CHANCE JENA 30 Jahre - AWO Regionalverband Mitte-West ...
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INHALT CHANCE - Jenaer Selbsthilfezeitung Infos . Angebote . Adressen . Veranstaltungen . Projekte Impressum Jahrzehntelang 3 Editorial der IKOS Herausgeber: IKOS Jena - Beratungs- Facettenreich 4 30 Jahre Selbsthilfe in Jena zentrum für Selbsthilfe Gefilmt 8 Imagefilm der Jenaer Selbsthilfe Träger: Vielfältig 11 Die Selbsthilfe-Zeitungen „Nicht ohne uns“ und „ThuLPE“ AWO Regionalverband Individuell 12 Selbsthilfegruppen neuroKind und INTENSIVkinder zuhause e. V. Mitte-West-Thüringen e. V. Zusammengehörig 13 Junge Selbsthilfe in Jena stärkt Heimatgebend 14 Die „ESSIES“ für Menschen mit Essstörungen Befreiend 16 Die Begegnungsgruppe vom Blauen Kreuz in Jena Redaktionsteam: Unterstützend 17 Selbsthilfegruppe Trans in Jena klärt auf Bettina Brenning Barrierearm 18 Blinden- und Sehbehindertenverband Jena e. V. Gabriele Wiesner Klischeefrei 19 Frauenselbsthilfe Krebs begleitet Layout & DTP: Transplantiert 20 Selbsthilfegruppe Lebertransplantierte unterstützt Studio eljott Menschlich 21 Frank Albrecht über die Selbsthilfe in Jena Lothar Jähnichen Dornburg/Saale Aufmerksam 22 Die Telefonseelsorge sucht Verstärkung Initiativ 23 Selbsthilfe für alleinerziehende Mütter und Väter in Jena Umschlagfotos: Gabriele Wiesner (U1, U4) Gefragt 25 Tauschring „Der Stern“ lädt ein zum Mitmachen Gemeinsam 26 Der Weg der Gruppe „Lichtblick“ Auflage: 1.750 Stück Im Dreiklang 27 Der Jenaer Trialog im Austausch auf Augenhöhe Redaktionsschluss: Gestrandet 28 Buchvorstellung von Jan Schäfs „Große Reise“ 30. November 2021 Rückblickend 30 50 Jahre Begegnungsgruppe Blaues Kreuz in Jena Der Inhalt der Beiträge ent- Belohnend 32 Eine Wanderung mit Polten Wanderwelten und LandART spricht nicht unbedingt der Borreliosekrank 34 Selbsthilfegruppe Borreliose seit Jahrzehnten überregional Meinung des Herausgebers. Gegründet 35 Selbsthilfegruppe für Psychose-Gefährdete Mit freundlicher Unterstützung Angepinnt 36 Pinnwand für Gesuche durch die GKV Thüringen. Selbstwirksam 38 Interview mit Prof. Dr. Gerald Hüther Vertrauensvoll 40 Selbsthilfegruppe Prostatakrebs Jena in Gemeinschaft Herzlich 41 Selbsthilfegruppe Parkinson als große Familie Gut informiert 42 Gesundheitsinformationen kompakt Das SEIN 44 Zwei Gedichte von T. G. aus Jena CHANCENreich 45 So viele CHANCEN über drei Jahrzehnte Energiespendend 46 Neu: Selbsthilfegruppe „Outdoor-aktiv“ Aufgelistet 47 Selbsthilfegruppen und Hilfsangebote im Überblick © IKOS Jena 2021
CHANCE JENA Dankbar und beeindruckt… Jahrzehntelang Editorial der IKOS Ich bin dankbar und beeindruckt. Dankbar dafür, Als ich 2001 bei der IKOS anfing, half mir die da- Wacker mitgelaufen beim Stadtrundgang dass ich seit 1991 beratend für die AWO in Jena un- malige Mitarbeiterin Elke Spangenberg, mich in die terwegs sein kann, also immerhin schon 30 Jahre Selbsthilfe einzuarbeiten. Und ein studentischer Wir spinnen den Selbsthilfefaden gemeinsam wei- – und nunmehr schon 20 Jahre davon für die Jenaer Praktikant, mein erster…, Dominik Lietz, hatte seine ter… Also, es bleibt spannend und wir bleiben neu- Selbsthilfe. Und beeindruckt von den Menschen, die praktischen Semester schon vor mir begonnen und gierig auf all die Menschen, die den Weg noch zu ich im Ehrenamt Selbsthilfe über all die Jahre ken- somit mehr Wissen als ich am Tag 1. Wir haben’s gut uns finden. nenlernen und begleiten durfte. zusammen hinbekommen und u. a. das erste Thürin- ger Selbsthilfe-Internetportal geschaffen. Ein ganz großes Dankeschön sagen wir auch unse- 30 Jahre Selbsthilfe in Jena und ebenso lange IKOS rer „Postchefin“ Susanne Littke, die uns seit 2001 Mit weiteren stetigen Begleitern zusammen – Tho- für die Belange der Suchenden und Aktiven – das wahrscheinlich hunderte Euro Porto erspart hat und mas Mahler und Michael Fritzsche von digital con- gibt die Möglichkeit zum Rückblick, zum Schauen Jenas Straßen inzwischen kennt wie kaum eine an- cept aus Jena. Auch Ihr kennt Euch inzwischen super auf das, was ist und zum „Spinnen“ für die Zukunft. dere Postbotin… Du bist SUPER! in der Selbsthilfe aus… Und es ist eine große CHANCE zum DANKESAGEN. In erster Linie an all die Menschen, ohne die es die Das Wichtigste über al- IKOS gar nicht geben oder brauchen würde – die die lem ist gerade jetzt, dass Selbsthilfe zum Leben und Agieren gebracht haben, wir unsere Menschlich- Menschen im freiwilligen Engagement, im Ehren- keit bewahren, dass wir amt. Und dann natürlich DANKE an alle Menschen miteinander im Gespräch in den Gesundheits- und Sozialbereichen und in den bleiben und unser Gegen- politischen Entscheidungsebenen, die Selbsthilfe über wertschätzend wahr- aktiv oder passiv unterstützen. Nichts war und ist nehmen und akzeptieren, selbstverständlich – diese Achtung, Wertschätzung völlig unabhängig von und Förderung hat sich die Selbsthilfe über jahr- irgendwelchen vorgege- zehntelanges Wirken erworben und verdient. benen Großbuchstaben zu Die Broschüre CHANCE erscheint nun auch schon irgendeinem Status. Angst fast im 30. Jahr. Da ist es an der Zeit, einem stetigen ist lebensnotwendig, aller- Begleiter unsere Achtung zu erweisen – ein HOCH dings war sie noch nie ein auf unseren Grafiker, Lothar Jähnichen, aus Dorn- guter Ratgeber für Körper burg! Erst eher bisschen bieder in zwei Farbtönen G. Wiesner und G. Knorr vor dem AWO-Zentrum und Geist und schon gar – ohne BUNT war der Druck einfach billiger – und nicht für den Zustand un- G. Wiesner und „Postchefin“ seit vielen Heften voller Farben. Du hast uns immer Mit Elkes Ruhestand 2003 begann Gabriele Knorr serer Immunsysteme. Susanne Littke wieder zu kleinen Veränderungen animiert, lieber bei der IKOS, wir waren also sozusagen Gabriele im Lothar, die stets positives Feedback erzeugten. Doppelpack und konnten bis 2017 unsere gemein- Lasst uns menschlich miteinander sein, unseren Kör- samen Ideen sprießen lassen. Deine Supermonster- pern jeden Tag danken für das, was sie leisten und Excel-Tabelle für sämtliche Finanzen bei der IKOS auch unsere Seelen ab und zu etwas streicheln. lebt immer noch, liebe Gabi, und bekommt jedes Jahr neue Zahlen gefüttert! Wir hatten eine gute Zeit Herzlichst, miteinander. Es ist kaum zu glauben, dass Bettina Ihre Gabriele Wiesner Brenning nun auch schon wieder im vierten Jahr für die Selbsthilfe unterwegs und für viele Menschen eine empathische Gesprächspartnerin geworden ist. Lothar Jähnichen in seinem Graphik-Studio 3
