Kinder, Haushalt, Pflege - wer kümmert sich? - Ein Dossier zur gesellschaftlichen Dimension einer privaten Frage - BMFSFJ
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Kinder, Haushalt, Pflege – wer kümmert sich? Ein Dossier zur gesellschaftlichen Dimension einer privaten Frage
Kinder, Haushalt, Pflege – wer kümmert sich? Ein Dossier zur gesellschaftlichen Dimension einer privaten Frage
Das Projekt wurde gefördert aus dem REC-Programme 2014–2020 der Europäischen Union (Grant Agreement Nr. 820208). Die dargestellten Ergebnisse stellen lediglich die Ansicht der Autorinnen und Autoren dar. Die Europäische Kommission ist nicht für den Inhalt und den Gebrauch dessen verantwortlich. 4
Inhalt Einleitung 6 1 Status quo 7 Der Gender Care Gap – was sich dahinter verbirgt und welche Folgen er hat 8 Frauen leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit – warum das ein gesellschaftliches Problem ist 8 Gleichstellung lässt sich messen: Gender Pay Gap, Gender Pension Gap, Gender Care Gap – und wie sie zusammenhängen 9 2 Ursachen 21 Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: wie sich eine traditionelle Aufgabenteilung im Lebensverlauf manifestiert 22 Historische Unterschiede in Deutschland – und welchen Einfluss sie immer noch haben 22 Das Zuverdienst-Modell: nicht gewollt, aber praktiziert – die Knotenpunkte Familiengründung, Wiedereinstieg und Pflege 27 Die „Traditionalisierungsfalle“: warum die traditionelle Verteilung unbezahlter Sorgearbeit später nur schwer wieder geändert werden kann 37 3 Lösungen 42 So können wir eine gerechtere Aufgabenteilung erreichen – Maßnahmen und Ansätze 43 Den Gender Care Gap überwinden – welche Hebel wir in Bewegung setzen müssen 43 Eine partnerschaftliche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit für Frauen und Männer gleichermaßen attraktiv machen – welche Maßnahmen dabei helfen können 50 Fazit und Ausblick 58 Informationen zum Forschungsbericht 60 Literaturverzeichnis 61 5
Einleitung Einleitung Gleichstellung ist möglich – wenn die unbezahlte Diese Ungleichverteilung ist auch ein gesellschaft- Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern gerecht liches Problem. Frauen gehen aufgrund der verteilt ist. Übernahmen von Sorgearbeit seltener einer Erwerbsarbeit nach, die sie bis ins Alter finanziell absichern wird. Männer sind weniger an der Wenn es um Sorgearbeit geht, also Kinderbetreu- Sorgearbeit beteiligt, ohne die gesellschaftliches ung, Pflege, Kochen und Putzen, dann scheinen Leben und wirtschaftliches Wachstum gar nicht immer noch zuerst die Frauen „zuständig“ zu sein. möglich wären. Zumindest verwenden sie täglich deutlich mehr Zeit für unbezahlte Tätigkeiten im Haushalt und Warum entwickeln sich die Lebensläufe auseinan- in der Familie. Wer hängt die Wäsche auf? Diese der? Warum werden Menschen zu „Sorgeperso- Frage wird selten überhaupt gestellt, und wenn nen“ oder zu „Erwerbspersonen“? Welche Fakto- doch, dann lautet die Antwort meistens: die Frau! ren beeinflussen die Verteilung der unbezahlten Das gilt auch für das Kochen, das Abholen der Kin- Sorgearbeit? Und wie lässt sich die Sorge- und der von der Kita oder die Unterstützung älterer Erwerbsarbeit gerechter aufteilen? Dieses Dossier Angehöriger. findet Antworten auf diese Fragen. Es fasst die Ergebnisse eines Forschungsberichtes zusammen Die Menschen entscheiden selbst, wie sie ihren (Gärtner et al., 2020). Alltag organisieren. Diese Entscheidungen werden aber durch ihr Umfeld beeinflusst. Im Ergebnis Erwerbs- und Sorgearbeit gleich zu verteilen ist dieses Wechselspiels aus privater Entscheidung Voraussetzung dafür, Ungleichheiten in der Ge- und gesellschaftlichem Umfeld beobachten wir, sellschaft abzubauen, um allen Menschen – unab- wie unterschiedlich sich Lebensläufe von Frauen hängig vom Geschlecht – ein selbstbestimmtes und Männern entwickeln: Männer sind häufiger, Leben zu ermöglichen. länger und durchgängiger erwerbstätig. Frauen hingegen wenden im Durchschnitt täglich 52,4 Prozent – umgerechnet 87 Minuten – mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer. Das ist der sogenannte Gender Care Gap. 6
1 Status quo
1 Status quo Der Gender Care Gap – was sich dahinter verbirgt und welche Folgen er hat Frauen leisten mehr unbezahlte wie sie es gerne wollen. Die Aufteilung ist auch Sorgearbeit – warum das ein gesell- beeinflusst von den gesetzlichen, betrieblichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen schaftliches Problem ist sowie von gesellschaftlichen Wertvorstellungen. In Deutschland verdienen Frauen durchschnittlich weniger und haben niedrigere eigenständige Das Ergebnis Rentenansprüche als Männer. Auch die unbezahlte Sorgearbeit ist ungleich zwischen Frauen und • Frauen übernehmen mehr unbezahlte Sorge Männern verteilt: Frauen wenden dafür täglich arbeit: Frauen gehen seltener einer Erwerbs- wesentlich mehr Zeit auf als Männer. arbeit nach, die sie bis ins Alter finanziell absichern wird und ihnen auch eine eigenstän- dige Existenzsicherung garantieren kann. Sobald Menschen für ein Kind oder die Pflege von Angehörigen verantwortlich sind, wird eine wich- • Männer übernehmen mehr Erwerbsarbeit: tige Weiche gestellt. Denn jetzt nimmt die unbe- Der Druck, finanziell für die Familie zu sorgen, zahlte Sorgearbeit im Haushalt zu, für die Kinder- lastet überwiegend auf ihnen. Somit bleibt betreuung, für Kochen, Putzen oder Pflege – und Männern weniger Zeit, um Sorgeverantwor- Paare oder Individuen verteilen Erwerbs- und tung zu übernehmen. Sorgearbeit neu. Die Sorgearbeit wird zum einen innerhalb der Familie neu verteilt und zum Eine partnerschaftliche Teilung der Sorgearbeit anderen wird für einen Teil der anfallenden Sorge- kann deshalb ein Schlüssel für die gleichberech- arbeit Unterstützung in Anspruch genommen. tigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt sein. Wie die Frauen und Männer Erwerbs- und Sorge- arbeit aufteilen, hängt aber nicht nur davon ab, 8
