Leitfaden für Beschäftigte, Arbeitgeber und Betriebsräte

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Leitfaden für Beschäftigte, Arbeitgeber und Betriebsräte
Leitfaden für Beschäftigte,
Arbeitgeber und Betriebsräte
Inhalt

 2 Vorwort

 3 Übersicht

 4 1. Was ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?

 7 2. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz:
      Zahlen und Fakten

11	
   3.	Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz:
       Ursachen und Folgen

14	
   4. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz:
      Rechte, Pflichten und Handlungsstrategien

14		   4.1. Betroffene

19		   4.2. Arbeitgeber

27		   4.3. Betriebsrat

30	
   5. Good Practice

   6. Verweise
33	

   7. Quellen
34	

   8. Anhang
36	
Übersicht

Sexuelle Belästigung kommt in Betrieben in           Der Leitfaden informiert über Rechte und Bera-
Deutschland immer wieder vor. Das kann schwere       tungsmöglichkeiten und gibt Antworten auf die
Folgen für die Betroffenen haben und dem Unter-      folgenden Fragen:

                                                     ——
nehmen nachhaltig schaden. Problematisch sind
die Ergebnisse einer Umfrage der Antidiskrimi-              as ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?
                                                           W
nierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2015:               Welche Formen sexueller Belästigung gibt
Die Hälfte der befragten Beschäftigten gab an, am          es? Was sagt das Allgemeine Gleichbehand-
Arbeitsplatz eine nach dem Allgemeinen Gleich-             lungsgesetz?

                                                     ——
behandlungsgesetz verbotene sexuelle Belästi-
gung selbst erlebt zu haben. Aber: Mehr als 80              er ist in Arbeitskontexten von sexueller
                                                           W
Prozent der Befragten wussten nicht, dass Arbeit-          Belästigung betroffen? Wer belästigt?

                                                     ——
geber dazu verpflichtet sind, ihre Beschäftigten
aktiv vor sexueller Belästigung zu schützen.                elche Ursachen und Folgen hat sexuelle
                                                           W
                                                           Belästigung am Arbeitsplatz?

                                                     ——
 ntsprechend wenige Präventions- und Schutz-
E
maßnahmen sind bekannt. Jede zweite Person                  ie können Betroffene gegen sexuelle
                                                           W
hat angegeben, überhaupt keine Maßnahmen                   Belästigung am Arbeitsplatz vorgehen? Was
zu kennen, die im eigenen Unternehmen gegen                müssen sie beachten? Wo finden sie Hilfe
sexuelle Belästigung ergriffen wurden. Insgesamt           und Beratung?

                                                     ——
fehlt es an Informationen über Maßnahmen zur
Durchsetzung eines aktiven Schutzes vor sexuel-             elche Schutzpflichten, Präventions- und
                                                           W
ler Belästigung am Arbeitsplatz.                           Sanktionsmöglichkeiten haben Arbeitgeber?

Der Leitfaden richtet sich deshalb an:
                                                     ——     elche Aufgaben und Pflichten hat der
                                                           W

——
                                                           Betriebsrat im Umgang mit sexueller Belästi-
      v on sexueller Belästigung am Arbeitsplatz          gung am Arbeitsplatz?

                                                     ——
      Betroffene,

——
                                                            ie sehen vorbildliche Schutzmaßnahmen
                                                           W
      Arbeitgeber,                                         aus?

——    Personal- und Betriebsräte,

——     leichstellungsbeauftragte und andere
      G
      Handlungsverantwortliche,

——    Menschen, die sexuelle Belästigung beobach-
      tet haben und

——     enschen, die sich allgemein über das Thema
      M
      sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz infor-
      mieren möchten.
1. Was ist sexuelle Belästigung
   am Arbeitsplatz?
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) spricht von sexueller Belästigung, wenn

„[…] ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch
unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen,
sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuel-
len Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen
von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder be-
wirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbe-
sondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Ernied-
rigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes
Umfeld geschaffen wird.“                                 § 3 Abs. 4 AGG

Bei einer sexuellen Belästigung handelt es sich     Rechte, um sich gegen sexuelle Belästigung zur
also um eine unerwünschte Verhaltensweise,          Wehr zu setzen. Gleichzeitig bestimmt das AGG
die sexualisiert und geschlechtsbezogen ist.1 Das   eine deutliche Schutzpflicht für Arbeitgeber.
können vor allem sexuelle Anspielungen oder
unangemessene körperliche Berührungen sein.         In den meisten Fällen sind Frauen von sexueller
Die Unerwünschtheit besteht aber auch dann,         Belästigung betroffen. Das Gesetz verbietet sexu-
wenn eine Person unter Druck gesetzt wurde, eine    elle Belästigung aber grundsätzlich und schützt
sexuelle Handlung zu erdulden oder zu erwidern.     somit auch Männer, Trans*-Personen2 und inter­
Eine sexuelle Belästigung geht mit einer Wür-       geschlechtliche Menschen sowie alle anderen
deverletzung der belästigten Person einher. Das     AGG-Merkmale.

                                                    ——
heißt, das Verhalten beleidigt, erniedrigt oder
beschämt die andere Person. Es geht dabei nicht           S exuelle Belästigung ist durch Würdeverlet-
darum, ob die Würdeverletzung beabsichtigt ist,           zung und Unerwünschtheit bestimmt.
sondern um die Auswirkung auf die belästigte
Person. Sexuelle Belästigung ist also nicht aus-
schließlich sexuelle Gewalt, sondern bezieht sich
                                                    ——    J ede sexuelle Belästigung ist am Arbeitsplatz
                                                           verboten, egal ob die verursachende Person
                                                           die Belästigung beabsichtigt hat und die Be-
auf alle Formen solcher Belästigungen.
                                                           lästigung erkennbar abgelehnt wurde.

Das AGG verbietet sexuelle Belästigung insbeson-
dere in beruflichen Zusammenhängen (§ 2 Abs. 1
Nr. 1 – 4 AGG). Das Gesetz gibt Beschäftigten
1.1. Formen sexueller Belästigung

Das Gesetz nennt einige Beispiele sexueller Beläs-           Belästigung können drei Kategorien unterschie-
tigung wie etwa Bemerkungen sexuellen Inhalts                den werden: verbale, non-verbale und physische
oder Aufforderungen zu sexuellen Handlungen.                 Belästigung.3
Es gibt noch einige weitere Formen. Bei sexueller

 Art der sexuellen      Beschreibung
 Belästigung4

 Verbal
                        ————       sexuell anzügliche Bemerkungen und Witze
                                   aufdringliche und beleidigende Kommentare über die Kleidung,

                         ————
                                   das Aussehen oder das Privatleben
                                   sexuell zweideutige Kommentare

                          ——
                                   Fragen mit sexuellem Inhalt, z. B. zum Privatleben oder zur Intimsphäre
                                    ufforderungen zu intimen oder sexuellen Handlungen,
                                   A

                          ——
                                   z. B. „Setz dich auf meinen Schoß!“
                                   sexualisierte oder unangemessene Einladungen zu einer Verabredung

 Non-verbal
                          ————     aufdringliches oder einschüchterndes Starren oder anzügliche Blicke

                           ————
                                   Hinterherpfeifen
                                   unerwünschte E-Mails, SMS, Fotos oder Videos mit sexuellem Bezug
                                    nangemessene und aufdringliche Annäherungsversuche in sozialen
                                   u

                            ————
                                   Netzwerken
                                   Aufhängen oder Verbreiten pornografischen Materials
                                   unsittliches Entblößen

 Physisch
                             ——    jede unerwünschte Berührung (Tätscheln, Streicheln, Kneifen, Umarmen,

                             ——
                                    Küssen), auch wenn die Berührung scheinbar zufällig geschieht
                                   wiederholte körperliche Annäherung, wiederholtes Herandrängeln, wieder-

                             ——
                                   holt die übliche körperliche Distanz (ca. eine Armlänge) nicht wahren
                                   k örperliche Gewalt sowie jede Form sexualisierter Übergriffe bis hin zu
                                    Vergewaltigung