CHANCE JENA IKOS-Flyer bieten den Kontakt Mehr als drei Jahrzehnte zu uns an und sind hier und da aktive Selbsthilfe in Jena… in der Stadt zu finden. Facettenreich 30 Jahre Selbsthilfe in Jena Es ist schon erstaunlich, was aus einer ursprünglich aus den USA stam- menden Idee in Deutschland gewachsen ist. Wie so vieles andere über den „großen Teich“ geschwappt, hat sich diese Idee verselbstständigt und durchgesetzt und zu einer anerkannten Stütze unserer Gesundheits- und Sozialsysteme entwickelt. Sie ist nicht mehr wegzudenken aus unserem täglichen Miteinander: Für die Selbsthilfetage haben wir immer aktiv geworben und die SELBSTHILFE! gemeinsam mit unserem Grafi- ker, Lothar Jähnichen, symbol- trächtige Bilder gesucht, ge- funden und gestalterisch wir- kungsvoll eingesetzt. Facettenreich, vielfältig, offen für alle Menschen, ein soziales und kostenfreies Angebot mit viel Empathie für Suchende. 30 Jahre aktive Selbsthilfe in Jena mit einem ebenso lange bestehen- den Beratungsangebot bei der IKOS lassen uns dankbar und voller ech- ter Wertschätzung zurückblicken. Dankbar all den Menschen gegenüber, die in einem besonderen Ehrenamt ihre Zeit, ihre Kraft und ihr Erfah- rungswissen mit anderen teilen. Ohne das ehrenamtliche Engagement der Mitglieder in den Gruppen gäbe es natürlich auch keinen Bedarf für Selbsthilfe-Beratungsangebote, für diese haltenden Strukturen, die allen an Selbsthilfe interessierten Menschen zur Verfügung stehen. 4
CHANCE JENA Angefangen hat die Geschichte im Februar 1991, als die Stadt Jena nach Der damalige Arbeitstitel in Jena war „IKOS mit integrierter Familienbe- einer Ausschreibung dem AWO Kreisverband Jena e. V. den Auftrag erteil- ratung“. Schon bald stellten die Kolleginnen Sigrid, Cornelia, Kerstin und te, ein Beratungsangebot aufzubauen. Die Selbsthilfebewegung hatte in Birgitt fest, dass jedes der beiden Themen, Selbsthilfe und Familie, ganz den 70er und 80er Jahren in den alten Bundesländern Fahrt aufgenom- autark eine eigene Beratungsstelle ausfüllen konnte. Menschen auf der men und stand Pate für den Osten. Thüringen erhielt drei Modellstand- Suche nach Unterstützung gab es zu Beginn der 90er Jahre genug. Erste orte für Selbsthilfeberatungsstellen, die bundesgefördert in Suhl, Erfurt Selbsthilfevereinigungen fanden sich schon in den DDR-Jahren zusam- und Jena entstanden. IKOS – die Versalien für Informations- und Kontakt- men, damals eher geschützt in den Räumen der Kirche zum Beispiel für stelle für Selbsthilfe oder KISS, je nachdem, in welcher Reihenfolge man Eltern mit kranken Kindern, für krebserkrankte Frauen oder Menschen die Anfangsbuchstaben anordnet – etablierten sich in den drei Kreisen, mit MS. Solche menschlichen Hilfesysteme als Ansammlungen von Indi- wurden evaluiert und dienten allen anderen Landkreisen und kreisfreien viduen, von denen niemand so recht wusste, zu welchem Zweck sie sich Städten in Thüringen als Schablone zum Nachzeichnen und Anpassen an trafen, schienen durchaus suspekt und standen mit Sicherheit unter Be- die Vor-Ort-Bedingungen. obachtung. Dazu gab es im Nachgang ausführliche Forschungen. Umso freier entfaltete sich die Selbsthilfelandschaft ab 1990/1991, und Grup- pen zu ganz vielen Themen sprossen wie Pilze aus dem Boden. Als Heimstatt mit Beratung, Begleitung und rückenstärkend stand über 30 Jahre immer die IKOS zur Seite. Die Medien Selbsthilfezeitung, Radio- sendung und Selbsthilfetag entstanden und trugen den Selbsthilfegedan- ken als ganz besonderes Ehrenamt unter die Menschen. 5
CHANCE JENA In einem viele Jahre währenden Prozess gewann die Selbsthilfe die Öf- fentliche Hand, die Krankenkassen, die Gesundheits- und Sozialsysteme als Unterstützer und Förderer. Selbsthilfe ist zwar für interessierte Men- schen kostenfrei, das heißt allerdings nicht, dass sie nichts kostet. Jeder in die Selbsthilfe investierte Förder-Euro multipliziert sich und hat einen gesellschaftlich, gesundheitlich und menschlich messbaren Nutzen. Was in der Paradiesstraße 3 begann, lange Jahre in der ehemaligen Ibrahim-Villa zu Hause war, sich gut im Ricarda-Huch-Haus etabliert hatte und heute im AWO-Zentrum Lobeda, in der Kastanienstraße 11, beheimatet ist, bietet als Beratungszentrum für Selbsthilfe kompe- tentes Erfahrungswissen von Selbsthilfeaktiven und solides Fach- wissen in der Gesundheitsberatung. Wir netzwerken mit zahlreichen Beratungs- und Hilfsangeboten in unserer Stadt und überregional. Die Selbsthilfe fühlte sich an unterschiedlichen Standorten zu Hause und musste dann doch immer wieder ihre Zelte abbrechen und weiterwandern. Ricarda-Huch-Haus am Löbdergraben Veranstaltung anwesend und hatte diese Schenkungsurkunde auch per- sönlich zu Gesicht bekommen. Leider war sie Jahre später, als die Selbst- hilfe, die Bürgerstiftung, die Arbeitsloseninitiative und die AIDS-Hilfe die Villa verlassen mussten, nicht mehr auffindbar. Das schöne soziale Haus mit dem herrlichen Garten wurde verkauft. Die Gruppen und IKOS fan- den im Ricarda-Huch-Haus ein neues geschütztes Refugium von 2005 bis immerhin 2014. Dann bekam auch dieses zentrale Gebäude einen neuen Eigentümer. Und glücklicherweise hatte unser Träger, der damalige AWO Kreisverband Jena-Weimar e. V., eine für die Selbsthilfe ausreichend große Fläche in seiner Immobilie in Lobeda-Ost frei, im AWO Zentrum Lobeda in der Kastanienstraße 11. AWO-Zentrum Lobeda in der Kastanienstraße 11 Ehemalige Ibrahim-Villa in der Rathenaustraße 10 Eine gute Zeit in geschützter Umgebung mit herrlich großem Garten er- lebten die Gruppen in der Rathenaustraße 10, der ehemaligen Ibrahim- Villa. Dieses große Wohnhaus des ehemaligen Chefs der Jenaer Kinder- klinik wurde von ihm der Stadt Jena in einer öffentlichen Veranstaltung zur Nutzung für soziale Zwecke übereignet. Unseres Wissens befand sich dort über viele Jahre die zentrale Röntgenstelle. Im Keller konnten wir den nachhaltigen Geruch verschiedenster Chemikalien bei jedem Gang die Stufen hinunter „genießen“. Dass diese Schenkung an die Stadt ebenso in einer Schenkungsurkunde festgehalten war, hat uns immer wieder Monsignore Karl-Heinz Ducke, ein in Jena sehr gut bekannter und geschätzter katholischer Pfarrer und Bürgerrechtler mit großem Herz für die Selbsthilfe bestätigt, der leider schon 2011 viel zu früh aus dem Leben ging. Er war bei der öffentlichen 6