1 Status quo Gleichstellung lässt sich messen: Woran liegt das? Gender Pay Gap, Gender Pension • Frauen sind seltener in Führungspositionen und arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Gap, Gender Care Gap – und wie sie Branchen und Berufen als Männer. Dies wird zusammenhängen auch als horizontale und vertikale Segregation des Arbeitsmarktes bezeichnet. Das verstärkt Die Ungleichheit von Frauen und Männern im die Tendenz, Sorge- und Erwerbsarbeit ge- Erwerbsleben, bei der eigenständigen Existenz schlechterstereotyp aufzuteilen. sicherung und bei der Verteilung unbezahlter Sorgearbeit kann man mit Kennzahlen beschreiben. • Frauen unterbrechen oder reduzieren öfter ihre Einige dieser Zahlen weisen die Lücke (englisch: Erwerbstätigkeit, unter anderem für Phasen, Gap) bei Verdienst, Rente und Zeitverteilung • in denen sie kleine Kinder betreuen oder zwischen Männern und Frauen aus. Das verbirgt Pflegebedürftige pflegen, sich jeweils hinter Gender Pay Gap, Gender Pension • in denen sie wegen Kinderbetreuung oder Gap und Gender Care Gap. Pflege in Teilzeit arbeiten. • Die Prozesse der Lohnfindung und die Entgelt- INDIKATOR Gender Pay Gap strukturen bergen Diskriminierungsgefahren. Wie viel weniger als Männer verdienen Frauen im Durchschnitt prozentual? Das zeigt der Gender Pay Gap – die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern. 2019 betrug der Unterschied in den Bruttostundenlöhnen in Deutschland 20 Prozent. Frauen verdienten pro Stunde vor Abzug der Steuern im Durchschnitt 17,72 Euro und Männer 22,16 Euro (Destatis, 2020). 9
1 Status quo Gender Pay Gap (Entgeltlücke) 22,16 € Frauen: immer häufiger erwerbstätig – aber oft in Teilzeit oder prekär 17,72 € 4,44 € = 20 % Immer mehr Frauen sind erwerbstägig: 2018 waren es 72,1 Prozent – die Erwerbstätigenquo- te der Frauen liegt nur fünf Prozentpunkte unter der der Männer (Destatis, 2019a). Das sogenann- Frauen Männer te Erwerbsvolumen von Frauen ist aber gleich geblieben: Es sind also mehr Frauen in Teilzeit erwerbstätig beziehungsweise die Anzahl der bezahlten Stunden verteilt sich auf mehr Frauen. 2018 arbeiteten fast 48 Prozent der sozialver- Im Jahr 2019 verdienten Frauen im Durchschnitt 4,44 Euro pro Stunde sicherungspflichtig beschäftigten Frauen in weniger als Männer. Der Gender Pay Gap betrug damit 20 Prozent. Teilzeit, während es bei den Männern nur knapp elf Prozent waren (BA Statistik, 2019b). Welche Unterschiede gibt es in Deutschland Teilzeiterwerbstätigkeit hat dabei einen doppel- und Europa? ten Effekt auf das Einkommen: Zum einen Der Gender Pay Gap lag 2019 in Deutschland verdienen Teilzeiterwerbstätige im Durchschnitt insgesamt bei 20 Prozent; in Westdeutschland bei weniger als Vollzeiterwerbstätige. Und zum 21 Prozent und in Ostdeutschland bei sieben anderen verdienen Teilzeiterwerbstätige monat- Prozent (Destatis, 2020). Damit liegt Deutschland lich weniger, da sie weniger Stunden arbeiten. im europäischen Vergleich auf dem vorletzten Platz (Eurostat, 2019). Zudem überwiegt in prekären Beschäftigungs- verhältnissen der Frauenanteil. 2019 waren 2,85 Millionen Frauen und 1,80 Millionen Männer ausschließlich geringfügig beschäftigt (BA Statistik, 2020). 64 Prozent aller weiblichen Beschäftigten im Alter von 25 bis 55 Jahren verdienen außerdem zu wenig, um ihre Existenz langfristig zu sichern, bei den Männern sind es 31 Prozent (Pimminger, 2015). 10
1 Status quo INDIKATOR Gender Pension Gap Da alle diese Faktoren zusammenwirken und sich über die gesamte Erwerbsbiografie kumulieren, ist Wie unterscheiden sich die eigenen Ansprüche der Gender Pension Gap deutlich größer als der auf Leistungen zur Alterssicherung zwischen Gender Pay Gap. Frauen und Männern? Der Gender Pension Gap zeigt die Rentenlücke auf. 2015 bezogen Frauen in Deutschland 53 Pro- Gender Pension Gap (Rentenlücke) zent weniger Rente als Männer (BMAS, 2016). Betrachtet werden dabei nur die eigenständigen 1.732 € Ansprüche. Abgeleitete Ansprüche, wie Hinter- bliebenenrenten, bleiben außen vor. Der Gender 918 € = 53 % Pension Gap beschreibt daher nicht in erster Linie Altersarmut von Frauen, sondern Unterschiede in 814 € der eigenständigen Alterssicherung – als Indikator für Verwirklichungschancen im Alter. Woran liegt das? • Frauen haben eine niedrigere Erwerbsquote 2015 bezogen Frauen in Deutschland 53 Prozent weniger Rente als Männer (vor allem in Westdeutschland) und eine (BMAS, 2016). niedrigere Zahl an Erwerbsjahren. • Frauen arbeiten in geringerem Umfang, Welche Unterschiede gibt es in Deutschland das heißt häufiger in Teilzeitbeschäftigung und Europa? (vor allem in Westdeutschland). 2015 erhielten Frauen in Westdeutschland 58 Prozent weniger Rente als Männer, in Ost- • Frauen haben weniger kontinuierliche deutschland 28 Prozent (Wagner et al., 2017). Die Erwerbsverläufe – vor allem, weil sie ihre geschlechtsbezogene Rentenlücke in der gesetz- Erwerbsarbeit häufiger und länger für die lichen Rentenversicherung belief sich 2014 in Familie unterbrechen. Westdeutschland auf 42 Prozent und in Ost- deutschland auf 23 Prozent (Grabka et al., 2017). • Frauen verdienen weniger als Männer und sind In skandinavischen und osteuropäischen Ländern häufiger in nicht sozialversicherungspflichtigen (beispielsweise Estland, Dänemark, Tschechien, Minijobs beschäftigt. Ungarn) sind die Rentenlücken vergleichsweise 11
1 Status quo gering. Am höchsten fallen sie in Luxemburg, Die Verteilung unbezahlter Sorgearbeit zwischen Spanien und Portugal aus. Ostdeutschland belegt den Geschlechtern und über Haushalte hinweg in dieser vergleichenden Analyse mit 20,1 Pro- beschreibt der Gender Care Gap. Der Indikator für zent europaweit Rang 5, Westdeutschland die Sorgearbeitslücke wurde im Auftrag der mit 48,8 Prozent Rang 15 (Hammerschmid/ Sachverständigenkommission für den Zweiten Rowold, 2019). Gleichstellungsbericht der Bundesregierung entwickelt. INDIKATOR Gender Care Gap Der Gender Care Gap – das sagt er konkret aus Auf Basis der Zeitverwendungserhebungen des Wer mehr Sorgearbeit leistet, hat weniger Zeit Statistischen Bundesamtes 2012/2013 wurde der für Erwerbsarbeit Gender Care Gap in Deutschland erstmals berech- Der Gender Pay und der Gender Pension Gap net. Er erfasst, wie viel Prozent mehr Zeit Frauen weisen die Unterschiede zwischen den Geschlech- täglich für unbezahlte Sorgearbeit verwenden als tern beim Einkommen und bei der auf Erwerbs- Männer. arbeit basierenden Alterssicherung aus. Unbezahl- te Sorgearbeit spielt dabei auch eine Rolle: Denn wie viel Zeit Individuen täglich für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden, bedingt die Zeit, die sie für Lebensbereiche wie die Erwerbsarbeit haben. Frauen Frauen erledigen in der Regel die täglichen, wenig flexiblen Tätigkeiten, wie zum Beispiel Putzen, Kochen und Waschen, die sich im Allgemeinen nicht zeitlich verschieben lassen und schwieriger mit den Erfordernissen des Arbeitsplatzes in Einklang zu bringen sind. 12
