KINDERSPITAL ZÜRICH - Kinderspital Zürich
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Inhaltsverzeichnis Das Jahr 2020 Misshandelte Kinder: Erneute Zunahme der Fälle - pandemiebedingt 1 Schwerpunktthema: Wie Misshandlung das Leben prägt 6 Forschung 15 Fort- und Weiterbildung 17 Statistik 18 Team 2020 19 Spenden 20 Dank 21
Misshandelte Kinder: Erneute Zunahme der Fälle - pandemiebedingt Die Kinderschutzgruppe und Opferberatungsstelle des Universitäts-Kinderspitals Zürich verzeichnete 2020 erneut eine Zunahme der gemeldeten Verdachtsfälle von Kindsmisshandlungen. Insgesamt bearbeiteten wir 592 Fälle, also 48 mehr als im Vorjahr. Das ist die höchste Fallzahl, die wir bei uns je erfasst haben. Von diesen 592 Fällen mussten wir Fälle von körperlicher Misshand bei 397 Kindern eine Misshandlung lung und sexuellem Missbrauch bestätigen, bei 168 Kindern blieb der steigen Verdacht bestehen, konnte aber nicht Die Spezialistinnen und Spezialisten nachgewiesen werden. In diesen Fäl der Kinderschutzgruppe und Opfer len werden die Kinder engmaschig beratungsstelle behandelten im ver kontrolliert oder mit anderen Stellen gangenen Jahr mehr Kinder nach (wie z.B. dem Kinderarzt, der Mütter- körperlicher Misshandlung (193) oder und Väterberatung etc.) vernetzt. Bei sexuellen Missbrauchs (185) als noch 27 Kindern stellte sich im Verlauf 2019. In den anderen Kategorien (sie der Untersuchung heraus, dass die he Diagramm) lagen die Fallzahlen Symptome medizinisch erklärbar auf vergleichbarem Niveau wie im waren und keine Misshandlung Vorjahr. vorlag. 1
Gemeldete Misshandlungsformen 2019 und 2020 2019 2020 H körperliche Misshandlung H sexueller Missbrauch ■ Vernachlässigung n=544 n=592 ■ psychische Misshandlung ■ Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom ■ Risikofälle, bei denen keine eigentliche Kindsmisshandlung vorlag aber das Risiko besteht für eine Kindswohlgefährdung Im Kinderschutz werden die Fälle in fünf Kategorien eingeteilt: körperliche und psychische Misshandlung, sexueller Missbrauch, Vernachlässigung und Münchhausen Stellvertreter Syndrom. Dabei werden die Kinder in derjenigen Kategorie erfasst, die am augenscheinlichsten vorliegt, obschon klar ist, dass sich diese Formen meist überschneiden. So wird zum Beispiel ein Kind, das geschlagen wurde, in der Kategorie der körperlichen Misshandlungen erfasst, obwohl dieses Kind auch psychisch darunter leidet. Pandemie als Auslöser in einigen Familien. Die Belastung Die besorgniserregende Entwicklung stieg: Grosseltern etwa konnten bei kam insofern nicht überraschend, der Kinderbetreuung wegen des da verschiedene Beratungs- und Ansteckungsrisikos kaum aushel Opferhilfestellen bereits unter dem fen, Eltern waren vermehrt auf sich Jahr über eine Zunahme der Fälle alleine gestellt. Zudem kam es wegen berichteten. Expertinnen und Exper der Pandemie in einigen Familien ten vermuten, dass die Pandemie zu einem finanziellen Engpass, was ausschlaggebend war: Lockdown, existentielle Ängste auslöste. Dies Homeoffice und vorübergehende sind alles bekannte Risikofaktoren, Schulschliessungen sorgten für die dazu führen können, dass Kinder mehr Stress und vermehrte Konflikte misshandelt werden. 2