CHANCE JENA etwas über ihre Krankheiten vorjammern. Diese sind eindeutig FALSCH. Natürlich gibt es hier und da auch einen Tee oder Kaffee und ein lecke- res Stück selbstgebackenen Kuchen. Selbstverständlich wird über Krank- heitsbilder und besonders belastende Lebenssituationen gesprochen. Natürlich erfährt man Trost, Nächstenliebe, Wertschätzung und Rücken- stärkung und kann auch seinen Tränen freien Lauf lassen, wenn die Trau- rigkeit gerade drückt. Frank Albrecht, unser AWO-Geschäftsführer, hat es im aktuellen Film über die Selbsthilfe in Jena treffend formuliert: „Selbsthilfe ist in jedem Fall Austausch von Erfahrungen, sich treffen, sich gegenseitig unter die Arme greifen, sich helfen. Selbsthilfe ist Solidarität, gelebte Nächstenliebe. Selbsthilfe ist zutiefst menschlich.“ „Wissen ist Erfahrung – alles andere ist nur Information.“ Der Ausspruch stammt von Albert Einstein, der sicher damals noch nicht gewusst hat, Auch wenn wir aufgrund der Verkäufe des „städtischen Tafelsilbers“ in wie bezeichnend das für die Selbsthilfe und ihr immenses Erfahrungs- Immobilienform immer wieder umziehen mussten, können wir dankbar wissen steht. und wertschätzend sagen, dass uns die Stadtverwaltung Jena, Kommu- Vielleicht sind Sie jetzt neugierig geworden auf all das, was Selbsthilfe nale Immobilien Jena und der Sozialausschuss immer wieder hilfreich zur ausmacht und auf die CHANCEN, die sie bietet. Seite standen, uns den Rücken stärkten und beim Finden einer neuen Wir freuen uns auf Sie! Heimstatt behilflich waren. Wir sind inzwischen Teil eines großen Ganzen, Ausstellungs- und Beratungsstände gern genutzte und nützliche Partnerin in einem sozialen Zentrum in Lobe- Gabriele Wiesner von der IKOS während der Selbsthilfetage da-Ost und haben seit 2014 viel zusätzliches Leben ins Haus gebracht an in der Goethe Galerie Jena sieben Tagen die Woche fast rund um die Uhr. Selbsthilfegruppen schät- zen diese geschützten Rückzugsräume, die voll und ganz ihren Bedarfen entsprechen. Danke sagt die Jenaer Selbsthilfe allen Unterstützerinnen und Unterstützern seitens der Stadt Jena, der AWO, der GKV Thüringen, des Thüringer Landesverwaltungsamtes. Inzwischen haben wir in Jena um die 120 Selbsthilfegruppen, die Interes- sierte mit offenen Armen empfangen. IKOS begleitet gern bei Neugrün- dungen und sucht betroffene Menschen zu neuen Themen. Lösen Sie sich von den Klischeevorstel- lungen von Menschen in Stuhlkreisen, die Händchen halten, besserwissende Patienten sein wollen, kaffeetrinkend und kuchenessend und sich gegenseitig Gabriele Wiesner, Bettina Brenning und Katja Schröder im Studio (von li. nach re.) 7
CHANCE JENA „Selbsthilfe - Eine Chance auch für Dich?“ Gefilmt Der erste Film über die Jenaer Selbsthilfe Ein ganz besonderer Meilenstein in der jüngeren IKOS-Geschichte ist Filmteams verzichten, das bereits Erfahrung in der Produktion verschie- dener Kurzfilme hat. Das junge Filmteam Janne Hansberg, Leon Liehr und der erste Film über die Jenaer Selbsthilfe, den wir im Juli 2021 anlässlich unseres 30-jährigen Jubiläums realisiert haben. Möglich wurde dies im Kilian Zillessen hatte anlässlich des 7. Welt-Sepsis-Tages den Kurzfilm Rahmen des Projektes „Selbsthilfe – Eine Chance auch für Dich?“, „Handeln“ zum Thema Sepsis produziert und mit diesem Film den 1. Platz das von der Krankenkasse AOK PLUS unterstützt wurde. Die IKOS freut belegt. Auch der Kurzfilm „Ein Traum vom Glück“ schaffte es sogar zum sich sehr, den neuen Imagefilm über die Selbsthilfe in Jena der Öffentlich- Sieger des Mitteldeutschen Medienkompetenzpreises 2019. keit präsentieren zu dürfen. Nachdem wir uns die Trailer der preisgekrönten Kurzfilme angesehen hatten, waren wir so beeindruckt von der tollen Bild- und Tongestaltung, dass wir uns sofort entschieden, mit den jungen Leuten zu arbeiten und gemeinsam einen Selbsthilfe-Imagefilm zu produzieren. Der Clou unseres Projektes sollte sein, dass hier keine professionellen Schauspieler agieren sollten, sondern dass „echte“ Selbsthilfeaktive aus ihrer Perspektive und authentisch berichten. Alle von uns angefragten Gruppenmitglieder folgten unserem Aufruf, über ihre Erfahrungen in der Gruppe zu sprechen. Uns fiel es sehr schwer, aus den unterschiedlichen Themenbereichen der Selbsthilfe auszuwählen. Wichtig war uns vor al- lem, dass wir die Vielfältigkeit der Selbsthilfe hervorheben und zeigen, dass sie in allen Lebenslagen und Altersklassen relevant ist. Mit dem gut ausgetüftelten Ablaufplan in der Hand ging es dann im Juli an die Umset- zung des Imagefilms. Als Drehorte wählten wir das AWO-Zentrum Lobeda und vier bekannte Jenaer Plätze aus: Paradiespark, Park in Drackendorf, Frommanscher Garten und der Landgraf. Bevor es mit dem Drehen los- ging, gab es eine kurze Besprechung und Einleitung zu den Abläufen am Pressemitteilungen, Schaukasten, Radiosendungen, Internetportal, Fa- Set. Es war alles sehr aufregend und unheimlich spannend. cebook, Selbsthilfezeitung, Gremienarbeit… Warum braucht die Jenaer Selbsthilfe nun auch noch einen Film? Ziel unseres Filmvorhabens ist es, der Öffentlichkeit Einblicke in die Grup- penarbeit zu geben, die Menschen dahinter vorzustellen und die verschie- denen Wege aufzuzeigen, wie sie sich selbst helfen können und wie wert- voll dabei ein Austausch mit anderen Betroffenen ist. Aus der Perspektive Betroffener wird die Selbsthilfe beleuchtet und bricht mit dem Klischee, dass Selbsthilfe nur bedeutet, im Stuhlkreis zu sitzen und in Problemen zu wühlen. Der besondere Wert der Selbsthilfe soll durch den Film deutlich vermittelt, und zugleich sollen Tabuthemen wie seelische und körperliche Krankheiten in die Öffentlichkeit getragen werden. Zudem gibt der Film einen Einblick in die Arbeit der IKOS, die the- menübergreifend zur Selbsthilfe berät. Im Vorfeld des eigentlichen Drehs gab es für uns viel zu recherchieren. Erste Ideen wurden skizziert und das Format des Films und Schwerpunkte festgelegt. Wir wollten nicht auf die Unterstützung eines professionellen 8
CHANCE JENA Zum Glück konnten wir am zweiten Drehtag unsere Dreharbeiten im Freien fortsetzen, und es herrschte eine großar- tige Stimmung. Aufregung pur schwebte in der Luft. „Und los!“ und „Paradies Interview Start“, hörten wir viele Male. Alle waren unermüdlich dabei, bis alles im Kasten war. Die Grundidee der Selbst- hilfe war so greif- und spürbar in diesen Szenen und sorgte bei uns für viele Gänsehaut-Momente. Zudem kamen wir mit vielen Passanten ins Gespräch, die neugierig die Filmcrew beobachteten und nachfragten, was hier denn gedreht werde. Dies gab uns an Ort und Stelle die Möglichkeit, zum Thema Selbsthilfe zu informieren. Das Drehteam organisierte die tech- nische Umsetzung und brachte die Am ersten Drehtag hatten wir Pech mit dem Wetter, es regnete ausgie- dementsprechend erforderliche Technik big. Jena wurde gefühlt weggespült…, so dass wir nicht in den Dracken- mit. Es wurde jede Kameraeinstellung dorfer Park gehen konnten und die gesamte Drehzeit drinnen verbracht genauestens geplant und später in der haben. Das hielt die Mitwirkenden jedoch nicht davon ab, mit viel Elan Postproduktion auf die Musik und die zu starten. Die IKOS-Räume waren voller Menschen, die sich teilweise passenden Sprechertexte abgestimmt. noch nie gesehen hatten, doch alle einte die Vorfreude auf das Abenteuer Wir waren beeindruckt, dass oft einfa- Filmdreh. che Mittel (Licht, Schatten und Farbef- fekte) genügten, um eine entsprechen- de Wirkung zu erzielen. Dabei lohnte es sich, auch mal einen anderen Blick als den üblichen zu wagen! Sobald die Dreharbeiten dann abge- schlossen waren, entstand der eigentli- che Film am digitalen Schnittplatz von Janne Hansberg und Leon Liehr. Die Kameraeinstellungen wurden unseren Ideen und Wünschen entsprechend zu- geschnitten, Animationen erstellt und das Ganze mit auditiven Elementen er- gänzt. In der Postproduktion erhielt der Image- film den letzten Schliff. Hier konnten Sequenzen der Jenaer Innenstadt, Mo- mentaufnahmen aus dem Paradies und Fotos der IKOS eingearbeitet werden. Für saubere Übergänge sorgte das Film- team im Studio. Die ganze Postprodukti- on beinhaltete drei Korrekturrunden bis das endgültige Ergebnis fertiggestellt war. 9
