Leben retten und medizinische Selbsthilfe - Auszug aus: Uli Eiden - Hausarzt Praxis ...
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Auszug aus: Uli Eiden Leben retten und medizinische Selbsthilfe Eine kleine Einführung in die praktische Heilkunde, für den Alltag, unterwegs und an abgelegenen Orten, mit Lagerfeuergeschichten und Pfadfindertricks. Mit Graphiken von Sonja Heller und zehn Original- Zeichnungen von Lord Robert Baden-Powell Bezug über www.perfect-rescue.de
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19.6 Höhenkrankheiten: 1/3 aller Reisenden oberhalb von 2500 m und bei 2/3 über Akute Bergkrankheit, 4000 m, meist in der ersten Nacht in ungewohnter Höhe. Hirn- und Lungenschwellung Höhenkrankheiten sind ein graduelles, dynamisches und in- dividuell variabel ausgeprägtes Phänomen: Prinzipiell kann jeder Beschwerden bekommen, wenn er zu schnell oder zu Unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Österreichischen Gesell- hoch aufsteigt, erst recht wenn er dazu Fahrzeuge, Flugzeu- schaft für Alpin- und Höhenmedizin (ÖGAHM) und der Deutschen Gesell- ge oder Seilbahnen nutzt. Weitere Auslöser sind körperliche schaft für Berg- und Expedionsmedizin (BEXMED). (1) Anstrengung, Übergewicht, fehlende Gewöhnung („Akkli- matisierung“, s. u.), Kälte, Atemwegsinfekte, Angst, Schlaf- Am häufigsten werden Todesfälle in den Bergen durch Ab- und möglicherweise Wassermangel (z. B. durch Erbrechen stürze, Lawinen und Steinschlag verursacht, gefolgt von und Durchfall, S. 98). Die physische Fitness ist unerheblich. schwerer Unterkühlung und Herzinfarkten bei älteren Ski- Zusätzlich zu den Kopfschmerzen muss für die Diagnose fahrern bzw. Bergsteigern. Auch Lungenembolien werden „AMS“ noch mindestens ein weiteres Symptom bestehen: vermutet. Schwere Höhenkrankheiten sind seltener die • geringer Appetit oder Übelkeit, Auslöser. Unfälle werden provoziert durch nasse, vereiste • Schlafstörungen, Wege, Einbruch der Dämmerung oder Tourenbeginn noch • Schwäche, Müdigkeit, Gleichgültigkeit, in der Nacht, durch körperliche Erschöpfung, Wasser- oder • Leistungsabfall, Luftnot bei körperlicher Anstrengung, Schlafmangel, höhenbedingte Kopfschmerzen oder Schwin- • Schwindel oder del. Abstürze von Wanderen auf dem abendlichen Weg zur • beschleunigter Ruhepuls: > 20% mehr als im Tiefland. Hütte oder auf schmalen Pfaden am Abgrund, stehen in der Grundsätzlich sollten alle diese Beschwerden in den ersten Gefährlichkeit denen von Kletterern in nichts nach. Selbst 72 Stunden in neuer, ungewohnter Höhe als Bergkrankheit das nächtliche Austreten vor der Biwakschachtel hat ange- gewertet werden, auch wenn vieles andere in Frage kommt: säuselt oder schlaftrunken schon das Leben gekostet. (2) Wassermangel (S. 98), Unterkühlung (S. 181), Erkältungen Höhenkopfschmerzen („high altitude headache“, HAH) (S. 469), ein Magen-Darm-Infekt (S. 428) oder körperliche Er- spüren 20% der Bergsteiger und Touristen beim Übernach- schöpfung. Gegen die Diagnose „AMS“ sprechen: ten oberhalb von 2000 m über dem Meer, 30% oberhalb von • fehlende Kopfschmerzen, Auftreten nach 72 Stunden, 3000 m und mindestens 50% ab 3500 m. Die dumpf-klopfen- • fehlende Besserung durch Absteigen, Sauerstoffgabe (S. den Schmerzen sind besonders stark bei körperlicher An- 300) oder Dexamethason (S. 299) bzw. strengung, beim Erreichen einer neuen Höhe, kurz nach ei- • rasche Besserung durch Trinken und Rasten. (1) ner Passüberquerung, nachts und beim Aufwachen. Andere Schwellungen im Gesicht (besonders der Augenlider), der Kopfschmerzursachen sind in der Höhe: ein Sonnenstich (S. Hände oder Füße („high altitude localized edema“, HALE) 190), eine Migräne (S. 492) oder ein Wassermangel (S. 98). werden teils als ein weiteres AMS-Symptom gewertet, teils Kopfschmerzen gehören auch zu den ersten Anzeichen ei- nur als ein Warnzeichen. Sie finden sich zumindest bei AMS ner Akuten Bergkrankheit („acute mountain sickness“, häufiger als bei sonst beschwerdefreien Personen, außer- AMS). Die AMS tritt selten zwischen 2000 - 2500 m auf, bei dem doppelt so oft bei Frauen als bei Männern. Bei den lei- 290 291
