Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk - Ein White Paper zu kreativen Impulsen für Lebensmittelkultur in der Stadt ...

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Let’s talk
Let’s talk
Urban Food

Let’s talk
Let’s talk
Let’s talk
     Ein White Paper zu kreativen Impulsen
         für Lebensmittelkultur in der Stadt
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Let’s talk
Städte sind attraktiv wie nie zuvor: Um als     Let’s talk
                                                Let’s talk
Stadt lebenswert zu bleiben, braucht es
langfristige Alternativen zur konventionellen
Lebensmittelproduktion.
   Mit dem Förderwettbewerb Urban Food
unterstützt die Wirtschaftsagentur Wien
die Entwicklung und Umsetzung kreativwirt-
schaftlicher Produkte, Dienstleistungen

                                                Let’s talk
oder Prozesse zum Thema Lebensmittel.
   Gefördert werden kreative Projekte: von
städtischer Produktion, Distribution, Ver-
packung und Konsum von Lebensmitteln
bis zu Gastlichkeit und Tischkultur.

                                                Let’s talk
Bis zu 100.000 Euro pro Projekt!

Wir beraten Sie gerne! Weitere Informationen
unter wirtschaftsagentur.at

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                                       21!
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Förderwettbewerb Urban Food

Wer?
Unternehmen in Gründung und bestehende Unternehmen
der Wiener Kreativwirtschaft sowie Betriebe, die mit Akteu-
rinnen und Akteuren der Kreativwirtschaft kooperieren.

Wann?
1. Oktober 2020 bis 31. Jänner 2021
Anträge können auf wirtschaftsagentur.at eingereicht werden.

Was?
Interne Personalkosten, zugekaufte Dienstleistungen,
Materialkosten, projektspezifische Spezialausstattung

Wie viel?
Max. Fördersumme: 100.000 Euro je Projekt
Förderquote: 50 %, 60 % bei Kooperationsprojekten
Mindestrojektgröße: 10.000 Euro

Frauen-Bonus?
Geförderte Projekte, die nachweislich von einer Frau geleitet
werden, erhalten zusätzlich 5.000 Euro.

  Weitere Informationen unter wirtschaftsagentur.at
foerderungen@wirtschaftsagentur.at
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Inhalt                                                            4    Intro
                                                                       Let’s talk: Urban Food
                                                                       Die Zukunft unserer Esskultur liegt in der Stadt
                                                                                                                                     4

                                                                       Gastbeitrag von Hanni Rützler und Wolfgang Reiter              8
                                                                       Urban Food & Design                                           14

                                                                  16   Local Food
                                                                       Ideen säen und keimen lassen
                                                                       Interview mit Andrea Lenardin Madden und Christina Nasr       18
                                                                       Joseph Brot: Backwaren in guter Designgesellschaft            24
                                                                       markta: Einkaufen im digitalen Hofladen                        24
                                                                       Design und die Fleischbällchen der Zukunft
                                                                       Interview mit Carla Camilla Hjort                             26
                                                                       vertical farm institute: Mehr fruchtbares Land in der Stadt   31
                                                                       Herbeus Greens: Kleine Kräuter wachsen hoch hinaus            31

                                                                  32   Meet Food
                                                                       Den Wandel verdauen Gastbeitrag von Marije Vogelzang          34
                                                                       honey & bunny: Pionierarbeit im Food Design                   39
                                                                       mostlikely: Gebauter Genuss                                   39
                                                                       Zuerst kommen die Sachen, die du nicht zeichnen
         Dank an:                                                      kannst ... Interview mit Gregor Eichinger                     40
         Annette Ahrens, Erwin Bauer, Teresa Berger,
         Christiane Bertolini, Sam Bompas, Manuel
                                                                       Achten Sie auf Ihre Sinne! Interview mit Sam Bompas           44
         Bornbaum, Wender Bredie, Kathrina Dankl,                      Die hœragentur: Hören mit Geschmack                           48
         Melanie Dienst, Volker Dienst, Cornelia
         Diesenreiter, Anke Domaske, Gregor Eichinger,
                                                                       Babette’s: Hunger aufs Kochen                                 48
         Gregor Einetter, Matthias Felsner, Brini Fetz,
         Martin Fetz, Konstantin Fillipou, Jakob Glasner,
         GOODGOODs, Othmar Handl, Herbeus Greens,
         Carla Camilla Hjort, Moya Hoke, Lilli Hollein,           50   Future Food
         honey & bunny (Sonja Stummerer & Martin
         Hablesreiter), Theresa Imre, Florian Kaps,                    Wir müssen zuerst gute Kopien machen
         Christian Kaegi, Christian Knapp, Stephanie
         Kneissl, Peter Kollreider, Martin Kullik, Bibi Lanner,
                                                                       Interview mit Wender Bredie                                   52
         Julia Landsiedl, Laura Lechner, Sophie Leitner,               Polycular: Gemischte Realität und Bier                        56
         Andrea Lenardin Madden, Rianne Makkink,
         Lohberger Küchen, Andrea Lunzer, magdas                       Schmeckt digital besser?                                      57
         HOTEL, Katharina Mischer, Stefan Moritsch,
         Christina Nasr, Mark Neuner, Claudia Nutz,
                                                                       Vegane Revolution oder Substitutskultur?
         Alexandra Palla, Nathalie Pernstich, Hubert Peter,            Gastbeitrag von Maciej Chmara                                 58
         Armin Pichler, Victoria Pieler, Daniel Podmirseg,
         Isabell Prade, Robert Praxmarer, Leonid Rath,
                                                                       Studio Dankl: Weniger Brot im Mist                            62
         Martin Rohla, Robert Rüf, Julia Schanderl, Katha              Livin Farms: Der Fortschritt krabbelt aus Automaten           62
         Schinkinger, Julia Schwarz, Florian Siepert, Julian
         Staritz, Staud’s, StudioVlayStreeruwitz, Michael              Bananatex: Guter Stoff aus Bananenpflanzen                      63
         Tatschl, Thomas Traxler, Katharina Unger, Lukas
         Weber, Thomas Weber, Josef Weghaupt, Namuun
                                                                       QMILK: Tragbare Flüssigkeiten                                 63
         Zimmermann, ZIRP Insects                                      Unverschwendet: Rettet das Obst!                              64
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Let’s talk:                                                                                                Gemischter
                                                                                                           Satz: Krea-
                                                                                                                          Essen, Konsum und Gastlichkeit werden also vermehrt durch öko-
                                                                                                                          soziale Herausforderungen und die Erlebbarkeit von Beziehungen und
                                                                                                                          Geschichten geprägt. Das macht klar: Kreativität ist in diesem Bereich

Urban Food
                                                                                                                          gefragt. Nicht von ungefähr beschäftigen sich viele Kreative mit den

                                                                                                           tivität und    Themen Essen und Gastlichkeit. Designerinnen und Gestalter fordern
                                                                                                                          durch neue Ansätze dazu auf, eingespielte und traditionelle Abläufe in

                                                                                                           Lebensmittel   Bereichen wie Agrarwirtschaft, Industrie und Dienstleistung umzuden-
                                                                                                                          ken oder gleich neu zu gestalten.

                                                                                                           zusammen-           Der Zusammenhang von Essen und Gastlichkeit mit der Kreativ-
                                                                                                                          wirtschaft wird damit spürbar stärker. Diese Synergie holt immer neue

                                                                                                           bringen        Gäste, Kompetenzen und Kollaborationsmöglichkeiten an den Tisch.
                                                                                                                          So sorgen Kreative schon jetzt für kulinarisches Storytelling – sei es
                                                                                                                          bei der Gestaltung von Firmenwebsites, von Produktlinien oder im
                                                                                                                          Verpackungsdesign. Hersteller von Marken-Lebensmitteln investieren
                                                                                                                          in unverkennbares Sound Branding. Der Buchmarkt explodiert dank
                                                                                                                          immer appetitlicher gestalteter Kochbücher. Apps retten Essen vor dem
                                                                                                                          Wegwerfen. Augmented und Virtual Reality verstärken Genusserfah-

        Kreative       Wiener Küche und Gastlichkeit sind Alleinstellungsmerkmale der Stadt.                              rungen und bieten Hintergrundinformationen. Architektinnen und Inter-

4       Impulse für
                       Denkt man im Vergleich etwa an die italienische oder japanische Küche,
                       ist Wien die weltweit einzige Metropole, die sich auch über ihre Speisen
                       definiert. Wien hat in unzähligen Lokalen, vielen Lebensmitteln und Zube-
                                                                                                   5                      ior Designer schaffen mit ihrer Gestaltung von Lokalen und Geschäften
                                                                                                                          Sehnsuchtsorte. Die verwendeten Materialien, Farben und Formen
                                                                                                                          lassen uns in die jeweilige Hausphilosophie eintauchen. Hat das Design