CHANCE JENA Für die Premiere des Films wählten wir die Herbst-AWO-Klausur aus, um den Kolleginnen und Kollegen unser tau- frisches Projekt vorzustellen. Der Film wirkte durch Schnitt und die unterlegte Musik sehr berührend und eindringlich. Viele positive Feedbacks erreichten uns nach der Vorführung und manchem rutschte ein „Wow!“ raus. Rückmeldungen wie diese bestärken uns und lassen uns stolz auf das von den Selbsthilfe-Aktiven und uns Ge- schaffene blicken: „…Jetzt kann ich mir erst so richtig was unter Selbsthilfe vorstellen…“ oder „…Das ist ja inter- essant, was ihr da macht. Hut ab vor den Menschen, die hier so frei und ehrlich aus ihrem Leben berichten…“ oder „… Ich habe eine Bekannte, die hat kürzlich die Diagnose… bekommen“ - gibt es da vielleicht auch eine aktive Gruppe in Jena?“ Es wird in der Zukunft wahrscheinlich einige Aufträge für Janne Hansberg und Leon Liehr geben. Ob dafür wohl genü- gend Zeit bleibt, wird sich zeigen, denn die beiden möchten gern im nächsten Jahr ein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin beginnen. Wir jedenfalls wünschen ihnen viel Er- folg dabei! Ein herzliches DANKESCHÖN an die AOK PLUS für die finanzielle Förde- rung, an die mutigen Mitwirkenden und an unser Filmteam für die tolle Zusammenarbeit. 10
CHANCE JENA Die Zeitung sollte Mut machen und nicht überfordern ... Vielfältig Unsere Selbsthilfezeitung „Nicht ohne uns“ und ihre Nachfolgerin „ThuLPE“ Im September 1992 fand einer der ersten Selbsthilfetage in Jena statt. Ich wollte zu einem Vortrag, verpasste aber die Zeit und statt mich zu ärgern, kam mir eine Idee: Eine Zeitung für psychisch kranke Menschen monatlich herauszugeben. Menschen mit einer psychischen Erkrankung haben oft wenig Kontakte, da sollte wenigstens jeden Monat eine nur für sie bestimmte kleine Zeitung im Briefkasten stecken. Die Erste und eine der neueren In der ersten Nummer vom Januar 1993 stellte ich u. a. mein Anliegen Ausgaben der „ThuLPE“ vor: „Schon lange suchte ich nach einem Beitrag, den ich gemeinsam mit Gleichgesinnten leisten kann, das Verständnis für diese Krankheit und die von ihr Betroffenen wachsen zu lassen.“ Die Jugendwerkstatt in Löbstedt besorgte den Druck, auch das ein Werk Die Zeitung sollte schmal sein, um nicht zu überfordern, und sie sollte der Selbsthilfe für diese Jugendlichen unter Herrn Baars Anleitung. anderen Mut machen, selbst etwas beizutragen. Vielen Dank! War das Ganze erst aus einer Eigeninitiative entstanden, wurde später So kam es auch. Nach und nach trafen immer mehr Beiträge ein: Erfah- eine des Thüringer Landesverbandes der Psychiatrieerfahrenen (TLPE) da- rungsberichte, Gedichte, Erlebnisse und auch kulturelle und künstlerische raus. 2013 war alles gewachsen: die Selbsthilfe, die Zuschüsse, der TLPE Anregungen. - so entstand das umfangreiche farbenfrohe Heft „ThuLPE“, das es heute Thea Zimmermann, die leider verstorben ist, lieferte schon für die erste noch gibt. Es erscheint vierteljährlich. Ausgabe folgendes Gedicht, das sie 1990 verfasst hatte: Nächstes Jahr können wir unser 30jähriges feiern. Heute aber gratulieren Irrgarten wir uns gegenseitig zu 30 Jahren Selbsthilfe, zu 30 Jahren IKOS und dan- Einst in vergangenen Zeiten angelegt ken einander für Hilfe und Unterstützung, Zuwendung und Verständnis. als Spiel und Zierde zum Suchen Großer Dank gilt auch Gabriele Wiesner und Bettina Brenning, die immer, und Finden, aber wirklich immer für Fragen und Anliegen offen sind. ist es das Leben nicht in seinem Abbild? Christine Theml Glücklich, wer Sinn und Mitte findet – Christine Theml (rechts) beim Vortrag über Astrid Lindgren auf den verschlungenen Pfaden nicht nur umherirrt und suchend das Ziel verfehlt. Gibt es auch Zeichen und Merkmale oft, doch kann nicht jeder sie lesen. Es sind oft Wege so viele, nicht jeder ist gangbar für jeden. Vielfalt und Buntheit des Lebens, wo ist mein Weg? Viele Wege findet man in unserer Zeitung, die ich „Nicht ohne uns“ nannte. Mein Arzt fand, es sei ein trotziger Titel. Ja, auch Trotz brauchten wir, um gehört und gesehen zu werden. Es wurde eine echte Selbsthilfezeitung für psychisch kranke Menschen und Genesene. Bis 2013 erschien sie Monat für Monat. 11
CHANCE JENA Selbsthilfe hat uns das Leben sehr stark bereichert… Individuell Selbsthilfegruppe neuroKind und INTENSIVkinder zuhause e. V. Mein Name ist Dirk Strecker, ich bin in der Selbsthilfegruppe neuroKind und auch beim Verein INTENSIVkinder zuhause e. V. aktiv. Dort leite ich die Gruppe mit und spreche auch für die Gruppe und für INTENSIVkin- der zuhause. Für diesen Verein bin ich ein regionaler Ansprechpartner für Familien, die auch ein Kind haben, das technologieabhängig erkrankt ist und auch einen hohen Grad an Pflege braucht. manche Erlebnisse nicht mit anderen Menschen so teilen kann, weil man nicht in der gleichen Lebenssituation steckt. Das ist ja in jedem Leben in- dividuell so, je nachdem, was man arbeitet, je nachdem, was man für Er- krankungen hat, wo man halt steckt im Leben. Und da ist eben die Selbst- hilfe ein Kreis, in dem man Menschen trifft, die in der gleichen oder in einer ähnlichen Lebenssituation sind, wo man sich gut austauschen kann, wie es einem damit ergeht, in der jeweiligen Situation. Das ist auch Selbsthilfe. Dirk Strecker Kontakt: Was bedeutet Selbsthilfe für mich, für uns? Für uns ist Selbsthilfe eine sehr schöne Geschichte. Sie hat uns sozusagen das Leben sehr stark jena@neurokind.de bereichert dahingehend, weil wir einerseits sehr viel Hilfe von anderen Menschen erfahren haben, die mit der schweren Situation, also wir haben eine schwer erkrankte Tochter… konfrontiert waren. Wo wir halt Hilfen bekommen können, wo wir wiederum auch Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner finden können, und andererseits wir aber auch gemerkt haben, wir wollen was zurückgeben. Wir wollen eigentlich den Menschen, die ja mir geholfen haben, wieder was zurückgeben, was schenken, weil wir darüber sehr dankbar sind. Das ist für uns Selbsthilfe, wir bekommen etwas und wir können auch neuen interessierten Menschen, also Men- schen, die auch in ebensolche Lebenssituationen kommen, zeigen, hier könntest du diesen Weg gehen. Das hier könntest du anschauen, diesen Weg auch gehen, und hier können wir helfen, und das ist eigentlich, wie ich Selbsthilfe für mich sehr stärkend erlebe, dieses Geben und Nehmen, diese Dankbarkeit, die da drinsteckt. Und auch wir erleben eine Dankbarkeit, auch wenn wir jetzt noch nach 17 Jahren, die wir drinstecken sozusagen in der Selbsthilfe, immer noch Dinge bekommen, für die wir dankbar sind. Das ist eigentlich für uns die Selbsthilfe - und wie wichtig auch noch der Austausch ist, weil man 12