1 Status quo Der Gender Care Gap beinhaltet folgende Tätig Haushaltskonstellationen verrichten Frauen keiten (jeweils einschließlich der Wegezeiten): täglich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. • Haushaltsführung (einschließlich Reparatur- arbeiten, Gartenpflege, Sorge für Tiere), Gender Care Gap (Sorgearbeitslücke) • Pflege und Betreuung von Kindern und 4:13 h Erwachsenen sowie • ehrenamtliches Engagement und informelle 87 min = 52,4 % Hilfen für andere Haushalte. 2:46 h 52,4 Prozent betrug der Gender Care Gap 2012/13. Das heißt, dass Frauen mit 4:13 Stunden 52,4 Pro- zent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf- bringen als Männer mit 2:46 Stunden. Täglich sind das 87 Minuten (Klünder, 2017). Das belegt: In Deutschland besteht eine ge- schlechtsbezogene Arbeitsteilung. Quer durch alle Frauen bringen mit 4:13 Stunden 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Bildungs-, Berufs- und Altersgruppen sowie Sorgearbeit auf als Männer mit 2:46 Stunden (Klünder, 2017). Männer Männer übernehmen nicht nur weniger unbezahlte Sorgearbeit als Frauen, sie erledigen in der Regel auch eher gelegentlich anfallende, auf das Wochenende verschiebbare Aufgaben (zum Beispiel Reparaturen im Haus und am Auto), die leichter mit ihren Arbeitszeiten zu vereinbaren sind. 13
1 Status quo Unbezahlte Sorgearbeit UNBEZAHLTE SORGEARBEIT Direkte Sorgearbeit Mental Unterstützende Sorgearbeit Load Hausarbeit in der Küche, Zubereitung von Mahlzeiten Instandhaltung von Haus und Wohnung Herstellen, Ausbessern etc. von Textilien Gartenarbeit, Pflanzen- und Tierpflege Kinderbetreuung im Haushalt Bauen und handwerkliche Tätigkeiten Unterstützung, Pflege und/oder Betreuung von erwachsenen Einkaufen Haushaltsmitgliedern Behördengänge, Inanspruchnahme von Dienstleistungs- oder Verwaltungseinrichtungen Andere Aktivitäten im Bereich Haushaltsführung und Betreuung der Familie Ehrenamtliches Engagement Unterstützung für andere Haushalte Direkte Sorgearbeit bezieht andere Personen mit ein und meint beispielsweise Kinderbetreuung sowie die Unterstützung und Pflege von erwachsenen Haushalts- mitgliedern. Mit unterstützender Sorgearbeit sind alle Tätigkeiten im Haushalt oder Ehrenamt gemeint. Besonders ausgeprägt ist der Unterschied bei der direkten Sorgearbeit: Frauen leisten mehr als doppelt so viel direkte Sorgearbeit wie Männer – der Gender Care Gap beträgt hier 108,3 Prozent (versus 47,4 Prozent für unterstützende Sorgearbeit) (Klünder, 2017). 14
1 Status quo Welche Unterschiede gibt es in Deutschland Auch in anderen europäischen Ländern gibt es und Europa? Zeitverwendungserhebungen (zum Beispiel in Zwischen Ost- und Westdeutschland gibt es Frankreich oder Großbritannien). Für einen beim Gender Care Gap deutliche Unterschiede europäischen Vergleich sind vor allem die national (36,9 Prozent versus 57,4 Prozent). Ostdeutsche unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte proble- Frauen verbringen zehn Minuten pro Tag weniger matisch, da diese zum Teil mehrere Jahre ausein- mit Sorgearbeit als westdeutsche, ostdeutsche anderliegen und damit nur schwer verglichen Männer verbringen 17 Minuten pro Tag mehr werden können. Die Europäische Union hat sich mit Sorgearbeit als westdeutsche. bereits seit den 1990er-Jahren zum Ziel gesetzt, die nationalen Zeitverwendungserhebungen auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Gender Care Gap in Deutschland differenziert nach Ost und West Gender Care Gap – abhängig von Lebensphase, Kindern und Einkommen 5:00 h Lebensphase Der höchste Gender Care Gap mit 110,6 Prozent 36,9 57,4 52,4 zeigt sich im Alter von 34 Jahren und damit in 4:00 h der sogenannten „Rushhour des Lebens“ (Panova et al., 2017). In dieser Phase bündeln sich zentrale 3:00 h Entscheidungen zu Beruf, Partnerschaft und Kindern. Diese wirken sich auch langfristig auf die Arbeitsteilung des Paares aus. 2:00 h 1:00 h 4:05 2:59 4:15 2:42 4:13 2:46 0:00 h Ost West Deutschland gesamt Frauen Männer Care Gap (in Prozent) 15
1 Status quo Kinder im Haushalt • Frauen übernehmen bei einem zusätzlichen • Frauen in West- und Ostdeutschland verrichten Kind im Haushalt einen größeren Anteil der deutlich mehr Sorgearbeit als Männer, wenn Sorgearbeit (Klünder, 2017). Kinder im Haushalt leben. • Mütter leisten in Paarhaushalten mit Kindern Lebensmodelle täglich zweieinhalb Stunden mehr Sorgearbeit • Beim Ernährer-Modell (Vater vollzeitbeschäf- als Väter, sodass der Gender Care Gap 83,3 Pro- tigt, Mutter nicht erwerbstätig) ist die traditio- zent beträgt. Im Vergleich liegt der Gender Care nelle Arbeitsteilung mit einem Gender Care Gap in Paarhaushalten ohne Kinder bei Gap von 154 Prozent besonders ausgeprägt. 35,7 Prozent (Klünder, 2017). Gender Care Gap nach Haushaltstyp 6:00 h 83,3 5:00 h 76,5 35,7 4:00 h 41,2 3:00 h 2:00 h 1:00 h 3:53 2:45 4:11 3:05 5:30 3:00 4:46 0:00 h 2:42 Einpersonenhaushalte Paare ohne Kinder Paare mit Kindern Alleinerziehende Frauen Männer Care Gap (in Prozent) 16
1 Status quo • Beim Zuverdienst-Modell (Vater in Vollzeit, Nettoeinkommen Mutter in Teilzeit beschäftigt) liegt der Gender • Mit steigendem Haushaltseinkommen wenden Care Gap bei 78,8 Prozent. Männer weniger Zeit für Sorgearbeit auf. • Beim Doppelverdienst-Modell (beide Eltern • Frauen in Haushalten mit höherem Nettoein- vollzeitbeschäftigt) fällt der Gender Care Gap kommen verbringen durchschnittlich weniger mit 41,3 Prozent deutlich geringer aus. Aber Zeit mit Sorgearbeit als Frauen in Haushalten auch in diesem Modell tragen Mütter die mit niedrigerem Einkommen. Hauptverantwortung für die Sorgearbeit (Klünder, 2017). Gender Care Gap nach Haushaltseinkommen 7:00 h 7:00 h 6:00 h 6:00 h 5:00 h 5:00 h 4:00 h 4:00 h 3:00 h 3:00 h 2:00 h 2:00 h 1:00 h 1:00 h 5:47 6:01 5:49 5:21 4:54 4:28 3:31 3:31 3:25 3:19 3:04 2:41 0:00 h 0:00 h 60 % 60– 75– 100– 125– 150 % 60 % 60– 75– 100– 125– 150 % 75 % 100 % 125 % 150 % 75 % 100 % 125 % 150 % Prozent des Median-Nettoäquivalenzeinkommens Care Frau Care Mann 17
1 Status quo Erwerbsumfang Größe des Wohnorts • In Paarhaushalten mit Kind(ern), in denen die • Frauen in ländlichen Kreisen verbringen Mutter in Vollzeit erwerbstätig ist, beträgt der 34 Minuten mehr Zeit mit Sorgearbeit als Gender Care Gap 35,7 Prozent (Klünder, 2017). Frauen in Großstädten. • Der zeitliche Umfang der unbezahlten Sorge • Am größten fällt der Gender Care Gap in dünn arbeit bei Männern ist fast unabhängig davon, besiedelten ländlichen Regionen aus. Dort ob die Partnerin oder der Partner vollzeiter- leisten Frauen rund 58,8 Prozent mehr Sorge werbstätig ist oder nicht: Männer, deren Part- arbeit als Männer, während der Gap in kreis- nerin vollzeitbeschäftigt ist, bringen etwa ge- freien Großstädten nur 43,8 Prozent beträgt. nauso viel Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf Das liegt zum einen an der Verfügbarkeit von wie Männer, bei denen die Partnerin in Teilzeit Infrastruktur wie Kinderbetreuungseinrich arbeitet. tungen. Zum anderen erhöhen die Wegezeiten (insbesondere das Pendeln vom Wohnort zum • Im Unterschied dazu wenden Frauen mit Arbeitsplatz) in ländlichen Regionen den Zeit- Partnerin/Partner in Vollzeit 27 Minuten pro aufwand für Erwerbsarbeit (Calahorrano et al., Tag mehr für unbezahlte Sorgearbeit auf als 2019). Frauen mit Partnerin/Partner in Teilzeit (Calahorrano et al., 2019). 18