        Lebens-        reitungsmethoden Unverkennbarkeit und Tradition entwickelt. Zwar
                       Kult(ur)gut, ist das kulinarische Vermächtnis aber nicht abgehoben oder
                                                                                                                          den Nerv getroffen, verbreiten sich Ort und Angebot über soziale
                                                                                                                          Medien scheinbar wie von selbst, aber nur wenn Bildsprache und Grafik

        mittelkultur   elitär, sondern der Bevölkerung im täglichen Konsum und Genuss im
                       großen Stil gleichberechtigt zugänglich. Mit der Beschleunigung unse-
                                                                                                                          zielgruppengerecht gewählt wurden. Dass sich Kulinarik und Gastlich-
                                                                                                                          keit gerade im Filmischen hervorragend inszenieren lassen, wird so von

        in der Stadt   res Lebensstils und der Globalisierung – geografisch wie digital – schwin-
                       det das Erbe aber vielerorts. Sich ähnelnde Angebote, Hektik statt
                                                                                                                          immer mehr Unternehmerinnen und auch Influencern verstanden.
                                                                                                                               Das Zusammenspiel von Design und Food wird auch in der Wis-
                       Genuss sowie das Vergessen von lokaler Expertise und traditionellen                                sensproduktion und -vermittlung immer stärker. So wird zum Beispiel an
                       Rezepten gehen damit einher – kritische Produktionsbedingungen                                     der Universität der Künste Berlin im Designstudiengang unter anderem
                       hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Essen und Gastlichkeit                                  zu „Culinary Fiction“ geforscht. In Dänemark wurde das von Noma-Chef
                       haben daher heute mehr denn je die Chance, die Zukunft positiv mit-                                René Redzepi gegründete Nordic Food Lab in das Department for
                       zugestalten und die Menschen zum gemeinsamen Nachdenken darüber                                    Food Science der Universität Kopenhagen eingegliedert, um Produkte
                       um den Tisch zu versammeln.                                                                        für „Future Consumers“ zu gestalten. Ein Interview mit dessen Leiter
                                                                                                                          Wender Bredie findet sich auf Seite 52 dieser Publikation. An der
                                                                                                                          niederländischen HAS University of Applied Sciences wird im Studium
                                                                                                                          „Food Innovation“ Essensproduktion mit Agrarkultur und Design Thin-

        Essen im       Und es gibt immer mehr Menschen. Die Zahlen sind bekannt: Bis 2050
                       steigt die Weltbevölkerung auf circa zehn Milliarden an und mindestens
                                                                                                                          king zusammengebracht. Und nicht weit davon entstand an der Design
                                                                                                                          Academy Eindhoven der überhaupt erste Studiengang für Food Design.

        Anthropozän    zwei Drittel davon werden in Städten leben. Im Anthropozän, dem
                       Zeitalter, in dem die Menschheit der maßgebliche geologische Faktor
                                                                                                                          Hier wird nicht mehr entlang von klassischen Designsparten gelehrt,
                                                                                                                          sondern interdisziplinäre Gestaltung in Themendepartments entwickelt:
                       ist, hat Ernährung massiven Einfluss auf die Zukunft der Menschheit                                 Design rund um Essen und Gastlichkeit heißt dort Food Non Food.
                       und des Planeten. Zentral ist daher die Lösungsfindung für die Frage:                               Geleitet wird diese Abteilung von Marije Vogelzang, deren Beitrag auf
Intro

                                                                                                   Intro
                       Wie kann mehr Essen nachhaltig und lokal produziert werden, damit                                  Seite 34 zu lesen ist.
                       die Umwelt weniger belastet wird? Die Chance liegt dabei gerade in
                       der Alltäglichkeit von Nahrung und ihrer Auswirkung auf viele Bereiche
                       wie beispielsweise Gesundheit, Industrie, Transport, Konsumverhalten,
                       Abfallverwertung, Gesellschaftsbildung. In der Auseinandersetzung
                       damit, wie wir essen und wie Ökosysteme überleben, können wir Ant-                  Eingenordet:   Nach der letzten großen Bewegung, die das Zusammenwirken von
                                                                                                                          Essen, Produktion und Interaktion über den europäischen Süden in den
                       worten auf die wichtigsten Zukunftsfragen des Planeten finden.
                             Das trifft zusammen mit einem anderen globalen Phänomen rund                   Kulinarische   Diskurs eingebracht hat, ist die Kompassnadel für die kulinarische Revo-
                                                                                                                          lution in Europa in den Norden gewandert. Auf Slow Food aus Italien
                       ums Essen: Die Welt wird über den Mund erkundet. Zwar hat uns Nah-
                       rung schon in der Steinzeit in Bewegung gebracht, doch noch nie waren               Impulse aus    folgte die New Nordic Cuisine. Diese zeigt nicht nur, wie saisonal geges-
                                                                                                                          sen werden kann und wie sich lokale Ressourcen nutzen lassen, son-
                       schmackhafte Erlebnisse mehr Auslöser dafür als heute. Aus dem Kul-
                       tur-Tourismus wird langsam der Kulinarik-Tourismus: Menschen suchen                 Europa         dern auch, wie innovativ Präsentationsformen sein können. Im Norden
                                                                                                                          wird vorgelebt, dass ein Fokus auf Regionalität und Nachhaltigkeit nicht
                       in der Begegnung mit Produkten, Essen und nahrhaften Aufenthalten                                  gleichbedeutend mit einem dogmatischen Zeigefinger sein muss. Der
                       nach einzigartigen Erfahrungen. Must See wurde zu Must Experience                                  weltweit bestaunte kreative Output der New Nordics führte so mit sei-
                       und vielfach auch zu Must Eat. Soziale Medien führen in Gastronomie-                               nem Schwerpunkt auf Gestaltung zu einer radikal neuen Denkweise
                       betriebe und lokale Geschäfte, die mit neuen Anforderungen konfron-                                rund ums Essen. Die Kulinarik wurde spätestens dadurch in den Kanon
                       tiert sind: Sie sollen nicht mehr nur Produkte oder Services bereit-                               der angewandten Kunst aufgenommen: mit Essen gestalten wir unser
                       stellen, sondern auch Beziehungen schaffen. Für Beziehungen braucht                                 Leben und Essen gestaltet wortwörtlich auch uns. Essen ist also Design.
                       es Authentizität. Sie stärkt lokale Produkte, Herstellungsweisen, Insze-                                Von den Niederlanden ausgehend ist Food Design über die letzten
                       nierungs- und Interaktionsformen. Und Authentizität inkludiert auch das                            Jahre tatsächlich zu einer eigenen Disziplin und Kreativsparte gewor-
                       Nachdenken über ethische und nachhaltige Werte.                                                    den. Food Design meint dabei mehr als ästhetisch inszenierte Teller voll
                                                                                                                          gestylter Nahrung. Kreativschaffende haben sich das Thema Essen
                                                                                                                          einverleibt, weil sie in dessen Alltagspräsenz zu Recht Gestaltungskraft
Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk - Ein White Paper zu kreativen Impulsen für Lebensmittelkultur in der Stadt ...
sehen: Design kann sein weltveränderndes Potenzial durch Lebens-
                       mittel – in Produktion und Genuss – wirksam machen. Food Design                      Kreative       Es tut sich viel, aber noch nicht genug. Gerade im städtischen Raum
                                                                                                                           braucht es einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln, innovative
                       umfasst alle Maßnahmen, die unsere Beziehung zu Lebensmitteln ver-
                       bessern können. Diese Maßnahmen können sich auf die Gestaltung                       Perspektiven   Produktionsweisen und ein neues Konsumbewusstsein, um auf große
                                                                                                                           Herausforderungen, wie die zunehmende Urbanisierung und den Klima-
                       von Produkten, Materialien, Techniken, Praktiken, Umgebungen, Syste-
                       men, Prozessen und Erfahrungen beziehen.                                             für Urban      wandel reagieren zu können. Dazu bedarf es unter anderem neuarti-
                                                                                                                           ger Vertriebsmodelle, einer breit aufgestellten Wissensvermittlung über

                                                                                                            Food           Lebensmittel und eindrücklicher Customer Experiences, die eine kriti-
                                                                                                                           sche Masse erreichen und auf Mikro- wie auf Makroebene Verhaltens-
                                                                                                                           änderungen auslösen können.

        Ein Gruß aus   Dieses White Paper will genau zu solchen Maßnahmen inspirieren.
                       Über Interviews mit Pionierinnen, Beiträge von Visionären und zahlreiche
                                                                                                                                 Am Hotspot von Kreativität und Konsum, den Städten, sind gerade
                                                                                                                           auch Gestalterinnen und Designer gefordert, neue Skalierungsmöglich-

        der Wiener     Best Practices, die als Appetitanreger für neue Geschäftsmodelle die-
                       nen sollen. Es tut sich was: Kreative nutzen die verdichteten Ressourcen
                                                                                                                           keiten aufzuzeigen. Mit überraschenden Lösungen, neuen Geschich-
                                                                                                                           ten, nachhaltigen Erlebnissen, bewusst geschaffenen Orten und reflek-

        Küche          und Expertisen der Stadt und vernetzen sich immer mehr auch über
                       kulinarische Inhalte und Trends – nicht nur untereinander, sondern auch
                                                                                                                           tiert inszenierten Botschaften können sie einen Bewusstseinswandel
                                                                                                                           herbeiführen und positive Veränderungen bewirken. Das gelingt ihnen
                       mit lokal produzierenden und forschenden Unternehmen. Der versie-                                   am besten in Zusammenarbeit mit Unternehmerinnen, Spezialisten und
                       gelte Boden der Stadt wird sozusagen aufgebrochen und zum Spielfeld:                                Expertinnen aus anderen Sektoren – von Forschung über Produktion bis
                       So hat die „Betonküche“ schon vor einigen Jahren Themen wie Leer-                                   hin zu Vertrieb und Logistik – wozu der Call Urban Food ganz bewusst

