Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk Let's talk - Ein White Paper zu kreativen Impulsen für Lebensmittelkultur in der Stadt ...
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Let’s talk Let’s talk Urban Food Let’s talk Let’s talk Let’s talk Ein White Paper zu kreativen Impulsen für Lebensmittelkultur in der Stadt
Let’s talk Städte sind attraktiv wie nie zuvor: Um als Let’s talk Let’s talk Stadt lebenswert zu bleiben, braucht es langfristige Alternativen zur konventionellen Lebensmittelproduktion. Mit dem Förderwettbewerb Urban Food unterstützt die Wirtschaftsagentur Wien die Entwicklung und Umsetzung kreativwirt- schaftlicher Produkte, Dienstleistungen Let’s talk oder Prozesse zum Thema Lebensmittel. Gefördert werden kreative Projekte: von städtischer Produktion, Distribution, Ver- packung und Konsum von Lebensmitteln bis zu Gastlichkeit und Tischkultur. Let’s talk Bis zu 100.000 Euro pro Projekt! Wir beraten Sie gerne! Weitere Informationen unter wirtschaftsagentur.at Einreic h von 1.10 en .2020 bis 31.1.20 21!
Förderwettbewerb Urban Food Wer? Unternehmen in Gründung und bestehende Unternehmen der Wiener Kreativwirtschaft sowie Betriebe, die mit Akteu- rinnen und Akteuren der Kreativwirtschaft kooperieren. Wann? 1. Oktober 2020 bis 31. Jänner 2021 Anträge können auf wirtschaftsagentur.at eingereicht werden. Was? Interne Personalkosten, zugekaufte Dienstleistungen, Materialkosten, projektspezifische Spezialausstattung Wie viel? Max. Fördersumme: 100.000 Euro je Projekt Förderquote: 50 %, 60 % bei Kooperationsprojekten Mindestrojektgröße: 10.000 Euro Frauen-Bonus? Geförderte Projekte, die nachweislich von einer Frau geleitet werden, erhalten zusätzlich 5.000 Euro. Weitere Informationen unter wirtschaftsagentur.at foerderungen@wirtschaftsagentur.at
Inhalt 4 Intro Let’s talk: Urban Food Die Zukunft unserer Esskultur liegt in der Stadt 4 Gastbeitrag von Hanni Rützler und Wolfgang Reiter 8 Urban Food & Design 14 16 Local Food Ideen säen und keimen lassen Interview mit Andrea Lenardin Madden und Christina Nasr 18 Joseph Brot: Backwaren in guter Designgesellschaft 24 markta: Einkaufen im digitalen Hofladen 24 Design und die Fleischbällchen der Zukunft Interview mit Carla Camilla Hjort 26 vertical farm institute: Mehr fruchtbares Land in der Stadt 31 Herbeus Greens: Kleine Kräuter wachsen hoch hinaus 31 32 Meet Food Den Wandel verdauen Gastbeitrag von Marije Vogelzang 34 honey & bunny: Pionierarbeit im Food Design 39 mostlikely: Gebauter Genuss 39 Zuerst kommen die Sachen, die du nicht zeichnen Dank an: kannst ... Interview mit Gregor Eichinger 40 Annette Ahrens, Erwin Bauer, Teresa Berger, Christiane Bertolini, Sam Bompas, Manuel Achten Sie auf Ihre Sinne! Interview mit Sam Bompas 44 Bornbaum, Wender Bredie, Kathrina Dankl, Die hœragentur: Hören mit Geschmack 48 Melanie Dienst, Volker Dienst, Cornelia Diesenreiter, Anke Domaske, Gregor Eichinger, Babette’s: Hunger aufs Kochen 48 Gregor Einetter, Matthias Felsner, Brini Fetz, Martin Fetz, Konstantin Fillipou, Jakob Glasner, GOODGOODs, Othmar Handl, Herbeus Greens, Carla Camilla Hjort, Moya Hoke, Lilli Hollein, 50 Future Food honey & bunny (Sonja Stummerer & Martin Hablesreiter), Theresa Imre, Florian Kaps, Wir müssen zuerst gute Kopien machen Christian Kaegi, Christian Knapp, Stephanie Kneissl, Peter Kollreider, Martin Kullik, Bibi Lanner, Interview mit Wender Bredie 52 Julia Landsiedl, Laura Lechner, Sophie Leitner, Polycular: Gemischte Realität und Bier 56 Andrea Lenardin Madden, Rianne Makkink, Lohberger Küchen, Andrea Lunzer, magdas Schmeckt digital besser? 57 HOTEL, Katharina Mischer, Stefan Moritsch, Christina Nasr, Mark Neuner, Claudia Nutz, Vegane Revolution oder Substitutskultur? Alexandra Palla, Nathalie Pernstich, Hubert Peter, Gastbeitrag von Maciej Chmara 58 Armin Pichler, Victoria Pieler, Daniel Podmirseg, Isabell Prade, Robert Praxmarer, Leonid Rath, Studio Dankl: Weniger Brot im Mist 62 Martin Rohla, Robert Rüf, Julia Schanderl, Katha Livin Farms: Der Fortschritt krabbelt aus Automaten 62 Schinkinger, Julia Schwarz, Florian Siepert, Julian Staritz, Staud’s, StudioVlayStreeruwitz, Michael Bananatex: Guter Stoff aus Bananenpflanzen 63 Tatschl, Thomas Traxler, Katharina Unger, Lukas Weber, Thomas Weber, Josef Weghaupt, Namuun QMILK: Tragbare Flüssigkeiten 63 Zimmermann, ZIRP Insects Unverschwendet: Rettet das Obst! 64
Let’s talk: Gemischter Satz: Krea- Essen, Konsum und Gastlichkeit werden also vermehrt durch öko- soziale Herausforderungen und die Erlebbarkeit von Beziehungen und Geschichten geprägt. Das macht klar: Kreativität ist in diesem Bereich Urban Food gefragt. Nicht von ungefähr beschäftigen sich viele Kreative mit den tivität und Themen Essen und Gastlichkeit. Designerinnen und Gestalter fordern durch neue Ansätze dazu auf, eingespielte und traditionelle Abläufe in Lebensmittel Bereichen wie Agrarwirtschaft, Industrie und Dienstleistung umzuden- ken oder gleich neu zu gestalten. zusammen- Der Zusammenhang von Essen und Gastlichkeit mit der Kreativ- wirtschaft wird damit spürbar stärker. Diese Synergie holt immer neue bringen Gäste, Kompetenzen und Kollaborationsmöglichkeiten an den Tisch. So sorgen Kreative schon jetzt für kulinarisches Storytelling – sei es bei der Gestaltung von Firmenwebsites, von Produktlinien oder im Verpackungsdesign. Hersteller von Marken-Lebensmitteln investieren in unverkennbares Sound Branding. Der Buchmarkt explodiert dank immer appetitlicher gestalteter Kochbücher. Apps retten Essen vor dem Wegwerfen. Augmented und Virtual Reality verstärken Genusserfah- Kreative Wiener Küche und Gastlichkeit sind Alleinstellungsmerkmale der Stadt. rungen und bieten Hintergrundinformationen. Architektinnen und Inter- 4 Impulse für Denkt man im Vergleich etwa an die italienische oder japanische Küche, ist Wien die weltweit einzige Metropole, die sich auch über ihre Speisen definiert. Wien hat in unzähligen Lokalen, vielen Lebensmitteln und Zube- 5 ior Designer schaffen mit ihrer Gestaltung von Lokalen und Geschäften Sehnsuchtsorte. Die verwendeten Materialien, Farben und Formen lassen uns in die jeweilige Hausphilosophie eintauchen. Hat das Design Lebens- reitungsmethoden Unverkennbarkeit und Tradition entwickelt. Zwar Kult(ur)gut, ist das kulinarische Vermächtnis aber nicht abgehoben oder den Nerv getroffen, verbreiten sich Ort und Angebot über soziale Medien scheinbar wie von selbst, aber nur wenn Bildsprache und Grafik mittelkultur elitär, sondern der Bevölkerung im täglichen Konsum und Genuss im großen Stil gleichberechtigt zugänglich. Mit der Beschleunigung unse- zielgruppengerecht gewählt wurden. Dass sich Kulinarik und Gastlich- keit gerade im Filmischen hervorragend inszenieren lassen, wird so von in der Stadt res Lebensstils und der Globalisierung – geografisch wie digital – schwin- det das Erbe aber vielerorts. Sich ähnelnde Angebote, Hektik statt immer mehr Unternehmerinnen und auch Influencern verstanden. Das Zusammenspiel von Design und Food