Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...

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Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...
Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
Theaterstraße 7
37073 Göttingen
                                                                                                                    Kulturelles Erbe mit Zukunft
www.adw-goe.de
                                                                                                                    Forschungsvorhaben im Akademienprogramm

                                                                                                                    Akademie der Wissenschaften zu Göttingen

                                           Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
                                           Kulturelles Erbe mit Zukunft – Forschungsvorhaben im Akademienprogramm
Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...
Kulturelles Erbe mit Zukunft
Forschungsvorhaben im Akademienprogramm
Dritte, aktualisierte Auflage

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...
Inhalt
                                                                        Vorwort....................................................................................................................4

                                                                        Deutsche Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit..........................6
                                                                        Digitale Gesamtedition und Übersetzung
                                                                        des koptisch-sahidischen Alten Testamentes.......................................................8
                                                                        Edition und Bearbeitung byzantinischer Rechtsquellen...................................10
                                                                        Erschließung der Akten des Kaiserlichen Reichshofrats...................................12
                                                                        Frühneuhochdeutsches Wörterbuch...................................................................14
                                                                        Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens
                                                                        im Zeitalter der Aufklärung.................................................................................16
                                                                        Germania Sacra....................................................................................................18
                                                                        Goethe-Wörterbuch..............................................................................................20
                                                                        Johann Friedrich Blumenbach – Online.............................................................22
                                                                        Karl-Jaspers-Gesamtausgabe (KJG).....................................................................24
                                                                        Katalogisierung der Orientalischen Handschriften in Deutschland................26
                                                                        Leibniz-Edition......................................................................................................28
                                                                        Mittelhochdeutsches Wörterbuch........................................................................30
                                                                        Ortsnamen zwischen Rhein und Elbe –
                                                                        Onomastik im europäischen Raum....................................................................32
    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.
    Alle Rechte, auch das des Nachdruckes, der Wiedergabe,              Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters...........................................34
    der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen und der Übersetzung
    des vollständigen Werkes oder von Teilen davon, sind vorbehalten.   Patristik: Dionysius Areopagita-Edition..............................................................36
                                                                        Prize Papers: Erschließung, Digitalisierung, Präsentation (1652-1815)...........38
    Akademie der Wissenschaften zu Göttingen                            Qumran-Lexikon...................................................................................................40
    Theaterstraße 7  37073 Göttingen
    Tel. 0551 39-5362  Fax 0551 39-5365                                Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800).......................................................42
    adw@gwdg.de  www.adw-goe.de
                                                                        Runische Schriftlichkeit in den germanischen Sprachen.................................44
                                                                        SAPERE.................................................................................................................46
    Redaktion: Adrienne Lochte, Göttingen
                                                                        Wörterbuch des Altuigurischen...........................................................................48
    Gestaltung, Bildbearbeitung, Layout:
    Sauer Marketing, Göttingen

    Herstellung: Goltze Druck GmbH & Co. KG, Göttingen                  Bildbeschreibungen und -nachweise..................................................................50

    3. Auflage
    Printed in Germany, 8.2018

2                                                                                                                                                                                                          3
Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...
Vorwort                                                                                 150 wissenschaftliche und technische Mitarbeiter1, unterstützt von zahl-
                                                                                        reichen Hilfskräften, in 34 Arbeitsstellen, die über das ganze Land und
                                                                                        darüber hinaus verteilt sind. Einige Vorhaben laufen schon sehr lange; es
      Die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen "hat die Aufgabe, in eige-           handelt sich um Jahrhundertvorhaben, die zum Zwecke der Vollendung in
      ner Arbeit und im Zusammenwirken mit den gelehrten Körperschaften                 das Akademienprogramm aufgenommen worden sind. Dazu zählen zum
      des In- und Auslandes der Wissenschaft zu dienen" (§ 1 der Satzung).              Beispiel die 1896 begonnene Sammlung von Papsturkunden und das Pro-
      Dieser Aufgabe kommt die Akademie nach, seit sie 1751 von Georg II.,              jekt Germania Sacra, das 1917 ins Leben gerufen wurde. Dass das hohe
      König von Großbritannien und Kurfürst von Hannover, gegründet wurde.              Alter von Projekten nicht gegen die intensive Nutzung digitaler Techniken
      Ihre wissenschaftlichen Aktivitäten sind vielfältig, doch im Zentrum ihrer        spricht, versteht sich von selbst.
      geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Forschung stehen die Lang-
      zeitprojekte des Akademienprogramms.                                              Seit Erscheinen der zweiten Auflage dieser Broschüre im Jahr 2008 wur-
                                                                                        den die folgenden Projekte abgeschlossen: Deutsches Wörterbuch von
      Dieses vom Bund und den Ländern finanziell getragene Programm wurde               Jacob und Wilhelm Grimm, Die Inschriften des ptolemäerzeitlichen Tem-
      1979 ins Leben gerufen und dient "der Erschließung, Sicherung und Ver-            pels von Edfu, Edition der naturwissenschaftlichen Schriften Lichtenbergs,
      gegenwärtigung unseres kulturellen Erbes". Seine Einführung war darin             Enzyklopädie des Märchens, Hof und Residenz im spätmittelalterlichen
      begründet, dass es in der deutschen Wissenschaftslandschaft jenseits der          Deutschen Reich (1200-1600), Sanskrit-Wörterbuch der buddhistischen
      Akademien der Wissenschaften nahezu keine Möglichkeit gibt, grundle-              Texte aus den Turfan-Funden, Schleiermacher-Edition, Septuaginta.
                                        gende wissenschaftliche Projekte wie
                                        die Edition der Werke wichtiger Auto-           Unter den neu hinzugekommen finden sich Editionen, Wörterbücher und
                                        ren, das Verfassen großer Wörterbücher          ein Projekt zur Erforschung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher
                                        des Deutschen und anderer Sprachen              Residenzstädte. In ihrer Gesamtheit verdeutlichen die Göttinger Projekte
                                        oder die Bereitstellung und Erschlie-           den Reichtum an Themen und Methoden, die sich in der Forschung der
                                        ßung zentraler Texte und Dokumente              Akademie zeigen.
                                        der abendländischen Kultur- und
                                                                                        In allen Fällen werden die Ergebnisse der Forschungsarbeit der wissen-
                                        Gesellschaftsgeschichte in einem dem
                                                                                        schaftlichen und interessierten Öffentlichkeit durch Publikationen, Tagun-
                                        Gegenstand angemessenen Umfang
                                                                                        gen, Vorträge und im Internet zur Verfügung gestellt, wie die Akademie
                                        durchzuführen und der internationalen
                                                                                        überhaupt daran interessiert ist, ihre Arbeit in den gesellschaftlichen
                                        Forschung zur Verfügung zu stellen.
                                                                                        Raum zu vermitteln.
      Mit seinen heute über 140 Vorhaben ist das Programm das größte
      deutsche Forschungsprogramm in den Geisteswissenschaften. Die einzel-
      nen Projekte durchlaufen ein mehrstufiges strenges Ausleseverfahren und
      sind Gegenstand regelmäßiger Evaluationen. Koordiniert wird das Pro-
      gramm von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, ver-
      antwortlich für die einzelnen Vorhaben sind die betreuenden Akademien.
      Einige Projekte sind so umfangreich, dass sie nur in der Zusammenarbeit
                                                                                                                       Prof. Dr. Andreas Gardt
      mehrerer Akademien betrieben werden können.
                                                                                                                       Präsident der Akademie der
      In der Broschüre, die jetzt in dritter, aktualisierter Auflage erscheint, wer-                                  Wissenschaften zu Göttingen
      den die zur Zeit von der Göttinger Akademie betreuten 22 Forschungs-              1
                                                                                         In der vorliegenden Broschüre wird bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen
      projekte des Akademienprogramms vorgestellt. An ihnen arbeiten über               häufig die männliche Sprachform verwendet. Als geschlechtsneutrale Verwendung soll sie
                                                                                        der besseren Lesbarkeit dienen.