1.2. F
      lirt oder sexuelle Belästigung? Wo ist die Grenze?
Im Alltagsverständnis wird sexuelle Belästigung              nen wird unterstellt, dass sie überempfindlich auf
oft mit physischer Gewalt gleichgesetzt. Sexuell             einen Witz oder Flirtversuch reagieren. Ein Flirt
übergriffiges und belästigendes Verhalten beginnt            zum Beispiel hat nichts mit sexueller Belästigung
aber viel früher, auch wenn viele Formen sexuel-             zu tun. Er ist auch am Arbeitsplatz nicht verboten.
ler Belästigung im Alltag nicht strafbar sind. Vor           Aber: Flirts entstehen in beiderseitigem Einver-
allem verbale und non-verbale Belästigungen                  ständnis. Übergriffiges Verhalten geschieht ohne
werden immer wieder verharmlost. Den Betroffe-               das Einverständnis der anderen Person.
Das Verhalten ist damit grenzüberschreitend. Vor       Beispiel aus der Rechtsprechung:
allem dann, wenn die betroffene Person Ableh-
nung signalisiert oder durch das Verhalten gede-       Einem Produktmanager wird aufgrund mehrfa-
mütigt oder beschämt wird. Außerdem handelt es         cher verbaler sexueller Belästigung einer Kollegin
sich um eine sexuelle Belästigung, wenn z. B. einer    außerordentlich gekündigt. Der Mann klagt gegen
Beschäftigten berufliche Nachteile angedroht           die Kündigung. Die Begründung: Es habe sich seiner
werden, falls sie sexuelle Handlungen verweigert.      Meinung nach nicht um eine sexuelle Belästigung,
Oder wenn beispielsweise einem Mitarbeiter be-         sondern um bloßes ‚Necken‘ gehandelt.
rufliche Vorteile dafür versprochen werden, dass
er sich auf sexuelle Handlungen einlässt.              Das Gericht weist die Klage ab. Es bestätigt, dass das
                                                       Verhalten des Belästigers die Würde der Mitarbeite-
                                                       rin verletzt hat.
Flirt = sexuelle Belästigung?
Die Grenzen sind klar markiert!                        Der Mann hat bereits einige Jahre zuvor eine Ab-

——
                                                       mahnung wegen sexueller Belästigung erhalten.
       Unerwünschtheit                                 Er hatte einer Kollegin gezielt auf das Gesäß ge-

——     Erniedrigung und Abwertung
                                                       schlagen. Das Gericht kommentierte diesbezüglich,

——
                                                       dass der Angestellte schon für diesen Vorfall eine
       Einseitigkeit                                   Kündigung hätte erhalten können. Auch die langjäh-

——     Grenzüberschreitung
                                                       rige Betriebszugehörigkeit des Mannes wirkte sich

——
                                                       nicht mildernd auf das Urteil aus.
        ersprechen beruflicher Vorteile bei sexuel-
       V
       lem Entgegenkommen                              Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil v. 09.06.2011 –

——      ndrohen beruflicher Nachteile bei Verwei-
       A
       gerung
                                                       AZ: 2 AZR 323/10

1.3. Was ist das Besondere am Schutz im AGG?
Das AGG verbietet jede Form der sexuellen Beläs­­-     Das Gesetz schützt Beschäftigte über das Straf-
tigung am Arbeitsplatz. Deshalb sind in den            und Zivilrecht hinaus. Denn: Sexuell belästigen-
meisten Fällen Arbeitgeber verantwortlich, Maß-        des Verhalten ist vor allem im Arbeitskontext
nahmen gegen sexuell belästigendes Verhalten           gravierend. Am Arbeitsplatz kann man der beläs-
zu ergreifen. Erst bei strafrechtlich relevanten       tigenden Person nicht aus dem Weg gehen. Der
Formen von sexuellen Übergriffen wie etwa einer        Arbeitsplatz muss deshalb für alle Beschäftigten
sexuellen Nötigung sind auch die Polizei oder die      ein sicheres Umfeld sein.
Staatsanwaltschaft zuständig.
                                                       Der Schutz ist nicht auf das Büro, das Unterneh-
Anders als in anderen Lebensbereichen ist sexu-        mensgebäude oder die Arbeitszeit beschränkt.
elle Belästigung am Arbeitsplatz immer verboten.       Das Gesetz verbietet jede Form der sexuellen
Im Strafrecht ist dieser Schutz nicht so umfas-        Belästigung, die innerhalb eines Arbeitsverhält-
send: Zum Beispiel ist es im Alltag nicht verboten,    nisses stattfindet. Dazu zählen: Dienstreisen,
einer Frau offensichtlich auf die Brüste zu starren,   Arbeits­wege, Firmenfeiern, Betriebsausflüge,
am Arbeitsplatz ist dieses Verhalten aber eindeu-      Pausen sowie SMS, E-Mails oder Anrufe.
tig gesetzeswidrig.

!   Jede Form der sexuellen Belästigung ist am
    Arbeitsplatz verboten.
2. Sexuelle Belästigung am
   Arbeitsplatz: Zahlen und Fakten
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz wird oft                  Viele Beschäftigte wissen nicht, dass jede Form
unterschätzt. Das zeigt eine repräsentative Umfra-             der sexuellen Belästigung im Arbeitskontext
ge der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus               verboten ist. Das bedeutet, viele Betroffene kön-
dem Jahr 2015. Fragt man Beschäftigte nach ihrem               nen sich auch nicht richtig zur Wehr setzen.
Verständnis von sexueller Belästigung, fällt auf:              Zum Beispiel weiß nur ein Fünftel der Beschäf-
Viele Formen sexueller Belästigung werden nur                  tigten, dass Arbeitgeber alle Angestellten vor
von rund zwei Dritteln der Befragten als solche                sexueller Belästigung schützen müssen (§ 12 AGG).
verstanden (Abbildung 1).5                                     Konkrete Rechte wie das Leistungsverweigerungs-
                                                               recht (§ 14 AGG) oder das Maßregelungsverbot
                                                               (§ 16 AGG) sind ebenfalls kaum bekannt.6

Abbildung 1: Was verstehen Sie unter sexueller Belästigung?

   Aufforderung zu unerwünschten sexuellen Handlungen 93
                                                      95
                                                      90

Explizite Aufforderungen wie „Setz dich auf meinen Schoß“ 89
                                                          92
                                                          87

                            Unerwünschte Berührungen 75
                                                     84
                                                     75

                    Anzügliche Bemerkungen oder Witze 67
                                                      74
                                                      60

       Anbringen aufreizender oder pornografischer Bilder 63
                                                          72
                                                          55

                               Unerwünschtes Anstarren 64
                                                       67
                                                       64

        Gesamt           Frauen           Männer
2.1. Wer wird belästigt?
Grundsätzlich gilt: Jede Person kann Opfer sexu-            ben oder Aussehen gestellt bekommen zu haben.
eller Belästigung werden. Das AGG schützt alle              19 Prozent haben am Arbeitsplatz unerwünschte
Menschen vor sexueller Belästigung am Arbeits-              körperliche Annäherungen erlebt.9
platz.
                                                            Am häufigsten erleben Frauen sexuelle Belästi-
                                                            gung durch Kollegen auf der gleichen Hierarchie-
Frauen                                                      stufe, aber auch durch Vorgesetzte und Kunden
                                                            (Abbildung 2).10
In der überwältigenden Mehrheit der bekannten
Fälle sind Frauen von sexueller Belästigung be-             Eine repräsentative Untersuchung aus dem
troffen.7 Das macht eine Untersuchung deutlich,             Jahr 2004 zur „Lebenssituation, Sicherheit und
in der mehr als 700 Gerichtsurteile und -beschlüs-          Gesundheit von Frauen“ im Auftrag des Bun-
se ausgewertet wurden. In der Untersuchung                  desministeriums für Familie, Senioren, Frauen
wurden alle gerichtlichen Entscheidungen zu                 und Jugend (BMFSFJ) hat außerdem gezeigt,
sexuellen Übergriffen im Arbeitskontext berück-             dass bestimmte Gruppen besonders gefährdet
sichtigt, die zwischen den Jahren 1980 und 2014             sind, sexuell belästigt zu werden.11 Dazu gehören
zugänglich waren: Mit Ausnahme von 25 Fällen                beispielsweise junge Frauen. Andere Studien ver-
ging es um die sexuelle Belästigung von Frauen.8            weisen darauf, dass außerdem Frauen in Ausbil-
                                                            dungsverhältnissen und Frauen, die in männlich
Die Beratungsanfragen der Antidiskriminierungs-             dominierten Betrieben oder Bereichen arbeiten,
stelle des Bundes zeichnen ein ähnliches Bild:              ebenfalls häufig von sexueller Belästigung betrof-
Neun von zehn Beratungsanfragen zum Thema                   fen sind.12
sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz stellten
Frauen.
                                                            Männer
Die Beschäftigtenumfrage der Antidiskriminie-
rungsstelle hat ergeben, dass 17 Prozent der be-            Auch Männer können Opfer sexueller Belästi-
fragten Frauen nach eigener Einschätzung bereits            gung am Arbeitsplatz sein. In der Umfrage der
sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt haben.          Antidiskriminierungsstelle haben sieben Prozent
Fragt man konkret nach einzelnen Situationen,               der befragten Männer angegeben, schon einmal
sind die Zahlen noch höher. Zum Beispiel haben              am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden zu sein.
22 Prozent der Frauen angegeben, unangemesse-               Fragt man konkret nach einzelnen Situationen,
ne Fragen mit sexuellem Bezug zu ihrem Privatle-            sind die Zahlen noch höher. Zum Beispiel haben