wird auch in der Wis- Genuss sowie das Vergessen von lokaler Expertise und traditionellen sensproduktion und -vermittlung immer stärker. So wird zum Beispiel an Rezepten gehen damit einher – kritische Produktionsbedingungen der Universität der Künste Berlin im Designstudiengang unter anderem hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Essen und Gastlichkeit zu „Culinary Fiction“ geforscht. In Dänemark wurde das von Noma-Chef haben daher heute mehr denn je die Chance, die Zukunft positiv mit- René Redzepi gegründete Nordic Food Lab in das Department for zugestalten und die Menschen zum gemeinsamen Nachdenken darüber Food Science der Universität Kopenhagen eingegliedert, um Produkte um den Tisch zu versammeln. für „Future Consumers“ zu gestalten. Ein Interview mit dessen Leiter Wender Bredie findet sich auf Seite 52 dieser Publikation. An der niederländischen HAS University of Applied Sciences wird im Studium „Food Innovation“ Essensproduktion mit Agrarkultur und Design Thin- Essen im Und es gibt immer mehr Menschen. Die Zahlen sind bekannt: Bis 2050 steigt die Weltbevölkerung auf circa zehn Milliarden an und mindestens king zusammengebracht. Und nicht weit davon entstand an der Design Academy Eindhoven der überhaupt erste Studiengang für Food Design. Anthropozän zwei Drittel davon werden in Städten leben. Im Anthropozän, dem Zeitalter, in dem die Menschheit der maßgebliche geologische Faktor Hier wird nicht mehr entlang von klassischen Designsparten gelehrt, sondern interdisziplinäre Gestaltung in Themendepartments entwickelt: ist, hat Ernährung massiven Einfluss auf die Zukunft der Menschheit Design rund um Essen und Gastlichkeit heißt dort Food Non Food. und des Planeten. Zentral ist daher die Lösungsfindung für die Frage: Geleitet wird diese Abteilung von Marije Vogelzang, deren Beitrag auf Intro Intro Wie kann mehr Essen nachhaltig und lokal produziert werden, damit Seite 34 zu lesen ist. die Umwelt weniger belastet wird? Die Chance liegt dabei gerade in der Alltäglichkeit von Nahrung und ihrer Auswirkung auf viele Bereiche wie beispielsweise Gesundheit, Industrie, Transport, Konsumverhalten, Abfallverwertung, Gesellschaftsbildung. In der Auseinandersetzung damit, wie wir essen und wie Ökosysteme überleben, können wir Ant- Eingenordet: Nach der letzten großen Bewegung, die das Zusammenwirken von Essen, Produktion und Interaktion über den europäischen Süden in den worten auf die wichtigsten Zukunftsfragen des Planeten finden. Das trifft zusammen mit einem anderen globalen Phänomen rund Kulinarische Diskurs eingebracht hat, ist die Kompassnadel für die kulinarische Revo- lution in Europa in den Norden gewandert. Auf Slow Food aus Italien ums Essen: Die Welt wird über den Mund erkundet. Zwar hat uns Nah- rung schon in der Steinzeit in Bewegung gebracht, doch noch nie waren Impulse aus folgte die New Nordic Cuisine. Diese zeigt nicht nur, wie saisonal geges- sen werden kann und wie sich lokale Ressourcen nutzen lassen, son- schmackhafte Erlebnisse mehr Auslöser dafür als heute. Aus dem Kul- tur-Tourismus wird langsam der Kulinarik-Tourismus: Menschen suchen Europa dern auch, wie innovativ Präsentationsformen sein können. Im Norden wird vorgelebt, dass ein Fokus auf Regionalität und Nachhaltigkeit nicht in der Begegnung mit Produkten, Essen und nahrhaften Aufenthalten gleichbedeutend mit einem dogmatischen Zeigefinger sein muss. Der nach einzigartigen Erfahrungen. Must See wurde zu Must Experience weltweit bestaunte kreative Output der New Nordics führte so mit sei- und vielfach auch zu Must Eat. Soziale Medien führen in Gastronomie- nem Schwerpunkt auf Gestaltung zu einer radikal neuen Denkweise betriebe und lokale Geschäfte, die mit neuen Anforderungen konfron- rund ums Essen. Die Kulinarik wurde spätestens dadurch in den Kanon tiert sind: Sie sollen nicht mehr nur Produkte oder Services bereit- der angewandten Kunst aufgenommen: mit Essen gestalten wir unser stellen, sondern auch Beziehungen schaffen. Für Beziehungen braucht Leben und Essen gestaltet wortwörtlich auch uns. Essen ist also Design. es Authentizität. Sie stärkt lokale Produkte, Herstellungsweisen, Insze- Von den Niederlanden ausgehend ist Food Design über die letzten nierungs- und Interaktionsformen. Und Authentizität inkludiert auch das Jahre tatsächlich zu einer eigenen Disziplin und Kreativsparte gewor- Nachdenken über ethische und nachhaltige Werte. den. Food Design meint dabei mehr als ästhetisch inszenierte Teller voll gestylter Nahrung. Kreativschaffende haben sich das Thema Essen einverleibt, weil sie in dessen Alltagspräsenz zu Recht Gestaltungskraft
sehen: Design kann sein weltveränderndes Potenzial durch Lebens- mittel – in Produktion und Genuss – wirksam machen. Food Design Kreative Es tut sich viel, aber noch nicht genug. Gerade im städtischen Raum braucht es einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln, innovative umfasst alle Maßnahmen, die unsere Beziehung zu Lebensmitteln ver- bessern können. Diese Maßnahmen können sich auf die Gestaltung Perspektiven Produktionsweisen und ein neues Konsumbewusstsein, um auf große Herausforderungen, wie die zunehmende Urbanisierung und den Klima- von Produkten, Materialien, Techniken, Praktiken, Umgebungen, Syste- men, Prozessen und Erfahrungen beziehen. für Urban wandel reagieren zu können. Dazu bedarf es unter anderem neuarti- ger Vertriebsmodelle, einer breit aufgestellten Wissensvermittlung über Food Lebensmittel und eindrücklicher Customer Experiences, die eine kriti- sche Masse erreichen und auf Mikro- wie auf Makroebene Verhaltens- änderungen auslösen können. Ein Gruß aus Dieses White Paper will genau zu solchen Maßnahmen inspirieren. Über Interviews mit Pionierinnen, Beiträge von Visionären und zahlreiche Am Hotspot von Kreativität und Konsum, den Städten, sind gerade auch Gestalterinnen und Designer gefordert, neue Skalierungsmöglich- der Wiener Best Practices, die als Appetitanreger für neue Geschäftsmodelle die- nen sollen. Es tut sich was: Kreative nutzen die verdichteten Ressourcen keiten aufzuzeigen. Mit überraschenden Lösungen, neuen Geschich- ten, nachhaltigen Erlebnissen, bewusst geschaffenen Orten und reflek- Küche und Expertisen der Stadt und vernetzen sich immer mehr auch über kulinarische Inhalte und Trends – nicht nur untereinander, sondern auch tiert inszenierten Botschaften können sie einen Bewusstseinswandel herbeiführen und positive Veränderungen bewirken. Das gelingt ihnen mit lokal produzierenden und forschenden Unternehmen. Der versie- am besten in Zusammenarbeit mit Unternehmerinnen, Spezialisten und gelte Boden der Stadt wird sozusagen aufgebrochen und zum Spielfeld: Expertinnen aus anderen Sektoren – von Forschung über Produktion bis So hat die „Betonküche“ schon vor einigen Jahren Themen wie Leer- hin zu Vertrieb und Logistik – wozu der Call Urban Food ganz bewusst 6 stand und Community – den uralten Wunsch der Menschen, gemein- sam an einem Tisch zu sitzen – in eindrücklichen Szenografien