KOMMUNE + HAUSHALT - Den Haushalt auch in der Krise meistern. Seite 4 - staatsanzeiger.de

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FACHJOURNAL FÜR DIE VERWALTUNG UND RÄTE 01/2021 –        EVP 6,80 €

KOMMUNE + HAUSHALT
STAATSANZEIGER – Wochenzeitung für Wirtschaft, Politik   und Verwaltung in Baden-Württemberg

                                                                      Den Haushalt
                                                                      auch in der Krise
                                                                      meistern.         Seite 4
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2         KOMMUNE + HAUSHALT                                                                                                                                             Ausgabe 1/2021

AUS DEM INHALT

                                                                                              4 LEERE KASSEN FORDERN RATHAUS UND
                                                                                                GEMEINDERAT
                                                                                                     Durch die Corona-Krise droht vielen Kommunen im Land ein unausgeglichener Haus-
                                                                                                     halt. Doch Verwaltung und Gemeinderat haben eine Fülle von Möglichkeiten, darauf zu
                                                                                                     reagieren: Das Priorisieren einzelner Aufgaben und Projekte ist nach Angaben der Ex-
                                                                                                     perten unerlässlich. Es kann sich für Kommunen zudem lohnen, die Bürger mit ins Boot
                                                                                                     zu holen. Außerdem ist es auch im doppischen System möglich, einen unausgegliche-
                                                                                                     nen Haushalt zu verabschieden.

8-9   WO SICH EIN GENAUER BLICK AUF DIE AUSGABEN LOHNT: Eine Produktkritik zeigt, welche      19     WERTSACHEN: Wie schwierig die Vermögensbewertung sein kann, wissen inzwischen
      Leistungen sich eine Kommunen in Zeiten knapper Kassen noch leisten kann.                      alle Kommunen im Land. In einer Serie werfen unsere Autoren einen eher unkonven-
                                                                                                     tionellen Blick auf manche Wertsachen der Kommunen.

10-11 DARAUF ACHTEN KÄMMERER BEIM HAUSHALT: Ein doppischer Haushalt besteht vor allem
      aus Kennzahlen. Jede einzelne steuert einen kleinen Beitrag zur Antwort auf die Frage   20-21 NEUES EIGENBETRIEBSRECHT: Der Experte Wolfgang Hafner von der Hochschule Kehl er-
      bei, wie es einer Kommune finanziell geht.                                                    klärt, was es mit den zwei neuen Eigenbetriebsverordnungen auf sich hat und für wel-
                                                                                                    che sich die Kommunen am besten entscheiden.

12-13 VERÄNDERTE EINNAHMEN UND AUSGABEN DURCH DIE PANDEMIE: Wie sie sich mittel- und
      langfristig entwickeln werden, erklären Experten von Kommunalverbänden und aus          22     LETZTES DRITTEL BEFINDET SICH IM ENDSPURT: Wie es um die Umstellung von der Kame-
      der Forschung.                                                                                 ralistik auf die Doppik in den Kommunen in Baden-Württemberg steht.

14-15 PILOTENWISSEN: Nicht alle müssen die gleichen Fehler machen. Deshalb teilen die Pi-     23     PERSONALIEN, TERMINE UND MEHR VOM STAATSANZEIGER: Informieren Sie sich umfas-
      lotkommunen für die Doppik-Umstellung ihren Erfahrungsschatz in einer Serie mit den            send rund um das Thema Finanzen.
      Städten und Gemeinden, die erst kürzlich auf die Doppik umgestellt haben.

16-18 KOMMT DIE EINHEITLICHE DOPPIK IN DER EU? Sie soll für Transparenz und Vergleichbar-          Das interaktive PDF zu Kommune + Haushalt finden Sie unter:
      keit innerhalb und zwischen EU-Ländern sorgen. In Deutschland ist sie jedoch umstrit-        https://kurzelinks.de/Journale
      ten. Kritik kommt auch von den Kommunalverbänden.

Impressum

Herausgeber und Verlag: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg GmbH & Co. KG, Breitscheidstraße 69, 70176 Stuttgart Geschäftsführer: Dr. Alexander Teutsch, Telefon: 07 11/6 66 01-0,
info@staatsanzeiger.de, www. staatsanzeiger.de Redaktion: Chefredakteurin: Breda Nußbaum; Susanna Ketterer, Christoph Müller, Philipp Rudolf Projektleitung und Gestaltung: Barbara
Wirth Anzeigen: Uwe Minkus, Telefon: 07 11/6 66 01-229, anzeigen@staatsanzeiger.de Titelfoto: Adobe Stock/alphaspirit Druck: Ungeheuer + Ulmer KG GmbH + Co, Körnerstra-
ße 14 – 18, 71643 Ludwigsburg
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Ausgabe 1/2021                                                               KOMMUNE + HAUSHALT   3

EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

die Haushaltslage vieler Kommunen ist schwierig. Durch die Corona-Pan-
demie strömt weniger Geld in die Kassen der meisten Städte und Gemein-
den. Je nachdem, welche Unternehmen eine Kommune angesiedelt hat,
sind die Gewerbesteuereinnahmen deutlich gesunken. Außerdem haben
sich die Einnahmen, beispielsweise von ÖPNV und Kitas, deutlich verrin-
gert. Zudem ist das Aufkommen an Lohn- und Einkommensteuer zurück-
gegangen und damit auch der kommunale Anteil davon. Das Haushaltsde-
fizit vieler Kommunen ist eines der Themen, das die Staatsanzeiger-Redak-
tion im neuen Fachjournal aufgreift und es verständlich aufbereitet – für
Bürgermeister, Verwaltungsmitarbeiter, Kämmerer und Gemeinderäte.

Lesen Sie im Titelthema, wie Kommunen mit weniger Geld in den Kassen
umgehen können: Gemeinderat und Verwaltung sollten sich auf eine ge-
meinsame Strategie einigen und auch Sparmethoden wie die Aufgabenkritik
in Betracht ziehen. Experten aus Wirtschaft und Forschung schätzen für Sie
zudem ein, wie sich die kommunalen Einnahmen und Ausgaben, die sich
durch die Pandemie verändert haben, langfristig entwickeln werden.

Einen Blick in die Zukunft wirft auch der Experte Wolfgang Hafner, Profes-
sor an der Hochschule Kehl. Er erklärt, was es mit den zwei neuen Eigenbe-
triebsverordnungen ab dem Wirtschaftsjahr 2023 auf sich hat und für wel-
che sich die Kommunen am besten entscheiden. Erfahren Sie außerdem,
warum die EU daran arbeitet, die doppische Rechnungslegung EU-weit zu
vereinheitlichen. Ob die European Public Sector Accounting Standards
(EPSAS) wirklich kommen und wie groß der Umstellungsaufwand für Kom-
munen wird, ordnen Verbände und Experten für Sie ein.

Wir freuen uns über Ihre Anregungen zu unserem neuen Journal und wün-
schen Ihnen viele wertvolle Erkenntnisse für Ihre Arbeit.

Es grüßt Sie herzlich

Ihre

Breda Nußbaum,
Chefredakteurin Staatsanzeiger für Baden-Württemberg

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ADOBE STOCK/RH2010
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Ausgabe 1/2021                                                                                                    KOMMUNE + HAUSHALT                               5

HAUSHALTSDEFIZIT

LEERE KASSEN
FORDERN RATHAUS
UND GEMEINDERAT
Durch die Corona-Krise droht vielen Kommunen im Land ein unausgeglichener Haushalt. Doch das Ent-
scheidungsgremium hat eine Fülle von Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Das Priorisieren einzelner
Aufgaben und Projekte ist nach Angaben der Experten unerlässlich. Es kann sich demnach auch lohnen,
die Bürger mit einzubeziehen.
                                                                                                    VON DANIEL VÖLPEL

Unerfreuliche Zeiten kommen auf die Gemeinderäte und Verwaltungen der           ge in den letzten Jahren entwickelt? Wo liegt der Kostendeckungsgrad bei
Kommunen im Land zu: Je länger sich die Corona-Pandemie zieht, desto we-        unseren Leistungen? Welche künftigen Einflussfaktoren müssen wir be-
niger Steuern und Gebühren fließen in die Kassen der Rathäuser. Kommunen        rücksichtigen – etwa Baugebiete und Kinderzahlen? Da kann eine Verwal-
und Landkreise müssen nach Angaben ihrer Interessenverbände mit mage-           tung mit Grafiken und Übersichten viel dazu beitragen, dass der Gemeinde-
ren Jahren rechnen. Daher werden die Gemeinderäte ihrer Bürgerschaft            rat schnell sieht, wo man steuernd eingreifen kann und muss“, so Werner.
manches zumuten müssen. Doch das muss nicht zu Unmut und Spaltung
führen, wenn man zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung aufruft.