Abbildung 2: Von wem werden Frauen am Arbeitsplatz sexuell belästigt?

        Von Kolleg_innen auf gleicher Hierarchiestufe 65

           Von Kund_innen oder von Besucher_innen 36

        Von Vorgesetzten auf höherer Hierarchiestufe 31

        Von Kolleg_innen auf höherer Hierarchiestufe 31

 Von Mitarbeiter_innen auf niedrigerer Hierarchiestufe 23

     Von Kolleg_innen auf niedrigerer Hierarchiestufe 20                                Mehrfachnennungen möglich
19 Prozent der befragten Männer angegeben, un-        besondere auch sexuelle Belästigung, wie z. B. un-
angemessene Fragen mit sexuellem Bezug gestellt       angenehme Fragen zum Privatleben, Verbreitung
bekommen zu haben. Zwölf Prozent haben am             sexueller Gerüchte oder sexuelle Anspielungen
Arbeitsplatz unerwünschte körperliche Annähe-         eine Rolle spielen.16 An die Beratung der Anti­
rungen erlebt. Insgesamt lassen die Umfrageer-        diskriminierungsstelle wenden sich zudem im-
gebnisse der Antidiskriminierungsstelle darauf        mer wieder lesbische Frauen, die im Zusammen-
schließen, dass Männer im Gegensatz zu Frauen         hang mit sexueller Belästigung von sogenannten
häufiger von leichteren und verbalen Formen           Mehrfachdiskriminierungen berichten.
sexueller Belästigung betroffen sind.13
                                                      Der Begriff Mehrfachdiskriminierung bezeich-
                                                      net eine Ungleichbehandlung aufgrund meh-
Trans*                                                rerer Diskriminierungsmerkmale. In diesem Fall
                                                      werden die betroffenen Personen also gleichzeitig
Eine Studie der Agentur der Europäischen Union        aufgrund ihres Geschlechts und ihrer sexuellen
für Grundrechte (FRA) zeigt, dass transgender,        Identität benachteiligt.
transsexuelle und transidente Menschen in allen
Lebensbereichen überdurchschnittlich von Dis-         Insgesamt gibt es nur wenige Daten zum Thema
kriminierung und Belästigung betroffen sind.          sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Vor allem
Für Deutschland haben 33 Prozent angegeben,           im Zusammenhang mit sexueller Identität,
dass sie in den vergangenen fünf Jahren kör-          Trans*, Inter* und Mehrfachdiskriminierung ist
perlich oder sexuell angegriffen oder bedroht         das problematisch. Hier ist nämlich von einer
wurden. Gleichzeitig geht aus zahlreichen Studien     erhöhten Betroffenheit auszugehen, die sich auch
hervor, dass Trans*Personen insbesondere am           in Präventions- und Beratungsangeboten spiegeln
Arbeitsplatz besonders häufig Diskriminierung         sollte.
und Belästigung erleben.14

Es gibt keine Studie, die konkret sexuelle Belästi-   Beispiel aus der Rechtsprechung:
gung von Trans*-Personen am Arbeitsplatz unter-
sucht. Aber: Vor dem Hintergrund der vorhanden        Eine gehörlose und stumme Arbeitnehmerin wird
Daten ist zu vermuten, dass Trans*-Personen           in einem Secondhand-Geschäft von ihrem Kollegen
besonders durch sexuelle Belästigung am Arbeits-      gegen ihren Willen angefasst. Sein Verhalten ist sehr
platz gefährdet sind.                                 zudringlich. Die Frau muss sich körperlich wehren,
                                                      um den Belästiger zurückzudrängen.

Homo- und bisexuelle                                  Der Leiter des Geschäfts beobachtet den Angestell-
Menschen                                              ten zufällig bei der Tat und kündigt ihm fristlos.
                                                      Die Arbeitnehmerin teilt später mit, dass es sich bei
In der Studie der Grundrechteagentur haben für        dem Verhalten des Mitarbeiters um keine Einzeltat
Deutschland 22 Prozent der lesbischen Frauen,         gehandelt hat. Der Angestellte klagt gegen die Kün-
21 Prozent der schwulen Männer, 17 Prozent der        digung, doch das Arbeitsgericht weist die Klage mit
bisexuellen Frauen und 14 Prozent der bisexuel-       dem Verweis auf die sexuelle Belästigung ab.
len Männer angegeben, dass sie in den vergange-
nen zwölf Monaten am Arbeitsplatz wegen ihrer         Das Gericht bewertet zu Lasten des Klägers, dass
sexuellen Identität diskriminiert wurden.15           er sich die Behinderung der Frau und die damit
                                                      verbundene verbale Wehrlosigkeit zunutze gemacht
Homo- und bisexuelle Menschen sind dabei              hat.
häufig gefährdet, sexuell belästigt zu werden. Eine
andere Studie zeigt in diesem Zusammenhang,           ArbG Frankfurt/M., Urteil v. 11.02.2002 – AZ:
dass bei Diskriminierungserfahrungen von homo-        15 Ca 7402/01
und bisexuellen Männern am Arbeitsplatz ins­
Mehrfachdiskriminierung und sexuelle Belästigung

Beispiel 1: Behinderung                                  unsicheren Arbeitsverhältnissen. Dazu kommt, dass
                                                         Beratungs- und Schutzangebote häufig nicht barrie-
Oft wird ausgenutzt, dass Menschen mit Behinde-
                                                         refrei sind und viele sie nicht nutzen können.
rungen eine geringe Fähigkeit zur Gegenwehr haben
oder ihnen diese unterstellt wird.17 Frauen mit Behin-
                                                         Beispiel 2: Ethnische Herkunft
derung sind dabei in besonderem Maße von sexueller
Belästigung betroffen.                                   Auch von Menschen mit Migrationshintergrund wird
                                                         oft vermutet, dass diese eine geringere Fähigkeit
Eine Studie des Bundesministeriums für Familie,          zur Gegenwehr haben. Tatsächlich stellen auch hier
Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2012 hat        verschiedene Studien eine überdurchschnittliche
gezeigt, dass zwischen 68 und 87 Prozent (abhängig       Betroffenheit von sexualisierter Gewalt und sexueller
von der Art der Behinderung) der befragten Frauen        Belästigung fest.20 Häufig befinden sich Menschen
mit Behinderung schon einmal sexuelle Beläs­tigung       mit Migrationshintergrund in prekären Arbeitssituati-
erlebt haben.18 13 – 39 Prozent (abhängig von der Art    onen. Das kann auch sie – trotz fehlender detaillierter
der Behinderung) der Befragten gaben an, bereits am      wissenschaftlicher Untersuchungen – in besonde-
Arbeitsplatz sexuell belästigt worden zu sein.19 Men-    rem Maße zu Opfern von sexueller Belästigung am
schen mit Behinderung arbeiten außerdem häufig in        Arbeitsplatz machen.