vereint. Bompas & Parr aus London nennen sich „Architects of Taste“ und 7 auffordert. Daher sucht die Wirtschaftsagentur Wien kreativwirtschaft- liche Projekte, die Lösungen für die wichtigsten Herausforderungen rund um das Thema Lebensmittel in der Stadt bieten. Das vorliegende inszenieren Essen in spektakulären Events. Wie sie dabei Design mit White Paper will dazu inspirieren und ermutigen. Forschung und Branding zusammenbringen, erzählt Sam Bompas im Interview auf Seite 44. Design Thinking und die wissenschaftliche Alice Jacubasch, Miriam S. Koller, Elisabeth Noever-Ginthör, Beschäftigung mit Nahrung sind auch Fokus des Kopenhagener Inno- Alena Schmuck vation Lab Space10. Gründerin Carla Hjort gibt auf Seite 26 Einblick in ihre Projekte. Ein vielzitiertes Beispiel für urbane Produktion und lokale Distribution ist Hut & Stiel aus Wien, die Pilze auf vor Ort gesammeltem Kaffeesatz kultivieren. Produktdesigner wie Gregg Moore, Kosuke Araki oder das Studio Basse Stittgen gestalten währenddessen Tableware aus Knochen, Abfall und faulen Eiern. Sha Design aus Kalifornien haben mit „Eatwell“ Besteck für Menschen mit Demenz entwickelt. In ihrem Projekt „Touch that Taste“ übersetzt die Designerin Martyna Golik Geschmäcker in textile Materialien. Unzählige Beispiele an Interior Design, Geschäftsgestaltung und -architektur erwecken urbane Food- Philosophien zum Leben. Sei es an den weltweiten Standorten der Non-Profit-Organisation Food for Soul, wo Abfallverwertung, Leerstand und soziale Inklusion zusammenkommen. Oder im Londoner Cub, einem Hybrid aus Bar und Restaurant, das Nachhaltigkeit und Recycling als Basis seiner Arbeit versteht: Am Ende eines Abends fallen gerade einmal neun Gramm Abfall an und der Kreislaufaspekt spiegelt sich in der gesamten Lokalgestaltung. Intro Intro Immer mehr ambitionierte Gastronominnen und Unternehmer ent- decken, welche Kraft in der kreativen Herangehensweise an Nahrung liegt. Die fast schon konzeptuellen Methoden der Nose-to-Tail- und Leaf-to-Root-Bewegungen bringen das wachsende Bewusstsein für die ganzheitliche Nutzung von Ressourcen und Abfallvermeidung in die Restaurants und auf den Buchmarkt. Das Wiener Lokal Bruder im 6. Bezirk gestaltet seine Speisen und Getränke „brutal lokal“ mit selbst- gepflückten Zutaten aus der unmittelbaren Umgebung. Ein paar Meter weiter braut die Saint Charles Apotheke „Apotheker Tonikum“ genannte Kräuterspirituosen. Auch die Alma Gastrothèque im 4. Bezirk baut auf gute Nachbarschaft und regionale Ingredienzen, siehe dazu das von Severin Corti geführte Interview mit Alma-Gründerin Christina Nasr und der Designerin Andrea Lenardin Madden auf Seite 18.
Wien ist eine der lebenswertesten Metropolen der Welt. Sie kann nicht nur auf eine lange Tradition unserer Esskultur urbaner Lebensmittelproduktion 8 9 zurückblicken, sondern verfügt liegt in der Stadt auch über eine lebendige Kreativ- szene. Diese leistet wichtige Bei- Über Food-Trends und die Rolle des Designs bei der Gestaltung träge zur nachhaltigen Gestaltung und Veränderung der Nahrungs- produktion und einer auch sozial Die Zukunft gerechten Esskultur. Einen guten Orientierungsrahmen für zukünf- tige innovative Projekte der Kreativ- eines nachhaltigen Ernährungssystems Intro Intro wirtschaft in diesem Bereich kön- nen Food-Trends bieten. 1
Wien ist eine der lebenswertesten Metropolen der Welt. Sie kann nicht nur auf eine lange Tradition unserer Esskultur urbaner Lebensmittelproduktion 8 9 zurückblicken, sondern verfügt liegt in der Stadt auch über eine lebendige Kreativ- szene. Diese leistet wichtige Bei- Über Food-Trends und die Rolle des Designs bei der Gestaltung träge zur nachhaltigen Gestaltung und Veränderung der Nahrungs- produktion und einer auch sozial Die Zukunft gerechten Esskultur. Einen guten Orientierungsrahmen für zukünf- tige innovative Projekte der Kreativ- eines nachhaltigen Ernährungssystems Intro Intro wirtschaft in diesem Bereich kön- nen Food-Trends bieten. 2
kommen naturgemäß von den Kreativen – den Designerinnen und Künstlern, innovativen Gastro- nominnen, Ingenieuren und Technikerinnen, die als Trendsetterinnen und Seismographen aktiv den Wandel mitgestalten. Die produzierende Stadt Der Trend zu Urban Farming hat die urbane Lebens- mittelproduktion zum Teil schon ins Bewusstsein Food-Trends – Signale der der Konsumentinnen und Konsumenten gebracht. Veränderung Dass Essen aber viel öfter als nur im Nachbar- schaftsgarten aus städtischer Landwirtschaft Esskulturen haben sich schon immer gewandelt. stammt, ist vielen Menschen oft nicht bewusst. Klimatische, soziale, kulturelle, ökonomische, Local Food, also Lebensmittel aus der Region, ist technologische und politische Faktoren waren als Trend seit vielen Jahren populär und eine und sind dafür ausschlaggebend. Aber erst seit Antwort auf die zunehmende Globalisierung und der Wende zum 21. Jahrhundert diskutieren wir Anonymisierung unserer Nahrung. Für urbane diesen Wandel mithilfe von Food-Trends. Einer Agglomerationen bedeutet lokal daher auch aus 10 11 immer größeren Zahl von Menschen in Europa ist es heute möglich, über ihr Essen und die Wahl ihrer Lebensmittel befreit von Mangel, Traditionen der eigenen Stadt, zumal „regional“ heute oft zu einem inflationär verwendeten Branding für meist bloß aus nationaler Produktion stammende und sozialen Normen selbst zu entscheiden. Lebensmittel verkommen ist. Die Avantgarde unter Gepaart mit einer in unserer industrialisierten Welt den Köchinnen und Lebensmittelproduzenten nahezu unendlichen Verfügbarkeit an Nahrungs- reagiert darauf mit einer Zuspitzung und macht mitteln und gastronomischen Angeboten passiert aus der Regionalität den Trend Brutal Lokal, mit eine Ausdifferenzierung und Beschleunigung Fokus auf besondere Qualität, das Exklusive und des dynamischen Wandels unserer Esskulturen „Exotische“: aber eben nicht aus fernen Ländern und Ernährungsstile, welche wir als Food-Trends kommend, sondern unmittelbar vor Ort zu finden, zu beschreiben versuchen. Food-Trends sind in städtischen Grünanlagen, in leerstehenden somit Phänomene so genannter „Wohlstands- Lagerhallen, in denen durch vertikale Züchtung gesellschaften“: Sie gedeihen erst in gesättigten Lebensmittel angebaut werden, oder in feuchten Märkten, in denen weder Mangel noch sozial Kellern. Ein Beispiel dafür sind etwa die Austern- normiertes Verhalten bestimmend sind, sondern pilze des Wiener Unternehmens Hut & Stiel – Die der Überfluss individuelle Suchbewegungen aus- Wiener Pilzkultur, das als Nährsubstanz auf eben- löst. Konsumentinnen und Konsumenten suchen so lokal gesammelten Kaffeesatz aus Wiener Res- Hilfestellungen bei der Orientierung im unüber- taurants und Cafés zurückgreift, um Gourmetpilze sichtlichen Angebot und der Befriedigung von zu kultivieren, die zum Teil wieder in den Küchen die- kulinarischen und sozialen Bedürfnissen und ser Restaurants zu schmackhaften Gerichten Sehnsüchten. Sie suchen aber auch Hilfestellung verarbeitet werden. Brutal lokale