CHANCE JENA Jeder, der sich verbunden fühlt, kann einfach dazukommen ... Zusammengehörig Junge Selbsthilfe in Jena Ich heiße Lena, bin 21 Jahre alt reden zu können, und man hat nicht das Gefühl, jemandem zur Last zu fallen. Das ist sehr angenehm. Die Selbsthilfe ist mein „Freitag-Abend- und besuche seit 2018 die „Jun- ge Selbsthilfe“ mit dem Thema Ding“ geworden. Ich bin von Anfang an sehr häufig hingegangen. Wir Depression und Angst. Ich bin treffen uns jede Woche, viele kommen jedoch auch weniger oft. Wir ha- vor allem hingegangen, weil ich ben keine festen Regeln, und es ist alles auf freiwilliger Basis. Im letzten richtige Schwierigkeiten hatte, Jahr während Corona haben wir uns viel online getroffen, vor allem im einen Therapieplatz zu finden. Winter, um die Regeln zu umgehen, dass man sich nur in einer bestimm- Es ist schwer, an einen Termin zu ten Anzahl treffen kann. Im Sommer sind wir viel hier im Paradiespark in kommen, man wartet ewig und sehr ungezwungener Atmosphäre. erreicht niemanden. Als Über- Was noch ganz wichtig ist: Ich habe über die Gruppe neue Freunde ken- brückung ist mir die Idee gekom- nengelernt. Es sind alles junge Leute, viele von denen studieren auch, men, ob es nicht irgendwelche man versteht sich und hat ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl anderen Angebote von sozialen und etwas Gemeinsames. Zusätzlich treffen wir uns sogar außerhalb der Diensten gibt, und dann suchte Gruppe, wir unternehmen also auch noch unterhalb der Woche etwas ich nach „Selbsthilfe in Jena“ im gemeinsam. Was noch ganz wichtig ist, dass die Gruppe eine Liste mit Internet. Ich bin dann gleich auf Adressen guter Therapeuten für jeden führt, der fragt. Die Gruppe bietet die „Junge Selbsthilfe“ gestoßen. Wir trafen uns damals oft in den Räu- also auch eine unheimliche Ressource an Wissen, das man im Internet men der IKOS. Wir sind nicht immer super viele Leute, meist drei bis vier, nicht findet. Wir sind auch mit anderen Gruppen vernetzt, um auch Leute aber ich finde das eine sehr angenehme Runde. Wir stellen auch in der auffangen zu können, die nicht direkt in unser Thema hineinpassen, zum Gruppe immer wieder klar, dass wir keine Therapie ersetzen können und Beispiel die Gruppe Bipolare Störung. Wir haben auch schon eine Verbin- wir auch in der Gruppe keinen Therapeuten haben. Es ist im Prinzip ein dung zur ADHS-Gruppe hergestellt. Austausch unter Gleichgesinnten und Leuten, die ähnliche Erfahrungen im Leben gemacht haben, denen es ähnlich geht und die mit dem Thema Angst und Depression zu tun haben. Wir treffen keine Auswahl, sondern jeder, der sich mit diesem Thema verbunden fühlt, kann einfach dazukom- men. Es können auch Angehörige mitkommen. Was gibt mir die Gruppe? Zum Großteil ist es für mich der Austausch mit Leuten, die ähnliche Er- fahrungen gemacht haben. Es ist ein bisschen wie ein Baustein zwischen der Therapie und einem Gespräch mit Freunden. Mit Freunden, das kann sehr nett sein, und viele können auch mitfühlen, aber viele haben nicht das Gleiche erlebt und nicht dieselben Erfahrungen gemacht, und zudem möchte man seine Freunde nicht immer wieder mit diesen Problemen belasten. Auf der anderen Seite gibt es die Therapie, in der es nur die 45 Minuten alle zwei Wochen gibt, wo man relativ wenig Zeit hat und die Aussagen sehr präzise sein müssen. Das Bindeglied dazwischen ist für mich die Selbsthilfe. Man hat nicht das Gefühl, die Probleme sind irgend- wie unangebracht oder man belastet jemanden damit, sondern der Raum ist genau dafür da. Es gehen alle hin, um sich gegenseitig zuzuhören und 13
CHANCE JENA Was bedeutet mir Selbsthilfe? Im Allgemeinen ist Selbsthilfe noch immer sehr stigmatisiert. Woran vie- Da braucht es manchmal le bei dem Thema noch denken ist: Alle sitzen im Stuhlkreis, aber es ist gar nicht vieler Worte… Heimatgebend natürlich auf keinen Fall so, sondern eine sehr lockere Runde. Wir sind viel im Park, gehen auch zusammen essen. Wir versuchen, die Treffen möglichst nicht so steif zu machen, wie eine lockere Runde unter Freun- den, aber immer mit dem Hintergrund, dass dies der Raum ist, über sein Leben zu sprechen, sich auch mal darüber zu beschweren, besonders, wenn man eine psychische Krankheit hat, ohne das Gefühl zu haben, jemandem zur Last zu fallen. Und eine Erfahrung, die ich in der Selbsthilfe gemacht habe, ist, dass, wenn ich etwas erzähle, dass es oft vorkommt, Die Essies, Menschen mit Essstörungen dass mehrere in der Gruppe die gleiche Erfahrung gemacht haben und man Leidensgenossen hat, die man fragen kann. Mein Name ist David Rätzer, und ich leite seit ungefähr zehn Jahren verschiedene Selbsthilfegruppen. Für mich war damals die Selbstbetrof- Mir geht es mit der Selbsthilfegruppe einfach besser. Natürlich habe ich fenheit der Anlass, mir eine Selbsthilfegruppe zum Thema Essstörungen noch immer meine Probleme, aber ich fühle mich gut, dass ich auch an- zu suchen. Ich habe mich dann dazu entschieden, eine Gruppe zu grün- deren helfen kann, die ähnliches erlebt haben. Und, dass ich so in irgend- den. Die Gruppe heißt „Die Essies“ und gibt Menschen mit Essstörungen, einer Form etwas weitergeben und ich es dadurch jemandem einfacher Anorexie, Bulimie und Binge-Eating eine Heimat. Das mache ich nun seit machen kann. Ich bin froh, Hilfestellung und Tipps geben zu können. knapp 15 Jahren und habe vor neun Jahren eine zweite Gruppe übernom- Dann fühlen sich die anderen nicht so allein, wie ich es vor der Selbst- men, die sich mit den Krankheitsbildern Panik, Angst und Depressionen hilfegruppe war. befasst. Auch da war ich selbst betroffen. Für mich war es immer wichtig, Lena Jesse wenn ich mich als Gruppenleiter mit diesen Themen befasse, dass ich natürlich auch selbst betroffen bin, dass ich weiß, wie mein Gegenüber Kontakt: fühlt. Natürlich sind fachliche Gespräche auch immer sehr wichtig, mit dem Psychologen z. B., aber nur die Betroffenen untereinander wissen, jsh-jena@web.de wie wir fühlen und wie wir denken. Da braucht es manchmal gar nicht vieler Worte. Es ist so entstanden, dass es mir von professioneller Seite angeraten wurde und auf der anderen Seite habe ich gemerkt, wie wich- tig es in den Kliniken für mich war, mit anderen Personen in Kontakt zu Untrennbare Verbundenheit kommen. Unser Überleben auf diesem Planeten wird davon abhängen, wie schnell es uns gelingt, ein neues Welt- und Selbstbild zu entwickeln. Und dieses neue Bild von uns selbst und von unserer Welt kann nur eines zum Ausdruck bringen: unsere untrennbare Verbundenheit miteinander und unsere unübersehbare Eingebundenheit in die Welt, in der wir leben. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Es wird nur langsam Zeit, dass wir das nicht nur erkennen, sondern uns auch dazu bekennen. Gerald Hüther und Christa Spannbauer aus: Verbundenheit. Warum wir ein neues Weltbild brauchen, Hogrefe Verlag, 2018 Quelle: natur & heilen, 01/22, S. 7 14
CHANCE JENA er Gruppenarbeitet bedeutet für mich, sich über die Krankheitsbilder aus- „Die Essies“ zutauschen, Erfahrungen weiterzugeben, Feedback zu bekommen und zu erfahren, was bei dem einen oder anderen besser oder schlechter läuft. Nach den vielen Klinikaufenthalten habe ich dann einfach gesagt: “Das möchte ich beibehalten.“ Wichtig und persönlich war bei mir, dass wir 25 uns immer mit unseren Krankheitsbildern beschäftigen. Es ging mir nicht darum, eine Freizeitgruppe zu haben, die sich über Gott und die Welt austauscht, sondern es muss wirklich einen Bezug geben zu unserem ntakt / Ansprechpartner Eine Selbsthilfegruppe für Krankheitsbild. Es gibt verschiedene Zugangsmöglichkeiten zur Gruppe: Anruf oder per Menschen mit Selbsthilfegrupp E-Mail, auch über die IKOS, wo auch Flyer ausliegen. So kommen dann die Menschen zu uns. Unsere Gruppe bezieht sich nicht nur auf die Stadt Gruppe Jena, sondern auch auf die anliegenden Landkreise, z. B. Weimar und Er- Ess-Störungen furt. „PAD“ Man kann sofort in die Gruppe rein, und man kann aber auch sofort d Rätzer, Tel.: 0162 / 9 66 17 25 wieder gehen und muss auch keine feste Mitgliedschaft eingehen. Wenn jemand meint, so eine Selbsthilfegruppe ist nicht das Richtige, dann ist er beim nächsten Mal auch nicht mehr dabei. Das ist vollkommen legitim. ww.selbsthilfe-thueringen.de Was mir im Bereich der Selbsthilfe immer ganz wichtig war, ist, dass das Angebot kostenfrei für die Mitglieder ist. Wir sind kein Verein, bei dem Mitgliedsbeiträge eingesammelt werden, denn dann braucht man wieder Email: shg-pad@web.de einen Kassenwart, sondern wir sind alle nur froh, dass wir uns unterein- Magersucht (Anorexie) ander austauschen können. Und zusätzlich haben wir in Jena das große Glück mit der IKOS, dass sie Räumlichkeiten für die Treffen zur Verfügung Ess-Brech-Sucht (Bulimie) stellt. Wir müssen auch keine Miete bezahlen, wofür wir sehr dankbar IKOS Jena Ess-Sucht (Binge Eating) sind. Ich mache die ehrenamtliche Arbeit nach wie vor seit 15 Wiesner, Tel.: 03641/ 874 11 61 Jahren sehr gern und kann es mir ohne die Gruppe gar nicht mehr vorstellen. Sie ist auch ein Teil meines Lebens gewor- den, zumal ich die Essstörungs- Wann/ Wo gruppe auch selbst gegründet habe. Vielleicht finde ich eines Tages jemanden, der genauso engagiert und stabil ist, der die 14-tägig donnerstags Gruppe mal weiterführt. Nach wie vor mache ich die Arbeit sehr gern und werde es noch 17:15 Uhr - 18:45 Uhr eine ganze Weile weiterma- chen wollen. IKOS Jena Lobeda Ost David Rätzer, Jena © Sabine Fisch © Sabine Fisch Kastanienstraße 11 Kontakt: Raum 3 die-essies@web.de © BZGA shg-pad@web.de 15
CHANCE JENA Wir sind für jeden offen, der Hilfe sucht ... Befreiend Blaues Kreuz Begegnungsgruppe in Jena Wir sind die Blaues Kreuz Begegnungsgruppe, die älteste Begegnungs- gruppe der Stadt, gegründet im Oktober 1971. Ich bin Gründungsmit- glied, und bei mir werden es in diesem Jahr 50 Jahre, dass ich dabei bin, und in der Zeit sind viele durch unsere Räume gegangen: Abhängige und Freunde des Blauen Kreuzes. In unserer Gruppe geht es um Sucht, früher hieß die Gruppe AGAS: Ar- beitsgemeinschaft zur Abhilfe von Suchtgefahr, und ab 1990 sind wir dem Blauen Kreuz angeschlossen worden. Das Blaue Kreuz gibt es in Deutsch- land seit 135 Jahren, und es sind schon viele Menschen durch das Blaue Kreuz vom Alkohol frei geworden. In Jena haben wir eine Gruppenstärke von ca. 12-15 Leuten, wenn alle da sind. Durch Corona war ein bisschen Engpass, und wir haben einige Treffen online durchgeführt. Aber dazu weiß Jan mehr. Der Altersdurchschnitt in unserer Gruppe liegt zwischen 35 und 82 Jah- ren, also weit gestaffelt. Wir sind für jeden offen, der Hilfe sucht, was Alkoholsucht angeht, aber auch Spiel- und Medikamentensucht. Mit Dro- gensucht kennen wir uns nicht so aus, würden aber niemanden wegschi- cken, wenn jemand nicht weiß, wo er sonst Heimat findet. Da können wir auch Wege aufzeigen, wo Hilfe geboten wird. Mein Name ist Jan Schäf, und ich bin seit 2014 in der Gruppe. Ich werde Harald Falke den Staffelstab von Harald übernehmen. Wir haben im letzten Jahr ver- sucht, auch moderne Medien in der Gruppe zu nutzen, und das wurde auch sehr gut angenommen, wie z. B. eine WhatsApp-Gruppe, eine Face- book-Seite, oder wie jetzt in der Coronazeit haben wir die Gruppenstunde auch online durchgeführt. Das wurde sehr gut auch von unseren älteren Mitgliedern angenommen, und viele waren froh darüber, weil sie sich nicht rausgetraut haben und doch einmal in der Woche mit in der Gruppe sein konnten. Jetzt treffen wir uns wieder in Präsenz, aber einige nehmen immer noch nur online teil, unsere Gruppe ist da ein bisschen gesplittet. Wir haben auch einen Teilnehmer, der krebskrank und sehr froh darüber ist, dass er online mit uns verbunden sein kann. Jan Schäf Kontakt: jena@blaues-kreuz.com 16