Abbildung 3: Sexuelle Belästigung – wer wird belästigt,
wer ist besonders gefährdet?
                                                                                      Männer-
                                                                   Behinderung       dominierte
                                                                                      Branche

                                                           Geschlecht
                                                           (insbeson-       Junges Alter     Homo- und
                                                          dere Frauen/                       Bisexualität
                                                             Trans*)

                       Maßgeblicher Faktor
                                                                                     Migrations-
                                                                    Ausbildung
                     Verstärkende Faktoren                                           hintergrund

2.2. Wer belästigt?
Sexuelle Belästigung von Frauen geht überwie­             einzigen Fall, in dem eine Frau belästigt hat.22
gend von Männern aus. Aus der erwähnten                   Trotzdem belästigen nicht nur Männer. Belästi-
Umfrage der Antidiskriminierungsstelle geht               gungen, bei denen Frauen Täterinnen sind, kom-
hervor, dass 81 Prozent der sexuellen Belästigung         men durchaus vor.23 Auch Gruppenkonstellatio-
von Frauen durch Männer verübt wurde.21 Das               nen sind denkbar. Sexuelle Belästigung kann von
bestätigt auch die bereits genannte Untersuchung          einer Gruppe ausgehen und nur Einzelne betref-
deutscher Gerichtsentscheidungen zu sexueller             fen. Umgekehrt kann auch eine einzelne Person
Belästigung am Arbeitsplatz. Dort gab es keinen           mehrere Menschen gleichzeitig belästigen.
3. Sexuelle Belästigung am
   Arbeitsplatz: Ursachen und
   Folgen
3.1. Was sind die Ursachen von sexueller Belästigung
am Arbeitsplatz?
Sexuelle Belästigung hat in erster Linie nichts mit   Beispiele aus der Rechtsprechung:
Kontaktanbahnung oder Sexualität zu tun. Sie          Sexuelle Belästigung als …
hat auch nichts mit der subjektiven Attraktivität
einer belästigten Person zu tun. Im Arbeitskon-       Machtdemonstration
text steht sie in der Regel im Zusammenhang mit
Machtausübung und Hierarchien.24 Vor allem            ——   Der Vorstandsvorsitzende belästigt die
                                                            befristet Beschäftigte.25

                                                      —— 
zwei Ursachen bzw. Absichten können dabei un-
terschieden werden:                                         Der Ausbildungsleiter belästigt die Auszu­
                                                            bildenden.26
Einerseits werden hierarchische Arbeitsbeziehun-
                                                      ——    Der Aufsichtsrat belästigt die Managerin.27

                                                      ——
gen ausgenutzt, um sexuell zu belästigen und die
eigene Macht zu demonstrieren. Bereits beste-               Der Angestellte belästigt die Praktikantin.28
hende Ungleichheiten werden dadurch gefestigt.
Sexuelle Belästigung ist aber oft auch ein Mittel,
                                                      Konkurrenz/Respektlosigkeit

                                                      ——
mit dem z. B. Konkurrenz ausgeschaltet oder die
Autorität einer vorgesetzten Person untergraben              er Arbeitskollege erzählt einen sexistischen
                                                            D
werden soll.                                                Witz, der Vergewaltigung verharmlost.

!   S exuelle Belästigung hat nichts mit             ——   Der Angestellte fordert eine Kollegin auf,
                                                            einen Minirock zu tragen.29

                                                      —— 
     Kontaktanbahnung, Sex oder der Attraktivität
     einer Person zu tun.                                   Der Bauarbeiter drängt die Bauleiterin
                                                            gewaltsam in eine Ecke und fasst ihr an die

!    urch sexuelle Belästigung wird Macht
    D                                                       Brust.30
    demonstriert, Konkurrenz ausgeübt oder
    Respektlosigkeit zum Ausdruck gebracht.

3.2. Schuldumkehr
Sexuelle Belästigung wird im Job oft nicht als        hang mit sexueller Belästigung kommt es deshalb
solche erkannt. An viele diskriminierende Verhal-     immer wieder zu einer sogenannten Schuldum-
tensweisen, Begriffe oder Bemerkungen hat man         kehr. Das bedeutet, die belästigte Person wird
sich im Alltag offenbar gewöhnt. Im Zusammen-         beschuldigt, etwas missverstanden zu haben oder
den Vorfall zu ernst zu nehmen. Sexuelle Belästi-    Beispiel aus der Beratung der Antidiskriminie-
gung wird dann fälschlicherweise als Flirtversuch    rungsstelle:
verharmlost. Am Arbeitsplatz kann das so weit
gehen, dass der belästigten Person üble Nachrede     Eine Frau wendet sich an die Beratung der Antidis-
oder Mobbing unterstellt wird.                       kriminierungsstelle, weil ihr mit einer Kündigung
                                                     gedroht wird. Sie hat sich an ihren Vorgesetzten
Für die Betroffenen wird sexuelle Belästigung        gewandt, nachdem sie von zwei Kollegen unange-
dann zum doppelten Nachteil: Ihnen wird einer-       messen angefasst worden ist. Statt der Beschwerde
seits vollkommen ungerechtfertigt eine Mit-          nachzugehen, unterstellt der Vorgesetzte der Frau,
schuld zugesprochen. Andererseits wird ihnen         dass sie lügt. Er hat sie deshalb aufgefordert, die
die Möglichkeit genommen, sexuelle Belästigung       Anschuldigungen in einer Mail an alle Beschäftigten
als solche zu benennen. Damit werden belästigte      zurückzunehmen. Sie weigert sich, die E-Mail zu
Personen davon abgebracht, sich zu wehren. Sie       schreiben, weshalb ihr mit der Kündigung gedroht
werden ein zweites Mal zum Opfer.31                  wird.

Sowohl für Betroffene als auch für Arbeitgeber ist   Im Beratungsgespräch berichtet die Frau von ihrer
es wichtig zu wissen: Beschäftigte haben immer       Wut und gleichzeitigen Verunsicherung. Eine Kün-
das Recht, sich gegen sexuelle Belästigung zu        digung kann sie finanziell nicht überbrücken. Die
wehren. Die Verantwortung für belästigendes          Beraterin der Antidiskriminierungsstelle bietet der
Verhalten tragen immer diejenigen, die belästigen    Betroffenen an, eine Stellungnahme des Unterneh-
– niemals die Leidtragenden.                         mens anzufragen.

                                                     Die Frau lehnt das zunächst ab. Kurze Zeit später
                                                     wird sie freigestellt und dann gekündigt. Die Frau
                                                     wendet sich erneut an die Beratung. Die Beraterin
                                                     klärt sie auf, dass eine Stellungnahme nach der Kün-
                                                     digung nichts mehr bewirkt. Nach der Kündigung ist
                                                     es für die Betroffene nur noch möglich, eine Kün-
                                                     digungsschutzklage einzureichen. Die Klage muss
                                                     spätestens drei Wochen nach Erhalt der schriftli-
                                                     chen Kündigung eingereicht werden.

