Ökonomische Konsequenzen der Verbissprobleme an der Rigi-nordlehne

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Ökonomische Konsequenzen der Verbissprobleme an der Rigi-nordlehne
Ökonomische Konsequenzen der Verbissprobleme
an der Rigi-nordlehne
nora Gasser         Gadola + Partner GmbH, Rabius (CH)*
Monika Frehner      Waldbau und Waldmanagement, Institut für Terrestrische Ökosysteme, ETH Zürich (CH)
Jürg Zinggeler      Jagdverwaltung Kanton Zürich (CH)
Roland Olschewski   Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (CH)

                               economic consequences of browsing problems on Rigi-nordlehne

                               Stand regeneration with suitable tree species plays a key role in the management of protection forests. This is
                               complicated in many regions in Switzerland due to browsing damage caused by game animals. In particular,
                               the regeneration of the valuable Abies alba species is regionally heavily impaired. This can entail considerable
                               expenses for the support of stand regeneration and compensation of lost protective effects. Using the Rigi-
                               Nordlehne in Switzerland as test location, the following three questions were studied with the help of an anal-
                               ysis of cost-effectiveness and based on the Rigfor forest development model: 1) What costs are to be expected
                               over the next 50 years for protection measures against browsing damage, 2) what would be the cost of a reduc-
                               tion of the game population size and 3) what measures are necessary for the replacement of the protective ef-
                               fects against avalanches and what are the respective costs? The study resulted in cost estimations for technical
                               measures against browsing damage, game regulation and the combination of these two strategies. In addition,
                               costs for the replacement of lost protective effects related to snow movements were estimated. The study shows,
                               that the high pressure of browsing damage at the Rigi-Nordlehne causes forest management problems as well
                               as economic disadvantages. Their amount is 3 million to 6.6 million Swiss francs within 50 years depending on
                               the measures taken. Thus, the results obtained by the study at the Rigi-Nordlehne provide a new argument in
                               the discussion of regeneration in protection forests, which in Switzerland for many years has mainly been lead
                               based on silviculture and game ecology issues.

                               Keywords: browsing damage, protection forest, cost-effectiveness analysis
                               doi: 10.3188/szf.2011.0364

                               * Casa da scola, CH-7172 Rabius, E-Mail gadola.gasser@bluewin.ch

                    I
                        m Rahmen der «Strategie Naturgefahren» der na-            Bedingungen oft nicht einfach. Zusätzlich wird die
                        tionalen Plattform Naturgefahren (Planat) wird            Verjüngung in den Schweizer Alpen und Voralpen
                        angestrebt, mit den eingesetzten finanziellen             häufig durch hohen Verbissdruck erschwert (z.B.
                    Mitteln ein Maximum an Risikoreduktion zu errei-              Brassel & Brändli 1999). Insbesondere die Verjün-
                    chen (Planat 2005). Dabei spielt der Schutzwald eine          gung der Weisstanne, die hervorragende waldbauli-
                    wichtige Rolle: In vielen Fällen bietet er einen um-          che Eigenschaften aufweist, wird wildbedingt in vie-
                    fassenden und kosteneffizienten Schutz gegen Lawi-            len Gebieten der Schweiz verlangsamt und teilweise
                    nen, Steinschlag, Rutschungen und Murgänge. Auch              verhindert (z.B. Odermatt et al 1999). Gemäss NaiS
                    für die Schutzwaldpflege gilt der Grundsatz, dass mit         ist für eine effiziente Schutzwaldbewirtschaftung in
                    den vorgenommenen Eingriffen die bestmögliche                 Tannen-Buchen- und Tannen-Fichten-Wäldern ein
                    Schutzwirkung erreicht werden soll. Anleitung dazu            bestimmter Tannenanteil aber unbedingt erforder-
                    gibt die Vollzugshilfe des Bundesamts für Umwelt              lich (Frehner et al 2005).
                    (Bafu) «Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im                        Die Wald-Wild-Diskussion wurde bisher in der
                    Schutzwald» (NaiS; Frehner et al 2005). In Bezug auf          Schweiz hauptsächlich mit waldbaulichen und wild-
                    die Nachhaltigkeit eines Schutzwaldes spielt die              tierökologischen Argumenten geführt. Dies unter
                    Frage nach der langfristigen Stabilität eine Schlüs-          anderem deshalb, weil es sowohl bezüglich wildtier-
                    selrolle. Um diese gewährleisten zu können, braucht           ökologischer als auch waldbaulicher Fragen häufig
                    es zum richtigen Zeitpunkt eine ausreichende und              schwierig ist, Argumente mit Zahlen und Fakten zu
                    entwicklungsfähige Verjüngung. Besonders in ho-               belegen. So kann denn auch selten aufgezeigt wer-
                    hen Lagen gestaltet sich die Verjüngung von Wald-             den, was ein hoher Verbissdruck für den Waldeigen-
                    beständen aufgrund der schwierigen klimatischen               tümer aus ökonomischer Sicht bedeutet.