Landwirtschaft bei der Reaktion auf die immer deutlicher wer- bedient sich auch avancierter und nachhaltiger denden ethischen und ökologischen Probleme Technologien wie Aquaponik, die Fischzucht und unserer industriellen Agrar- und Lebensmittel- Gemüseanbau in einem geschlossenen Kreislauf Intro Intro produktion, sowie der Lösung alltäglicher Heraus- vereint. Pionier auf diesem Gebiet ist in Wien der forderungen hinsichtlich Ernährung: seien es Stadtbauernhof blün. Gleichzeitig ermöglichen Unverträglichkeiten, besonderer Bedarf (bei Sport- Vertical-Farming-Projekte die Massenproduktion lerinnen, Diabetikern, Familien mit Kleinkindern) pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse in mehr- oder kulturell-religiös geprägte Ernährungs- stöckigen Gebäuden (so genannten Farmscrapers). weisen. Diese Suchbewegungen sind Indikatoren Dazu berät und forscht beispielsweise das vertical für Food-Trends. farm institute in Wien. Städte sind die Epizentren von Lebensmittel wieder erleben Food-Trends Ein weiterer Food-Trend, der seinen Nährboden In urbanen Zentren ist nicht nur die Auswahl viel- vor allem in Städten hat, wo die Entfremdung der fältiger und die durchschnittliche Kaufkraft größer, Konsumierenden von den Produzierenden in es spielen auch Traditionen und soziale Normen der Vergangenheit am offensichtlichsten war, ist 3 eine geringere Rolle. Darüber hinaus werden auch Meet Food. In diesem kommt der Wunsch vieler ökologische Probleme meist rascher wahrgenom- Menschen zum Ausdruck, ihre Lebensmittel nicht men und problematisiert. Städte sind daher fast nur zu „verbrauchen“, sondern „erleben“ zu kön- immer die Epizentren von Food-Trends. Denn um nen: den Produkten, die sie sich einverleiben, als sich durchzusetzen, braucht ein Food-Trend auch auch den Menschen, die diese herstellen und eine kritische Masse an Menschen, die ihm folgen. verarbeiten wieder näher zu kommen. Sie möchten Damit er sich stabilisiert, benötigt er zudem schauen, riechen, probieren, die Atmosphäre der einen flexiblen Markt, der nachgefragte Produkte Produktionsstätten einfangen, die Produzierenden und Services entwickelt. Diese neuen Lösungen kennen lernen, mit ihnen über die Herstellung
sprechen, mehr über die Verarbeitungsschritte in landen als im Müll, zeigt das Wiener Unternehmen „Die Zubereitung Erfahrung bringen. Da der traditionelle Super- markt ihnen das nicht bieten kann, setzen immer Unverschwendet (siehe Beitrag Seite 64). Abfall- vermeidung und Ressourcenschonung sind somit versteckt sich nicht mehr Produzierende und innovative Vertriebe auf die Möglichkeit, den Konsumentinnen und längst nicht mehr nur Antrieb für Dumpster Diver, also Menschen, die weggeworfene Lebensmittel mehr, sondern ist Konsumenten mehr Einblick in ihre Arbeit zu gewähren – beispielsweise durch Schauproduk- aus Müllcontainern retten. Auch immer mehr Kreative suchen dadurch nach überraschenden Teil eines ganz- tion. Oder sie lassen diese auch an der Her- stellung der Produkte teilhaben, zum Beispiel in neuen Lösungen. heitlichen Genuss- Workshops. Kreative als Trendverstärker Erlebnisses.“ Dieselbe Neugier wird an vielen gastronomi- schen Adressen gestillt: Schauküchen gehören Kreative Gestaltung verändert nicht nur unseren Blick auf Lebensmittel und die Art, wie wir sie her- mittlerweile gewissermaßen zum Standard. Die stellen, konsumieren und – viel zu oft – verschwenden. Hanni Rützler Zubereitung versteckt sich nicht mehr, sondern Architektur, Design, Mode und weitere Bereiche ist Teil eines ganzheitlichen Genuss-Erlebnis- der Kreativwirtschaft fungieren auch als wichtige ses. Dabei wird in vielen Fällen aus Meet Food ein Brücke zwischen dem Leben und den Mitteln Meet People: Community-Table-Projekte wie zum Leben. Denn die Auseinandersetzung von beispielsweise die Betonküche und Feldküche Kreativen und Designschaffenden mit Essen 12 zeigen im Zusammenbringen von Produkten, Handwerk und Menschen die sozial-kommuni- kative Bedeutung von Essen und Genuss auf. 13 dreht sich längst nicht mehr nur um Food-Styling, schönes Porzellan, sinnliche Werbe-Sujets oder ästhetische Weinetiketten. Kreativ- und Design- Noch mehr um Menschen geht es in inklusiven schaffende leisten immer wichtigere Beiträge zur Social-Food-Geschäftsmodellen wie dem nachhaltigen Gestaltung und Veränderung der Habibi & Hawara, der „Vollpension“ und der Ver- gesamten Lebensmittelproduktion und Esskultur pflegungsabteilung des magDAS. Diese Wiener und damit letztlich auch zur sozialen Transfor- Unternehmen spielen eine Vorreiterrolle dabei, mation des urbanen Ernährungssystems: von der oftmals marginalisierte Menschen aktiv als Erzeugung und Distribution bis zu Zubereitung Produzierende zu ermächtigen. und Konsum, über die Verpackung und Wieder- verwertung bis hin zur Entsorgung. Gerade im Aus Resteverwertung wurde Use it All Zusammenspiel von Kreativwirtschaft und anderen Wirtschaftszweigen, die sich mit dem Lebens- Das Bewusstsein, dass sich beim Umgang mit mittelbereich befassen, liegt großes Potenzial für Lebensmitteln etwas ändern muss, ist im Wachsen. Innovationen. Und so gibt es auf unterschiedlichen Ebenen Diese Ideen, Produkte und Services können Bemühungen, (unnötige) Verpackungen zu vermei- die genannten Trends verstärken: Kreative den oder Alternativen zu herkömmlichen Kunst- Geschäftsideen sind Impulse, die den Wandel nicht stoffen zu finden. Im selben Zug sind Prinzipien wie nur auf dem Markt, sondern auch in den Köpfen Nose to Tail und Leaf to Root – also die komplette wachsen lassen. Eine Förderung der entspre- Verwendung von tierischen und pflanzlichen chenden Projekte ist daher eine schmackhafte Lebensmitteln – entstanden, um Nahrungsmittel- Investition in die Stadt der Zukunft. ressourcen effizient zu nutzen. Gleichzeitig wird die Entsorgung noch genießbarer Lebensmittel Intro minimiert und es entstehen Konzepte, um sie sinnvoll weiterzuverarbeiten und mit anderen zu teilen, was sich insbesondere in Städten gut ermöglichen lässt. Re-Use Food und Zero Waste sind Trends, denen schon in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet wurde: So entstehen essbare Verpackungen, Pfand- und Minimal- Waste-Systeme oder – wie vom Wiener Startup 1 © Unsplash, Jacek Ddylag /2 © Wien Tourismus, NaKu – „nachwachsende Sackerl“: Tüten, die aus regenerierenden biologischen Rohstoffen her- gestellt werden, und wenn kompostiert, wieder zu neuem, natürlichem Rohstoff wachsen. Es entstehen gänzlich neue technische Materialien Peter Rigaud /3/4 © David Payr wie beispielsweise „Leder“ aus Obstabfall, Besteck aus Avocado-Kernen, oder Gewebe aus nachwachsenden, umweltverträglichen Grund- materialien wie Bananatex: Das Open-Source- Projekt wurde vom Taschen-Label Qwestion aus den Fasern der Bananenpflanze entwickelt (siehe Beitrag Seite 63). Dass auch eine krumme Karotte schmackhaft sein kann oder Lebens- mittelüberschüsse besser in Konservengläsern 4