sesten Anzeichen sollten Ringe von den Fingern (oder Ze- • 5% in den Alpen (43 bis 47° nördliche Breite/n. B.) und hen) entfernt werden, bevor sie einschnüren und sich nicht • 10% in Alaska (Denali - früher Mt. McKinley, 63° n. B.). mehr abziehen lassen - siehe Fadenmethode auf S. 207. im Vergleich zur selben Höhe im äquatornäheren Himalaja (26 bis 36° n. B.) und Kilimanjaro (3° n. B.). So findet sich der Ursache für die Höhenkrankheiten ist der niedrigere Luft- halbe Luftdruck in der Antarktis schon auf 4892 m (Gipfel druck (PAtm) in den Bergen: des Mt. Vinson, höchste Erhebung der Antarktis, 78° südli- Höhe über dem Meer Abnahme des PATM Verbleibende maxi- cher Breite), dagegen auf dem Weg zum Gipfel des Kiliman- (m) bzw. des PO2 im Ver- male Leistungsfähig- jaro (5895 m) erst auf 5775 m Höhe (3) – auch bedingt durch gleich zur Meeres- keit im Vergleich zur die großen Temperaturunterschiede zwischen den Bergen. höhe (1) Meereshöhe (2) Die niedrige Luftdichte beschränkt auch die Steighöhe der 900 -10 % unverändert meisten Hubschrauber auf 5000 - 6000 m, im Schwebeflug 1800 -20% kaum reduziert sogar auf 3500 m – und setzt dieser Form der Bergrettung 2800 -30% 80-90% im Himalaja Grenzen. Um Passagierflugzeugen eine Flughö- 4000 -40% 70% he von bis zu 11.000 m zu ermöglichen, wird in der Kabine ein Mindestdruck von 76 Pa aufgebaut (s. „Zapfluft“, S. 461). 5500 -50% 55% Das ist ein Viertel weniger als auf Meereshöhe und ent- 7000 -60% 40% spricht einer Höhe von 2400 m - der so genannten „Kabi- 8848 -70% 25% nenhöhe“. Für Lungen- oder Herzkranke kann dies noch zu wenig sein, so dass sie Atemnot spüren und zusätzlichen (1) Berechnet nach der International Standard Atmosphere (ISA) Sauerstoff brauchen. Bei einem Druckabfall benötigen den Gemessen als max. Sauerstoffverbrauch. Oberhalb von 1500 m wird mit (2) 1%-1,5% Abfall der Leistungsfähigkeit pro 100 m Höhendifferenz kalkuliert. alle Insassen, um nicht zu ersticken. Deshalb wird vor jedem Flug das Aufsetzen der Sauerstoffmasken demonstriert. Das Verhältnis von Sauerstoff (21%) zu Stickstoff (78%) bleibt Setze dir bei einem echten Druckabfall erst selbst die Mas- zwar gleich, aber proportional zum Luftdruck sinkt der Sau- ke auf und danach anderen, um handlungsfähig zu bleiben. erstoff-Teildruck (PO2). Auf Meereshöhe herrscht etwa Luft- Die Sofortreaktion des Körpers: Im Hirnstamm (S. 144) be- druck von 100 Pa (Pascal) bzw. 1 Bar, exakt sind es 101,3 Pa feuert ein Sauerstoffmangel die Kommandos für die Atem- bzw. 1013 mbar. Auf 5500 m sind es nur noch 50,8 Pa, so züge („hypoxic ventilatory response“, „HVR“) und den enthält jeder Atemzug hier nur noch die Hälfte der Sauer- Herzschlag. Über beide Wege werden die erniedrigten Sau- stoffteilchen wie auf Meereshöhe! Die Luft wird tatsächlich erstoffwerte in Lunge, Blut und Organen teilweise ausgegli- „dünner“... Der Luftdruck ist keine konstante Größe der chen. Die Anpassung kann durch bewusst vertiefte Atmung Höhe, sondern steigt und fällt etwas mit der Wetterlage nochmals verstärkt werden, die maximale individuelle Leis- (Hoch- und Tiefdruckgebiete) und der Lufttemperatur (pro- tungsfähigkeit (als maximal möglicher Sauerstoffverbrauch portional zur Temperatur, um ca. 2% auf 10°C Differenz). Au- messbar) bleibt aber reduziert, auch ohne Höhenkrankheit. ßerdem hängt er auch vom Breitengrad ab, d. h. je näher am Mit der Einnahme von Betablockern (Mittel gegen schnellen Nord- oder Südpol, desto niedriger ist er, circa: 292 293
Herzschlag und Bluthochdruck) wird diese Sorfortreaktion fen bei künstlich reduziertem Sauerstoff, aber normalem behindert. Nachteil der gesteigerten Atmung ist vermehr- Luftdruck, den gleichen Effekt hat. Doch übermäßig viel Hä- tes Abatmen von Kohlendioxid („Hyperventilation“). Dies moglobin ist auf kurz oder lang ungesund! Exzessiv hohe bewirkt eine Engstellung der Pulsadern mit verminderter Werte weisen indigene Andenbewohner auf, die unter der Durchblutung aller Organe und der Gliedmaßen, außer der chronischen Höhenkrankheit leiden: Schwindel, Ohrgeräu- Lunge selbst. Zusätzlich zu kalten Temperaturen provoziert sche, Müdigkeit, Kopfschmerzen, gestörter Schlaf, Atemnot dies Erfrierungen. Im Schlaf bremst der stark erniedrigte und Verwirrtheit. Interessanterweise begrenzen Genvarian- Kohlendioxidspiegel kurz die Atmung, bis das Kohlendioxid ten bei Tibetern und äthiopischen Hochlandbewohnern den wieder angestiegen ist. Dann ist eine periodische Atmung Hb-Gehalt auf´s übliche Maß und verhindern diese Folgen. die Folge, d. h. ein Wechsel aus gebremsten und anschlie- Die Akute Bergkrankheit geht fließend in das Höhenhirn- ßend wieder beschleunigten Atemzügen. Sie gilt als ein Hö- ödem über („high altitude cerebral edema“, HACE). Diese henphänomen, welches allein oder im Beisein von Höhen- lebensgefährliche Gehirnschwellung erleiden 0,3 bis 1% aller krankheiten auftritt und mit zunehmender Akklimatisierung Bergsteiger oberhalb von 4000 m. Bis zu 40% sterben daran, verschwindet. Als weiterer Mechanismus wird eine Blute- erst recht bei zusätzlichem HAPE (s.u.). Der Tod ist innerhalb indickung durch vermehrtes Wasserlassen vermutet. Da- von 24 Stunden möglich. Symptome des Hirnödems sind: mit stehen mehr Sauerstoffträger bezogen auf das Blutvo- • Starker