364                 wissen                                                                         Schweiz Z Forstwes 162 (2011) 10: 364–371
Ökonomische Konsequenzen der Verbissprobleme an der Rigi-nordlehne
men zur Einleitung der Verjüngung dringend nötig
                                                                                     sind, dass aber eine standortgerechte Verjüngung in
                                                                                     der Tannen-Buchen-Waldstufe wegen des hohen Ver-
                                                                                     bissdruckes erheblich erschwert und teilweise verun-
                                                                                     möglicht wird. Trotz grossen Anstrengungen auf der
                                                                                     forstlichen und jagdlichen Seite konnte die Verjün-
                                                                                     gungssituation im Tannen-Buchen-Wald bisher nicht
                                                                                     erheblich verbessert werden (Stadelmann 2008). Dies
                                                                                     hat zur Folge, dass die Verjüngung in den letzten
                                                                                     20 Jahren mit grossem finanziellem Aufwand ge-
                                                                                     schützt und punktuell auch Verbauwerke errichtet
                                                                                     wurden, um die Schutzwirkung zu erhalten. Zudem
                                                                                     haben verschiedene Sturmereignisse gezeigt, dass
                                                                                     die Wiederbewaldung von Sturmschadenflächen
                                                                                     ohne Vorverjüngung nur sehr zögerlich und nicht
Abb 1 Das Untersuchungsgebiet (rot umrandet) an der Rigi-Nordlehne. Ausschnitt aus   mit den gewünschten Baumarten stattfindet, wes-
der Landeskarte 1:100 000. Reproduziert mit Bewilligung von Swisstopo (BA100435).    halb zusätzliche unterstützende Massnahmen nötig
                                                                                     werden. Die Ansprüche an die Wälder an der Rigi-
                                                                                     Nordlehne sind hoch: Einerseits sollen sie wichtige
                               Aus diesem Grund wurde 2009 im Rahmen                 Verkehrs- und Versorgungsanlagen, so die SBB-Linie
                         einer Masterarbeit des Studienganges Wald- und              Luzern–Gotthard, die Nationalstrasse A4, die Kan-
                         Landschaftsmanagement der ETH am Fallbeispiel               tonsstrasse und eine Starkstromleitung sowie diverse
                         Rigi-Nordlehne (Kanton Schwyz) der Frage nachge-            Liegenschaften vor Naturgefahren schützen. Stein-
                         gangen, welche Kosten für die Schutzwaldbewirt-             schlag, Murgang und Schneebewegungen sind da-
                         schafter durch hohen Verbissdruck entstehen kön-            bei die Hauptgefahrenprozesse. Die geologischen
                         nen. Dafür wurde untersucht, mit welchen Kosten             Voraussetzungen führen dazu, dass die ganze Nord-
                         an der Rigi-Nordlehne für den Ersatz verloren gegan-        lehne stark steinschlaggefährdet ist. Entwässert wird
                         gener Schutzwirkung des Waldes sowie die Errei-             das Gebiet von zahlreichen Wildbächen, welche we-
                         chung des gemäss NaiS erforderlichen Tannenanteils          gen des grossen Pauschalgefälles fast alle ein hohes
                         als wichtiger Komponente einer effizienten Bereit-          Murgangpotenzial aufweisen. Sowohl Steinschlag-
                         stellung der Schutz wirkung in den nächsten 50 Jah-         wie auch Erosionsprozesse tragen dabei erheblich zur
                         ren gerechnet werden muss. Berücksichtigt wurden            Geschiebebildung bei. Lawinen und Schneegleiten
                         zukünftige grosse Sturmschadenereignisse, forstli-          sind insofern ein Problem, als sie im Bereich der obe-
                         che und jagdliche Massnahmen zur Verminderung               ren Waldgrenze bedeutende Waldschäden verursa-
                         des Verbissdruckes sowie Schutzbauten zum Schutz            chen und die Verjüngung erheblich behindern kön-
                         des Waldes vor Schneebewegungen. Die Arbeit stellt          nen.
                         die schwierig zu erfassenden ökonomischen Auswir-                  Andererseits sollen die Wälder an der Rigi-
                         kungen von Verbissschäden in finanziellen Grössen           Nordlehne den Wildtieren einen vielfältigen, natur-
                         dar. Dies dürfte in der schweizerischen Wald-Wild-          nahen Lebensraum bieten und Ausweichraum schaf-
                         Diskussion eine interessante Ergänzung sein, auch           fen für die touristisch und landwirtschaftlich stark
                         wenn es sich bei den Ergebnissen um Abschätzun-             genutzten Areale an der Rigi-Südseite. Das Untersu-
                         gen handelt und diese nur anhand eines einzigen             chungsgebiet befindet sich im kantonsübergreifen-
                         konkreten Fallbeispiels hergeleitet worden sind. Der        den Wildraum 2, welcher nebst der Rigi-Nordlehne
                         vorliegende Artikel fasst diese Masterarbeit zusam-         auch deren Südseite bis zum Vierwaldstättersee so-
                         men mit dem Ziel, einen ökonomischen Aspekt in              wie das Gebiet zwischen Goldau, Brunnen, Gersau
                         die Wald-Wild-Diskussion um Schweizer Schutzwäl-            und Vitznau umfasst. Der Wildbestand an der Rigi-
                         der einzubringen.                                           Nordlehne kann somit nicht isoliert betrachtet, son-
                                                                                     dern muss im Kontext des gesamten Wildraums be-
                                                                                     urteilt werden. Zwischen 1996 und 2002 hat der
                                Untersuchungsgebiet sowie themati-                   Bestand der Gämse – als Hauptverantwortliche für
                                sche und zeitliche eingrenzung                       die Verbissprobleme – leicht abgenommen, 2007 war
                                                                                     er wieder auf dem Stand von 1996.1
                                Als Untersuchungsgebiet wurde der Tannen-
                         Buchen-Wald an der Rigi-Nordlehne gewählt (Ab-
                         bildung 1). Dort stellt sich seit Jahrzehnten die Frage     1 GRAF RF, BäcHTIGER M, REMPFLER T, ROBIN K (2008)
                                                                                       Streckenanalyse Schalenwild im Gebiet Rigi (Wildraum 2).
                         nach einer effizienten Schutzwaldbewirtschaftung:
                                                                                       Wädenswil: Zürcher Hochschule für angewandte Wissen-
                         Bereits in den 1980er-Jahren stellten die Bewirtschaf-        schaften, Fachstelle Wildtier- und Landschaftsmanagement,
                         ter fest, dass die Waldungen überaltert und Massnah-          unveröffentlicht.

