Leben mit Zukunft Tiroler Nachhaltigkeits- und Klimastrategie - Land Tirol
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Impressum Impressum Medieninhaber (Verleger): Amt der Tiroler Landesregierung Für den Inhalt verantwortlich: Christian Bidner, Abt. Landesentwicklung, Heiliggeiststraße 7-9, A-6020 Innsbruck Bearbeitung und Redaktion: Christian Dobler, Patricia Salcher, Jakob Egg, Leo Satzinger, Ekkehard Allinger-Csollich, Rainer Seyrling, Thomas Schnitzer-Osl, Martin Traxl, Ferdinand Thaler, Martin Gassner, Michael Bürger, Simon Obenaus, Lina Horn Gestaltung Grafik/Umschlag: Carina Peer Grafikdesign Grafik/Satz Innenseiten: Carina Peer Grafikdesign Druck: Sterndruck GmbH Zillertal, September 2021 Bildverzeichnis: Alpbachtal Tourismus/Johann Erhard (Deckblatt), Land Tirol/G.Berger (S. 1, 2, 3), shutterstock.com/ Tsetso Photo (S. 18), Klimabündnis Tirol/Lechner (S. 26), shutterstock.com/PHG Pictures (S. 35), shutterstock.com/Nico- ElNino (S. 42), shutterstock.com/Halfpoint (S. 50), Land Tirol/Die Fotografen (S. 59) Gedruckt nach der Richtlinie des Österreichischen Umweltzeichens „Druckerzeugnisse“, Sterndruck GmbH, Nr. UW 1017
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Vorwort 1 1. Eine Zukunftsstrategie für Tirol 4 2. Leitlinien 8 3. Ziele und Handlungsfelder 17 3.1 Energie und Klimaschutz 18 3.2 Mobilität und Infrastruktur 26 3.3 Gebäude und Raumordnung 35 3.4 Wirtschaft und Regionalentwicklung 42 3.5 Klimawandelanpassung 50 3.6 Landesverwaltung als Vorbild 59 4. Leuchtturmprojekte 62 5. Monitoring und Evaluierung 71 Literaturverzeichnis 72 Anhang 75
1 | Vorwort Ein enkeltaugliches Tirol Günther Platter Landeshauptmann Sehr geehrte Damen und Herren! Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind zentrale Zukunfts- Entwicklung, die für Tirol besonders wichtig sind und bei themen für das Land Tirol. Auf der ganzen Welt arbeiten denen wir auch faktische wie rechtliche Handlungsmög- Staaten und Regionen Pläne und Strategien für eine nach- lichkeiten haben. haltige Entwicklung aus. Tirol ist hier längst mit dabei. Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir den Lebens- und Wirt- Die Tiroler Landesregierung hat bereits im Jahr 2012 – als schaftsraum Tirol langfristig stärken. Gleichzeitig geht es erstes österreichisches Bundesland – eine erste eigene dabei immer darum, dass wir unseren Nachkommen ein Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. 2014 haben wir lebenswertes Umfeld übergeben – Stichwort enkeltaug- uns dazu bekannt, bis zum Jahr 2050 energieautonom zu liches Tirol. werden und uns vollständig von fossilen Energieträgern zu verabschieden. Die nachhaltige Entwicklung unseres Landes hat eine so- ziale, wirtschaftliche und ökologische Dimension und be- Im Dezember 2019 haben wir schließlich die Entwicklung trifft jede einzelne Tirolerin und jeden einzelnen Tiroler. einer gesamthaften Tiroler Nachhaltigkeits- und Klima- strategie in Auftrag gegeben, die nun auf Basis einer brei- Als Weg für die Zukunft kann uns eine solche nur gemein- ten Beteiligung der Tiroler Bevölkerung und unter Einbin- sam gelingen. Packen wir es an. dung vieler verschiedener Interessensvertretungen sowie Fachexpertinnen und Fachexperten erarbeitet wurde. Die vorliegende Strategie greift Ziele, Ansätze und Im- pulse der internationalen, europäischen und nationalen Ebene auf und ist eine notwendige Ergänzung in Hand- lungsfeldern wie der Energiewende, der Mobilität oder der regionalen Wertschöpfung und wirtschaftlichen
Vorwort | 2 Der Kompass für eine nachhaltige Zukunft Ingrid Felipe Landeshauptmann-Stellvertreterin Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist mir eine große Freude, dass es hiermit gelungen ist, intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und alles eine gemeinsame Tiroler Nachhaltigkeits- und Klimastra- noch einmal kritisch hinterfragt und damit einen wichti- tegie präsentieren zu können, die Tirol den Weg in eine gen Beitrag geleistet haben. Nicht zuletzt danke ich auch nachhaltige Zukunft weist. der Abteilung Landesentwicklung mit dem Fachbereich Nachhaltigkeits- und Klimakoordination für die exzellente Eine Zukunft, die schon jetzt geprägt ist vom Klimawan- Koordinierung der Prozesse. del und damit einhergehenden Herausforderungen und notwendigen Anpassungen. Nahezu alle Bereiche sind Ich möchte bei aller Freude aber auch die Aufmerksam- betroffen und ein System- und Wertewandel unaus- keit darauf lenken, was zu tun ist und bleibt. Bis Ende weichlich. Eine neue Kultur des Teilens und eine Abkehr dieses Jahres wird die Strategie in einen ersten Teil von von quantitativem Wachstum hin zu Wertschätzung und konkreten Umsetzungsmaßnahmen gegossen. Wertschöpfung und einer neuen Lebensqualität ist ge- reift. Umso mehr braucht es in diesen Zeiten der Verän- derung einen Kompass, der uns hilft, uns neu aus- und einzurichten in einem nachhaltigen Lebensstil. Mein besonderer Dank gilt dem außerordentlichen En- gagement in den einzelnen Arbeitsgruppen und Be- teiligungsworkshops, Ziele und Leitlinien präzise zu er- arbeiten und zu formulieren, sowie Handlungsfelder zu definieren. Mein Dank gilt auch all den Einzelpersonen, die sich im Rahmen der öffentlichen Beteiligung und Begutachtung
3 | Vorwort Nachhaltig in eine zukunftsfitte Wirtschaft Anton Mattle Wirtschaftslandesrat Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem European Green Deal gibt es einen europäischen hocheffiziente Alternativsysteme und reduzieren zugleich Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft. Dieser Fahr- langfristig die Betriebskosten. Eine große Rolle spielt auch plan widmet sich vor allem der Herausforderung, dass alle das Potenzial der Wasserkraft. Wirtschaftssektoren einen Beitrag leisten müssen, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Die Republik Österreich hat Wir wollen etwa mit der Wirtschaftsförderung gezielt In- hier sogar eine ambitioniertere Position eingenommen novationen und Initiativen unserer heimischen Unterneh- und sich zur Erreichung des Ziels der Klimaneutralität men anstoßen, die den Klimaschutz voranbringen. Unser schon im Jahr 2040 bekannt. Credo lautet, dass wir den Klimawandel vor allem mit An- reizen bekämpfen. Dieser Herausforderung stellen auch wir uns im Land Tirol und wollen hier sehr präzise und mit Hausverstand vor- Wir haben in Tirol Hochschulen und Unternehmen, die gehen. Wir müssen dabei insbesondere gewährleisten, zusammen in der Lage sind, im Energie- und Nachhaltig- dass unser Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig bleibt keitsbereich mit innovativen Lösungen zu punkten. Die- und wir Arbeitsplätze absichern. ses Know-how hilft uns dabei, Umweltprobleme zu lösen und den Klimaschutz voranzutreiben. Klar ist für mich als Landesrat: Wirtschaft, Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind kein Widerspruch, Tirol geht den konsequenten Weg in Richtung einer nach- sondern gehören zusammen. haltigen und klimaneutralen Zukunft – und das aktiv und voller Tatendrang! Das Land Tirol fördert gezielt klimafreundliche Energie- und Wärmesysteme. Wir verabschieden uns zunehmend von fossilen Energieträgern und setzen dadurch auch ökologische Impulse zur Belebung der heimischen Bau- und Energiewirtschaft, schaffen Anreize zum Umstieg auf