1 Status quo Gender Care Gap nach Siedlungsstruktur 5:00 h 55,4 54,3 58,8 4:00 h 43,8 3:00 h 2:00 h 1:00 h 3:53 2:42 4:18 2:46 4:27 2:53 4:22 2:45 0:00 h Kreisfreie Großstädte Städtische Kreise Ländliche Kreise mit Dünn besiedelte Verdichtungsansätzen ländliche Kreise Frauen Männer Care Gap (in Prozent) Wie sich die Gender Gaps gegenseitig beeinflussen • Ökonomische Analysen zeigen, dass der eigene Anteil am Haushaltseinkommen Einfluss Gender Care Gap – Gender Pay Gap darauf hat, ob man die Erwerbsarbeitszeit Beeinflusst der Gender Care Gap den Gender Pay reduziert, um unbezahlte Sorgearbeit zu Gap oder ist es andersherum? Oder beeinflussen übernehmen oder nicht (Boll, 2017). sich beide gegenseitig? Die Zusammenhänge sind vielfältig: Wenn sich der Gender Pay Gap, und damit auch der relative Beitrag zum Haushaltseinkommen, • Insgesamt wenden Frauen und Männer ähnlich reduziert, reduziert sich auch der Gender Care viel Zeit für Arbeit auf. Nur arbeiten Männer zu Gap. Maßnahmen, die den Gender Pay Gap verrin- einem deutlich größeren Anteil bezahlt und gern, können dementsprechend auch den Gender Frauen zu einem deutlich größeren Anteil Care Gap reduzieren (Calahorrano et al., 2019). unbezahlt. 19
1 Status quo Der Einfluss des Gender Pay Gaps auf den Gender Gender Care Gap – Arbeitszeit Care Gap hat das Fraunhofer-Institut für Ange- Die größten Effekte auf den Gender Care Gap wandte Informationstechnik (kurz: FIT) unter- hätten Veränderungen der Arbeitszeiten: sucht. Das FIT hat analysiert, was passiert, wenn der Gender Pay Gap geringer wäre. Hier sind zwar • Wenn Frauen und Männer ihre Wochen Effekte zu finden, sie fallen aber gering aus: arbeitszeiten angleichen, würde sich der Gender Care Gap deutlich reduzieren. Statis- • Eine zehnprozentige Erhöhung der Brutto tisch verringert sich der Gender Care Gap um stundenlöhne aller Frauen würde den Gender 22 Prozent bei einer 35-Stunden-Woche für Care Gap aller erwerbstätigen Personen um Frauen und Männer und um 14,3 Prozent etwa 2,2 Prozent verringern. bei einer 30-Stunden-Woche. • Frauen leisten weniger Sorgearbeit, wenn sie • Würde sich der Anteil der erwerbstätigen Väter • höhere Bruttostundenlöhne, in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen auf • ein höheres Haushaltseinkommen und 20 Prozent erhöhen, verringert das den Gender • in Paarbeziehungen ein höheres relatives Care Gap bei den Eltern um 9,2 Prozent. Einkommen haben. • Es gibt auch einen deutlichen statistischen Gender Care Gap – Gender Pension Gap Zusammenhang zwischen Elterngeld und Der Gender Pension Gap ist eine Bilanz des Er- Gender Care Gap: Wenn sich der Anteil der werbslebens. Wenn sich die Erwerbstätigkeit von Väter, die Elterngeld beziehen, auf 50 Prozent Frauen und Männern angleicht, wird dies sowohl erhöht, verringert das den Gender Care Gap den Gender Pay Gap als auch den Gender Pension bei den Eltern um 13,6 Prozent. Gap reduzieren. Konkret meint das: Wenn Frauen weniger Erwerbsunterbrechungen haben (und Die Verteilung unbezahlter Sorgearbeit zwischen Männer gegebenenfalls mehr), Frauen eher in Frauen und Männern wird maßgeblich von der Vollzeit als in Teilzeit arbeiten (und Männer ihre Zeit für die Erwerbsarbeit beeinflusst und weniger Erwerbsarbeitszeit gegebenenfalls reduzieren) vom Geld für die verrichtete Erwerbsarbeit. Die und Frauen durch ihre Erwerbsarbeit mehr ver- Reduktion des Gender Care Gaps bei der Anpas- dienen, wird dies sowohl den Gender Pay Gap sung der Arbeitszeiten ist deutlich größer als bei reduzieren als auch den Gender Pension Gap. Und der Angleichung der Einkommen. diese Veränderungen würden wiederum auch den Gender Care Gap (etwas) reduzieren. 20
2 Ursachen
2 Ursachen Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: wie sich eine traditionelle Aufgabenteilung im Lebensverlauf manifestiert Jeder Mensch leistet unbezahlte Sorgearbeit – Das war auch gesetzlich so festgelegt: Frauen für sich und für andere, als Single oder im Paar, durften in der BRD nur dann erwerbstätig sein, mit Kind(ern) oder ohne. Wie Sorgearbeit in unserer wenn dies mit ihren „Pflichten“ in Ehe und Gesellschaft zwischen Frauen und Männern verteilt Familie vereinbar war. 1958 wurden die Ehe ist, hat viele Ursachen. Das sind sie und so entsteht partner zwar rechtlich gleichgestellt, es galt eine Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. gesetzlich jedoch nach wie vor das Familien ernährer-Modell. Historische Unterschiede in Eine Reihe von rechtlichen Regelungen und Deutschland – und welchen sozialpolitischen Leistungen verstärkte die Nach- teile des Familienernährer-Modells für die Frauen. Einfluss sie immer noch haben Teilweise sind diese auch weiterhin gültig, wie beispielsweise das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung für Eheleute in HISTORIE Bundesrepublik Deutschland: vom der Gesetzlichen Krankenversicherung. Familienernährer-Modell zum Zuverdienst-Modell Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) richtete sich seit den 1950er-Jahren am sogenannten Familienernährer-Modell aus: Der Familien ernährer verdient alleine das gesamte Einkommen für seine Familie. Er ist mit einer Hausfrau ver heiratet, die gegenüber dem Mann nicht gleich berechtigt ist und die unbezahlte Sorgearbeit im Haushalt übernimmt. In dieser Rolle bekommt sie Schutz durch den Staat. 22