6                      stand und Community – den uralten Wunsch der Menschen, gemein-
                       sam an einem Tisch zu sitzen – in eindrücklichen Szenografien vereint.
                       Bompas & Parr aus London nennen sich „Architects of Taste“ und
                                                                                                    7                      auffordert. Daher sucht die Wirtschaftsagentur Wien kreativwirtschaft-
                                                                                                                           liche Projekte, die Lösungen für die wichtigsten Herausforderungen
                                                                                                                           rund um das Thema Lebensmittel in der Stadt bieten. Das vorliegende
                       inszenieren Essen in spektakulären Events. Wie sie dabei Design mit                                 White Paper will dazu inspirieren und ermutigen.
                       Forschung und Branding zusammenbringen, erzählt Sam Bompas
                       im Interview auf Seite 44. Design Thinking und die wissenschaftliche                                Alice Jacubasch, Miriam S. Koller, Elisabeth Noever-Ginthör,
                       Beschäftigung mit Nahrung sind auch Fokus des Kopenhagener Inno-                                    Alena Schmuck
                       vation Lab Space10. Gründerin Carla Hjort gibt auf Seite 26 Einblick in
                       ihre Projekte. Ein vielzitiertes Beispiel für urbane Produktion und lokale
                       Distribution ist Hut & Stiel aus Wien, die Pilze auf vor Ort gesammeltem
                       Kaffeesatz kultivieren. Produktdesigner wie Gregg Moore, Kosuke Araki
                       oder das Studio Basse Stittgen gestalten währenddessen Tableware
                       aus Knochen, Abfall und faulen Eiern. Sha Design aus Kalifornien haben
                       mit „Eatwell“ Besteck für Menschen mit Demenz entwickelt. In ihrem
                       Projekt „Touch that Taste“ übersetzt die Designerin Martyna Golik
                       Geschmäcker in textile Materialien. Unzählige Beispiele an Interior
                       Design, Geschäftsgestaltung und -architektur erwecken urbane Food-
                       Philosophien zum Leben. Sei es an den weltweiten Standorten der
                       Non-Profit-Organisation Food for Soul, wo Abfallverwertung, Leerstand
                       und soziale Inklusion zusammenkommen. Oder im Londoner Cub,
                       einem Hybrid aus Bar und Restaurant, das Nachhaltigkeit und Recycling
                       als Basis seiner Arbeit versteht: Am Ende eines Abends fallen gerade
                       einmal neun Gramm Abfall an und der Kreislaufaspekt spiegelt sich in
                       der gesamten Lokalgestaltung.
Intro

                                                                                                    Intro
                            Immer mehr ambitionierte Gastronominnen und Unternehmer ent-
                       decken, welche Kraft in der kreativen Herangehensweise an Nahrung
                       liegt. Die fast schon konzeptuellen Methoden der Nose-to-Tail- und
                       Leaf-to-Root-Bewegungen bringen das wachsende Bewusstsein für die
                       ganzheitliche Nutzung von Ressourcen und Abfallvermeidung in die
                       Restaurants und auf den Buchmarkt. Das Wiener Lokal Bruder im
                       6. Bezirk gestaltet seine Speisen und Getränke „brutal lokal“ mit selbst-
                       gepflückten Zutaten aus der unmittelbaren Umgebung. Ein paar Meter
                       weiter braut die Saint Charles Apotheke „Apotheker Tonikum“ genannte
                       Kräuterspirituosen. Auch die Alma Gastrothèque im 4. Bezirk baut auf
                       gute Nachbarschaft und regionale Ingredienzen, siehe dazu das von
                       Severin Corti geführte Interview mit Alma-Gründerin Christina Nasr und
                       der Designerin Andrea Lenardin Madden auf Seite 18.
Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk - Ein White Paper zu kreativen Impulsen für Lebensmittelkultur in der Stadt ...
Wien ist eine der lebenswertesten
                                                                                                     Metropolen der Welt. Sie kann
                                                                                                     nicht nur auf eine lange Tradition
        unserer Esskultur                                                                            urbaner Lebensmittelproduktion
8                                                                                            9       zurückblicken, sondern verfügt
        liegt in der Stadt                                                                           auch über eine lebendige Kreativ-
                                                                                                     szene. Diese leistet wichtige Bei-
                             Über Food-Trends und die Rolle des Designs bei der Gestaltung
                                                                                                     träge zur nachhaltigen Gestaltung
                                                                                                     und Veränderung der Nahrungs-
                                                                                                     produktion und einer auch sozial
        Die Zukunft

                                                                                                     gerechten Esskultur. Einen guten
                                                                                                     Orientierungsrahmen für zukünf-
                                                                                                     tige innovative Projekte der Kreativ-
                             eines nachhaltigen Ernährungssystems
Intro

                                                                                             Intro
                                                                                                     wirtschaft in diesem Bereich kön-
                                                                                                     nen Food-Trends bieten.

                                                                                                                       1
Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk - Ein White Paper zu kreativen Impulsen für Lebensmittelkultur in der Stadt ...
Wien ist eine der lebenswertesten
                                                                                                     Metropolen der Welt. Sie kann
                                                                                                     nicht nur auf eine lange Tradition
        unserer Esskultur                                                                            urbaner Lebensmittelproduktion
8                                                                                            9       zurückblicken, sondern verfügt
        liegt in der Stadt                                                                           auch über eine lebendige Kreativ-
                                                                                                     szene. Diese leistet wichtige Bei-
                             Über Food-Trends und die Rolle des Designs bei der Gestaltung
                                                                                                     träge zur nachhaltigen Gestaltung
                                                                                                     und Veränderung der Nahrungs-
                                                                                                     produktion und einer auch sozial
        Die Zukunft

                                                                                                     gerechten Esskultur. Einen guten
                                                                                                     Orientierungsrahmen für zukünf-
                                                                                                     tige innovative Projekte der Kreativ-
                             eines nachhaltigen Ernährungssystems
Intro

                                                                                             Intro
                                                                                                     wirtschaft in diesem Bereich kön-
                                                                                                     nen Food-Trends bieten.

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Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk - Ein White Paper zu kreativen Impulsen für Lebensmittelkultur in der Stadt ...
kommen naturgemäß von den Kreativen – den
                                                                           Designerinnen und Künstlern, innovativen Gastro-
                                                                           nominnen, Ingenieuren und Technikerinnen, die
                                                                           als Trendsetterinnen und Seismographen aktiv
                                                                           den Wandel mitgestalten.

                                                                           Die produzierende Stadt

                                                                           Der Trend zu Urban Farming hat die urbane Lebens-
                                                                           mittelproduktion zum Teil schon ins Bewusstsein
                    Food-Trends – Signale der                              der Konsumentinnen und Konsumenten gebracht.
                    Veränderung                                            Dass Essen aber viel öfter als nur im Nachbar-
                                                                           schaftsgarten aus städtischer Landwirtschaft
                    Esskulturen haben sich schon immer gewandelt.          stammt, ist vielen Menschen oft nicht bewusst.
                    Klimatische, soziale, kulturelle, ökonomische,         Local Food, also Lebensmittel aus der Region, ist
                    technologische und politische Faktoren waren           als Trend seit vielen Jahren populär und eine
                    und sind dafür ausschlaggebend. Aber erst seit         Antwort auf die zunehmende Globalisierung und
                    der Wende zum 21. Jahrhundert diskutieren wir          Anonymisierung unserer Nahrung. Für urbane
                    diesen Wandel mithilfe von Food-Trends. Einer          Agglomerationen bedeutet lokal daher auch aus

10          11      immer größeren Zahl von Menschen in Europa ist
                    es heute möglich, über ihr Essen und die Wahl
                    ihrer Lebensmittel befreit von Mangel, Traditionen
                                                                           der eigenen Stadt, zumal „regional“ heute oft zu
                                                                           einem inflationär verwendeten Branding für meist
                                                                           bloß aus nationaler Produktion stammende
                    und sozialen Normen selbst zu entscheiden.             Lebensmittel verkommen ist. Die Avantgarde unter
                    Gepaart mit einer in unserer industrialisierten Welt   den Köchinnen und Lebensmittelproduzenten
                    nahezu unendlichen Verfügbarkeit an Nahrungs-          reagiert darauf mit einer Zuspitzung und macht
                    mitteln und gastronomischen Angeboten passiert         aus der Regionalität den Trend Brutal Lokal, mit
                    eine Ausdifferenzierung und Beschleunigung              Fokus auf besondere Qualität, das Exklusive und
                    des dynamischen Wandels unserer Esskulturen            „Exotische“: aber eben nicht aus fernen Ländern
                    und Ernährungsstile, welche wir als Food-Trends        kommend, sondern unmittelbar vor Ort zu finden,
                    zu beschreiben versuchen. Food-Trends sind             in städtischen Grünanlagen, in leerstehenden
                    somit Phänomene so genannter „Wohlstands-              Lagerhallen, in denen durch vertikale Züchtung
                    gesellschaften“: Sie gedeihen erst in gesättigten      Lebensmittel angebaut werden, oder in feuchten
                    Märkten, in denen weder Mangel noch sozial             Kellern. Ein Beispiel dafür sind etwa die Austern-
                    normiertes Verhalten bestimmend sind, sondern          pilze des Wiener Unternehmens Hut & Stiel – Die
                    der Überfluss individuelle Suchbewegungen aus-          Wiener Pilzkultur, das als Nährsubstanz auf eben-
                    löst. Konsumentinnen und Konsumenten suchen            so lokal gesammelten Kaffeesatz aus Wiener Res-
                    Hilfestellungen bei der Orientierung im unüber-        taurants und Cafés zurückgreift, um Gourmetpilze
                    sichtlichen Angebot und der Befriedigung von           zu kultivieren, die zum Teil wieder in den Küchen die-
                    kulinarischen und sozialen Bedürfnissen und            ser Restaurants zu schmackhaften Gerichten
                    Sehnsüchten. Sie suchen aber auch Hilfestellung        verarbeitet werden. Brutal lokale Landwirtschaft
                    bei der Reaktion auf die immer deutlicher wer-         bedient sich auch avancierter und nachhaltiger
                    denden ethischen und ökologischen Probleme             Technologien wie Aquaponik, die Fischzucht und
                    unserer industriellen Agrar- und Lebensmittel-         Gemüseanbau in einem geschlossenen Kreislauf
Intro

            Intro
                    produktion, sowie der Lösung alltäglicher Heraus-      vereint. Pionier auf diesem Gebiet ist in Wien der
                    forderungen hinsichtlich Ernährung: seien es           Stadtbauernhof blün. Gleichzeitig ermöglichen
                    Unverträglichkeiten, besonderer Bedarf (bei Sport-     Vertical-Farming-Projekte die Massenproduktion
                    lerinnen, Diabetikern, Familien mit Kleinkindern)      pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse in mehr-
                    oder kulturell-religiös geprägte Ernährungs-           stöckigen Gebäuden (so genannten Farmscrapers).
                    weisen. Diese Suchbewegungen sind Indikatoren          Dazu berät und forscht beispielsweise das vertical
                    für Food-Trends.                                       farm institute in Wien.