Eine Zukunftsstrategie für Tirol | 4 1. Eine Zukunftsstrategie für Tirol nationaler, europäischer als auch nationaler Ebene be- legen mittlerweile, dass die Kosten für wirksamen Kli- maschutz deutlich geringer sind als die Folgekosten des 1.1 Kontext und Ausgangslage Nicht-Handelns (z. B. Steininger et al. 2020; COACCH 2018; Jakob et al. 2012). Eine ambitionierte, auf dem Die zunehmende Globalisierung und die zahlreichen Prinzip der Nachhaltigkeit basierende Klimaschutzpoli- ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausfor- tik bringt positive Effekte auf das Wirtschaftswachstum, derungen, sowohl auf der globalen als auch der regio- die Qualität des Wirtschaftsstandortes sowie die Be- nalen und lokalen Ebene, machen deutlich, dass wir in schäftigung mit sich. Ökonomisch betrachtet nutzt Kli- vielen Bereichen neue Wege einschlagen müssen. Dies maschutz der Wirtschaft also mehr als er ihr schadet. betrifft neben der Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Mit Investitionen in eine klimaneutrale Zukunft eröffnen Gesellschaft vor allem auch unser eigenes Verhalten sich für die heimische Wirtschaft eine Reihe von Chan- und Handeln. Die Veränderung des eigenen Verhaltens cen, die es bestmöglich zu nutzen gilt. stellt einen der schnellsten Wege zur Forcierung einer nachhaltigen Entwicklung dar. Voraussetzung dafür sind Im September 2015 verabschiedete die internationa- geeignete Rahmenbedingungen und akzeptable Hand- le Staatengemeinschaft die Agenda 2030 für nachhal- lungsalternativen. tige Entwicklung mit ihren 17 ökonomischen, sozialen und ökologischen Entwicklungszielen („Sustainable Die Klimakrise zählt zu den größten und am schwierigs- Development Goals“, SDGs). Mit diesem „Weltzukunfts- ten zu lösenden Herausforderungen unserer Zeit und vertrag“ wurde erstmals ein globaler Handlungs- und hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Ihren Aus- Orientierungsrahmen für nachhaltige Entwicklung ge- gang nahm diese Entwicklung mit der Auslagerung der schaffen. Mit der Agenda 2030 soll allen Menschen ein Kraft aus dem menschlichen und tierischen Organismus menschenwürdiges Leben ermöglicht werden und dabei auf Kraftmaschinen. Damit begann die Geschichte der gleichsam die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft raschen und großflächigen Inanspruchnahme von Ener- bewahrt werden. Die Unterzeichnung des Abkommens giequellen. Zunächst der massenhaft unter Tage abge- durch alle 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen bauten Kohle, mit deren Verbrennung der eingehauste unterstreicht die hohe politische Relevanz einer nach- Wasserdampf durch seinen Ausdehnungsdruck Maschi- haltigen Entwicklung. nen betreiben konnte. Der Kohle folgten ab dem späte- ren 19. Jahrhundert die Erdöle und Erdgase als weitere Wenige Monate später, im Dezember 2015, wurde mit fossile Energieträger. Anders als die Erde als Trägerin des dem Pariser Klimaabkommen ein völkerrechtlich bin- langsamen Wachstums eigneten sie sich zur schnellen dender, globaler Rahmen für den Weg in eine treib- Verbrennung und zur Erzeugung augenblicklicher Effek- hausgasneutrale Zukunft gelegt. Die Begrenzung der te. Die Urszene des beginnenden Erdölzeitalters spiel- globalen Erwärmung auf unter 2 °C, möglichst sogar auf te sich 1859 in Titusville, Pennsylvania ab, als bei einer 1,5 °C, gegenüber vorindustriellen Werten, stellt ein we- Bohrung die erste Ölquelle und mit ihr das erste große sentliches Ziel des Abkommens dar. Die Staaten einigten neue Ölfeld der Neuen Welt erschlossen wurde. Das war sich darauf, dass die globalen Treibhausgas-Emissionen der Beginn der rasch und weltweit sich verbreitenden so bald wie möglich ihr Maximum erreichen und bis Fossilregime mit den damit verbundenen Treibhausgas- Mitte des 21. Jahrhunderts auf (netto) null gesenkt wer- ausstößen, die einerseits zum Aufbau einer „Komfort- den. Darüber hinaus sollen die Fähigkeiten der Länder zivilisation“ und andererseits zu den menschengemach- zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels gestärkt ten Klimaveränderungen mit allen bekannten Gefahren werden. für Atmosphäre, Umwelt und Natur geführt haben. Beide Abkommen, die UN-Agenda 2030 und das Pariser Klimaschutz und Klimawandelanpassung stellen The- Klimaabkommen, stellen Meilensteine für die Nachhal- men der nächsten Jahre und Jahrzehnte für Gesellschaft, tigkeits- und Klimapolitik dar und belegen einen glo- Wirtschaft und Politik dar. Die heutige Generation steht balen Schulterschluss bei diesen zentralen Herausfor- dabei in der Verantwortung, die Erderhitzung zu begren- derungen. Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind damit zen und zu verhindern, dass nachfolgende Generationen keine optionalen Handlungsfelder mehr, sondern eine einer nicht mehr beherrschbaren Klimaänderungsdyna- Verpflichtung für unsere globale Gesellschaft. Die vor- mik gegenüberstehen. Deshalb müssen wir alles tun, liegende Tiroler Nachhaltigkeits- und Klimastrategie ori- um Tirol als lebenswertes, sozial gerechtes, ökologisch entiert sich an diesen zwei internationalen Abkommen, vielfältiges und wirtschaftlich leistungsfähiges Land zu nimmt Impulse auf und verdeutlicht die Beiträge der Ti- erhalten und zu stärken. roler Landesregierung zu deren Umsetzung. Klimaschutz und wirtschaftliche Interessen sind dabei keine Gegensätze. Zahlreiche Studien, sowohl auf inter-
5 | Eine Zukunftsstrategie für Tirol Die massiven Auswirkungen der Corona-Pandemie ha- Die vorliegende Strategie weist den Weg für eine um- ben in vielen Bereichen den Handlungsdruck zusätzlich fassende Transformation hin zu einer nachhaltigen und verschärft. Die Pandemie hat deutliche Auswirkungen klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft. Sie ist damit auf die Umsetzung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige sowohl ein wichtiger Orientierungsrahmen als auch eine Entwicklung. Umgekehrt hilft die Umsetzung der Agen- bedeutende Entscheidungs- und Handlungsgrundlage da 2030 bei der gemeinsamen Bewältigung von globa- für die Tiroler Landesregierung in der Nachhaltigkeits- len Herausforderungen wie der Corona-Pandemie oder und Klimapolitik und gibt den Beteiligten aus Wirtschaft, dem Klimawandel. Gerade die Corona-Krise kann der Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft aber Auslöser sein, Nachhaltigkeit als übergeordnetes politi- auch der einzelnen Bürgerin und dem einzelnen Bürger sches Leitmotiv stärker zu forcieren. Planungssicherheit. Wie ein Kompass soll die Strategie eine Orientierung bieten, um heute den richtigen Weg für morgen einzuschlagen. 1.2 Ziel und Selbstverständnis Die gegenständliche Strategie der Tiroler Landesregie- Nachhaltigkeit ist auch ein Prozess, zu dem sich die Ti- rung richtet sich an ein breites Spektrum von Handeln- roler Landesregierung langfristig verpflichtet hat. Im Jahr den und nicht zuletzt an die allgemeine Öffentlichkeit. 2012 beschloss die Tiroler Landesregierung – als erstes Das Setzen von Maßnahmen zum Klimaschutz, die Her- österreichisches Bundesland – eine eigene Nachhaltig- beiführung einer Energiewende oder die Reaktion auf keitsstrategie. 