Bei diesem Kraftakt kommt es vor allem darauf an, dass die Bürgermeister
und Gemeinderäte an einem Strang ziehen. „Entscheidend ist der Wille der
Entscheidungsträger“, sagt Dirk Leißner, Professor für kommunales Fi-
                                                                                          REGELN ZUM HAUSHALTSAUSGLEICH
nanzmanagement an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Fi-
                                                                                Nach Paragraf 78 der Gemeindeordnung         gung von Fehlbeträgen aus Vorjahren
nanzen Ludwigsburg. Jetzt gelte es, die Leistungen der Kommune metho-
                                                                                muss die Gemeinde „die zur Erfüllung         ausgeglichen werden.“ Ist dies „trotz
disch zu priorisieren – also genau festzulegen, welche laufenden Projekte
                                                                                ihrer Aufgaben erforderlichen Erträge        Ausnutzung aller Sparmöglichkeiten und
und welche Investitionsvorhaben welche Wichtigkeit erhalten sollen. Diese
                                                                                und Einzahlungen 1. soweit vertretbar        Ausschöpfung aller Ertragsmöglichkeiten
Reihenfolge müsse diszipliniert befolgt werden, wozu auch gehöre, weniger
                                                                                und geboten aus Entgelten für ihre Lei-      sowie Verwendung des Sonderergebnis-
Wichtiges sein zu lassen, auch wenn es Widerstand gebe (siehe Checkliste).
                                                                                stungen, 2. im Übrigen aus Steuern“ be-      ses und von Überschussrücklagen nicht
„Es trifft immer irgendwen“, so Leißner. „Aber weil die Mittel begrenzt sind,
                                                                                schaffen. Kredite für Investitionen, Inve-   möglich, kann ein Fehlbetrag in die drei
komme ich um eine Priorisierung nicht herum.“ Denn wenn die Entschei-
dungsträger nicht aktiv priorisierten, sei am Ende trotzdem das Geld ausge-     stitionsförderungsmaßnahmen und zur          folgenden Haushaltsjahre vorgetragen
geben. „Aber möglicherweise ist die Kommune bei dem Projekt nicht voran-        Umschuldung sind erlaubt, „wenn eine         werden“. Paragraf 24 der Gemeinde-
gekommen, dass ihr eigentlich am wichtigsten war.“                              andere Finanzierung nicht möglich oder       Haushaltsverordnung gibt zusätzlich vor,
                                                                                wirtschaftlich unzweckmäßig“ wäre. Zu-       dass die Kommune Aufwendungen pau-
Experte: Verwaltungen müssen Transparenz schaffen                               lässig sind auch Kassenkredite, um kurz-     schal kürzen oder die Überschüsse und
                                                                                fristig die Liquidität sicherzustellen.      Rücklagen des Sonderergebnisses heran-
Im ersten und wichtigsten Schritt dieses Prozesses müsse die Verwaltung                                                      ziehen kann. Bleibt ein Fehlbetrag übrig,
Transparenz schaffen und entscheidungsrelevante Informationen bereit-           So kann der Haushalt ausgeglichen wer-       ist dieser mit dem Basiskapital zu ver-
stellen, fordert Friedhelm Werner, Bildungsleiter beim Bildungswerk für         den (Paragraf 80): „Das Ergebnis aus or-     rechnen, also dem in der Eröffnungsbi-
Kommunalpolitik Baden-Württemberg: „Für welche Aufgaben wird in der             dentlichen Erträgen und ordentlichen         lanz erhobenen Reinvermögen. Dieses
Kommune Geld ausgegeben? Wie haben sich die Aufwendungen und Erträ-             Aufwendungen soll unter Berücksichti-        darf nicht negativ werden.
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6         KOMMUNE + HAUSHALT                                                                                                                         Ausgabe 1/2021