Ein weiterer Faktor: Viele Menschen dung einer darauf spezialisierten haben durch das vermehrte Arbeiten Organisation gemeldet werden: z.B. im Homeoffice intensiveren Kontakt Kindes- und Erwachsenenschutzbe zu ihrer Nachbarschaft und bekom hörde, Sozialdienst, Polizei, Jugend men eher mit, was in anderen Fami anwaltschaft, Kinderschutzgruppe, lien passiert. Ein Erklärungsversuch Opferberatungsstelle. für die Zunahme der Fälle ist somit, Im Rahmen der Erhebung zeigte sich, dass es nicht mehr Misshandlungen dass in 38% der Fälle eine psychische gibt, sondern unbeteiligte Menschen Misshandlung (inkl. Miterleben von häufiger hinschauen, Zivilcourage Paargewalt) und in 22.5% eine Ver zeigen und aktiv bei unserer Kinder nachlässigung als primäre Form der schutzgruppe und Opferberatungs Kindeswohlgefährdung festgehalten stelle des Kinderspitals oder bei wurden. Der Anteil der körperlichen einer anderen Beratungsstelle um Misshandlung und des sexuellen Rat fragen. Missbrauchs war 20 resp. 15%. Kinderspital betreut vor al Im Vergleich dazu erfasste die lem Opfer von körperlicher und Kinderschutzgruppe und Opferbera sexueller Gewalt tungsstelle des Kinderspitals diese Alle im Bereich Kinderschutz und beiden Misshandlungsformen in 64% Opferhilfe tätigen Fachpersonen sind der Fälle. Nur in 15% stand eine Ver sich einig, dass wir nur die Spitze des nachlässigung im Vordergrund, bei Eisbergs sehen. Das heisst, der gro 18% psychische Misshandlung. sse Teil der Misshandlungen bleibt Diese Verteilung der Misshandlungs verborgen, die Gesamtzahl kann formen ist in unserer Kinderschutz- deshalb nur geschätzt werden. und Opferberatungsstelle seit Jahren ungefähr gleich: Sie betreut mehr In der im Jahr 2016 durchgeführten Kinder, die Opfer von körperlicher «Optimus Studie Schweiz» wurden oder sexueller Misshandlung wurden Kindsmisshandlungen in der Schweiz als andere Stellen, da das Kinderspi möglichst flächendeckend erfasst. tal an 365 Tagen/24 Stunden erreich Mittels dieser Daten wurde hoch bar ist und dadurch sofortige medi gerechnet, dass pro Jahr etwa 2 bis zinische Hilfe und Schutz anbieten 3,3% aller in der Schweiz lebenden kann. Kinder wegen Kindeswohlgefähr- 3
Anzahl Meldungen von (Verdacht auf) Kindsmisshandlung im Kinderspital Zürich 2010-2020 592 600 550 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 ■ Sicher ■ Verdacht ■ Nicht bestätigt — Total Bei Verdacht - Hilfe anbieten! Es zeugt von Zivilcourage und nicht Unsere Kinderschutzgruppe und von unangebrachter Einmischung, Opferberatungsstelle betreut nicht wenn sich etwa Nachbarinnen und nur Kinder und Jugendliche, die im Nachbarn bei Familien erkundigen, Kinderspital Zürich stationär oder ob sie helfen können oder die Polizei ambulant gesehen werden. Sie berät rufen, wenn sie den Verdacht hegen, auch Fach- und Bezugspersonen, die dass es zu Kindsmisshandlung kam. einen Verdacht auf eine Gefährdung Es ist wichtig, dass die Gesellschaft oder Misshandlung bei einem Kind ein Zeichen gegen physische und äussern. psychische Gewalt setzt und sich schützend vor alle Menschen stellt, die sich nicht selber wehren können! Verschiedene Fachstellen können beraten, wie man in einer solchen Situation am besten vorgeht. 4
Hintergrund: Kinderschutzgruppe und Opferberatungsstelle des Universitäts-Kinderspitals Zürich Die Kinderschutzgruppe befasst sich mit Säuglingen, Kindern und Jugend lichen, die Opfer einer Misshandlung wurden oder gefährdet sind, misshan delt zu werden. Ziel der Kinderschutzgruppe ist es, durch sorgfältig geplan te Interventionen drohende Misshandlungen abzuwenden und betroffene Kinder und Jugendliche vor wiederholter Misshandlung zu schützen. Im Zentrum der Bemühungen steht das Wohl der Kinder und Jugendlichen: Sie werden medizinisch versorgt, ihr soziales Netzwerk gestärkt. Die interdis ziplinäre und multiprofessionelle Zusammenarbeit von Spezialisten und Spezialistinnen aus Medizin, Psychiatrie, Psychologie, Gynäkologie, Pflege und Sozialarbeit ermöglicht es, die verschiedenen Facetten einer Misshand lungssituation zu erfassen und bestmöglich zu reagieren. Bezugspersonen sowie nachbehandelnde und nachkontrollierende Institutionen werden früh in die Arbeit und Entscheide der Kinderschutzgruppe miteinbezogen. In unserer Opferberatungsstelle erhalten Opfer von Gewalttaten nach den Vorgaben des Opferhilfegesetzes Beratung und Unterstützung in rechtli chen, psychosozialen und teils auch finanziellen Belangen. Nebst dem Opfer unterstützen und begleiten wir auch dessen Angehörige. Auch Fachpersonen und Institutionen können sich beraten lassen. V, Mehr Infos unter www.kinderschutzgruppe.ch oder www.kispi.uzh.ch/opferberatungsstelle BK 5