Schwindel, Schwanken, Gang- und Standunsi- lumen zur Verfügung. Aber Wassermangel wirkt sich auch cherheit bis zur -Unfähigkeit. HACE-Test: Barfuß entlang in der Höhe negativ aus und erhöht das Risiko für Lungen- einer Linie gehen, dabei die Ferse direkt vor die Fußspitze embolien (S. 232). So wird oberhalb von 2500 m eine täg- des anderen Fußes setzen, jedes Torkeln ist suspekt! Der liche Trinkmenge von 2 bis 4 Litern empfohlen. Finger-Nase-Versuch (S. 449) ist bei HACE u. U. normal. Hämoglobin (Hb) ist das eisenhaltige Eiweiß in den roten • Trotz Medikamente werden Kopfschmerzen, Übelkeit Blutkörperchen, welches den Sauerstoff während der Lun- und/oder Erbrechen noch schlimmer. genpassage aufnimmt und in den Organen wieder abgibt, • Mangelnde Urteilsfähigkeit, unvernünftiges Verhalten, gleichsam das Kohlendioxid in umgekehrter Reihenfolge. • Verwirrtheit, Trugbilder/Halluzinationen, Sehstörungen, Zur Akklimatisierung werden mehr rote Blutkörperchen ge- Lichtscheue, Nackensteife (S. 250), Einnässen u. a. neuro- bildet, damit steigt nach 2 - 3 Wochen der Hb-Gehalt an; Herz- logische Ausfälle bzw. Schlaganfallzeichen (S. 163). und Atemfrequenz sinken wieder. Das erhöht zwar nicht den • Fieber (!), Ausscheidung von dunklem, konzentrierten Sauerstoffgehalt in den Lungenbläschen, aber nun schwim- Urin - insgesamt weniger als 0,5 L in 24 Stunden. men mehr Sauerstofftransporter im Blutstrom, wenn auch • Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma. suboptimal beladen. Wahrscheinlich gibt es noch weitere Wenn die Situation nicht so ernst wäre, könnte man Witze Effekte, denn bis 4000 m Höhe genügen schon 3 - 6 Tage über plötzlich auftauchende Yetis machen, die sich wieder sachtes Eingewöhnen, um Höhenprobleme in der Regel zu verabschieden, wenn der Bergsteiger seine Sauerstoffmas- vermeiden. Noch schneller geht´s, wenn innerhalb der letz- ke aufsetzt oder in tiefere Zonen absteigt. - Über den Yeti: ten Woche schon mal überhalb von 3000 m genächtigt wur- „Was als Ungeheuer erscheint, was als Ungeheuer benannt, de („Vorakklimatisation“). Noch ist es unklar, ob das Schla- was als Ungeheuer erkannt wird, entsteht aus dem Menschen 294 295
selbst und verschwindet mit ihm.“ gerten Gehalt an roten Blutkörperchen (Hämoglobin) und Jetsün Milarepa (1040-1123), tibetischer Dichter und buddhistischer Lehr- durch Wassermangel provoziert werden, siehe S. 232. Ohne meister, gefunden im Messner Mountain Museum Sulden, Südtirol dass ein HAPE besteht, kann die sauerstoffarme und trocke- ne Luft lediglich einen „Höhenreizhusten“ auslösen, wel- Andere Ursache, gleiche Wirkung: Allein anhand der Sym- cher gerade nachts den Schlaf raubt. Als Erste Hilfe nützt ptome lässt sich ein HACE nicht von einer ebenso gefähr- Bonbonlutschen, den Mund geschlossen halten und be- lichen Kohlenmonoxid-Vergiftung unterscheiden, welche wusste Nasenatmung. Ein Halstuch vor der Nase schützt vor wie im Flachland beim Kochen in schlecht belüfteten, be- Kälte und Austrocknung. Der Schweizer Bergarzt Dr. Urs Wi- sonders in eingeschneiten Zelten oder Hütten entstehen get empfiehlt Inhalieren mit ätherischen Nasobol®-Zusät- kann (S. 248). Bei Diabetikern kann ein HACE mit einer Hypo- zen (4). Sonst: Acetazolamid (s. u.), Noscapin (Capval®-Dra- glykämie verwechselt werden, vgl. S. 94. gees à 50 mg, 4 - 6x/Tag) und Asthmasprays. Kein Codein, Höhenlungenödem („high altitude pulmonary edema“, weil es die Atmung dämpft! Andere Gründe für Husten in HAPE). Oberhalb von 3000 - 4500 m, bei Vorerkrankungen der Höhe sind Asthmaattacken, provoziert durch Kälte und auch tiefer, kann in der 2., 3. oder 4. Nacht nach dem Auf- Anstrengung (S. 534), oder eine Bronchitis (S. 475). Auch stieg Wasser in die Lungenbläschen austreten, wie bei einer Lungenembolien (S. 232) können durch alleinigen Husten Herzschwäche. 0,7 bis 1 % der Bergsteiger sind betroffen. auffallen. Selten geht der Husten einem HACE voraus. • Rapide Verschlechterung von Luftnot und Leistung. An- Auf der Netzhaut (S. 498) befinden sich die Sinneszellen statt belastungsabhängig (AMS), besteht nun Atemnot für´s Sehen: Netzhaut-Einblutungen oberhalb von 4500 m auch in Ruhe. Im Sitzen bekommt der Betroffene noch (HARHR: „high altitude retinal hemorrhage) werden aber am besten Luft, flaches Liegen ist unmöglich. Anders als nur selten bemerkt, meist wenn´s den „gelben Fleck“ er- ein HACE kann ein HAPE auch ohne vorangehende AMS wischt, den kleinen Bereich des schärfsten Sehens. Durch rasch auftreten. Trotz Pausieren liegen die Atemfre- Pressen, starkes Husten oder Acetylsalicylsäure (Aspirin®, quenz über 20/min und der Puls über 120/min. ASS) werden sie provoziert. Selbst wenn sie in 1 bis 2 Wo- • Typisch ist ein