4                                                                             Vorwort   Vorwort                                                                                  5
Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...
Deutsche Inschriften des
Mittelalters und der frühen Neuzeit
       Inschriften auf Glocken, Grabdenkmälern und Hausbalken, auf Textilien,
       Abendmahlskelchen und Taufsteinen bergen unzählige Geschichten,
       die dem Laien allerdings oft verborgen bleiben.
                       Meist steht man vor diesen Texten und kann sie nicht einmal
                       entziffern. Die Sprache ist fremd, und was die Menschen vor
                       Hunderten von Jahren bewegt hat, ihre Gedanken nicht nur                  Für die historische Forschung stellen Inschriften eine wichtige Ergänzung
                       Pergament und Papier, sondern einem dauerhaften Material                  der Überlieferungen durch Urkunden und Chroniken dar.
                       anzuvertrauen, erschließt sich erst nach intensiven Recher-
                       chen. Viele dieser Rätsel konnten die Mitarbeiterinnen und                In weit höherem Maße als andere Schriftzeugnisse sind sie über Jahrhunderte
                       Mitarbeiter des Forschungsprojekts "Deutsche Inschriften                  öffentlich sichtbar und wurden von ihren Auftraggebern bewusst eingesetzt,
                       des Mittelalters und der frühen Neuzeit" schon lösen, ande-               um sich selbst oder die eigene Familie darzustellen. In Duderstadt beispiels-
                       ren sind sie tagtäglich auf der Spur.                                     weise haben die Bürger während der konfessionellen Auseinandersetzungen
                                                                                                 im Gefolge der Reformation in ihren Hausinschriften zum Ausdruck gebracht,
                       In zwei Arbeitsstellen der Akademie der Wissenschaften zu                 welcher Konfession sie angehören. Ein Hildesheimer Bürgermeister hat all
                       Göttingen (in Göttingen und in Greifswald) werden die deut-               seine für die Stadt geleisteten Wohltaten in einen Silberbecher gravieren las-
                       schen und die lateinischen Inschriften in Niedersachsen und               sen. Eine Besonderheit des Greifswalder Bestandes sind die Insignien aus
                       in Mecklenburg-Vorpommern aus der Zeit von ca. 800 bis                    der Gründungszeit der Universität sowie die vielen spätmittelalterlichen und
                       1650 erfasst, selbst solche, die nur noch in Abschriften und              frühneuzeitlichen Grabplatten, die einzigartige Hinweise auf die familiären
                       Drucken oder auf alten Fotos überliefert sind. Die oft schwer             Zusammenhänge der städtischen Oberschicht geben. In der Hansestadt Stral-
                       lesbaren Inschriften werden sorgfältig wiedergegeben, über-               sund birgt vor allem die Pfarrkirche St. Nikolai zahlreiche Altarretabel, Kelche,
                       setzt und so kommentiert, dass sie in ihrem historischen                  eine astronomische Uhr und die Chorschranken aus der wirtschaftlichen Blü-
                       Kontext lebendig werden. Folgende Bestände sind in der                    tezeit der Stadt im 15. Jahrhundert.
                       Reihe "Die Deutschen Inschriften" bereits publiziert worden:
                       die Städte Göttingen, Osnabrück, Hameln, Hannover, Ein-                   Die Inschriften liefern auch wichtige Hinweise für die Sprachentwicklung
                       beck, Braunschweig (2 Bde.), Goslar, Hildesheim, Helmstedt,               der jeweiligen Region.
                       Greifswald, Lüneburg (2 Bde.) und Stralsund sowie die Land-               In Norddeutschland belegen sie, wie das Hochdeutsche das Niederdeutsche
                       kreise Göttingen, Holzminden, Northeim, Schaumburg und                    ablöst oder wie sich die deutsche Sprache gegenüber der lateinischen emanzi-
                       Osterode. Die Inschriften der Lüneburger Klöster wurden in                piert hat. Vielfach erfährt man auch nur über die Inschriften etwas von Men-
                       einem Sonderband zusammengefasst. Die Editionen sind                      schen, die in anderer schriftlicher Überlieferung nicht auftauchen.
                       eine wichtige Quelle für Wissenschaftler aller historischen
                       Disziplinen, aber auch eine interessante Lektüre für den an               Gemeinsam mit den Inschriften-Forschungsstellen der Aka-
                       Geschichte interessierten Laien. Darüber hinaus beraten die               demien in Düsseldorf, Heidelberg, Leipzig, Mainz, München          Ansprechpartner
                       Wissenschaftler der Inschriftenkommission Restauratoren                   und Wien ist die Göttinger Akademie der Wissenschaften seit
                                                                                                 1970 Trägerin des Unternehmens "Die Deutschen Inschrif-            Dr. Christine Wulf (Göttingen)
                       bei der Wiederherstellung beeinträchtigter Inschriften und                                                                                   Dr. Christine Magin (Greifswald)
                       bieten Hilfen bei der Datierung von Inschriften und beschrif-             ten". Aus der Arbeit aller Forschungsstellen sind bis jetzt
                       teten Objekten an.                                                        mehr als 100 Bände hervorgegangen. Mit Ausnahme der                http://adw-goe.de/forschung/
                                                                                                 zuletzt erschienenen sind zahlreiche Bände auch auf der            forschungsprojekte-akademien
                                                                                                 Internetplattform "Deutsche Inschriften Online" (http://           programm/deutsche-inschriften/
                                                                                                 www.inschriften.net) verfügbar.

6                                 Deutsche Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit   Deutsche Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit                                  7
Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...
Digitale Gesamtedition und                                                                        sich konterkarierenden Initiativen begleitet. Die allerwenigsten Handschriften
                                                                                                  kommen daher aus gut dokumentierten, wissenschaftlichen Ausgrabungen.

Übersetzung des koptisch-sahidischen                                                              Noch dazu verkauften Händler, um möglichst viel Profit zu machen, sie in
                                                                                                  kleinen Portionen, nicht selten in Einzelblättern oder -fragmenten. So befindet