3.3. Wie wirkt sich sexuelle Belästigung auf die
Betroffenen und den Betrieb aus?
Sexuelle Belästigung wirkt sich sowohl auf die       tigte Personen nicht trauen, sich zu beschweren
physische als auch auf die psychische Gesundheit     oder ihre Beschwerde nicht ernst genommen
von Betroffenen aus. Das kann von Angst, Scham       wird. Das führt oft dazu, dass betroffene Personen
und Ekel bis hin zu Schlafstörungen und Depres-      sich gezwungen sehen zu kündigen oder arbeits-
sionen reichen.32 Dabei kann zwischen kurzfris-      unfähig werden.33
tigen und langfristigen Folgen unterschieden
werden.                                              Sexuelle Belästigung hat aber nicht nur indivi-
                                                     duelle Folgen. Sexuelle Belästigung schadet dem
Sexuelle Belästigung kann dazu führen, dass die      Betriebsklima insgesamt und kann die gesamte
Arbeitsmotivation von Betroffenen beeinträchtigt     Belegschaft sowie den Ruf des Betriebs negativ
wird, sie unkonzentriert sind oder krank werden.     beeinflussen.
Das ist vor allem dann der Fall, wenn sich beläs-
Psychische und physische Folgen von sexueller Belästigung

    Kurzfristige Folgen                                 Langfristige Folgen

    ————      Ärger und Aggression
                                                        ————      Gefühl der Minderwertigkeit

     ————                                                ————
              Schlaflosigkeit                                     Verlust des Selbstvertrauens
              Migräne                                             Beziehungsschwierigkeiten

      ————                                                ————
              Magenschmerzen                                      Angstzustände
              Verlegenheit und Scham                              Schlafstörungen

       ————                                                ————
              Angst und Hilflosigkeit                             Konzentrationsschwierigkeiten
              Schock und Ohnmacht                                 Arbeitsunfähigkeit

        ——                                                  ——
              Schuld                                              Depression
              Ekel                                                Panikattacken

!    S exuelle Belästigung kann auf die Betroffenen
      schwere Auswirkungen bis hin zur Arbeits­
      unfähigkeit haben.

!    S exuelle Belästigung kann sich negativ auf das
      Betriebsklima und den Ruf des Unternehmens
      auswirken.
4. Sexuelle Belästigung am
   Arbeitsplatz: Rechte, Pflichten
   und Handlungsstrategien
4.1. Betroffene
Jeder Mensch reagiert anders auf sexuelle Beläs-      Beschwerderecht nach § 13 AGG
tigung. Jeder Vorfall von sexueller Belästigung
ist unterschiedlich. Deshalb gibt es keine Verhal-    Alle Beschäftigten haben das Recht, im Betrieb
tenstipps, die immer anwendbar sind. Vor allem        bei der zuständigen Stelle Beschwerde einzulegen,
am Arbeitsplatz herrscht viel Unsicherheit darü-      wenn sie das Gefühl haben, nach dem AGG be-
ber, wie mit sexueller Belästigung umgegangen         nachteiligt worden zu sein. Das gilt also auch für
werden soll. Viele Betroffene gehen nicht gegen       sexuelle Belästigung. Die Beschwerdestelle muss
sie vor. Viele haben Angst, die Situation falsch      im Betrieb bekannt gemacht werden (§ 12 Abs.
einzuschätzen oder durch eine Beschwerde              5 AGG). Die Beschwerdestelle muss sich mit der
Nachteile zu erfahren.                                Beschwerde auseinandersetzen, sie prüfen und die
                                                      betroffene Person über das Ergebnis der Prüfung
In der akuten Situation hilft es in vielen Fällen,    informieren. Beschäftigten, die eine Beschwerde
der belästigenden Person deutlich zu machen,          eingelegt haben, dürfen daraus keine Nachteile
dass man sich sexuell belästigt fühlt. Das geht       entstehen. Abmahnungen oder Kündigungen
sowohl mündlich als auch schriftlich. Auch die        wegen einer Beschwerde sind also verboten (§ 16
Ankündigung von Konsequenzen, falls das beläs-        Abs. 1 AGG). Außerdem haben Beschäftigte den
tigende Verhalten nicht aufhört, ist legitim. Aber:   Anspruch auf vorbeugende und unterbindende
Eine direkte und unmittelbare Reaktion ist nicht      Schutzmaßnahmen durch den Arbeitgeber (§ 12
immer möglich. Betroffene dürfen sich auch            Abs. 1 – 4 AGG).
nachträglich beschweren.

4.1.1. Rechte von Betroffenen
                                                      !    ei Beschwerden gilt: Je früher die sexuelle
                                                          B
                                                          Belästigung gemeldet wird, desto besser. Für
                                                          Beschwerden selbst gibt es aber keine Fristen.
                                                          Fristen sind aber dann zu berücksichtigen,
Das AGG sieht für Betroffene drei zentrale Rechte         wenn betroffene Personen Ansprüche auf
vor:                                                      Schadensersatz oder Entschädigung geltend

——
                                                          machen wollen.
      Beschwerderecht (§ 13 AGG)

——    Leistungsverweigerungsrecht (§ 14 AGG)
                                                      !    ei sexueller Belästigung ist es für Betroffene
                                                          B

——     nspruch auf Entschädigung und Schadens-
      A
      ersatz (§ 15 AGG)
                                                          sinnvoll, jeden einzelnen Vorfall zu dokumentieren.

                                                      !    s kann sinnvoll sein, sich vertrauensvoll an
                                                          E
                                                          Kolleginnen oder Kollegen zu wenden. Hier
                                                          ist jedoch eine gewisse Vorsicht geboten: Die
                                                          Verschwiegenheit der Vertrauensperson ist eine
                                                          wichtige Voraussetzung.
Ihre Beschwerde können Betroffene darüber
hinaus gemäß Betriebsverfassungsgesetz auch an
den Betriebsrat richten (§ 84 BetrVG). In man-
                                                           !    ür Beschäftigte ist nicht immer erkennbar, ob
                                                               F
                                                               eine Maßnahme ungeeignet ist. Im Zweifelsfall
                                                               müssen Beschäftigte die Rechtfertigung für die
chen Fällen ist die Beschwerdestelle ohnehin dort              Leistungsverweigerung beweisen.
eingerichtet und keine gesonderte Stelle. In jedem

                                                           !
Fall muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass die
                                                               S ind die Voraussetzungen für eine Leistungs­
sexuelle Belästigung in Zukunft unterbleibt.
                                                                verweigerung nicht gegeben, sind Arbeitgeber ggf.
                                                                zu einer Kündigung berechtigt.
Leistungsverweigerungsrecht
nach § 14 AGG
                                                           !    eschäftigte sollten sich deshalb auf jeden Fall
                                                               B
                                                               juristisch beraten lassen, bevor sie die Arbeit
                                                               niederlegen.
Wenn der Arbeitgeber keine wirksamen Maßnah-
men ergreift, um die betroffene Person zu schüt-
zen, kann man als „letztes Mittel“ der Arbeit fern
bleiben und weiterhin das volle Gehalt verlangen,          Ansprüche auf Schadensersatz
um weiteren sexuellen Belästigungen zu entge-              und Entschädigung nach § 15 AGG
hen. Das gilt aber nur dann, wenn der Arbeitgeber
nichts zum Schutz vor sexueller Belästigung                Von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Betrof-
unternimmt oder die Maßnahmen ungeeignet                   fene haben in einigen Fällen ihrem Arbeitgeber
sind. In jedem Fall sollte der Arbeitgeber vor der         gegenüber einen Anspruch auf Schadensersatz bzw.
Leistungsverweigerung schriftlich und unter                Entschädigung. Das heißt zum Beispiel: Arzt- oder
Angabe der Gründe informiert werden.                       Therapiekosten, die wegen der sexuellen Belästi­
                                                           gung entstanden sind, müssen übernommen wer-

Sonderfälle und Schutzlücken I: Was passiert, wenn …

… die sexuelle Belästigung vom Arbeitgeber ausgeht?        … die belästigte Person freiberuflich beschäftigt ist?

