preisliche Wettbewerbs- BIP. Die Gesamtverschuldung des Staates ist fähigkeit von Japans Handelspartnern und auf brutto 245 Prozent angestiegen – das droht gemeinsam mit dem ebenfalls schwä- entspricht inzwischen fast dem Nettover- chelnden Euro einen internationalen Ab- mögen aller privaten Haushalte des Landes. wertungswettlauf auszulösen. Der Yen- Um die Schulden zu tilgen, wären nach Carry-Trade, das heißt die Finanzierung heutiger Rechnung die Steuereinnahmen von Investitionen im Ausland mit billigem von mindestens acht Jahren nötig. Bislang japanischem Geld, droht weltweit zu spe- ist die Defizitfinanzierung durch inländi- kulativen Blasen beizutragen. Und viertens sche Anleger zwar noch unproblematisch. SWP-Aktuell 24 März 2015 6
Japans Staatsverschuldung ist zu über einem bestimmten Zeitpunkt ihr Anleihe- 90 Prozent eine auf Yen lautende Inlands- vermögen mit einem Federstrich abschreibt verschuldung. Doch es lässt sich absehen, und auf diese Weise die Staatsschulden dass sich dies ändern wird. Seit 2013 bilden drastisch reduziert. die privaten Haushalte keine Ersparnisse Das Engagement der Bank of Japan auf mehr; ihre Sparquote ist negativ. Der einst den Rentenmärkten des Landes hat drama- hohe strukturelle Leistungsbilanzüber- tische Nebeneffekte und Risiken. Die alles schuss schmilzt ab. Bald dürfte der Staat dominierende Nachfrage der Zentralbank auf ausländische Investoren angewiesen hat die Renditen auf immer neue Tiefstän- sein, um seine Haushaltsdefizite, Zins- und de getrieben, zuletzt auf 0,02 Prozent für Tilgungsausgaben zu finanzieren. zweijährige, 0,05 Prozent für fünfjährige Die Antwort der Abenomics auf Japans und 0,33 Prozent für zehnjährige Staats- fiskalpolitisches Dilemma ist das Verspre- anleihen. In Japan steht Anleihekapital chen höheren Wirtschaftswachstums. In praktisch kostenlos zur Verfügung. Damit einem günstigeren konjunkturellen Um- ist die allokative Steuerungsfunktion des feld, so die Botschaft, ließen sich nicht nur Kapitalzinses außer Kraft gesetzt. Eine mehr Steuereinnahmen erzielen, sondern quasi unbegrenzte kostenlose Liquidität auch höhere Steuersätze und niedrigere nährt spekulative Blasen in Japan und welt- Ausgaben politisch einfacher durchsetzen. weit. Dieses Versprechen ist gleichsam eine Unklar ist weiterhin die Exit-Strategie. Wette auf die Zukunft. Es muss gelingen, Wird der Bank of Japan ein geordneter Konjunktur und Staatsfinanzen zu stabi- Ausstieg aus ihrer expansiven Offenmarkt- lisieren, bevor die Risikoaufschläge für politik gelingen? Oder wird der Ausstieg japanische Staatsanleihen in nicht mehr ungeordnet sein? Letzteres droht etwa tragfähige Höhen gestiegen sind. dann, wenn internationale Hedgefonds In dieser Konstellation ist die Geldpolitik damit beginnen, durch Leerverkäufe auf mit ihren massiven Ankäufen japanischer steigende Anleiherenditen zu spekulieren – Staatsanleihen zum willfährigen Gehilfen an Börsenplätzen, die nicht vom japani- der Fiskalpolitik geworden. Die Finanzie- schen Finanzministerium kontrolliert wer- rung der ausufernden Staatsausgaben er- den können. folgt inzwischen mehrheitlich über den An- Zugleich nehmen die gewaltigen Aufkäu- leihemarkt, während der Anteil der Steuer- fe japanischer Staatsanleihen die Finanz- einnahmen auf unter 50 Prozent gefallen politik nicht aus der Pflicht, das verblei- ist. Faktisch betreibt die Bank of Japan bende Zeitfenster für eine realwirtschaft- Schuldenfinanzierung aus der Notenpresse. liche Konsolidierung zu nutzen. Sicher ist, Ihre monatlichen Anleihekäufe am offenen dass sich das Ziel nicht einhalten lässt, bis Markt belaufen sich nach eigenen Angaben zum Fiskaljahr 2020 einen ausgeglichenen derzeit auf 8 bis 12 Billionen Yen (ca. 60 bis Primärhaushalt (also ohne Ausgaben für 80 Milliarden Euro). Medienberichten zu- Zinsen und Tilgung) zu erreichen. Nicht folge nimmt die Zentralbank etwa 70 Pro- nur, dass momentan konjunkturell beding- zent der Primäremissionen auf. Derweil te Mindereinnahmen zu verkraften sind – reduzieren japanische Pensionskassen ihre überdies wurde die zweite Stufe der Ver- Engagements auf den Rentenmärkten und brauchssteuer-Anhebung auf April 2017 leiten Investitionen in den Aktienmarkt verschoben. Japans Finanzpolitik wird sich und ins Ausland. Marktanalysten schätzen, kurzfristig weitere Steuereinnahmen er- dass die Bank of Japan, sollte sich der lau- schließen müssen, und sei es bloß, um die fende Trend fortsetzen, zwischen 2017 und geplante Senkung der Körperschaftssteuer 2020 rund 50 Prozent der gesamten japa- gegenzufinanzieren. nischen Staatsanleihen halten wird. Es ist Darüber hinaus ist mittel- bis langfristig gut vorstellbar, dass die Zentralbank zu ein struktureller Umbau des japanischen SWP-Aktuell 24 März 2015 7
