Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie - Erforderliche Rahmenbedingungen für Deutschlands Industrie zur Implementierung der ...
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1 Einleitung Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie Erforderliche Rahmenbedingungen für Deutschlands Industrie zur Implementierung der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung www.kas.de 1
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie Erforderliche Rahmenbedingungen für Deutschlands Industrie zur Implementierung der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung Daniel Dantine, Bernd Weber, Robin Reh
Auf einen Blick Um die in der deutschen Wasserstoffstrategie gesetzten Ziele Impressum zu erreichen, brauchen insbesondere die Unternehmen aus energieintensiven Industriesparten geeignete Rahmenbe- Autoren: dingungen. Nur so werden die erforderlichen Investitionen Daniel Dantine, Dr. Bernd Weber, Robin Reh für die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft bei gleichzeitigem Erhalt der Industriestruktur getätigt, zusätz- Herausgegeben von: Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. liche Arbeitsplätze geschaffen und Wachstums- und Wert- EPICO KlimaInnovation schöpfungspotenzial realisiert. Deutschlands Unternehmen (Energy and Climate Policy and Innovation Council e. V.) sind hierfür in einer guten Ausgangsposition. Sie sind stark aufgestellt was die Forschung und Entwicklung von Spitzen- Gestaltung und Satz: yellow too Pasiek Horntrich GbR technologie sowie den Anlagen- und Maschinenbau angeht. Korrektorat: Marianne Graumann, Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Die Transformation der energieintensiven Industrien in Rich- Titelbild und Kapiteltrenner: iStock by Getty Images/Olemedia; yellowtoo tung klimaneutrale Produktion mit Wasserstofftechnologien Kontakt: Sabina Wölkner, sabina.woelkner@kas.de hat allerdings noch nicht vollumfänglich begonnen, denn es Die Printausgabe wurde bei der Druckerei Kern GmbH, Bexbach, klimaneutral produziert und auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt. erfolgen derzeit in erster Linie Investitionen in Pilotanlagen. Printed in Germany. Um die Hürden für den Hochlauf von Wasserstoff im deut- schen Industriesektor zu identifizieren, wurden im Rahmen Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland. der vorliegenden Studie Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der energieintensiven Industrie und ergänzend Danksagung: mit weiteren relevanten Akteuren entlang der Wertschöp- Wir danken den Expertinnen und Experten und Entscheidungsträgern aus fungskette in Bezug auf den Einsatz von grünem Wasserstoff den Unternehmen, die im Rahmen der Interviews die Entstehung dieser Studie ermöglicht haben. Dies sind u. a. ArcelorMittal, Covestro, Evonik, geführt. Dabei wurde darauf Wert gelegt, dass die Interview- H&R GmbH & Co KGaA, HeidelbergCement, Holcim, Ineos, LyondellBasell, partnerinnen und -partner nicht nur die offiziellen politisch- NSG, Raffinerie Heide, RWE, Salzgitter AG, SHS – Stahl-Holding-Saar, Aca- regulatorischen Positionen der Unternehmen kennen, son- tech, African H ydrogen Partnership, Bilfinger, European Green Hydrogen dern zudem vor allem Kenntnisse über bzw. Verantwortung Acceleration Center, Hydrogen Europe, Sunfire. für die strategischen Planungsschritte im Bereich Wasserstoff haben.1 Bei den Industrieunternehmen lag der Fokus auf Che- Wir danken darüber hinaus den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des mie-, Stahl- und Zementindustrie, also jenen CO2-intensiven Teams „Wasserstoff“ sowie den Challengerinnen und Challengern des Branchen, für die Wasserstoff eine Schlüsseltechnologie im Policy Accelerators for Climate Innovation für die wertvollen, konstruktiven Beratungen zu Lösungsansätzen für den Wasserstoffhochlauf. Rahmen der Dekarbonisierung darstellt. Aus den Interviews lassen sich drei wesentliche Erkenntnisse ableiten: Der Text dieses Werkes ist lizenziert unter den Bedingungen von „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international”, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecommons.org/ licenses/by-sa/4.0/legalcode.de). ISBN 978-3-95721-994-7 3
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie Auf einen Blick 1. Die Rahmenbedingungen für die Umstellung auf Wasser- Als Konsequenz aus den aktuellen Hürden für den Hochlauf stofftechnologien im industriellen Maßstab sind für von Wasserstoff wird das Erreichen des deutschen Klima- Industrieunternehmen aktuell nicht gegeben. zieles aus dem Klimaschutzgesetz für die Industrie im Jahr Aufgrund hoher Kosten und fehlender Skalierbarkeit kann 2030 skeptisch gesehen. Statt der angestrebten Reduktion die Wasserstoffwirtschaft derzeit noch nicht auf eige- auf 140 Mio. t CO2-Äquivalente (CO2e) erwarten die Interview- nen Füßen stehen. Neben den üblichen Unsicherheiten partner Emissionen in Höhe von ca. 160 Mio. t CO2e. betreffend zukünftiger Preisannahmen bestehen auch Fragezeichen bezüglich des für die Wettbewerbsfähigkeit Zur Bewältigung der genannten Hindernisse und Heraus- zentralen künftigen Anstiegs von CO2-Preisen bzw. CO2- forderungen werden auf Basis der Erkenntnisse aus den Inter- Zertifikatspreisen sowie weiterer regulatorischer Rahmen- views mit der Industrie und den Beratungen in den Workshops bedingungen. Hinzu kommen Zweifel bezüglich noch nicht des Policy Accelerators for Climate Innovation konkrete Hand- definierter Anreizregime, der unklaren Verfügbarkeit von lungsempfehlungen vorgeschlagen. Die übergreifende Ziel- Wasserstoff in ausreichenden Mengen, dem Vorhandensein setzung ist dabei, im ersten Schritt Wasserstofftechnologien notwendiger Infrastruktur sowie der Fähigkeit des Marktes, kosteneffizient in einem Hochlauf zu etablieren und im zweiten Mehrkosten für grüne Produkte2 preislich anzunehmen. Schritt zu einem sich selbsttragenden, möglichst grenzüber- schreitendem Wasserstoffmarkt zu kommen, auf dem der 2. Die meisten der genannten Investitionshürden können CO2-Fußabruck Grundlage für einen grünen Leitmarkt wird. durch politisch-regulatorische Maßnahmen überwunden Dabei lassen sich drei politisch-regulatorische Handlungsfelder werden, dazu müssen aber wichtige Weichenstellungen unterscheiden: auf dem Weg zu einem sich selbsttragenden Wasserstoff- markt getroffen werden. Kostennachteile ausgleichen, Markthochlauf beschleunigen: Beispiele sind etwa der Umgang mit blauem Wasser- Genannt wurden Förderungen für Opex (z. B. Carbon Contracts stoff für den Markthochlauf oder die Entscheidung über for Difference – CCfD) oder CAPEX, eine ausreichend hohe CO2- eine mögliche sektorale Priorisierung für den Einsatz von Bepreisung gekoppelt