Urban Food & Design 9 14 Gestaltung Seit mehreren Jahren befassen wir uns in der Wirtschaftsagentur Wien im Kreativbereich und Essen intensiv mit der Frage, welche Rolle Kreative, Designerinnen und Designer im Kontext von in der Stadt Lebensmitteln und Ernährung spielen. Wir bespielen das Thema „Urban Food & Design“ in der ganzen Stadt. Mit der Vienna Design Week als wichtiger Partnerin schreiben wir seit 2018 jährliche Challenges rund um „Urban Food & Design“ aus. Gesucht sind dabei Designkon- zepte und Projekte, die sich mit den wichtigsten 8 Fragestellungen in Bezug auf das Thema Essen und Gestaltung in der Stadt im weitesten Sinn befassen: von lokaler Produktion über Distribution und Konsum bis hin zu einem neuen Verständnis von Gastlichkeit und Genuss. Erleben kann man die Gewinnerprojekte jeweils im Rahmen der Vienna Design Week und diese sind 10 © VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Patrizia Gapp /11 © VIENNA DESIGN WEEK/ 1/2 © VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Paulus Jakob /3 ©VIENNA DESIGN WEEK/ inhaltlich überaus vielfältig. So wurde schon gemein- samer Genuss im digitalen Zeitalter behandelt, Kollektiv Fischka/Maria Noisternig /6/7 ©VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/ Kollektiv Fischka/Phillip Podesser /4 © Jakob Glasner /5 ©VIENNA DESIGN WEEK/ es ging um Inklusion im Grätzl oder neue Nahrungs- Intro Daniela Jakob /8/9 ©VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Phillip Podesser quellen und „Neurowissenschaft“ auf dem Teller. Es wurde Storytelling durch Patisserie betrieben, Body Positivity gefeiert und Hühner im urbanen 1 Raum bekamen Unterstützung bei ihrer Selbster- mächtigung. Mit „Urban Food & Design“ zeigen wir vor, wie die Schnittstelle von Gestaltung und Lebensmitteln zur Zukunftsfähigkeit der Stadt beitragen kann. 10 Kollektiv Fischka/Phillip Podesser 11
Urban Food & Design 2 9 14 Gestaltung Seit mehreren Jahren befassen wir uns in der Wirtschaftsagentur Wien im Kreativbereich und Essen intensiv mit der Frage, welche Rolle Kreative, Designerinnen und Designer im Kontext von in der Stadt Lebensmitteln und Ernährung spielen. Wir bespielen das Thema „Urban Food & Design“ in der ganzen Stadt. Mit der Vienna Design Week als wichtiger Partnerin schreiben wir seit 2018 jährliche Challenges rund um „Urban Food & Design“ aus. Gesucht sind dabei Designkon- zepte und Projekte, die sich mit den wichtigsten 3 8 Fragestellungen in Bezug auf das Thema Essen und Gestaltung in der Stadt im weitesten Sinn befassen: von lokaler Produktion über Distribution und Konsum bis hin zu einem neuen Verständnis von Gastlichkeit und Genuss. Erleben kann man die Gewinnerprojekte jeweils im Rahmen der Vienna Design Week und diese sind 10 © VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Patrizia Gapp /11 © VIENNA DESIGN WEEK/ 1/2 © VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Paulus Jakob /3 ©VIENNA DESIGN WEEK/ inhaltlich überaus vielfältig. So wurde schon gemein- samer Genuss im digitalen Zeitalter behandelt, Kollektiv Fischka/Maria Noisternig /6/7 ©VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/ Kollektiv Fischka/Phillip Podesser /4 © Jakob Glasner /5 ©VIENNA DESIGN WEEK/ es ging um Inklusion im Grätzl oder neue Nahrungs- 4 Intro Daniela Jakob /8/9 ©VIENNA DESIGN WEEK/Kollektiv Fischka/Phillip Podesser quellen und „Neurowissenschaft“ auf dem Teller. Es wurde Storytelling durch Patisserie betrieben, Body Positivity gefeiert und Hühner im urbanen Raum bekamen Unterstützung bei ihrer Selbster- mächtigung. Mit „Urban Food & Design“ zeigen wir vor, wie die Schnittstelle von Gestaltung und Lebensmitteln zur Zukunftsfähigkeit der Stadt beitragen kann. 5 10 Kollektiv Fischka/Phillip Podesser 6 7 11
Local Food Wie können Lebensmittel ressourcen- und energieeffizient lokal und regional produziert werden? Wie kann mehr Nähe zwischen Produzentinnen und Konsumenten hergestellt werden? Welche neuen Ideen gibt es für das Thema der Schauproduktion zum besseren Verständnis von Produktionsprozessen? Wie kann Architektur im Sinne der Kreislaufwirtschaft als Ressource funktionieren? Bild © Freunde von Freunden/Philipp Forstner Wie können neue, klimaneutrale Distributionswege gefunden werden? Welche Verpackungssysteme lassen sich entwickeln, die mit lokalen Ressourcen arbeiten?
Local Food Sourcing Wie können Lebensmittel ressourcen- und energieeffizient lokal und regional produziert werden? Vertrieb Wie kann mehr Nähe zwischen Produzentinnen und Konsumenten Vertical Farming hergestellt werden? Schauproduktion Welche neuen Ideen gibt es für das Thema der Schauproduktion zum besseren Verständnis von Produktionsprozessen? Kreislaufwirtschaft Wie kann Architektur im Sinne der Kreislaufwirtschaft Konsum als Ressource funktionieren? Bild © Freunde von Freunden/Philipp Forstner Verpackung Wie können neue, klimaneutrale Distributionswege gefunden werden? Welche Verpackungssysteme lassen sich entwickeln, die mit lokalen Ressourcen arbeiten?
Ideen säen und keimen lassen Ein Wiener Küchengespräch mit Andrea Lenardin Madden Wiens gefeierte und Christina Nasr geführt von Severin Corti Gemüseköchin Christina Nasr (CN) und die in Kalifornien erfolgreiche Architektin 18 19 und Designerin Andrea Lenardin Madden WIE ERLEBST DU ALS DESIGNERIN DEN GASTRONOMIEKUNDEN? VERSTEHEN DEINE (ALM) im Gespräch KUNDINNEN UND KUNDEN DESIGN ALS LÖSUNGSANSATZ ODER IST DA VIEL ÜBER- mit dem Restaurant- ZEUGUNGSARBEIT NÖTIG? ALM: Wir haben uns eine Nische geschaffen kritiker Severin Corti. und arbeiten eigentlich nur mit Kundinnen und Kunden, die Design dezidiert als Lösungsansatz sehen – deshalb kommen sie zu uns. Diese Über- zeugungsarbeit muss ich also nicht leisten. Wir CHRISTINA NASR, DU BIST GASTRONOMIN werden, wenn es um neue Lokale geht, meistens UND WEINVERKÄUFERIN IN WIEN UND schon ein halbes Jahr vorher involviert. Ich BETREIBST SEIT ZWEI JAHREN MIT DEINEM beschreibe den Prozess gern als Reise. Wir haben GESCHÄFTSPARTNER ANDREAS SCHWARZ Mitsprache in allen Bereichen – vom Lokal selbst DIE ALMA GASTROTHÈQUE. HAST DU SPEZI- über Table Setting, Gestaltung der Logos bis zur FISCHE DESIGNBEDÜRFNISSE? Kleidung. Wir machen fast nur Projekte, wo das CN: Ganz klar ja. Gerade bei der Arbeits- Design am Beginn steht. Und das ist auch für den Local Food bekleidung. Die sollte schön sein, darf aber auch Kunden ein Prozess – man weiß nicht wirklich, nicht behindern. Bewegungsfreiheit ist wichtig – was man macht, bis man es macht. es reicht nicht, dass eine Schürze nur trendy ist. Das Material sollte nachhaltig produziert sein, HAST DU TIPPS FÜR DESIGNERINNEN UND pflegeleicht, bequem und idealerweise bügelfrei. DESIGNER, WIE MAN MIT KUNDEN AUS DER Also Bekleidung, mit der man in jeder Hinsicht GASTRONOMIE UMGEHT UND SIE AUF SEINE wendig ist – in der Küche wie im Service. SEITE HOLT? ALM: Man muss sich einfach voll auf sie ein- MAN MÖCHTE MEINEN, DASS ES DAFÜR IM lassen. Design hat manchmal einen schlechten DESIGNBEREICH LÄNGST LÖSUNGEN GIBT. Ruf, speziell bei so genannten „Designerlokalen“. ALM: Wenn man bei