2 Ursachen Im Scheidungsrecht wurde das Zerrüttungsprin- zip mit dem Versorgungsausgleich eingeführt, Das Familienernährer-Modell aus gleich um geschiedene nicht erwerbstätige Frauen und stellungspolitischer Sicht Mütter sozial abzusichern. Staatliche Unterstüt- • Diese Konstellation weist die unbezahlte zung in Form einer ausgebauten Pflegeinfrastruk- Sorgearbeit Frauen zu und erschwert es tur und sozialpolitischer Leistungen bei der Pflege ihnen, eine berufliche Karriere zu verfolgen; von Angehörigen fehlten bis weit in die 1980er- sie geraten in finanzielle Abhängigkeit. Jahre weitestgehend. Pflege von Angehörigen war • Da ein Großteil der Sorgearbeit in der Familie vorrangig eine Aufgabe der Familie. Sie wurde geleistet wird, bleibt die öffentliche Infra- unbezahlt von den Familienangehörigen, mehr- struktur unterentwickelt. heitlich von Frauen, übernommen. • Von den meist männlichen sogenannten Familienernährern wird hingegen verlangt, Zeit und Energie ausschließlich in den Beruf fließen zu lassen. Das Zuverdienst-Modell aus gleich stellungspolitischer Sicht Quelle: Sachverständigenkommission für den Zweiten Gleich • Das Zuverdienst-Modell ist lediglich eine stellungsbericht Variation des Familienernährer-Modells. So ändert sich für den meist männlichen Familienernährer wenig, ihm bleibt weiterhin wenig Zeit für die Familie. Anfang der 1960er-Jahre stieg der Bedarf an • Die meist weibliche Zuverdienerin muss Arbeitskräften. Es kam zum gesellschaftlichen hingegen Teilzeiterwerbsarbeit und familiäre Wandel hin zum Zuverdienst-Modell: In dieser Sorgearbeit vereinbaren. Außerdem kann sie Konstellation blieb der Mann Familienernährer. durch ihre Teilzeitarbeit ihre Existenz kaum Die Frauen verdienten durch eine zumeist in eigenständig sichern und sich nur wenig Teilzeit ausgeübte Erwerbstätigkeit zum Familien- beruflich entwickeln. einkommen hinzu. Mit der Reform des Ehe- und • Im Zuverdienst-Modell bleibt die gleich Familienrechts 1977 wurden Frauen von der stellungspolitische Schieflage erhalten: Wer Pflicht zur Führung des Haushalts entbunden. mehr unbezahlte Sorgearbeit übernimmt und Sie erhielten ein uneingeschränktes Recht auf weniger bezahlt arbeitet, ist ökonomisch Erwerbstätigkeit und durften eigenständig abhängiger und kann für die eigene Alters- Arbeitsverträge abschließen und kündigen. sicherung weniger vorsorgen. 23
2 Ursachen HISTORIE Deutsche Demokratische Republik: So gab es Einschränkungen für Väter, familien- Frauen leisteten im Haushalt mehr – trotz Doppel politische Leistungen in Anspruch zu nehmen. verdienst-Modell Das Doppelverdienst-Modell blieb in seiner tat- sächlichen Ausgestaltung gleichstellungspolitisch Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) inkonsistent. Die staatliche Durchsetzung der orientierte sich am Doppelverdienst-Modell mit Gleichstellung der Frauen beschränkte sich letzt- zwei vollzeiterwerbstätigen Erwachsenen. Das endlich auf den Arbeitsmarkt. Sie führte nicht zur Modell setzt auf die durchgängige volle Erwerbs- parallelen Gleichstellung der Frauen bei der Ver- tätigkeit der Mutter. teilung der unbezahlten Sorgearbeit im Haushalt. In der Verfassung der DDR war von Beginn an 1985 übernahmen Frauen zwei Drittel der unbe- das Gleichberechtigungsprinzip in der Ehe festge- zahlten Sorgearbeit, Männer ein Drittel. Damit schrieben: Die Eheleute waren verpflichtet, die blieb auch in der DDR, wenn auch im Vergleich unbezahlte Sorgearbeit so aufzuteilen, dass die zur BRD eine abgeschwächte, traditionelle ge- Frau ihre berufliche Tätigkeit mit der Mutterschaft schlechtsbezogene Arbeitsteilung im Haushalt vereinbaren kann. Sie waren sich gegenseitig zum erhalten. Unterhalt verpflichtet. Nach der Scheidung hatte, im Gegensatz zur BRD, jede Person eigenverant- wortlich für sich selbst zu sorgen. HISTORIE Wiedervereintes Deutschland (ab 1990): Das Zuverdienst-Modell gewann Das Doppelverdienst-Modell ermöglichte der an Bedeutung Staat vor allem durch eine ausgebaute Kinderbe- treuungs- und Pflegeinfrastruktur – bereits für Nach der Wiedervereinigung 1990 kam es in der mehrere Wochen alte Kinder. Pflegebedürftige ehemaligen DDR zu grundlegenden strukturellen Menschen wurden im Regelfall in staatlich sub- Veränderungen: Der Anteil berufstätiger Frauen ventionierten Heimen untergebracht. Eine Reihe sank deutlich. Durch den Anstieg der Erwerbs familienpolitischer Leistungen beinhalteten losigkeit, befristete Arbeitsverträge und den Rück- Anreize für Mütter, ihre Erwerbstätigkeit wieder- gang der Vollbeschäftigung änderten sich die aufzunehmen. Rahmenbedingungen drastisch. Es kam zu einem Geburtenrückgang und einem Rückbau der Trotzdem forderte der Staat von den Frauen eine Kinderbetreuungsinfrastruktur. Das Zuverdienst- höhere Verantwortung für alle Familienbelange. Modell gewann auch in Ostdeutschland an Bedeutung. 24
2 Ursachen Da das institutionelle Gefüge der Bundesrepublik Ein kurzer Überblick über die aktuellen Rahmen- auf die Gebiete der ehemaligen DDR übertragen bedingungen in Deutschland: wurde, bestanden in ganz Deutschland die gesetz- lichen Regelungen, die auf dem Familienernährer- Betreuung und Erziehung von Kindern Modell basieren, und damit verknüpften Normen • Mutterschutz: Regelungen zum Gesundheits- weiter. schutz, Kündigungsschutz und zu beziehbaren Leistungen Einen Paradigmenwechsel brachte die Ergänzung des Artikels 3 Absatz 2 des Grundgesetzes 1994, • Elternzeit (seit 2007): Kündigungsschutz, in dem der Staat zu einer tatsächlichen Geschlech- rechtlicher Anspruch auf Teilzeitarbeit tergleichstellung aktiv beauftragt wurde. In der Folge wurden zahlreiche gesetzliche Regelungen • Elterngeld (seit 2007): individualisierte Leis- und Normen reformiert, zum Beispiel das Unter- tung, die fehlendes Einkommen ersetzt, wenn haltsrecht. Eltern ihre Erwerbsarbeit unterbrechen oder reduzieren Aktuelle rechtliche Rahmenbedingungen • ElterngeldPlus (seit Januar 2015): ermöglicht für Sorgeverantwortung tragende Menschen – in Teilzeit arbeitenden Eltern, Elterngeld zu eine Übersicht beziehen, ebenfalls einkommensabhängig Der Staat gestaltet die Rahmenbedingungen für • Krankengeld: Krankengeld für den pflegenden, die Betreuung und Erziehung von Kindern und erwerbstätigen Elternteil die Pflege von Angehörigen mit verschiedenen Regelungen. Sie alle wirken sich auf die Verteilung • Unterhaltsrecht: Unterhaltszahlungen für unbezahlter Sorgearbeit aus – und wurden vor Geschiedene nach einer Reform nur noch bis dem Hintergrund gesellschaftlicher Wandlungs- das jüngste Kind drei Jahre alt ist prozesse immer wieder neu ausgerichtet. • Rentenpunkte: Ein Elternteil erhält unter bestimmten Voraussetzungen Rentenpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung, diese werden zuerst automatisch der Mutter zuge- ordnet. 25