CHANCE JENA Wir sind auch schon von Schulen angesprochen worden, dort informativ Vorurteile abbauen tätig zu sein, weil es dort auch sehr oft Probleme gibt und um dort auch und Begleitung anbieten… für die Betroffenen Vorurteile abzubauen und der Schule Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie unterstützen kann. Unterstützend Rafaela Kontakt: rafaela@transhilfe-thueringen.de Selbsthilfegruppe Trans in Jena Ich bin Rafaela und die leiten- de Betreuerin der Selbsthilfe- gruppe Trans hier in Jena. Unser Hauptanliegen ist es, die Themen Transsexualität und Transidentität in der Bevölke- Unsere natürliche Intelligenz rung akzeptabel zu machen, aber auch Betroffenen und Angehörigen informativ zu Jene Intelligenz, helfen, was sie unterstützend die uns das Leben schenkt, tun können oder auch wie der Weg der Geschlechtsumwand- die unser Essen verdaut, lung überhaupt gehen kann. die unser Herz am Schlagen und Ich selbst bin in der Gruppe seit zwölf Jahren, bin also auch schon länger unser vegetatives Nervensystem dabei. Daraus ergibt sich ein gewisser Erfahrungsschatz, der dann auch am Laufen hält - weitergegeben werden kann. Zu der Gruppe bin ich durch andere Be- ist der beste Heiler der Welt. troffene gekommen, die gesagt haben, schau‘ doch mal rein in Jena. Da könnte etwas dabei sein, wo du dich informieren kannst, und das wollen Wir brauchen nur eins zu tun: wir auch in Zukunft weitergeben. Sie sollen das Gefühl haben, dass sie Uns ihm nicht in den Weg stellen. nicht allein sind. In Thüringen gibt es sehr viele Menschen, die betroffen Dr. Joe Dispenza sind und sich bei mir melden. Aus: Heal, Scorpio Verlag Quelle: natur & heilen, 02/2020, S. 7 Wir sind eine offene Gruppe mit eigenem Internetauftritt, dort kann man sich informieren oder uns auch kontaktieren. Wir bieten dann gern ein Individualgespräch vor dem ersten Gruppentreffen an. Unterstützt werden wir von der IKOS durch die Räumlichkeiten, die wir hier nutzen können. Im großen Gruppenraum finden die Treffen statt. Wir haben aber auch die Möglichkeit, den kleinen Gruppenraum für In- dividualgespräche zu nutzen bzw. parallel zu den Gruppentreffen, uns dort in kleinen Gruppen zusammenzufinden. Es gibt auch Themen, die gern abseits der Gruppentreffen besprochen werden möchten und wo die Beratung individuell stattfinden kann. Wir haben eine Altersgruppe von Schülern, also altersmäßig 15-16 bis hoch ins Rentenalter. Das Thema Trans ist also nicht altersbezogen, sondern es betrifft alle Altersgruppen der Bevölkerung. 17
CHANCE JENA Das reicht von Lesegeräten bis zu Haushaltshilfen und Arbeitsplatzaus- Jeder Mensch mit Behinderung hat einen Anspruch stattung. All das bieten wir an. Das finde ich ganz wichtig, weil ich oft- auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben … mals, wenn ich mir ein Hilfsmittel verordnen lassen möchte, erst einmal schauen muss, wie komme ich damit klar, weil die Hilfsmittel auch nicht Barrierearm ganz billig sind, und sie stehen dann bei den alten Leuten zu Hause rum, wenn sie damit nicht klarkommen. Wir haben auch die Möglichkeit, dass wir Gruppentreffen durchführen, haben 70 Mitglieder, die wir beraten und betreuen, so dass die Leute aus ihrer Isolation herausgeholt werden. Wir haben oftmals das Gefühl und wissen das auch, dass wenn ein Mensch nichts mehr sieht, er sich Blinden- und Sehbehindertenverband Jena e. V. meistens in seine vier Wände zurückzieht und dann Angst hat, wieder in der Öffentlichkeit aufzutreten. Oftmals ist es ja mit Handicaps verbunden, Mein Name ist Silke Aepfler, dass man irgendwelche Barrieren überwinden muss, und dann hat man und ich bin die Vorsitzende Angst, das zu zeigen, dass man eine Behinderung hat, dann hat man auch des Blinden- und Sehbehin- oft Angst, darüber zu sprechen und vor allem Hilfe anzunehmen. Das ist dertenverbandes Jena e. V. ein ganz großer und wunder Punkt. Hier haben viele Probleme und wol- Wir haben eine Beratungs- len nicht unbedingt Hilfe annehmen. stelle Blickpunkt Auge für Wir setzen uns in Jena ganz stark für alle Belange der Menschen mit alle Menschen mit Augen- Behinderungen ein, d. h. wir arbeiten in der Arbeitsgruppe des Beirats problemen, und ich selber für Menschen mit Behinderungen „Bauen und Verkehr“. Dort setzen wir bin betroffen. Bei uns beraten Betroffene die Betroffenen, was den Vorteil uns dafür ein, dass im ganzen Stadtgebiet barrierefrei gebaut wird, ob hat, dass ich weiß, wovon ich rede, weil ich den Ratsuchenden nachfüh- nun Bordsteinkanten, Ampeln oder Leitsysteme. Das liegt uns ganz stark len kann, wie es ist, wenn man schlecht oder gar nicht sieht. Selbsthilfe am Herzen, weil das ein Teil ist, bei dem ich sagen muss, wenn wir keine finde ich insofern ganz wichtig, weil man oftmals mit der Diagnose beim Barrierefreiheit haben, haben wir auch nicht die Möglichkeit, uns selbst- Augenarzt alleingelassen wird, d. h. man bekommt die Diagnose gesagt, ständig in der Stadt ohne fremde Hilfe zu bewegen. Und es gibt ja die und oftmals wissen die Leute dann gar nicht, was bedeutet eigentlich sogenannte UN-Behindertenrechtskonvention, die 2010 von Deutschland meine Augenkrankheit, wie schlimm wird es mal, und was habe ich für unterschrieben worden ist, laut der jeder Mensch mit Behinderung einen Möglichkeiten, damit ich mein Leben mit dieser Art von Behinderung wei- Anspruch auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hat ohne große Ein- terhin allein bewerkstelligen kann. Aus diesem Grund bieten wir bei uns schränkungen und ohne große Hilfe. Das möchten wir unseren Leuten in der Beratungsstelle an, dass die Leute zu uns kommen können, sei auch ermöglichen, Hinweise und Tipps geben und dafür sorgen, dass sie es zu Augenerkrankungen, sei es zu Sozialrecht, zur Frühförderung von wirklich diese Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auch meistern können. Kindern, zu Freizeitgestaltung, zur Hilfsmittelversorgung. Gerade bei der Hilfsmittelversorgung ist es bei uns möglich, viele dieser Hilfsmittel direkt Wir machen auch sehr viel Aufklärungsarbeit an Schulen. Wir begleiten auszuprobieren. dort Projekttage zum Thema „Leben mit Sinnesbehinderung“ und haben auch schon Kindergartenprojekte durchgeführt. Es ist eben ganz wichtig, dass man von klein auf darauf hinweist, was es bedeutet, wenn man schlecht sieht. Es war immer erstaunlich, dass diese kleinen Kinder schon sehr neugierig waren: Wie funktioniert das jetzt, wenn ich mit dem Lang- stock draußen herumlaufe oder, wenn ich etwas essen möchte, ohne dass ich etwas sehe. Das sind Projekte, die machen mir unheimlich viel Spaß, denn man kann die Kinder ganz einfach motivieren. Wir haben auch ein großes Netzwerk zu anderen Verbänden, sei es der Gehörlosenverband oder der Behindertenverband oder auch zu anderen Selbsthilfegruppen hier in der IKOS. Wir unternehmen auch gemeinsame Busfahrten, z. B. mit psychisch kranken Menschen zusammen. Silke Aepfler Kontakt: s.aepfler@blickpunkt-auge.de 18