an Maßnahmen zum Schutz vor Carbon Wasserstoff. Je länger diese Rahmenbedingungen unklar Leakage (z. B. über einen Klima-Club von Staaten mit ähnlich sind, desto später wird die Dekarbonisierung stattfinden. hoher CO2-Bepreisung oder über einen CO2-Grenzausgleichs- mechanismus) sowie Maßnahmen zur Senkung der Strom- 3. Die besondere Herausforderung besteht im sogenannten kosten aus erneuerbaren Energien. Hierbei sollte der vorüber- Henne-Ei-Problem: Beim Aufbau einer deutschen Wasser- gehende Charakter des Instruments CCfD von Anfang an klar stoffindustrie bedarf es des gleichzeitigen Hochlaufs von sein und eine Kopplung an die Entwicklung der CO2-Bepreisung Angebot, Nachfrage und Infrastruktur. erfolgen, um so den Pfad für ein Auslaufen des Instrumentes Konsortien unterschiedlicher Unternehmen entlang der und Überführung in einen sich selbst tragenden Marktrahmen Wertschöpfungskette sind eine Möglichkeit, Angebot und vorzuzeichnen. Wichtig ist zudem die Verfügbarkeit von güns- Nachfrage zusammenzubringen und die unterschied- tiger erneuerbarer Energie als Grundvoraussetzung, wofür die lichen Risiken auszugleichen. Allgemein wird als wesent- Ausbauziele angehoben und erreicht werden müssen licher Schlüssel zur Lösung dieses Henne-Ei-Problems die Stärkung der Nachfrage nach Wasserstoff bzw. grünen Nachfrage stärken, CO2-Transparenz schaffen: Zum Anschub Produkten gesehen. Mit der Sogwirkung des Marktes der Nachfrage wurden einerseits das Schaffen von Instrumen- werden die Herausforderungen der Versorgung und der ten für eine höhere Transparenz des CO2-Fußabdrucks bzw. Infrastruktur als lösbar gesehen. Dennoch kann es durch eine Zertifizierung für grüne Produkte und andererseits, für die geographische Orientierung hin zu grünen Strom- Flugbenzin, Quoten vorgeschlagen. Ein offener, pragmatischer produktionskapazitäten zu deutlichen Verschiebungen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, in der auch blauer und von Standortvor- bzw. -nachteilen kommen. türkiser Wasserstoff als Brückentechnologien eine Rolle spie- len, würde dabei von einer digitalen Zertifizierung als Nach- 4 5
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie frageanreiz profitieren. Ein verlässlicher, vertrauenswürdiger CO2-Fußabdruck würde im nächsten Schritt ermöglichen, den CO2-Gehalt pro Mengeneinheit bei den Kundinnen und Kun- Inhaltsverzeichnis den sichtbar zu machen und so diesen die Möglichkeit geben, sich für das klimafreundlichere Produkt zu entscheiden. Eine digitale Umsetzung z. B. mit Blockchain-Technologie verspricht Abkürzungsverzeichnis 8 zudem, für die Unternehmen möglichst unbürokratisch zu funktionieren. Vorwort 10 Versorgung sichern, Infrastruktur aufbauen: Als zentral für 1 Einleitung 12 den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft wurde der Ausbau von 1.1 Zielsetzung 13 grünen Stromkapazitäten und erforderlicher Infrastruktur für 1.2 Ausgangslage 13 Import und Transport von Wasserstoff beschrieben. Auch wurde 1.3 Methodische Herangehensweise 15 die Schaffung einer integrierten Roadmap mit Koordinations- 1.4 Interviews 15 funktion gefordert. Ziel einer solchen Roadmap wäre, den Ver- 1.5 Handlungsempfehlungen 17 sorgungsbedarf der verschiedenen Sektoren und Standorte mit den Planungen der Marktteilnehmer auf der Angebots- und der 2 Dekarbonisierung für die deutsche Infrastrukturseite zu koordinieren und Investitionsrisiken zu Industrie in den betroffenen Branchen 18 minimieren. 2.1 Klimaneutralität im Zielbild der Unternehmen 19 Klar ist: Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft erfordert 2.2 GHG-Emissionsziele 20 entschlossenes Handeln unmittelbar nach Konstituie- 2.3 Bedeutung der Dekarbonisierungsziele 21 rung der neuen Bundesregierung. Zugleich ist von großer Bedeutung, dass die maßgeblichen Entscheidungen zur 3 Wasserstoff – Rolle und konkrete Planungsschritte 22 Dekarbonisierung der Industrie und zur Wasserstoffwirt- 3.1 Rolle von Wasserstoff 23 schaft parteiübergreifend anschlussfähig sind. Ohne einen 3.2 Status der Planung 24 solchen Konsens, der die Implementierung einer Strategie 3.3 Zielerreichung 25 über mehrere Legislaturperioden hinweg sicherstellt, fehlt den Unternehmen die unabdingbare Planungssicherheit für 4 Herausforderungen für den Einsatz von Wasserstoff 28 die relativ kurze Zeitspanne bis zur Klimaneutralität. Dies gilt besonders für die Weichenstellungen zu temporären Förder- 4.1 Fehlende Wirtschaftlichkeit 29 mechanismen wie CCfDs, die Rolle der Brückentechnologien 4.2 Henne-Ei-Problem 31 des blauen und türkisen Wasserstoffs und für die Weiter- 4.3 Technologie 37 entwicklung des CO2-Zertifikatehandels und des Carbon- 4.4 Standortfrage 37 Leakage-Schutzes. 5 Erforderliche regulatorische Rahmenbedingungen aus Sicht der Unternehmen 40 5.1 Kostennachteil ausgleichen 41 1 Beispiele für Positionsbezeichnungen der Interviewpartner sind Country Manager, CTO, Geschäftsführer bzw. Leiter Nachhaltigkeit/Dekarbonisierung. 5.2 Nachfrage stärken 46 2 Grüne Produkte in diesem Zusammenhang sind jene Produkte, die durch 5.3 Versorgung und Infrastruktur 48 Wasserstoff mit keinem/einem niedrigen CO2-Fußabdruck produziert wer- den: z. B. grüner Stahl, grüner Zement (bzw. als deren Folgeprodukte ein mit 6 Handlungsempfehlungen für die Politik 52 grünem Stahl gebauter PKW, mit grünem Beton gebautes Haus etc.). Autoren 60 6 7
Abkürzungs- Info: Wasserstoff- verzeichnis „Farbenlehre“ Grauer Wasserstoff: Aus fossilen Energieträgern produzierter, CAPEX Investitionsausgaben (capital expenditure) nicht-klimaneutraler Wasserstoff. CfDs Contracts for Difference Grüner Wasserstoff: Mithilfe von Elektrolyse von Wasser her- (Differenzverträge) gestellter klimaneutraler Wasserstoff, wobei für die Elektrolyse ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energiequellen zum CCfDs Carbon Contracts for Difference Einsatz kommt. (CO2-Differenzverträge) Blauer Wasserstoff: Mithilfe fossiler Energieträger produ- CO2e CO2-Äquivalente zierter klimaneutraler Wasserstoff, wobei die entstandenen CO2-Emissionen mithilfe von Carbon Capture and Storage (CCS) DRI-Verfahren Direktreduktionsverfahren abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden. (direct reduced iron) Türkiser Wasserstoff: Mithilfe von Methanpyrolyse (thermische EU Europäische Union Spaltung von Methan) produzierter Wasserstoff. Bei der Produk- tion entsteht fester Kohlenstoff und kein gasförmiges CO2. Der GHG Greenhouse Gas (Treibhausgas) Strom für die Wärmeversorgung des Hochtemperaturreaktors muss aus erneuerbaren oder CO2-neutralen Energiequellen OPEX operative Betriebsausgaben (operating stammen und der Kohlenstoff dauerhaft gebunden werden, expenditure) damit das Verfahren klimaneutral ist. PPA Stromabnahmevertrag (Power Purchase Agreement) RED II Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive) SBTi Science-Based Targets Initiative 8 9