2 Ursachen • Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz • Familienpflegezeitgesetz (Novellierung 2015): für Ein- bis Dreijährige (seit 2013), verbunden Möglichkeit für Erwerbstätige, die Arbeitszeit mit einem massiven Ausbau der Infrastruktur, für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten auf Stand: 2019: fast 790.000 Plätze für Kinder unter bis zu 15 Stunden pro Woche zu reduzieren, um drei Jahren (Betreuungsquote Ostdeutschland: einen nahen Angehörigen zu pflegen 51,5 Prozent versus Westdeutschland: 29,4 P rozent) • Rentenpunkte in der gesetzlichen Rentenver- sicherung: Unter bestimmten Voraussetzungen • Sicherstellung der Betreuung von Grund- erhalten pflegende Angehörige Rentenpunkte schulkindern: 41 Prozent der Kinder besuchten in der gesetzlichen Rentenversicherung. im Jahr 2017 ein Ganztagsbetreuungsangebot (mehr als 35 Stunden pro Woche) und weitere • Flächendeckende ambulante und stationäre 47 Prozent ein erweitertes Halbtagsangebot Angebote: kein Rechtsanspruch; oft werden (mehr als 25 bis 35 Stunden pro Woche). Angehörige zum Beispiel wegen hoher Kosten stationärer Pflege zu Hause gepflegt. Das Pflege von Angehörigen schränkt vor allem niedrig qualifizierte Frauen Das Pflegesystem in (West-)Deutschland baut seit ein, sich beruflich zu entwickeln und ihre Jahrzehnten strukturell darauf auf, dass vorrangig Existenzsicherung eigenständig zu sichern. Angehörige Pflegetätigkeiten übernehmen. • Personalbedarf für die Kranken- und Alten- • Pflegegeld: wird gezahlt, wenn Angehörige pflege: hoher Personalbedarf beziehungsweise die Pflege übernehmen. Mit dem Pflegegeld Fachkräftemangel; mit der Konzertierten können Pflegebedürftige Angehörigen eine Aktion Pflege hat die Bundesregierung bereits finanzielle Anerkennung für ihre Leistung zu- begonnen, nachzusteuern. kommen lassen. Für pflegende Angehörige leitet sich jedoch kein eigenständiger Anspruch • Haushaltsnahe Dienstleistungen: unter aus dieser Leistung ab. bestimmten Voraussetzungen Steuererleich terung für Haushalte, die Tätigkeiten der • Pflegezeitgesetz (2008): Freistellungsoptionen unbezahlten Sorgearbeit an Personen bezie- für erwerbstätige, nahe Angehörige, die unbe- hungsweise Dienstleistungsunternehmen zahlt für einen pflegebedürftigen Menschen externalisieren Sorgeverantwortung übernehmen 26
2 Ursachen Das Zuverdienst-Modell: Nur ein kleiner Teil der Elternpaare mit mindes- nicht gewollt, aber praktiziert – tens einem Kind verteilt die Aufgaben tatsächlich egalitär. Dabei wünschen sich heute die meisten die Knotenpunkte Familiengründung, Männer eine Partnerschaft, in der beide erwerbs- Wiedereinstieg und Pflege tätig sind und sich beide etwa gleichviel um Haushalt und Kinder kümmern (2007: 33 Prozent Nur wenige Elternpaare verteilen die Aufgaben aller Männer ab 18 Jahren; 2015: 42 Prozent, nach tatsächlich egalitär – obwohl sie sich das wünschen. Wippermann, 2017). Während vollzeitarbeitende Wieso praktizieren sie dennoch eine traditionelle Eltern – sowohl Mütter als auch Väter – gerne Aufteilung? Welche Faktoren beeinflussen neben weniger arbeiten würden, möchten teilzeiterwerbs- den institutionellen Rahmenbedingungen ihre tätige und nicht erwerbstätige Eltern gerne mehr Entscheidungen? arbeiten. Studien zeigen: Das Zuverdienst-Modell ist für Arbeitsteilung in Familien, insbesondere bei der viele nicht ideal und nicht gewollt, aber ein Haus- und Sorgearbeit, wird oft nicht explizit Modell, das wegen der ökonomischen Anreize verhandelt. Sie entsteht vielfach durch gelebte praktiziert wird – eigentlich nur vorübergehend. Praxis und Routinen, die auch auf impliziten Vor allem bei jungen Männern wandeln sich die Geschlechterrollen beruhen. Auf diese greifen Einstellungen. Der Wunsch, mit der Vaterschaft Individuen gerade dann zurück, wenn sie sich seine Arbeit zu reduzieren oder zu unterbrechen, vor oder in einer Umbruchphase befinden. um der Rolle als Vater auch im Alltag gerecht zu werden, ist vor allem in gehobenen Bildungs- So wird väterliche Vollzeiterwerbstätigkeit kaum schichten und Milieus hoch. infrage gestellt. Paare ziehen eine egalitäre Arbeits- teilung seltener in Betracht, da diese als aufwen Wieso schlagen sich diese egalitären Einstellun- diger erachtet wird, und Einkommensverluste gen nicht im tatsächlichen Verhalten nieder? befürchtet werden. Die Vorteile der egalitären An welchen Knotenpunkten manifestiert sich Arbeitsteilung (langfristige Flexibilisierung, die Verteilung von Erwerbs- und unbezahlter gleiche Verwirklichungschancen im Beruf und Sorgearbeit? In welchen Lebensphasen werden Zeit für die Familie für beide Elternteile) sehen Entscheidungen getroffen, die später nicht Paare häufig nicht oder schätzen sie geringer ein mehr einfach geändert und angepasst werden als den damit verbundenen Aufwand. können? 27
2 Ursachen KNOTENPUNKT Familiengründung: Nach der Paare im Doppelverdienst-Modell Geburt eines Kindes leben Paare traditioneller Bevor ein Kind im Haushalt lebt, sind – das zeigen viele empirische Studien – Erwerbs- und Haus- arbeit relativ egalitär verteilt. 71 % • Mit Geburt des ersten Kindes kommt es zu Vor Geburt einer sogenannten „Retraditionalisierung“: des ersten Kindes Die Mütter unterbrechen die eigene Erwerbs- arbeit im Zuge der Elternzeit (oder länger) und werden in dieser Zeit für die unbezahlte Sorgearbeit zuständig. Die Väter hingegen bleiben überwiegend kontinuierlich erwerbs- 15 % tätig und verantworten das Familienein kommen. Nach Geburt • Im Anschluss an den Mutterschutz nehmen des ersten Kindes die allermeisten Mütter Elternzeit und bezie- hen Elterngeld. Sie sind nun mit dem Kind zu Hause. Vor der Geburt des ersten Kindes leben mehr als zwei Drittel der Paare (71 Prozent) ein Doppelverdienst-Modell, nach der Geburt des Kindes nur noch etwa 15 Prozent. • Während Paare über die Verteilung der Eltern- zeit und der Elterngeldmonate vor der Geburt sprechen, sprechen die meisten Paare nicht über die Verteilung der Hausarbeit. Im Laufe Meist ist die Geburt von Kindern deshalb ein der Elternzeit übernimmt dann häufig die Knotenpunkt, an dem sich die Berufsbiografien Person die Hausarbeit, die zu Hause ist. Da der beiden Personen im Paar unterschiedlich Mütter im Durchschnitt deutlich länger entwickeln. Elternzeit nehmen, sind dies in den meisten Fällen auch die Mütter. 28