Husten, der erst trocken beginnt, dann chen ausheilen, so nimm´ sie als AMS-Vorboten ernst. Be- blutig wird. Bei einem HAPE, aber teils schon bei einer achte, dass Sildenafil und Tadalafil - in der Höhe (S. 307) wie AMS lässt sich ein feines Knistern beim Abhorchen der als Potenzmittel im Flachland - Sehstörungen verursachen Lunge vernehmen, das sich beim HAPE bis zu einem Bro- können und dann sofort beendet werden müssen. Sonst deln und gar Distanzrasseln steigern kann, siehe S. 139. droht Erblinden! Weiter sind in großer Höhe möglich: Erfrie- • Die mangelnde Sauerstoffaufnahme in der Lunge wird rungen S. 329, Gletscherbläschen S. 407, Höhenschwindel als Blausucht zuerst an den Lippen, Nase, Ohren, Fin- S. 460, Schneeblindheit S. 504 und Zahnschmerzen S. 499. gern und Zehen sichtbar („Akrozyanose“, S. 126). Erste Hilfe bei Höhenkrankheit • Fieber, Erbrechen und brennende Brustschmerzen. • Nehme alle Beschwerden in neuer, ungewohnter Höhe Unbehandelt beträgt die HAPE-Sterblichkeit fast 50%, be- als mögliche Höhenkrankheit ernst, bis ein Arzt das Ge- handelt immer noch 6%. Eine andere Ursache für Luftnot genteil feststellt. Bei engem Zeitplan, zusammengewür- in großer Höhe sind Lungenembolien, die durch den gestei- felten Trekkinggruppen oder großen Ehrgeiz werden die 296 297
Symptome oft bagatellisiert oder ganz ignoriert. Natür- ten Morgen tot im Schlafsack liegen! Dabei wird der Er- lich sind andere Ursachen möglich (S. 290f), aber auch krankte so weit wie möglich geschont, weil körperliche An- die werden durch weiteren Aufstieg nicht besser. strengung seinen Zustand verschlechtert. Wenn technisch • Lasse den Erkrankten nie allein und halte ihn warm, machbar, wird er getragen! Eine Hubschrauberrettung ist in denn ein Kältezittern erhöht den Sauerstoffverbrauch. vielen Teilen der Welt völlig ungewiss. Das Warten darauf • Pause und kein weiterer Aufstieg bei milder AMS. Hier kostet wertvolle Zeit und manchem das Leben. Der Abstieg reichen meist ein bis zwei Ruhetage auf gleicher Höhe, sollte notfalls auch abends oder nachts erfolgen, wenn das bis die Symptome verschwunden sind. Ein erneuter Auf- nicht mit einer deutlichen Gefährdung der Retter verbun- stieg darf nur nach vollständiger Erholung erfolgen, den ist, wie z. B. durch Absturz oder bei einem Unwetter. ohne dass - bis auf evtl. Acetazolamid zur Prophylaxe - Medikamente helfen überbrückend, dürfen aber nicht an- Medikamente benutzt werden. Abstieg bei schweren stelle der Evakuierung eingesetzt werden. Beipackzettel Symptomen oder fehlender Besserung, je tiefer desto beachten. Keines dieser Mittel ist für die Behandlung von besser, wenn möglich unterhalb von 2000 m. Eine erste Höhenkrankheiten zugelassen. Da bei HACE oder HAPE un- Erholung setzt nach einem Abstieg von 300 - 500 m ein, mittelbare Lebensgefahr besteht, dürfen sie von Nicht-Ärz- deutlicher ab 1000 m. Kinder sollten bereits bei leichten ten in „OOO“-Situationen eingesetzt werden, d. h. wenn Symptomen hinuntergetragen werden! keine professionelle Hilfe zur Verfügung steht - gleiches gilt • Der Oberkörper sollte mindestens 30° erhöht sein, auch für die Sauerstofftherapie (s. u.): Nur in Ausnahmefällen - siehe S. 14 -15 nachts. Das wirkt dem Lungen- bzw. Hirnödem entge- • Ibuprofen, Paracetamol und Dimenhydrinat gegen Kopf- gen. Bewusst tiefes und schnelles Atmen („Hyperven- schmerz bzw. Übelkeit. Nehme bei HAPE nicht weiter tilation“) lindet zusätzlich die Beschwerden. Im Gegen- Azetazolamid ein. Das könnte die Lage verschlimmern! satz dazu dürfen weder Beruhigungsmittel noch Alkohol • Nifedipin bei HAPE: 20 mg alle 6 Stunden. Es sollen nur oder das Hustenmittel Codein gegen die Schlafstörun- langsam wirkende „Retard“-Kapseln benutzt werden, gen genommen werden, weil sie die Atmung bremsen! um keinen Kollaps durch plötzliche Blutdrucksenkung • 400-800 mg Ibuprofen (S. 76) oder 500-1000 mg Para- zu provozieren. Es ist unwirksam gegen AMS und HACE! cetamol (S. 76) helfen gegen die Kopfschmerzen, bzw. 50 • Dexamethason wirkt als Kortison bei HACE und HAPE mg Dimenhydrinat gegen die Übelkeit, um sich leichter abschwellend: 2 Tabl à 4 mg, danach 4 mg alle 6 Stunden. zu erholen und ggf. einen Abstieg sicherer zu machen - soweit nichts im Beipackzettel dagegen spricht. ACHTUNG: Die medizinische Kommission (MedCom) der • Auch Acetazolamid (2 x 125 - 250 mg Diamox®/Tag, s. Union Internationale des Associations d’ Alpinisme (UIAA) Beipackzettel und S. 304f) wirkt gegen Kopfschmerzen, warnt explizit vor der Behandlung des Höhen-Lungen- Schlafstörungen u. a. leichte Höhenbeschwerden. ödems (HAPE) mit Sildenafil oder Tadalafil (Viagra®, Cialis®, • Kaffee ist ebenso einen Versuch wert.(11) S. 307), weil das die Sauerstoffaufnahme in der Lunge zu- sätzlich verschlechtern könnte! (5) Für Leute vom Fach: Durch In schweren Fällen mit Luftnot, Gehunfähigkeit oder Be- die Aufhebung der „hypoxisch-pulmonalen Vasokonstrikti- wusstlosigkeit ist die sofortige Evakuierung entscheidend. on“ wird ein vermehrter Blutfluss (Shunt) über schlecht be- Ein abends an HACE oder HAPE Erkrankter kann am nächs- lüftete, sauerstoffarme Lungenbläschen befürchtet. 298 299