Arbeitskleidung beson- Die schauen oft alle gleich aus und folgen dere Materialien wünscht, müssen sie eigentlich Hospitality-Konzepten nach dem Cookie-Cutter- immer eigens angefertigt werden. Für unsere Prinzip – wie ausgestanzt, ohne eigenständige Kunden im Gastronomiebereich machen wir immer Ideen. Unser Ansatz ist, jedes Projekt eigenstän- auch die Kleidung mit – in erster Linie fürs Ser- dig anzugehen. Wir säen am Beginn die Samen – vicepersonal. Zum Beispiel bei unseren Lokalen die Ideen – und die fangen dann an zu keimen. für den Sternekoch Corey Lee in San Francisco. Unsere Methodologie ist konstant, aber das Resul- Da haben wir uns letztlich für ein Polyblend- tat ist immer sehr spezifisch. Der Erfolg hängt Material entschieden, weil es einfach praktischer dabei immer von allen Beteiligten ab. und robuster ist. DAS HAT BEI DEINEM CUPCAKES-PROJEKT GUT FUNKTIONIERT. ALM: Das Projekt „Sprinkles“ habe ich vor etwa 14 Jahren in San Francisco gestartet. Ein Kunde wollte ins Cupcake-Business einsteigen. Im ersten Moment dachte ich mir: Ich komme aus
Wien, wir haben eine richtige Torten- und Mehl- speisenkultur – was soll ich da mit Cupcakes? Aber ich habe ihre Produkte gekostet: Die waren richtig gut, ganz anders als die Mehl- und Zucker- bomben, die man sonst als Cupcakes kennt. Ich habe damals ein Array entworfen, wo jeder Cup- cake separat in einer eigenen Vertiefung steht. Die Kuchen sollten gewissermaßen als Objekte in Szene gesetzt werden. In einem kleinen Lokal, das um das Produkt herumgebaut wird. WIE EIN SCHMUCKKASTERL. DAS PROJEKT WURDE DANN JA SKALIERT UND WAR EIN ZIEMLICHER ERFOLG. WIE IST DAS GELUNGEN? ALM: Das lief auch über Celebrities. Barbra Streisand war ein Fan der Cupcakes und hat ihrer Freundin Oprah welche nach Chicago geschickt. Sie präsentierte sie tatsächlich in ihrer Sendung und schon gab es Schlangen vor den Geschäften. 20 Wir haben dann sogar einen Cupcake ATM entwickelt, einen Cupcake Automaten, um die Nachfrage stillen zu können. Erstaunlicherweise 21 hat sich das Ding auch im gesundheits- und körperbewussten L.A. verkauft. So ein Cupcake ist mit etwa 800 Kalorien ja fast eine Mahlzeit. STICHWORT KALIFORNIEN – VIELE FOOD- TRENDS, ETWA SHARING, KOMMEN VON DORT ZEITVERSETZT ZU UNS. CHRISTINA, IHR PRAKTIZIERT DAS AUCH BEI ALMA, IHR ANIMIERT DIE GÄSTE DAZU, DIE GERICHTE MITEINANDER ZU TEILEN. WIRD DAS ANGENOMMEN? CN: Inzwischen sehr gut. Mittlerweile teilen 85 % unserer Gäste. Bei uns kommen die Speisen aus der Küche, wenn sie fertig sind, weil ich alles IM ALMA TEILEN JA NICHT NUR DIE GÄSTE. ALM: Solche Ideen funktionieren auch in den USA. auf den Punkt koche. Das war eigentlich der Aus- SHARING HEISST FÜR EUCH AUCH, SICH Die jüngere Generation ist grundsätzlich mehr gangspunkt fürs Sharing. Die Vorteile sind klar: Das MIT KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN ZUSAM- für „sharing“ als „owning“. Auch gutes Essen ist Essen kommt schneller an den Tisch, es passiert MENZUTUN UND AUSZUTAUSCHEN. dieser Generation zusehends wichtiger. immer etwas und – es bringt die Leute zusammen. CN: In Wien gibt es eine Handvoll Gastrono- Local Food Local Food minnen und Gastronomen, die wie wir auf Natural SICH SO ZENTRAL ÜBER DIE ESSGEWOHN- DAS ALMA IST KEIN GROSSES LOKAL, MIT Wine fokussieren, extrem hochwertige Produkte HEITEN ZU DEFINIEREN IST SICHER EIN AUS- KLEINEN TISCHEN. GIBT ES VOM DESIGN HER verwenden – und das konsequent. Wir verstehen WUCHS DER WOHLSTANDSGESELLSCHAFT. ANSÄTZE, WIE MAN MIT EINER VIELZAHL AN Gemüse nicht nur als Beiwerk, sondern als Haupt- ABER GERADE SOLCHE ANSÄTZE BRINGEN TELLERN AM TISCH UMGEHT? darsteller. Und mit diesen Kolleginnen und Kolle- JA AUCH WAS WEITER UND SETZEN NEUE ALM: Und wie. In vielen Lokalen gibt es wenig gen, etwa Hubert Peter und Lucas Steindorfer vom STANDARDS. Platz und kleine Tische. Wir haben eine Pizzeria „Bruder“ in der Windmühlgasse, teilen wir uns ALM: Was man isst, ist Teil des persönlichen in L.A. gestaltet. Wenn man zwei Pizzen bestellt, Produzenten und Lieferanten – so haben wir uns Designs. Sharing heißt, gemeinsam Zeit zu ver- Salat, Wasser und Wein, ist der Tisch voll. Wir haben zum Teil auch kennengelernt. bringen – und Zeit ist heutzutage der ultimative deshalb ein Objekt entworfen, den so genannten Luxus. Also gemeinsam einkaufen, gemeinsam „Giro“, bei dem die Pizzen auf einer Art Etagere, die Wir „sharen“ unsere Erfahrungen, aber auch kochen, um dann gemeinsam zu essen. Gemein- sich dreht, auf runden Blechen eingehängt wird. unsere Gäste. Alma muss etwa um Mitternacht sam Essen steht zentral für diese Idee vom Für die Vienna Design Week 2018 haben wir darauf zusperren. An manchen Abenden ist das eine besonderen Wert der Zeit. Daraus ergibt sich für basierend einen Prototypen für Porzellanteller Herausforderung. Das Bruder darf länger offen- die Gastronomie jetzt die große Chance, dafür entwickelt. Da müssen wir aber noch einen Liefe- halten. Also reservieren wir dort einen größeren Orte zu schaffen. ranten finden, der das für uns in Serie produziert. Tisch zu später Stunde und bieten unseren Gäs- Ein anderes Thema ist Takeout. In den USA Außerdem habe ich auch ein Service mit dem ten ab 23 Uhr an, dass sie hinüberwechseln. sind die Leute regelrecht böse, wenn man in Designer Stefan Diez entwickelt, das sich „Shiro“ Das Bruder freut sich, unsere Gäste und Anrainer einem Lokal nicht die Option hat, etwas mitzuneh- nennt, japanisch für „weiß“. Dafür haben wir jetzt auch. Wir bieten außerdem Wein zum Mitnehmen men. Das große Problem dabei ist natürlich die den deutschen Designpreis in Gold erhalten. Die zum Weinhandelspreis von Weinskandal an. Den Verpackung und der daraus entstehende Müll. Idee ist, verschieden große Gefäße am Tisch zu kann man sich auch nachhause oder an den 65 % aller Waren werden in den USA heute online haben, die gestapelt werden können, um den Platz Donaukanal mitnehmen und muss ihn nicht hier bestellt. Das ist das große Thema unserer Dekade. möglichst gut zu nutzen. konsumieren. CN: Wir haben bei Alma eigentlich kaum Takeout, bis auf den Wein. Da suchen wir tatsächlich eine geeignete Verpackung, die schön, nachhaltig,