SCHWERPUNKTTHEMA Wie/Misshandlung das Leben prägt Körperliche Misshandlung führt zu offensichtlichen Verlet zungen und Spuren am Körper, die teilweise für den Rest des Lebens bleiben. Die psychische Misshandlung, speziell der emotionale Missbrauch, hingegen hinterlässt keine von aussen sichtbaren Spuren, verändert jedoch die Psyche und auch den Körper nachhaltig. Häufig dauert es länger, bis dem Umfeld auffällt, dass ein Kind emotional missbraucht wird, weil das Kind über lange Zeit eine grosse Anpassungsleistung vollbringt. Nicht selten sind die Kinder über lange Zeit äusserst brav, bevor die ersten Verhaltensauffälligkeiten auftreten. Im Jahr 2020 zeigte sich wie auch in den Jahren zuvor eine stete Zunahme der registrierten Fälle von körperlicher und sexueller Gewalt. Die Zahl der erfassten Fälle psychischer Misshandlung und Vernachlässigung, zu denen der emotionale Missbrauch dazugerechnet wird, stagnierte jedoch. Dadurch treten diese Misshandlungsformen in den Hintergrund. Dies bildet jedoch nicht die Realität ab. Es ist im Gegenteil so, dass mit körperli cher und sexueller Gewalt immer auch ein emotionaler Miss brauch einhergeht. Ebenso ist die Tatsache, dass die Misshand lung von aussen nicht sichtbar ist, mitverantwortlich dafür, dass sie deutlich weniger gesehen wird und sich entsprechend nicht so ausgeprägt in den Zahlen niederschlägt. Aus diesem Grund beschäftigen wir uns in diesem Jahresbericht mit dem Thema der psychischen Gewalt und den langfristigen Folgen von Kindesmisshandlung. 6
Kinderschutz ist mit dem Erreichen der Volljährigkeit abgeschlossen Kindesschutzmassnahmen werden mit dem 18. Geburtstag beendet, und verschiedentlich zeigt sich in Fattbesprechungen die Haltung oder auch Hoffnung, dass die Kinder, sobald sie das Erwachsenenatter erreicht haben, autonom sind und sich selber schützen können. Somit würde eine Begleitung der Kinder bis zum Erreichen des 18. Lebensjahrs ausreichen. Vom rechtlichen Standpunkt her stimmt das, und nicht selten gelingt mit Erreichen der Volljährigkeit tatsächlich eine Loslö sung der Betroffenen von den Misshandelnden. Die Folgen der Misshandlung wirken sich jedoch ein Leben lang aus. Ein miss handeltes Kind zeigt nicht nur während der Kindheit psychische Symptome, sondern auch im Erwachsenenalter werden sich diese Erlebnisse als «Narben» in seiner Psyche und seinen Kör perfunktionen finden. Es können sogar stressbedingte Verände rungen in den Genen von misshandelten Kindern nachgewiesen werden. Die psychische Gewalt Der Begriff der psychischen Gewalt umfasst verschiedene Ver haltensweisen, welche gemeinsam haben, dass die emotionalen Bedürfnisse des Kindes vernachlässigt und häufig auch der Wille des Kindes gebrochen werden. Es kann von Beleidigen und Abwerten über Ignorieren und Isolieren bis zu Verängstigung und Terrorisierung des Kindes gehen. Wenn man sich an den englischen Begriffen «Abuse» (Miss brauch) und «Neglect» (Vernachlässigung) orientiert, kann man zwischen einer aktiven und einer passiven Gewaltausübung un terscheiden. Zum «Abuse», also dem aktiven psychischen Miss brauch, zählt man Misshandlungen wie zum Beispiel Beleidigen, Beschimpfen oder auch Überfordern des Kindes. Es sind alles 7