Die Sauerstoffgabe ist dagegen unkompliziert und bei einem langjähriges Rauchen (COPD: „chronic obstructive pul- luftnötigen Bergsteiger risikoarm. Sauerstoff darf nicht in monary disease“) hält PEEP® die Bronchien offen. Asth- der Nähe von Zündquellen benutzt und das Flaschengewin- matiker und COPD-Patienten werden geschult, sich bei de nicht eingefettet werden, weil er brandbeschleunigend Luftnot selbst zu helfen, in dem sie dieses Prinzip als wirkt. Druckgefüllte Flaschen dürfen keiner intensiven Son- „Lippenbremse“ einsetzen. Dabei atmen sie langsam neneinstrahlung, Hitze- oder Gewalteinwirkung ausgesetzt und ohne besondere Kraft gegen ihre leicht verschlosse- Nur in Ausnahmefällen - S. 14 - 15. werden. Für den Einsatz muss auf dem Flaschenventil ein nen Lippen aus, siehe S. 141. Druckminderer aufgeschraubt sein, an dem die Leitung zur PEEP-Ventil-Gesichtsmasken wurden zur HAPE-Behandlung Gesichtsmaske aufgesteckt wird. Wird das Ventil geöffnet, erstmals 1977 von den amerikanischem Kinderärzten Feld- zeigt das Manometer des Druckminderers augenblicklich man und Herndon vorgeschlagen.(6) Ihnen waren Gemein- den Flaschendruck an, bei voller Flasche meist 200 bar. Am samkeiten zwischen bestimmten operierten Herzfehlern Druckminderer selbst wird die Flussrate mit einem zweiten (korrigierte Pulmonalstenose) und HAPE aufgefallen. So Ventil dosiert. Bei 200 bar bietet eine 5 L-Flasche einen Vor- ist in beiden Fällen der Druck in der Lungenarterie erhöht, rat von 1000 l Sauerstoff, dieser reicht bei Gabe von 2-4 L/min durch welche das Blut vom rechten Teil des Herzens zur für vier bis acht Stunden aus. Ein Reservoir an der Maske Lunge fließt. Entsprechend folgerten sie, dass wenn PEEP® sammelt den ausströmenden Sauerstoff und macht die An- bei diesen Herzfehlern hilft, er auch bei HAPE nützlich sein wendung effektiver. Das Wenoll-System® (S. 285) ist laut den müsste. Seitdem wurden lediglich zwei kleine Studien (7, 8) BexMed/ÖGAHM-Empfehlungen (1) „nicht ausreichend hö- an nur sieben HAPE-Patienten am Denali (Mt. McKinley) hentauglich“. Der sichere Gebrauch eines Überdruckzeltes auf 4400 m Höhe durchgeführt. Der PEEP® von ca. 1 Pa (10 ist technisch und körperlich eine Herausforderung und setzt mbar) bzw. knapp 2% des Luftdrucks auf 4400 m bewirkte: eine gute Schulung und Übung der ganzen Gruppe voraus. • eine sofortige Erleichterung der subjektiven Luftnot, Beachte die Gebrauchsanweisung, eine Anleitung findet • einen Anstieg der Sauerstoffbeladung des Hämoglobins sich im „Handbuch der Trekking- und Höhenmedizin“ (1). von durchschnittlich 53 bis 54 % auf 61% bzw. 73% („Sauer- stoffsättigung“, SO2, normal: 94 bis 98%) und Experimentelle Behandlungsmöglichkeiten bei HAPE • eine effizientere Atmung, d. h. tiefere Atemzüge und Neben dem Überdruckzelt gibt es die Möglichkeit, den eine Normalisierung der Atemfrequenz von 22/min auf Druck in der Lunge durch ein Bremsen der Ausatmung zu 13/min bei konstantem Atemminutenvolumen. erhöhen. In der Intensiv- und Notfallmedizin gehört der Ein- Blutdruck und Herzfrequenz änderten sich nicht. Wurde die satz von PEEP® („positive endexpiratory pressure“) bzw. PEEP®-Maske abgesetzt, kehrten die Luftnot und der Sauer- EPAP® („exspiratory positive airway pressure“) zum Alltag: stoffmangel sofort wieder zurück. • Bei Lungenentzündungen und generell bei Beatmung 2006 testete die Universität Innsbruck den Einsatz eines CPAP-Helms, führt PEEP® zu einer besseren Entfaltung der Lungen. den sie „TAR“-Helm taufte, für: „thin air rescue“. CPAP® bedeutet con- • Bei einem Lungenödem durch Herzversagen, d. h. wenn tinuous positive airway pressure, also Atmung unter erhöhtem Atem- sich das Blut in der Lunge staut und in den Lungenbläs- wegsdruck in der Ein- und Ausatmungsphase. Zusätzlich zum PEEP®- chen versickert, hält er dagegen. Siehe S. 124. Ventil wurde hier der Überdruck mit einer Luftpumpe aufgebaut, wie bei • Bei Asthma-Attacken oder Bronchienverengung durch dem auf der vorigen Seite erwähnten Überdruckzelt. 300 301