Steuersystems wohl unumgänglich. Denn dem zurück, was für ein höheres Produkti- der Staatshaushalt wird nicht nur steigende vitätswachstum notwendig wäre. Für eine Ausgaben für Zinsen und Tilgung zu bewäl- wirtschaftliche Erneuerung bräuchte Japan tigen haben, sondern auch höhere Kosten ein uniformes Arbeitsrecht, das die Dualität im staatlichen Gesundheitssystem, die an- zwischen regulärem und prekärem Arbeits- fallen, um die Versorgung der alternden markt überwindet, ein aktionärsfreund- Bevölkerung zu gewährleisten. Schon heute licheres Unternehmensrecht, das mehr sind 25 Prozent der Bevölkerung älter als Restrukturierungen und Neugründungen 65 Jahre. Bis 2035 wird dieser Anteil auf zulässt, sowie ein Aufbrechen der Insider- 33 Prozent steigen. Um die künftigen Belas- strukturen in den Binnenbranchen des tungen zu bewältigen, wird es nötig sein, Landes. Letzteres erfordert einen wirksa- die Verbrauchssteuer auf europäisches men Schutz gegen unfairen Wettbewerb, Durchschnittsniveau anzuheben und die eine breite Öffnung für den Importwett- Bemessungsgrundlage der Einkommen- bewerb und eine Kartellbehörde, die exeku- © Stiftung Wissenschaft und steuer kräftig zu verbreitern. Beides sind tive Vollmachten hat – sowie den Willen, Politik, 2015 Maßnahmen, die aus heutiger Sicht als diese auch einzusetzen. In der Landwirt- Alle Rechte vorbehalten politisch nicht durchsetzbar erscheinen. schaft und im Gesundheitssektor sind Das Aktuell gibt ausschließ- nicht nur punktuelle, sondern grundlegen- lich die persönliche Auf- de Reformen vonnöten. Und damit sich die fassung des Autors wieder Strukturpolitik ohne Mut demographischen Herausforderungen einer SWP Die Strukturpolitik ist für eine Revitalisie- alternden Gesellschaft bewältigen lassen, Stiftung Wissenschaft und Politik rung von Japans Wirtschaft im Grunde die müsste die Frauen- und Familienförderung Deutsches Institut für entscheidende Komponente. Während Geld- nach europäischem Vorbild erheblich aus- Internationale Politik und Sicherheit und Fiskalpolitik bestenfalls die gesamt- gebaut werden. Notwendig wäre außerdem, wirtschaftliche Nachfrageschwäche aus- das Einwanderungsrecht zu liberalisieren Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin gleichen können, ist ein höheres Potential- und aktiv Fachkräfte anzuwerben. Telefon +49 30 880 07-0 wachstum nur über angebotsseitige Maß- Um all diese Maßnahmen durchzuset- Fax +49 30 880 07-100 nahmen erreichbar. Für ein nachhaltig zen, müsste die Abe-Regierung gesellschaft- www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org stärkeres Wirtschaftswachstum mit größe- liche Tabus brechen und Widerstände von ren Produktivitätsfortschritten bedarf es Bürokratie sowie Interessengruppen aus ISSN 1611-6364 daher entsprechender Strukturreformen. Politik und Wirtschaft überwinden. Ein Ministerpräsident Abe hat versprochen, in solch offensives Vorgehen ist angesichts seiner dritten Amtszeit die Vorschläge zu von Abes konservativer Haltung und seiner Gesetzgebung und Administration zu reali- anders gelagerten Prioritäten eher unwahr- sieren, die der neugeschaffene Rat für Wett- scheinlich. Zwar verfügt die Regierung über bewerbsfähigkeit der Industrie erarbeitet ein entsprechendes Reformmandat und die hat. Insbesondere ist geplant, die Erwerbs- erforderlichen Mehrheiten im Parlament. chancen für Frauen schrittweise zu verbes- Doch zu befürchten steht, dass das Zeit- sern, den Agrarimport im Rahmen handels- fenster zur Abwendung einer Finanz- und politischer Vereinbarungen mit den USA Staatskrise, das heute noch weit offen ist, und der EU zu öffnen, die Beschäftigung nicht genutzt werden wird. ausländischer Fachkräfte in Japan zu er- leichtern und den Strommarkt zu liberali- sieren. Hinzu kommen punktuelle Maßnah- men in Landwirtschaft und Gesundheits- sektor, außerdem solche zur Förderung von Innovation, Tourismus sowie kleiner und mittlerer Unternehmen. Diese Reformschritte weisen zwar in die richtige Richtung, bleiben aber weit hinter SWP-Aktuell 24 März 2015 8
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