                    Städte sind die Epizentren von                         Lebensmittel wieder erleben
                    Food-Trends
                                                                           Ein weiterer Food-Trend, der seinen Nährboden
                    In urbanen Zentren ist nicht nur die Auswahl viel-     vor allem in Städten hat, wo die Entfremdung der
                    fältiger und die durchschnittliche Kaufkraft größer,   Konsumierenden von den Produzierenden in
                    es spielen auch Traditionen und soziale Normen         der Vergangenheit am offensichtlichsten war, ist
        3           eine geringere Rolle. Darüber hinaus werden auch       Meet Food. In diesem kommt der Wunsch vieler
                    ökologische Probleme meist rascher wahrgenom-          Menschen zum Ausdruck, ihre Lebensmittel nicht
                    men und problematisiert. Städte sind daher fast        nur zu „verbrauchen“, sondern „erleben“ zu kön-
                    immer die Epizentren von Food-Trends. Denn um          nen: den Produkten, die sie sich einverleiben, als
                    sich durchzusetzen, braucht ein Food-Trend auch        auch den Menschen, die diese herstellen und
                    eine kritische Masse an Menschen, die ihm folgen.      verarbeiten wieder näher zu kommen. Sie möchten
                    Damit er sich stabilisiert, benötigt er zudem          schauen, riechen, probieren, die Atmosphäre der
                    einen flexiblen Markt, der nachgefragte Produkte        Produktionsstätten einfangen, die Produzierenden
                    und Services entwickelt. Diese neuen Lösungen          kennen lernen, mit ihnen über die Herstellung
Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk - Ein White Paper zu kreativen Impulsen für Lebensmittelkultur in der Stadt ...
sprechen, mehr über die Verarbeitungsschritte in              landen als im Müll, zeigt das Wiener Unternehmen
                                                    „Die Zubereitung      Erfahrung bringen. Da der traditionelle Super-
                                                                          markt ihnen das nicht bieten kann, setzen immer
                                                                                                                                        Unverschwendet (siehe Beitrag Seite 64). Abfall-
                                                                                                                                        vermeidung und Ressourcenschonung sind somit
                                                   versteckt sich nicht   mehr Produzierende und innovative Vertriebe
                                                                          auf die Möglichkeit, den Konsumentinnen und
                                                                                                                                        längst nicht mehr nur Antrieb für Dumpster Diver,
                                                                                                                                        also Menschen, die weggeworfene Lebensmittel

                                                    mehr, sondern ist     Konsumenten mehr Einblick in ihre Arbeit zu
                                                                          gewähren – beispielsweise durch Schauproduk-
                                                                                                                                        aus Müllcontainern retten. Auch immer mehr
                                                                                                                                        Kreative suchen dadurch nach überraschenden

                                                     Teil eines ganz-     tion. Oder sie lassen diese auch an der Her-
                                                                          stellung der Produkte teilhaben, zum Beispiel in
                                                                                                                                        neuen Lösungen.

                                                   heitlichen Genuss-     Workshops.                                                    Kreative als Trendverstärker

                                                      Erlebnisses.“       Dieselbe Neugier wird an vielen gastronomi-
                                                                          schen Adressen gestillt: Schauküchen gehören
                                                                                                                                        Kreative Gestaltung verändert nicht nur unseren
                                                                                                                                        Blick auf Lebensmittel und die Art, wie wir sie her-
                                                                          mittlerweile gewissermaßen zum Standard. Die                  stellen, konsumieren und – viel zu oft – verschwenden.
                                                        Hanni Rützler     Zubereitung versteckt sich nicht mehr, sondern                Architektur, Design, Mode und weitere Bereiche
                                                                          ist Teil eines ganzheitlichen Genuss-Erlebnis-                der Kreativwirtschaft fungieren auch als wichtige
                                                                          ses. Dabei wird in vielen Fällen aus Meet Food ein            Brücke zwischen dem Leben und den Mitteln
                                                                          Meet People: Community-Table-Projekte wie                     zum Leben. Denn die Auseinandersetzung von
                                                                          beispielsweise die Betonküche und Feldküche                   Kreativen und Designschaffenden mit Essen

12                                                                        zeigen im Zusammenbringen von Produkten,
                                                                          Handwerk und Menschen die sozial-kommuni-
                                                                          kative Bedeutung von Essen und Genuss auf.
                                                                                                                               13       dreht sich längst nicht mehr nur um Food-Styling,
                                                                                                                                        schönes Porzellan, sinnliche Werbe-Sujets oder
                                                                                                                                        ästhetische Weinetiketten. Kreativ- und Design-
                                                                          Noch mehr um Menschen geht es in inklusiven                   schaffende leisten immer wichtigere Beiträge zur
                                                                          Social-Food-Geschäftsmodellen wie dem                         nachhaltigen Gestaltung und Veränderung der
                                                                          Habibi & Hawara, der „Vollpension“ und der Ver-               gesamten Lebensmittelproduktion und Esskultur
                                                                          pflegungsabteilung des magDAS. Diese Wiener                    und damit letztlich auch zur sozialen Transfor-
                                                                          Unternehmen spielen eine Vorreiterrolle dabei,                mation des urbanen Ernährungssystems: von der
                                                                          oftmals marginalisierte Menschen aktiv als                    Erzeugung und Distribution bis zu Zubereitung
                                                                          Produzierende zu ermächtigen.                                 und Konsum, über die Verpackung und Wieder-
                                                                                                                                        verwertung bis hin zur Entsorgung. Gerade im
                                                                          Aus Resteverwertung wurde Use it All                          Zusammenspiel von Kreativwirtschaft und anderen
                                                                                                                                        Wirtschaftszweigen, die sich mit dem Lebens-
                                                                          Das Bewusstsein, dass sich beim Umgang mit                    mittelbereich befassen, liegt großes Potenzial für
                                                                          Lebensmitteln etwas ändern muss, ist im Wachsen.              Innovationen.
                                                                          Und so gibt es auf unterschiedlichen Ebenen                        Diese Ideen, Produkte und Services können
                                                                          Bemühungen, (unnötige) Verpackungen zu vermei-                die genannten Trends verstärken: Kreative
                                                                          den oder Alternativen zu herkömmlichen Kunst-                 Geschäftsideen sind Impulse, die den Wandel nicht
                                                                          stoffen zu finden. Im selben Zug sind Prinzipien wie            nur auf dem Markt, sondern auch in den Köpfen
                                                                          Nose to Tail und Leaf to Root – also die komplette            wachsen lassen. Eine Förderung der entspre-
                                                                          Verwendung von tierischen und pflanzlichen                     chenden Projekte ist daher eine schmackhafte
                                                                          Lebensmitteln – entstanden, um Nahrungsmittel-                Investition in die Stadt der Zukunft.
                                                                          ressourcen effizient zu nutzen. Gleichzeitig wird
                                                                          die Entsorgung noch genießbarer Lebensmittel
Intro

                                                                          minimiert und es entstehen Konzepte, um sie
                                                                          sinnvoll weiterzuverarbeiten und mit anderen
                                                                          zu teilen, was sich insbesondere in Städten gut
                                                                          ermöglichen lässt.
                                                                               Re-Use Food und Zero Waste sind Trends,
                                                                          denen schon in den letzten Jahren verstärkt
                                                                          Aufmerksamkeit gewidmet wurde: So entstehen
                                                                          essbare Verpackungen, Pfand- und Minimal-
                                                                          Waste-Systeme oder – wie vom Wiener Startup
 1 © Unsplash, Jacek Ddylag /2 © Wien Tourismus,

                                                                          NaKu – „nachwachsende Sackerl“: Tüten, die aus
                                                                          regenerierenden biologischen Rohstoffen her-
                                                                          gestellt werden, und wenn kompostiert, wieder
                                                                          zu neuem, natürlichem Rohstoff wachsen. Es
                                                                          entstehen gänzlich neue technische Materialien
 Peter Rigaud /3/4 © David Payr

                                                                          wie beispielsweise „Leder“ aus Obstabfall,
                                                                          Besteck aus Avocado-Kernen, oder Gewebe aus
                                                                          nachwachsenden, umweltverträglichen Grund-
                                                                          materialien wie Bananatex: Das Open-Source-
                                                                          Projekt wurde vom Taschen-Label Qwestion
                                                                          aus den Fasern der Bananenpflanze entwickelt
                                                                          (siehe Beitrag Seite 63). Dass auch eine krumme
                                                                          Karotte schmackhaft sein kann oder Lebens-
                                                                          mittelüberschüsse besser in Konservengläsern

                                                                                                                                    4
Urban Food
& Design
                                                                                                                                                                       9

14      Gestaltung     Seit mehreren Jahren befassen wir uns in der
                       Wirtschaftsagentur Wien im Kreativbereich

        und Essen      intensiv mit der Frage, welche Rolle Kreative,
                       Designerinnen und Designer im Kontext von

        in der Stadt   Lebensmitteln und Ernährung spielen.

                       Wir bespielen das Thema „Urban Food & Design“
                       in der ganzen Stadt. Mit der Vienna Design
                       Week als wichtiger Partnerin schreiben wir seit
                       2018 jährliche Challenges rund um „Urban Food
                       & Design“ aus. Gesucht sind dabei Designkon-
                       zepte und Projekte, die sich mit den wichtigsten
                                                                                                                                                                   8
                       Fragestellungen in Bezug auf das Thema Essen
                       und Gestaltung in der Stadt im weitesten Sinn
                       befassen: von lokaler Produktion über Distribution
                       und Konsum bis hin zu einem neuen Verständnis
                       von Gastlichkeit und Genuss.