Alten Testamentes                                                                                 sich die Masse der erhaltenen koptischen Bibelhandschriften heute nicht mehr
                                                                                                  in Ägypten, sondern ist auf mehr als 100 Museen und Sammlungen vor allem
                                                                                                  in Europa und Nordamerika verteilt. Alle Versuche der Wissenschaft in den
       Die koptische Übersetzung des Alten Testamentes ist eine der ältesten und                  letzten 100 Jahren, die ursprünglichen Kodizes wieder virtuell und in einer
       umfangreichsten Versionen der griechischen Übersetzung der hebräischen                     Publikation zusammenzuführen, scheiterten am Umfang der Aufgabe.
       Bibel, der sogenannten Septuaginta (LXX).                                                  Das Akademievorhaben nimmt sich seit 2015 nun mit Unterstützung der
                         Trotz ihrer sprach-, literatur- und religionsgeschichtlichen             Methoden und Werkzeuge der digitalen Geisteswissenschaften dieser Her-
                         Bedeutung scheiterten alle Versuche zur Rekonstruktion                   ausforderung an. Die einzelnen Handschriftenblätter und Fragmente werden
                         und Edition des koptischen Alten Testamentes bisher an der               in einer Online-Datenbank, dem Virtual Manuscript Room (VMR), gesam-
                         extremen Zerstreuung seiner handschriftlichen Zeugnisse                  melt und katalogisiert. Vertreter eines Handschriftenblattes ist ein digitales
                         auf mehr als 100 Sammlungen weltweit.                                    Surrogat, möglichst ein hochauflösendes Foto, anhand dessen der Bibeltext
                                                                                                  transkribiert und analysiert wird. Dazu konnte das Vorhaben zahlreiche von
                         Da die Septuaginta ab dem 3. Jh. v.Chr. in Ägypten entstand,             Vorgängerprojekten gesammelte Fotos und Archivmaterialien in Göttingen
                         erscheint es fast folgerichtig, dass das seit dem 1. Jh. n.Chr.          zusammenführen und verschiedene Initiativen zur Rekonstruktion der christli-
                         zunehmend christianisierte Nilland mit seiner uralten Lite-              chen Literatur des koptischen Ägyptens in Kooperationen einbinden. Dennoch
                         ratur- und Wissenstradition eine der ersten Übersetzungen                ist es unabdingbar, dass die Spezialisten des Vorhabens einen erheblichen Teil
                         der Bibel in eine Sprache des Christlichen Orients hervorge-             der Sammlungen selbst besuchen müssen, um die oft noch unkatalogisierten
                         bracht hat.                                                              Handschriftenbestände zu erschließen. So wächst der Bestand der bekannten
                         Die ältesten erhaltenen Handschriften aus dem ausgehenden                koptischen Bibelhandschriften jährlich weiter an.
                         3. Jh., aber vor allem aus dem 4. Jh. n.Chr., zeigen uns, dass           Die Handschriften werden virtuell wieder zu Kodizes rekonstruiert, die man am
                         die Übersetzung, sogar in verschiedene Dialekte des Kopti-               Bildschirm durchblättern kann.
                         schen, bereits zu dieser Zeit begonnen worden war. Allein
                         die Übersetzung in den sahidischen Dialekt, die klassische               Auf der Basis des transkribierten Textes wird zunächst eine diplomatische Edi-
                         Literatursprache des christlichen Ägyptens, die gewiss auf               tion erstellt. Die Auswertung der gesamten handschriftlichen Überlieferung
                         die Initiative des in Ägypten besonders erfolgreichen frühen             und der Vergleich mit dem griechischen Septuaginta-Text fließt schließlich in
                         Mönchtums zurückgeht, ist vermutlich vollständig gewesen.                eine kritische Edition der einzelnen Bücher des Alten Testamentes ein. Auf-
                         Die sahidische Übersetzung wurde zur Kirchenbibel des gan-               grund des Textes der Edition wird eine Handausgabe des koptisch-sahidischen
                         zen Landes und sollte es bis zum 12. Jh. bleiben, sowie zur              Alten Testamentes erstellt, die in verschiedene moderne Sprachen (Deutsch,
                         Quelle und Inspiration der gesamten christlichen Literatur in            Englisch, Arabisch) übersetzt wird. Der Wissenschaft wird so der Text der kop-
                         koptischer Sprache. Als umfangreichstes Sprachmonument                   tisch-sahidischen Bibel wiedergewonnen und den koptischen Christen, einer
                         der letzten Phase der ägyptisch-koptischen Sprache ist sie               gegenwärtig immer stärker bedrohten orientalischen Religionsgemeinschaft,
                         zudem eine unschätzbare Quelle sowohl für die ägyptologi-                ihre traditionelle Bibel für das Alte Testament wiedergegeben.
                         sche als auch die allgemeine Sprachwissenschaft.                         Als born-digital Projekt stellt das Vorhaben der internationa-
                         Die koptische Bibelübersetzung zog schon seit dem 17. Jh. das            len Fachwelt überdies eine virtuelle Forschungsumgebung                   Ansprechpartner
                         Interesse europäischer Gelehrter auf sich, und wenigstens seit           zur Verfügung, mit der Wissenschaftler weltweit ihre For-
                                                                                                  schungsergebnisse zur koptischen Bibel wie auch zur kop-                  Prof. Dr. Heike Behlmer
                         dieser Zeit, verstärkt aber im 18., 19. und 20. Jh. wurden zahl-
                                                                                                  tischen Literatur allgemein austauschen können. Fernziel                  Dr. Frank Feder
                         reiche koptische Handschriften nach Europa und Amerika
       gebracht. Die Vermittler waren zunächst katholische Missionare, dann zuneh-                des Vorhabens über den Förderzeitraum des Akademienpro-                   http://coptot.manuscriptroom.com
       mend Reisende und Gelehrte, oft im Auftrag entstehender Sammlungen und                     gramms hinaus ist, in Kooperation mit zahlreichen Partner-
       Museen, die die Handschriften zumeist bei ägyptischen Händlern erwarben.                   projekten, die virtuelle Rekonstruktion der gesamten Literatur
       Dieser Transfer folgte jedoch keiner systematischen oder wissenschaftlichen                in koptischer Sprache.
       Initiative, sondern war unsystematisch und von allen möglichen Zufällen und
8             Digitale Gesamtedition und Übersetzung des koptisch-sahidischen Alten Testamentes   Digitale Gesamtedition und Übersetzung des koptisch-sahidischen Alten Testamentes                   9
Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...
Edition und Bearbeitung
byzantinischer Rechtsquellen
       Die Spuren der Rechtskultur des vergangenen Byzantinischen Reiches
       zu erforschen und zu sichern, ist Aufgabe der Arbeitsstelle "Edition und
       Bearbeitung byzantinischer Rechtsquellen" der Akademie der Wissenschaften
       zu Göttingen.
       Mit der Eroberung Konstantinopels, des alten Byzanz, endete im Jahr 1453
       die Geschichte des von der "Wende" Konstantins zum Christentum ins Leben
       gerufenen Zweiten Rom. Es hatte den Untergang des Ersten Rom, das später
       durch die Krönung Karls des Großen für den lateinischen Westen der Idee
       nach erneuert wurde, um fast genau tausend Jahr überdauert. Damit war der
       Neugründung Konstantins, beschränkt auf den griechischsprachigen Osten
       des römischen Reichs, eine Kontinuität gegeben, deren Bedeutung für den
       Westen, aber insbesondere auch für das heutige Griechenland, den griechisch-
       orthodoxen Osten Europas und die benachbarte islamische Welt nicht leicht
       überschätzt werden kann. Das gilt auch für das damalige Recht.
                                             Die unter dem Namen Corpus Iuris
                                             bekannte Kodifikation des römischen
                                             Rechts durch den oströmischen Kaiser
                                             Justinian (527-565) trug im Westen erst
                                             um 1100 Früchte, als die Wiederent-
                                             deckung ihres Herzstücks, der Digesten,
                                             das Rechtsstudium in Bologna beginnen
                                             ließ und zur Wiederaufnahme (Rezep-
                                             tion) des römischen Rechts in West- und            bis zum 16. Jahrhundert, die gelegentlich immer noch ergänzt werden, zuletzt
       in Mitteleuropa führte. Dagegen beherrschte das lateinischsprachige Gesetz-              1977 durch einen spektakulären Fund in einem Verschlag des Katharinen-
       gebungswerk Justinians den Rechtsunterricht an den Rechtsschulen Konstan-                Klosters auf dem Sinai. Ein Repertorium soll den oft heterogenen Inhalt sämt-
       tinopels und Beryts (Beirut), der auf griechisch erteilt wurde, von Anfang an            licher Handschriften erschließen. Ein erster Teil, bereits 1995 erschienen,
       und brachte alsbald eine eigene, reichhaltige Übersetzungs- und Erläuterungs-            erfasst 327 Handschriften des weltlichen Rechts, ein zweiter und dritter Teil
       literatur hervor. Sie ging zu einem großen Teil in die in der zweiten Hälfte des         (erschienen 2010 und 2017) erschließt weiter 200 Handschriften kirchenrecht-
       9. Jahrhunderts veranstaltete griechischsprachige Rekodifikation des Corpus              lichen (kanonistischen) Inhalts. Die gegenwärtigen Arbeiten konzentrieren
       Iuris ein, die in den 60 Bänden der Basiliken weitgehend erhalten ist, mitsamt           sich auf die Edition des Kanoneskommentars des Aristenos,
       einer Fülle älterer und jüngerer, jeweils aus dem Unterricht hervorgegangener            die kurz vor dem Abschluss steht und den Übergang zur
       Erklärungen (Scholien). Zahlreiche Abhandlungen und eigenständige Rechts-                Erforschung des kanonischen Rechts markiert, sowie auf          Ansprechpartner
       sammlungen wie z.B der Nomos Georgikos und der Nomos Nautikos sind                       die Edition (nebst deutscher Übersetzung) der sog. Eisagoge,    Prof. Dr. Okko Behrends
       Früchte dieser weithin ausstrahlenden Rechtskultur.                                      dem um 900 promulgierten Rechtsbuch. Begleitet werden           ab Herbst 2018 vorauss.
       Ehrgeiziges Ziel der Frankfurter Arbeitsstelle, die aus einem 1974 gegründeten           diese Aufgaben durch themenbezogene Untersuchungen auf          Prof. Dr. Claudia Rapp
       DFG-Projekt hervorgegangen ist und seit 1990 unter der Obhut der                         der Basis der neu erschlossenen Texte.
                                                                                                                                                                http://www.adw-goe.de
       Göttinger Akademie steht, ist eine möglichst vollständige Bestandssicherung              Die Arbeitsstelle verfügt mit den "Forschungen zur byzanti-
       und Erschließung dieser Rechtsquellen.                                                   nischen Rechtsgeschichte" für ihre Zwecke der Edition und
       Die Arbeitsgrundlage liefert eine nahezu lückenlose Sammlung von Mikrofil-               Bearbeitung der Quellen über eine eigene, höchst produktive
       men der gegenwärtig bekannten ca. 760 Handschriften aus der Zeit vom 10.                 Publikationsreihe. 26 Bände sind bisher erschienen.
10                                       Edition und Bearbeitung byzantinischer Rechtsquellen   Edition und Bearbeitung byzantinischer Rechtsquellen                                      11
Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...
Erschließung der Akten
des Kaiserlichen Reichshofrats
       Was wüssten die Menschen in drei- bis vierhundert Jahren über das
       Rechtsleben in Deutschland, wenn ihnen nur das Grundgesetz,
       nicht aber die Urteile des Bundesverfassungsgerichts bekannt wären?
       Ungefähr so ging es bis vor kurzem den Wissenschaftlern, die sich mit der
       Geschichte und Rechtsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
       Nation befasst haben. Von den beiden höchsten Gerichten, dem Reichskam-
       mergericht und dem Reichshofrat, war nur die Rechtsprechungspraxis des
       ersteren durch Erschließung seiner ca. 70.000 Prozessakten bekannt. Weit-
       gehend unbekannt war der nahezu ebenso umfangreiche im Wiener Haus-,
       Hof- und Staatsarchiv befindliche Aktenbestand des Reichshofrats. Erst 1999
                                          begannen Wissenschaftler, zunächst mit
                                          finanzieller Unterstützung durch die                 begünstigte und die nach politischer Selbstständigkeit strebenden Territorial-
                                          Deutsche Volkswagenstiftung, die Judizi-             herren behinderte. Dadurch verlor er an Reputation.
                                          alakten des Reichshofrats zu erschließen.            Stattdessen rückte das Reichskammergericht als nationales Integrationssym-
                                          Diese Arbeit wird seit 2007 durch das For-           bol des Alten Reiches zunehmend in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen
                                          schungsprojekt der Göttinger Akademie                Interesses. Inzwischen besteht in der Fachwelt jedoch Einigkeit darüber, dass
                                          der Wissenschaften "Erschließung der                 die Bedeutung und Leistung des Reichshofrats nicht geringer einzuschätzen
                                          Akten des Kaiserlichen Reichshofrats"                ist als die des konkurrierenden Reichskammergerichts.
                                          fortgesetzt. Auf diese Weise wird die iso-
                                          lierte Betrachtung von nur einem der bei-            Die Aktenerschließung fördert jeden Tag noch nie von der Wissenschaft
                                          den teils miteinander konkurrierenden,               gesichtete Quellen ans Tageslicht.
                                          teils kooperierenden Reichsgerichte lang-            Das Aktenmaterial ist handschriftlich überwiegend in deutscher, teils auch in
                                          sam wieder gerade gerückt. Ob durch die              lateinischer Sprache verfasst. Einige Verfahren sind nur fragmentarisch erhal-
                                          Auswertung der nach und nach erschlos-               ten. Die Mitarbeiter der Arbeitsstelle in Wien studieren jede einzelne Akte,
                                          senen Akten eines Tages die Geschichte               die nicht selten aus bis zu 200 oder mehr Seiten besteht. Sie extrahieren den
                                          und Rechtsgeschichte des Alten Reiches               wesentlichen Akteninhalt nach den für den Reichshofrat leicht modifizierten
                                          neu geschrieben werden muss, bleibt                  sog. "Frankfurter Grundsätzen für die Verzeichnung von Reichskammer-
                                          abzuwarten; aber daran, dass eine Fülle              gerichtsakten". Die Verzeichnungen geben Auskunft über den Verlauf eines
                                          neuer Einsichten über die Epoche gewon-              Prozesses, über die beteiligten Parteien und Anwälte, den Streitgegenstand,
                                          nen werden dürfte, zweifeln die Experten             die Beweismittel, Rechnungen, Rechtsgutachten und schließlich über den
                                          nicht.                                               Umfang einer Akte. Häufig stoßen die Forscher auch auf
                                           Bis heute wähnen sich die Höchstgerichte            bisher unbekannte Bilddokumente, auf Grundrisse von Kir-
                                           Deutschlands nicht in der Tradition                 chen und Klöstern, auf Landkarten, Rechnungen und Siegel,        Ansprechpartner
                                           des Reichshofrats, sondern in der                   die allesamt tiefe Einblicke in das praktische Verfassungs-,
                                                                                                                                                                Prof. Dr. Wolfgang Sellert
                                           des Reichskammergerichts.                           Rechts- und Wirtschaftsleben des Alten Reiches gewähren,
                                                                                                                                                                Prof. Dr. Eva Schumann
                                                                                               das sich auf ein heute 16 europäische Länder umfassendes
                                           Lange Zeit wurde der Reichshofrat                   Gebiet erstreckte. Das Forschungsprojekt soll im Jahre 2024      http://reichshofratsakten.de/
                                           bekämpft, weil er als Instrument des Kai-           abgeschlossen sein. Bis dahin ist geplant, rund 30 Prozent
                                           sers angeblich die katholischen Parteien            des Bestandes der Judizialakten zu erschließen.