Vorwort Vorwort Im Juni 2020 hat die Bundesregierung die Nationale Wasser- Westfalen, Tanja Gönner, Vorstandssprecherin der Deut- stoffstrategie auf den Weg gebracht. Mit Spannung war sie schen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) erwartet worden, versprechen sich doch Politik und Wirtschaft GmbH, Carsten Müller MdB, Mitglied im Ausschuss Wirt- nichts weniger als die Zukunftssicherung des Industriestand- schaft und Energie, und Noé van Hulst, Special Special Advi- orts Deutschland und enormes Wertschöpfungspotenzial im sor Hydrogen, Internationale Energieagentur, umsetzungs- In- und Ausland von diesem klimaneutralen Energieträger, Spei- orientierte Konzepte erarbeitet, die der Wasserstoffstrategie cher und Grundstoff. Wasserstoff ist ein zentraler Baustein, um zum Erfolg verhelfen können. Die Policy-Empfehlungen, die in Deutschland in allen Sektoren Klimaneutralität zu erreichen, am Ende des Dokuments übersichtlich zusammengefasst allen voran im Bereich Industrie. sind, sind dabei als Angebot und Aufforderung an die nächste Bundesregierung zu verstehen, das Thema schnellstmöglich Prozesse wie die Gewinnung von Stahl aus Eisenerz oder die nach ihrer Konstituierung anzugehen, um die Zukunftsfähig- Ammoniakproduktion sind ohne Wasserstoff nicht dekarboni- keit des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu stärken und die sierbar. Für die Industrie vor Ort ist der Aufbau einer Wasser- Wachstumschancen zu nutzen. stoffwirtschaft und die Umstellung fossiler Produktions- prozesse mithilfe von Innovationen deshalb von existenzieller Bedeutung. Umso wichtiger ist es, nach einem Jahr Wasserstoffstrategie die konkreten Aktivitäten zur Erreichung der angestrebten Ziele Bernd Weber Peter Fischer-Bollin einem Reality-Check zu unterziehen. Ziel der vorliegenden Gründer und Geschäftsführer Leiter der Hauptabteilung Studie war es, herauszufinden, ob die Nationale Wasserstoff- EPICO KlimaInnovation Beratung und Analyse strategie der Bundesregierung die Anreize zur Umstellung Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. von Produktionsprozessen auf Wasserstoff und Investitionen in neue Technologien im nötigen Maßstab setzt und wo noch nachgesteuert werden muss. Die Decision Advisory Group hat zu diesem Zweck Interviews mit 25 mit der Materie ver- trauten Unternehmensvertreterinnen und -vertretern durch- geführt, um mithilfe dieser Entscheider aus der Praxis die Knackpunkte zu identifizieren, die die Politik angehen muss, um den Markthochlauf von Wasserstoff in Deutschland zügig und nachhaltig auf den Weg zu bringen. Mit dem Policy Accelerator for Climate Innovation haben EPICO KlimaInnovation und die Konrad-Adenauer-Stiftung auf- bauend auf den Erkenntnissen aus den Interviews in einem innovativen Design-Thinking-Prozess in fünf Veranstaltungen mit zehn Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft unter Einbezug von Entscheidungsträgern wie Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirt- schaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein- 10 11
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 1 Einleitung 1.1 Zielsetzung Zum Einsatz von Wasserstoff im Rahmen der Energiewende sind in den letzten Jahren zahlreiche Abhandlungen erschienen. Die vorliegende Studie soll gezielt Risiken und Hürden für die Imple- mentierung der deutschen Wasserstoffstrategie im Industrie- sektor identifizieren und geeignete Handlungsoptionen aus politisch-regulatorischer Sicht aufzeigen, um diese in Folge adressieren zu können. Damit sollen die notwendigen Rahmen- bedingungen insbesondere mit Blick auf die energieintensive Industrie skizziert werden, um die anstehenden Entscheidungen und Maßnahmen für die Umsetzung der Wasserstoffstrategie zu unterstützen. Der Fokus liegt damit im Vergleich zu anderen Studien auf den spezifischen Herausforderungen aus Unter- nehmersicht im Sinne eines Reality Checks sowie Vorschlägen für notwendige Anpassungen des politisch-regulatorischen Rahmens und daraus ableitbaren, konkreten politischen Hand- lungsempfehlungen, die im Rahmen des Policy Accelerators for Climate Innovation erarbeitet und beraten wurden (siehe 1.5). Ein Schwerpunkt liegt dabei insbesondere auf konkreten Maß- nahmen zur Stärkung der Nachfrage nach grünem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten. 1.2 Ausgangslage Für Deutschland und Europa spielt Wasserstoff im Rahmen der Erfüllung des Ziels der Treibhausgasneutralität bis 2045 bzw. 1 Einleitung 2050 sowie des Reduktionsziels bis 2030 eine zentrale Rolle. Wasserstoff hat überdies im industriellen Wirtschaftskreislauf der Zukunft mehrere Aufgaben, und zwar als: › Energieträger, › Energiespeicher, › wesentliches Element der Sektor-Kopplung, › Grundstoff für die Industrie sowie › Ergänzung zu abgefangenen CO2-Emissionen aus bestimmten Industriequellen. 12 13
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 1 Einleitung In den letzten Monaten haben sowohl Deutschland (10. Juni 1.3 Methodische Herangehensweise 2020) als auch die Europäische Union (EU) im Rahmen des Euro- pean Green Deals (8. Juli 2020) ihre Wasserstoffstrategie mit Angesichts der vorhandenen Vielzahl und des Umfangs der ambitionierten Zielen präsentiert. Dabei werden im Wesent- Unsicherheiten aus Sicht der Industrie sowie der großen Anzahl lichen die folgenden fünf politischen Ziele verfolgt: an Marktteilnehmern und Stakeholdern beleuchtet die Studie insbesondere folgende Aspekte: 1. Dekarbonisierung des Energieverbrauchs in der EU sowie der energieintensiven Industrie, › eine möglichst umfassende Berücksichtigung der Unsicher- heiten und Risiken (inkl. Einschätzung der Eintrittswahr- 2. Schaffung von wirtschaftlichem Wachstum und Arbeits- scheinlichkeiten), insb. auch durch die Einbeziehung der plätzen, Sichtweise (Mikrosicht) der relevanten deutschen Industrie (insb. Stahl, Zement, Chemie), 3. Etablierung von europäischen/deutschen Technologie- und Marktführern im Bereich Wasserstoff, › die Offenlegung möglicher, insbesondere politischer Ziel- konflikte sowie, davon ausgehend, 4. Schaffung von internationalen Märkten für Wasserstoff mit Europa als zentralem Handelspartner, › das Aufzeigen von politisch-regulatorischen Handlungs- optionen. 5. globale Kooperationen für den Import von Wasserstoff bzw. Export von Wasserstofftechnologien. 