                       Erleben kann man die Gewinnerprojekte jeweils im
                       Rahmen der Vienna Design Week und diese sind

                                                                               10 © VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Patrizia Gapp /11 © VIENNA DESIGN WEEK/
                                                                               1/2 © VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Paulus Jakob /3 ©VIENNA DESIGN WEEK/
                       inhaltlich überaus vielfältig. So wurde schon gemein-
                       samer Genuss im digitalen Zeitalter behandelt,

                                                                               Kollektiv Fischka/Maria Noisternig /6/7 ©VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/
                                                                               Kollektiv Fischka/Phillip Podesser /4 © Jakob Glasner /5 ©VIENNA DESIGN WEEK/
                       es ging um Inklusion im Grätzl oder neue Nahrungs-
Intro

                                                                               Daniela Jakob /8/9 ©VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Phillip Podesser
                       quellen und „Neurowissenschaft“ auf dem Teller.
                       Es wurde Storytelling durch Patisserie betrieben,
                       Body Positivity gefeiert und Hühner im urbanen
                                                                                                                                                                   1
                       Raum bekamen Unterstützung bei ihrer Selbster-
                       mächtigung.

                       Mit „Urban Food & Design“ zeigen wir vor, wie die
                       Schnittstelle von Gestaltung und Lebensmitteln
                       zur Zukunftsfähigkeit der Stadt beitragen kann.

                                                                                                                                                                       10

                                                                               Kollektiv Fischka/Phillip Podesser

                                                                                                                                                                       11
Urban Food
& Design
           2                                                                                                                                                               9

14      Gestaltung         Seit mehreren Jahren befassen wir uns in der
                           Wirtschaftsagentur Wien im Kreativbereich

        und Essen          intensiv mit der Frage, welche Rolle Kreative,
                           Designerinnen und Designer im Kontext von

        in der Stadt       Lebensmitteln und Ernährung spielen.

                           Wir bespielen das Thema „Urban Food & Design“
                           in der ganzen Stadt. Mit der Vienna Design
                           Week als wichtiger Partnerin schreiben wir seit
                           2018 jährliche Challenges rund um „Urban Food
                           & Design“ aus. Gesucht sind dabei Designkon-
                           zepte und Projekte, die sich mit den wichtigsten
           3                                                                                                                                                           8
                           Fragestellungen in Bezug auf das Thema Essen
                           und Gestaltung in der Stadt im weitesten Sinn
                           befassen: von lokaler Produktion über Distribution
                           und Konsum bis hin zu einem neuen Verständnis
                           von Gastlichkeit und Genuss.

                           Erleben kann man die Gewinnerprojekte jeweils im
                           Rahmen der Vienna Design Week und diese sind

                                                                                   10 © VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Patrizia Gapp /11 © VIENNA DESIGN WEEK/
                                                                                   1/2 © VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Paulus Jakob /3 ©VIENNA DESIGN WEEK/
                           inhaltlich überaus vielfältig. So wurde schon gemein-
                           samer Genuss im digitalen Zeitalter behandelt,

                                                                                   Kollektiv Fischka/Maria Noisternig /6/7 ©VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/
                                                                                   Kollektiv Fischka/Phillip Podesser /4 © Jakob Glasner /5 ©VIENNA DESIGN WEEK/
                           es ging um Inklusion im Grätzl oder neue Nahrungs-
           4
Intro

                                                                                   Daniela Jakob /8/9 ©VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Phillip Podesser
                           quellen und „Neurowissenschaft“ auf dem Teller.
                           Es wurde Storytelling durch Patisserie betrieben,
                           Body Positivity gefeiert und Hühner im urbanen
                           Raum bekamen Unterstützung bei ihrer Selbster-
                           mächtigung.

                           Mit „Urban Food & Design“ zeigen wir vor, wie die
                           Schnittstelle von Gestaltung und Lebensmitteln
                           zur Zukunftsfähigkeit der Stadt beitragen kann.

           5                                                                                                                                                               10

                                                                                   Kollektiv Fischka/Phillip Podesser

                       6                                   7                                                                                                               11
Local                                          Food

                                               Wie können Lebensmittel ressourcen- und energieeffizient
                                               lokal und regional produziert werden?

                                               Wie kann mehr Nähe zwischen Produzentinnen und Konsumenten
                                               hergestellt werden?

                                               Welche neuen Ideen gibt es für das Thema der Schauproduktion
                                               zum besseren Verständnis von Produktionsprozessen?

                                               Wie kann Architektur im Sinne der Kreislaufwirtschaft
                                               als Ressource funktionieren?
Bild © Freunde von Freunden/Philipp Forstner

                                               Wie können neue, klimaneutrale Distributionswege gefunden werden?

                                               Welche Verpackungssysteme lassen sich entwickeln,
                                               die mit lokalen Ressourcen arbeiten?
Local                                          Food

Sourcing                                       Wie können Lebensmittel ressourcen- und energieeffizient
                                               lokal und regional produziert werden?
Vertrieb                                       Wie kann mehr Nähe zwischen Produzentinnen und Konsumenten
Vertical Farming                               hergestellt werden?

Schauproduktion                                Welche neuen Ideen gibt es für das Thema der Schauproduktion
                                               zum besseren Verständnis von Produktionsprozessen?

Kreislaufwirtschaft                            Wie kann Architektur im Sinne der Kreislaufwirtschaft

Konsum                                         als Ressource funktionieren?
Bild © Freunde von Freunden/Philipp Forstner

Verpackung                                     Wie können neue, klimaneutrale Distributionswege gefunden werden?

                                               Welche Verpackungssysteme lassen sich entwickeln,
                                               die mit lokalen Ressourcen arbeiten?
Ideen säen und
keimen lassen
     Ein Wiener Küchengespräch mit Andrea Lenardin Madden                Wiens gefeierte
     und Christina Nasr geführt von Severin Corti                        Gemüseköchin
                                                                         Christina Nasr (CN)
                                                                         und die in Kalifornien
                                                                         erfolgreiche Architektin
18                                                           19          und Designerin Andrea
                                                                         Lenardin Madden                                      WIE ERLEBST DU ALS DESIGNERIN DEN
                                                                                                                              GASTRONOMIEKUNDEN? VERSTEHEN DEINE
                                                                         (ALM) im Gespräch                                    KUNDINNEN UND KUNDEN DESIGN ALS
                                                                                                                              LÖSUNGSANSATZ ODER IST DA VIEL ÜBER-
                                                                         mit dem Restaurant-                                  ZEUGUNGSARBEIT NÖTIG?
                                                                                                                                   ALM: Wir haben uns eine Nische geschaffen
                                                                         kritiker Severin Corti.                              und arbeiten eigentlich nur mit Kundinnen und
                                                                                                                              Kunden, die Design dezidiert als Lösungsansatz
                                                                                                                              sehen – deshalb kommen sie zu uns. Diese Über-
                                                                                                                              zeugungsarbeit muss ich also nicht leisten. Wir
                                                                         CHRISTINA NASR, DU BIST GASTRONOMIN                  werden, wenn es um neue Lokale geht, meistens
                                                                         UND WEINVERKÄUFERIN IN WIEN UND                      schon ein halbes Jahr vorher involviert. Ich
                                                                         BETREIBST SEIT ZWEI JAHREN MIT DEINEM                beschreibe den Prozess gern als Reise. Wir haben
                                                                         GESCHÄFTSPARTNER ANDREAS SCHWARZ                     Mitsprache in allen Bereichen – vom Lokal selbst
                                                                         DIE ALMA GASTROTHÈQUE. HAST DU SPEZI-                über Table Setting, Gestaltung der Logos bis zur
                                                                         FISCHE DESIGNBEDÜRFNISSE?                            Kleidung. Wir machen fast nur Projekte, wo das
                                                                              CN: Ganz klar ja. Gerade bei der Arbeits-       Design am Beginn steht. Und das ist auch für den

                                                            Local Food
                                                                         bekleidung. Die sollte schön sein, darf aber auch    Kunden ein Prozess – man weiß nicht wirklich,
                                                                         nicht behindern. Bewegungsfreiheit ist wichtig –     was man macht, bis man es macht.
                                                                         es reicht nicht, dass eine Schürze nur trendy ist.
                                                                         Das Material sollte nachhaltig produziert sein,      HAST DU TIPPS FÜR DESIGNERINNEN UND
                                                                         pflegeleicht, bequem und idealerweise bügelfrei.      DESIGNER, WIE MAN MIT KUNDEN AUS DER
                                                                         Also Bekleidung, mit der man in jeder Hinsicht       GASTRONOMIE UMGEHT UND SIE AUF SEINE
                                                                         wendig ist – in der Küche wie im Service.            SEITE HOLT?
                                                                                                                                    ALM: Man muss sich einfach voll auf sie ein-
                                                                         MAN MÖCHTE MEINEN, DASS ES DAFÜR IM                  lassen. Design hat manchmal einen schlechten
                                                                         DESIGNBEREICH LÄNGST LÖSUNGEN GIBT.                  Ruf, speziell bei so genannten „Designerlokalen“.
                                                                              ALM: Wenn man bei Arbeitskleidung beson-        Die schauen oft alle gleich aus und folgen
                                                                         dere Materialien wünscht, müssen sie eigentlich      Hospitality-Konzepten nach dem Cookie-Cutter-
                                                                         immer eigens angefertigt werden. Für unsere          Prinzip – wie ausgestanzt, ohne eigenständige
                                                                         Kunden im Gastronomiebereich machen wir immer        Ideen. Unser Ansatz ist, jedes Projekt eigenstän-
                                                                         auch die Kleidung mit – in erster Linie fürs Ser-    dig anzugehen. Wir säen am Beginn die Samen –
                                                                         vicepersonal. Zum Beispiel bei unseren Lokalen       die Ideen – und die fangen dann an zu keimen.
                                                                         für den Sternekoch Corey Lee in San Francisco.       Unsere Methodologie ist konstant, aber das Resul-
                                                                         Da haben wir uns letztlich für ein Polyblend-        tat ist immer sehr spezifisch. Der Erfolg hängt
                                                                         Material entschieden, weil es einfach praktischer    dabei immer von allen Beteiligten ab.
                                                                         und robuster ist.
                                                                                                                              DAS HAT BEI DEINEM CUPCAKES-PROJEKT
                                                                                                                              GUT FUNKTIONIERT.
                                                                                                                                  ALM: Das Projekt „Sprinkles“ habe ich vor
                                                                                                                              etwa 14 Jahren in San Francisco gestartet. Ein
                                                                                                                              Kunde wollte ins Cupcake-Business einsteigen.
                                                                                                                              Im ersten Moment dachte ich mir: Ich komme aus
Wien, wir haben eine richtige Torten- und Mehl-
             speisenkultur – was soll ich da mit Cupcakes?
             Aber ich habe ihre Produkte gekostet: Die waren
             richtig gut, ganz anders als die Mehl- und Zucker-
             bomben, die man sonst als Cupcakes kennt. Ich
             habe damals ein Array entworfen, wo jeder Cup-
             cake separat in einer eigenen Vertiefung steht.
             Die Kuchen sollten gewissermaßen als Objekte in
             Szene gesetzt werden. In einem kleinen Lokal,
             das um das Produkt herumgebaut wird.