2014 folgte das Bekenntnis der Tiroler Ressourcenknappheit stehen in unserer gemeinsamen Landesregierung zur Energieunabhängigkeit bis zum Verantwortung. Jede und jeder kann und sollte einen Jahr 2050 und zu einer Abkehr von der Nutzung fossi- Beitrag leisten, um diese Aufgabe zu bewältigen. Gerade ler Energieträger („TIROL 2050 energieautonom“). Mit auch diese Verantwortung jeder und jedes Einzelnen soll diesem Rahmen konnten die Themen Nachhaltigkeit, mit der Strategie und den Maßnahmen deutlich werden. Klimaschutz und Energiewende auf unterschiedlichen Ein nachhaltiges und klimaneutrales Tirol setzt die Mit- Ebenen des Landes verankert und eine Vielzahl an posi- wirkung aller Kräfte voraus, die in ihrem eigenen Be- tiven Impulsen generiert werden. Zahlreiche Erfolgsge- reich, in eigener Verantwortung und mit eigenen Mög- schichten – von ehrenamtlichen Initiativen über aktive lichkeiten einen Beitrag leisten. Gemeinden und Regionen bis hin zu engagierten Unter- nehmerInnen – sind ein Beweis dafür. Die vorliegende Strategie legt einen großen Wert da- rauf, dass die ökologische, soziale und ökonomische Die bisher erzielten Erfolge dürfen aber nicht darüber Dimension von Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen hinwegtäuschen, dass in vielen Bereichen noch größe- und nicht gegeneinander abgewogen und ausgespielt re Anstrengungen unternommen werden müssen, um werden. Daher wurde das Prinzip des integrierten An- unserer Verantwortung gerecht zu werden, insbeson- satzes als Basis für die vorliegende Strategie verwendet. dere in wesentlichen Transformationsfeldern. Wir erle- Soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ben derzeit vordergründig die Pandemiekrise, doch im und ökologische Verantwortung stehen dabei nicht nur Hintergrund sind gleichzeitig die Klimakrise, Finanzkrise, nebeneinander, sondern werden als gleichwertig, aus- die Erschöpfung natürlicher Ressourcen, die Bodende- gewogen und in integrierter Weise berücksichtigt. gradation, der Biodiversitätsverlust oder die Landnut- zungskonkurrenz existent. Um den besten Tiroler Weg Nachhaltige Entwicklung kann als ein gesellschaftlicher aus den Krisen zu finden, werden die sich wechselseitig Prozess betrachtet werden, der einen klugen, kreativen beeinflussenden und zusammenhängenden Krisenpro- und ganzheitlichen Umgang für eine solidarische und le- zesse vertiefend betrachtet. Dadurch wird das Ausmaß benswerte Zukunft zum Ziel hat. Die unterschiedlichen ökologischer Krisen und damit zusammenhängender Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung sind Konflikte in ihrer ganzen Komplexität verständlicher. dabei eng miteinander verknüpft. Energiewende, Klima- schutz oder Klimawandelanpassung sind Querschnitts- Auf Basis der vorliegenden Nachhaltigkeits- und Klima- themen und betreffen alle Politikfelder. Bei der strate- strategie wird eine ökologisch verträgliche, sozial ge- gischen Ausrichtung einzelner Politikfelder entstehen rechte und wirtschaftlich leistungsfähige Entwicklung zwangsläufig eine Reihe von positiven und negativen unseres Landes vorangetrieben. Dem Leitprinzip der Wechselwirkungen zu anderen Politikfeldern. Die Ver- Nachhaltigkeit folgend, soll verantwortungsvolle Politik meidung von dysfunktionalen Effekten einerseits und den Bedürfnissen der heutigen und jenen zukünftiger die bestmögliche Nutzung von Synergien andererseits Generationen gleichermaßen gerecht werden – sowohl sind dabei von grundlegender Bedeutung. in Tirol als auch weltweit – und ihnen ein Leben in voller Entfaltung und Würde ermöglichen.
Eine Zukunftsstrategie für Tirol | 6 1.3 Handlungsschwerpunkte Im Rahmen der vorliegenden Strategie können nicht alle relevanten Nachhaltigkeitsthemen behandelt werden. Globale Herausforderungen wie Klimawandel, Ressour- Die Strategie konzentriert sich auf sechs Handlungsfel- cenknappheit oder Energiewende können nur mit ge- der, die in Kapitel 3 näher beleuchtet werden. Die Aus- meinsamen Anstrengungen auf allen politischen Ebe- wahl dieser Handlungsfelder orientierte sich dabei an nen bewältigt werden. Die Tiroler Nachhaltigkeits- und folgenden Kriterien: Klimastrategie greift die Ziele, Ansätze und Impulse der internationalen, europäischen und nationalen Ebene auf Handlungserfordernis: In welchen Bereichen hat das und fokussiert sich auf Handlungsfelder, die einerseits Land Tirol in Bezug auf die Umsetzung der UN-Agenda eine hohe Relevanz für die Tiroler Landesregierung auf- 2030 für nachhaltige Entwicklung besonderen Hand- weisen und bei denen andererseits das Land faktische lungsbedarf? und rechtliche Handlungsmöglichkeiten hat. Die Strate- gie unterstützt und ergänzt somit die europäischen und Integrationserfordernis: In welchen Bereichen ist nationalen Zielsetzungen in dem Kompetenzbereich des eine integrative und sektorübergreifende Betrach- Landes. tung notwendig, um Synergiemöglichkeiten zwischen nachhaltiger Entwicklung, Klimaschutz und Klima- Die vorliegende Strategie ist also keinesfalls isoliert von wandelanpassung zu generieren bzw. diese besser zu der europäischen und nationalen Nachhaltigkeits- und nutzen? Klimapolitik zu sehen, sondern vielmehr als notwendige Ergänzung hierzu. Viele wesentlichen Rahmenbedingun- Handlungsmöglichkeiten: In welchen Bereichen hat gen und Entscheidungen können nur auf der europäi- die Tiroler Landesregierung die größten Möglichkei- schen oder nationalen Ebene erarbeitet werden. Aber ten, eine nachhaltige und klimafreundliche Entwick- auch das Land Tirol hat entscheidende Handlungsmög- lung voranzutreiben? lichkeiten, im eigenen Wirkungsbereich entsprechende Akzente zu setzen. Die Erkenntnisse aus den Evaluierungen der Tiroler Nachhaltigkeitsstrategie und der Tiroler Klimastrategie Eine Studie des „Intergovernmental Panel on Clima- sowie die Ergebnisse der Bürger- und Öffentlichkeitsbe- te Change (IPCC)“ zeigt sehr deutlich, dass drängende teiligung (siehe Kapitel 1.4) stellten dabei eine wichtige Nachhaltigkeitsfragen nur gemeinsam gelöst werden Entscheidungsgrundlage dar. Auf dieser Basis wurden können und insbesondere erhebliche Synergiemöglich- die nachstehenden sechs Handlungsfelder definiert, die keiten zwischen nachhaltiger Entwicklung und Maßnah- in Kapitel 3 näher erläutert werden: men zum Klimaschutz bzw. zur Klimawandelanpassung bestehen (Intergovernmental Panel on Climate Change 2018). Nachhaltige Entwicklung macht Gesellschaf- Energie und Klimaschutz ten gegenüber den Klimawandel resilienter und führt Mobilität und Infrastruktur zu einem klimafreundlichen Umbau unseres Gesell- schafts- und Wirtschaftssystems. Ohne entsprechende Gebäude und Raumordnung Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsmaßnahmen Wirtschaft und Regionalentwicklung könnten allerdings Entwicklungsfortschritte langfris- tig gefährdet werden. Nachhaltige Entwicklung, Klima- Klimawandelanpassung schutz und Klimawandelanpassung bilden somit eine Landesverwaltung als Vorbild zentrale Einheit. Die vorliegende Strategie zielt darauf ab, Synergiemöglichkeiten bestmöglich zu nutzen und Win-Win-Ansätze zu fördern, um die Implementierung von Entwicklungs- und Klimaagenden effektiver und ko- härenter zu gestalten.