1.4 Interviews Der Weg zu einer sich selbst tragenden, CO2-neutralen Wasser- stoffwirtschaft ist noch weit und es gilt dabei große Hindernisse Anhand eines einheitlichen Fragebogens wurden mit Ansprech- zu überwinden. Neben der Technologie- und Kostenentwicklung, partnerinnen und -partnern aus verschiedenen Branchen rund der Versorgung mit Wasserstoff in ausreichenden Mengen und einstündige, strukturierte Interviews geführt. Dabei wurden dem Aufbau von Infrastruktur geht es vor allem um die Unter- sowohl geschlossene Fragen zur erwarteten Entwicklung der stützung für das Entstehen eines Markts mit Angebot und Nach- deutschen Wasserstoffwirtschaft gestellt als auch offene Fra- frage (Überwindung des sogenannten Henne-Ei-Problems). Das gen, die eine qualitative Bewertung der Erwartungen zuließen. Ingangsetzen einer Wasserstoffwirtschaft braucht daher einen enormen Anschub mithilfe klarer Leitlinien für nahezu alle Stu- Darüber hinaus wurden zahlreiche Kriterien anhand skalier- fen der Wertschöpfungskette. Nachdem die prognostizierte ter Fragen mit diskreten Auswahlmöglichkeiten hinsichtlich Wettbewerbsfähigkeit von Wasserstoff aber auf einer Reihe von der Relevanz und Zuversicht über das Eintreten abgefragt. unsicheren Annahmen basiert, gilt es, diese Unsicherheiten und Abschließend wurden Prognosen für verschiedene zentrale die damit verbundenen Risiken im Rahmen der Implementierung Werte der Energiewende, etwa die erwartete Höhe der CO2- im Auge zu behalten, um folgende Entwicklungen zu evaluieren: Bepreisung oder die Kosten für grünen Wasserstoff, erhoben und damit die Größenordnung der Unsicherheit hinsichtlich › Entsteht eine eigenständige, sich selbst tragende Wasser- der damit zusammenhängenden Entwicklungen abgefragt. stoffwirtschaft? › Inwieweit werden die anvisierten Klimaziele erreicht? › Werden die öffentlichen Mittel im Rahmen einer Anschub- finanzierung sinnvoll eingesetzt? 14 15
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 1 Einleitung Die Interviewpartnerinnen und -partner vertraten Industrie- 1.5 Handlungsempfehlungen unternehmen aus folgenden Branchen: Im Rahmen des Policy Accelerators for Climate Innovation wur- 6 den die Ergebnisse der Interviews als Impuls genutzt für eine 6 vierteilige Workshop-Reihe, in der zehn ausgewählte Exper- 5 5 ten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft 4 und sieben politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger 4 konkrete politische Handlungsempfehlungen für den Aufbruch 3 in die Wasserstoffwirtschaft erarbeitet bzw. diskutiert haben. 2 Die Beratungsergebnisse der Workshops wurden sodann weiterführend verdichtet und in konkrete politische Hand- 1 lungsempfehlungen für die Umsetzung zu Beginn der neuen 0 Legislaturperiode übersetzt (siehe Kapitel 6). Diese Empfeh- Chemie Stahl Zement, Raffinerie lungen stellen somit nicht einen Teil der Interviews, sondern und Glas eine daran anschließende, auf gewonnenen Erkenntnissen aufbauende Ergänzung dar mit dem Ziel, der Politik kon- 15 Industrieunternehmen krete, parteiübergreifend umsetzungsfähige Konzepte für die erforderlichen Weichenstellungen an die Hand zu geben. Zusätzlich wurden zehn weitere Unternehmen bzw. Stakeholder befragt, die ergänzende Perspektiven einbrachten (z. B. Ver- sorger, Technologieanbieter etc.). Um die Studie um eine Außen- perspektive zu bereichern, wurden dabei auch Interviews mit möglichen Wasserstoffproduzenten außerhalb Deutschlands (einem gesamtafrikanischen Wasserstoffverband und einem australischen Energieunternehmen) sowie einem Investor eines innovativen grünen Stahlwerks in Schweden gehalten. Neben Auswertungen der Antworten werden in dieser Studie auch wörtliche Zitate aus den Interviews wiedergegeben. Zur deutlichen Unterscheidung erfolgt deren Abdruck in Farbe und mit voran- gestelltem Symbol (»). 16 17
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 2 Dekarbonisierung für die deutsche Industrie in den betroffenen Branchen 2.1 Klimaneutralität im Zielbild der Unternehmen Alle befragten Industrieunternehmen haben das Thema Dekarbonisierung auf ihrer strategischen Agenda weit oben platziert. Zum Teil haben sie bereits ein klimaneutrales Zielbild kommuniziert. Wo dieses noch nicht kommunizierbar ist, wird – mit einer Ausnahme – daran gearbeitet. Häufig wurde dabei eine erwartete Außenkommunikation noch für das Jahr 2021 genannt. Eine ansteigende Dynamik in Richtung konsequen- ter Ausrichtung der unternehmerischen Tätigkeit auf das Ziel Klimaneutralität ist deutlich erkennbar; als wesentlicher Grund dafür wurde zunehmender Druck von Seiten der Kunden und Kundinnen sowie Investoren und Investorinnen genannt. Branchenspezifisch gab es dabei einige Besonderheiten. So gaben in den Branchen Stahl und Zement alle befragten Unter- nehmen an, über eine Net-Zero Vision zu verfügen, zum Teil wurde auf einen Net-Zero Pledge, basierend auf den wissen- 2 Dekarbonisierung schaftlich fundierten Zielen der Science-Based Targets initia- tive (SBTi) verwiesen. In der Chemiebranche gibt es aufgrund der Komplexität der Wertschöpfungsketten mit zum Teil sehr hochwertigen und langlebigen Produkten eine Erweiterung für die deutsche des Ziels bzw. Unschärfen in der Definition von Net Zero. Dabei geht es um Ressourceneffizienz durch Maßnahmen wie Recyc- ling, aber auch den Einsatz nachhaltiger Grundstoffe und Ener- Industrie in den gie. Alternativ wird auch auf Maßnahmen des Unternehmens verwiesen, einen Beitrag zur Erreichung einer Net-Zero Eco- nomy zu leisten. betroffenen Branchen Bei einigen Unternehmen werden für Scope-3-Emissionen die CO2-Ersparnisse in nachgelagerten Wertschöpfungs- ketten (z. B. CO2-Einsparungen durch Dämmstoffe) für die Net-Zero-Kalkulation miteinbezogen. Scope-1-Emissionen sind laut Treibhausgasprotokoll Emissionen aus Quellen, die direkt aus dem eigenen Besitz oder Geltungsbereich stammen (z. B. Betrieb des eigenen Heizkessels oder Fuhr- parks). Bei Scope-2-Emissionen handelt es sich hingegen um indirekte Emissionen aus eingekaufter Energie (Strom, Dampf, Wärme und Kühlung). Zu Scope 3 zählen sodann alle anderen indirekten Emissionen, die in der Wertschöpfungskette eines Unternehmens entstehen (also durch Vorprodukte). In der Raffineriebranche wurde zudem auf die Vision 2050 von Fuels 18 19