Handlungen, die die misshandelnde Person aktiv vornimmt. Un ter «Neglect» versteht man die Vernachlässigung der kindlichen Bedürfnisse und im Bereich der psychischen Misshandlung v.a. die Vernachlässigung der emotionalen Bedürfnisse. Nicht immer geschieht dies mit Absicht. So kann es auch sein, dass psychisch kranke Eltern aufgrund ihrer Erkrankung nicht fähig sind, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen und zu erfüllen. Insbesondere in den ersten Lebensjahren eines Kindes spielt sein Bedürfnis nach Bindung eine grosse Rolle. Es ist die Zeit, in der das Kind tatsächlich auf die Unterstützung von anderen Menschen angewiesen ist, um zu überleben. Erst wenn es über einen sicheren Rückhalt, eine sichere Bindung verfügt, kann es beginnen, die Welt zu entdecken. Man spricht dabei auch vom Explorationsverhalten, welches wichtig ist, damit sich das Kind entwickeln kann. Die hier beschriebene Bindungstheorie wurde vom Psychoana lytiker John Bowlby in den 1950er-Jahren entwickelt und von seiner Mitarbeiterin Mary Ainsworth weiterentwickelt. Das Kind wird durch die Misshandlung durch die Eltern in ein Dilemma gesetzt. Es leidet darunter, wie seine Eltern es be handeln, möchte aber eigentlich bei ihnen Schutz suchen. Die sichere Bindung an die primären Bezugspersonen wird dadurch verhindert oder gestört. Je früher und intensiver dies geschieht, desto mehr sind Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Es wurden verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, die zeigen, wie sich eine frühe Störung der Inter aktion zwischen primärer Bezugsperson und Kind auf das Kind auswirkt. Ein Beispiel dafür ist das Still Face Experiment. Dabei zeigt sich, wie gut das Kind selber seine Emotionen regulieren kann. In der 8
ersten Phase spielt die Bezugsperson mit dem Kind. Anschlies send wird die Interaktion mit dem Kind unterbrochen, wobei die Bezugsperson angewiesen wird, das Kind anzusehen, aber weder mit Gesten noch Mimik auf das Kind zu reagieren, zum Schluss wendet sich die Mutter wieder dem Kind zu. Während der Phase, in der die Mutter nicht auf das Kind reagiert, versucht das Kind zuerst mit verschiedenen Methoden (Lächeln, Sachen zeigen, kreischen) die Aufmerksamkeit der Mutter wieder zu ge winnen, bevor es, da es ihm nicht gelingt, mit Rückzug reagiert. Dieses Experiment wird häufig als Beispiel für die Interaktion zwischen depressiven oder nicht feinfühligen Bezugspersonen mit ihren Kindern herangezogen, bei denen die fehlende ad äquate Zuwendung im Alltag wiederholt geschieht. Es führt vor Augen, wie stark Kinder auf die Zuwendung der Bezugsperson angewiesen sind und wie schwer es ihnen fäLLt, wenn sie diese nicht erhalten. Wiederholt beschäftigte sich die Forschung mit dem Thema des Hospitalismus. Der Begriff beschreibt ein Phänomen, welches in Kinderheimen beobachtet und auch intensiv untersucht wurde. Die Gemeinsamkeit in diesen Institutionen war, dass die Kinder emotional vernachlässigt wurden. Die körperlichen Bedürfnisse der Kinder wurden versorgt, jedoch erhielten sie keine oder zu wenig LiebevoLLe Zuwendung. Die Kinder zeigten eine Teilnahms losigkeit oder entwickelten depressive Züge, einige entwickelten motorische Stereotypien wie Schaukeln oder KopfwackeLn, um sich seLber zu beruhigen. Gewisse Kinder starben trotz genü gend Nahrung in Folge der emotionalen Vernachlässigung, da das Bedürfnis nach Beziehung und Bindung für das Überleben eines Menschen von zentraler Bedeutung ist. Eine 2020 erschienene Studie verglich die Hirne von jungen Erwachsenen, die aus betroffenen Kinderheimen in Rumänien stammen und in der frühen Kindheit adoptiert wurden, mit denen von adoptierten Erwachsenen, die keine entsprechende Vernachlässigung erlebt hatten. Es zeigte sich, dass die Gehirne 9