7 | Eine Zukunftsstrategie für Tirol 1.4 Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung prozess einbringen. Dadurch konnte eine breite und viele gesellschaftliche Bereiche umspannende Unterstützung Nachhaltige Entwicklung ist ein Weg in die Zukunft, der für die vorliegende Strategie erreicht werden. das Engagement aller gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch Handelnden benötigt und nur in Zusammenar- Die durchgeführten Beteiligungsverfahren belegen die beit mit allen TirolerInnen gelingen kann. Das Erreichen Bereitschaft vieler AkteurInnen, an der Gestaltung eines ambitionierter Nachhaltigkeits- und Klimaziele erfordert nachhaltigen und klimaneutralen Tirols mitzuwirken. eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Deshalb hat Genau diese Mitwirkung möglichst vieler gesellschaftli- die Tiroler Landesregierung im Vorfeld einen breit ange- cher Kräfte ist nötig, um nachhaltige und klimaneutrale legten konsultativen Beteiligungsprozess gestartet, um Entwicklung als selbstverständliche Voraussetzung in viele verschiedenen Interessengruppen und die Öffent- allen Entscheidungen und Handlungen in Politik, Wirt- lichkeit einzubinden. schaft, Gesellschaft und Verwaltung zu verankern. In den Sommermonaten 2020 nahmen an drei Beteili- gungsworkshops zu den Themen 1.5 Aufbau der Strategie Nachhaltiges und klimafreundliches Mit der vorliegenden Strategie verdeutlicht die Tiroler Wirtschaften Landesregierung den Handlungsbedarf in mehreren Be- Gebäude, Raumordnung und Mobilität sowie reichen und sie formuliert Handlungsfelder und Ziele im Energie, Umwelt und Klima Hinblick auf die langfristigen Herausforderungen für Ti- rol. Die Strategie nimmt mit ihren Zielen dabei das Jahr über 60 FachexpertInnen teil, um ihre Sichtweisen und 2030 in den Blick. Anregungen zur nachhaltigen Entwicklung Tirols beizu- steuern. Parallel dazu wurde mit einer Online-Umfrage Die vorliegende Ausarbeitung beinhaltet inhaltliche der Öffentlichkeit die Möglichkeit geboten, Ideen und Grundsätze und Ziele, die den Blick und die Türen in Anregungen einzubringen. Über 1.400 in Tirol lebende Richtung einer zukunftsfähigen Nachhaltigkeits- und BürgerInnen machten davon Gebrauch. Im Frühjahr Klimapolitik beschreiben. Die Strategie versteht sich als 2021 wurde der Entwurf der Strategie im Rahmen eines situativ und kontinuierlich „lernende Strategie“, die in Konsultationsverfahrens zur Diskussion gestellt. Alle in regelmäßigen Abständen auf veränderte Rahmenbedin- Tirol lebenden BürgerInnen hatten die Möglichkeit, den gungen und Zielsetzungen angepasst werden muss. Strategieentwurf zu begutachten und Anregungen ein- zubringen. Im Rahmen der Konsultation gingen knapp Nach Beschluss der vorliegenden Strategie durch die Ti- 50 Stellungnahmen ein. roler Landesregierung müssen die formulierten Ziele auf konkrete Umsetzungsmaßnahmen heruntergebrochen Mit dem Beteiligungsprozess werden verschiedene Zie- werden. Die notwendigen „Maßnahmenpakete“ werden le verfolgt: Nutzen des ExpertInnenwissens, Tragen der gesondert in einem eigenen „Maßnahmen-Teil“ vorbe- Themen in die Breite sowie Einbeziehung einer Vielzahl reitet. Dies ermöglicht eine flexiblere und laufende Ent- unterschiedlicher Meinungen und Sichtweisen. Vertre- wicklung von Umsetzungsmaßnahmen. Die Maßnahmen- terInnen der Wirtschaft, Wissenschaft, Sozialpartner und programme beginnen mit dem Jahr 2022 und sind auf diverser Interessensgruppen waren ebenso eingebunden dreijährige Zeiträume (2022 bis 2024, 2025 bis 2027, 2028 wie interessierte BürgerInnen: Alle konnten ihr umfang- bis 2030) im Sinne einer rollierenden Planung ausgerichtet. reiches Wissen und ihre Sichtweisen in den Erarbeitungs-
Leitlinien | 8 2. Leitlinien Nachstehende zehn Leitlinien wurden definiert: Energiewende und Klimaschutz Die in diesem Kapitel präsentierten Leitlinien definie- Raum- und Ressourceneffizienz ren grundlegende Anforderungen an eine ökologische, Stärkung des Wirtschaftsstandortes und ökonomische und sozial verträgliche Entwicklung Tirols. regionale Wertschöpfung Da im Rahmen der vorliegenden Strategie nicht alle Niemanden zurücklassen relevanten Nachhaltigkeitsthemen behandelt werden können, werden in diesem Kapitel im Sinne einer Rah- Digitalisierung und Innovation menstrategie Leitlinien definiert, die bei der Erstellung Bildung für nachhaltige Entwicklung künftiger themenspezifischer Strategien mitberücksich- Gesundheit tigt werden sollen. Krisenfestigkeit und Resilienz Stärkung der Governance Diese Leitlinien gelten als bestimmende Grundsätze, die Biodiversität einen übergeordneten Handlungsrahmen bilden. Die Leitlinien werden als gleichwertig betrachtet und sind Die Leitlinien orientieren sich an den für Tirol relevanten so aufeinander abgestimmt, dass sie sich gegenseitig „SDGs“1 und bilden den gemeinsamen Rahmen für die in bestmöglich unterstützen. Durch ihre starke Vernetzung Kapitel 3 genannten Ziele und Handlungsfelder. Tabelle bilden sie ein ganzheitliches Fundament für eine nach- 1 ordnet die Leitlinien den jeweiligen „SDGs“ zu. haltige Entwicklung Tirols. 1 Die 17 ökonomischen, sozialen und ökologischen Entwicklungsziele („Sustainable Development Goals“, SDGs) sind politische Zielsetzun- gen, die im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im September 2015 verabschiedet wurden (siehe Kapitel 1.1).