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 2 Dekarbonisierung für die deutsche Industrie in den betroffenen Branchen Europe verwiesen. In dieser Strategie geht es um die Rolle der Die Auswahl der konkreten Lösung und die Implementierungs- Mineralölwirtschaft für die Reduzierung der CO2-Intensität der geschwindigkeit sind aber noch nicht abschätzbar und abhängig (z. B. im Flugverkehr) benötigten flüssigen Kraft- und Brenn- von den Rahmenbedingungen. stoffe. 2.3 Bedeutung der Dekarbonisierungsziele 2.2 GHG-Emissionsziele Die Bedeutung einer Reduktion der CO2-Emissionen hat sich Die überwiegende Mehrheit der befragten Unternehmen gab in den Unternehmen verfestigt und ist mittlerweile fest ver- an, konkrete Treibhausgas-Reduktionsziele (GHG-Reduktions- ankert. Die nebenstehenden Zitate untermauern diesen Ein- ziele) für die Jahre 2025 oder 2030 zu haben. Allerdings gibt es druck. auch hier sektorale Unterschiede. So hatten alle Unternehmen der Stahl-, Zement- und Glasindustrie Ziele für das Jahr 2030, zum Teil orientieren sich diese an den politischen Sektorzielen des Klimaschutzgesetzes. Im Chemiebereich wurde bei den meisten Unternehmen zwischen Scope 1+2 sowie Scope 3 unterschieden: Scope- 1+2-Ziele wurden bei allen Unternehmen gesetzt, bei je drei Unternehmen mit Zieljahr 2025 oder 2023. Bei Scope-3-Emis- sionen stehen viele Unternehmen erst am Anfang, da die Erfassung dieser Emissionen mit Schwierigkeiten wie komple- » Dekarbonisierung gewinnt xen Wertschöpfungsketten behaftet ist.3 Einige Unternehmen innerhalb wirtschaftlicher gaben an, dass die Erfassung der Scope-3-Emissionen aktuell Rahmenbedingungen an in Arbeit sei. Es gab auch den Hinweis, dass die Chemieunter- Bedeutung. nehmen aufgrund der vielen petrochemischen Rohstoffe in den Zulieferprodukten auf die Dekarbonisierungsbemühungen der Vorlieferanten angewiesen sind. Es ist daher zentral, dass » Es führt kein Weg an der Chemieunternehmen perspektivisch die Möglichkeit an die Dekarbonisierung vorbei; wie Hand bekommen, den CO2-Fußabdruck der petrochemischen das Ziel erreicht wird, ist aber Vorprodukte zertifiziert nachzuvollziehen. noch nicht klar (technisch mach- bar, kommerziell nicht). Im Raffineriebereich gab es bei den befragten Unternehmen keine dezidierten CO2-Einsparziele. Die gesetzten Ziele beziehen sich hier auf der einen Seite auf die Energieeffizienz, anderer- » Nachhaltigkeit ist kritisch seits aber auch auf den Aufbau von grünen Produkten (z. B. und mittlerweile Bestandteil der durch Erhöhung des Anteils von Bio- und synthetischen Kraft- licence to operate. stoffen). Für die Periode nach 2030 hatte keines der befragten Unter- nehmen konkrete Ziele abseits einer Unternehmensvision bzw. 3 Es gibt jetzt Ansätze, diese Herausforderung durch Standards zu beseitigen, Leitlinien. Längerfristig haben fast alle Unternehmen quantita- siehe auch https://www.wbcsd.org/Programs/Climate-and-Energy/Climate/ tive Modellierungen zur Ermittlung des Wasserstoffbedarfs für SOS-1.5/News/WBCSD-launches-new-Pathfinder-to-enable-Scope-3-emissi- ons-transparency-and-accelerate-decarbonization [letzter Abruf: 04.10.2021]. zum Teil unterschiedliche Dekarbonisierungspfade entwickelt. 20 21
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 3 Wasserstoff – Rolle und konkrete Planungsschritte 3.1 Rolle von Wasserstoff Der Einsatz von grünem Wasserstoff im Rahmen der Dekar bonisierung spielt in allen betrachteten Branchen eine große Rolle. Es gibt aber branchenspezifische Unterschiede, ob und wie viele Alternativen es neben Wasserstoff für die Dekarbonisierung gibt. In der Stahlindustrie haben alle Unternehmen für die Primär- stahlerzeugung auf der Basis von Eisenerz den Einsatz von grünem Wasserstoff im Direktreduktionsverfahren als fest ein- geplante Technologie genannt. Ein Unternehmen hat daneben auch die Route über Kohlenstoffabscheidung und -speicherung bzw. -verwendung (Carbon capture and storage/utilisation – CCS/ CCU) als Option genannt. Für Unternehmen in der Zementindustrie ist die Technologie der Kohlenstoffabscheidung als wesentliche Option gesetzt. 3 Wasserstoff – Neben der Sequestrierung in unterirdische Lagerstätten oder der Mineralisierung kann CO2 auch als Rohstoff genutzt wer- den. Dabei wird aus dem CO2 zusammen mit Wasserstoff Syn- thesegas produziert, was im Rahmen einer zirkulären Kohlen- Rolle und konkrete stoffwirtschaft als Basis für flüssige Treibstoffe oder chemische Grundstoffe (bis zu Olefinen) dient. Planungsschritte Bei den befragten Chemieunternehmen spielt der Einsatz von grünem Wasserstoff im Rahmen der Dekarbonisierung eine viel- fältige Rolle. Bei allen Teilnehmern werden aktuell bereits große Mengen von (zum Großteil selbst produziertem) Wasserstoff als Grundchemikalie eingesetzt. Die Dekarbonisierung erfolgt hier durch den Ersatz von grauem durch grünen Wasserstoff bzw. durch den Umstieg auf grünen Strom bei Unternehmen, die bereits Elektrolyse betreiben. Daneben wurde der Einsatz von Wasserstoff als Ersatz für Erdgas im Rahmen der Wärmever- sorgung als Option neben der Elektrifizierung genannt. Wasser- stoff wurde jedoch auch als Enabler für viele der kohlenstoff- armen Technologien im Chemiebereich identifiziert, wo von fossilen auf wasserstoffbasierte Prozesse umgestellt wird, oder für die Hydrierung im Rahmen von Kunststoff-Recycling. Auch in der Chemiebranche wurden neben Wasserstoff andere mög- liche Pfade zur Dekarbonisierung, etwa mittels Elektrifizierung, CCUS und biogenen Energieträgern, genannt. 22 23
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 3 Wasserstoff – Rolle und konkrete Planungsschritte Der Ersatz von grauem durch grünen Wasserstoff und die Ver- Trotz dieser Unsicherheiten bereiten sich einige Unternehmen wendung von Wasserstoff zusammen mit abgeschiedenem bereits auf den Einsatz von Wasserstofftechnologien vor und CO2 sind auch für die befragten Raffinerien die Schlüsselwege tätigen Investitionen in diese Richtung. Genannt sei hier ins- in Richtung Dekarbonisierung. besondere die Umstellung auf das Direktreduktionsverfahren (oft auch DRI-Verfahren für „direct reduced iron“) in der Stahl- Für die Glasindustrie schließlich spielt Wasserstoff als Ersatz erzeugung, wobei die Anlagen zunächst mit Erdgas betrieben für Erdgas in den Brennöfen eine mögliche Rolle. Als alter- werden können und dieses dann stufenweise durch Wasser- native Wege wurden biogene Brennstoffe, Elektrifizierung, stoff ersetzt werden kann. Kohlenstoffabscheidung oder der Umstieg auf andere Roh- stoffe für die Glaserzeugung genannt. 3.3 Zielerreichung 3.2 Status der Planung Die Zielerreichung des deutschen Sektorziels laut Klimaschutz gesetz für die Industrie wird eher skeptisch gesehen. Dar- Alle Unternehmen gaben an, Entwicklungs- bzw. Investitions- auf angesprochen, wie wahrscheinlich die Erreichung des projekte zum Thema Wasserstoff voranzutreiben, wobei sich angepeilten Sektorziels von 140 Mio. t CO2e im Jahr 2030 sei, die Anlagengröße meist auf Pilotanlagen bezieht; verein- ergibt sich folgendes Stimmungsbild: zelt wurde auch von Demonstrationsanlagen gesprochen. Genanntes Ziel für diese Projekte war dabei meistens das Tes- ten des Verfahrens mit Wasserstoff in größerer Skalierung. Die Antworten der befragten Industrieunternehmen genannten Projekte sind entweder schon in Umsetzung oder zumindest konkret geplant, wobei ein starker Fokus auf integ- Wie hoch erwarten Sie die Emissionen der Industrie im Jahr 2030? rierte Pilotanlagen mit Skalierungspotenzial besteht. 