2 Ursachen • Obwohl mehr als zwei Drittel der Paare Teilzeitquoten von Frauen und Männern 2019 (71 Prozent) vor der Geburt des ersten Kindes ein Doppelverdienst-Modell leben, tun dies 11 % nach der Geburt des Kindes nur noch etwa 15 Prozent. • 55 Prozent der Mütter arbeiten mit reduziertem Erwerbsumfang, 17 Prozent hören ganz auf zu arbeiten. 48 % • Nur in vier Prozent der Familien arbeiten die Väter nach der Elternzeit des ersten Kindes mit Frauen Männer einem Umfang von 25 bis 34 Wochenstunden in Teilzeit. 2019 arbeiteten fast 48 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftig- ten Frauen in Teilzeit, während es bei den Männern nur knapp elf Prozent waren (BA Statistik, 2019b). Auch eine weitere Repräsentativbefragung von Vätern (Wippermann, 2017) kommt zu dem Ergebnis: Ostdeutschland: Doppelte Erwerbsarbeit • Für Väter ist die Vollzeiterwerbstätigkeit die ist selbstverständlicher soziale Norm. Obwohl das Doppelverdienst-Modell nach der Wiedervereinigung unter Druck geriet, dominiert • Einerseits wünschen sie sich mehr Zeit für ihr es in Ostdeutschland nach wie vor. Kind und ihre Familie; andererseits arbeiten sie nach der Familiengründung sogar mehr. • In Ostdeutschland arbeiten in 27 Prozent der Paarfamilien mit minderjährigen Kindern beide • Die Mehrheit der Männer betrachtet eine Teil- Elternteile mehr als 36 Wochenstunden, in zeitbeschäftigung zwar theoretisch als möglich, Westdeutschland dagegen nur in neun Prozent jedoch finanziell auch als riskant sowie als der Familien (BMWi, 2019). Doppelte Erwerbs- karriereschädigend. Männer erleben ihre Voll- tätigkeit ist im Osten Deutschlands nach wie zeiterwerbstätigkeit als ökonomisch-rationale vor etwas Selbstverständliches, Gewohntes und Wahl und zugleich als Ausweis normalen Normales. Mannseins. 29
2 Ursachen • Die Erwerbstätigenquote von Müttern ist in Mütter sind nach wie vor für die Kinderbetreuung Ostdeutschland nach wie vor deutlich höher zuständig als in Westdeutschland, insbesondere bei • Auch nach der Elterngeldreform 2007, mit der Müttern mit kleinen Kindern: 2017 waren in die Politik die Beteiligung von Vätern gestärkt Westdeutschland 57 Prozent der Mütter mit hat, sind nach wie vor Mütter für die Kleinkind- jüngstem Kind zwischen zwei und drei Jahren betreuung zuständig. erwerbstätig, in Ostdeutschland dagegen 72 Prozent (BMWi, 2019). • Für Mütter hat sich aber – unabhängig von ihrem Einkommen beziehungsweise dem • Ostdeutsche Mütter mit kleinen Kindern Haushaltseinkommen – etabliert, die Berufs arbeiten zudem überwiegend in Vollzeit oder tätigkeit zwölf Monate lang zu unterbrechen. in vollzeitnaher Teilzeit, während westdeutsche Mütter überwiegend in Teilzeit mit wenigen • Mütter in Ostdeutschland nehmen kürzere Stunden arbeiten: Während 2017 im Osten Elternzeiten als Mütter in Westdeutschland. 49 Prozent der Mütter mit minderjährigen Kindern in Teilzeit tätig waren, lag der Anteil Mehr Väter nehmen Elternzeit, jedoch mit im Westen bei 74 Prozent (Destatis, 2018b). kürzerer Bezugsdauer • Auch bei den Vätern ist ein Wandel erkennbar: Aber das Zuverdienst-Modell spielt in Ostdeutsch- Mehr Männer nehmen Elternzeit in Anspruch. land zunehmend eine Rolle. Im Zeitraum von 2007 waren nur 3,5 Prozent aller Erziehungs- 1996 bis 2013 ging der Anteil erwerbstätiger geldbeziehenden männlich. Ein Jahr nach der Elternpaare in Ostdeutschland, in denen beide Elterngeldreform stieg die Väterbeteiligung auf Elternteile in Vollzeit arbeiteten, um rund 26 Pro- über 15 Prozent. Seitdem kam es zu einem zentpunkte zurück. Im Vergleich dazu stieg der kontinuierlichen Anstieg bis auf 35,7 Prozent Anteil erwerbstätiger Elternpaare in Ostdeutsch- (Basiselterngeld) im Jahr 2015, knapp 37 Prozent land, in denen der Vater in Vollzeit und die Mutter im Jahr 2016 (Unterhofer et al., 2017/Samtleben in Teilzeit tätig war, um 22 Prozentpunkte. et al., 2019) auf 41 Prozent (Destatis: Statistik zum Elterngeld, 2020). 30
2 Ursachen • Entscheidend ist jedoch die Länge der Eltern- • Die Zahl der Väter, die Elterngeld beziehen, zeit: Die durchschnittlich geplante Eltern- steigt von Jahr zu Jahr an: Im Jahr 2015 waren es geld-Bezugsdauer von Vätern ist mit 3,8 Mona- 326.000 Väter (21 Prozent), 365.000 (22 Prozent) ten deutlich geringer als die von Müttern mit im Jahr 2016 und 406.000 (23 Prozent) im Jahr 14,2 Monaten. Außerdem nehmen knapp 2017. Im Jahr 2018 haben 433.000 Väter Eltern- 80 Prozent der Väter nur jene zwei Monate des geld bezogen. Basiselterngeldes in Anspruch, die sonst ver fallen würden (Destatis, 2019c). • Die durchschnittlich geplante Elterngeld- Bezugsdauer von Vätern lag mit 3,8 Monaten In der Praxis etabliert: Mütter nehmen weiterhin deutlich unter der Bezugsdauer zwölf Monate Elternzeit, Väter zwei von Müttern (im Schnitt 14,2 Monate). Das • Frauen beziehen nicht nur häufiger, sondern ab Juli 2015 neu geschaffene ElterngeldPlus auch deutlich länger Elterngeld. Daran hat auch nehmen inzwischen 13 Prozent der Elterngeld die Einführung des ElterngeldPlus kaum etwas beziehenden Väter in Anspruch (im Vergleich: geändert. 30 Prozent der Mütter). • Zwar nutzen mehr Mütter und auch Väter die • Auch wenn das Elterngeld so angelegt ist, Möglichkeit, die Elternzeit mit einer Teilzeiter- dass sich die Eltern die Monate des Elterngeld- werbstätigkeit zu kombinieren – insgesamt ist bezuges frei aufteilen können und die Partner- dadurch jedoch der Anteil von Vätern in monate als Mindestregelung angelegt sind, hat Elternzeit nicht gestiegen. sich in der Praxis etabliert, dass Väter meistens zwei Monate Elternzeit nehmen. • Die Elterngeldreform hat die Dauer der Eltern- zeit nur wenig beeinflusst: Lag 2015 der Anteil der Väter, die bis zu zwei Monate Elternzeit nahmen, noch bei etwa 77 Prozent, hat er sich zugunsten des Anteils mit längerer Elternzeit bis 2018 auf rund 72 Prozent verringert (Samt- leben et al., 2017). 31
2 Ursachen Bezug von Basiselterngeld und ElterngeldPlus nach Geschlecht 50 38,8 40,4 40 36,9 34,8 32,6 30,0 30 28,0 25,9 24,0 21,2 20 10 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Angaben in Prozent Die Väterbeteiligung bezeichnet den prozentualen Anteil der Kinder, für die (mindestens) ein männlicher Leistungsbezieher Elterngeld bezogen hat, an allen im betrachteten Zeitraum geborenen Kindern (Destatis, 2020). Eine Frage des Geldes? Für welches Arrangement in Höhe von 1.800 Euro. Anderseits kann das sich Paare entscheiden höhere Einkommen eine kurze oder gar keine Geld innerhalb der Paarbeziehung wird individu- Elternzeit begründen, weil die Paare das höchste ell bewertet. Paare in einer ähnlichen finanziellen Gesamteinkommen erzielen wollen oder müssen. Situation begründen höchst unterschiedliche In Haushalten mit geringem Einkommen sind Elternzeitarrangements als ökonomisch sinnvoll. die Höhe des Einkommens und die Höhe mögli- Zum Beispiel gilt das höhere Einkommen einer cher Ersatzleistungen besonders relevant. Etwa Partnerin oder eines Partners einerseits als Be- die Hälfte der Mütter und Väter ist der Meinung, gründung für eine Elternzeit mit einer höheren dass der Elternteil weiter berufstätig sein sollte, oder sogar maximalen sozialstaatlichen Leistung der mehr verdient. 32