9 | Leitlinien Tabelle 1: Zuordnung der Leitlinien zu den „SDGs“ Bildung für nachhal- Ressourceneffizienz Wirtschaftsstandort Digitalisierung und Energiewende und tige Entwicklung Krisenfestigkeit Wertschöpfung und regionale und Resilienz Stärkung der zurücklassen Biodiversität Klimaschutz Governance Niemanden Gesundheit Raum- und Innovation 1 KEINE ARMUT 2 KEIN HUNGER 3 GESUNDHEIT UND WOHLERGEHEN 4 HOCHWERTIGE BILDUNG 5 GESCHLECHTER- GLEICHSTELLUNG 6 SAUBERES WASSER UND SANITÄRVERSORGUNG 7 BEZAHLBARE UND SAUBERE ENERGIE 8 MENSCHENWÜRDIGE ARBEIT UND WIRT- SCHAFTSWACHSTUM 9 INDUSTRIE, INNOVATION UND INFRASTRUKTUR 10 WENIGER UNGLEICHHEITEN 11 NACHHALTIGE STÄDTE UND GEMEINDEN 12 VERANTWORTUNGS- VOLLE KONSUM- UND PRODUKTIONSMUSTER 13 MASSNAHMEN ZUM KLIMASCHUTZ 14 LEBEN UNTER WASSER 15 LEBEN AM LAND 16 FRIEDEN, GERECHTIGKEIT UND STARKE INSTITUTIONEN 17 PARTNERSCHAFTEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE
Leitlinien | 10 2.1 Energiewende und Klimaschutz Eine besondere Herausforderung besteht darin, diesen Transformationsprozess in eine vorausschauende Nach- Die Tiroler Landesregierung setzt sich klare Ziele im Be- haltigkeitspolitik zu integrieren. So gilt es, neben dem reich der Energiepolitik und des Klimaschutzes. Dabei Klimaschutz auch Ziele wie Versorgungssicherheit, be- geht es einerseits um die eigene Verantwortung für ein zahlbare Energiepreise aus erneuerbarer Energie, qua- lebenswertes Tirol und andererseits um die bestmögli- litatives Wirtschaftswachstum oder Umweltschutz zu che Nutzung von Chancen für unser Land und künftige berücksichtigen. Generationen. Die Anpassung an den Klimawandel stellt die zweite Im Bereich des Klimawandels und dessen Folgen steht Säule der Klimapolitik dar und ist eine notwendige Er- das Land Tirol vor zwei großen Herausforderungen. Zum gänzung zum Klimaschutz. Es ist unumgänglich, bereits einen muss das Land Schritte zur Anpassung an die nicht bei heutigen Entscheidungen und Investitionen die zu mehr abwendbaren Folgen des Klimawandels setzen. erwartenden Folgen des Klimawandels zu berücksichti- Zum anderen ist es erforderlich, durch die konsequente gen, um hohe Kosten verursachende Fehlentscheidun- Umsetzung effektiver Klimaschutzmaßnahmen die ne- gen zu vermeiden. Ein vorausschauendes Mitdenken gativen Folgen des Klimawandels soweit als möglich zu möglicher Auswirkungen des Klimawandels trägt er- beschränken. Klimaschutz und Klimawandelanpassung heblich dazu bei, das Schadenspotenzial zu reduzieren. sind zur langfristigen Sicherung des Lebens- und Wirt- Der Klimaschutz einerseits und die Anpassung an den schaftsraums in Tirol unerlässlich. Ein Schulterschluss Klimawandel andererseits schaffen somit die Vorausset- von Wirtschaft und Umweltschutz stellt hierfür eine zung, den Wirtschaftsraum langfristig zu erhalten und Notwendigkeit mit beidseitigem Nutzen dar. die Lebensqualität gegenwärtiger und zukünftiger Ge- nerationen zu sichern. Tirol wird sich für die Erreichung der im Pariser Klimaab- kommen genannten Ziele einsetzen und die internatio- nalen, europäischen und nationalen Beschlüsse bzw. Ziel- 2.2 Raum- und Ressourceneffizienz vorgaben zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen konsequent umsetzen. Dies betrifft insbesondere jene Natürliche Ressourcen sind die Grundlage für unsere Sektoren, in denen der gesetzliche Handlungsspielraum Lebens- und Wirtschaftsweise. Natürliche Ressourcen beim Land liegt. Beim weltweiten Übergang zu sauberer umfassen alle Arten von Rohstoffen, Energiequellen Energie soll Tirol eine Vorreiterrolle übernehmen. wie Sonne oder Wind, Umweltmedien wie Boden und Wasser, Land und Flächen sowie biologische Ressour- Rund drei Viertel der Treibhausgas-Emissionen in Öster- cen einschließlich biologischer Vielfalt (vgl. Europäische reich sind energiebedingt (vgl. Umweltbundesamt 2020, Kommission 2005). Ein effizienter, verantwortungsvoller S. 141). Die Energiepolitik ist somit das wichtigste Ele- und sparsamer Umgang mit unseren begrenzten natür- ment der Klimapolitik und die Treibhausgas-Emissionen lichen Ressourcen sowie ein vermehrter Einsatz von sind wesentliche Folgen des Einsatzes der fossilen Ener- erneuerbaren Ressourcen bei allen Produkten des täg- gieträger Erdöl, Erdgas und Kohle. Eine Dekarbonisie- lichen Lebens stellt eine grundlegende Voraussetzung rung des Energiesystems ist daher unerlässlich. für eine nachhaltige Entwicklung unserer Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft dar. Einen hohen Stellenwert zur Erreichung einer raschen Dekarbonisierung nehmen Maßnahmen zur Vermeidung Die Tiroler Landesregierung bekennt sich zu einem sorg- und Verringerung des Energieverbrauchs ein („Efficiency samen und nachhaltigen Umgang mit natürlichen Res- First“). Energieeinsparung sowie eine effizientere Ver- sourcen. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist wendung von Energie tragen direkt zur Verringerung eine Erhöhung der Effizienz der eingesetzten Ressourcen von Treibhausgas-Emissionen bei, erleichtern die Um- sowie eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und stellung unserer Energieversorgung auf erneuerbare Ressourcenverbrauch von grundlegender Bedeutung. Energien und führen langfristig zu Kosteneinsparungen Um einen nachhaltigeren, bewussten Konsum zu för- bei Betrieben und Haushalten. Die in allen Sektoren vor- dern, sollten entsprechende Anreize für VerbraucherIn- handenen Energieeffizienz- und Energieeinsparungs- nen geschaffen werden. Dies kann beispielsweise durch potenziale müssen daher möglichst rasch erschlossen die verstärkte Bereitstellung von Reparaturinformatio- werden. Neben der Vermeidung und Verringerung des nen, wie auch im Green Deal der Europäischen Union Energieverbrauchs bilden erneuerbare Energien das angestrebt, erreicht werden. Rückgrat des zukünftigen Energiesystems. Der forcierte Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein zentrales Ele- ment der Energiepolitik, da es einerseits Treibhausgas- Emissionen reduziert und andererseits die Abhängigkeit von Energieimporten vermindert.