200 Zur Erreichung der Wirtschaftlichkeit wird vor allem auf För- 187 178 derungen und Anreize verwiesen. Einige Unternehmen gaben 150 161 Mio t CO2e auch an, dass die erzeugten Produkte in Nischenmärkten ver- 140 kauft werden können, wodurch die Mehrkosten zumindest 100 zum Teil an den Kunden bzw. die Kundin weitergereicht wer- den könnten. 50 Für die längerfristige Planung sind die theoretischen Wasser- stoffmengen bekannt, die finanziellen Effekte durchsimuliert, 0 2019 2020 Ziel 2030 Ø Erwartung zum Teil (unverbindliche) Roadmaps erstellt und teilweise der Industrie bereits kommuniziert. Da Wasserstoff aber meistens nur eine von mehreren Optionen ist, ist der finale Einsatz von Wasser- stofftechnologien abhängig von den Rahmenbedingungen. Von den rund 40–504 Mio. t CO2e-Einsparungen bis 2030 wer- Dementsprechend konnte kein einziges Unternehmen einen den nach Einschätzung der Industrie nur rund 20–30 Mio. t konkreten, verbindlichen Fahrplan mit eingesetzter Techno- CO2e erreicht, das entspricht einer Zielerreichung von nur logie, benötigter Wasserstoffmenge und einem Zeitplan für 50–60 Prozent. die vollständige Dekarbonisierung nennen. 24 25
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie Etwas optimistischer sind die Antworten die Zielerreichung der deutschen Wasserstoffstrategie betreffend. Angesprochen auf die Wahrscheinlichkeit, das angestrebte Ziel der deutschen Wasserstoffstrategie für eine Gesamt-Elektrolyseleistung in Höhe von 5 GW in 2030 zu erreichen, ergibt sich aus den Ant- worten der Gruppe der Stakeholder folgendes Bild: Antworten der befragten Organisationen Wie hoch erwarten Sie die Gesamtkapazität der Elektrolyseanlagen in Deutschland im Jahr 2030? 5 5 4 4 3 GW 2 1 0 Ziel 2030 WOC 2030 Industry 4 Unter Berücksichtigung des pandemiebedingt schwachen Emissions- jahres 2020 wird für diese Berechnung eine Basis von 180–190 Mio. t CO2e angenommen. 26
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 4 Herausforderungen für den Einsatz von Wasserstoff Henne-Ei-Problem Wirtschaftlichkeit allgemein 15 Fehlende Infrastruktur 12 Fehlende Menge 12 Fehlender Bedarf 7 Fehlende Koordination 7 Technologie 6 0 3 6 9 12 15 Anzahl Nennungen von 15 Unternehmen auf offene Frage nach den wesentlichen Herausforderungen 4.1 Fehlende Wirtschaftlichkeit 4 Herausforderungen » Es gibt 2 Wege: Die aktuell hohen Produktionskosten von klimaneutralem bzw. grünem Wasserstoff werden am häufigsten als Heraus- für den Einsatz von Entweder die Kosten forderung genannt, da sie den Einsatz von grünem Wasser- für CO2 gehen so wei- stoff unwirtschaftlich machen. Da nicht erwartet wird, dass die ter rauf, dass grüner Mehrkosten an Kunden und Kundinnen weitergereicht werden Wasserstoff kompe- können, sind Unternehmen bei Investitionen auf Förderungen Wasserstoff titiv wird oder die und Anreize angewiesen. Produktionskosten von grünem Wasser- Langfristig wird positive Wirtschaftlichkeit durch Skaleneffekte, stoff gehen durch Technologiefortschritt sowie höhere CO2-Kosten für grauen die Effizienz hinunter, Wasserstoff und für fossile Industrieproduktion (Stahl, Chemie das wird aber min- etc.) gesehen: destens zehn Jahre dauern. 28 29
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 4 Herausforderungen für den Einsatz von Wasserstoff Anzahl Nennungen von 15 Unternehmen auf offene Frage nach den wesentlichen Herausforderungen Ab wann rechnen Sie damit, dass ein Umstieg auf die Wasser- Kosten/Marktpreise für klimaneutralen Wasserstoff stofftechnologie(n) für Ihre Industrie selbst tragend ist (d. h. eine insgesamt positive und ihren Renditeansprüchen genügende 9 Wirtschaftlichkeit aufweist)? 8 7 Ab 2030, in 10 Jahren 6 6 nicht vor 2035 1 5 5 2040 1 4 3,8 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 3 3,1 Anzahl Nennungen durch 15 Industrieunternehmen 2 2,2 1 Ein wesentlicher Treiber für die erwartete positive Entwicklung » Die Benchmark ist grauer in Richtung Wirtschaftlichkeit ist die Reduktion der Preise für 0 Wasserstoff + CO2, das wird im grünen Wasserstoff, auch wenn diese Reduktion mit großer 2021 2025 2030 2050 Jahr 2030 erreicht, eher früher Unsicherheit behaftet ist: (1,5 EUR/kg grün plus Trans- Bandbreite Antworten Konsenus Niedrig Konsensus Hoch port). Bandbreite Antworten Basisszenario Konsensus Basis » Mehrere Anbieter sagen, sie können (aus Spanien, 4.2 Henne-Ei-Problem Südfrankreich) bis 2030 für 1,5–2 EUR H2 produzieren; Als besondere Herausforderung für den Aufbau der Wasser- dazu kommen Transport- stoffwirtschaft wird jedoch das zentrale Henne-Ei-Problem kosten. genannt: Es müssen gleichzeitig sowohl die Nachfrage, das Angebot und die notwendige Infrastruktur für Wasserstoff geschaffen werden, was zum Teil große Investitionen erfordert. Ohne gesicherte Versorgung (inkl. Infrastruktur) für grünen Wasserstoff bzw. Abnahmemärkte für grüne Produkte stellen diese Investitionen aber ein (zu) großes Risiko dar. 30 31
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 4 Herausforderungen für den Einsatz von Wasserstoff Perspektive von Produzen- ten außerhalb Europas Die Ergebnisse aus den Interviews mit Marktteilnehmern aus › Sowohl für Standorte in Australien als auch für afrikani- Wir sehen nicht, wie die deut- unterschiedlichen Ländern Afrikas und aus Australien sind in sche Länder ist es wichtig, neben dem Export auch lokale sche Wasserstoffstrategie die den folgenden Punkten zusammengefasst: Anwendungen für grünen Wasserstoff zu entwickeln. Für Umwandlung der Industrie den Aufbau einer lokalen Wasserstoffwirtschaft wird auch berücksichtigt. Ein Beispiel ist › Sowohl von den interviewten Vertretern eines gesamt- Zugang zu deutscher Technologie gewünscht. die Kapazitätserweiterung des afrikanischen Wasserstoffverbands als auch von dem aus- deutschen Stromnetzes: Das ist tralischen Energieunternehmen wird signifikantes Poten- › Es wird erwartet, dass sowohl in Australien als auch in nur ein Tropfen auf den heißen zial für die Versorgung von Wasserstoff in Europa gesehen. Afrika produzierter grüner Wasserstoff in Deutschland Stein, wenn man die Elektri- Europa wird dabei auch als Zugpferd für die Entwicklung kompetitiv angeboten werden kann. Die höheren Trans- fizierung der Industrie berück- einer grünen Wasserstoffwirtschaft wahrgenommen. Aus- portkosten werden dabei durch die potenziell sehr güns- sichtigt. Das sind strategische tralien ist mit einer im Jahr 2019 publizierten Wasserstoff- tigen Produktionskosten kompensiert. Die Art der fina- Fragestellungen, die beantwortet strategie schon wesentlich konkreter als die meisten afrika- len Anwendung des Wasserstoffs ist dabei entscheidend werden