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Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...
Frühneuhochdeutsches Wörterbuch                                                          soziale Gegenstände, Ordnungssysteme
                                                                                         und Anerkennungsrelationen; diese sind
                                                                                         wie frnhd. ‚Recht‘, ‚Minne‘, ‚Gnade‘ oder
      Die Lexikographen sind Interpreten, Übersetzer und Vermittler,                     ‚Glaube‘, ‚Herr‘, ‚Knecht‘ oder ‚Hexe‘
      also philologisch und kulturhistorisch hochsensible Wanderer                       nicht klar umrissen, sie gewinnen ihre
      zwischen den historischen Welten.                                                  Konturen und ihre semantischen Offen-
                                                                                         heiten bis hin zu ihrer Existenz erst in der
      Das "Frühneuhochdeutsche Wörterbuch" (FWB) hat den hochdeutschen (im               sprachlichen Interaktion mit anderen;
      Gegensatz zum niederdeutschen) Wortschatz des späten Mittelalters und der          ihre soziale Realität kann dabei existenti-
      beginnenden Neuzeit als Gegenstand (ca. 1350 bis ca. 1650). Es beruht auf          ell relevanter sein als diejenige von Kopf
      einem Korpus von rund 400.000 Seiten Text, das in ausgewogener Verteilung          oder Hals. Man gibt mit dem Gebrauch lexikalischer Ausdrücke gleichzeitig
      alle Textsorten der Epoche, alle ihre Schreib- bzw. Druckerlandschaften und        Handlungsempfehlungen. Der Gebrauch der vorverurteilenden Bezeichnung
      alle ihre noch fassbaren sozialen Schichtungen repräsentiert. Die Anzahl der       hexe kann in einer bestimmten Zeit handlungspragmatisch einen Anfangs-
      damit im Spiel befindlichen lexikalischen Zeichen beläuft sich auf knapp           verdacht in Gang setzen, der im schlimmsten Fall zur Verbrennung der als
      100.000 Einheiten. Mit dieser Korpusgrundlage und mit seinen inzwischen 10         ‚Hexe‘ ertexteten Person führt. Schließlich kennzeichnet man sich und andere
      Bänden (rund 70 % des geplanten Gesamtumfanges) gilt das FWB als Grund-            (mittels der sog. Symptomfunktion) durch die Weise seines Sprechens und
      lagenwerk zur Erschließung des Erbes der kulturgeschichtlich durch Territo-        Schreibens sowohl als Individuum wie als gruppenzugehörig. Wenn etwa eine
      rialisierung, Frühkapitalismus, Humanismus, Renaissance, Reformation u. a.         Person eine andere als Gnadheinz beschimpft, so kennzeichnet sie damit nicht
      hoch differenzierten direkten geschichtlichen Vorstufe der Neuzeit.                nur die andere Person als Protestanten, sondern offenbart sich selbst als Alt-
                                          Der bearbeitete Wortschatz beläuft sich        gläubigen.
                                          auf annähernd 100.000 Einheiten. Jede                                       Dies alles muss der Lexikograph des Frühneu-
                                          dieser Einheiten ist systematisch mehr-                                     hochdeutschen aus der Textwelt der Vergangenheit
                                          deutig, sodass man auf mehrere Hun-                                         erarbeiten und der Gegenwart vermitteln. Dazu
                                          derttausend semantisch identifizierte                                       dient ihm ein ausgefeiltes, lexikographiegeschicht-
                                          lexikalische Zugriffe auf eine sprachlich                                   lich neuartiges und im FWB realisiertes Infor-
                                          verfasste Wirklichkeit kommt. Das FWB                                       mationsprogramm. Dieses Programm betrifft die
                                          ist damit verständnisnotwendiges Tages-                                     Zeichengestalt des Wortes, seine Bedeutung als
                                          werkzeug aller historischer Disziplinen                                     Ganzheit wie in ihren Untergliederungen und
                                          (z.B. der Rechts-, Theologie-, Philosophie-,                                textlichen Feinheiten, ferner die onomasiologische
                                          Literatur- sowie der Medizingeschichte).                                    Vernetzung und die Wortsyntax, schließlich die
                                          Diese historische Wirklichkeit ist vom                                      zeitliche, die sprachgeographische und -soziologi-
                                          Lexikographen differenzsemantisch so                                        sche Gebrauchsdimension der jeweiligen semanti-
      zu erfassen, dass auch dem heutigen Wörterbuchbenutzer die Lebenswelt ver-                                      schen Einheit. Als diesbezügliches Beispiel sei hier
      gangener Sprachepochen als sprachlich / textlich konstituiert vermittelt wird.                                  nur darauf hingewiesen, dass die hochkomplexe
      Der Ausdruck Lebenswelt ist, wie z. B. am Bedeutungsspektrum von arbeit                                         Semantik des frnhd. Wortes got (üblicherweise
      erkennbar wird, maximal umfassend gemeint. Arbeit reicht semantisch von                                         ‚Gott‘) in einigen norddeutschen, thüringischen
      den Geburtsschmerzen bis zum Todeskampf, von Alltagssorgen wie Broter-                                          und schwäbischen Texten auch
      werb und Krieg über die kulturschaffende Kreativität bis hin zu den religiö-                                    ‚Teufel‘ bedeuten kann. Man
                                                                                         erkennt: Jede Gemeinschaft bildet vorhandene Welten nicht          Ansprechpartner
      sen Sinnstiftungsfragen vergangener Epochen, in letzten Verästelungen bis
      hin zur Gärung alkoholischer Getränke. Lexikographen haben aktiven Anteil          nur ab, sie ertextet sie nach je zeittypischen Interessen auch     Prof. Dr. Oskar Reichmann
      an der modernen Traditionsbildung und der damit verbundenen Identitäts-            jeweils neu und gibt sie an Folgegenerationen zu deren Neu-        Prof. Dr. Anja Lobenstein-Reichmann
      und Sinnstiftung. So hat das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch immer fol-             konstitution weiter. Der Lexikograph ist der Wissenschaft-
                                                                                         ler, der diesen Prozess als ewige Arbeit des gestaltenden          http://www.fwb-online.de
      gende Funktionen des Wortschatzes im Blick. Man nimmt mit lexikalischen
      Einheiten Bezug auf vorsprachlich klar umrissene Gegebenheiten des Typs            Sprechens und Schreibens dokumentiert, ihre Produkte als
      ‚Kopf‘, ‚Hals‘, ‚Hand‘ oder ‚Fuß‘. Das wäre die Bezeichnungsfunktion. Man          Sinnangebot bekannt und rezeptionszeitlich zur weiteren
      gestaltet / konstituiert durch die Weise des Sprechens und Schreibens neue         Gestaltung verfügbar macht.