Schweiz Z Forstwes 162 (2011) 10: 364–371                                                                       cOnnaissances                365
In der Masterarbeit, welche diesem Artikel              Für die Zielanalyse wurde ein problemorien-
                         zugrunde liegt, wurde der zeitliche Rahmen auf          tierter Ansatz gewählt: Aufgrund der Erkenntnis,
                         50 Jahre festgelegt. Dabei musste ein Kompromiss        dass an der Rigi-Nordlehne der Verbissdruck so gross
                         gefunden werden zwischen einem sehr langen Zeit-        ist, dass die Verjüngung der Tanne nicht aufwachsen
                         horizont, wie er für die Betrachtung der langsamen      kann und die Buchen- und Ahornverjüngung beein-
                         Waldentwicklung geeignet wäre, und einem kürze-         trächtigt wird, wurden ein waldbauliches Oberziel
                         ren, wie er zur Vermeidung von zu grossen Unsicher-     und waldbauliche Teilziele gemäss NaiS formuliert,
                         heiten bei ökonomischen Fragestellungen zu emp-         welche durch Handlungsalternativen erreicht wer-
                         fehlen ist.                                             den sollen. Als Oberziel wurde festgelegt, dass die
                                Als relevante Naturgefahrenprozesse wurden       Schutzwirkung gegen gravitative Naturgefahren dau-
                         Schneebewegungen sowie Rutschungen und Erosion          erhaft gewährleistet ist. Teilziele sind eine genügende
                         als Geschiebelieferanten für Murgänge berücksich-       Verjüngung im Aufwuchs, eine standortgerechte
                         tigt. Steinschlag wurde insofern miteinbezogen, als     Baumartenmischung in der Verjüngung, keine gros-
                         dadurch die Machbarkeit verschiedener Massnah-          sen Lücken ohne Verjüngung und die Begrenzung
                         men eingeschränkt wird. In Bezug auf die Wildsitu-      der Waldschäden durch Waldlawinen.
                         ation wurden lediglich die Gämsbestände berück-                Als Nebenbedingungen wurden Ansprüche
                         sichtigt, da aufgrund der lokalen Verhältnisse davon    der Wildtierökologie (Erhaltung vitaler Wildpopu-
                         ausgegangen wurde, dass Reh und Hirsch in Bezug         lationen) sowie jagdliche (Patentjagdsystem) und ge-
                         auf den Verbiss im betrachteten Tannen-Buchen-          setzliche (Waldgesetz, Jagdgesetz) Rahmenbedin-
                         Wald eine untergeordnete Rolle spielen.                 gungen eingesetzt.
                                                                                        Die grösste Schwierigkeit stellte die Bestim-
                                                                                 mung der Handlungsalternativen dar: Als Grund-
                                Methoden                                         lage für eine Kostenschätzung musste einerseits fest-
                                                                                 gelegt werden, mit welchen forstlich-technischen
                                Die Beantwortung der komplexen Fragestel-        Massnahmen in den nächsten 50 Jahren gerechnet
                         lung verlangte ein differenziertes Vorgehen. Als        werden muss, um die waldbaulichen Ziele an der
                         methodischer Rahmen wurde die Kosten-Wirksam-           Rigi zu erreichen. Da eine flächendeckende gut-
                         keits-Analyse (KWA) gewählt, welche eine der am         achtliche Beurteilung aus zeitlichen Gründen nicht
                         häufigsten angewendeten Methoden zur Beurteilung        möglich war, wurde dieser Schritt GIS-basiert aus-
                         von Projekten darstellt, in welchen nicht ohne Wei-     geführt. Dabei wurde auf das Waldentwicklungs-
                         teres alle Wirkungen monetarisiert werden können        modell Rigfor zurückgegriffen. Darin wird die Wald-
                         oder sollen (Hanusch 1994). Als Grundlage für die       entwicklung unter aktuellem und reduziertem
                         KWA diente eine ausführliche Situationsanalyse.         Verbissdruck simuliert (Stadelmann 2011, dieses
                                Die KWA beinhaltet acht Bearbeitungsschritte     Heft). Zusätzlich wurde Rigfor durch eine Simulie-
                         (Abbildung 2). Im Folgenden wird dargestellt, wie bei   rung von grossen Sturmschadenflächen (durch-
                         der Erarbeitung der acht Schritte vorgegangen wurde.    schnittliche Grösse 1.55 ha)2 sowie eine Prognos-
                                                                                 tizierung der Wiederbewaldung derselben unter
                                                                                 aktuellem und reduziertem Verbissdruck ergänzt.
                                        Zielanalyse                              Anhand der so prognostizierten Waldzustände wur-
                                                                                 den für verschiedene Zeitpunkte kritische Stellen
                        Bestimmung der Nebenbedingungen                          ausgewählt, an welchen gemäss NaiS die Schutzfunk-
                                                                                 tion nicht erfüllt wird. Die mit dem Szenario «aktu-
                               Handlungsalternativen                             eller Verbissdruck» modellierten Lücken- und Jung-
                                                                                 wuchsflächen wurden als minimal zu erwartende
                                                                                 Lücken- und Jungwuchsflächen betrachtet, da in
                           Forstlich                  Jagdlich   Kombinationen
                                                                                 Rigfor die Lückenfläche unter dem Szenario «aktu-
                                                                                 eller Verbissdruck» unterschätzt wird (Stadelmann
                                   Kostenanalyse                                 2011, dieses Heft). Anschliessend wurde wiederum
                                                                                 GIS-basiert bestimmt, welche Massnahmen an die-
                                Wirksamkeitsanalyse                              ser Stelle aufgrund der lokalen Bedingungen (Gelän-
                                                                                 deneigung, Steinschlaggefährdung und Grösse der
                                       Diskontierung                             zu behandelnden Fläche) machbar und zielführend
                                                                                 sind.
                                Sensitivitätsanalysen

                             Kosten-Wirksamkeits-Matrix                          2 Flächengrösse wie beim Hagelsturm im Jahr 1992 und beim
                                                                                   Sturm Lothar (1999) an der Rigi-Nordlehne. Die Flächen
                                                                                   wurden aufgrund der Sturmanfälligkeit (Alter, Bestandesauf-
Abb 2 Vorgehen bei der Kosten-Wirksamkeits-Analyse.                                bau, Baumarten) ausgewählt.