praktisch und nicht zu teuer ist. Derzeit verpacken Christina Andrea Lenardin Severin wir einfach in Zeitungspapier. Zum Glück kommen die meisten Leute mit Rucksack, weshalb viele „Was man isst, ist Nasr Madden Corti den Wein einfach so einpacken und mitnehmen. Teil des persönlichen WIEN IST WOHL DIE EINZIGE STADT DER WELT, DIE EINE KÜCHE HAT, DIE NACH IHR BENANNT Designs. Sharing Gastronomin und Köchin Co-Gründerin Architektin und Designerin Journalist und Restaurantkritiker IST: DIE WIENER KÜCHE. GLEICHZEITIG IST DIESES KULTURERBE IMMER STÄRKER GEFÄHR- heißt, gemeinsam Zeit Alma Gastrothèque DET, WIRD AUF WENIGE, IMMER GLEICHE GERICHTE REDUZIERT. VERSCHWINDET SO zu verbringen – und DIE VIELFALT UND BESONDERHEIT, DIE SO EINE KÜCHE MIT SICH BRINGT? Zeit ist heutzutage Christina Nasr wollte immer schon kochen. Nach ihrer Ausbildung zur Andrea Lenardin Madden ist Archi- tektin und Designerin und widmet sich Severin Corti ist Journalist. Er schreibt seit 2005 die wöchentliche Restaurant- CN: Ich finde, dass die Einfachheit verschwin- det. Ich will manchmal einfach nur eine Grieß- der ultimative Luxus.“ Hotelfachfrau verschlug es die gebür- tige Kärntnerin in den Sales- und mit ihrem interdisziplinären Design- studio alm project der Untersuchung kritik in der Tageszeitung Der Standard, ist Herausgeber des Slow-Food-Guide nockerlsuppe. Aber die muss dann echt sein, nicht Marketingbereich, in dem sie zunächst des Grenzbereichs zwischen Kunst für traditionelle Wirtshäuser in Öster- mit Abkürzungen gemacht. Ich will den echten in der internationalen Hotellerie und und Architektur. Ursprünglich aus reich, entwickelt Konzepte für innovative Andrea Lenardin Madden Geschmack. Bei gewissen Dingen darf man keine danach in der Musiktheaterbranche Baden, lebt und arbeitet sie seit über Gastronomie und schreibt in österrei- Experimente machen. insgesamt über 14 Jahre tätig war. 2017 zwei Jahrzehnten in Kalifornien. Ihre chischen und internationalen Zeitschrif- 22 ANDREA, WONACH SEHNST DU DICH IN DEN USA, WENN DU AN UNSERE KÜCHE DENKST? fasste Christina gemeinsam mit ihrem besten Freund Andreas Schwarz den Entschluss, endlich das zu machen, was Arbeiten und Installationen wurden in Europa und Nordamerika ausgestellt und ausgezeichnet, unter anderem mit ten über Essen und Trinken. ALM: Nach dem Heurigen! Ich bin in Baden sie immer wollten: ihr eigenes Lokal. einem Fulbright-Stipendium (1996/ aufgewachsen, sozusagen am Weingarten und Die Alma Gastrothèque war geboren 1998). Ein besonderer Fokus in der ich liebe die Landschaft und den Heurigen als und eröffnete im März 2018. In ihrer Arbeit der leidenschaftlichen Hobby- demokratischen Ort, wo Jung und Alt unterm Nuss- Farm-to-Table-Küche konzentriert sich Köchin liegt auf der Gestaltung von baum zusammensitzen. Einfaches Essen, ewige Christina vor allem auf Gemüse, das Restaurantkonzepten und Produkten Geschichten. Das ist in den USA zum Glück auch sie von zwei Vorzeigegemüsebauern im Bereich Tableware. Für den Ent- in Veränderung begriffen, aber meistens muss (Gärtnerei Bach, Krautwerk) bezieht und wurf von „Sprinkles Cupcakes“ in man schnell aufstehen, wenn man aufgegessen zu kreativen Gerichten verkocht. Das Beverly Hills erhielt sie im Jahr 2006 hat, um den Nächsten Platz zu machen. Das Naturweinsortiment von Weinskandal, den AIA|LA Restaurant Design Award. Sharing bringt da eine ganz neue Perspektive. das im Lokal auch to go erhältlich ist, 2020 wurde sie für ihre mit Stefan Der Heurige ist für mich ein Ort des Verweilens. rundet die naturnahe und saisonale Diez für den Porzellanhersteller Küche unter dem Motto „Raw wine, real Schönwald entwickelte Geschirr- DIE WIENER KÜCHE SELBST IST JA AUCH food, true love“ ab. serie „Shiro“ mit dem German Design EIN FASZINIERENDES DESIGN: EIN AMALGAM Award in Gold ausgezeichnet. VERSCHIEDENER KULTUREN, DIE SICH HIER GETROFFEN HABEN UND ZU ETWAS NEUEM GEWORDEN SIND. DIE LEBENDIGKEIT, DIE DAS MÖGLICH GEMACHT HAT, SCHEINT ABER Local Food IN GEFAHR ZU SEIN. ICH HABE OFT DEN EIN- DRUCK, DASS DIE WIENER KÜCHE ZU ERSTAR- REN DROHT. DIE IDEE, DASS SIE SICH WEITER INSPIRATIONEN VON AUSSEN HOLT, WIE FRÜHER AUS UNGARN, BÖHMEN, RUMÄNIEN, ITALIEN – IST DAS VIELLEICHT EINE GRUND- BEDINGUNG, DAMIT SIE IHRE VITALITÄT ERHALTEN KANN? ALM: Ich glaube absolut, dass das die einzige Chance ist, denn sonst wird die Wiener Küche ein museales Stück. Ich nehme an, dass derzeit vor allem asiatische Einflüsse auf die Wiener Küche Fotos © Wirtschaftsagentur Wien/Klaus Vyhnalek einwirken, zum Beispiel Ingwer. CN: Ich bin da eher altmodisch. Einerseits experi- mentiere ich gern, wobei ich meine Küche auch nicht als Wiener Küche bezeichnen würde, sondern eher als sehr lokale, österreichische Küche, die ich mit „Weltaroma“ aufmotze. Aber wenn ich an die klassische Wiener Küche denke, ist es mir wichtig, klassisch zu bleiben. Man kann die klassischen Zutaten aber auch auf den nächsten Level bringen, ohne ein Tafelspitz-Carpaccio mit Ingwer zu machen.
Joseph Brot „Wir müssen uns heute der Backwaren in guter Design- Aufgabe stellen, die hohen Gesellschaft Ende 2009 gründete der gelernte Fleischhauer und Lebens- Wiener Lebensqualitätsstandards für morgen zu sichern. Dabei mitteltechnologe Josef Weghaupt im Waldviertel die Bäckerei Joseph Brot. 2011 öffnete er die erste Filiale in der Wiener Innenstadt. Seither hat er auf vier weitere Standorte in Wien expandiert, was einen regelrechten Hype um gutes Brot auslöste. Regionalität und Nachhaltigkeit spielen für die Bio- 1 spielt der gesamte Lebensmittel- Bäckerei eine zentrale Rolle. Dabei werden auch kreislaufwirt- schaftliche Prinzipien immer wichtiger: Nicht verkaufte Bri- oches kommen etwa in süßen Scheiterhaufen zu neuem Ruhm. bereich eine immer größere Rolle. Unter dem Motto „Das Auge isst mit“ prägt außerdem Was wir essen, wo und wie es 24 Design von lokalen Gestalterinnen und Produzenten die Filia- len von Joseph Brot. So entstand eine Kooperation mit der 25 Wiener Hutmanufaktur Mühlbauer, die nicht nur für die Kopf- bedeckungen und Schürzen der Mitarbeitenden verantwort- produziert, verpackt und trans- portiert wird, verändert die Umwelt lich zeichnet, sondern auch eine eigene Joseph Brot Tasche gestaltet hat. und unser direktes Umfeld. Ich joseph.co.at 2 muehlbauer.at lade alle Kreativen dieser Stadt ein, neue, mutige, überraschende markta Ideen für unseren Umgang mit Einkaufen im digitalen Hofladen Lebensmitteln zu entwickeln. Wir Local Food Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten setzen auf eine wirkliche Nähe zu Herstellern, wenn es um Regionalität und die Vermarktung der Lebensmittel geht. unterstützen sie dann bei der Umsetzung!“ Manchmal braucht es einfach einen Ausflug in die digi- tale Welt, um die Wege zu verkürzen und besser zu gestalten: 2018 gründete Theresa Imre markta, einen Online-Bauern- markt für regionale Lebensmittel. Die übersichtlich designte Plattform holt das Prinzip der alternativen Lebensmittelbe- 3 schaffung aus den Kellern und ermöglicht einen innovativen Zugang zu qualitativen landwirtschaftlichen Produkten. Die Betriebe – ca. 90 % davon aus dem Wiener Umland – haben ihre virtuellen Marktstände, die in der Gesamtheit eine außergewöhnliche Produktpalette ergeben. Die kurzen Transportstrecken werden per Post oder über Abholstellen 1/2 © Joseph Brot /3 © markta, Anna Zora überwunden. markta ist eine Schnittstelle, nicht nur im Vertrieb, sondern auch im Know-how-Transfer mittels eines dazugehörigen Blogs. Damit ermöglicht der Webshop in moderner Art Nähe, Sichtbarkeit und Bewusstseinsbildung – und eine Demokratisierung des Lebensmittelmarktes. Das 4 © markta, Josef Siffert ist gerade in Krisenzeiten von Bedeutung: Die Bestellungen stiegen während des Corona bedingten Lockdowns auf ein 20-faches an. markta wurde von der Wirtschaftsagentur Wien gefördert. 4 markta.at Peter Hanke, Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft, Digitalisierung und Internationales