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Kulturelles Erbe mit Zukunft - Forschungsvorhaben im Akademienprogramm Akademie der Wissenschaften zu Göttingen - Akademie der Wissenschaften ...
Gelehrte Journale und Zeitungen                                                                                   und wird in seiner Forschungsdatenbank letztlich die Erschließungsarbeit aus
                                                                                                                     fünf Jahrzehnten vereinen.

   als Netzwerke des Wissens                                                                                         Das Langzeitvorhaben unter der Trägerschaft der Akademie der Wissenschaf-
                                                                                                                     ten zu Göttingen erfolgt in Kooperation mit der Niedersächsischen Staats- und
   im Zeitalter der Aufklärung                                                                                       Universitätsbibliothek Göttingen, der Universitätsbibliothek Leipzig und der
                                                                                                                     Bayerischen Staatsbibliothek München. Diese koordinieren die Digitalisierung
                                                                                                                     der zu bearbeitenden Zeitschriften, wodurch ein direkter Zugriff auf das Digi-
                       "Was ist Aufklärung?" Nicht zufällig wurde die vielleicht berühmteste Frage                   talisat der jeweiligen Rezensionen oder Buchanzeigen aus der Datenbank her-
                       des Jahrhunderts 1784 in einer Monatsschrift ausgeschrieben und daraufhin                     aus ermöglicht wird.
                       von Immanuel Kant beantwortet, denn Zeitungen und Zeitschriften waren
                       längst "die Vorratskammern des menschlichen Verstandes" geworden.
                                          Mit ihrem Hauptanliegen, der Gewinnung und Verbreitung
"Gelehrte Zeitungen blos als Recen-       gelehrten und populären Wissens, fungierten sie als ein
sionen betrachtet, haben einen            'Schlüsselmedium' für den Wissenschaftsbetrieb des 18.
sehr eingeschränkten Gesichtskreiß.       Jahrhunderts.
Nein, sie müssen mehr leisten; man
                                          Sie etablierten eine neue Form gelehrter Netzwerke und
soll aus ihnen das Steigen und Fal-
                                          machten das öffentlich, was Gelehrte zuvor jahrhundertelang
len, die Fortschritte der Kenntnisse,
                                          nur untereinander ausgetauscht hatten. Sie gaben Nachricht
Einsichten und Studien eines Lan-
                                          von Entdeckungen, Experimenten und wurden zu zentralen
des und Volkes beurteilen können."
                                          Foren der Diskussion, die zur Entwicklung einer kritischen
(Christian Gottlob Heyne, Heraus-         Öffentlichkeit und den bürgerlichen Emanzipationsbestre-                   Die Forschungsdatenbank liefert Antworten auf "klassische" Forschungsfra-
geber der "Göttingischen Anzei-           bungen der Zeit beitrugen.                                                 gen, etwa zur Rezeptionsgeschichte einzelner Werke und Autoren, zu Nach-
gen von gelehrten Sachen", 1784)                                                                                     richten aus der Gelehrten Welt und des Buchhandels, zu historischen und
                                       Wie heute gab es auch damals Leitmedien. So zum Beispiel die                  naturwissenschaftlichen Ereignissen oder auch zu einzelnen Diskursen der
                                       1715 gegründeten Leipziger "Neuen Zeitungen von Gelehr-                       Zeit – Fragen etwa zur deutschen Rezeption Voltaires, zur Entstehung von
                       ten Sachen", die seit 1739 bestehenden "Göttingischen Zeitungen/Anzeigen                      Klopstocks "Messias", zur Berufung Albrecht von Hallers nach Göttingen, zu
                       von gelehrten Sachen" (die bis heute von der Akademie der Wissenschaften zu                   Raubdrucken, Preisangaben und Papierqualitäten, zu einzelnen Schauplätzen
                       Göttingen herausgegeben werden und inzwischen das älteste noch bestehende                     des Siebenjährigen Krieges, zum Erdbeben von Lissabon oder dem Leib-Seele-
                       Rezensionsorgan in deutscher Sprache sind) und die ab 1765 in Berlin, Stettin                 Problem.
                       und später Hamburg herausgebrachte "Allgemeine deutsche Bibliothek".
                                                                                                                     Darüber hinaus lädt eine Forschungsdatenbank dazu ein, neue Fragen über-
                       Wer sich der Geschichte der gelehrten Institutionen Europas annähern will,                    haupt erst zu generieren: Welche Gebiete traten wann als neue Wissen-
                       wer personenbezogene Forschung betreibt, oder wen die Rezeptionsgeschichte                    schaftsfächer auf? In welcher Weise werden die 'großen' Streitfälle der Zeit
                       einzelner Werke im 18. Jahrhundert interessiert, kommt an dem gelehrten Blät-                 dokumentiert und welche Rolle spielen hierbei die jeweils veröffentlichenden
                       terwald der Aufklärung kaum vorbei.                                                           Zeitschriften? Welche Zeitschriften nahmen auf einander Bezug und in wel-
                       Seit dem Jahr 2011 werden im Rahmen des Projektes die bedeutendsten                           cher Weise? Was wurde wann ins Deutsche übersetzt? Welche Zeitschriften
                       deutschsprachigen Vertreter der fächerübergreifenden Zeitschriften biblio-                    widmen sich insbesondere der Katholischen Aufklärung?
                       graphisch und inhaltlich erschlossen sowie in digitalisierter Form verfügbar                  Wie ändern sich die Themenschwerpunkte einzelner Zeit-
                       gemacht. So wird in den drei Arbeitsstellen (Göttingen, Leipzig und München)                  schriften in einem bestimmten Zeitraum?                         Ansprechpartner
                       bis zum Jahr 2025 ein Quellenfundus aus insgesamt 323 Zeitschriften entste-                   Mit Hilfe von Facetten, statistischen Auswertungen, Visua-                  Prof. Dr. Thomas Kaufmann
                       hen.                                                                                          lisierungen, interaktiven Histogrammen etc. werden dem                      Dr. Christian Fieseler
                       Das Vorhaben knüpft mit seinem Anliegen, die Entstehung und Strukturen der                    Nutzer komfortable Recherchemöglichkeiten an die Hand                       http://www.gelehrte-journale.de
                       'aufgeklärten Wissensgesellschaft' sichtbar zu machen, an Vorgängerprojekte                   gegeben, die im Zeitalter der Digital Humanities eine Viel-
                       wie den "Index deutschsprachiger Zeitschriften" und den "Systematischen                       zahl interessanter Antworten auf eine über 200 Jahre alte
                       Index zu deutschsprachigen Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts" an                   Frage bieten: "Was ist Aufklärung?".