Wenn die Kommunen aus früheren Jahren liquide Mittel angesammelt ha-
ben, müssen sie sie jetzt einsetzen, um den laufenden Betrieb zu finanzie-
ren. Investitionen können dann nur noch über Kredite finanziert werden.
                                                                                          HIER KANN DIE KOMMUNE SPAREN
„Rein rechtlich gesehen sind die Kreditmöglichkeiten der Kommunen grö-           Unter anderen macht der Bund der Steu-      ✔ Personalschlüssel in Einrichtungen
ßer als die des Landes oder Bundes, da es auf kommunaler Ebene keine             erzahler Baden-Württemberg konkrete           überprüfen und gegebenenfalls ab-
Schuldenbremse gibt“, sagt Leißner. Zudem erhielten Kommunen diese               Vorschläge, wo eine Haushaltsstruktur-        senken
Kredite im Moment noch faktisch zinsfrei. Die Kommune müsse aber in der          kommission ansetzen kann:                   ✔ Verwaltungsarbeiten in Kindergärten
Lage sein, die Kredite zu tilgen. Genau diese Tragfähigkeit des Schulden-        ✔ Von der Verwaltung eine Liste mit allen     einschränken oder an das Rathaus-
diensts dürfte angesichts der Gesamtlage geringer werden.                           freiwilligen Leistungen einfordern und     Personal übergeben
                                                                                    diese nach Einsparmöglichkeiten          ✔ Ausstattungsstandards in Einrichtun-
Lernen, mit weniger Geld auszukommen                                                durchforsten                               gen absenken
                                                                                 ✔ Nach vermeintlich kleinen Posten su-      ✔ Hausmeisterpool für öffentliche Ein-
Vor diesem Hintergrund sieht auch Steffen Jäger, Präsident des Gemeinde-
                                                                                    chen, etwa dem Aufwand für Ehrun-          richtungen einrichten
tags Baden-Württemberg, in der Politik wieder eine Phase angebrochen, in
                                                                                    gen und Repräsentationen oder Frei-      ✔ Sponsoring im Sport- und Kulturbe-
der diese entscheiden müsse, welche Leistungen oder Standards nicht mehr
                                                                                    kartenvergaben                             reich prüfen
oder nur eingeschränkt fortgeführt werden könnten. „Die öffentlichen Hän-
                                                                                 ✔ Stand der Versicherungen überprüfen       ✔ Freiwilligkeitsleistungen wie zum Bei-
de müssen lernen, auf Dauer mit weniger Geld auszukommen“, forderte Jä-
                                                                                 ✔ Weniger Gutachten extern vergeben           spiel beim Marketing überprüfen
ger zum Jahreswechsel in seiner Verbandszeitschrift. Dies gelinge mit dem
                                                                                 ✔ Interkommunale         Zusammenarbeit     ✔ Einsatz von Ehrenamtlichen etwa in
Ansatz „weniger Staat, mehr Eigenverantwortung“.
                                                                                    prüfen, etwa beim Personalamt oder         Museen
Dies kann zum Beispiel im Rahmen einer Aufgabenkritik geschehen (siehe              Bauhof                                   ✔ Öffnungszeiten überdenken
auch Seite 8). Dabei gilt es laut Werner für Verwaltung und Gemeinderat,         ✔ Prüfen, welche Arbeitsabläufe ver-        ✔ Einsparungen bei Bauvorhaben prü-
auszuleuchten, welche freiwilligen Aufgaben die Gemeinde mit welchem                schlankt werden können, auch durch         fen, etwa bei Größe, Ausstattung und
Standard erfüllt und welche weisungsfreien Pflichtaufgaben die Kommune              Digitalisierung                            Gestaltung
wie gut umsetzt. Denn dort liegen aus Sicht aller Befragten Einsparpotenzia-     ✔ Pflege von Schulanlagen als Paten-        ✔ Nicht zwingend notwendige Baupro-
le. Gerade bei den Standards sieht Dirk Leißner Spielräume, da man sich in          schaften an Klassen übergeben              jekte zurückstellen
den guten Jahren einige Extras geleistet habe. Dies können Größe und Aus-
                                       stattung von Bauvorhaben sein, aber
„ES TRIFFT IMMER IRGENDWEN.            auch die Personalschlüssel etwa in
                                       Kinderbetreuungseinrichtungen.            Ausgaben zu verringern, ist die eine Seite der Medaille. Einnahmen zu erhö-
ABER WEIL DIE MITTEL BEGRENZT
                                       Zudem müssten die Kommunen „in            hen, die andere. Etwa 40 Prozent ihrer Einnahmen bestreiten die Kommu-
SIND, KOMME ICH UM EINE                viel größerem Maß als bisher auf in-      nen nach Angaben des Finanzministeriums aus Steuern, wovon sie vor al-
PRIORISIERUNG NICHT HERUM.“            terkommunale         Zusammenarbeit       lem die Grund- und Gewerbesteuer über eigene Hebesätze beeinflussen
                                       und Digitalisierung setzen“.              können. Weitere 20 Prozent kommen aus Gebühren und Beiträgen, auch
        DIRK LEISSNER, PROFESSOR AN DER
                                                                                 diese können die Kommunen selbst beeinflussen. Der Rest stammt fast aus-
    HOCHSCHULE FÜR ÖFFENTLICHE VERWAL-
                                      Eine Klausurtagung eignet sich für         schließlich aus den Zuweisungen nach dem Finanzausgleichsgesetz (FAG),
       TUNG UND FINANZEN LUDWIGSBURG
                                      diese Beratungen aus Werners Sicht         also dem kommunalen Finanzausgleich.
                                      besonders gut: „In diesem geschütz-
ten Rahmen hört man schnell heraus, was gehen könnte oder was kommu-             Viele Kommunen erhöhen Hebesätze für Grund- und Gewerbesteuer
nalpolitisch nicht infrage kommt. Meistens liegt es ja nicht am Wissen, son-
dern am Umsetzen von unpopulären Maßnahmen bei den freiwilligen Auf-             „Viele Kommunen haben bereits begonnen, die Hebesätze für Grund- und
gaben“, sagt er. Ein weiteres Instrument schlägt der Bund der Steuerzahler       Gewerbesteuern zu erhöhen, dieser Trend könnte sich verstärken“, sagt Su-
Baden-Württemberg (BdSt) vor: „Um Einsparpotenziale zu identifizieren,           sanne Nusser, Finanzdezernentin des Städtetags Baden-Württemberg.
ist die Einrichtung einer Haushaltsstrukturkommission sinnvoll, die alle         Denn: „Die Kämmerer sind an die Gemeindeordnung und die Gemeinde-
Aufgabenbereiche der Kommune systematisch auf Einsparpotenziale hin              haushaltsordnung gebunden.“ Und die sehe vor, zuerst die Einnahmeseite
untersucht“, so der BdSt-Landesvorsitzende Zenon Bilaniuk vor. „Dabei            heranzuziehen (siehe Infokasten). Mehr noch, sie schreibt vor, dass Verwal-
helfen auch viele kleine Einsparungen.“                                          tung und Gemeinderat alle denkbaren Anstrengungen unternehmen, um
                                                                                 Ausgaben einzusparen und mehr einzunehmen. Nur ein Trend der Corona-
Nicht immer ist eine solche Kommission aus Sicht des Kommunalberaters            Ära dürfte dabei zusätzliches Geld in die Gemeindekasse bringen: Viele neu
Werner jedoch nötig: „Sparen, streichen, Erträge erhöhen, Aufwand redu-          angeschaffte Hunde führen zu höheren Hundesteuer-Zahlungen. Äußerst
zieren ist eine Aufgabe, bei der alle Mitglieder des Gemeinderates gerne voll-   unsicher bleiben dagegen die Einnahmen aus der Vergnügungsteuer, Ein-
umfänglich informiert sein und ihre Meinung einbringen möchten“, sagt er.        trittsgelder und auch die Gebühren etwa für Kindergärten: Die fließen nur,
Alternativ könne man prüfen, ob der Finanz- und Wirtschaftsausschuss die-        wenn die Einrichtungen auch geöffnet sind.
se Aufgabe übernehmen könnte. Wie auch immer solle zunächst die Verwal-
tung unter Vorsitz des Beigeordneten, des Fachbeamten fürs Finanzwesen           Den Kommunen rät Friedhelm Werner zu folgender Prüf-Reihenfolge: Erst
und der Fachbereichs- oder Amtsleitungen „eine gute Vorschlagsliste“ erar-       sollte man Mieten und Pachten unter die Lupe nehmen, danach Gebühren,
beiten. Der Bürgermeister bewerte diese Vorschläge dann auf ihre kommu-          Beiträge und die Kostendeckungsgrade. Erst, wenn das alles nicht ausreicht,
nalpolitische Umsetzung, bevor sie ins Gremium kommen.                           kämen die globale Minderausgabe oder Steuererhöhungen in die Diskussi-
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Ausgabe 1/2021                                                                                           KOMMUNE + HAUSHALT                                   7

on. Dabei gelte es, die Nachhaltigkeit der Maßnahmen, die Höhe des Ertrags   nanzwirtschaftlichen Schwankungen“ in den Haushalten – weshalb es ak-
und die Auswirkung auf das Image der Stadt zu diskutieren. Gar die Haus-     zeptiert, dass es nicht in jedem Jahr gelingt, ordentliche Erträge und Auf-
haltsziele zu ändern, hält Werner erst dann für sinnvoll, wenn der Spar-     wendungen auszugleichen. „Derartige Fehlbeträge können hingenommen
zwang sehr ausgeprägt ausfällt. Denn gerade die Kinderbetreuung und die      werden, wenn sie nicht strukturbedingt sind“, teilt ein Ministeriumsspre-
Schulen seien von grundlegender Bedeutung für eine Kommune.                  cher mit. Sie müssten eben mit Rücklagen verrechnet oder in den nächsten
                                                                             Jahren ausgeglichen werden können. Das Ministerium verspricht, die
Kommunen können auch unausgeglichenen Haushalt verabschieden                 Rechtsaufsicht werde auf die Lage jeder einzelnen Kommune individuell
                                                                             und flexibel reagieren, wobei man die haushaltsrechtlichen Vorgaben groß-
Vor besonderen Schwierigkeiten stehen die Kreise bei den Haushaltspla-       zügig auslege – ohne jedoch die Vorschriften aufzuweichen.
nungen: „Als Sozialstaat vor Ort werden die Landkreise die Corona-Auswir-
kungen besonders hart zu spüren bekommen“, sagt Alexis von Komorowski,       Wenn Kürzungen unumgänglich sind, rät Werner dazu, über Information
Hauptgeschäftsführer des Landkreistages Baden-Württemberg. Anders als        und Kommunikation die Betroffenen zu Beteiligten zu machen. „Das heißt
die Kommunen haben sie keine eigenen Steuern, die sie erhöhen könnten,       zunächst muss man ausführlich über die Notwendigkeit von Spar- oder Kon-
sondern nur die Kreisumlage – die wiederum die Kommunen belastet. „Wir       solidierungsmaßnahmen informieren und diskutieren. Das Reden mit den
empfehlen den Landkreisen, den Kreisumlagesatz in einem strukturierten,      Betroffenen bringt viel Erkenntnisgewinn. Diese Zeit muss man sich neh-
transparenten und konsensorientierten Verfahren zu bestimmen und dabei       men“, sagt er. Neben den Diskussionen im Gemeinderat und offene Frakti-
sowohl den Finanzbedarf des Kreises als auch den der umlagepflichtigen       onssitzungen böten sich dafür Informationen im Netz, Bürgerinformations-
Städte und Gemeinden angemessen zu würdigen“, so von Komorowski.             veranstaltungen oder aktive Bürgerbeteiligung an. Zusätzlich könnte man
                                                                             eigene kreative Sparvorschläge aktiv einfordern. „Die Bürger erkennen der-
Einen unausgeglichen Haushalt zu verabschieden, ist ebenfalls nicht un-      zeit, dass sich die Zeiten geändert haben“, sagt auch Zenon Bilaniuk. „Es
möglich. Allerdings verschiebt man damit die Belastung in die Zukunft. Da    kann sich sogar lohnen, die Bürger aufzufordern, Einsparvorschläge zu un-
sich Phasen der Konjunktur mit Rezessionen abwechseln, spricht das für die   terbreiten. Vor allem sollte man auf ein umfassendes bürgerschaftliches En-
Kommunen zuständige Innenministerium auch von „unvermeidbaren fi-            gagement setzen, denn auch das entlastet die Kommunen.“ �

                                                                                                                                            ADOBE STOCK/STOCKPICS
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8       KOMMUNE + HAUSHALT                                                                                                                         Ausgabe 1/2021

PRODUKTKRITIK

WO SICH EIN GENAUER
BLICK AUF DIE
AUSGABEN LOHNT
Auf der einen Seite schränkt die kommunale Doppik die Spielräume von Gemeinden ein. Sie müssen
künftig den Wertverlust ihrer Gebäude und Fahrzeuge erwirtschaften. Andererseits ermöglicht das neue
kommunale Haushaltsrecht einen genauen Blick darauf, welche Leistungen sich eine Kommunen in
Zeiten knapper Kassen überhaupt noch leisten kann.
                                                                                                  VON PHILIPP RUDOLF

Es lief über Jahre sehr gut für die Finanzen der Kommunen, viel wurde inves-    Haushaltsplan einer Kommune ab: von der Kita bis zum Friedhof. Bei man-
tiert, Gemeindehallen wurden gebaut, Freibäder saniert. Nun entsteht mit        chen Produkten gibt es mehr Spielraum zum Sparen als bei anderen:
der Doppik und der Corona-Krise gleich doppelter Druck auf die Haushalte.       Schließlich müssen Pflichtaufgaben erfüllt und können nicht einfach gestri-
Denn Städte, Gemeinden und Landkreise müssen mit der Einführung des             chen werden. Denn der oberste Grundsatz der Gemeindeordnung lautet:
neuen kommunalen Haushaltsrechts die Abschreibungen erwirtschaften:             „Die Kommunen haben ihre Aufgaben stetig zu erfüllen.“ Trotzdem sollten
Sie sollen den Werteverzehr von Gebäuden, Fahrzeugen oder Spielgeräten          Kommunalpolitiker durchaus auch bei den Pflichten ansetzen, erklärt Die-
sichtbar machen – und Jahr für Jahr ausgleichen. Durch diesen Haushalts-        ter Brettschneider, Professor für Kommunales Finanzmanagement an der
ausgleich sollen auch liquide Mittel erwirtschaftet werden, die sie dann für    Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl. Schließlich können die Ge-
Investitionen und die Tilgung von Krediten verwenden können.                    meinden oft selbst entscheiden, wie sie eine Aufgabe erledigen.

Mit Corona brachen 2020 zudem massiv die Gewerbesteuereinnahmen der             Möglich, aber politisch heikel, ist es, bei den freiwilligen Aufgaben den Rot-
Kommunen weg, was von Bund und Land zunächst mit einem Milliarden-              stift anzusetzen. „Gerade diese werden oft deutlich mehr diskutiert als die
Hilfspaket aufgefangen wurde. Doch für diese Rettungen nehmen sie Re-           Pflichtaufgaben“, so Brettschneider. „Über Wasserversorgung diskutiert
kordschulden auf – das könnte langfristig die Einnahmenseite der kommu-         dagegen keiner, daran hat man sich gewöhnt. Wenn aber ein Schwimmbad
nalen Ebene schwächen (siehe auch Seite 12).

„Die Kommunen haben ihre Aufgaben stetig zu erfüllen“
                                                                                         EIN BEGRIFF IM WANDEL DER ZEIT
Was tun, wenn die Einnahmen nicht mehr sprudeln? Dann braucht es unter
                                                                                „Aufgabenkritik ist eigentlich nicht der   fentliche Aufgaben, sondern auch in-
anderem einen kritischen Blick auf die Ausgabenseite. Hier kann ausgerech-
net die Doppik Teil der Lösung sein. Auf den Prüfstand sollen dabei die Aus-
                                                                                richtige Begriff, ihn gibt es schon seit   terne Abläufe auf den Prüfstand zu stel-
gaben für interne Abläufe, aber auch für öffentliche Aufgaben: ob freiwillig,   Jahrzehnten“, erklärt Gunnar Schwar-       len.
wie etwa der Betrieb eines Freibads, oder verpflichtend, wie der Unterhalt      ting, Honorarprofessor an der Deut-
                                                                                schen Universität für Verwaltungswis-      Und mit der Einführung des neuen
von Kindertagesstätten und Schulen.
                                                                                senschaften Speyer, früherer Kämmerer      kommunalen Haushalts- und Rech-
Bürgermeister, Verwaltungen und Gemeinderäte müssen dann jeden Stein            und Geschäftsführer des Städtetags         nungswesens hat sich mit Produktkritik
umdrehen. Begriffe gibt es für diese Vorarbeit zum Sparkurs einige: Aufga-      Rheinland-Pfalz. Besser zutreffend sei     ein neuer Begriff etabliert. Damit wird
benkritik oder Haushaltskonsolidierung. Mit der Einführung des neuen            der englische Begriff „spending re-        die jeweilige Leistung einer Gemeinde
kommunalen Haushalts- und Rechnungswesen (NKHR) hat sich ein weite-             view“, zu deutsch: Ausgaben-Überprü-       im Haushaltsplan untersucht, die als
rer etabliert: Produktkritik. Denn Produkte bilden die Dienstleistungen im      fung. Schließlich gelte es nicht nur öf-   auch als Produkt bezeichnet wird. .
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ADOBE STOCK/FIZKES

geschlossen wird, fallen diese Dinge politisch oft schwerer ins Gewicht.“           unterschiedlichen Ortsteilen Hallen, fällt der Blick in Krisenzeiten auf deren
Weil es über Jahre wirtschaftlich gut lief und die Abschreibungen nach der          Wirtschaftlichkeit. „Hier muss man sich überlegen, ob man sich für einen
alten Kameralistik nicht erwirtschaftet wurden, muss sich nun so manche             Ort mit 400 Einwohnern eine Halle leisten kann oder nicht“, erklärt Brett-
Gemeinde auf harte Einschnitte gefasst machen. „Viele Gemeinden haben               schneider. Dafür müssen sich Räte und Verwaltung anschauen, wie das Ge-
jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt, was die Kameralistik angezeigt hat.        bäude genutzt wird und entsprechende Kennzahlen bilden: An welchen
Dadurch haben nun einigen Kommunen das Problem, die dauernde Leis-                  Wochentagen ist sie von wem belegt? Wie oft steht sie leer? Welche Kosten
tungsfähigkeit gegenüber der Rechtsaufsichtsbehörde zu garantieren“, so             fallen für die Unterhaltung pro Nutzer an, welche Einnahmen gibt es?
Brettschneider.
                                                                                    Überholt und extrem teuer im Unterhalt
Mit der Einführung des NKHR sind auch die Begriffe „Effizienz“, die Zielfin-
dung, und „Effektivität“, die Wirtschaftlichkeit, in der Gemeindeordnung, in        Politisch oft hoch umstritten sind etwa manche Verwaltungsstrukturen, an
Paragraf 80, aufgenommen worden. Hier steht: „Gemeinden sollen Schlüs-              die der Rotstift angesetzt werden kann, zum Beispiel die Ortsverfassung. Mit
selpositionen und Leistungsziele darstellen“. Davor kam der Begriff Ziel in         der Gemeindegebietsreform vor 50 Jahren haben viele Teilorte eigene Ort-
der Gemeindeordnung nicht vor. „Bislang wurde nur über Geld gesprochen,             schaftsräte und Ortsvorsteher. Laut Brettschneider sind diese jedoch über-
nun kann ich über die Leistung einer Gemeinde reden und diese sichtbar              holt und extrem teuer im Unterhalt, viele Gemeinden könnten sich diese
machen“, erklärt Brettschneider. Das schaffe Gemeinderäten und Bürger-              nicht mehr leisten. Auch hier müsste eine Aufgabenkritik ansetzen.
meistern wiederum Argumente, um von Bürgern liebgewonnene Angebote
zu streichen.                                                                       Gunnar Schwarting, Honorarprofessor an der Deutschen Universität für
                                                                                    Verwaltungswissenschaften Speyer, rät Kommunen, beim Thema Sparen
„Man redet viel mehr über Leistungen und nicht über Geld“                           den Blick auf innere Abläufe zu richten: „Sind die Prozesse zu langsam oder
                                                                                    zu umständlich?“ So könnten Genehmigungsprozesse nicht im Ketten-,
Mit Gemeinderäten erarbeitet der Finanzexperte Brettschneider einen                 sondern im Sternverfahren ablaufen: Die Anträge werden nicht nacheinan-
Sparplan, und klopft die einzelnen Produkte genau auf ihre Wirtschaftlich-          der, sondern jedem Beteiligten gleichzeitig zum Bearbeiten übergeben.
keit ab. Zunächst gilt es aber, eine strategische Zielplanung zu erarbeiten.
Verantwortliche sollten sich mit einem Konzept der Haushaltskonsolidie-             Wenn Verwaltungen ihre Prozesse überprüfen, ist es laut Schwarting hilf-
rung überlegen, was sie eigentlich erreichen wollen. „Eine Tourismusge-             reich, wenn Mitarbeiter nicht den eigenen Teilbereich unter die Lupe neh-
meinde wird auf ihr Freibad eher nicht verzichten wollen und an anderen             men. Vielmehr sollten die Gruppen gemischt werden, damit die Kollegen
Stellen sparen“, so Brettschneider. Ist die Zielsetzung klar, geht es Schritt für   aus anderen Abteilungen mit einem unverstellten Blick Ideen und Kritik äu-
Schritt daran, die einzelnen Aufgaben zu hinterfragen, vom Großen und               ßern. Auch externe Berater könnten bei der Optimierung helfen, ebenso wie
Ganzen geht es in das einzelne Produkt. Beispiel Mehrzweckhalle: Gibt es in         Bürger, die Rückmeldung etwa über Anmeldeverfahren geben können. �
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DPA/MARIJAN MURAT/