Risiko der PEEP®-Behandlung: 1983 berichtete der Schwei- • pro 1200 m oder alle 3 bis 4 Tage einen Ruhetag einlegen. zer Internist und Höhenmediziner Oswald Oelz (9) über sein Für Hochgebirgstouren braucht es einen flexiblen Plan, eigenes Höhenhirnödem auf 5200 m, welches im Anschluss wann auf welcher Höhe übernachtet wird, einschließlich an eine PEEP®-Behandlung plötzlich aufgetreten war. Ob Evakuierungsoptionen in tiefere Lagen für den Notfall. Zufall oder nicht, grundsätzlich wäre ein Zusammenhang Oberhalb von 5500 m Schlafhöhe ist keine weitere Akklima- nicht verwunderlich, weil erhöhte Drücke im Brustkorb den tisierung möglich, der Körper wird zunehmend ausgezehrt. venösen Abfluss aus dem Kopf (und dem übrigen Körper) Als Todeszone wird der Bereich ab 7000 bis 7500 m bezeich- behindern. In der Intensivmedizin werden aus diesem Grund net, weil menschliche Körper zunehmend verfällt und nur hohe PEEP®- und Beatmungsdrücke bei Hirnblutungen oder ein kurzfristiges Überleben möglich ist. –Schwellungen vermieden. Bei der insgesamt dünnen Da- „Bei vernünftiger Planung der Höhenbergfahrt nach den dar- tenlage wird in einem Referenzwerk der Militärmedizin (10) gelegten Regeln der Höhentaktik kann und soll auf eine medi- PEEP® zurückhaltend als kurzfristige Option zur HAPE-Be- kamentöse Prophylaxe verzichtet werden.“ handlung betrachtet, bis ein Abstieg möglich ist. Keinesfalls Aus: Berghold F et al, Handbuch der Trekking- und Höhenmedizin (1) darf das dazu verleiten, trotz HAPE den Abstieg hinauszu- schieben oder gar noch höher zu klettern, weil das nichts an Eigentlich ist damit von Seiten der Medizin alles gesagt. Ei- den lebensgefährlichen Umständen ändert! gentlich – aber für viele ist das Erreichen einer bestimmten Gipfelhöhe im sauerstoffarmen Niemandsland ein Lebens- Bei den fünf bzw. dreizehn beschwerdefreien Bergsteigern, die im Rah- men der zitierten Studien (7, 8) mituntersucht wurden, hatte ein PEEP® auf traum, für den sie lange trainieren und viel Geld zahlen. Um deren Sauerstoffsättigung und Atemfrequenz keinen Einfluss. Man kann nicht zu „scheitern“, wird mit großer Selbstverständlichkeit also seine Leistungsfähigkeit damit nicht steigern. Auch bei alleiniger und keinesfalls harmlosen Mitteln - Entschuldigung - „her- akuter Bergkrankheit oder nach einem raschem Aufstieg - ohne schwere umgedoktort“ - Was sollte man deshalb unbedingt wissen? Luftnot und ohne HAPE - ist der wirkliche Nutzen batteriebetriebener CPAP-Geräte bescheiden, nach Akklimatisierung bleibt er ganz aus. (11, 12) • Kein Mittel kann sicher ein lebensbedrohliches Höhen- hirnödem oder -Lungenödem verhindern! Prophylaxe der Höhenkrankheit: Personen mit bekannten • Kein Mittel darf in der Schwangerschaft, Stillzeit oder Herz- oder Lungenkrankheiten oder älter als 40 Jahre soll- bei Kindern eingesetzt werden. ten sich von ihrem Hausarzt beraten lassen, bevor sie Berg- • Ibuprofen oder Paracetamol sind zur Prophylaxe frag- touren über 2000 m unternehmen. Wer auf mehr als 4000 m würdig: Sie verschleiern die „gelbe Karte“ Höhenkopf- aufsteigen will, sollte für das Akklimatisieren mehrere Tage schmerz und schrauben die individuelle „Schmerzgren- auf 2000 bis 3000 m einrechnen, d. h. ze“ scheinbar nach oben. Teils wird dem Ibuprofen ein • nach Erreichen der individuellen Schwellenhöhe zwi- entzündungshemmender Zusatznutzen zugeschrieben, schen 2000 und 3000 m dort mehrere Tage übernachten, der jedoch nur marginal ist. Verstehe diese Kopfschmerz- • anschließend die Schlafhöhe um 300 bis 500 (max. 600) mittel besser als vorgezogene Therapie, wenn man in Höhenmeter pro Nacht steigern und bei größeren Diffe- großen Höhen aus dem Bus oder Flugzeug „fällt“, wohl- renzen zwei Nächte auf der neuen Höhe verbringen, gemerkt - ohne dass noch körperliche Leistung ansteht. • tiefer schlafen, als tagsüber gestiegen wurde („climb • Keine Acetylsalicylsäure (ASS/Aspirin®, S. 75), da sie die high, sleep low“) und Blutplättchen hemmt und Netzhautblutungen fördert! 302 303
Insgesamt erscheint Acetazolamid - unter Beachtung des leidet nur in 25% (1) - da macht eine Prophylaxe selten Sinn. Beipackzettels und der Einschränkungen (s. nächste Seite) - Acetazolamid, eigentlich ein Mittel gegen hohen Augeninnendruck (Ace- als eine wenig riskante und die einzig sinnvolle Option, eine mit® 20 Tbl. à 250 mg/18 Euro, Diamox® oder Glaupax® 30 Tbl./21 Euro), AMS zu vermeiden. Doch das Mittel ist nicht sehr effizient befördert die Ausscheidung von basischem Bicarbonat über die Nieren. und je unwahrscheinlicher eine AMS ist, desto mehr Perso- Das durch die Hyperventilation (= vermehrtes Abatmen von Kohlensäu- re) basische Körpermilieu (= „Höhenalkalose“) wird so wieder saurer nen nehmen die Nebenwirkungen völlig überflüssig in Kauf! und bremst die Atmung weniger. Das verbessert die Akklimatisierung - beschleunigt sie aber nicht! Argumente für ... ... und gegen Azetazolamid • Nebenwirkungen finden