der vernachlässigten Erwachsenen eine geringere Grösse aufwiesen, obwohl sie in ein liebevolles Umfeld gekommen und dort gleich gut umsorgt worden waren wie die Vergleichsgrup pe. Ebenfalls zeigte sich, dass bei den aus Rumänien stammen den Personen der Intelligenzquotient im Vergleich zur anderen Gruppe tiefer ist und sie mehr Symptome eines Aufmerksam keitsdefizit-Syndrom (ADS) aufweisen. Langfristige Folgen von Kindesmisshandlung Verschiedene Studien haben sich mit den Folgen von erlebtem Missbrauch beschäftigt und zeigen, dass folgende Symptome und Erkrankungen bei Erwachsenen, die in der Kindheit Miss brauch erlebt haben, häufiger auftreten, als bei Erwachsenen ohne Missbrauch in der Kindheit: Somatisch Psychisch Sozio-ökonomisch - Adipositas - Verhaltensstörungen als - tiefere Schulbildung - arterielle Hypertonie Kind/junge/r Erwachsene/ - tieferes Einkommen - ischämische Herzkrankheit - posttraumatische Belastungs - erhöhte Cholesterinwerte störung - chronische Schmerzsyn - Depression drome - selbstgefährdendes Verhalten - Teenagerschwangerschaft / Suizid - Alkohol- und Drogenabusus - kriminelles Verhalten Bei einigen dieser Symptome lässt sich ein direkter Zusammen hang untereinander herstellen. So ist es durchaus vorstellbar, dass Verhaltensstörungen dazu führen können, dass die Schul leistung darunter leidet, was zu einer tieferen Schulbildung und im Weiteren zu einem tieferen Einkommen führen kann. Auch die ausgeprägten körperlichen und psychischen Probleme las sen sich durch Mechanismen und Vorgänge im Körper und in der Psyche erklären. 10
Psychische Auswirkungen von erlebter Gewalt Kinder reagieren auf die erlebte Gewalt je nach Persönlichkeits eigenschaften verschieden. Die Gemeinsamkeit aller Verhaltens weisen ist jedoch, dass die Kinder versuchen, das Stresserleben zu reduzieren. Bei manchen äussert sich dies im Rückzug, bei anderen im Ausüben von Gewalt. Rückzug und Gewalt können sich einerseits im häuslichen Umfeld gegenüber den Eltern zeigen, fliessen aber auch zuneh mend in das Verhalten in ihrem sozialen Umfeld ein. So kann es sein, dass sich ein Kind immer mehr von seinen Freunden zurückzieht und in eine depressive Verstimmung gerät. Es kann aber auch sein, dass ein Kind beginnt, auf seine Freunde loszu gehen und Schlägereien anzettelt. Intuitiv fragt man sich, warum sich das Kind so verhält, da es sich dadurch von seinem sozialen Umfeld löst und den Umgang mit sich schwierig macht. Dies erklärt sich darin, dass Kinder anhand der Beziehung zu ihren Eltern lernen, wie Menschen, die sich nahestehen, miteinander umgehen. Im optimalen Fall lernen sie, wie sich Menschen Zuneigung zeigen, was Vertrauen heisst oder wie Unterstützung angenommen wird. Dieses frühe, erste Beziehungsmuster beeinflusst alle zukünftigen Beziehun gen, seien dies Freundschaften, der Umgang im Arbeitsverhält nis oder intime Beziehungen. Veränderungen im Stoffwechsel Ein Beispiel für eine Veränderung des Stoffwechsels ist die Stressachse. Die Gewalt, die ein Kind erlebt, führt über die Angst vor der Be drohung zu Stress. Dieser Stress wiederum führt zu wichtigen Reaktionen im Körper, welche dem Kind helfen, in Gefahren situationen zu reagieren. Es sind dies beispielweise ein Anstieg 11
der Herzfrequenz, eine Erhöhung des Blutdrucks, Erhöhung der Aufmerksamkeit oder Erniedrigung der Verdauungsaktivität. All dies sind durchaus gewollte Reaktionen des Körpers, wenn Gefahr droht, denn das Zusammenspiel dieser Funktionen führt dazu, dass wir in Gefahrensituationen allenfalls flüchten oder angreifen können. Die Ausschüttung der Hormone, welche dies alles ermöglichen, wird beendet, sobald die Gefahr gebannt ist. Der zentrale Unterschied von einer Gefahrensituation und der Misshandlung ist nun aber, dass die Misshandlung selten einmal geschieht, sondern wiederholt vorkommt. Der Körper versucht nun, sich