11 | Leitlinien Die Kreislaufwirtschaft2 stellt einen geeigneten Lösungs- 2.3 Stärkung des Wirtschaftsstandortes und ansatz dar, um die Effizienz der eingesetzten Rohstof- regionale Wertschöpfung fe zu erhöhen und gleichzeitig negative Umweltfolgen zu verringern. Die eingesetzten Rohstoffe sollen dabei Eine nachhaltige Entwicklung und der verstärkte Über- so lange, so häufig und so effizient wie möglich stoff- gang zu einer Kreislaufwirtschaft eröffnen vielfältige lich genutzt werden. Die Kreislaufwirtschaft kombiniert Potenziale für die heimische Wirtschaft. Eine Hebung somit ökologische und ökonomische Chancen, da die dieser Potenziale bietet Chancen zur Steigerung der eingesetzten Ressourcen häufiger und länger zur Wert- Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, schafft zu- schöpfung innerhalb des Wirtschaftssystems beitragen, sätzliche lokale Wertschöpfung und wirkt sich positiv ohne dass dabei neue Rohstoffe der Umwelt entnom- auf Innovation, Wachstum und Beschäftigung aus. Die men werden müssen. Zudem führen Effizienzmaßnah- verstärkte Regionalisierung von Wirtschaftsaktivitäten men zu direkten Kosteneinsparungen und somit zu reduziert Transportleistungen und verringert damit ne- einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit heimischer gative Auswirkungen auf die Umwelt. Zudem kurbelt sie Unternehmen. Eine ressourcenschonende Wirtschafts- die lokale Ökonomie an, was sich beispielsweise positiv weise stärkt die wirtschaftliche Stabilität, da die Versor- auf die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen aus- gungssicherheit bei kritischen Ressourcen erhöht und und einer Zersiedelung des Raumes entgegenwirkt. Für die Preisvolatilität verringert wird. ArbeitnehmerInnen bedeutet die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft beispielsweise eine bessere In den vergangenen Jahren nahmen in Tirol insbesonde- Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben oder die gezielte re die Ansprüche an die Raum- und Landnutzung deut- Förderung von Chancengleichheit in Unternehmen. lich zu. Sowohl in städtisch als auch ländlich geprägten Regionen gibt es eine Reihe von vielfältigen, miteinander Die Energie- und Klimawende stellt eines der größten konkurrierenden Nutzungsansprüchen. Dies erfordert Modernisierungs- und Investitionsprojekte für den Wirt- vom Land als auch von den Gemeinden zukunftsfähi- schaftsstandort Tirol dar. Mit der Umsetzung von Effi- ge Lösungsstrategien und es bedarf einer vorsorgenden zienzmaßnahmen, dem Ausbau erneuerbarer Energien und koordinierenden Planung sowie Entwicklung des und der hierzu erforderlichen Infrastruktur gehen Inves- nachgefragten Raumes. Eine sparsame und effiziente titionen in Milliardenhöhe einher. Zudem entsteht eine Inanspruchnahme der zur Verfügung stehenden Flä- Reihe neuer Geschäftsfelder und Absatzmärkte. Dies chen, die Forcierung kompakter, funktionsgemischter kurbelt die heimische Wirtschaft an: Sei es beim Tausch Siedlungsstrukturen begleitet von einer hochwertigen fossil betriebener Heizungen hin zu umweltfreundlichen Verkehrsinfrastruktur bei gleichzeitig hoher Aufenthalts- Systemen, der Installation von Wärmepumpen oder der qualität, sowie die Erhaltung unbebauter Freiräume ste- Errichtung von Blockheizkraftwerken – die Nachfrage hen im Vordergrund. Mit Hinblick auf die Energiewende nach zukunftsfähigen Technologien wächst und bringt bedarf es räumlicher Strukturen, die energiesparende positive Effekte für Anbietende, HandwerkerInnen und und energieeffiziente Lebensstile und Wirtschaftsweisen die Baubranche mit sich. Der Umbau unseres Energie- ermöglichen. systems löst aber auch Impulse in anderen Bereichen aus und es entstehen zukunftsfähige und moderne Eine nachhaltige Raumplanung hat positive direkte und Arbeitsplätze. Die umfassende Transformation der Wirt- indirekte Auswirkungen auf verschiedenste Bereiche. So schaft hin zu einer klimaneutralen und nachhaltigen kann beispielweise durch die Zusammenführung von Wirtschaft wird daher als Chance gesehen und es gilt, Wohn- und Arbeitsgebieten Pendlerverkehr vermieden, diese aktiv und strategisch zu gestalten. der Energieverbrauch gesenkt und die Gesundheit und Lebensqualität der Bevölkerung erhöht werden. Darü- ber hinaus spielt eine nachhaltige Raumplanung eine bedeutende Rolle für den Erhalt der Biodiversität. 2 Kreislaufwirtschaft ist ein Modell der Produktion und des Verbrauchs, das darauf abzielt, möglichst sparsam mit natürlichen Rohstoffen umzugehen und Abfälle zu vermeiden. „Bestehende Materialien und Produkte sollen so lange wie möglich geteilt, geleast, wiederverwen- det, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden“ (Europäische Kommission 2021).
Leitlinien | 12 Die Umstellung auf eine klimaneutrale und ressour- der BürgerInnen grundlegende Kriterien dar, welche die censchonende Wirtschaftsweise ist ein Motor für Inno- Richtschnur für gesellschaftliches Handeln vorgeben. vationen. Tirol als eine Region mit hoher Innovations- kraft kann auf aufgebautes Wissen, Fertigkeiten und Von Benachteiligungen in verschiedenen Formen betrof- Erfahrungen der UnternehmerInnen zurückgreifen, die fen sind vor allem Menschen mit Behinderungen, ältere sich zu einem wesentlichen Standortvorteil entwickelt Menschen, Jugendliche und Kinder, Alleinerziehende, haben. Wir benötigen in vielen Bereichen neue tech- Erwerbslose und Menschen mit Migrationshintergrund. nologische Lösungen (z. B. Speicherung von Energie). Chancenungleichheiten bestehen auch in den Berei- Um diese Entwicklungen anzustoßen, muss die Innova- chen Gesundheitsversorgung, politische Mitwirkung, tionskraft und die Innovationstätigkeit der heimischen Schulbildung oder der Möglichkeit, Zukunft für sich und Wirtschaft gestärkt werden. Die Festlegung verlässlicher andere zu gestalten. Für ein gutes Zusammenleben und und innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen stellt die Stärkung von Gemeinwohl in Tirol muss sicherge- eine wesentliche Voraussetzung dar, um die Potenziale stellt sein, dass auch sozial benachteiligte und ausge- neuer Wachstumsmärkte sowie die Entwicklung innova- grenzte Personengruppen von der gesellschaftlichen tiver Technologien auszuschöpfen. Transformation profitieren. Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung sind dabei grundlegende Prinzipi- Die neu entwickelten Produkte und Technologien wer- en des Handelns und sind Menschenrechte. Tirol setzt den auch weltweit gefragt sein. Dadurch ergeben sich sich für die Verwirklichung einer inklusiven Gesellschaft neue Exportchancen für die heimischen Unternehmen auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention und es werden zukunftsfähige Arbeitsplätze, auch im ein, denn eine bessere Chancengleichheit, die gleich- ländlichen Raum, geschaffen. Eine Unterstützung der berechtigte gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen Wirtschaft bei der Gestaltung von innovativen und res- sowie die Beseitigung von Benachteiligungen sind nicht sourceneffizienten Technologien, Produkten und Dienst- nur ein Gebot der sozialen Verantwortung, sondern eine leistungen und somit die Entwicklung neuer Märkte ist wesentliche Basis für die Nutzung der wirtschaftlichen, von grundlegender Bedeutung, um den Wirtschafts- sozialen und wissenschaftlichen Potenziale aller Men- standort Tirol langfristig zu stärken. schen. Die Transformation hin zu einer klimaneutralen und Der Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Mo- nachhaltigen Wirtschaft stellt eine große, aber bewäl- bilität, Wohnen und Gesellschaft soll allen ermöglicht tigbare Herausforderung dar. Vor allem im Bereich der werden. Dies bedeutet auch, dass alle TirolerInnen ei- wirtschaftlichen Infrastruktur werden heutige Investiti- nen leistbaren Zugang zu nachhaltigen und sauberen onsentscheidungen die Entwicklung für die kommenden Ressourcen haben und ihren elementaren Energie- und Jahrzehnte vorzeichnen. Umso wichtiger ist es daher, Mobilitätsbedarf auf nachhaltige Weise decken können. bereits jetzt die Weichen in Richtung einer klimaneut- Die Energie- und Klimaziele werden gleichwertig mit ralen und energieeffizienten Wirtschaftsweise