   DOPPISCHE KENNZAHLEN

   DARAUF ACHTEN
   KÄMMERER BEIM
   HAUSHALT
   Ein doppischer Haushalt besteht vor allem aus Kennzahlen. Bei einigen von ihnen ist durch Gesetze
   und Verordnungen vorgeschrieben, dass sie im Zahlenwerk ausgewiesen sein müssen. Andere sind
   optional. Gemeinsam ist ihnen eine Eigenschaft: Jede Kennzahl steuert einen kleinen Beitrag zur
   Antwort auf die Frage bei, wie es einer Kommune in finanzieller Hinsicht geht.
                                                                                           VON MARCUS DISCHINGER

Ein doppischer Haushalt kann – theoretisch betrachtet – mehr als 100 Kenn-     effekte herausgerechnet werden. Das können beispielsweise die Kosten von
zahlen umfassen. In der Regel arbeiten Kommunen aber mit deutlich weni-        Schäden im Gemeindewald sein, die ein Sturm im betrachteten Zeitraum
ger und setzen stattdessen festgelegte Kombinationen von Kennzahlen ein.       verursacht hat.
Die „Sets“ erhöhen im Zusammenspiel die Aussagekraft des Haushalts. Die
Landesregierung gibt eine bestimmte Anzahl von Kennzahlen vor, die zwin-       2. Zahlungsmittelüberschuss aus laufender Verwaltungstätigkeit
gend abzubilden sind. Außerdem gibt es freiwillige Kennzahlen. Dabei muss
am Ende jede Gemeinde für sich selbst entscheiden, welches die für sie pas-    Ebenfalls Pflicht ist die Kennzahl „Zahlungsmittelüberschuss aus laufender
senden Werte sind. Kennzahlen sind bedeutsam, um grundlegende Aussa-           Verwaltungstätigkeit“. Es ist das, was in der freien Wirtschaft der „Cashflow“
gen für die eigene Gemeinde zu erhalten. Sie können aber auch für den Ver-     genannt wird. Hier geht es also um den tatsächlichen Mittelfluss bei den
gleich mit anderen Kommunen eingesetzt werden.                                 Ein- und Auszahlungen, der aus dem täglichen Verwaltungsgeschäft resul-
                                                                               tiert. Es ist die Kennzahl, in der zum Beispiel die realen Einnahmen durch
1. Ordentliches Ergebnis                                                       Gewerbesteuern aufgelistet sind. „Was geht rein und was geht raus“, so um-
                                                                               schreibt Haushaltsexperte Schindler diese Kennzahl. Fließt aus laufender
Das „Ordentliche Ergebnis“ als Pflichtkennzahl stellt die zu erwartenden Er-   Verwaltungstätigkeit mehr Geld in die Kassen als ausgezahlt werden muss,
träge einer Kommune dem voraussichtlichen Aufwand gegenüber. „Der              freut sich die jeweilige Kommune über einen Überschuss.
Kaufmann würde sagen, er betrachtet Gewinn und Verlust“, erläutert Bernd
Schindler von der Kämmerei der Stadtverwaltung in Karlsruhe. Zu den Er-        Sind Ein- und Auszahlungen gleich, sind zwar alle laufenden Kosten ge-
trägen gehören sämtliche Steuern, die der Gemeinde zufließen, Zuweisun-        deckt, eine Summe für Investitionen bleibt allerdings erst einmal nicht.
gen von Bund und Land oder Einnahmen durch Gebühren. Bei den Aufwen-           Muss eine Gemeinde mehr ausbezahlen als sie einnimmt, wäre dies ein
dungen handelt es sich um Mieten und Unterhaltung von Gebäuden oder            Punkt, an dem auch die Rechtsaufsicht im Landratsamt oder im Regierungs-
um Gehälter von Beschäftigten.                                                 präsidium den Finger heben würde. Ziel wäre, die Einnahmen aus laufender
                                                                               Verwaltungstätigkeit zu erhöhen, etwa durch eine Gebührenerhöhung. Ein
Positiv ist, wenn der Ertrag deutlich höher ausfällt als die Aufwendungen.     Beispiel: In Mannheim betrug der Zahlungsmittelüberschuss im Jahr 2019
Ein eventuell vorhandener Überschuss kann dann wieder für Investitionen        laut Jahresabschluss 160,7 Millionen Euro, das sind pro Kopf 517 Euro.
verwendet werden oder in die Rückstellungen fließen. In der Landeshaupt-
stadt Stuttgart mit 635 000 Einwohnern weist der Jahresabschluss für das       3. Nettoinvestitionsfinanzierungsmittel
Jahr 2019 zum Beispiel ein ordentliches Ergebnis von rund 289 Millionen
Euro aus, das sind pro Kopf 454 Euro; in Emmendingen gab es im gleichen        Die „Nettoinvestitionsfinanzierungsmittel“ sind ein wichtiger Indikator,
Jahr ein Ergebnis von 3,7 Millionen Euro (pro Kopf: 312 Euro). Die Ein-        um die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Kommune beschreiben zu kön-
schränkung durch das Wort „ordentlich“ bedeutet, dass bestimmte Sonder-        nen. Die Zahl bezeichnet den Zahlungsmittelüberschuss aus laufender Ver-
Ausgabe 1/2021                                                                                                KOMMUNE + HAUSHALT 11

waltungstätigkeit, der mit Blick auf Kredite nach der vollständigen Tilgungs-    Prozent auf 16,4 Prozent abgenommen. Die kommunale Steuerquote mit
leistung noch übrigbleibt. Bei der ordentlichen Tilgung geht es um die plan-     weiteren Abgaben, die von der Kommune direkt erhoben werden, ist im glei-
mäßige Rückzahlung von Kreditsummen gemäß vereinbarter Konditionen               chen Zeitraum von 27,6 auf 23,6 Prozent gesunken.
mit dem Kreditgeber.
                                                                                 6. Transferaufwandsquote
Je höher der Überschuss ist, der nach Abzug dieser Tilgungsleistung zur Ver-
fügung steht, desto besser für eine Kommune, weil dann mehr Mittel für In-       Besonders relevant für alle Stadt- und Landkreise ist die Kennzahl der
vestitionen eingebracht werden können. Entsteht in diesem Bereich ein Mi-        „Transferaufwandsquote“. Sie beinhaltet den Anteil aller zu zahlenden So-
nus – oder finanztechnisch ausgedrückt ein „Zahlungsmittelbedarf“ –, dann        zialleistungen an der Gesamtsumme im Bereich der ordentlichen Aufwen-
wären auch keine Investitionen ohne eine weitere Kreditaufnahme mög-             dungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Pflichtleistungen des Bundes oder
lich. 2019 betrugen die Nettofinanzierungsmittel beispielsweise in Rottweil      Landes oder freiwillige Leistungen der Kommune gemeint sind. Ausgenom-
rund 7,6 Millionen Euro – pro Kopf also 301 Euro. Zum Vergleich: In Mann-        men sind aber die zu zahlende Umlage für den kommunalen Finanzaus-
heim liegt der Wert bei 110 Euro pro Kopf, in Stuttgart bei 606 Euro pro Kopf.   gleich oder die Gewerbesteuerumlage.