Wenn die sexuelle Belästigung von der Geschäfts-           Das AGG schützt freie Mitarbeiterinnen und Mitar-
führung oder dem Inhaber bzw. der Inhaberin der            beiter, Honorarkräfte oder Beschäftigte auf Werkver-
Firmen ausgeht, läuft der Rechtsschutz teilweise ins       tragsbasis nicht vor sexueller Belästigung während
Leere. Der Arbeitgeber wird sich nicht selbst sankti-      des Auftragsverhältnisses. Das AGG schützt freibe-
onieren. Betroffene Personen haben zwar weiterhin          rufliche Beschäftigte nur dann, wenn z. B. ein Auf-
einen Schadensersatz- bzw. Entschädigungsanspruch,         traggeber sexuelle Handlungen zur Bedingung für die
mittelfristig bleibt der belästigten Person aber oft nur   Erteilung eines Auftrags macht.
die Kündigung, wenn eine weitere Zusammenarbeit
nicht möglich ist.                                         Das bedeutet aber nicht, dass freiberuflich Beschäftig-
                                                           te völlig schutzlos sind. Die zivil- und strafrechtlichen
… die sexuelle Belästigung vom Ausbilder oder der          Bestimmungen im Zusammenhang mit Beleidigung
Ausbilderin ausgeht?                                       bzw. (sexueller) Nötigung gelten selbstverständlich
                                                           trotzdem.
Auszubildende müssen genauso geschützt werden wie
alle anderen Beschäftigten. Verletzen Arbeitgeber ihre
                                                           Für freie Mitarbeiter, die sich in einem arbeitneh-
Schutzpflicht, kann je nach Betrieb die Gewerbeauf-
                                                           merähnlichen Verhältnis befinden (sog. feste freie
sicht oder die Berufskammer eingeschaltet werden.
                                                           Mitarbeiter), gilt der AGG-Schutz wie für alle anderen
Dem Betrieb kann dann die Ausbildungseignung aber-
                                                           Beschäftigten.
kannt werden (vgl. § 33 Berufsausbildungsgesetz BBiG).
Das gilt vor allem auch dann, wenn die mit der Ausbil-
dung betraute Person gleichzeitig Arbeitgeber ist.
den (Schadensersatz). Auch ein Schmerzensgeld          Beispiel aus der Beratung der Antidiskriminie-
ist möglich (Entschädigung). Hier sind die kurzen      rungsstelle:
Fristen von zwei Monaten zu berücksichtigen.
Arbeitgeber haften für eine sexuelle Belästigung,      Eine Arbeitnehmerin wird über einen mehrmonati-
wenn die sexuelle Belästigung von einer Person         gen Zeitraum von ihrem Kollegen sexuell belästigt.
ausgeht, die Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt           Sie spricht darüber mit ihrem Teamleiter. Daraufhin
oder Weisungsrecht hat: Vorgesetzte, Personal­         wird ein Gespräch zwischen dem Teamleiter, der
leitungen, Geschäftsführung oder Vorstandsmit-         Betroffenen und dem Belästiger eingeleitet. Das
glieder. Bei sexueller Belästigung durch Kollegin-     Gespräch führt jedoch zu keinem Ergebnis. Die Frau
nen oder Kollegen haften Arbeitgeber nur, wenn         informiert den Personalrat. Dessen Hinweis lautet,
sie keine Schutzmaßnahmen ergriffen haben und          dass sie dem Kollegen ihre Ablehnung deutlicher
es erneut zu einem Vorfall kommt.                      kundtun soll. Weiter unternimmt der Personalrat
                                                       nichts.

!    ie Ansprüche müssen innerhalb von zwei
    D
    Monaten schriftlich beim Arbeitgeber geltend
    gemacht werden. Ihre Höhe muss einzeln beziffert
                                                       Da sie betriebsintern keine Handlungsmöglichkeiten
                                                       mehr sieht, meldet sich die Frau bei der Beratung
    werden. Dabei genügt eine ungefähre Zahl. Die      der Antidiskriminierungsstelle. Der Berater macht
    Frist gilt ab dem Zeitpunkt des Vorfalls.          ihr deutlich, dass es sich bei dem Verhalten ihres
                                                       Kollegen um einen Verstoß gegen das AGG handelt.

!
                                                       Außerdem erklärt der Berater, dass sowohl Teamlei-
    Nachdem die Ansprüche beim Arbeitgeber
                                                       ter als auch Personalrat falsch mit der Beschwerde
    geltend gemacht wurden, haben Betroffene
                                                       der Beschäftigten umgegangen sind. Weder Gegen-
    drei Monate Zeit, um die Ansprüche beim
                                                       überstellungen noch Schuldumkehr sind im Zusam-
    Arbeitsgericht einzuklagen.
                                                       menhang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
                                                       angemessen.

4.1.2. Hilfe und Beratung                              Der Berater rät der Frau, sich direkt bei ihrem Ar-
                                                       beitgeber zu beschweren. Dieser hat die gesetzliche
Es kann viel Energie kosten, gegen sexuelle Beläs-     Pflicht, ihrer Beschwerde nachzugehen. Zur Unter-
tigung am Arbeitsplatz vorzugehen. Aber: Sexuelle      stützung sollte sie außerdem die Gleichstellungs­
Belästigung zu erdulden und sich nicht zu weh-         beauftragte hinzuziehen. Weiter wird ihr der Hin-
ren, kann langfristig noch höhere gesundheitliche      weis gegeben, sich anwaltlich beraten zu lassen.
und berufliche Kosten nach sich ziehen. Hilft eine     Die Betroffene hat unter Umständen einen An-
direkte Intervention nicht, sollten Betroffene         spruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld.
deshalb unbedingt eine Beschwerde in Betracht
ziehen.
                                                       Juristischen Rat holen sich betroffene Personen
Grundsätzlich gibt es Stellen, die Betroffenen         am besten schon, bevor die Beschwerde beim
Hilfe und Unterstützung anbieten. Innerhalb des        Arbeitgeber eingereicht wird. Denn: Es ist wichtig,
Betriebs sind das der Personal- oder Betriebsrat,      dass sich Betroffene über mögliche Fallstricke be-
Gleichstellungsbeauftragte, direkte Vorgesetzte        wusst sind. Kostenlose Erstberatung bekommen
oder die Personalabteilung. Außerhalb des Be-          sie zum Beispiel bei der Antidiskriminierungs-
triebs können Gewerkschaften, Anwältinnen und          stelle des Bundes oder beim Hilfetelefon Gewalt
Anwälte, Frauenberatungsstellen oder die Anti­         gegen Frauen. Dort werden Betroffene außerdem
diskriminierungsstelle des Bundes weiterhelfen.        über regionale Hilfs- und Beratungsangebote in
                                                       ihrer Nähe informiert und auf Wunsch dorthin
                                                       vermittelt.
Welche Aufgaben haben Gleichstellungs- und Frauenbeauftragte im Belästigungsfall?

Im Belästigungsfall beraten und begleiten in den
meisten Fällen Gleichstellungs- und Frauenbeauf-
                                                          ——   Hinweise für die Beschwerde geben: z. B.
                                                                Mobbingtagebuch führen, Arztbesuche als
tragte die betroffene Person. Sie sollen ausschließlich         Beweismittel
die Interessen der Betroffenen vertreten und sind
zur Verschwiegenheit verpflichtet. Konkret können
Gleichstellungsbeauftragte:
                                                          ——    e rmitteln, ob es weitere Betroffene gibt oder
                                                                 jemand die Belästigung bezeugen kann (wegen
                                                                 Verschwiegenheitspflicht nur in Rücksprache

——   Betroffene dabei unterstützen, ihre Glaubwür-
      digkeit zu stärken
                                                          ——
                                                                 mit der betroffenen Person)

                                                                 räventive Maßnahmen und Verfahrensver-
                                                                p
                                                                besserungen initiieren

Was können Beschäftigte tun, wenn sie sexuelle Belästigung beobachten?

Auch für Beschäftigte, die sexuelle Belästigung am
Arbeitsplatz beobachten, ist ein Eingreifen nicht
                                                          ——   sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz themati-
                                                                sieren
immer einfach. Selbst wenn jemand nicht direkt von
                                                          ——    direkte Intervention während eines Vorfalls

                                                          ——
der Belästigung betroffen ist: Es ist immer schwierig,
das Fehlverhalten anderer zu thematisieren. Dies                 egleitung anbieten, wenn die belästigte Per-
                                                                B
gilt gerade dann, wenn die sexuelle Belästigung von             son Beratung aufsucht
Vorgesetzten ausgeht. Aktives Einschreiten ist nicht
immer möglich. Man kann Betroffene aber auf ver-          ——   Unterstützung anbieten, wenn sich die betrof-
                                                                fene Person zur Wehr setzt

                                                          ——
schiedene Arten unterstützen:

——
                                                                als Zeugin oder Zeuge zur Verfügung stehen
      g rundsätzliche Aufmerksamkeit gegenüber
       belästigendem Verhalten                            Verschwiegenheit ist bei Kolleginnen und Kollegen

——     ilfe anbieten, wenn es Anzeichen für eine
      H
      sexuelle Belästigung gibt
                                                          besonders wichtig. Sonst kann der belästigten Person
                                                          üble Nachrede unterstellt werden.