sich bei 25%, dazu zählen Müdigkeit, Bauch- • Unvermeidbar rasche Aufstie- • Etappenweiser, langsamer beschwerden und ein Kribbeln der Hände. Sehr selten sind schwere ge mit Zug-, Bus- oder Flug- Aufstieg zu Fuß. allergische Reaktionen. Mit viel Obst lässt sich der vermehrten Kali- reisen oder Rettungseinsätze um-Ausscheidung im Urin entgegensteuern. • Acetazolamid hilft zuverlässig gegen Schlafstörungen in der Höhe, • Schlafhöhe > 4000 m • Schlafhöhe < 3000 m und andererseits wirkt es harntreibend, was Bergsteiger ebenso aus sü- für Aufenthalte > 48 Stunden: Aufenthalte < 48 Stunden, ßen Träumen und den warmen Federn ihrer Schlafsäcke reißt. hier haben 2/3 Beschwerden. dann leiden weniger als 1/3. • In der Schwangerschaft, in der Stillzeit, bei Kindern und bei einer • Schlafhöhendistanz > 800 m • Schlafhöhendistanz < 400 m Sulfonamid-Allergie darf die Substanz nicht verwendet werden und es darf keine Herz-, Lungen-, Leber- oder Nierenkrankheit bestehen! • Starke individuelle Höhenluft- • Geringe individuelle Anfällig- • Bei Diabetikern steigt der Blutzucker. Wird es parallel zu einer Ke- Anfälligkeit, dafür bisher gute keit, „ehrliches“ Bergsteigen toazidose (S. 97) eingenommen, potenziert es diese lebensgefähr- Acetazolamid-Verträglichkeit. • Bier schmeckt scheußlich. liche Übersäuerung! Gleiches gilt im Falle einer Laktazidose, welche durch Metformin (einem Diabetes-Mittel) plus Sauerstoffmangel So ergab eine Beobachtungsstudie in Cusco auf 3400m (15): ausgelöst wird. Systematische Studien gibt es keine dazu. Auch bei Von 988 Reisenden - im Schnitt 32 Jahre alt, 55 % Frauen, einem HAPE darf Azetazolamid nicht weiter eingenommen werden. 62 % Koka-Gebrauch, 17 % Acetazolamid-Einnahme - hatten Wie bei jedem schweren Lungenversagen wird am Ende Kohlendi- knapp die Hälfte eine AMS. Für Acetazolamid lag das Quo- oxid nicht mehr abgeatmet und bedingt gleichfalls eine Übersäue- tenverhältnis bei 0,6 (Odds ratio). Vereinfacht waren von 10 rung, Acetazolamid wird dann nichts mehr nützen oder gar schaden. Personen fünf sowieso beschwerdefrei (egal ob sie etwas • Die nötige Tagesdosis wird in der Fachliteratur mit 2 x 125 mg bis 3 x 250 mg recht verschieden angegeben (5, 13, 14). Beginn: 1 bis 2 Tage vor schluckten oder nicht), weitere vier hatten trotz der Einnah- dem Aufstieg. Ende: 1 - 2 Tage nach Erreichen der Zielhöhe. Je höher me Beschwerden - so hat es am Ende nur einer Person (von und je schneller, desto größere Dosen sind erforderlich - zu Lasten 10) geholfen. Wäre das nicht auch mit ein bißchen Ibuprofen häufigerer Nebenwirkungen. Oberhalb von 4000 m braucht es wo- gegangen? NB: Sechs von 10, die es mit Kokablättern pro- möglich 3 x 250 mg. Für besseren Schlaf genügen 125 - 250 mg vorher. biert hatten, wurden höhenkrank, also überdurchschnitt- Wenn die gedrosselte Ausscheidung von Kohlensäure durch Acetazola- lich oft (Odds ratio 1,4)! Auch am Kilimandscharo (5895 m) mid hilfreich ist, könnte es dann auch ihre erhöhte Produktion aufgrund geht es gleich zur Sache: die Hütten auf der Marangu-Route von kohlenhydratreicher Ernährung sein? Allgemein wird das in der Hö- liegen auf 2700, 3700 und 4700 m. Auf 4700 leiden ca. 50% henmedizin empfohlen, obwohl der Nutzen nicht belegt ist. Hier ein klei- nes Rechenspielchen für Anästhesisten und Intensivmediziner: Unter rei- - Acetazolamid ändert nur wenig daran. Eine 50/50-Chance ner Kohlenhydratkost bildet unser Körper 1 Liter Kohlendioxid pro Liter haben ebenso Everesttrekker, die erstmal von Kathmandu verbrauchten Sauerstoff (respiratorischer Quotient, RQ: 1,0) - 20 % mehr nach Lukla (2850 m) fliegen. Wer in Jiri (1900 m) losläuft, als unter normaler Mischkost (RQ: 0,82). Zudem werden so - bezogen auf 304 305
die Energiegewinnung - knapp 4 % weniger Sauerstoff als sonst verbraucht drainage der Lungenbläschen - zumindest im Tierversuch: Unter leichter (47,6 vs. 49,5 ml/kcal, entsprechend dem reziproken kalorischen Äquiva- Überdosierung (2 x 120 µg) wiesen anfällige Alpinisten (mindestens ein lent 21 vs. 20,2 kcal/L O2). Doch schafft man es damit wirklich besser zum HAPE bei früheren Besteigungen) nach schnellem Aufstieg auf 4559 m Gipfel? Nur wenn ein anderer den Rucksack schleppt: Kalorien in Form nur zu einem Drittel (6/18) ein Lungenödem im Röntgen und weniger Hö- von Kohlenhydraten wiegen das Doppelte im Vergleich zu Fett-Kalorien! henbeschwerden auf, im Vergleich zu drei Viertel (12/19) in der Placebo- Und was, wenn du kein Azetazolamid verträgst? Dann laß´ es sein. Kein gruppe. Ihre Sauerstoffsättigung war etwas besser (73,5% vs. 67%), die Berg ist es wert, deine Gesundheit oder gar dein Leben auf´s Spiel zu set- Herzfrequenz - eine typische Nebenwirkung