     16                      Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung   Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung                 17
Germania Sacra                                                                        1917 begannen Wissenschaftler, das verfügbare Quellenmaterial zur Geschichte
                                                                                      der Bistümer, Klöster und Stifte des Reiches aufzubereiten. Paul Fridolin Kehr
                                                                                      (1860-1944) begründete in jenem Jahr am Kaiser-Wilhelm-Institut für deutsche
      Als sich Johannes Schadland nach seiner Wahl zum Bischof von                    Geschichte in Berlin das Projekt Germania Sacra. Er beabsichtigte damit, die
      Hildesheim 1363 nach der Bibliothek seiner Amtsvorgänger erkundigte,            Großprojekte der Kirchengeschichte (Germania Pontificia, Repertorium Ger-
      zeigten ihm seine Berater Waffen, Schilde und Panzer.                           manicum), die er am Preußischen Historischen Institut in Rom und am Vati-
                                                                                      kanischen Archiv etabliert hatte, mit der Landesgeschichte zu verbinden. Von
      Der Bischof, der eine Sammlung theologischer und juristischer Schriften         1956 bis 2007 war das Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte für das
      erwartet hatte, erhielt auf seine verwunderte Frage zur Antwort, dass dies      Unternehmen verantwortlich. 2008 hat die Akademie der Wissenschaften zu
      die Bücher seiner Amtsvorgänger gewesen seien. Die Anekdote zeigt, dass         Göttingen das Langzeitprojekt übernommen.
      Bischöfe im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nicht nur Geistliche waren,
      sondern auch weltliche Landesherren, die ihre Interessen gegebenenfalls mit
      Waffen verteidigten.
      Bischöfe und Domkapitulare, Mönche und Nonnen des Mittelalters und
      der Frühen Neuzeit sind die Protagonisten der Kirchengeschichte des Alten
      Reiches. Die Geschichte dieser Personen und ihrer Institutionen aus unver-
      öffentlichtem Archivmaterial zu heben und darzustellen, ist die Aufgabe des
      wissenschaftlichen Monumentalwerkes Germania Sacra. Es erschließt die
      Quellen der Kirche des Alten Reiches, die einst das Rückgrat der geistlichen
      wie der weltlich-politischen Ordnung bildete. Es schafft die Grundlage für
      künftige Forschungen zur Verfassungs- und Kirchengeschichte, zur Reichs-
      und Landesgeschichte, zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, zur Bildungs-
      geschichte, zur Historischen Geographie, zur Verwaltungsgeschichte und zur
      Siedlungsgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bis zum Beginn
      des 19. Jahrhunderts.

                                                                                      In der Dritten Folge der Germania Sacra sind seit
                                                                                      2008 14 Bände erschienen.
                                                                                      Das Handbuch ist zum unerlässlichen
                                                                                      Nachschlagewerk für alle geworden,
                                                                                      die über die Vormoderne forschen.
                                                                                      Die Germania Sacra an der Akademie der Wissen-
                                                                                      schaften zu Göttingen konzentriert sich inhaltlich auf
                                                                                      die Diözesen und Domstifte des Alten Reiches. Die Hand-
                                                                                      bücher werden hauptsächlich von rund 50 ehrenamtlichen
                                                                                      Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verfasst, von Experten aus     Ansprechpartner
                                                                                      staatlichen und kirchlichen Archiven und Universitäten. Die      Prof. Dr. Hedwig Röckelein
                                                                                      Autorinnen und Autoren werden von der Arbeitsstelle der
                                                                                      Akademie der Wissenschaften zu Göttingen inhaltlich und          http://www.germania-sacra.de
                                                                                      redaktionell unterstützt. Die Bände sind online abrufbar und
                                                                                      durch Datenbanken zum geistlichen Personal und zu Klös-
                                                                                      tern und Stiften im Alten Reich erschlossen.

18                                                                   Germania Sacra   Germania Sacra                                                                                19
Goethe-Wörterbuch
      Johann Wolfgang von Goethe behauptete, er habe bei all seinen Versuchen
      und Bestrebungen nur ein einziges Talent der Meisterschaft nahe gebracht:
      "deutsch zu schreiben".
      Das "Goethe-Wörterbuch" ist wohl die größte Bestätigung für diese Meister-
      schaft. Seit 1946 werden in dem gleichnamigen Forschungsprojekt, das die
      Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, die Heidelberger
      Akademie der Wissenschaften und die Akademie der Wissenschaften zu
                                  Göttingen gemeinsam betreuen, alle von ihm            Wie jeder Autorwortschatz hat auch derjenige Goethes
                                     verwendeten Wörter erfasst und beschrie-           eine unverwechselbare eigene Physiognomie.
                                        ben. Es ist ein echtes Grundlagenwerk           Auffällig sind zunächst eine große Anzahl von autorenspezifischen Ad-hoc-
                                          aus alphabetisch geordneten Artikeln,         Wortbildungen: So machen nur einmal oder selten belegte Wörter rund zwei
                                           deren Hauptbestandteile die sorgfäl-         Drittel der Artikel aus. Dabei findet sich viel Sprachspielerisches, auch Hoch-
                                            tige Bedeutungsauffächerung und die         poetisches – Bildungen wie Brandschandemalgeburt oder Fettbauch-Krumm-
                                              reiche Belegdokumentation darstel-        bein-Schelm. Viele Wörter stammen aus der Menge der diversen Fach- und
                                              len. Das Goethe-Wörterbuch kann                                            Sachgebiete, für die sich Goethe neben der
                                              darüber hinaus auch als Referenz-                                              Literatur interessierte: von Anatomie und
                                              werk für die Sprachepoche Goethes                                                  Botanik über Geologie, Malerei und
                                              überhaupt angesehen werden.                                                          Münzkunde sowie Ökonomie und
                                                Indem es die Begriffe und Ideen,                                                      Theater bis Zoologie.
                                                die Gefühlswelt und die historisch-                                                     So erfährt der Leser beispiels-
                                                gesellschaftlichen Umstände                                                              weise im Artikel Chirurg
                                                erschließt, eröffnet es Zugänge                                                          zugleich auch etwas über die
                                                zur Kulturgeschichte um 1800.                                                             Entwicklung der Medizinge-
                                                Das Wörterbuch dient damit litera-                                                        schichte zur Goethezeit, wäh-
                                                turwissenschaftlichen, sprachwis-                                                        rend Wörter wie Drahtseil oder
                                                senschaftlichen und allgemein                                                            Kehrrad aus von Goethe mitver-
                                                kulturwissenschaftlichen Interes-                                                       antworteten amtlichen Berich-
                                                sen. Zugleich ist das Nachschla-                                                       ten über die Arbeit der Weimarer
                                                gewerk eine Fundgrube für jeden                                                     Bergwerkskommission stammen
                                                Goethe-Freund. Goethes schriftliche                                               und sich auf entsprechende Gerät-
                                                (und mündliche) Hinterlassenschaft                                             schaften im Bergbau beziehen. Ebenso
                                                liegt so gut wie vollständig in hoher                                      vielgestaltig wie die Sachbereiche sind auch
                                                wissenschaftlicher Qualität ediert                                  die von Goethe behandelten
                                                vor. Im Vergleich zu bisher bilan-      Textsorten, die alle zur ungeheuren Sprachfülle beitragen:
                                                                                        neben den eigentlich literarischen Textsorten (und Goethe           Ansprechpartner
                                                zierten Wortschätzen anderer Auto-
      ren ist Goethes Wortschatz mit über 90.000 Wörtern außergewöhnlich groß;          schrieb in fast allen zeitgenössischen literarischen Genres!)       Prof. Dr. Jochen A. Bär
      für Luthers deutsche Schriften sind 23.000 Wörter gezählt worden, für Storm       auch Essays, Rezensionen, Reden, Erlasse, Aktennotizen,             Dr. Christiane Schlaps
      (ohne die Briefe) 22.400, für Ibsen 27.000, für Shakespeare 29.000, für Milton    terminologische Nomenklaturen usw. Insgesamt illustriert
                                                                                                                                                            gwb.adw-goe.de
      12.500, für Puschkin 21.200 und für Cervantes 12.400. Dabei stammen rund 40       das Goethe-Wörterbuch als umfassendes Kompendium zum
      Prozent der drei Millionen für das Archiv des Goethe-Wörterbuches exzerpier-      Goetheschen Kosmos eine ansonsten im Deutschen uner-
      ten Wortbelege aus seinem literarischen Werk, der andere Teil aus den Briefen,    reicht gebliebene Sprachkompetenz.
      Tagebüchern, naturwissenschaftlichen und amtlichen Schriften.