Hilfe- und Beratungstelefon der Antidiskriminie-           Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen
rungsstelle des Bundes                                     Rund um die Uhr. Bei Bedarf mit Dolmetscherin.
Mo. 13–15 Uhr, Mi. und Fr. 9–12 Uhr

      Tel.: 030/185551855

Weitere Hilfs- und Beratungsangebote unter:
www.antidiskriminierungsstelle-datenbanken.de
4.1.3. Nach der Beschwerde                               Grundsätzlich gilt: Nicht bei jeder Form der se-
                                                         xuellen Belästigung ist eine Kündigung oder eine
Der Schutz von Betroffenen vor sexueller Beläs-          Versetzung verhältnismäßig. Außerdem können
tigung am Arbeitsplatz ist leider nicht überall          Kündigungen nicht immer fristlos ausgesprochen
selbstverständlich. Es passiert immer wieder, dass       werden. Versetzungen müssen arbeitsorgani-
Beschwerden verharmlost werden oder sich sogar           satorisch und räumlich möglich sein. In vielen
negativ auf die Belästigten auswirken. Das sollte        Fällen muss die betroffene Person also weiter mit
Betroffene nicht davon abhalten, eine Beschwerde         der belästigenden Person zusammenarbeiten. Ist
einzureichen. Es lohnt sich aber, sich über mögli-       sie hierzu psychisch nicht in der Lage, ist für die
che Konsequenzen bewusst zu sein.                        betroffene Person oft der einzig gangbare Weg,
                                                         sich selbst in eine andere Abteilung versetzen zu
                                                         lassen.
Weitere Zusammenarbeit mit
der belästigenden Person
Nach einer Beschwerde besteht häufig der nach-
vollziehbare Wunsch, der belästigenden Person
im Arbeitsalltag nicht mehr zu begegnen. Bis zur
Klärung des Vorfalls sind Sanktionen oder Verset-
zungen aber unverhältnismäßig. Das kann vorü-
bergehend gelöst werden, indem die betroffene
Person freigestellt oder krankgeschrieben wird,
bis der Vorfall der sexuellen Belästigung aufge-
klärt ist. Allerdings besteht kein Rechtsanspruch
auf eine solche Freistellung.

Sonderfälle und Schutzlücken II: Was passiert, wenn …

… der belästigten Person üble Nachrede unterstellt      beschäftigung. Den gibt es nur, wenn der Arbeitgeber
wird?                                                   nachweisbar eine Weiterbeschäftigung zugesagt hat
                                                        oder andere eindeutige Indizien einen Zusammen-
Der Vorwurf der üblen Nachrede kann eine Kündi-
                                                        hang zwischen Beschwerde und der Nichtverlänge-
gung wegen Störung des Betriebsfriedens zur Folge
                                                        rung des Arbeitsverhältnisses nahelegen. In solchen
haben. In diesem Fall muss die betroffene Person in-
                                                        Fällen sollten sich Betroffene auf jeden Fall juristisch
nerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage
                                                        beraten lassen.
erheben. Im Zusammenhang mit sexueller Belästi-
gung sind solche Kündigungen in der Regel unwirk-
                                                        … die belästigte Person nach der Beschwerde
sam. Arbeitgeber müssen in diesem Fall nachweisen,
                                                        gemobbt wird?
dass die betroffene Person die Unwahrheit gesagt hat.
Das ist vor Gericht nur sehr schwer nachzuweisen.       Betroffene berichten immer wieder, dass sie gemobbt
Das Gleiche gilt für Unterlassungs- und Verleum-        werden. Die Gründe dafür sind verschieden: Zum Bei-
dungsklagen seitens der belästigenden Person.           spiel kann es sein, dass die beschuldigte Person, sich
                                                        wegen der Beschwerde an der betroffenen Person
… das Arbeitsverhältnis nicht verlängert wird?          rächen will. Vor der Beschwerde kann Mobbing das
                                                        Ziel haben, die betroffene Person einzuschüchtern.
Es kommt vor, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis
                                                        In jedem Fall sind Arbeitgeber auch in Mobbingfällen
der belästigten Person nicht verlängert wird. Ähn-
                                                        zum Schutz ihrer Beschäftigten verpflichtet. Für Be-
lich wie bei der Kündigung wird hier die belästigte
                                                        troffene empfiehlt sich deshalb auch hier, die Vorfälle
Person fälschlicherweise beschuldigt. In der Regel
                                                        zu dokumentieren.
besteht in solchen Fällen kein Anspruch auf Weiter-
4.2. Arbeitgeber

4.2.1. Allgemeine Pflichten                             Zeiten der Anlaufstellen) müssen allen Beschäf-
                                                        tigten bekannt gemacht werden. Die Informati-
                                                        on sollte mindestens über einen Aushang oder
Schutzpflicht                                           eine E-Mail erfolgen. Die Beschwerdestelle ist
                                                        verpflichtet, jeder Beschwerde nachzugehen. Sie
Nach dem AGG hat jeder Arbeitgeber seinen               ist auch verpflichtet, den Arbeitgeber über jede
Beschäftigten gegenüber eine Schutzpflicht (§ 12        Beschwerde zu informieren.
AGG). Demnach sind Arbeitgeber dazu verpflichtet,
sexuelle Belästigung zu verhindern. Das bedeutet        Gleichzeitig gilt das Maßregelungsverbot (§ 16
einerseits, dass durch Information und Prävention       AGG): Beschäftigten, die eine Beschwerde ein­
sexuelle Belästigung verhindert wird. Anderer-          reichen, dürfen dadurch keine Nachteile ent-
seits muss nach einem Vorfall durch Sanktionen          stehen, unabhängig davon, ob die Beschwerde
und andere Maßnahmen der künftige Schutz der            begründet oder unbegründet ist.
betroffenen Person gewährleistet werden.

Beschwerdestelle und                                    !   Die Beschwerdestelle muss allen Beschäftigten
                                                            bekannt gemacht werden.
Informationspflicht
Alle Arbeitgeber sind verpflichtet, eine Beschwer-
destelle für betroffene Beschäftigte einzurichten.
                                                        !   J eder Beschwerde muss nachgegangen werden.
                                                             Beschäftigten, die eine Beschwerde einreichen,
                                                             dürfen daraus keine Nachteile entstehen.
Die Stelle bzw. Person (einschließlich Orte und

Einrichtung der Beschwerdestelle

Das AGG schreibt die Bestimmung einer Beschwer-               Denn: Die Beschwerdestelle übernimmt
destelle vor, um das Beschwerderecht von Beschäf-             mit der Prüfung und Ergebnismitteilung bei
tigten zu gewährleisten. Arbeitgeber können eine              AGG-Beschwerden Arbeitgeberfunktionen.
konkrete Person als Beschwerdestelle benennen oder            Die Stelle muss also nach eigenem Ermessen
eine eigene Stelle einrichten.                                z. B. Akten einsehen oder Zeuginnen bzw.
                                                              Zeugen anhören können und sie muss objektiv
Die konkrete Ausgestaltung der Stelle und des                 handeln.)
Beschwerdeverfahrens werden grundsätzlich den
Arbeitgebern überlassen. Bei der Einrichtung sollten
jedoch folgende Hinweise berücksichtigt werden.
                                                        ——   Der Zugang zur Beschwerdestelle sollte mög-
                                                              lichst niedrigschwellig und vor allen Dingen
                                                              barrierefrei sein. Außerdem sollten die Belan-
                                                              ge von Teilzeitbeschäftigten miteinbezogen
Hinweise zur Organisation:

—— 
                                                              werden.
      In der Praxis wird die Beschwerdestelle oft
      beim Betriebsrat, bei Gleichstellungs- oder bei
      Behindertenbeauftragten angesiedelt. (Hier ist
                                                        ——     ei sexueller Belästigung sollte es möglich
                                                              B
                                                              sein, die Beschwerde bei einer Person des
                                                              eigenen Geschlechts vorbringen zu können.