366                      wissen                                                                    Schweiz Z Forstwes 162 (2011) 10: 364–371
Nebst dieser Herleitung der forstlichen Mass-          Resultate
                        nahmen musste zudem bestimmt werden, welche
                        jagdlichen Massnahmen als Grundlage für eine Kos-             Im Folgenden werden die wichtigsten Resul-
                        tenschätzung dienen sollen. Dazu wurde anhand ak-       tate aus der Masterarbeit präsentiert. Die ausführli-
                        tueller Wildbestandsschätzungen ein Zielbestand         chen Ergebnisse und die Berechnungsgrundlagen
                        festgelegt und mithilfe von Literaturangaben und        finden sich in Gasser (2009).
                        Expertenbefragungen der zeitliche Aufwand abge-
                        schätzt, mit welchem zu rechnen ist, um diesen Ziel-           Tannenanteil und schutzwirkung
                        bestand über 50 Jahre mittels Schwerpunktbejagung              Die Tanne ist nicht nur aus waldbaulichen,
                        in ausgewählten Flächen zu erhalten.                    sondern auch aus ökonomischen Gründen im heu-
                               Die so bestimmten Massnahmen bildeten die        tigen Schutzwald an der Rigi-Nordlehne sehr vor-
                        Grundlagen für die Kostenschätzung, welche mit-         teilhaft. Anhand der prognostizierten Entwicklung
                        hilfe von Pauschalansätzen erfolgte (für die genauen    von Sturmschadenflächen konnte gezeigt werden,
                        Annahmen siehe Gasser 2009: 56 ff.).                    dass bei einem Rückgang des Tannenanteils die
                               Die nächste Herausforderung stellte die Wirk-    Schutzwirkung auf der Gesamtfläche der Rigi-Nord-
                        samkeitsanalyse dar. Sowohl die Wirkung von Ver-        lehne langfristig stark zurückgeht. Dies deshalb, weil
                        bissschutzmassnahmen wie auch die Auswirkungen          bei der Wiederbewaldung kaum auf Vorverjüngung
                        einer Wildbestandsregulierung auf die Verbisssitua-     der Tanne gesetzt werden kann und somit die Lü-
                        tion sind schwierig zu bestimmen. Grundsätzlich         cken sehr viel länger in einem nicht schutzwirk-
                        wurden die Massnahmen so ausgelegt, dass entspre-       samen Zustand verbleiben, als wenn sich die Verjün-
                        chend heutigem Wissen die waldbaulichen Ziele ge-       gung bereits vor dem Ereignis hätte etablieren
                        mäss NaiS erreicht werden können, womit sich im         können. Daraus resultiert insgesamt eine grössere
                        Prinzip die Wirksamkeitsanalyse erübrigte. Im Laufe     nicht schutzwirksame Fläche, als wenn bereits Vor-
                        der Ausarbeitung der zu ergreifenden Massnahmen         verjüngung vorhanden wäre. Um die Schutzwirkung
                        wurde aufgrund der Simulationen (bei den forstli-       auch ohne die Tanne erhalten zu können, müssen
                        chen Massnahmen) und Diskussionen mit Experten          auf diesen Flächen kostenintensive Massnahmen
                        (bei den jagdlichen Massnahmen) aber klar, dass we-     (z. B. Fichtenpflanzungen, Bekämpfung der Vegeta-
                        der mit rein forstlichen noch mit rein jagdlichen       tionskonkurrenz) zur Unterstützung und Förderung
                        Massnahmen die waldbaulichen Ziele gemäss NaiS          der Verjüngung ergriffen werden.
                        erreicht werden können (siehe Resultate). Deshalb
                        wurde zusätzlich eine Kombination von forstlichen              wirksamkeit der Handlungsalternativen
                        und jagdlichen Massnahmen vorgeschlagen, für wel-              Weder mit rein forstlichen noch mit rein jagd-
                        che davon ausgegangen wird, dass die geforderte         lichen Massnahmen kann an der Rigi-Nordlehne
                        Wirkung erreicht werden kann.                           eine flächendeckende Verjüngung mit dem in Nais
                               Für die Diskontierung wurden die berechne-       verlangten Tannenanteil erreicht werden.
                        ten Kosten mit einem Realzinssatz von 2.6% abge-               Bei der Handlungsalternative mit rein forstli-
                        zinst. Durch diese zeitliche Homogenisierung wer-       chen Massnahmen zeigen sich verschiedene Schwie-
                        den Kosten, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten        rigkeiten: So sind in den nächsten 50 Jahren insge-
                        anfallen, vergleichbar gemacht (Bergen et al 2002).     samt 130 ha vor Verbiss zu schützen, was knapp 70%
                        Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass         der Waldfläche in der Tannen-Buchen-Waldstufe ent-
                        einerseits nicht alle Kosten einer Massnahme zum        spricht. Auf gegen 10% der zu schützenden Fläche ist
                        gleichen Zeitpunkt anfallen (z. B. Investitionskosten   es wegen der lokalen Voraussetzungen (Hangneigung,
                        und Unterhaltskosten) und andererseits die verschie-    Steinschlag etc.) nicht möglich, Verbissschutzmass-
                        denen Massnahmen sehr unterschiedliche Investi-         nahmen zu ergreifen, wobei ein Grossteil der nicht
                        tionszeitpunkte aufweisen.                              schützbaren Flächen im Einzugsgebiet des Lang-
                               Den zahlreichen Unsicherheiten, welche sich      weidbachs liegt, welcher als murfähig gilt, weshalb
                        teilweise bereits durch die Fragestellung mit ihrem     eine schutzwirksame Bestockung besonders wichtig
                        starken Bezug auf zukünftige Zustände ergeben,          wäre. Gegen 7% der Fläche sollen mit Zäunen ge-
                        wurde durch Sensitivitätsanalysen Rechnung getra-       schützt werden, eine Massnahme, die an der Rigi-
                        gen. Dabei wurde untersucht, welchen Einfluss die       Nordlehne insbesondere wegen Steinschlag erfah-
                        Annahmen bezüglich des Diskontierungssatzes so-         rungsgemäss nicht genügend wirksam ist. 70 bis 90%
                        wie des Aufwandes für die jagdlichen Massnahmen         der zu schützenden Fläche müssen mit chemischem
                        auf die Endbewertung der verschiedenen Massnah-         Verbissschutz behandelt werden. Um grosse Flächen
                        menvarianten haben. Schliesslich wurde anhand der       über einen genügend langen Zeitraum konsequent
                        Kosten-Wirksamkeits-Matrix eine ökonomische Be-         mit solchen Mitteln zu behandeln, ist grosser Ein-
                        wertung der vorgeschlagenen Massnahmen vorge-           satz seitens der Ausführenden erforderlich. Der Er-
                        nommen.                                                 folg dieser Massnahme steht und fällt daher mit der
                                                                                Motivation und Zuverlässigkeit der Ausführenden.