zu stellen. den Zielen der ökonomischen und der sozialen Ent- Die vorliegende Strategie dient hierfür als Orientierung. wicklung stehen. Das Land Tirol wird einen sozial- und wirtschaftsverträglichen Weg beschreiten, der die Ein- haltung der nationalen und europäischen Energie- und 2.4 Niemanden zurücklassen Klimaziele unter Beibehaltung unseres Wohlstandsni- veaus sicherstellen wird. Ein Kernelement der vorliegenden Nachhaltigkeits- und Klimastrategie stellt die Zusammenführung der sozia- Ein gut ausgebautes Sozial- und Gesundheitssystem, len mit der wirtschaftlichen und ökologischen Dimen- ehrenamtliches Engagement sowie der solidarische sion der Nachhaltigkeit dar, um so einen umfassenden, Umgang miteinander sind Garanten einer nachhaltigen systemischen Wandel zu bewirken. Die Tiroler Landes- Entwicklung Tirols. Sie wirken sich positiv auf die soziale regierung verfolgt damit einen ganzheitlichen Ansatz, Eingliederung in Tirol aus und stellen eine wesentliche der allen ein gutes Leben ermöglichen soll und bei dem Voraussetzung für die Reduktion von Armuts- und Aus- niemand zurückgelassen wird. grenzungsgefährdeten dar. Dank eines hochwertigen Bildungs- und Schulangebotes werden die Teilhabe an Die gesellschaftliche Akzeptanz für eine klimagerechte der Gesellschaft von klein auf ermöglicht, der Einstieg in Zukunft stellt eine wesentliche Voraussetzung für die den Arbeitsmarkt erleichtert und individuelle Entwick- Energie- und Klimawende dar. Der Transformations- lungschancen gefördert. prozess kann nur erfolgreich sein, wenn er auf breiter Zustimmung und aktiver Mitwirkung einer deutlichen Mehrheit der BürgerInnen fußt. So stellen soziale Ge- rechtigkeit, Bezahlbarkeit und Wirtschaftlichkeit eine lebendige und offene Demokratie und die Beteiligung
13 | Leitlinien „Niemanden zurücklassen“ bezieht sich auch auf die Neben den zahlreichen Möglichkeiten, die sich durch unterschiedlichen Landesteile Tirols. Die Verringerung die Digitalisierung ergeben, müssen aber auch die ne- räumlicher Disparitäten und die Schaffung gleichwer- gativen Auswirkungen digitaler Technologien betrach- tiger Lebensbedingungen in allen Regionen Tirols ist tet und reduziert werden, beispielsweise die Zunahme eine Notwendigkeit, um gemeinsam den Wohlstand, die des Energieverbrauchs, Fragen zur Datensicherheit und hohe Lebensqualität, den sozialen Frieden, die kulturelle Selbstbestimmung oder die Ausgrenzung gewisser Be- Vielfalt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf- völkerungsschichten, wie ältere Menschen und Perso- recht erhalten zu können. nen bildungsferner Bereiche. Die Digitalisierung wird von allen Volkswirtschaften als technologische Entwick- lung anerkannt und es liegt an der Gesellschaft, die Wei- 2.5 Digitalisierung und Innovation chen richtig zu stellen, damit sie sich in einen Segen und nicht in ein Negativum verwandelt. Mit entsprechenden Die Digitalisierung verändert nahezu jeden Aspekt unseres Rahmenbedingungen, Anreizen und Impulsen muss die- täglichen Lebens, sei es unsere tägliche Kommunikation, sen Risiken begegnet und gleichzeitig die sich ergeben- die Arbeitswelt, den Bildungsbereich oder das Gesund- den Chancen genutzt werden. heitswesen. Das Leben der Menschen wird dadurch bereits jetzt in vielen Bereichen erleichtert und es entstehen neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Möglichkeiten. 2.6 Bildung für nachhaltige Entwicklung Eine der positiven Auswirkungen der Digitalisierung Bildung ist die Basis für gesellschaftliche Entwicklung für den Arbeitsmarkt ist, dass tendenziell schwere, ge- und Teilhabe. Darüber hinaus ist sie ein Schlüssel für ein sundheitsschädliche, verschleißende und zermürbende selbstbestimmtes, weitsichtiges und bedachtes Denken Arbeiten sukzessive verschwinden. Die umfassende Ver- und Handeln. Bildung beeinflusst maßgeblich die Chan- netzung aller Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft cen aller Menschen, ihre individuellen Möglichkeiten zu und die Fähigkeit, relevante Informationen zu sammeln, entfalten und an der Gesellschaft nicht nur teilzuhaben, zu analysieren und in Handlungen umzusetzen, brin- sondern diese auch mitzugestalten. gen vielfältige Vorteile und Chancen für den Transfor- mationsprozess. Digitalisierung wird die nachhaltige Globale und komplexe Herausforderungen lassen sich Entwicklung in vielen Bereichen unterstützen und be- nur durch verantwortungsvolles Handeln gegenüber der schleunigen, beispielsweise durch datengetriebene Ef- Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft meistern. Um eine fizienzsteigerungen, digitale Innovationen im Bereich verantwortungsvolle Zukunft zu ermöglichen, braucht Kreislaufwirtschaft oder datenbasierte Innovationen der es daher einen Paradigmenwandel mit neuen Denk- und Sharing Economy. Auch für den Mobilitäts-, Bildungs-, Arbeitsweisen, Engagement und Haltungen. Bildung für Gesundheits- oder den Gebäudebereich eröffnen sich nachhaltige Entwicklung schafft dafür die Grundlage. Sie umfassend neue Chancen. Damit kann Digitalisierung ist ein dauerhafter Prozess, der die fortwährende Wei- einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung einer res- terentwicklung und Anpassung an die gegebenen Her- sourceneffizienten und dekarbonisierten Kreislaufwirt- ausforderungen benötigt. schaft, der Energiewende oder zur Steuerung komplexer gesellschaftlicher Systeme leisten. Eine grundlegende Aufgabe einer zukunftsorientierten Bildung besteht darin, Menschen Entscheidungsgrund- Eine besondere Rolle spielt die Digitalisierung für die lagen und Handlungsmöglichkeiten mit auf den Weg Entwicklung von wirtschaftlichen und sozialen Innova- zu geben, die es ihnen ermöglichen, aktiv, eigenverant- tionen. Durch Schlüsseltechnologien können innovative, wortlich und mit anderen gemeinsam ihr Lebensumfeld leistungsfähige Unternehmen und sozialverträgliche Ar- und ihre Zukunft im Sinn einer nachhaltigen Entwick- beitsplätze geschaffen und gesichert werden. Dies stärkt lung zu gestalten. Dies stellt eine wesentliche Voraus- wiederum den Wirtschaftsstandort Tirol. Innovationen setzung für eine gerechte Gesellschaft, den Erhalt der leisten zudem einen wichtigen Beitrag, um nachhaltige natürlichen Lebensgrundlagen und der ökologischen Digitalisierung überhaupt zu ermöglichen. Um zukunfts- Integrität, eine faire Chancenverteilung sowie eine lang- fähige Lösungen zu entwickeln, muss Digitalisierung im fristig leistungsfähige Wirtschaft dar. Die Förderung von Einklang mit einer nachhaltigen Entwicklung gedacht Demokratieverständnis, Innovationsfähigkeit, Partizipa- werden. Es geht also darum, eine „verantwortungsvolle tionsfähigkeit, Verantwortung für sich und andere sowie Innovation“ und eine nachhaltige, energie- und ressour- Respekt für kulturelle Vielfalt stellen zentrale Elemente censchonende Gestaltung der Digitalisierung zu ermög- eines zukunftsorientierten Bildungssystems dar. lichen. Digitalisierung kann dabei nicht nur punktuelle, sondern vor allem umfassende soziale Innovationen er- möglichen, beispielsweise im Bereich lebenslanges Ler- nen oder Bürgerpartizipation.