4. Verschuldung                                                                  Je niedriger der Anteil der Transferaufwandsquote im Haushalt ist, desto ge-
                                                                                 ringer ist der Anteil der gesetzlichen und freiwilligen Sozialleistungen. Eine
Auch die Kennzahl „Verschuldung“ muss jede Kommune in den Haushalt               geringere Quote kann ein Indiz für eine stabile Sozialstruktur einer Kommu-
aufnehmen. Es ist einer der zentralen Begriffe, mit der die Kapitallage einer    ne sein. Die Transferaufwandsquote in Karlsruhe lag 2019 bei 33,5 Prozent.
Gemeinde beschrieben werden kann. Die Verschuldungskennzahl umfasst              Sie ist in den vergangenen zehn Jahren um knapp fünf Prozent gestiegen. Im
sämtliche Schulden eines Ortes, beispielsweise Verbindlichkeiten aus Kre-        Landkreis Rastatt sah der Plan für das Jahr 2019 vor, dass die Quote bei 58,3
ditaufnahmen inklusive der Kassenkredite. Abgebildet werden darin auch           Prozent liegen sollte. �
Verbindlichkeiten, die Kreditaufnahmen wirtschaftlich gleichkommen. Da-
mit sind etwa Schulden aus Leasinggeschäften oder aufgrund von Hypothe-
ken gemeint. Ausgenommen werden zum Beispiel Rückstellungen. Die Pro-
Kopf-Verschuldung ist vermeintlich eine besonders plakative Zahl, um die
Finanzsituation einer Kommune zu beschreiben.

„Einige Kommunen verlagern Schulden aber gerne in kommunale Gesell-
schaften“, weiß Bernd Schindler aus der Karlsruher Stadtkämmerei. Diese
Schulden tauchen dann nämlich nicht mehr im kommunalen Haushalt auf
und „hübschen“ die Bilanz auf. Dann seien die Zahlen schnell nicht mehr
vergleichbar, betont Schindler. Durch die Aufsichtsbehörden werde in der
Frage der Verschuldungshöhe auch danach geschaut, ob eine Kommune die
Leistungsfähigkeit besitze, Schulden wieder zurückzuzahlen. 2019 betrug
die Verschuldung in Karlsruhe 257,5 Millionen Euro, das waren 827 Euro pro
Einwohner. Im Landesdurchschnitt lag sie im gleichen Jahr bei 1178 Euro.
2019 waren in Baden-Württemberg nach Angaben des Statistischen Landes-
amts insgesamt 106 Kommunen gänzlich ohne Schulden.

5. Steuerquote
Die „Steuerquote“ gehört zu den optionalen Kennzahlen. Sie gibt an, wie
viel Prozent der Erträge einer Kommune aus eigenen Steuereinnahmen re-
sultieren. Solche Einnahmen sind in vielen Kommunen deutlich geringer als
andere Einnahmen, die etwa aus den Schlüsselzuweisungen des Landes
oder dem kommunalen Finanzausgleich stammen. Deshalb nehmen etli-
che Gemeinden stattdessen die „Zuschussquote“ in den Plan auf.

Kämmerer und Kommunalpolitiker sehen es am liebsten, wenn die Steuer-
quote einer stetig, mindestens leicht ansteigenden Linie entspricht. Ist eine
Kommune aber von einem besonders großen Gewerbesteuerzahler abhän-
gig, kann die Linie einen eher ungewünschten Zickzackkurs nehmen – je
nach Konjunkturlage. Das macht die Haushaltsplanungen deutlich schwie-
riger und unsicherer. In den kommenden Jahren könnten die Corona-Fol-
gen sogar dafür sorgen, dass die Steuerquote zu einer sinkenden Linie wird –
mit bisher nicht absehbaren Folgen für die Kommunen. In der Landes-
hauptstadt Stuttgart werden gleich mehrere Steuerquoten ausgewiesen.
Dort hat etwa die Gewerbesteuerquote zwischen 2015 und 2019 um zwei                                                                                ADOBE STOCK/WUTZKOH
DPA/WEBER/EIBNER-PRESSEFOTO

 PROGNOSE CORONA-PANDEMIE

 MEHR AUSGABEN,
 WENIGER EINNAHMEN
 Kommunen müssen aufgrund der Corona-Pandemie teilweise tiefer in die Tasche greifen und mit weniger Geld in den Kassen zurecht
 kommen. Wie es um kommunale Einnahmen und Ausgaben aktuell steht und wie sie sich entwickeln werden, erklären Experten von
 Verbänden und aus der Forschung.
                                                                                                                                  VON SUSANNA KETTERER

Gewerbe-, Lohn- und Einkommenssteuer, ÖpNV
EINNAHMERÜCKGÄNGE                                                            PROGNOSE
Nach Angaben von Dirk Leißner, Professor für Kommunales Finanzmana-          Langfristig betroffen sieht das ZEW vor allem den öffentlichen Nahverkehr.
gement an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Lud-        Auch zum Jahresende würden sich die Fahrgastzahlen nicht erholen: „Die
wigsburg, sind durch die Corona-Maßnahmen verschiedene nutzungsab-           Pandemieerfahrung dürfte einen jahrelang anhaltenden Effekt in Richtung
hängige Entgelte zurückgegangen. Das bestätigt auch Susanne Nusser vom       eines stärkeren Individualverkehrs haben“, so das Zentrum.
Städtetag Baden-Württemberg: Beispielsweise fehlten die eingenommenen
Gebühren für Kinderbetreuung. Auch die Einnahmen aus Eintrittsgeldern        Während laut ZEW einige Branchen kaum von der coronabedingten Wirt-
von Schwimmbädern, Zoos und Museen seien im vergangenen Jahr deut-           schaftskrise betroffen waren oder sich bereits erholt haben, rechnen die
lich gesunken. Durch Homeoffice und Schulschließungen erzielt auch der       Forscher bei kontaktintensiven Dienstleistern weiter mit einer angespann-
öffentliche Nahverkehr deutlich weniger Einnahmen. Außerdem fehlen laut      ten Lage. Nach Einschätzung des ZEW werden sich das Gastgewerbe, der
Leißner teilweise Pachteinnahmen, beispielsweise von Restaurants.            stationäre Einzelhandel, die Kultur- und Veranstaltungsbranche und der
                                                                             Tourismus erst bei einem starken Impffortschritt erholen. Das sei ab dem
Aufgrund der wirtschaftlichen Lage ist nach Angaben des Städtetags die Ge-   Spätsommer diesen Jahres realistisch. In den genannten Branchen schätzt
werbesteuer in vielen Kommunen zurückgegangen. Leißner weist jedoch          das ZEW außerdem, dass sich deutschlandweit ein Rückstau von etwa
darauf hin, dass in diesem Bereich große Unterschiede bestünden. Auch das    25 000 Unternehmen gebildet hat, „die nur aufgrund der pandemiebeding-
Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) betont, dass      ten Aussetzung von Insolvenzregeln noch nicht insolvent gegangen sind“.
einzelne Wirtschaftszweige kaum von der Krise betroffen waren (Bauwirt-      Laut Dirk Leißner wird der dadurch entstehende Rückgang der Gewerbe-
schaft) oder sich inzwischen wieder erholt haben (exportorientierte Indus-   steuer in diesem Jahr zumindest teilweise bei den Kommunen zum Tragen
trie). Ganz anders sei das Bild bei den kontaktintensiven Dienstleistern.    kommen.