Schweiz Z Forstwes 162 (2011) 10: 364–371                                                              cOnnaissances              367
Aus diesen Gründen sind rein forstliche Mass-
Rein forstliche Massnahmen                                                                               nahmen, ganz abgesehen von den hohen Kosten,
                                                                                                         nicht genügend wirksam und deshalb nur begrenzt
Rein jagdliche Massnahmen                                                                                sinnvoll.
(mässige Bestandesreduktion)
                                                                                                               Bei der Handlungsalternative mit rein jagdli-
                                                                                                         chen Massnahmen zeigt sich, dass mit einer schwer-
Rein jagdliche Massnahmen
(starke Bestandesreduktion)                                                                              punktmässigen Bestandesreduktion an der Rigi-
                                                                                                         Nordlehne der Verbissdruck insgesamt stark reduziert
Kombination I                                                                                            werden kann, da die Zuwanderung von der Südseite
(jagdlich und forstlich)
                                                                                                         nach einer Bestandesregulierung auf der Nordseite
Kombination II
                                                                                                         dank der Standorttreue der Waldgämse verzögert ab-
(jagdlich und forstlich)                                                                                 laufen dürfte und der Wechsel der Gämsen von der
                                                                                                         Süd- auf die Nordseite ohnehin nicht sehr intensiv
Kombination II
(jagdlich und forstlich,                                                                                 zu sein scheint. Aufgrund der Beliebtheit der Tanne
zehn Jahre später)
                                                                                                         bei der Gämse sowie wegen der Empfindlichkeit der
                               0      0.5        1.0     1.5       2.0    2.5        3.0     3.5   4.0   Tanne hinsichtlich Verbiss muss aber dennoch da-
                                                       Barwert (Mio. CHF)                                von ausgegangen werden, dass die Tannenverjün-
                                                                                                         gung lokal durch Verbiss beeinträchtigt werden
Abb 3 Kostenschätzungen für rein forstliche, rein jagdliche sowie für die Kombination von
jagdlichen und forstlichen Massnahmen. Dabei ist zu beachten, dass die rein forstlichen
                                                                                                         dürfte. Das bedeutet, dass auch rein jagdliche Mass-
und die rein jagdlichen Massnahmen keine genügende Wirksamkeit aufweisen.                                nahmen nicht ausreichen, um den Tannenanteil ge-
                                                                                                         mäss NaiS zu erreichen.
                                                                                                               Angesichts dieser Erkenntnisse wurden zusätz-
                                                                                                         lich die Kosten für zwei Massnahmenkombinatio-
Chemischer Verbissschutz                                                                                 nen abgeschätzt, welche nach heutigem Kenntnis-
                                                                                                         stand als genügend wirksam beurteilt werden.

                                                                                                                Kosten der Handlungsalternativen
Zäune/Drahtkörbe
                                                                                                                In den nächsten 30 bis 50 Jahren entstehen an
                                                                                                         der Rigi-Nordlehne folgende Kosten (Barwert; Abbil-
                                                                                                         dung 3):
                                                                                                         •      circa 3.3 Mio. Schweizer Franken für rein
                                                                                                         forstliche Massnahmen, falls die Verbissprobleme
Zäune zwischen Verbauungen
gegen Schneebewegungen                                                                                   trotz der ungenügenden Wirksamkeit mit rein forst-
                                                                                                         lichen Massnahmen gelöst werden sollen. Als Grund-
                                                                                                         lage für die Kostenschätzung wurden Wildschutz-
                               0           0.5         1.0         1.5         2.0         2.5     3.0
                                                                                                         zäune und Drahtkörbe (dort, wo dies aufgrund der
                                                       Barwert (Mio. CHF)
                                                                                                         Steinschlaggefährdung möglich ist) sowie chemi-
Abb 4 Aufteilung der rein forstlichen Kosten von total 3.3 Mio. Schweizer Franken auf die                scher Verbissschutz (wo dies angesichts der Zugäng-
verschiedenen Verbissschutzmassnahmen.                                                                   lichkeit und der Hangneigung möglich und zumut-
                                                                                                         bar ist) eingerechnet. Die Aufteilung der Kosten auf
                                                                                                         die verschiedenen Verbissschutzmassnahmen ist in
                                                                                                         Abbildung 4 dargestellt; der genaue Umfang der zu-
Kombination I
                                                                                                         grunde liegenden Massnahmen ist in Gasser (2009:
                                                                                                         115 ff.) enthalten.
                                                                                                         •      circa 87 000 bis 90 000 Schweizer Franken für
Kombination II                                                                                           eine rein jagdliche Lösung der Verbissprobleme: Eine
                                                                                                         Reduktion des Gämsbestands an der Rigi-Nordlehne
                                                                                                         und eine Erhaltung desselben auf einem tiefen Ni-
Kombination II,                                                                                          veau käme auf gut 87 000 Schweizer Franken (Reduk-
zehn Jahre später                                                                                        tion um 20%) bis gut 90 000 Schweizer Franken
                                                                                                         (massive Reduktion um 50%) während der nächsten
                    0          0.5           1.0             1.5         2.0           2.5         3.0   50 Jahren zu stehen, wobei davon ausgegangen wird,
                                                 Barwert (Mio. CHF)                                      dass die Hälfte der Abschüsse durch Jäger, die andere
                                                                                                         Hälfte durch professionelle Wildhüter in Form von
        Bestandesreduktion                         Verbissschutz zwischen Verbauungen
        Verbissschutz auf Flächen > 10 a           Übrige Verbissschutzmassnahmen/Pflanzungen            Hegeabschüssen getätigt werden (vgl. Gasser 2009:
                                                   für sofortige Wirkung
                                                                                                         131 ff.).
Abb 5 Aufteilung der Kosten bei den Massnahmenkombinationen auf jagdliche und forst-                     •      1.5 bis 2.2 Mio. Schweizer Franken für eine als
liche Massnahmen.                                                                                        ausreichend wirksam beurteilte Kombination von