Design und die Fleischbällchen der Zukunft Ein Interview mit Carla Camilla Hjort geführt von Alice Jacubasch, Wirtschaftsagentur Wien 26 1 Local Food Carla Camilla Hjort startete ihre Karriere zu- nächst als DJ und Shopbesitzerin und gründete 2006 das Kulturdesignstudio ArtRebels. Es folg- ten die Rebel Agency, das Trailerpark Festival und die Agenturen Made in Space und SPACE10. Mit SPACE10 widmet sie sich der Erforschung und Gestaltung „innovativer Lösungen für einige der großen gesellschaftlichen Veränderungen, die in den kommenden Jahren auf die Menschen und unseren Planeten zukommen werden“. 2 4
Design und die Fleischbällchen der Zukunft Ein Interview mit Carla Camilla Hjort geführt von Alice Jacubasch, Wirtschaftsagentur Wien 26 1 Local Food Carla Camilla Hjort startete ihre Karriere zu- nächst als DJ und Shopbesitzerin und gründete 2006 das Kulturdesignstudio ArtRebels. Es folg- ten die Rebel Agency, das Trailerpark Festival und die Agenturen Made in Space und SPACE10. Mit SPACE10 widmet sie sich der Erforschung und Gestaltung „innovativer Lösungen für einige der großen gesellschaftlichen Veränderungen, die in den kommenden Jahren auf die Menschen und unseren Planeten zukommen werden“. 3 4
WAS SIND DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDE- RUNGEN, MIT DENEN WIR AUF UNSEREM PLANETEN IN BEZUG AUF DIE ERNÄHRUNG „Die UNO hat Mikroalgen oder Spirulina KONFRONTIERT SIND? Es ist kein Geheimnis, dass unser Ernäh- zu einer der besten Nahrungsquellen für rungs- und Lebensmittelproduktionssystem zu einem Problem für alle Menschen auf dem Pla- Menschen erklärt.“ neten werden wird. Ich würde es sogar als ein kaputtes System bezeichnen. Heute produzieren Carla Camilla Hjort wir Nahrungsmittel in großem Maßstab, weit weg von unserem Wohnort, und verschiffen eine beträchtliche Menge an Lebensmitteln über Außerdem arbeite ich gerne mit Lebensmitteln, den halben Planeten und in unsere Städte. da sie das einzige Thema sind, mit dem sich so gut wie alle Menschen identifizieren und für das Dieses Modell hat uns bisher gute Dienste geleis- sie sich begeistern können. Es bewegt uns und tet. Wir waren in der Geschichte der Menschheit es bringt uns zusammen. Essen ist ein sozialer noch nie so nahrungsmittelsicher wie heute, aber Akt und eine universelle Sprache, die uns über unsere billigen Lebensmittel haben einen zusätz- Grenzen und Kulturen hinweg verbindet. lichen Preis. Unser System wird von der Quantität, 28 Chemikalien und Kraftstoff angetrieben. Es benö- tigt eine enorme Menge an Ressourcen für Pro- duktion, Transport und Kühlung und ist eine der 29 WAS HAT SICH IHRER MEINUNG NACH SEIT DER JAHRTAUSENDWENDE IN BEZUG AUF DIE BEDEUTUNG UND UNSERE WAHRNEHMUNG Hauptursachen des Klimawandels. Dazu kommt Das ist an sich schon ein riesiges Problem, aber VON LEBENSMITTELN VERÄNDERT? der bedenkliche Umgang mit unseren schwinden- wir stehen vor zusätzlichen Herausforderungen, Ich denke, der wichtigste Wandel in unserer den Süßwasservorräten. Dieser Prozess belastet die mit der wachsenden Weltbevölkerung und Wahrnehmung rund um das Thema Ernährung ist den Nährwert unserer Lebensmittel erheblich, und der damit verbundenen Nachfrage nach mehr die Anerkennung unserer begrenzten natürli- ein Drittel der produzierten Lebensmittel wandert Ressourcen zusammenhängen. Die UNO schätzt, chen Ressourcen sowie ein tieferes Verständnis durch Verderb und Überproduktion in den Abfall. dass wir in den nächsten 35 Jahren 70 % mehr der Umweltauswirkungen, die unser System der Nahrungsmittel benötigen. Und da Millionen von industriellen Nahrungsmittelproduktion geschaffen Menschen jeden Tag die Armutsgrenze über- hat. Die Menschen haben zu verstehen begon- schreiten, wird der weltweite Fleischkonsum dra - nen, wie wichtig es ist, weniger Fleisch zu essen, matisch ansteigen – und das zu einer Zeit, in lokale und biologische Produkte zu kaufen, Lebens- der wir einen raschen Rückgang der Emissionen mittelabfälle zu vermeiden und wieder selbst brauchen, um das Klima zu stabilisieren. Nahrungsmittel anzubauen. Wir müssen einfach klüger und effizienter bei der Produktion unserer Nahrungsmittel und WELCHE ERNÄHRUNGSTRENDS BEOBACH- aufgeschlossener in Bezug auf Nahrungsmittel- TEN SIE? vielfalt sein, weil die Weltbevölkerung wächst und Wir sehen eine Zunahme von Menschen, der Klimawandel das für die Landwirtschaft zur die sich vegetarisch oder vegan ernähren. Wenn Verfügung stehende Wasser und Land reduziert. mehr Menschen auf eine stärker pflanzliche Local Food Die gute Nachricht ist, dass es uns möglich wäre, Ernährung umstellen, könnten unsere CO2 -Emis- 10 Milliarden Menschen zu ernähren und unsere sionen radikal gesenkt werden. Wir beobachten Beziehung zum Planeten wieder ins Gleichgewicht auch, dass immer mehr Menschen ihre eigenen zu bringen. Das erfordert aber, dass wir sowohl Produkte anbauen. Selbst in den Städten erleben die Art und Weise ändern, wie wir Lebensmittel wir eine Zunahme des Angebots lokaler Produkte. produzieren, als auch, was und wie wir essen. Das bedeutet, dass immer weniger Lebensmit- tel über die Kontinente transportiert werden müs- WELCHE ROLLE SPIELEN LEBENSMITTEL BEI sen. Das hat auch zu Lebensmittel-Innovationen IHRER ARBEIT? geführt, wie etwa zum hydroponischen Anbau, der Lebensmittel spielen eine große Rolle bei der es ermöglicht, so genannte Micro Greens für die Arbeit, die wir machen. Ich denke, Nahrung ist Menschen im Herzen unserer Städte anzubauen. nicht nur ein sehr wichtiges Thema, sondern auch ein besonders faszinierendes. Immerhin spricht Die UNO empfiehlt essbare Insekten als Res- es eines unserer tiefsten menschlichen Bedürfnis- source zur Bekämpfung des Welthungers. Diese se an: unseren Überlebensdrang. Ohne Nahrung werden von Köchinnen und Gastronomen wegen wären wir nicht hier. Durch die Tatsache, dass wir ihres Geschmacks, von Umweltaktivistinnen so viel Bezug zur Natur verloren haben und somit wegen ihrer geringen ökologischen Auswirkungen auch dazu, wo unsere Nahrung herkommt, hat sich und von Gesundheitswissenschaftlern wegen eine unnatürliche Situation entwickelt, in der wir ihres Nährstoffgehalts propagiert. Das macht sie uns von einer der wichtigsten Quellen des Lebens zu einer sinnvollen Ergänzung unseres Speise- abgekoppelt haben. Wenn es um Innovation geht, plans. Die UNO hat außerdem Mikroalgen oder besteht eine unserer wichtigsten Aufgaben meiner Spirulina zu einer der besten Nahrungsquellen Meinung nach darin, das kaputte System der für Menschen erklärt. Spirulina enthalten mehr Nahrungsmittelproduktion zu reparieren, damit Eiweiß als Fleisch, mehr Eisen als Spinat, sind Mensch und Natur nicht nur überleben, sondern vollgepackt mit Vitaminen und Mineralien, und sie hoffentlich auch eines Tages aufleben können. sind die am schnellsten wachsenden pflanzlichen 5
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