langfristig auf diese Situation einzustellen. Die Stress achse bleibt aktiviert und führt dazu, dass über die erhöhten Hormonspiegel (insbesondere des Cortisols) alle normaler weise nur kurzfristig aktivierten Systeme dauerhaft aktiviert bleiben. Dadurch lassen sich viele körperlichen Erkrankungen bei Menschen, die als Kind eine Misshandlung erlebt haben, erklären. Doch nicht nur im Stoffwechsel stellt sich eine Veränderung ein es findet auch eine Veränderung der Gene statt. Epigenetische Veränderung Unter dem Begriff der Epigenetik wird die Veränderung des Ablesemusters der Gene verstanden. Die eigentliche DNA bleibt unverändert, es handelt sich also nicht um eine Mutation. Je doch wird beeinflusst, welcher Teil der DNA wie übersetzt wird, wenn Proteine gebildet werden. Dies geschieht dadurch, dass gewisse Moleküle an die DNA angelagert werden (DNA-Methylierung) und durch diesen Me chanismus das Gen inaktiviert wird. Die Proteine sind zentral für die Funktion unseres Körpers. Sie beeinflussen beispielweise Nervenzellen und dadurch unser Verhalten. 12
Es konnte beispielsweise gezeigt werden, dass bei Personen mit einer speziellen Variante eines Gens das Kindheitstrauma dazu führt, dass das Methyt-Moteküt abgespalten wird und dadurch die Aktivität des Gens verstärkt wird. Dies führt bei dieser Grup pe dazu, dass eine anhaltende Fehlsteuerung der Stressachse vorliegt. In Diskussion stehen auch die Vererbung von Traumata über die Gene und das Auslösen von psychischen Erkrankungen durch diese Veränderung der DNA. Auch diskutiert wird, dass durch die Veränderungen Traumata von der einen Generation in die nächste weitergegeben werden könnten. Die Kinder der Kinder Es zeigt sich, dass eigene Missbrauchserfahrungen eines Etternteits das Risiko für Kindesmisshandlung um den Faktor 3 bis 6 erhöhen. Ein möglicher Grund für diese Wiederholung ist, dass Kinder, die in misshandelnden Familien aufgewachsen sind, lernen, das aggressive Verhalten ats angemessenes Er- ziehungsverhatten anzusehen und die ertebte Misshandtung ats notwendige Härte der elterlichen Erziehung werten. Aufgrund von erlernten (gestörten) Beziehungsmustern ist es gewissen Ettern nur schwer möglich, zu ihren eigenen Kindern eine positive Beziehung aufzubauen. Zum Schluss Es gibt viele Diskussionen darüber, welcher Mechanismus nun dafür sorgt, dass sich das Trauma der Kindesmisshandtung so stark bis ins Erwachsenenatter auswirkt. Unbestritten ist, dass Auswirkungen bis ins Erwachsenenatter vorhanden sind 13
und auch Auswirkungen auf die nachfolgende Generation haben können. Nicht selten macht es deswegen auch im Erwachsenenatter durchaus Sinn, die Erfahrungen in einer Psychotherapie aufzu arbeiten, wenn man merkt, dass man sich nicht ohne fachliche Unterstützung von den vergangenen Erfahrungen lösen kann. Weiterführende Informationen: Studie zu kindlichem Trauma, Max-Plack-Gesellschaft: https://www.mpg.de/6642993/kindliches-trauma-erbgut Early childhood deprivation is associated with alterations in adult brain structure despite sub- sequent environmental enrichment | PNAS 14
Forschung Screening von Patienten auf Er urteilung des Nutzens eines solchen wachsenennotfallstationen bzgl. Screeninginstrumentes auf Erwach- Kindswohlgefährdung (SPEK) senen-Notfallstationen zu klein sind. SPEK ist ein Screeningverfahren, 2019 sind wir an alle Erwachsenen das sich an ein Vorgehen in Holland Notfallstationen im Kanton Zürich anlehnt: gelangt und haben diese über SPEK Patientinnen und Patienten, die informiert. An einer Informationsver wegen Substanzenabusus, häusli anstaltung konnten wir beinahe alle cher Gewalt, schwerer psychischer Teams für das Projekt gewinnen. Störung oder Suizidversuch in eine Im 2020 war geplant, die