                                                        —— 
      zu prüfen, ob keine persönlichen oder organi­
      satorischen Interessenkonflikte entstehen.              Die Mitglieder der Beschwerdestelle sollten
      Sie können z. B. im Zusammenhang mit Arbeit-            das Vertrauen der Beschäftigten haben.
      geberfunktionen entstehen.
4.2.2. Im Beschwerdefall:
Vorgehen und Erstgespräch                               !    rbeitgeber müssen jede Beschwerde ernst
                                                            A
                                                            nehmen, prüfen und dafür sorgen, dass
                                                            belästigendes Verhalten aufhört.

                                                        !
Arbeitgeber müssen bei einer Beschwerde auf
                                                             ertraulichkeit ist eine wichtige Voraussetzung
                                                            V
jeden Fall handeln. Sexuelle Belästigung sollte
                                                            für den Umgang mit sexueller Belästigung.
nicht als Problem von Einzelpersonen, sondern
                                                            Gerüchte sollten unbedingt vermieden werden:
als Problem des gesamten Betriebs verstanden
                                                            zum Schutz der Betroffenen und zum Schutz
werden. Sie schadet dem Betriebsklima und der
                                                            des Betriebsklimas. Beschäftigte, die vertraulich
Produktivität der Beschäftigten. Ein geregeltes
                                                            befragt werden und trotzdem Informationen
Beschwerdeverfahren ist eine wichtige Vorausset-
                                                            weitergeben, können entsprechend sanktioniert
zung für einen verantwortungsvollen Umgang
                                                            werden.
mit Vorfällen von sexueller Belästigung.

Im Beschwerdefall stellt neben allgemeinen Ver-
­­fahrens­regeln vor allem auch die praktische          4.2.3. Nach der Beschwerde:
Handhabe der Beschwerde eine Herausforderung            Vorgehen und Personalgespräch
für Arbeitgeber dar. Der Umgang und die Prüfung
einer Beschwerde sollten deshalb praxisnah und
detailliert geregelt bzw. vorbereitet sein.             Doppelrolle bei der
                                                        Schutzpflicht
Das Erstgespräch                                        Grundsätzlich befinden sich Arbeitgeber in einer
                                                        Doppelrolle. Sie haben eine Schutz- und Fürsor-
Im Erstgespräch sollten Arbeitgeber darauf achten,      gepflicht gegenüber allen Beschäftigten. Im Falle
den Vorfall so gut wie möglich zu erfassen. Das         einer Beschwerde bedeutet das: Schützen Arbeit-
Gespräch sollte transparent sein und der betrof-        geber die betroffene Person nicht, machen sie
fenen Person Sicherheit geben. Es ist sehr un-          sich schadenersatzpflichtig. Sind die Sanktionen
wahrscheinlich, dass Menschen eine Beschwerde           gegenüber der belästigenden Person unverhält-
einreichen, nur um anderen zu schaden. Denn:            nismäßig, haften Arbeitgeber gegenüber diesen
Beschwerden über sexuelle Belästigung kosten die        Beschäftigten.
Betroffenen viel Energie.

Allgemeine Hinweise zum Beschwerdeverfahren:

——     ie Beschwerde muss vom Arbeitgeber
      D
      geprüft werden. Die Bearbeitung kann grund-
                                                        ——     as Ergebnis der Prüfung ist der beschwerde-
                                                              D
                                                              führenden Person mitzuteilen. Das Ergebnis
      sätzlich an die Beschwerdestelle delegiert              soll begründet werden, insbesondere bei einer
      werden. Der Arbeitgeber muss aber trotzdem              Zurückweisung der Beschwerde.
      weiterhin die Möglichkeit haben, selbst ab-
      schließend über den Sachverhalt zu entschei-
      den.
                                                        ——     as Ergebnis sollte innerhalb einer angemesse-
                                                              D
                                                              nen Zeit (zwei Wochen) mitgeteilt werden.

—— 
                                                              Die Vorgänge sollten dokumentiert, aber
      Die Beschwerde muss mit sämtlichen Mitteln              getrennt von den Personalakten aufbewahrt
      aufgeklärt werden, die dem Arbeitgeber bzw.             werden. Eine Beispielvorlage zur Dokumenta­
      der Beschwerdestelle zur Verfügung stehen.              tion einer Beschwerde sowie zur Mitteilung des
      Das heißt beispielsweise, dass alle betroffenen         Ergebnisses an die beschwerdeführende Per-
      Parteien angehört werden sollen.                        son befindet sich im Anhang dieser Broschüre.
Anleitung für das Erstgespräch:
Wie sollen Personalverantwortliche mit einer Beschwerde zu sexueller Belästigung umgehen?

1. Zu Gesprächsbeginn:                                  3. Unterstützung zusichern:

——   Die betroffene Person sollte ausreichend Zeit
      haben, den Vorfall zu schildern.
                                                        ——   Signalisieren, dass der Vorfall ernst genommen
                                                              wird.

——   Am Anfang wenige Fragen stellen und so we-
      nig wie möglich unterbrechen.
                                                        ——   Weiteren Gesprächstermin vereinbaren, um
                                                              nächste Schritte bzw. Ergebnisse zu bespre-

——   Für Notizen vorher die Erlaubnis einholen bzw.
      erklären, wofür sie benötigt werden.
                                                        —— 
                                                              chen.

                                                              Nächste Schritte transparent machen: Welche
                                                              Informationen bekommt die beschuldigte
2. Im Gesprächsverlauf:                                       Person? Welche Maßnahmen sind möglich

——   Vertraulichkeit thematisieren: Wie wird mit
      der Beschwerde umgegangen? Wer muss
                                                        ——
                                                              und beabsichtigt?

                                                               ur Maßnahmen zusichern, die eingehalten
                                                              N
      informiert werden?                                      werden können.

——   Die eigene Rolle (Arbeitgeber, Betriebsrat,
      Gleichstellungsbeauftragte) sollte verständlich
                                                        ——     uf externe Unterstützung durch Beratungs-
                                                              A
                                                              stellen, Familie und Nahestehende, Ärztinnen
      erklärt werden.                                         und Ärzte und therapeutische Fachkräfte

——   Den Vorfall so umfangreich wie möglich
      erfassen.
                                                              hinweisen.

—— 
                                                        4. Nach dem Gespräch:
      Eigene Fragen und Nachfragen erklären.
      Transparenz ist wichtig, damit nicht der Ein-     ——   Alle Verfahrensschritte nur in Rücksprache mit
                                                              der betroffenen Person durchführen.

                                                        ——
      druck eines Verhörs und keine Missverständ-
      nisse entstehen.                                         ie betroffene Person sollte in jedem Fall
                                                              D

——   Deutlich machen, dass detaillierte Angaben
                                                              informiert werden, bevor die beschuldigte
                                                              Person mit den Vorwürfen konfrontiert wird.

                                                        ——
      über Zeuginnen und Zeugen oder Gedächt-
      nisprotokolle wichtig sind.                             I nsbesondere wenn Dritte einbezogen werden:
                                                               Einverständnis der betroffenen Person einholen.

                                                        ——   Gegenüberstellungen sind kein geeignetes Mit-
                                                              tel und sollten unbedingt vermieden werden.

In der Praxis kann das dazu führen, dass Arbeit-
geber nichts tun, um keine Fehler zu machen.
Das ist rechtlich aber immer falsch. Um die
                                                        !   I m Beschwerdefall nichts zu tun, ist rechtlich
                                                             immer die falsche Entscheidung.

                                                        !
Verhältnismäßigkeit von Sanktionen zu gewähr-
                                                             aßnahmen müssen die Situation der
                                                            M
leisten, müssen Arbeitgeber das mildeste Mittel
                                                            Betroffenen verbessern. Gleichzeitig müssen
ergreifen. Das heißt: Maßnahmen und Sanktionen
                                                            Sanktionen angemessen sein.
einleiten, die sexuelle Belästigung beenden und
eine gute Zusammenarbeit im gesamten Betrieb
sichern.
                                                        !    weifel an einer Beschwerde sind nur berechtigt,
                                                            Z
                                                            wenn die beschuldigte Person glaubhaft ihre
                                                            Unschuld vermittelt.
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