2 Ursachen Der berufliche Wiedereinstieg nach der Familien- phase gilt damit ebenfalls als eine „Traditionali Die eintretende „Elternschaft“ ist nach wie vor sierungsfalle“ in der Partnerschaft. Verschiedene der Zeitpunkt, bei dem die Verteilung der unbe- wohlfahrtsstaatliche Leistungen legitimieren – zahlten Sorgearbeit traditioneller wird. Die Ver- gemeinsam mit Geschlechterrollenzuschreibun- teilung hängt in einem großen Maß ab von gen – mehrjährige Auszeiten. Einen vollständigen Wiedereinstieg nehmen Frauen oft als nicht • sozialen Normen, wie zum Beispiel „Babys lohnenswert wahr. Diese drei Faktoren wirken und Kleinkinder sollten zu Hause von der hier in einem Zusammenspiel: Mutter aufgezogen werden“, • Stereotypen, wie zum Beispiel „Mütter • Eine fehlende, teilweise teure Kinderbetreu- können sich besser um Babys nach der ung: Die Kosten für die öffentliche Kinder Geburt kümmern“, betreuung sind für Haushalte mit niedrigem • traditionellen Rollenzuschreibungen, wie Einkommen trotz staatlicher Zuschüsse oft zu zum Beispiel „Frauen sind für die unbezahlte hoch, private Kinderbetreuungsangebote sind Sorgearbeit zuständig, Männer für das nur für Haushalte mit höherem Einkommen Einkommen der Familie“. bezahlbar. Nachdem die finanziell durch den Staat unter- • Die Leistungen des Sozial- und Steuersystems stützte Elternzeit zu Ende ist, wirken jedoch in Form des Ehegattensplittings und der Aus- weiterhin die sozialen Normen stark, sodass gleich über die Lohnsteuerklassen konfrontie- Väter in Vollzeit arbeiten und Mütter maximal ren Frauen beim beruflichen Wiedereinstieg in Teilzeit. mit einer hohen Abgabelast und erschweren die Rückkehr in gleichberechtigte Modelle. • Die beitragsfreie Mitversicherung für Ehe KNOTENPUNKT Wiedereinstieg: leute in der gesetzlichen Krankenversicherung eine „Traditionalisierungsfalle“? kann dazu führen, dass eine geringfügige Beschäftigung lukrativer ist als eine sozial Viele Mütter arbeiten – nachdem sie für die Kin- versicherungspflichtige Anstellung. derbetreuung ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen hatten – nur mit reduzierten Stunden weiter. 33
2 Ursachen Vielfach bewerten Paare ganz subjektiv, ob sich als Mütter ohne Homeoffice; während Väter, der Wiedereinstieg der Frau „rechnet“. Die mütter- unabhängig davon, ob sie im Homeoffice arbeiten liche Erwerbstätigkeit wird dabei materiell und oder nicht, 13 Stunden für die Betreuung der symbolisch abgewertet und zuweilen sogar als Kinder verwenden (Lott, 2019). individuelles Armutsrisiko eingestuft, zum Beispiel durch den Wegfall der Familienmit Die traditioneller werdende Arbeitsteilung – versicherung oder entstehende Kosten für die eine Einbahnstraße außerhäusliche Betreuung. Es liegt auch an Mit dem (teilweise zwangsläufig reduzierten) geschlechtsbezogenen Zuschreibungen der Wiedereinstieg der Mutter verfestigt sich die Verantwortlichkeit für Sorgearbeit, dass Paare einseitige Zuständigkeit des Vaters als Familien die Kosten für Kinderbetreuung gegen den ernährer. Der Mann treibt seine Karriere und zusätzlichen Verdienst der Mutter aufrechnen berufliche Entwicklung in Vollzeit voran, wohin- und die Erwerbstätigkeit der Mutter begründet gegen die Mutter ihre berufliche Entwicklung werden muss. hintenanstellt und oft mit Arbeitslosigkeit oder Dequalifizierung konfrontiert ist. Bei Alleinerziehenden stellt sich eher die Frage, wie und in welchem Umfang sie erwerbstätig sein Werden diese traditionellen Arrangements einmal können. Bei den Müttern minderjähriger Kinder gelebt, stabilisiert sich diese Lebensweise und wird unterscheidet sich die Erwerbstätigkeit zwar kaum im Verlauf der Beziehung mehrheitlich nicht mehr zwischen Alleinerziehenden (70,1 Prozent) und ausgeglichen beziehungsweise revidiert. Das zeigt Müttern in Partnerschaften (67,7 Prozent). Allein- sich unter anderem daran, dass erziehende Mütter arbeiten jedoch deutlich häufiger in Vollzeit (42 Prozent) als Mütter in • die meisten Elternpaare nach der Geburt weite- Partnerschaften (29 Prozent) (Destatis, 2018c). rer Kinder die gleiche Erwerbskonstellation ausüben, die sie beim ersten Kind gewählt Eine Möglichkeit, trotz Sorgeverantwortung mehr haben (89 Prozent der Väter und 66 Prozent zu arbeiten, ist das Homeoffice. Allerdings kann der Mütter von zwei oder mehr Kindern). sich im Homeoffice die ungleiche Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Ge- • bis zum 30. Lebensjahr 58 Prozent der Frauen schlechtern verfestigen. So investieren Mütter im vollzeitberufstätig sind, danach sind es weniger Homeoffice mit insgesamt 21 Stunden fast drei als 50 Prozent (lfD, 2015). Stunden pro Woche mehr in die Kinderbetreuung 34
2 Ursachen • Frauen unbezahlte Sorgearbeit deutlich stärker erhöhen als Männer, wenn ein Kind im Haus- halt lebt, und bei einem weiteren Kind den Häusliche Pflege – Zahlen und Fakten größeren Anteil der Sorgearbeit übernehmen Ungefähr drei Viertel aller Pflegebedürftigen (Calahorrano et al., 2019). (2,59 Millionen Menschen) wurden 2017 zu Hause versorgt, davon 1,76 Millionen in der Studien zeigen: Schon wenn Väter mehr als zwei Regel allein durch Angehörige (Destatis, 2018a). Monate Elternzeit nehmen, wirkt sich das positiv Im Durchschnitt sind die pflegenden Angehöri- auf die Arbeitszeiten und den weiteren Berufsweg gen 55 bis 64 Jahre alt, die Mehrheit von ihnen der Partnerin nach dem Wiedereinstieg aus, da ist verheiratet. Zwei Drittel der Hauptpflege diese früher wieder einsteigen kann. Der Effekt personen (1,65 Millionen) sind weiblich (Roth- ist sogar noch stärker, wenn der Vater nach den gang/Müller, 2018). Gegenüber Männern Elternmonaten seine Arbeitszeit leicht reduziert. verrichten Frauen (Ehefrauen, Töchter, Schwie- Das verstärkt sein Engagement in der Familie ger- oder Enkeltöchter) mehr als doppelt so und erleichtert es der Partnerin, sich auf ihr häufig unbezahlte Pflegetätigkeiten in der berufliches Fortkommen zu konzentrieren – was Familie. Überwiegend Frauen leisten nach wie wiederum die Chance vergrößert, dass Paare vor private häusliche Pflege. Erwerbs- und Sorgearbeit egalitärer aufteilen. KNOTENPUNKT Pflege von Angehörigen: Verschiedene Quer- und Längsschnittstudien Häusliche Pflege ist weiblich belegen: Wer Kinder betreut, kann erwarten, dass sich der • Menschen, die häusliche Pflege übernehmen, Sorgeaufwand im Laufe der Zeit reduziert. Denn sind seltener berufstätig. es gibt eine festgelegte Reihenfolge von Institutio- nen, die unterstützen (Kita, Kindergarten, Ganz- • Häusliche Pflege realisieren sie häufig in tagsschule et cetera). Wenn ein Pflegefall in der Kombination mit einer Erwerbstätigkeit Familie eintritt, ist das anders: Dieser kommt oft in Teilzeit. sehr plötzlich und es ist ungewiss, wie die Pflege- bedürftigkeit verlaufen wird. 35
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