Ärztinnen, Erwachsenennotfallstation eingelie Ärzte und Pflegefachpersonen aller fert werden, werden gefragt, ob sie Notfallstationen der Erwachsenen minderjährige Kinder betreuen. Wird spitäler zu instruieren und danach dies bejaht, werden diese Personen mit dem Projekt zu beginnen. Die (resp. Familien) der Behörde (KESB) Corona-Pandemie hat leider auch gemeldet, damit abgeklärt werden dieses Vorhaben vereitelt. Sobald die kann, ob Unterstützungsmass Pandemie und der dadurch bedingte nahmen sinnvoll sind. 2018 haben immense Workload in den Erwach wir dieses Projekt als Pilot in den senennotfallstationen es zulassen, Spitalern Bülach, Limmattal und USZ werden wir das im Jahr 2021 nach während 3 Monaten durchgeführt. holen. Eine Studentin der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Luzern hat Projekt online Lernprogramm die Resultate in einer Masterarbeit Im Jahr 2020 begannen wir ein neues zusammengestellt (die Arbeit ist Projekt, dessen erstes Ziel es ist, online zu finden unter: https://www. die Wissensvermittlung im Bereich soziothek.ch/soziothek/freedown- Kinderschutz für Ärzte und Pfle load/link/id/279/) gende zu vereinheitlichen. In beiden Es zeigte sich, dass die erhobenen Berufsgruppen ist Kinderschutz Daten für eine abschliessende Be- ein wichtiges Thema, welches auch 15
in der Ausbildung behandelt wer den soll, jedoch ist nicht gesichert, dass dieses Wissen in den einzelnen Fächern erworben wird, und die Wis sensvermittlung unterscheidet sich markant zwischen den Institutionen. Dies führt dazu, dass sich der Wis sensstand der einzelnen Fachperso nen unterscheidet, was im Alltag zu Unsicherheiten im Umgang mit dem Verdacht auf Kindswohlgefährdungen führt. Durch die vereinheitlichte Wissens vermittlung an ein grosses Feld von Fachpersonen, soll eine grössere Sensibilisierung und ein breiteres Wissen geschaffen werden. Dies soll te zu einem besseren und früheren Erkennen der Fälle von Kindsmiss handlung führen, was eine Verminde rung von unerkannten/ungemeldeten Fällen und dadurch einen Anstieg der Fallzahlen bewirken sollte. Nicht zuletzt soll durch eine frühere Erkennung kindliches Leid reduziert werden. Im ersten Teil des Projektes absolvie ren Mitarbeitende des Universitäts Kinderspitals Zürich das erarbeitete Lernprogramm und der Lernfort schritt wird wissenschaftlich ausge wertet. 16
und Weiterbildung Interne und externe Angebote Es ist eine der Kernaufgaben der Wir werden zudem auch von unter- Kinderschutzgruppe und Opfer- schiedtichsten Organisationen im beratungsstette, Mitarbeitende Freizeitbereich für Fachreferate alter Berufsgruppen innerhalb des angefragt. Kinderspitats so zu schulen, dass gefährdete und misshandelte Kinder Schliesslich tragen Beiträge in ver und Jugendliche erkannt und unter schiedenen Medien zur vermehrten stützt werden können. Dies ist umso Aufklärung und Sensibilisierung der wichtiger, da das Kinderspitat Zürich Öffentlichkeit bei. als Universitätsktinik mit Ausbit dungsauftrag immer wieder neue Für die Qualität im Kinderschutz Mitarbeitende beschäftigt. bereich ist es zentral, dass sich die verschiedenen Fachbereiche unterei Zusätzlich zur internen Fortbildung nander vernetzen und austauschen. führt die Kinderschutzgruppe und Nach der ersten interinstitutionet- Opferberatungsstette Veranstaltun ten Fachtagung im Jahr 2018 mit gen für externe Fachpersonen und sehr positiven Rückmeldungen war die Öffentlichkeit durch. Das können vorgesehen, am 18. Juni 2020 eine u.a. Vorlesungen zweite Fachtagung zu organisieren. an auswärtigen Universitäten und Aufgrund des Coronavirus wurde Fachhochschuten sein oder auch diese Veranstaltung auf 1. Juli 2021 Fachseminare für verschiedene verschoben. Einzelheiten dazu sind Berufsgruppen wie beispielswei auf unserer Webseite ersichtlich. se Mütter- und Väterberaterinnen, (www.kinderschutzgruppe.ch) Lehrpersonen oder Mitarbeitende von Kinderkrippen. 17