Leitlinien | 14 Für die gemeinsame Entwicklung nachhaltiger Lösungen Die zukunftsfähige Gestaltung unseres Gesundheitssys- ist es unabdingbar, die komplexen Zusammenhänge tems für die nachfolgenden Generationen, die Sicherung zwischen lokaler, regionaler und globaler Ebene sowie der finanziellen Stabilität und die langfristige Tragfähig- die damit verbundenen Auswirkungen zu berücksichti- keit stellen wesentliche Elemente dar und müssen eine gen. Die Vermittlung und Bewusstseinsschaffung einer qualitativ hochwertige und bezahlbare Gesundheitsver- globalen Perspektive auf allen Bildungsebenen ist dafür sorgung ermöglichen, unabhängig von Einkommen, Ge- ausschlaggebend. Mithilfe einer ganzheitlichen Sicht- sundheitszustand und Wohnort. Es gilt, Lebens- und Ar- weise soll das Verständnis für die vielschichtigen Rea- beitsbedingungen zu schaffen, die alle Menschen dabei litäten und Prozesse der heutigen Welt gefördert und unterstützen, ihre Lebensgewohnheiten zu verbessern diese als gestaltbare Entwicklungen wahrgenommen und gesund zu bleiben. Nur ein Gesundheitssystem, in werden. dem alle Menschen Anspruch auf gute Versorgung ha- ben, kann dazu beitragen, die negativen Folgen auf die Eine inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bil- physische und psychische Gesundheit zu verhindern. dung auf allen Ebenen, vom Kindergarten bis hin zu Uni- versitäten und Erwachsenenbildungseinrichtungen, ge- Die Anforderungen an Gesundheit steigen durch die zu- währleistet nicht nur die Zufriedenheit und die Freude nehmende globale Vernetzung und den demografischen an Erkenntnis an und für sich, sondern ist unabdingbar, Wandel an. Klimatische Veränderungen erhöhen Ge- um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften dauerhaft sundheitsrisiken nicht nur direkt, beispielsweise durch zu sichern. Durch rechtzeitige Investitionen in Aus- und zunehmende Hitzeperioden, sondern wirken sich auch Weiterbildung und die vorausschauende Anpassung an indirekt aus. So kann die Ausbreitung von Krankheitser- neue Märkte kann darüber hinaus der Wirtschaftsstand- regern, Schädlingen oder allergenen Pflanzen klimatisch ort Tirol gestärkt werden. bedingt sein. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, diesen ge- sundheitlichen Folgen des Klimawandels zu begegnen. Forschung und Entwicklung sind zentrale Fortschritts- Dabei können die Co-Benefits von Klimaschutzmaß- treiber und legen den Grundstein für die persönliche nahmen auf den Gesundheitsbereich genutzt werden. Entfaltung der Menschen. Die in Tirol tätigen Universi- So schützt eine Reduktion des Verkehrsaufkommens täten und Hochschulen sind bedeutende bildungspoli- beispielsweise nicht nur das Klima, sondern mindert tische Zentren, die uns maßgeblich helfen, die kom- gleichzeitig die Gesundheitsbelastung durch Luftschad- menden Herausforderungen zu bewältigen. Eine enge stoffe und Lärm. Kooperation mit ihnen sichert einerseits die Rückkop- pelung mit aktuellsten Entwicklungen und Forschungs- Der Präventionsgedanke ist ein Kernelement einer mo- ergebnissen, sowie eine umfassende Streuung der Ziele dernen Gesundheitspolitik. Um Prävention und Gesund- und Anliegen der Strategie. heitsförderung in allen Teilen der Gesellschaft zu veran- kern, bedarf es weiterer Anstrengungen. Im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention wird der Ausbau der 2.7 Gesundheit mobilen, gemeindenahen Unterstützung priorisiert. Gesundheit ist zugleich Ziel, Voraussetzung und Ergebnis von nachhaltiger Entwicklung (Vereinte Nationen 2015). Selbstbestimmtes Leben, ärztliche Versorgung und ein Lebensstandard, der Gesundheit gewährleistet, sind ein Menschenrecht (Vereinte Nationen 1948). Gesundheit stellt ein äußerst kostbares Gut dar, nicht nur für jede Person, sondern auch für unsere Gesellschaft und für die Leistungsfähigkeit, Produktivität und das Wachstum unserer Wirtschaft.
15 | Leitlinien 2.8 Krisenfestigkeit und Resilienz Akteuren, Sektoren und Ebenen. Vor allem das Zu- sammenspiel der verschiedenen politischen Entschei- In Hinblick auf den bevorstehenden Transformations- dungsebenen ist von grundlegender Bedeutung, da die prozess müssen mögliche Katastrophen, unerwartete erforderlichen Maßnahmen für eine klimaneutrale und Ereignisse und plötzliche Bedrohungen in unserem Den- nachhaltige Entwicklung alle politischen Ebenen, von ken und Handeln berücksichtigt werden. der globalen bis zur lokalen, betreffen. Es gilt, die Verwundbarkeit unserer Systeme gegenüber Eine nachhaltige und klimaneutrale Entwicklung erfor- multiplen Störungen und Verletzungen zu reduzieren. dert besondere Herausforderungen an regionales und Insbesondere in Bereichen der Grundversorgung ist lokales Handeln. Häufig stellen Städte und Gemeinden es notwendig, zukünftig resilienter gegenüber Krisen die zentrale Umsetzungsebene für die auf internatio- zu werden und regionale und nationale Beschaffungs- naler, europäischer und nationaler Ebene getroffenen möglichkeiten zu haben. Essenzielle Bedürfnisse, von Entscheidungen dar. Tirol ist geprägt durch kleine Struk- der Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung über turen. Durch Bündelung ihrer Kräfte können diese ihre die Kinder- und Altenbetreuung bis zum Strom, Wasser, Stärken besser zur Geltung bringen und flexibel auf Müllabfuhr und Wohnraum müssen auch in Krisen ver- sich laufend ändernde Rahmenbedingungen reagie- lässlich angeboten werden. Lieferketten müssen wider- ren. Dabei geht es beispielsweise um betriebliche Ko- standsfähiger und transparenter gestaltet werden, um operationen sowie um eine verstärkte Zusammenarbeit Abhängigkeiten zu reduzieren. Ebenso ist die Steigerung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Nicht zuletzt ist der psychischen Widerstandskraft notwendig, um die auch für Gemeinden – angesichts steigender Ansprüche Menschen im Umgang mit den bevorstehenden Heraus- an diese – eine intensive Vernetzung zur Entwicklung forderungen zu stärken. und Umsetzung zukunftsfähiger Modelle zur Sicherung der Grundversorgung zweckdienlich. Durch präventives Handeln können Bedrohungen ver- mindert bzw. abgefedert werden. Wie anfällig Personen, Zentral für die erfolgreiche Umsetzung zukunftsrele- Regionen oder Systeme für mögliche Krisenschäden vanter Themen ist die strategische Zusammenarbeit sind und in welchem Maße sie diese bewältigen können, mit den Tiroler Regionen. Um eine integrierte ganzheit- hängt von verschiedenen Faktoren ab. Um Bedarf, Art, liche Bearbeitung und eine ergebnisorientierte Lösungs- Umfang und Dringlichkeit von Maßnahmen in Tirol ein- findung zu ermöglichen, braucht es eine effektive und schätzen und planen zu können, müssen systematische gelebte Governance zwischen lokaler Ebene und Lan- Schwächen und Problemlagen gezielt identifiziert wer- desebene bzw. zwischen ländlichem und städtischem den. Dieses Wissen über besonders verwundbare Perso- Raum („Multi-Level-Governance“). Dabei werden auch nen, Regionen oder Systeme dient dazu, Ansatzpunkte die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Regio- für mögliche Anpassungsmaßnahmen abzuleiten. Fä- nen sowie die Bundes- und EU-Ebene einbezogen. Mit higkeiten, Ressourcen und institutionelle Kapazitäten den Strategien, Initiativen und Instrumenten setzen sie von Systemen müssen frühzeitig an verändernde Be- den Rahmen und geben Impulse für die Landes- und dingungen und deren Folgen angepasst werden, um die Regionalentwicklung. Zur Bündelung der Kräfte ist daher Vulnerabilität bestmöglich zu reduzieren. Eine voraus- eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhö- schauende, proaktive Haltung und strategische Ausrich- he zielführend. Tirol stärkt in diesem Sinne aktiv die Go- tung sind entscheidend, um veränderte Bedingungen vernance zwischen Land, regionaler und lokaler Ebene. abschwächen oder auch zum Vorteil nutzen zu können. Eine nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Ge- Resilienz ermöglicht Krisen nicht nur intakt zu überste- sellschaft kann aber nicht allein durch politische Steue- hen, sondern aus diesen gestärkt herauszukommen und rung erreicht werden. Die zunehmende Komplexität der sie als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Es gilt, die zu- Mensch-Umwelt-Beziehungen erfordert auf allen poli- künftigen Veränderungen, die sowohl die Gesellschaft als tischen, wirtschaftlichen und räumlichen Ebenen neue auch jede einzelne Bürgerin bzw. jeden einzelnen Bürger Mechanismen. Es bedarf partizipativer Ansätze und initi- betreffen, als Chance für Wandel und Verbesserungen, ierte gesellschaftliche Selbststeuerung. Einen bedeuten- welche unser aller Leben bereichern können, zu sehen. den Beitrag für unser funktionierendes Zusammenleben leisten das hohe Maß an Selbstengagement und zivil- gesellschaftlicher Beteiligung, die weiterhin unterstützt 2.9 Stärkung der Governance und zukunftsfähig gestaltet werden sollen. Gerade die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, wie wichtig es ist, Mit den neuen globalen Herausforderungen, insbeson- dass sich Menschen für andere engagieren. dere im Bereich der Energie- und Klimapolitik, steigt der Bedarf an Kommunikation, Integration und Koordina- tion bei Entscheidungsprozessen zwischen politischen
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