368                            wissen                                                                                   Schweiz Z Forstwes 162 (2011) 10: 364–371
forstlichen und jagdlichen Massnahmen: Dabei ent-           für Massnahmen gegen Schneebewegungen ausge-
                        halten beide Kombinationen Verbissschutzmass-               schieden worden waren, heute tatsächlich eine
                        nahmen inklusive Pflanzungen zwischen den Ver-              ungenügende Schutzwirksamkeit aufweisen. Min-
                        bauungen und auf aktuell grossen Lückenflächen.             destens diesbezüglich scheint eine GIS-basierte Aus-
                        Kombination I umfasst zudem eine Reduktion des              scheidung der kritischen Flächen zweckmässig.
                        Gämsbestandes um 20% und Verbissschutzmassnah-                    Bei den Kosten für Massnahmen gegen Schnee-
                        men/Pflanzungen auf Lückenflächen grösser als               bewegungen und für Verbissschutz ist davon auszu-
                        10 a, Kombination II eine Reduktion des Gämsbe-             gehen, dass es sich dabei eher um eine Kostenunter-
                        standes um 50%. Wird die Kombination II um zehn             grenze handelt und der tatsächliche Betrag noch
                        Jahre hinausgeschoben, entstehen dadurch Mehr-              höher ausfallen dürfte (siehe Kapitel «Methoden»).
                        kosten von 800 000 Schweizer Franken (Abbil-                Es handelt sich bei diesen Kosten ausdrücklich um
                        dung 5).                                                    Abschätzungen, welche auf plausiblen Annahmen
                        •      circa 3 Mio. Schweizer Franken für Verbauun-         bezüglich eines zukünftigen Waldzustandes und auf
                        gen gegen Schneebewegungen: Mit diesen Kosten               Pauschalansätzen beruhen. Solche Voraussagen sind
                        muss unabhängig von der Frage, wie sich der Verbiss-        mit vielen Unsicherheiten verbunden und sollten
                        druck in den kommenden Jahren entwickeln wird,              daher lediglich als grobe Kenngrössen verstanden
                        gerechnet werden. Einerseits müssen Schäden am              werden.
                        Schutzwald durch Waldlawinen verhindert werden,
                        andererseits muss die Verjüngung vor Schneebewe-                   Jagdliche Massnahmen
                        gungen geschützt werden. Insgesamt weisen in den                   Die Kostenschätzungen sowie die Beurteilung
                        nächsten 50 Jahren gut 7 ha des Schutzwaldes eine           der Wirksamkeit für die jagdlichen Massnahmen
                        ungenügende Schutzwirkung auf und müssen des-               scheinen grundsätzlich ebenfalls realistisch. Aller-
                        halb mit Dreibeinböcken oder temporären Schnee-             dings ist zu beachten, dass die Unterschiede in der
                        rechen verbaut werden.                                      Kostenschätzung zwischen mittlerer und starker Be-
                                                                                    standsreduktion im Bereich der Unsicherheit liegen
                                                                                    und somit vernachlässigt werden können.
                               Diskussion                                                  Die Kostenschätzungen basieren auf Wildbe-
                                                                                    standsschätzungen für den gesamten Wildraum 2.
                               Tannenanteil                                         Diese Wildbestandsschätzungen wurden aufgrund
                               Die ökonomischen Vorteile der Tanne im               der Zählergebnisse auf die Nordlehne reduziert. Da-
                        heute vorhandenen Schutzwald an der Rigi-Nord-              bei wurden die Nord-Süd-Bewegungen berücksich-
                        lehne wurden in dieser Arbeit aufgezeigt. Dies ist          tigt, soweit dies mit den vorliegenden Daten mög-
                        zwar grundsätzlich keine neue Erkenntnis, aber ein          lich war. Trotzdem sind die Wildbestandsschätzung
                        wichtiges Argument für den in NaiS für eine effizi-         und somit auch der gewählte Zielbestand mit grossen
                        ente Schutzwaldbewirtschaftung geforderten Tan-             Unsicherheiten behaftet. Aus den durchgeführten
                        nenanteil. Was aber in dieser Studie nicht beantwor-        Sensitivitätsanalysen wurde aber deutlich, dass sich
                        tet wird, ist die Frage, ob die Kosten für die Erreichung   zwar die absoluten Beträge für die jagdlichen Mass-
                        des Tannenanteils an der Rigi-Nordlehne tiefer sind         nahmen bei unterschiedlichen Annahmen deutlich
                        als die Kosten für Massnahmen zur Erreichung der            ändern können, die Beurteilung und Einordnung
                        Schutzwirksamkeit mit anderen Baumarten. Hier be-           der Massnahmenvarianten aber gleich bleiben.
                        steht weiterer Forschungsbedarf.                            Somit ist den Unsicherheiten bezüglich der Wild-
                                                                                    bestandsgrösse in der Frage der ökonomischen Be-
                               Forstliche Massnahmen und Verbauungen                urteilung der Massnahmenvarianten ein geringes
                               Die Kosten für die Verbauungen gegen Schnee-         Gewicht zuzuordnen.
                        bewegungen liegen in einem realistischen Rahmen.                   Eine Schwerpunktbejagung der Gämsbestände
                        Sie sind teilweise auf die Verbisssituation der letzten     an der Rigi-Nordlehne ist nicht einfach, und es
                        Jahrzehnte zurückzuführen und hätten mit einer              braucht einen grossen Einsatz der Jägerschaft, um
                        Verbesserung derselben in der Vergangenheit ver-            eine solche erfolgreich umzusetzen. Falls die Bereit-
                        mieden werden können. Auch die Resultate bezüg-             schaft dazu fehlt, müssten allenfalls professionelle
                        lich der Verbissschutzmassnahmen, der damit er-             Wildhüter eingesetzt werden.
                        reichten Wirksamkeit und der dafür entstehenden                    Nebst der Wildbestandsreduktion kommen
                        Kosten werden insgesamt als plausibel beurteilt.            grundsätzlich auch weitere Massnahmen wie Le-
                               Allerdings wurden die forstlichen Massnah-           bensraumaufwertungen oder Wildruhezonen auf
                        men rein GIS-basiert bestimmt und konnten aus zeit-         der Südseite der Rigi infrage. Im Rahmen der vor-
                        lichen Gründen nicht im Feld überprüft werden.              liegenden Studie wurde aber darauf verzichtet, Kos-
                        Eine erst nach Abschluss der Masterarbeit durch-            tenschätzungen für weitere Massnahmen durchzu-
                        geführte Begehung zeigte aber, dass diejenigen Flä-         führen.
                        chen, welche zu Beginn des Betrachtungshorizontes

Schweiz Z Forstwes 162 (2011) 10: 364–371                                                                  cOnnaissances             369
sehen, Schutzmassnahmen und die damit verbun-
                                                                                  denen Kosten aufzuschieben und künftigen Gene-
                                                                                  rationen zu übertragen. Die Berechnungen für die
                                                                                  um zehn Jahre hinausgeschobene Massnahmenkom-
                                                                                  bination II zeigen jedoch eindrücklich, dass durch
                                                                                  schnelles Handeln ein Kostenanstieg vermieden wer-
                                                                                  den kann.
                                                                                         Sensitivitätsanalysen tragen dazu bei, die Aus-
                                                                                  wirkungen von Unsicherheiten besser erkennen zu
                                                                                  können (vgl. Gasser 2009: 156). Dennoch bleibt zu
                                                                                  bedenken, dass sich bei der vorliegenden Untersu-
                                                                                  chung die Fragestellung zu einem grossen Teil auf
                                                                                  zukünftige Zustände bezieht und somit sehr viele
                                                                                  Annahmen erforderlich sind, die die Resultate ent-
                                                                                  scheidend beeinflussen. Es ist jedoch festzustellen,
                                                                                  dass bei der Herleitung der Annahmen grundsätz-
                                                                                  lich sehr zurückhaltend vorgegangen wurde.