von Asthmasprays - kaum zen. Immerhin stirbt im Himalaya einer von 6700 Trekkingtouristen, dazu schneller (94 vs. 89/min). (16) Wegen Kopfschmerzen, Muskelzittern und 1,5 bis 8% der Alpinisten, die auf einen 8000er wollen. (1) Über die Toten Wadenkrämpfen stuft die MedCom der UIAA Salmeterol nur als zweite am Kilimandscharo wird offiziell geschwiegen, vermutlich sterben 30 Trä- Wahl ein und selbst das nur in Kombination mit einem anderen Mittel. (5) ger und Bergführer pro Jahr, dazu 10 Touristen bei jährlich rund 45.000 Sildenafil und Tadalafil (Viagra®, Cialis®) optimieren bekanntermaßen Bergwanderen. Um vor einem leichtfertigen Medikamentengebrauch zu nicht nur die Manneskraft, sondern erweitern auch die Blutgefäße: Das schützen, hat 2016 die medizinische Kommission (MedCom) der Union senkt einen erhöhten Lungenblutdruck, mit Kopfschmerzen als Begleit- Internationale des Associations d’ Alpinisme (UIAA) über 300 Studien erscheinung. Außerdem verursachen sie häufig Sehstörungen - nicht un- ausgewertet. Ihre Ratschläge habe ich im Folgenden berücksichtigt:(5) gefährlich am Berg! Zur AMS-Prophylaxe sind sie wenig untersucht und Ob Koka-Blätter gekaut oder aufgebrüht als Hausmittel der Inkas (und somit potenziell gefährlich. Keine Einnahme bei manifestem HAPE, weil Initiationsritus von Andenreisenden) gegen die Höhenkrankheit wirklich das die Sauerstoffaufnahme in der Lunge weiter verschlechtern kann. helfen, ist fraglich. Die oben bereits erwähnte Beobachtungsstudie (15) in Dr. Paul Preuß (1886-1913), ein legendärer österreichischer Alpinist und Cusco (3400 m ü. M.) ergab das Gegenteil. Außerdem: Koka-Blätter er- Urvater des Freikletterns, sagte mal im Bezug auf technische Kletterhil- halten geringe Mengen an Kokain, daher der Name! So kann man sich Är- fen: „Bergtouren, die man unternimmt, soll man nicht gewachsen, sondern ger einhandeln, wenn man mit einem positiven Kokain-Urintest auffällt. überlegen sein. Die Berechtigung für den Gebrauch von künstlichen Hilfs- Allgemein ist abschwellendes Kortison bei Allergien, bei verquollenen mitteln besteht nur im Falle einer unmittelbar drohenden Gefahr.“ Bezo- Atemwegen (Raucherbronchitis, Asthma, Pseudokrupp), bei Autoimmu- gen auf Höhenkrankheiten würde das heißen: nerkrankungen (Angriff des Immunsystems gegen eigene Organe), bei • Kein falscher Ehrgeiz und keine falschen Eitelkeiten: Plane genug Hirnschwellung und bei akuten Bandscheibenvorfällen ein wichtiger Teil Zeit zur Akklimatisierung ein und besteige Berge demütig von unten. der Therapie. Speziell Dexamethason ist ein wichtiges Notfallmedika- Gehe dein eigenes Tempo und höre auf deinen Körper. Genieße die ment gegen HAPE und HACE. Nur: Aufgrund der vielen Nebenwirkungen Landschaft und erspare dir Termindruck. würde ich es selbst niemals als Prophylaxe gegen die Höhenkrankheit ein- • Ein Rückzug unter guten Bedingungen ist alleweil gesünder, d. h. bei nehmen, schon gar nicht über mehrere Tage! Es verbessert nicht die Ak- Tageslicht, ohne Unterkühlung, noch vorhandenen körperlichen Re- klimatisierung. In Kombination mit Ibuprofen oder bei individueller Nei- serven und nur leichten Höhenbeschwerden. Höhenkrankheiten sind gung entstehen Magengeschwüre und -Blutungen. Jedes Kortisonmit- nicht Ausdruck eines schlechten Trainingszustandes, aber natürlich tel provoziert Infektionen und ein Reißen von Sehnen, bei langfristiger zahlt sich nach der Akklimatisierung eine gute Kondition aus. Einnahme auch Knochenbrüche. Darüber hinaus können „Psychosen“, • Sicherheit zuerst. Mit einer AMS kann keiner als verlässlicher Partner d. h. Verwirrtheit, Euphorie, Depression oder Halluzinationen ausgelöst einer Seilschaft dienen. Durch Kopfschmerz, Schwindel und Gangun- werden. Erst recht in großer Höhe braucht das kein Mensch. Bei Diabeti- sicherheit steigt die Absturzgefahr auf schmalen Wegen. Provozie- kern steigt der Blutzucker. Außerdem gilt für Dexamethason wie für den re keine Rettungseinsätze durch riskantes Handeln: Zum einen dür- Blutdrucksenker Nifedipin (s. u.): Kommt es trotzdem zu schwerer AMS, fen Rettungskräfte keiner vermeidbaren Gefahr ausgesetzt werden, HAPE oder HACE, hat man diese Therapieoptionen bereits verspielt! zum anderen können Dunkelheit, Schlechtwetter oder Zweiteinsätze eine Hubschrauberrettung vereiteln. Nifedipin hat Nebenwirkungen, die nicht von der AMS zu unterscheiden • Keine Solo-Touren - sondern gegenseitige Beobachtung: Jedem sind: Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit und Schwindel. HACE gehen AMS-Symptome für mindestens 12 bis 24 h voraus! Das langwirksame Asthma-Spray Salmeterol verbessert die Flüssigkeits- 306 307
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