             WIE EIN SCHMUCKKASTERL. DAS PROJEKT
             WURDE DANN JA SKALIERT UND WAR EIN
             ZIEMLICHER ERFOLG. WIE IST DAS GELUNGEN?
                  ALM: Das lief auch über Celebrities. Barbra
             Streisand war ein Fan der Cupcakes und hat ihrer
             Freundin Oprah welche nach Chicago geschickt.
             Sie präsentierte sie tatsächlich in ihrer Sendung
             und schon gab es Schlangen vor den Geschäften.

 20          Wir haben dann sogar einen Cupcake ATM
             entwickelt, einen Cupcake Automaten, um die
             Nachfrage stillen zu können. Erstaunlicherweise
                                                                      21
             hat sich das Ding auch im gesundheits- und
             körperbewussten L.A. verkauft. So ein Cupcake
             ist mit etwa 800 Kalorien ja fast eine Mahlzeit.

             STICHWORT KALIFORNIEN – VIELE FOOD-
             TRENDS, ETWA SHARING, KOMMEN VON
             DORT ZEITVERSETZT ZU UNS. CHRISTINA,
             IHR PRAKTIZIERT DAS AUCH BEI ALMA, IHR
             ANIMIERT DIE GÄSTE DAZU, DIE GERICHTE
             MITEINANDER ZU TEILEN. WIRD DAS
             ANGENOMMEN?
                  CN: Inzwischen sehr gut. Mittlerweile teilen
             85 % unserer Gäste. Bei uns kommen die Speisen
             aus der Küche, wenn sie fertig sind, weil ich alles                  IM ALMA TEILEN JA NICHT NUR DIE GÄSTE.              ALM: Solche Ideen funktionieren auch in den USA.
             auf den Punkt koche. Das war eigentlich der Aus-                     SHARING HEISST FÜR EUCH AUCH, SICH                  Die jüngere Generation ist grundsätzlich mehr
             gangspunkt fürs Sharing. Die Vorteile sind klar: Das                 MIT KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN ZUSAM-                 für „sharing“ als „owning“. Auch gutes Essen ist
             Essen kommt schneller an den Tisch, es passiert                      MENZUTUN UND AUSZUTAUSCHEN.                         dieser Generation zusehends wichtiger.
             immer etwas und – es bringt die Leute zusammen.                           CN: In Wien gibt es eine Handvoll Gastrono-
Local Food

                                                                     Local Food
                                                                                  minnen und Gastronomen, die wie wir auf Natural     SICH SO ZENTRAL ÜBER DIE ESSGEWOHN-
             DAS ALMA IST KEIN GROSSES LOKAL, MIT                                 Wine fokussieren, extrem hochwertige Produkte       HEITEN ZU DEFINIEREN IST SICHER EIN AUS-
             KLEINEN TISCHEN. GIBT ES VOM DESIGN HER                              verwenden – und das konsequent. Wir verstehen       WUCHS DER WOHLSTANDSGESELLSCHAFT.
             ANSÄTZE, WIE MAN MIT EINER VIELZAHL AN                               Gemüse nicht nur als Beiwerk, sondern als Haupt-    ABER GERADE SOLCHE ANSÄTZE BRINGEN
             TELLERN AM TISCH UMGEHT?                                             darsteller. Und mit diesen Kolleginnen und Kolle-   JA AUCH WAS WEITER UND SETZEN NEUE
                  ALM: Und wie. In vielen Lokalen gibt es wenig                   gen, etwa Hubert Peter und Lucas Steindorfer vom    STANDARDS.
             Platz und kleine Tische. Wir haben eine Pizzeria                     „Bruder“ in der Windmühlgasse, teilen wir uns            ALM: Was man isst, ist Teil des persönlichen
             in L.A. gestaltet. Wenn man zwei Pizzen bestellt,                    Produzenten und Lieferanten – so haben wir uns      Designs. Sharing heißt, gemeinsam Zeit zu ver-
             Salat, Wasser und Wein, ist der Tisch voll. Wir haben                zum Teil auch kennengelernt.                        bringen – und Zeit ist heutzutage der ultimative
             deshalb ein Objekt entworfen, den so genannten                                                                           Luxus. Also gemeinsam einkaufen, gemeinsam
             „Giro“, bei dem die Pizzen auf einer Art Etagere, die                Wir „sharen“ unsere Erfahrungen, aber auch          kochen, um dann gemeinsam zu essen. Gemein-
             sich dreht, auf runden Blechen eingehängt wird.                      unsere Gäste. Alma muss etwa um Mitternacht         sam Essen steht zentral für diese Idee vom
             Für die Vienna Design Week 2018 haben wir darauf                     zusperren. An manchen Abenden ist das eine          besonderen Wert der Zeit. Daraus ergibt sich für
             basierend einen Prototypen für Porzellanteller                       Herausforderung. Das Bruder darf länger offen-       die Gastronomie jetzt die große Chance, dafür
             entwickelt. Da müssen wir aber noch einen Liefe-                     halten. Also reservieren wir dort einen größeren    Orte zu schaffen.
             ranten finden, der das für uns in Serie produziert.                   Tisch zu später Stunde und bieten unseren Gäs-           Ein anderes Thema ist Takeout. In den USA
             Außerdem habe ich auch ein Service mit dem                           ten ab 23 Uhr an, dass sie hinüberwechseln.         sind die Leute regelrecht böse, wenn man in
             Designer Stefan Diez entwickelt, das sich „Shiro“                    Das Bruder freut sich, unsere Gäste und Anrainer    einem Lokal nicht die Option hat, etwas mitzuneh-
             nennt, japanisch für „weiß“. Dafür haben wir jetzt                   auch. Wir bieten außerdem Wein zum Mitnehmen        men. Das große Problem dabei ist natürlich die
             den deutschen Designpreis in Gold erhalten. Die                      zum Weinhandelspreis von Weinskandal an. Den        Verpackung und der daraus entstehende Müll.
             Idee ist, verschieden große Gefäße am Tisch zu                       kann man sich auch nachhause oder an den            65 % aller Waren werden in den USA heute online
             haben, die gestapelt werden können, um den Platz                     Donaukanal mitnehmen und muss ihn nicht hier        bestellt. Das ist das große Thema unserer Dekade.
             möglichst gut zu nutzen.                                             konsumieren.
                                                                                                                                      CN: Wir haben bei Alma eigentlich kaum Takeout,
                                                                                                                                      bis auf den Wein. Da suchen wir tatsächlich eine
                                                                                                                                      geeignete Verpackung, die schön, nachhaltig,
praktisch und nicht zu teuer ist. Derzeit verpacken
                                                                                                                                       Christina                                 Andrea Lenardin                          Severin
                                                    wir einfach in Zeitungspapier. Zum Glück kommen
                                                    die meisten Leute mit Rucksack, weshalb viele
                                                                                                             „Was man isst, ist        Nasr                                      Madden                                   Corti
                                                    den Wein einfach so einpacken und mitnehmen.
                                                                                                           Teil des persönlichen
                                                    WIEN IST WOHL DIE EINZIGE STADT DER WELT,
                                                    DIE EINE KÜCHE HAT, DIE NACH IHR BENANNT
                                                                                                             Designs. Sharing          Gastronomin und Köchin
                                                                                                                                       Co-Gründerin
                                                                                                                                                                                 Architektin und
                                                                                                                                                                                 Designerin
                                                                                                                                                                                                                          Journalist und
                                                                                                                                                                                                                          Restaurantkritiker
                                                    IST: DIE WIENER KÜCHE. GLEICHZEITIG IST
                                                    DIESES KULTURERBE IMMER STÄRKER GEFÄHR-                heißt, gemeinsam Zeit       Alma Gastrothèque
                                                    DET, WIRD AUF WENIGE, IMMER GLEICHE
                                                    GERICHTE REDUZIERT. VERSCHWINDET SO                     zu verbringen – und
                                                    DIE VIELFALT UND BESONDERHEIT, DIE SO
                                                    EINE KÜCHE MIT SICH BRINGT?                             Zeit ist heutzutage        Christina Nasr wollte immer schon
                                                                                                                                       kochen. Nach ihrer Ausbildung zur
                                                                                                                                                                                 Andrea Lenardin Madden ist Archi-
                                                                                                                                                                                 tektin und Designerin und widmet sich
                                                                                                                                                                                                                          Severin Corti ist Journalist. Er schreibt
                                                                                                                                                                                                                          seit 2005 die wöchentliche Restaurant-
                                                         CN: Ich finde, dass die Einfachheit verschwin-
                                                    det. Ich will manchmal einfach nur eine Grieß-         der ultimative Luxus.“      Hotelfachfrau verschlug es die gebür-
                                                                                                                                       tige Kärntnerin in den Sales- und
                                                                                                                                                                                 mit ihrem interdisziplinären Design-
                                                                                                                                                                                 studio alm project der Untersuchung
                                                                                                                                                                                                                          kritik in der Tageszeitung Der Standard,
                                                                                                                                                                                                                          ist Herausgeber des Slow-Food-Guide
                                                    nockerlsuppe. Aber die muss dann echt sein, nicht                                  Marketingbereich, in dem sie zunächst     des Grenzbereichs zwischen Kunst         für traditionelle Wirtshäuser in Öster-
                                                    mit Abkürzungen gemacht. Ich will den echten                                       in der internationalen Hotellerie und     und Architektur. Ursprünglich aus        reich, entwickelt Konzepte für innovative
                                                                                                              Andrea Lenardin Madden
                                                    Geschmack. Bei gewissen Dingen darf man keine                                      danach in der Musiktheaterbranche         Baden, lebt und arbeitet sie seit über   Gastronomie und schreibt in österrei-
                                                    Experimente machen.                                                                insgesamt über 14 Jahre tätig war. 2017   zwei Jahrzehnten in Kalifornien. Ihre    chischen und internationalen Zeitschrif-