Abb 6 Blick von der Rigi-Nordlehne auf das Schadenpotenzial.
                                                                                        schlussfolgerungen

                                Massnahmenkombinationen                                  Wegen der grossen Verbissprobleme entstehen
                                Die Massnahmenkombinationen werden grund-         für die Waldbewirtschafter an der Rigi-Nordlehne er-
                         sätzlich als wirksam und realistisch beurteilt. Es ist   hebliche Kosten, um die Baumartenmischung gemäss
                         aber schwierig abzuschätzen, wie viel Verbissschutz-     NaiS langfristig zu erhalten. Alle Kosten, sowohl die-
                         massnahmen nach einer Bestandsreduktion noch nö-         jenigen für Verbauungen gegen Schneebewegungen
                         tig sind. Die Kostenschätzungen dürften sich eher im     als auch diejenigen für Verbissschutzmassnahmen,
                         oberen Bereich bewegen, und es darf angenommen           wären deutlich geringer, wenn die Verbisssituation
                         werden, dass mit einer massiven Bestandsreduktion        in den vergangenen 20 Jahren verbessert worden
                         eher weniger Aufwendungen für Verbissschutzmass-         wäre. Ein Teil der Kosten fällt unabhängig von der
                         nahmen nötig werden als geschätzt.                       künftigen Entwicklung der Verbisssituation an, ein
                                                                                  bedeutender Teil könnte aber durch eine Reduktion
                                Verwendete Methode                                des Verbissdruckes vermieden werden.
                                Der Vergleich von so grundsätzlich verschie-             Ein Lösungsansatz mit rein forstlichen Mass-
                         denen Massnahmen wie Verbissschutz und jagdli-           nahmen verursacht nicht nur die höchsten Kosten,
                         chen Eingriffen ist sehr schwierig: Die Massnahmen       sondern ist auch mit einer ungenügenden Wirkung
                         erzielen unterschiedliche Wirkungen, weisen unter-       verbunden. Eine Erreichung der waldbaulichen Ziele
                         schiedliche Investitionszeitpunkte auf und basieren      ohne massive jagdliche Eingriffe scheint somit kaum
                         auf zahlreichen Annahmen. Die Kosten-Wirksam-            möglich. Aber auch ein Ansatz mit rein jagdlichen
                         keits-Analyse als methodischer Rahmen hat sich           Massnahmen dürfte nicht den gewünschten Erfolg
                         grundsätzlich für diese Art Problemstellung als ge-      bringen. Zur umfassenden Lösung der Verjüngungs-
                         eignet herausgestellt, weil den unterschiedlichen        probleme an der Rigi-Nordlehne wird daher eine
                         Wirkungen durch die Berechnung von Kosten-Wirk-          Kombination von forstlichen und jagdlichen Mass-
                         samkeits-Faktoren Rechnung getragen wird, die zu         nahmen empfohlen. Dabei müssen jagdliche Mass-
                         unterschiedlichen Zeitpunkten getätigten Investiti-      nahmen dafür sorgen, dass insgesamt das Verhält-
                         onen durch Diskontierung vergleichbar gemacht            nis von abgebissenen zu vorhandenen Tannen nicht
                         werden und den Unsicherheiten bei den Annahmen           mehr zu einer Stammzahlreduktion der Tanne führt.
                         mit Sensitivitätsanalysen begegnet wird.                 Ziel der forstlich-technischen Massnahmen muss es
                                Insbesondere die Beurteilung der Wirkungen        sein, punktuell Flächen mit nach wie vor verbissbe-
                         bleibt aber in der vorliegenden Arbeit sehr schwie-      dingten Verjüngungsschwierigkeiten zu schützen.
                         rig, nicht zuletzt wegen des weiten Zeithorizonts.              Neu an den Ergebnissen dieser Arbeit ist, dass
                         Der 50 Jahre umfassende Betrachtungszeitraum ist         die durch den hohen Verbissdruck entstehenden
                         einerseits notwendig, um der langsamen Waldent-          ökonomischen Nachteile quantifiziert werden und
                         wicklung gerecht zu werden; andererseits führt er        somit ein direkter Kostenvergleich verschiedener
                         dazu, dass durch die Diskontierung die Kosten von        Massnahmenvarianten ermöglicht wird. Diese Mass-
                         relativ spät anfallenden Massnahmen nur noch ge-         nahmen müssen mindestens teilweise mit öffent-
                         ringen Einfluss auf das Gesamtergebnis haben. Ent-       lichen Geldern finanziert werden. Deshalb wäre
                         scheidungsträger könnten sich dadurch veranlasst         es aus volkswirtschaftlicher Sicht wünschenswert,

370                       wissen                                                                 Schweiz Z Forstwes 162 (2011) 10: 364–371
wenn im Hinblick auf einen effizienten Umgang mit                                gasser n (2009) Ökonomische Bewertung von Schutzwald-