müssen; es muss ent- nischen Länder. für die Wahl des Transports und möglicher notwendiger schieden werden, in welcher Umwandlungsschritte (z. B. flüssig vs. Ammoniak) und Form die Energie für Industrie- › Das Marktpotenzial und die Bereitschaft zu investieren damit auch für die Konkurrenzfähigkeit des nach Europa unternehmen in Deutschland ist insbesondere in Australien in jüngster Zeit auf Basis importierten Wasserstoffs. zukünftig zur Verfügung steht. konkreter Kundenanfragen (vor allem aus Japan) stark gestiegen. Für die Entwicklung der Wasserstoffproduktion › Bis zur Entwicklung eines globalen Wasserstoffmarkts sind zu günstigeren Kosten wird gleich auf großskalige Anlagen langfristige Lieferverträge zur Risikoabdeckung von zentra- gesetzt. ler Bedeutung. › Eine international gültige Zertifizierung mit klaren Stan- dards ist essenziell, um einen internationalen Markt für grünen Wasserstoff zu schaffen. Die Möglichkeit, bei der Elektrolyse Strom aus dem Netz zu beziehen (mit grünen PPA), wird die Produktionskosten aus Sicht der Interview- partner weiter senken (durch Kapazitätsauslastung der Elektrolyseanlage). 32 33
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 4 Herausforderungen für den Einsatz von Wasserstoff Fehlende (Wasserstoff-)Menge Fehlender Bedarf » Der Ausbau der Erneuerbaren Der Hochlauf der deutschen Wasserstoffproduktion mittels » Wir tätigen Investitionen ohne Auch wenn fast alle Unternehmen Signale vom Markt sehen, und Elektrolysen sind Eng- Elektrolyse wird als große Herausforderung gesehen. Vor allem Gewissheit, dass wir zusätz- dass grüne Produkte gefragt sind, ist die Nachfragemenge pässe, da muss mehr getan wer- wird der damit verbundene notwendige Ausbau von erneuer- liches Geld vom Markt erhalten: nach diesen Produkten meistens nur von untergeordneter den. Wenn die Stahlindustrie baren Stromkapazitäten (insbesondere Offshore-Wind) als zu Es muss bewusst überlegt wer- Größe. ambitioniert 30 Prozent der langsam eingeschätzt. den, wie der Markt gestaltet Primärstahlproduktion bis 2030 werden kann, damit umwelt- Die Bereitschaft der Kunden und Kundinnen, für diese grü- auf 100 Prozent DRI mit H2 Die notwendige signifikante Importmenge an grünem Wasser- freundlichere Produkte zu nen Produkte mehr zu zahlen, wird überdies sehr skeptisch umstellen will (ca. 10 mn t. stoff betreffend ist unklar, wie der Wasserstoff nach Deutsch- ihrem tatsächlichen Wert auf gesehen. Jedenfalls muss die Transparenz des CO2-Fußab Rohstahl), dann entspricht land kommen soll. dem Markt bewertet werden drucks von Produkten erhöht und ggf. über eine geeignete der Wasserstoffbedarf dafür können, es wird aber keinen Zertifizierung nachgedacht werden. alleine den geplanten 5 GW Auch wenn grüner Wasserstoff langfristig als einzige Lösung Standardansatz geben. Elektrolyseleistung ohne andere gesehen wird, kann, nach Einschätzung einiger Interview- Fehlende Koordination Anwendungen. partner, auch blauer bzw. türkiser Wasserstoff für eine klar Angesichts der oben genannten Herausforderungen wurde definierte Übergangsperiode eine wichtige Rolle spielen, » Das Henne-Ei-Problem: Ohne von mehreren Interviewpartnern eine Koordination bzw. idealerweise auch mit einem transparenten CO2-Fußabdruck. Subventionen finden viele Kun- zumindest ein einheitliches Vorgehen gefordert. Ziel sei es, den Markthochlauf für Wasserstoff nicht nur mit der den die grünen Produkte zu notwendigen Menge, sondern auch mit billigerem Wasserstoff teuer. Dann brauchen wir För- Ohne Koordination des Aufbaus von Markt, Infrastruktur zu unterstützen. Die gesellschaftliche Akzeptanz wird aber als derungen, aber wir bekommen und Produktion ist es sehr wahrscheinlich, dass sich einzelne Hürde gesehen. nicht alles, was wir brauchen, Unternehmen angesichts des hohen Risikos nicht zu einer sodass es eine Lücke gibt: Ist der Investitionsentscheidung durchringen können. Dabei geht Infrastruktur verbleibende Mehrpreis, den wir es auch um die Frage, ob es eine politische Priorisierung für Die Umstellung auf grünen Wasserstoff braucht signifikante zur Abdeckung der Mehrkosten den Einsatz von grünem Wasserstoff in Deutschland gibt, ins- Infrastrukturinvestitionen, um die Energie von der grünen brauchen, für die Kunden besondere was den Einsatz in der Industrie gegenüber dem Stromproduktion zum industriellen Abnehmer zu trans- akzeptabel? Einsatz in anderen Sektoren wie Wärme oder Mobilität betrifft. portieren, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Logistik für den Import der signifikanten grünen Energie- Es wurde auch auf mehrere, zum Teil nicht miteinander mengen (von innerhalb, aber auch außerhalb Europas) aufzu- » Man hat den Eindruck: Es abgestimmte Roadmaps unterschiedlicher legislativer Ebenen bauen ist. wird immer an Schrauben der bzw. unterschiedlicher Ministerien verwiesen, einerseits zwischen Zielvorgaben gedreht, aber der EU und Deutschland, aber auch innerhalb Deutschlands. Es herrscht Skepsis, ob sich die politischen Entscheidungs- nicht an den begleitenden träger der diesbezüglichen Herausforderung bewusst sind. Es Rahmenbedingungen, um die Einschätzung über Lösung des Henne-Ei-Problems wurde auch weiter angemerkt, dass die Infrastrukturplanung Transformation zu ermöglichen. Die befragten Interviewteilnehmer wurden auch zu ihrer Ein- integrativ zu betrachten sei; konkret wurde die Abstimmung schätzung der zukünftigen Verfügbarkeit grünen Wasserstoffs der Ausbaupläne für Strom- und Gas-H2-Netzplanung und des zukünftigen Bedarfs für grüne Produkte befragt angesprochen. (sowohl Menge als auch Preis). Während die Industrie die geringste Zuversicht bezüglich der ausreichenden Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff zu einem kompetitiven Preis hat, fehlt der Gruppe der sonstigen Stake- holder hauptsächlich das Vertrauen in die Bereitschaft, für grüne Produkte mehr zu zahlen. Ein möglicher Lösungsansatz, der insbesondere in der Stahlindustrie erste Großprojekte5 nach sich gezogen hat, besteht darin, dass Unternehmen aus unter- 34 35