 22                                                 ANDREA, WONACH SEHNST DU DICH IN DEN
                                                    USA, WENN DU AN UNSERE KÜCHE DENKST?
                                                                                                                                       fasste Christina gemeinsam mit ihrem
                                                                                                                                       besten Freund Andreas Schwarz den
                                                                                                                                       Entschluss, endlich das zu machen, was
                                                                                                                                                                                 Arbeiten und Installationen wurden in
                                                                                                                                                                                 Europa und Nordamerika ausgestellt
                                                                                                                                                                                 und ausgezeichnet, unter anderem mit
                                                                                                                                                                                                                          ten über Essen und Trinken.

                                                          ALM: Nach dem Heurigen! Ich bin in Baden                                     sie immer wollten: ihr eigenes Lokal.     einem Fulbright-Stipendium (1996/
                                                    aufgewachsen, sozusagen am Weingarten und                                          Die Alma Gastrothèque war geboren         1998). Ein besonderer Fokus in der
                                                    ich liebe die Landschaft und den Heurigen als                                      und eröffnete im März 2018. In ihrer       Arbeit der leidenschaftlichen Hobby-
                                                    demokratischen Ort, wo Jung und Alt unterm Nuss-                                   Farm-to-Table-Küche konzentriert sich     Köchin liegt auf der Gestaltung von
                                                    baum zusammensitzen. Einfaches Essen, ewige                                        Christina vor allem auf Gemüse, das       Restaurantkonzepten und Produkten
                                                    Geschichten. Das ist in den USA zum Glück auch                                     sie von zwei Vorzeigegemüsebauern         im Bereich Tableware. Für den Ent-
                                                    in Veränderung begriffen, aber meistens muss                                        (Gärtnerei Bach, Krautwerk) bezieht und   wurf von „Sprinkles Cupcakes“ in
                                                    man schnell aufstehen, wenn man aufgegessen                                        zu kreativen Gerichten verkocht. Das      Beverly Hills erhielt sie im Jahr 2006
                                                    hat, um den Nächsten Platz zu machen. Das                                          Naturweinsortiment von Weinskandal,       den AIA|LA Restaurant Design Award.
                                                    Sharing bringt da eine ganz neue Perspektive.                                      das im Lokal auch to go erhältlich ist,   2020 wurde sie für ihre mit Stefan
                                                    Der Heurige ist für mich ein Ort des Verweilens.                                   rundet die naturnahe und saisonale        Diez für den Porzellanhersteller
                                                                                                                                       Küche unter dem Motto „Raw wine, real     Schönwald entwickelte Geschirr-
                                                         DIE WIENER KÜCHE SELBST IST JA AUCH                                           food, true love“ ab.                      serie „Shiro“ mit dem German Design
                                                    EIN FASZINIERENDES DESIGN: EIN AMALGAM                                                                                       Award in Gold ausgezeichnet.
                                                    VERSCHIEDENER KULTUREN, DIE SICH HIER
                                                    GETROFFEN HABEN UND ZU ETWAS NEUEM
                                                    GEWORDEN SIND. DIE LEBENDIGKEIT, DIE
                                                    DAS MÖGLICH GEMACHT HAT, SCHEINT ABER
Local Food

                                                    IN GEFAHR ZU SEIN. ICH HABE OFT DEN EIN-
                                                    DRUCK, DASS DIE WIENER KÜCHE ZU ERSTAR-
                                                    REN DROHT. DIE IDEE, DASS SIE SICH WEITER
                                                    INSPIRATIONEN VON AUSSEN HOLT, WIE
                                                    FRÜHER AUS UNGARN, BÖHMEN, RUMÄNIEN,
                                                    ITALIEN – IST DAS VIELLEICHT EINE GRUND-
                                                    BEDINGUNG, DAMIT SIE IHRE VITALITÄT
                                                    ERHALTEN KANN?
                                                         ALM: Ich glaube absolut, dass das die einzige
                                                    Chance ist, denn sonst wird die Wiener Küche ein
                                                    museales Stück. Ich nehme an, dass derzeit vor
                                                    allem asiatische Einflüsse auf die Wiener Küche
   Fotos © Wirtschaftsagentur Wien/Klaus Vyhnalek

                                                    einwirken, zum Beispiel Ingwer.

                                                    CN: Ich bin da eher altmodisch. Einerseits experi-
                                                    mentiere ich gern, wobei ich meine Küche auch
                                                    nicht als Wiener Küche bezeichnen würde, sondern
                                                    eher als sehr lokale, österreichische Küche, die ich
                                                    mit „Weltaroma“ aufmotze. Aber wenn ich an die
                                                    klassische Wiener Küche denke, ist es mir wichtig,
                                                    klassisch zu bleiben. Man kann die klassischen
                                                    Zutaten aber auch auf den nächsten Level bringen,
                                                    ohne ein Tafelspitz-Carpaccio mit Ingwer zu
                                                    machen.
Joseph Brot                                                                                                                „Wir müssen uns heute der
                                              Backwaren in guter Design-                                                                                                      Aufgabe stellen, die hohen
                                              Gesellschaft
                                              Ende 2009 gründete der gelernte Fleischhauer und Lebens-
                                                                                                                                                                         Wiener Lebensqualitätsstandards
                                                                                                                                                                             für morgen zu sichern. Dabei
                                              mitteltechnologe Josef Weghaupt im Waldviertel die Bäckerei
                                              Joseph Brot. 2011 öffnete er die erste Filiale in der Wiener
                                              Innenstadt. Seither hat er auf vier weitere Standorte in Wien
                                              expandiert, was einen regelrechten Hype um gutes Brot
                                              auslöste.
                                                   Regionalität und Nachhaltigkeit spielen für die Bio-
                                                                                                                                                              1           spielt der gesamte Lebensmittel-
                                              Bäckerei eine zentrale Rolle. Dabei werden auch kreislaufwirt-
                                              schaftliche Prinzipien immer wichtiger: Nicht verkaufte Bri-
                                              oches kommen etwa in süßen Scheiterhaufen zu neuem Ruhm.
                                                                                                                                                                         bereich eine immer größere Rolle.
                                                   Unter dem Motto „Das Auge isst mit“ prägt außerdem
                                                                                                                                                                            Was wir essen, wo und wie es
 24                                           Design von lokalen Gestalterinnen und Produzenten die Filia-
                                              len von Joseph Brot. So entstand eine Kooperation mit der                                                             25
                                              Wiener Hutmanufaktur Mühlbauer, die nicht nur für die Kopf-
                                              bedeckungen und Schürzen der Mitarbeitenden verantwort-                                                                      produziert, verpackt und trans-
                                                                                                                                                                         portiert wird, verändert die Umwelt
                                              lich zeichnet, sondern auch eine eigene Joseph Brot Tasche
                                              gestaltet hat.

                                                                                                                                                                            und unser direktes Umfeld. Ich
                                              joseph.co.at
                                                                                                                                                              2
                                              muehlbauer.at

                                                                                                                                                                           lade alle Kreativen dieser Stadt
                                                                                                                                                                          ein, neue, mutige, überraschende
                                                                                                          markta                                                            Ideen für unseren Umgang mit
                                                                                                     Einkaufen im digitalen Hofladen
                                                                                                                                                                          Lebensmitteln zu entwickeln. Wir
Local Food

                                                                                                     Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten setzen auf
                                                                                                     eine wirkliche Nähe zu Herstellern, wenn es um Regionalität
                                                                                                     und die Vermarktung der Lebensmittel geht.                              unterstützen sie dann bei der
                                                                                                                                                                                     Umsetzung!“
                                                                                                          Manchmal braucht es einfach einen Ausflug in die digi-
                                                                                                     tale Welt, um die Wege zu verkürzen und besser zu gestalten:
                                                                                                     2018 gründete Theresa Imre markta, einen Online-Bauern-
                                                                                                     markt für regionale Lebensmittel. Die übersichtlich designte
                                                                                                     Plattform holt das Prinzip der alternativen Lebensmittelbe-
                                                                                                3    schaffung aus den Kellern und ermöglicht einen innovativen
                                                                                                     Zugang zu qualitativen landwirtschaftlichen Produkten.
                                                                                                     Die Betriebe – ca. 90 % davon aus dem Wiener Umland –
                                                                                                     haben ihre virtuellen Marktstände, die in der Gesamtheit
                                                                                                     eine außergewöhnliche Produktpalette ergeben. Die kurzen
                                                                                                     Transportstrecken werden per Post oder über Abholstellen
   1/2 © Joseph Brot /3 © markta, Anna Zora

                                                                                                     überwunden. markta ist eine Schnittstelle, nicht nur im
                                                                                                     Vertrieb, sondern auch im Know-how-Transfer mittels eines
                                                                                                     dazugehörigen Blogs. Damit ermöglicht der Webshop in
                                                                                                     moderner Art Nähe, Sichtbarkeit und Bewusstseinsbildung –
                                                                                                     und eine Demokratisierung des Lebensmittelmarktes. Das
   4 © markta, Josef Siffert