20                                                                  Goethe-Wörterbuch   Goethe-Wörterbuch                                                                             21
Johann Friedrich Blumenbach – Online                                                       Eine Besonderheit der Edition stellt die Verlinkung von Blumenbachs Texten
                                                                                           mit den von ihm gesammelten naturhistorischen Objekten dar.
                                                                                           Denn Blumenbachs Forschung basiert wesentlich auf der genauen Untersu-
       In einer Fußnote zur vierten Auflage seines "Handbuchs der Naturgeschichte"         chung der Objekte, nicht mehr wie bis dahin nur auf den Schriften anderer
       merkt Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840) an, dass die Entstehung               Naturforscher. Konsequenterweise sammelte Blumenbach deshalb mit gro-
       der Arten, ja überhaupt des Lebens, auf natürliche Gesetzmäßigkeiten                ßem Aufwand Objekte von allen Kontinenten. Blumenbachs Werk ist daher
       zurückgeführt werden kann.                                                          auch eine Quelle für die Geschichte der Entdeckungen und des Kolonialismus.
                                           Blumenbach war nicht der erste, der sol-        So erhielt er beispielsweise eines der ersten Exemplare des in Australien ent-
                                           che Gedanken formuliert hat. Aber er war        deckten Schnabeltiers. Er beschrieb es und gab ihm seine wissenschaftliche
                                           einer der einflussreichsten Naturforscher       Bezeichnung. Im Rahmen der Forschungsarbeiten werden Blumenbachs
                                           in der Zeit zwischen Linné und Darwin.          Sammlungen digitalisiert sowie fachwissenschaftlich und wissenschaftshisto-
                                           Von ihm haben Goethe und die Brüder             risch erschlossen und mit seinen Schriften verknüpft. Erst durch die Verknüp-
                                           Humboldt gelernt, wie die Natur zu erfor-       fung von Texten und Objekten wird deutlich, welche Objekte Blumenbach zu
                                           schen ist, von ihm haben die Gegner der         welchem Zeitpunkt kannte, wann er sie wissenschaftlich bearbeitete, was er für
                                           Sklaverei die Argumente übernommen,             auffällig hielt und was er vernachlässigt hat.
                                           dass die Menschen in der Vielfalt ihrer
                                           Erscheinungen eine Familie bilden, alle
                                           miteinander verwandt, alle auch physisch
                                           gleich seien. Blumenbach hat das Denken
                                           über die Natur für ein ganzes Jahrhundert
                                           geprägt.
                                           Blumenbachs Schriften und seine natur-
                                           kundliche Sammlung sind ein einmaliges
                                           Zeugnis für das Denken über die Natur
                                           vor Darwin und zugleich ein Zeugnis der
                                           europäischen Dimension der damaligen            Während Blumenbachs Forschungsergebnisse inzwischen zum Allgemein-
                                           Gelehrtenrepublik im kolonialen Zeitalter.      wissen gehören, wird sein Name in öffentlichen Debatten um sogenannte
                                                                                           Menschenrassen immer wieder genannt. Tatsächlich hat sich Blumenbach
                                            Bisher standen diese Quellen den Wissen-       seit seiner Doktorarbeit mit der Variationsbreite innerhalb der Spezies Mensch
                                            schaftlern nicht ohne gehörigen Recher-        beschäftigt. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass es zwischen den menschli-
                                            cheaufwand zur Verfügung. Anfang 2010          chen Varietäten unendlich viele Übergänge gibt. Die Unterschiede im Phäno-
                                            haben die Mitarbeiter des Forschungsvor-       typ des Menschen erklärt Blumenbach durch den Einfluss der Umwelt (Klima,
                                            habens "Johann Friedrich Blumenbach            Ernährung etc.). Die Vielfalt des Phänotyps lässt keine Rückschlüsse auf phy-
                                            – Online" der Göttinger Akademie damit         siologische oder morphologische und anatomische Unterschiede zwischen
                                            begonnen, so ziemlich alles Wissens-           den Menschen zu. Blumenbachs Schriften wurden daher von den Abolitionis-
                                            werte über Blumenbach zusammenzutra-           ten, den Gegnern der Sklaverei, vielfach zitiert. Alexander von
                                            gen und für das Internet aufzubereiten.        Humboldt trat in die Fußstapfen seines Lehrers Blumenbach,
                                            So entsteht eine Neuausgabe von Blu-           zog allerdings offen gegen die Ungleichbehandlung von Men-        Ansprechpartner
       menbachs Originaltexten, inklusive der Folgeauflagen, in die Blumenbach             schen zu Felde, während Blumenbach stets ein Mann der
       das jeweils neueste Wissen eingearbeitet hat, nebst der zahlreichen Überset-        leisen Töne war. Inzwischen ist das Projekt auch zur Anlauf-      Prof. Dr. Gerhard Lauer
       zungen in viele der europäischen Sprachen. Darüber hinaus dokumentiert die          stelle internationaler Forscher geworden, die sich mit dem        Prof. Dr. Wolfram Horstmann
       Ausgabe Blumenbachs Korrespondenz und erschließt die zeitgenössische wie            Thema Rassismus beschäftigen.                                     http://www.blumenbach-online.de
       die spätere Rezeption seiner Arbeit.