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 4 Herausforderungen für den Einsatz von Wasserstoff schiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette, die für sich 4.3 Technologie alleine aufgrund des zu hohen Risikos keine Investition tätigen würden, diese Hürde im Rahmen von Konsortien überwinden. In einzelnen Branchen wurde auch auf Herausforderungen Die unterschiedlichen Markperspektiven der Konsortialpartner » Es ist nicht ganz einfach, von hinsichtlich der Verfügbarkeit geeigneter Technologien ver- bzw. Investoren gleichen dabei Teile des Investitionsrisikos aus. etablierten Syntheserouten auf wiesen. Bei der Technologie für Elektrolyse und für die Produk- neue Verfahren umzustellen; tion synthetischer Produkte gibt es Risiken im Zusammenhang Industrie Verfügbarkeit von klima- das erfordert viel Know-how mit der Skalierung auf industrielle Größen – diese Risiken wer- neutralem Wasserstoff und Forschungsgelder. Das sind den allerdings nicht als unlösbares Problem gesehen. Außer- zu kompetitivem Preis sehr hohe Hürden. dem werden in jenen Bereichen, in denen es durch den Einsatz 5,0 von Wasserstoff zu Verfahrensänderungen in der Produktion 4,5 kommt, Risiken gesehen. Insbesondere im Chemiebereich ist 4,0 die Umstellung auf Wasserstoffverfahren ein großes, mit Chan- 3,5 3,0 cen, aber auch Risiken behaftetes Thema. 2,5 Verfügbarkeit von 2,0 … und Bereitschaft mehr Wasserstoff in ausreichen- den Mengen (Produktion, 4.4 Standortfrage dafür zu zahlen Importe) Besonderes Augenmerk legt die Studie auf die Frage nach indi- viduellen Standortvor- bzw. nachteilen. Die Veränderung von Standortvorteilen wird wie folgt eingeschätzt: › Der Zugang zu ausreichend grünem Strom bzw. Wasser- Wichtigkeit (1–5) Bedarf für klima- stoff (via Pipeline) und auch CO2-Infrastruktur ergibt völlig neutrale Produkte … Zuversicht (1–5) neue Standortvorteile. › Im Gegenzug könnte dies zu einem Risiko für bestehende Sonstige » Unsere bestehenden Stand- Standorte werden, insbesondere, da es als schwierig Verfügbarkeit von klima- orte werden nicht beeinflusst, angesehen wird, kapitalintensive Industrien „überzu- neutralem Wasserstoff der Weg von der Küste ist nicht siedeln“. zu kompetitivem Preis so groß. Man wird eine Lösung 5,0 finden, um den Energieträger › Angesprochen wurde mehrfach, dass eventuell Teile der 4,5 dort hinbekommen. Wertschöpfungskette in die Nähe von großen grünen 4,0 3,5 Stromproduktionskapazitäten („an die Küste“) verlagert 3,0 werden könnten, auch ins Ausland. 2,5 Verfügbarkeit von » Wenn es darum geht, eine 2,0 Wasserstoff in ausreichen- Produktion aufzubauen, macht Der potentielle Konflikt zwischen den politischen Zielen … und Bereitschaft mehr dafür zu zahlen den Mengen (Produktion, es Sinn, darüber nachzudenken, der Dekarbonisierung und dem Erhalt eines wettbewerbs- Importe) die Nähe von grünem Strom zu fähigen Industriestandorts Deutschlands sowie den damit suchen. verbundenen Arbeitsplätzen wurde mehrfach genannt. Es g ab jedoch dazu auch folgende ergänzende Kommentare: » Im Süden Deutschlands wird › Zum einen wurde ein möglicher negativer Effekt als es schwierig, wenn es keinen kurzfristig eingeschätzt. Längerfristig wird eher damit Wichtigkeit (1–5) Bedarf für klima- neutrale Produkte … Zugang zu grünem Strom gibt. gerechnet, dass die Vorreiterrolle Deutschlands in Klima- Zuversicht (1–5) technologien wieder mehr Arbeitsplätze schafft. 36 37
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 4 Herausforderungen für den Einsatz von Wasserstoff » International werden die › Ein weiterer Einwand gegen den Zielkonflikt zwischen Dekarbonisierung und Erhalt der Industrie ist jener, dass Perspektive von außen: Wertschöpfungsketten neu dieser Zielkonflikt minimiert werden kann, wenn die gemischt. einzelnen Strategien (vor allem innerhalb Europas) gut abgestimmt und mit klaren Meilensteinen versehen sind. Reif für Disruptoren? » Energieintensive Teile der Wertschöpfungskette werden verschoben; aber es gibt nach Im Rahmen eines Interviews wurde anhand eines konkreten wie vor einen Mehrwert durch » Integrierter Ansatz entlang Beispiels auf die Rolle von Disruptoren hingewiesen, die in Integration – Standorte wie der Wertschöpfungskette von diesem herausfordernden Umfeld mittels Innovationen – auch Ludwigshafen werden bleiben, der Stromproduktion bis zum ihres Geschäftsmodells – erfolgreich sein können. da die Integration hohen Mehr- Endkunden. wert schafft; ein isolierter petro- Bestehende Industrieunternehmen („incumbents“) haben chemischer Standort könnte die Herausforderungen der fehlenden Wirtschaftlichkeit – aber ein Problem bekommen. » Risiken werden geteilt und vor allem, weil der Markt grüne Mehrkosten nicht zu zah- schaffen so eine Lösung für das len bereit scheint – und des fehlenden Zugangs zu grünem Henne-Ei-Problem. Wasserstoff am Standort. Eine Verlagerung von Standortvor- teilen wird zwar für möglich gehalten, allerdings eher lang- fristig. Diese Ausgangslage eröffnet Möglichkeiten für Disrup- toren mit Greenfield-Ansatz,6 wie zum Beispiel der Aufbau von H2 Green Steel in Schweden zeigt: › Ansiedelung an einem neuen Standort mit perfekten Bedingungen für die Erzeugung von grünem Stahl (v. a. Zugang zu Erz und ausreichend grüner Energie). › Transformative Elemente wie Zirkularität und Digitalisie- rung werden im Greenfield-Ansatz von Beginn an mit ein- geplant. › Nachfrageorientierte Positionierung inkl. Zusammenarbeit mit Kunden aus unterschiedlichen Marktsegmenten wie Automobil-, Nutzfahrzeug-, Haushaltsgeräte- und Möbel- produzenten.7 5 Vergleiche dazu etwa das Setup des Projektes „H2 Green Steel“. 6 Zu den Investoren von H2 Green Steel gehören unter anderem Mercedes- Benz und Scania. 7 Unter dem Greenfield-Ansatz versteht man eine Neuimplementierung („auf der grünen Wiese“). Das Gegenbeispiel ist der Brownfield-Ansatz, bei dem eine bestehende Anlage konvertiert wird. 38 39
Reality-Check der Nationalen Wasserstoffstrategie 5 Erforderliche regulatorische Rahmenbedingungen aus Sicht der Unternehmen Die Interviews spiegeln die hohe Bedeutung regulatori- scher Maßnahmen wider. Auf die offene Frage nach den gewünschten politisch-regulatorischen Maßnahmen kam eine Reihe von Vorschlägen. Die genannten Maßnahmen wurden von den Interviewteilnehmern auch nach Wichtig- keit und der Zuversicht, dass die Maßnahmen eingeführt werden, bewertet. Die Maßnahmen wurden anschließend von den Autoren in drei Gruppen zusammengefasst: 1. Maßnahmen zur Reduktion des Kostennachteils beim Ein- satz von grünem Wasserstoff, 2. Maßnahmen, die den Bedarf nach grünen Produkten anreizen, 3. Maßnahmen, die die Versorgung von Wasserstoff ermög- 5 Erforderliche lichen, inkl. der Schaffung der dazu notwendigen Infra- struktur. Angesprochen auf die Zuversicht bezüglich der Einführung regulatorische der Maßnahmen, hinkt diese der Relevanz bei allen Themen hinterher. Beim Thema Versorgung und Infrastruktur ist diese Lücke am stärksten ausgeprägt. Rahmenbedingungen aus 5.1 Kostennachteil ausgleichen Sicht der Unternehmen Die mangelnde Wirtschaftlichkeit wird (zumindest in den Anfangsjahren)8 durch die hohen Produktionskosten für grü- nen Wasserstoff verursacht. Es gilt daher, die Produktions- kosten für grüne Produkte so weit wie möglich zu senken bzw. den Kostennachteil gegenüber Produkten mit hohem CO2-Fußabdruck auszugleichen. 40 41
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