                        öffentlichen Geldern für die Naturgefahrenabwehr                                    pflege und technischen Schutzmassnahmen am Beispiel
                                                                                                            der Rigi-Nordlehne. Zürich: ETH Zürich, Waldökologie,
                        und insbesondere die Schutzwaldbewirtschaftung
                                                                                                            Masterarbeiten. 204 p. doi: 10.3929/ethz-a-005985253
                        (Abbildung 6) auch in der Wald-Wild-Frage vermehrt
                                                                                                         hanUsch h (1994) Nutzen-Kosten-Analyse. München: Vah-
                        nach wirtschaftlich effizienten Lösungen gesucht                                    len, 2 ed. 202 p.
                        würde.                                          n                                oderMatt o (1999) Einfluss freilebender Wiederkäuer auf die
                              Eingereicht: 16. August 2010, akzeptiert (mit Review): 23. November 2010      Verjüngung des Schweizer Waldes. Schweiz Z Forstwes
                                                                                                            150: 313–326. doi: 10.3188/szf.1999.0313
                                                                                                         PLanat (2005) Strategie Naturgefahren Schweiz. Synthese-
                        Literatur                                                                           bericht. Bern: Bundesamt Wasser Geologie, Nationale
                                                                                                            Plattform Naturgefahren. 88 p.
                        Bergen V, Löwenstein w, oLschewski r (2002) Forstökono-                          stadeLMann g (2008) Modellierung der Waldentwicklung an
                           mie – Volkswirtschaftliche Grundlagen. München: Vahlen.                          der Rigi-Nordlehne zur Analyse der Schutzwirkung von
                           469 p.                                                                           Wald gegen Murgang. Zürich: ETH Zürich, Professur
                        BrasseL P, BrändLi UB, editors (1999) Schweizerisches                               Waldökologie, Masterarbeiten. 79 p. doi: 10.3929/ethz-
                           Landesforstinventar. Ergebnisse der Zweitaufnahme                                a-005968602
                           1993–1995. Bern: Haupt. 442 p.                                                stadeLMann g (2011) Modellierung des Einflusses von Wild-
                        Frehner M, wasser B, schwitter r (2005) Nachhaltigkeit                              verbiss auf die Schutzwaldentwicklung an der Rigi-Nord-
                           und Erfolgskontrolle im Schutzwald. Wegleitung für Pfle-                         lehne. Schweiz Z Forstwes 162: 355–363. doi: 10.3188/
                           gemassnahmen in Wäldern mit Schutzfunktion. Bern: Bun-                           szf.2011.0355
                           desamt Umwelt Wald Landschaft. 564 p.

                        ökonomische konsequenzen der Verbiss-                                            conséquences économiques des problèmes
                        probleme an der rigi-nordlehne                                                   d’abroutissement au versant nord du rigi

                        In der Schutzwaldbewirtschaftung spielt die Verjüngung mit                       Le rajeunissement d’essences adaptées joue un rôle décisif
                        geeigneten Baumarten eine entscheidende Rolle. Diese wird                        pour la gestion des forêts protectrices. Dans de nombreuses
                        in vielen Regionen der Schweiz durch starken Wildverbiss er-                     régions de Suisse, il est cependant rendu difficile par un
                        schwert; insbesondere die Verjüngung der waldbaulich wert-                       abroutissement intensif, en particulier le rajeunissement du
                        vollen Weisstanne wird stellenweise stark beeinträchtigt. Dies                   sapin – une essence précieuse du point de vue sylvicole – est
                        kann für die Waldbewirtschafter zu hohen Kosten für die Un-                      par endroits fortement entravé. Ce problème peut entraîner
                        terstützung der Verjüngung und den Ersatz verloren gegan-                        des coûts élevés pour le gestionnaire, que ce soit pour encou-
                        gener Schutzwirkungen führen. Mit einer Kosten-Wirksam-                          rager le rajeunissement d’une part et pour remplacer la fonc-
                        keits-Analyse und auf der Basis des Waldentwicklungsmodells                      tion protectrice de la forêt perdue d’autre part. Au moyen
                        Rigfor wurde am Beispiel der Rigi-Nordlehne untersucht,                          d’une analyse coût-efficacité et sur la base du modèle de dé-
                        1) mit welchen Kosten in den nächsten 50 Jahren für Verbiss-                     veloppement forestier Rigfor, les questions suivantes ont été
                        schutzmassnahmen gerechnet werden muss, wenn der Ver-                            étudiées à l’exemple du versant nord du Rigi: à quels coûts
                        bissdruck nicht bedeutend gesenkt werden kann, 2) welche                         doit-on s’attendre dans les 50 prochaines années 1) pour des
                        Kosten für eine Reduktion des Verbissdruckes durch jagdliche                     mesures de protection contre l’abroutissement si la pression
                        Massnahmen und 3) welche für Verbauungen gegen Schnee-                           du gibier ne diminue pas significativement, 2) pour une ré-
                        bewegungen zu erwarten sind. Resultat der Studie sind Kos-                       duction de la pression du gibier par la chasse et 3) pour des
                        tenkalkulationen für rein forstlich-technische, rein jagdliche                   ouvrages de protection contre les mouvements du manteau
                        und kombinierte Massnahmen sowie für notwendige Verbau-                          neigeux. Le résultat de cette étude est le calcul des coûts pour
                        ungen zum Schutz des Waldes gegen Schneebewegungen.                              les mesures forestières, les mesures de régulation du gibier,
                        Es zeigt sich, dass sich der hohe Verbissdruck an der Rigi-                      les mesures combinées, ainsi que pour les ouvrages néces-
                        Nordlehne nicht nur aus waldbaulicher Sicht nachteilig aus-                      saires à prévenir les mouvements du manteau neigeux. Il
                        wirkt, sondern er auch negative ökonomische Konsequenzen                         s’avère que sur le versant nord du Rigi, la forte pression du
                        hat. Diese belaufen sich je nach Massnahmenvariante auf rund                     gibier n’a pas seulement des conséquences négatives du point
                        3 Mio. bis 6.6 Mio. Schweizer Franken in einem Zeitraum von                      de vue sylvicole, mais également du point de vue écono-
                        50 Jahren. Am Beispiel der Rigi-Nordlehne wird damit ein                         mique. Celles-ci s’élèvent de 3 mio à 6.6 mio de francs suisses
                        neues Argument in die Diskussion um die Verjüngungssitua-                        dans une période de 50 ans dépendant de la variante de me-
                        tion eingebracht, welche für viele Schutzwälder der Schweiz                      sures choisie. A l’exemple du versant nord du Rigi, un nouvel
                        seit Jahren hauptsächlich mit waldbaulichen und wildtieröko-                     argument est apporté à la discussion quant à la probléma-
                        logischen Argumenten geführt wird.                                               tique du rajeunissement dans les forêts protectrices qui, en
                                                                                                         Suisse, s’articule depuis des années surtout autour de la syl-
                                                                                                         viculture et de l’écologie des animaux sauvages.

Schweiz Z Forstwes 162 (2011) 10: 364–371                                                                                            connaissances                  371
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