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Karl-Jaspers-Gesamtausgabe (KJG)
       Von der Psychiatrie über die Philosophie zur Politik.
       Der in Oldenburg geborene Philosoph, Psychiater und politische Schriftstel-
       ler Karl Jaspers (1883-1969) hat gemessen an seiner breiten internationalen
       Rezeption in der akademischen Philosophie Deutschlands erstaunlich wenig
       Resonanz gefunden. Zwar war in der Nachkriegszeit bis zu seinem Tod das Inte-
       resse an Jaspers’ politischen und zeitkritischen Schriften öffentlich wirksam,
       doch das philosophische Forschungsinteresse blieb weltweit auf einige wenige
       Wissenschaftler beschränkt. Erst durch internationale Kongresse, beginnend
       1983 anlässlich seines 100. Geburtstages in Basel, Heidelberg, Oldenburg und
       beim Weltkongress in Montreal, und den seit 2000 zweijährlich stattfindenden
       internationalen Karl Jaspers-Symposien im elsässischen Schloss Klingenthal
       der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Stiftung Basel, hat sich diese Situation in
       der Zwischenzeit deutlich gewandelt, und eine junge Forschergeneration hat            Während Heidelberg und Basel die beiden Wirkungsstätten seines Schaffens
       ihr Interesse für Jaspers neu entdeckt.                                               waren, konnte sich Jaspers’ Geburtsstadt Oldenburg anlässlich der umfangrei-
                                                                                             chen Feierlichkeiten zum 125sten Geburtstag von Jaspers einen Namen machen,
       Ausschlaggebend ist hierfür nicht nur die steigende Aktualität der Schriften          als im Rahmen des "Jaspers-Jahres 2008" etwa 100 Jaspersforscher*innen aus
       von Jaspers, der unlängst in einer Rezension der KJG zum "Philosophen der             aller Welt für Vorträge und Workshops zu Gast waren. Dieses Engagement
       Stunde" ausgerufen wurde, sondern auch die enorme Spannweite seines Den-              mündete ein Jahr später in den Erwerb von Jaspers’ Privatbibliothek aus dem
       kens, die Texte zur Psychiatrie, Psychologie, Existenzphilosophie, Metaphysik,        Besitz seines letzten persönlichen Assistenten Hans Saner sowie in die eigens
       Geschichtsphilosophie, Philosophiegeschichte und Politik umfasst und sich             der Aufstellung der Bibliothek gewidmete Einrichtung eines Oldenburger Karl
       neben den Druckschriften auch in dem überaus umfangreichen Nachlassma-                Jaspers-Hauses.
       terial und zahlreichen Briefwechseln zeigt.
                                                                                             Mit der Privatbibliothek von Karl Jaspers verfügt dieses Haus über eine reich-
       Um dieses breite Spektrum abzubilden, seinen Zusammenhang offen zu                    haltige Recherchequelle für die Klärung werkgeschichtlicher Forschungsfragen.
       legen und angemessen würdigen zu können, wurde auf Anregung und unter
       Mitarbeit der Karl Jaspers-Stiftung Basel ein Antrag für eine kommentierte            Da Jaspers, wie Hans Saner berichtete, "mit dem Bleistift gelesen" hat, kön-
       Gesamtedition der Werke sowie des Nachlasses und der Briefwechsel in Aus-             nen über die Sichtung und Systematisierung der angestrichenen Textstellen
       wahl erarbeitet, der im November 2011 mit einer Laufzeit von 18 Jahren bewil-         und unter zusätzlicher Berücksichtigung des im Deutschen Literaturarchiv
       ligt wurde.                                                                           Marbach aufbewahrten Nachlasses und Briefwechsels neue Erkenntnisse über
                                                                                             Leben und Werk von Karl Jaspers und dessen Denkweg gewonnen werden. Als
       Die auf 50 Bände angelegte kommentierte Gesamtausgabe verfolgt das Ziel,              erstes Teilprojekt wurde in Oldenburg der Band "Schriften zur Universitäts-
       eine verbindliche, nach einheitlichen Kriterien aufgebaute Edition des Wer-           idee" erstellt und kommentiert, der die drei Fassungen der Idee der Universität
       kes von Karl Jaspers zu erarbeiten, die alle relevanten Texte in ihrem Kontext        aus den Jahren 1923, 1946 und 1961 sowie dreizehn Vorträge,
       erschließt, einleitend erklärt, ausführlich kommentiert und dadurch als syste-        Aufsätze und Interviews umfasst. Der Band wurde Anfang
       matisch vernetztes Ganzes verfügbar macht.                                            des Jahres 2016 publiziert. Derzeit wird in Oldenburg das         Ansprechpartner
       Diese Gesamtausgabe (KJG) wird die von Jaspers selbst veröffentlichten Schrif-        1919 erschienene Frühwerk "Psychologie der Weltanschau-           Prof. Dr. Reinhard Schulz
       ten sowie eine prägnante, thematisch breit angelegte Auswahl der noch nicht           ungen" bearbeitet, das werkgeschichtlich den Übergang von         Dr. Oliver Immel
       oder nur teilweise edierten Nachlasstexte und der Korrespondenz enthalten.            der verstehenden Psychologie zur Existenzphilosophie mar-
                                                                                                                                                               https://adw-goe.de/forschung/
                                                                                             kiert.
       Seit April 2012 betreut die Heidelberger Akademie der Wissenschaften das                                                                                forschungsprojekte-akademien
       Projekt an den Standorten Heidelberg und Oldenburg, seit Januar 2015 in                                                                                 programm/jaspers-edition/
       Kooperation mit der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.

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Katalogisierung der Orientalischen                                                              Über zehntausend Texte sind noch unka-
                                                                                                talogisiert, unter anderem auch deshalb,

Handschriften in Deutschland                                                                    weil es für bestimmte verhältnismäßig
                                                                                                große Sprachgruppen (zum Beispiel
                                                                                                osmanische Texte) keine hauptamtlichen
                                                                                                Bearbeiter gibt. Um der immensen Zahl
       In deutschen Bibliotheken, Museen, Akademien und Archiven lagern
                                                                                                der nichterfassten Handschriften zumin-
       Handschriften, die viel über Geschichte und Gegenwart des Orients
                                                                                                dest halbwegs gerecht zu werden, gehen
       verraten können.
                                                                                                die Wissenschaftler seit 2016 dazu über,
       Doch wie können Forscher diese finden? Bis heute ist ein Großteil der Manu-              durchschnittlich wirkende Handschriften
       skripte nicht einmal in einem Verzeichnis erfasst, oft weiß selbst die Biblio-           eher knapp in Datenbanken zu erfassen
       thek nicht, welche Schätze sie möglicherweise beherbergt. Die Zahl der in                und nur noch kodikologisch oder inhalt-
       Deutschland auf diese Weise begrabenen Handschriften allein in arabischer,               lich herausragende Stücke in gedruckten
       persischer und türkischer Sprache geht in die Tausende. Wissenschaftler haben            Bänden zu bearbeiten. Bis zum Abschluss
       also nach wie vor nur begrenzt die Möglichkeit, sich einen Überblick über das            des Projektes im Jahre 2022 werden so
       vorhandene Quellenmaterial zu verschaffen. Für die Orientalistik bergen diese            wenigstens für die meisten großen Sprach-
       unbekannten Schriften einen Unsicherheitsfaktor, der Forschungsergebnisse                gruppen die handschriftlichen Schätze in
       von einem Tag auf den anderen hinfällig werden lassen kann. Allerdings sind              Deutschland katalogisiert sein.
       Experten seit einem halben Jahrhundert dabei, die Bestände schrittweise der
                                                                                                Diese geistes- und kulturgeschichtlichen
       wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
                                                                                                Primärquellen sind vor allem für Historiker
                                            Im Jahr 1957 beschloss die Deutsche For-            und Religionswissenschaftler, aber auch
                                            schungsgemeinschaft (DFG), die noch                 für Forscher aus anderen Fächern wie
                                            nicht erfassten orientalischen Handschrif-          zum Beispiel Geschichte der Geographie,
                                            ten zu ermitteln und zu katalogisieren; das         Technik, Medizin und Naturwissenschaf-
                                            Unternehmen bekam den Namen "Katalo-                ten von Interesse.
                                            gisierung der Orientalischen Handschrif-
                                                                                                Darüber hinaus dient die so ans Licht
                                            ten in Deutschland". Bis 1989 wurde das
                                                                                                gebrachte Vergangenheit auch als Grund-
                                            Projekt durch die DFG finanziert, danach
                                                                                                lage für Antworten auf Gegenwartsfra-
                                            wurde es in das Akademienprogramm
                                                                                                gen. Für das Verständnis des Rechts in
                                            überführt, die Verantwortung hat seitdem
                                                                                                den modernen islamischen Staaten zum
                                            die Akademie der Wissenschaften zu
                                                                                                Beispiel – Stichworte: Eherecht, "Heiliger
                                            Göttingen. Inzwischen hat das Unter-
                                                                                                Krieg", Abfall vom Glauben – ist die Islamwissenschaft auf
                                            nehmen durch die Ausführlichkeit und
                                                                                                die Kenntnis des klassischen islamischen Rechts angewiesen.
                                            Qualität der Beschreibungen und die
                                                                                                Abgesehen von solchen aktuellen Bezügen ist die Arbeit mit
                                            kontinuierliche Arbeit über Fächergren-
                                                                                                den alten Manuskripten lebendiger, als man zunächst meinen
                                            zen hinweg weltweit Maßstäbe für die
                                                                                                möchte. Im Unterschied zu gedruckten Editionen weisen die
                                            Katalogisierung gesetzt.
                                                                                                Handschriften oft Manipulationen am Text, Abweichungen,           Ansprechpartner
                                            Bis heute sind von den Mitarbeitern der             Zusätze und Leser- sowie Besitzvermerke auf und machen
                                            Arbeitsstellen in Göttingen, Berlin, Bonn,          den kulturellen und sozialen Hintergrund des Mediums              Prof. Dr. Tilman Seidensticker
                                            Hamburg, Jena, Köln und Marburg 168                 Handschrift sichtbar.                                             http://adw-goe.de/forschung/
                                            Katalogbände von Handschriften in 33
                                                                                                                                                                  forschungsprojekte-akademien
                                            Sprachgruppen (und 52 Supplement-
                                                                                                                                                                  programm/kohd/
                                            Bänden, die ergänzende Studien meist
                                            zu einzelnen Handschriften enthalten)
                                            erstellt worden.

26                            Katalogisierung der Orientalischen Handschriften in Deutschland   Katalogisierung der Orientalischen Handschriften in Deutschland                              27
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