                                                                                                     ist gerade in Krisenzeiten von Bedeutung: Die Bestellungen
                                                                                                     stiegen während des Corona bedingten Lockdowns auf ein
                                                                                                     20-faches an.
                                                                                                          markta wurde von der Wirtschaftsagentur Wien gefördert.
                                                                                                4
                                                                                                     markta.at
                                                                                                                                                                             Peter Hanke, Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft,
                                                                                                                                                                                   Digitalisierung und Internationales
Design und die
 Fleischbällchen
 der Zukunft Ein Interview mit Carla Camilla Hjort geführt von
             Alice Jacubasch, Wirtschaftsagentur Wien
 26

                                             1
Local Food

             Carla Camilla Hjort startete ihre Karriere zu-
             nächst als DJ und Shopbesitzerin und gründete
             2006 das Kulturdesignstudio ArtRebels. Es folg-
             ten die Rebel Agency, das Trailerpark Festival
             und die Agenturen Made in Space und SPACE10.
             Mit SPACE10 widmet sie sich der Erforschung
             und Gestaltung „innovativer Lösungen für einige
             der großen gesellschaftlichen Veränderungen,
             die in den kommenden Jahren auf die Menschen
             und unseren Planeten zukommen werden“.
                                                                 2   4
Design und die
 Fleischbällchen
 der Zukunft Ein Interview mit Carla Camilla Hjort geführt von
             Alice Jacubasch, Wirtschaftsagentur Wien
 26

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Local Food

             Carla Camilla Hjort startete ihre Karriere zu-
             nächst als DJ und Shopbesitzerin und gründete
             2006 das Kulturdesignstudio ArtRebels. Es folg-
             ten die Rebel Agency, das Trailerpark Festival
             und die Agenturen Made in Space und SPACE10.
             Mit SPACE10 widmet sie sich der Erforschung
             und Gestaltung „innovativer Lösungen für einige
             der großen gesellschaftlichen Veränderungen,
             die in den kommenden Jahren auf die Menschen
             und unseren Planeten zukommen werden“.
                               3                                 4
WAS SIND DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDE-
         RUNGEN, MIT DENEN WIR AUF UNSEREM
         PLANETEN IN BEZUG AUF DIE ERNÄHRUNG
                                                                                     „Die UNO hat Mikroalgen oder Spirulina
         KONFRONTIERT SIND?
              Es ist kein Geheimnis, dass unser Ernäh-
                                                                                    zu einer der besten Nahrungsquellen für
         rungs- und Lebensmittelproduktionssystem zu
         einem Problem für alle Menschen auf dem Pla-
                                                                                               Menschen erklärt.“
         neten werden wird. Ich würde es sogar als ein
         kaputtes System bezeichnen. Heute produzieren                                                             Carla Camilla Hjort
         wir Nahrungsmittel in großem Maßstab, weit
         weg von unserem Wohnort, und verschiffen
         eine beträchtliche Menge an Lebensmitteln über                                                                         Außerdem arbeite ich gerne mit Lebensmitteln,
         den halben Planeten und in unsere Städte.                                                                              da sie das einzige Thema sind, mit dem sich so
                                                                                                                                gut wie alle Menschen identifizieren und für das
         Dieses Modell hat uns bisher gute Dienste geleis-                                                                      sie sich begeistern können. Es bewegt uns und
         tet. Wir waren in der Geschichte der Menschheit                                                                        es bringt uns zusammen. Essen ist ein sozialer
         noch nie so nahrungsmittelsicher wie heute, aber                                                                       Akt und eine universelle Sprache, die uns über
         unsere billigen Lebensmittel haben einen zusätz-                                                                       Grenzen und Kulturen hinweg verbindet.
         lichen Preis. Unser System wird von der Quantität,

    28   Chemikalien und Kraftstoff angetrieben. Es benö-
         tigt eine enorme Menge an Ressourcen für Pro-
         duktion, Transport und Kühlung und ist eine der
                                                               29                                                               WAS HAT SICH IHRER MEINUNG NACH SEIT
                                                                                                                                DER JAHRTAUSENDWENDE IN BEZUG AUF DIE
                                                                                                                                BEDEUTUNG UND UNSERE WAHRNEHMUNG
         Hauptursachen des Klimawandels. Dazu kommt                        Das ist an sich schon ein riesiges Problem, aber     VON LEBENSMITTELN VERÄNDERT?
         der bedenkliche Umgang mit unseren schwinden-                     wir stehen vor zusätzlichen Herausforderungen,            Ich denke, der wichtigste Wandel in unserer
         den Süßwasservorräten. Dieser Prozess belastet                    die mit der wachsenden Weltbevölkerung und           Wahrnehmung rund um das Thema Ernährung ist
         den Nährwert unserer Lebensmittel erheblich, und                  der damit verbundenen Nachfrage nach mehr            die Anerkennung unserer begrenzten natürli-
         ein Drittel der produzierten Lebensmittel wandert                 Ressourcen zusammenhängen. Die UNO schätzt,          chen Ressourcen sowie ein tieferes Verständnis
         durch Verderb und Überproduktion in den Abfall.                   dass wir in den nächsten 35 Jahren 70 % mehr         der Umweltauswirkungen, die unser System der
                                                                           Nahrungsmittel benötigen. Und da Millionen von       industriellen Nahrungsmittelproduktion geschaffen
                                                                           Menschen jeden Tag die Armutsgrenze über-            hat. Die Menschen haben zu verstehen begon-
                                                                           schreiten, wird der weltweite Fleischkonsum dra -    nen, wie wichtig es ist, weniger Fleisch zu essen,
                                                                           matisch ansteigen – und das zu einer Zeit, in        lokale und biologische Produkte zu kaufen, Lebens-
                                                                           der wir einen raschen Rückgang der Emissionen        mittelabfälle zu vermeiden und wieder selbst
                                                                           brauchen, um das Klima zu stabilisieren.             Nahrungsmittel anzubauen.
                                                                                Wir müssen einfach klüger und effizienter
                                                                           bei der Produktion unserer Nahrungsmittel und        WELCHE ERNÄHRUNGSTRENDS BEOBACH-
                                                                           aufgeschlossener in Bezug auf Nahrungsmittel-        TEN SIE?
                                                                           vielfalt sein, weil die Weltbevölkerung wächst und        Wir sehen eine Zunahme von Menschen,
                                                                           der Klimawandel das für die Landwirtschaft zur       die sich vegetarisch oder vegan ernähren. Wenn
                                                                           Verfügung stehende Wasser und Land reduziert.        mehr Menschen auf eine stärker pflanzliche

                                                              Local Food
                                                                           Die gute Nachricht ist, dass es uns möglich wäre,    Ernährung umstellen, könnten unsere CO2 -Emis-
                                                                           10 Milliarden Menschen zu ernähren und unsere        sionen radikal gesenkt werden. Wir beobachten
                                                                           Beziehung zum Planeten wieder ins Gleichgewicht      auch, dass immer mehr Menschen ihre eigenen
                                                                           zu bringen. Das erfordert aber, dass wir sowohl      Produkte anbauen. Selbst in den Städten erleben
                                                                           die Art und Weise ändern, wie wir Lebensmittel       wir eine Zunahme des Angebots lokaler Produkte.
                                                                           produzieren, als auch, was und wie wir essen.        Das bedeutet, dass immer weniger Lebensmit-
                                                                                                                                tel über die Kontinente transportiert werden müs-
                                                                           WELCHE ROLLE SPIELEN LEBENSMITTEL BEI                sen. Das hat auch zu Lebensmittel-Innovationen
                                                                           IHRER ARBEIT?                                        geführt, wie etwa zum hydroponischen Anbau, der
                                                                                Lebensmittel spielen eine große Rolle bei der   es ermöglicht, so genannte Micro Greens für die
                                                                           Arbeit, die wir machen. Ich denke, Nahrung ist       Menschen im Herzen unserer Städte anzubauen.
                                                                           nicht nur ein sehr wichtiges Thema, sondern auch
                                                                           ein besonders faszinierendes. Immerhin spricht       Die UNO empfiehlt essbare Insekten als Res-
                                                                           es eines unserer tiefsten menschlichen Bedürfnis-    source zur Bekämpfung des Welthungers. Diese
                                                                           se an: unseren Überlebensdrang. Ohne Nahrung         werden von Köchinnen und Gastronomen wegen
                                                                           wären wir nicht hier. Durch die Tatsache, dass wir   ihres Geschmacks, von Umweltaktivistinnen
                                                                           so viel Bezug zur Natur verloren haben und somit     wegen ihrer geringen ökologischen Auswirkungen
                                                                           auch dazu, wo unsere Nahrung herkommt, hat sich      und von Gesundheitswissenschaftlern wegen
                                                                           eine unnatürliche Situation entwickelt, in der wir   ihres Nährstoffgehalts propagiert. Das macht sie
                                                                           uns von einer der wichtigsten Quellen des Lebens     zu einer sinnvollen Ergänzung unseres Speise-
                                                                           abgekoppelt haben. Wenn es um Innovation geht,       plans. Die UNO hat außerdem Mikroalgen oder
                                                                           besteht eine unserer wichtigsten Aufgaben meiner     Spirulina zu einer der besten Nahrungsquellen
                                                                           Meinung nach darin, das kaputte System der           für Menschen erklärt. Spirulina enthalten mehr
                                                                           Nahrungsmittelproduktion zu reparieren, damit        Eiweiß als Fleisch, mehr Eisen als Spinat, sind
                                                                           Mensch und Natur nicht nur überleben, sondern        vollgepackt mit Vitaminen und Mineralien, und sie
                                                                           hoffentlich auch eines Tages aufleben können.          sind die am schnellsten wachsenden pflanzlichen

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