Auch das bundesweite Gesamtaufkommen an Lohn- und Einkommens-                Flächendeckend werde dagegen der Rückgang des bundesweiten Einkom-
steuer sei 2020 und – nach aktuellem Stand – 2021 gesunken, so Leißner und   menssteueraufkommens ausfallen und somit alle Städte und Gemeinden
Nusser. In der Folge seien die Anteile der Kommunen an der Einkommens-       treffen. Ob das ausschließlich für 2021 gelte oder darüberhinaus, „hängt von
steuer zurückgegangen. Zudem fielen die Schlüsselzuweisungen des Lan-        der Bekämpfungsgeschwindigkeit der Pandemie ab und wann folglich ein
des geringer aus.                                                            breiter wirtschaftlicher Aufschwung beginnen kann“, so Leißner.
Ausgabe 1/2021                                                                                           KOMMUNE + HAUSHALT 13

Sonderzahlungen, Hilfspakete
MEHREINNAHMEN                                                                PROGNOSE
Abgesehen von den Sonderzahlungen und Hilfspaketen von Land und Bund         „Aufgrund der neuen Erfahrungen und Erkenntnisse planen viele Unter-
sind Dirk Leißner keine generellen Mehreinnahmen durch die Corona-Pan-       nehmen, Homeoffice auch nach der Krise intensiver zu nutzen als vor dem
demie bekannt. Susanne Nusser betont, dass diese Ausgleichszahlungen         Beginn der Corona-Pandemie“, so Daniel Erdsiek, Wissenschaftler im ZEW-
nur für das Jahr 2020 konzipiert waren und die Einnahmenausfälle und         Forschungsbereich Digitale Ökonomie. Ein Grund dafür ist demnach, dass
Mehrausgaben nur teilweise ausgleichen.                                      die Mehrheit der Unternehmen keine Produktivitätsverluste durch das
                                                                             Homeoffice beobachtet habe. Sollte ein Versorger durch die aktuelle Situa-
Bei den Versorgern, beispielsweise für Strom und Wasser gibt es nach Anga-   tion mehr einnehmen, könnte sich diese Entwicklung also weiter fortsetzen.
ben der Experten lediglich Verschiebungen. Durch Homeoffice und Online-
Unterricht seien die Verbräuche zu Hause gestiegen. In Betrieben seien sie
dagegen teilweise gesunken. Die Auswirkungen hängen somit von Wohn-
und Arbeitsort ab und haben nach Einschätzung der Experten nur eine ge-
ringe Auswirkung auf die Einnahmensituation. Kommunen mit einem be-
sonders hohen Gewerbe- oder Wohnanteil könnten Unterschiede feststel-
len, so Nusser.

Hygiene, Krankenhäuser, Vollzugsdienst
MEHRAUSGABEN                                                                 PROGNOSE
Mehrausgaben entstehen nach Angaben von Dirk Leißner vor allem durch         Die meisten Mehrausgaben der Kommunen in der Pandemie hängen laut
Sach- und Personalkosten zur Pandemiebewältigung. So stellen Kommu-          Experten direkt mit der Pandemiebekämpfung zusammen oder waren ein-
nen zum Beispiel Testinfrastrukturen bereit und müssen Hygieneartikel        malige Ausgaben, beispielsweise für Trennwände. Mehrausgaben, die über
kaufen. Zudem bestehe durch die Pandemie ein erhöhter Reinigungsauf-         die Zeit der Pandemie hinaus gehen, seien also nicht zu erwarten.
wand, für den die Kommunen aufkommen müssen. Nusser nennt als Bei-
spiele Schulen, Kitas, Bahnen und Busse, die verstärkt gereinigt würden.     Für das Krankenhaus-Barometer des Deutschen Krankenhausinstituts
                                                                             schätzten die befragten Krankenhäuser ihre wirtschaftliche Lage ein: 76
Auch kommunale Krankenhäuser hatten laut Nusser deutliche Mehrausga-         Prozent der Krankenhäuser rechnen 2021mit einer gleichen oder schlechte-
ben, um ihre Patienten unter Pandemiebedingungen zu versorgen. Außer-        ren wirtschaftlichen Lage als im Vorjahr, 24 Prozent mit einer besseren.
dem mussten nach Angaben des Deutschen Krankenhausinstituts allein
von Mitte März 2020 bis Anfang Mai 2020 im Schnitt 41 Prozent der Opera-
tionen im stationären und 58 Prozent der Operationen im ambulanten Be-
reich in Deutschland abgesagt werden. Auch danach konnten demnach vie-
le Krankenhäuser nicht zur vollen Operationsauslastung zurückkehren.

Auch größere Aufwendungen für den Vollzugsdienst seien vorstellbar, so
Leißner. Nach Angaben von Nusser haben einige Kommunen zum Beispiel
verstärkt an Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs kontrolliert.

Ungenutzte Gebäude, Kurzarbeit
AUSGABENRÜCKGÄNGE                                                            PROGNOSE
Nach Angaben von Susanne Nusser, sind die Verbrauchskosten in kommu-         Nach Einschätzung des ZEW werden sich die Kultur- und Veranstaltungs-
nalen Gebäuden, die derzeit nicht genutzt werden, zurückgegangen. Dort       branche und der Tourismus bei einem starken Impffortschritt erholen. Das
werde weniger Wasser, Strom und Heizenergie verbraucht als sonst.            sei ab dem Spätsommer diesen Jahres realistisch. Dann werden diese ohne-
                                                                             hin eher geringen Ausgabenrückgänge wohl wieder wegfallen.
In kommunalen Unternehmen wie Schwimmbädern konnten die Kommu-
nen teilweise Personalkosten einsparen, indem die Mitarbeiter in Kurzar-
beit geschickt wurden. Die meisten Verwaltungen hätten während der Co-
rona-Pandemie aber mit voller Personalstärke gearbeitet.
ADOBE STOCK/OLEKSANDR BONDAR

                                                                     SERIE
                                                                    PILOTENWISSEN
DIE ROUTINE KOMMT
MIT DER ZEIT
Die Doppik braucht Anlaufzeit und wird zu einem Dauerlauf, bei dem man sich als Verwaltung immer
wieder neu motivieren muss: Das ist die Einschätzung von Finanzexperten, die schon vor längerer Zeit
das Neue Kommunale Haushaltsrecht eingeführt haben. Für die meisten überwiegen auf lange Sicht die
Vorteile, insbesondere weil die Finanzsituation realistischer eingeschätzt wird.
                                                                                         VON MARCUS DISCHINGER

Wenn Emilio Verrengia, der Kämmerer der Gemeinde Stetten am kalten            Routine erreicht hatten, teilt Sprecher Florian Würth mit. Die Umstellung
Markt (Kreis Sigmaringen), über die Einführung des Neuen Kommunalen           startete mit der Eröffnungsbilanz im Jahr 2009. Anfangs habe vor allem Pro-
Haushaltsrecht (NKHR) spricht, dann wählt er ein ganz besonderes Bild.        bleme bereitet, dass konsumtive und investive Maßnahmen nach anderen
Eine gewisse Routine, die sich beim Erstellen des doppischen Haushalts ir-    Kriterien eingeordnet wurden als in der Kameralistik. Auch die Vermögens-
gendwann einstelle, sei vergleichbar mit dem zweiten und dritten Kind, wo     bewertung sei einer der Fallstricke in der Anfangsphase gewesen.
man sich sicherer fühle als beim ersten. Die Routine „kommt mit der Zeit
und wird von Jahr zu besser“. Das wird vor allem die letzten 370 von 1101     Als grundlegendes Problem hat sich der Paradigmenwechsel der doppi-
Kommunen in Baden-Württemberg beruhigen, die nach Angaben der Lan-            schen Haushaltsführung hin zur outputorientierten Steuerung erwiesen.
desregierung zum 1. Januar 2020 noch auf die doppische Haushaltsführung       Eine solche Steuerung setzt vorrangig auf das Formulieren von Zielen durch
umzustellen hatten. Sie haben bisher gerade einmal einen einzigen NKHR-       Verwaltung und Gemeinderat sowie das Erreichen eben jener Ziele. Damit
Haushalt erstellt und stecken noch mitten in der Umstellungsphase.            will die Doppik eine stärkere Bürgerorientierung bei der Erstellung von
                                                                              Haushalten bewirken, die Wirtschaftlichkeit erhöhen und die Verwaltung
Stetten am kalten Markt gehörte im Jahr 2006 zu einer der Pilotkommunen       effektiver machen. Dieser Schwenk zur Outputorientierung sei noch nicht
im ganzen Bundesgebiet, was die Umstellung von der kameralistischen zur       wirklich vollzogen worden, glaubt Würth.
doppischen Haushaltsführung angeht – gemeinsam mit dem benachbarten
Albstadt. Auch nach 15 Jahren ist für Verrengia die Doppik zu keinem Zeit-    Kämmerin: Doppischer Haushalt ist generationengerecht
punkt vollständig eingeführt. „Man lernt dazu, sieht die Fehler“, meint er.
Zudem würden immer wieder Verbesserungspotenziale sichtbar, auch              „Es gab ein großes Misstrauen gegenüber dem NKHR“, berichtet Kämmerer
Wünsche aus der Kommunalpolitik für eine bessere Verständlichkeit des         Dominik Broll aus Östringen (Kreis Karlsruhe), wo die Doppik 2006 einge-
Zahlenwerks würden immer wieder aufgenommen. Der Haushaltsplan wer-           führt wurde. In der Anfangsphase sei seitens des Gemeinderats ständig be-
de ständig optimiert.                                                         mängelt worden, dass man im neuen Haushaltsplan „nichts mehr findet“.
                                                                              Viele Gemeinden mit ähnlicher Kritik haben daraufhin zusätzlich zu den
Ein bis zwei Jahre dauerte es, bis die Abläufe der doppischen Haushaltsfüh-   doppischen Produktbezeichnungen einzelne Projekte und Maßnahmen im
rung in der Verwaltung der Stadt Offenburg (Ortenaukreis) eine gewisse        Haushalt abgebildet – also ein kameralistisches Element wiedereingeführt.
Ausgabe 1/2021                                                                                                    KOMMUNALE FINANZEN 15