Statistik Prozentuale Verteilung der Misshandlungsformen im Bezug auf das Alter der Kinder 2020 16 Jahre 6 I 8 2 3 1 20 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% ■ körperliche Misshandlung ■ sexueller Missbrauch ■ Vernachlässigung ■ psychische Misshandlung ■ Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom ■ Risikosituationen Misshandlungsformen und Geschlechterverteilung 2020 körperliche Misshandlung 86 99 185 sexueller Missbrauch 141 37 178 Vernachlässigung 42 39 81 psychische Misshandlung 53 44 97 Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom 3 2 5 Risikosituationen 4 8 12 Total 329 229 558 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% ■ Mädchen ■ Geschlecht unbekannt ■ Knaben 18
Team 2020 - Georg Staubli Karin Forrer Chefarzt NotfaLtstatlon, Sekretariat (bis 30.06.2020) Leiter der Kinderschutzgruppe und OpferberatungssteLLe Tobias Höhn Leitender Arzt Notfattstation - Gabi Boegli Leiterin Pftegedienst Medizin Renate Hürlimann Leitende Ärztin Kinder- und Ju- - Anja Böni gendgynäkotogie Oberärztin Psychosomatik und Psychiatrie Alexandra Jost Soziatarbeiterin (bis 31.12.2020) Bruno Bühler Sozialarbeiter Erika Saladin Fachpsychotogin SBAP in Kinder- Luk De Crom und Jugendpsychotogie Leiter Pftegedienst Kinder-Reha Schweiz - Sonja Schauer Oberärztin Chirurgie - Sonja Fontana Oberärztin Notfattstation - Osob Singer Sekretariat (ab 01.08.2020) 19
Die Kinderschutzgruppe und Opferberatungsstette des Kinderspitats geniesst in der Fachwelt hohes Vertrauen und hat dank ihrer reichhaltigen Erfahrun gen viel für die Verbesserung der Situation von betroffenen Kindern und deren Angehörigen beigetragen. Diese hohe fachliche Kompetenz ist nur möglich dank kontinuierlicher Fort- und Weiterbildungen der Teammitglieder. Auch sind im Kinderschutzbereich immer wieder unkonventionelle Lösun gen zum Wohl des Kindes gefragt, die nicht aus ordentlichen Mitteln gedeckt werden können. Es ist uns sehr wichtig, professionelle Arbeit zu leisten und durch Forschung in diesem Gebiet objektive Erkenntnisse zur Optimierung der Kinderschutzar beit zu gewinnen. Mit einer Spende unterstützen Sie unsere Bemühungen, Opfern und ihren Angehörigen optimate Betreuung anbieten zu können. Kinderschutzgruppe und Opferberatungsstelle des Kinderspitals Zürich Steinwiesstrasse 75, CH-8032 Zürich PC-Konto: 87-51900-2 IBAN: CH69 0900 0000 8705 1900 2 Zahlungszweck: Spende Kinderschutz 20
Dank Wir sind dankbar, dass wir bei unserer Tätigkeit von vielen Institutionen und Privatpersonen unterstützt werden. Dafür danken wir - der Kantonalen Opferhitfestette - der Gesundheitsdirektion des Kanton Zürichs - der Max Kohler Stiftung - der Olga Mayenfisch Stiftung, Zürich - dem Institut für Rechtsmedizin (IRM) für die wertvolle fachliche Unterstützung - alten Privatpersonen und Firmen, die uns finanziell unterstützen - alten Institutionen und Fachstetten für die gute Zusammenarbeit - Rochette Attebes und Urs Voget für die Supervision - der Geschäftsteitung des Universitäts-Kinderspitats Zürich - Eteonorenstiftung 21
Kinderschutzgruppe und Opferberatungsstelle des Kinderspitals Zürich PC-Konto: 80-3030-9 Zahlungszweck: Spende Kinderschutz Telefon +41 44 266 76 46 (Sekretariat) Telefon +41 44 266 71 1 1 (Zentrale Kinderspital) Telefax +41 44 266 76 45 (Sekretariat) sekretariat.ksg@kispi.uzh.ch www.kinderschutzgruppe.ch UNIVERSITÄTS- Kinderspital Zürich - Eleonorenstiftung KINDERSPITAL Steinwiesstrasse 75 8032 Zürich ZÜRICH Kinderschutzgruppe und www.kispi.uzh.ch Opferbemtungsstelle
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