Ein Kernpunkt der Doppik ist, dass sie deutlich macht, was beispielsweise
die Dienstleistungen einer Kommune wirklich kosten, und welche Rolle Ab-
schreibungen spielen. Für Petra Hoß, Kämmerin in Wiesloch (siehe unten),
                                                                                        TIPPS FÜR DOPPIK-NEULINGE
ist der doppische Haushalt deshalb eine generationengerechte Sache. „Man       � Sorgfältigkeit sollte bei der Erstellung       tigt werden und bisher als „Ballast“
sieht eben, was man erbringen muss, um die Aufwendungen zu erwirtschaf-            des doppischen Haushalts vor Schnel-         mitgeschleppt werden.
ten“, stellt sie fest. Und Abschreibungen, die bei der kameralen Führung ei-       ligkeit gehen.                           �   Die Strukturen des doppischen Haus-
nes Haushalts ganz außen vor blieben, gehörten da dazu. Das, was Experten      �   Bei der Bestandsaufnahme von Anla-           halts, insbesondere die Teilhaushalte
also als großen Vorteil werten, bereitet Kommunalpolitikern Bauchschmer-           gevermögen sollte der Fokus auf im-          oder Kostenstellen, sollten gut über-
zen, weil es finanzielle Spielräume einengt.                                       mobilem Vermögen liegen. Das sind            legt sein, um sie nicht jährlich anpas-
                                                                                   beispielsweise Grundstücke, Gebäude          sen zu müssen. Das erhöht die Ver-
Doppik erhöht dauerhaft die Komplexität des Haushalts                              oder Straßen. Bei der Erfassung helfen       gleichbarkeit der einzelnen Jahre.
                                                                                   Geoinformationssysteme.                  �   Die Bedeutung des Jahresabschlusses
Gleichzeitig halten die Kämmerer nicht hinter dem Berg damit, dass die
                                                                               �   Bei Problemen mit der Bewertung des          muss immer wieder klar benannt wer-
Doppik so manchen Nachteil birgt – auch dauerhaft und nicht nur bei der
                                                                                   Vermögens können auch externe                den, weil hier zentrale Erkenntnisse
Einführung. Einer dieser Nachteile ist für den Östringer Leiter der Finanz-
                                                                                   Fachbüros helfen.                            für die folgenden Haushalte erkannt
verwaltung Dominik Broll, dass der Fokus bei der Doppik auf Steuerung und
                                                                               �   Die Erfassung des Vermögens kann mit         und herausgelesen werden können.
Budgetierung gelegt wird. „Dies geht an den Realitäten insbesondere in klei-
                                                                                   weitergehenden Prüfungen verbun-         �   Die beteiligten Verwaltungsabteilun-
nen und mittleren Kommunen vorbei“, glaubt er. Damit wollten viele Ge-
                                                                                   den werden. So kann etwa festgehal-          gen müssen mit ausreichenden perso-
meinderäte gar nicht arbeiten.
                                                                                   ten werden, wie Grundstücke genutzt          nellen Ressourcen ausgestattet sein
Als weiteren Nachteil empfinden die Fachleute den insgesamt größeren               werden, ob bestimmte Geräte und              und ein regelmäßiges Schulungsange-
Zeitaufwand, um einen doppischen Haushalt zu erstellen. Diese höhere               Maschinen noch im Einsatz oder wel-          bot erhalten.
Komplexität führt auch nicht im Laufe der Jahre zu einer Erleichterung.            che Versicherungen sich im Portfolio     �   Verwaltungsmitarbeitende sollten da-
„Nach der Umstellung zeigen sich, trotz aller Anstrengung, Schwierigkeiten         der Gemeinde befinden.                       rauf achten, dass sich der Gemeinderat
und Schwachstellen“, weiß Emilio Verrengia aus Stetten. Allerdings sei dies    �   Die Umstellung von der Kameralistik          immer „mitgenommen“ fühlt und den
unumgänglich und solle auch nicht demotivieren. Man solle sich genügend            auf die Doppik kann auch dazu genutzt        doppischen Haushalt auch versteht.
Zeit zum Erlernen der neuen Inhalte einräumen. Für viele Mitarbeitende sei         werden, sich von alten Datenbestän-          Speziell auf Kommunalpolitiker zuge-
es eine neue Materie. �                                                            den zu trennen, die nicht mehr benö-         schnittene Schulungen helfen dabei.

PILOTKOMMUNE, DIE PIONIERARBEIT LEISTETE:
WIESLOCH STELLTE BEREITS 1999 AUF DIE DOPPIK UM

Die Große Kreisstadt Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis) leistete ab 1999 Pio-
nierarbeit und führte die doppische Buchführung als Pilotkommune ein –
damals noch ohne Rechtsgrundlage und mit Sondergenehmigung der Lan-
desregierung. Das „Wieslocher Modell“ wurde beinahe von allen deutschen
Kommunen übernommen. Den Prozess leitete damals ein ausgewiesener
Finanzverwaltungsfachmann: Franz Schaidhammer (Freie Wähler), ab
2000 und bis 2016 Oberbürgermeister der Stadt und zuvor Kämmerer in Er-
singen und Walldorf sowie Finanzprüfer bei der Gemeindeprüfungsanstalt.

Vom Neuen Kommunalen Haushaltsrecht ist er überzeugt. „Die politischen
Gremien bekommen erstmals die Möglichkeit, nicht nur über das Gewähren
oder Vorenthalten von Geld zu steuern, sondern über die Vereinbarung von
Sachzielen“, so Schaidhammer. Die Doppik erfasse nicht nur den Geldver-
brauch, sondern auch den gesamten Ressourcenverbrauch, bezogen auf je-
des Produkt. Damit sei ein interkommunaler Vergleich möglich, ebenso in der
Frage, ob Dienstleistungen in Eigenregie oder in Form einer externen Vergabe
erbracht werden sollten. Verwaltungsintern wachse die Verantwortung über
die Budgets. Dort werde entschieden, „mit welchen Mitteln die Leistung am
wirtschaftlichsten erbracht werden kann“. Eine große Herausforderung sei es
gewesen, die Organisation der Verwaltung an die neue Steuerung anzupas-
sen. Große Überzeugungskraft habe man gebraucht, um Mitarbeitende, die
ausschließlich interne Serviceleistungen erbringen, dazu zu bringen, ihre
Leistungen zu dokumentieren und zu bewerten. (dis)                                                                                                       ADOBE STOCK/MOTORTION
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