CHANCE JENA Ich bin nicht gleich zur Selbsthilfegruppe gekommen. Ich habe mich zu- Die Gemeinschaft ist so unglaublich nächst auf meine Behandlung konzentriert, erstmal die Chemotherapie wichtig … hinter mich bringen wollen. Nach der OP kamen die Bestrahlung und dann die Anschlussheilbehandlung. Wenn ich jetzt eine Patientin berate Klischeefrei und in ein Gespräch gehe, dann ist meine erworbene Kompetenz durch das eigene Erleben wichtig. Ich bin aber trotzdem noch Laiin. Ich ersetze mit Sicherheit keinen professionellen Psychologen, auch keinen Arzt, son- dern das ist alles rein ehrenamtlich, was wir tun, aus der eigenen Erfah- rung heraus. Wir verweisen natürlich auch auf professionelle Hilfe, denn Professionalität und Augenhöhe sind ganz wichtig. Ich würde auch nie „Auffangen, informieren und begleiten“ einen ärztlichen Rat geben, das kann ich gar nicht, aber ich kann vom Er- _ Frauenselbsthilfe Krebs leben erzählen. Ein Arzt kennt die fachliche Seite, aber auf Augenhöhe zu sein und zu wissen, was es bedeutet, Chemo zu kriegen, was es bedeutet, die Krankheit auszuhalten, das Auf und Ab, das kann ich natürlich ganz anders nachempfinden, weil ich es aus dem eigenen Erleben kenne. Wenn eine Patientin erzählt, sie hätte dies oder das, dann weiß ich, wovon sie spricht. Wobei eine Selbsthilfegruppe immer noch ein Stiefkind ist, wenn jemand hört, dass man da mal hingehen soll. Dann kommt oft die Vor- stellung, dass ich meine eigenen Probleme habe, Kaffeeklatsch für alte Weiber oder was auch immer. „Das muss ich mir nicht antun, außerdem habe ich genug eigene Probleme. Das muss ich mir nicht anhören.“, hö- Mein Name ist Marion Astner, ich bin 2007 zur „Frauenselbsthilfe ren wir ganz oft. Ich erlebe es immer wieder, wenn bei uns in der Gruppe Krebs“ gestoßen. Unser Motto „Auffangen, informieren und begleiten“ sich dann endlich jemand traut, kommt und miterlebt hat, wie wir mitei- setzen wir um, indem wir Patientengespräche führen: heutzutage virtu- nander umgehen, wie das so abgeht, da kommt dann immer: „Mensch, ell oder telefonisch und natürlich auch durch das persönliche Gespräch. wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon früher zu Euch gekommen.“ Wenn eine Patientin in der Klinik liegt, bekomme ich von dort die Infor- Das ist dann für mich immer sehr schön, weil ich mir dann sage: „Okay, mation, dass sie dringend jemanden braucht, mit dem sie reden kann. wir machen es richtig!“ Dafür sind wir da, und ich gehe natürlich ans Bett und weiß nie, wie lange das Gespräch dauert. Aber das ist egal, denn in diesem Moment ist das Ich kann heute sagen, dass ich sehr glücklich bin darüber, in dieser Situ- Gespräch mit der verzweifelten Patientin wichtig. ation gewesen zu sein. Weil die vielen liebenswerten Menschen, die ich kenne und anrufen kann, sind jetzt wesentlich mehr als früher und wenn Wie kommen die Frauen zu uns? ich um Hilfe bitte, dann kriege ich die auch. Jede von uns weiß, was los Die Sozialkontakte ändern sich nach der Diagnose Krebs wirklich dras- ist, und es sind eine andere Ernsthaftigkeit, eine andere Authentizität und tisch. Bei dem man gedacht hat, die Beziehungen sind gefestigt, da bre- eine andere Ehrlichkeit da. Das zu akzeptieren, dass man nicht mehr volle chen sie plötzlich weg. Menschen haben immer noch im Kopf: Krebs ist Kanne leisten kann, aber trotzdem etwas wert ist, das war letztendlich die gleichzusetzen mit Tod. Auch bei diesen Gedanken begleiten und beraten schlimmste Übung. Es ist wirklich so, der Wert eines Menschen ist nicht wir Patientinnen, dass diese Angst wegkommt. Filmteam mit Marion Astner im Jenaer Paradies Wenn jemand so ganz unverhofft die Diagnose Krebs bekommt, heißt es immer noch ganz oft: Krebs ist Tod, und ich muss bald sterben. Abgese- hen davon, dass die Angehörigen selten damit umgehen können, fallen sie zudem oft auch hinten runter. Wir sind aber auch für sie da. Und sie dürfen auch bei uns sein, werden von uns aufgefangen. Ich als Patientin werde ja immer behandelt und betreut. Angehörige stehen meist dane- ben und können nicht viel machen. Sie versuchen es zwar, werden aber oftmals außen vor gelassen. Ich hatte großes Glück und immer jemanden bei Arztgesprächen dabei. Gehen Sie nicht allein zum Arzt! Nehmen Sie jemanden mit, denn vier Ohren hören mehr als zwei. Man kriegt in die- sem ganzen Stress, den man als Patientin hat, auch nicht immer alles mit. Da ist es immer gut, wenn man der Begleitung hinterher nochmal Verständnisfragen stellen kann. Ich hatte das Glück, dass meine Beglei- tung immer Antworten von den Ärzten und Pflegern bekommen hat, mit denen ich zu tun hatte. Wenn das mal nicht der Fall sein sollte, kann man das auch einfordern. Nur Mut dazu! 19
CHANCE JENA nur auf Leistung fixiert, was in der Gesellschaft leider ein bisschen vorge- macht wird, was aber gar nicht stimmt. Hier ist es so, dass ich schwach sein und das auch selber akzeptieren kann. Da helfen mir meine Mädels. Fragen an die SHG Leber- Es helfen immer ganz viele mit im Team, und ich bin ganz froh darüber, ein Teil davon sein zu dürfen. Ich mache meine Arbeit rein ehrenamtlich, transplantierte aber ich engagiere mich sehr gern, weil ich weiß, die Patientin, die gerade die Diagnose bekommen hat, braucht einfach die Hilfe. Ganz wichtig ist auch: Nicht nur Frauen sind bei uns willkommen, sondern auch Männer, denn es gibt auch Männer mit Brustkrebs. Bei uns ist es letztendlich egal, mit welcher Krebsform man kommt, denn die meisten Schwierigkeiten, besonders die sozialen, sind auch sehr ähnlich. Sicher gibt es spezifische Schwierigkeiten, das ist klar. Ich werde über Prostatakrebs nicht so viel erzählen können, aber ich habe auch jemanden in der Gruppe, der das hat, und die können sich untereinander unterhalten. Ich muss das nicht alles alleine machen, sondern das ist ein wunderbares Netzwerk. In den Gruppentreffen wird nicht nur über Krankheit gesprochen, sondern wir machen auch Ausflüge, und wir sind froh, uns zu treffen, uns aus- zutauschen und uns einmal länger als nur eine halbe Stunde zu sehen. Wir fiebern oft darauf hin, dass wir etwas zusammen unternehmen. Die Gemeinschaft untereinander ist so unglaublich wichtig. Und ich bin sehr Was würde Ihnen fehlen, wenn es keine Selbsthilfe gäbe? glücklich, zur Frauenselbsthilfe gekommen zu sein. Für uns Organtransplantierte ist die Selbsthilfe eine wichtige Ge- Ich möchte gern noch das Bild des Hamsterrades aufzeigen: Wir sind alle sprächs- und Austauschmöglichkeit. Menschen, die von einer Leber- in einem Hamsterrad und rennen und rennen. Für mich als Hamster im transplantation betroffen sind, wünschen sich oft vor oder nach der Rad sieht das Rad aus wie eine Leiter. Ich klettere Stufe für Stufe nach Operation den Kontakt und das Gespräch mit bereits Transplantierten. oben, komme aber keinen Millimeter weiter. Wenn ich dann bremsen will, Zu unseren Treffen kommen Patienten mit Leberproblemen, bereits überschlägt es mich, und es haut mich raus. Da kann ich nur sagen: „Raus Transplantierte oder die, die auf ein Spenderorgan warten, aber auch aus diesem Hamsterrad!“ Wir müssen nicht jeden Tag eine neue Stufe Angehörige, die sich im Gespräch und Erfahrungsaustausch über erklimmen, sondern wir müssen auf uns selbst achten. Selbstachtsamkeit medizinische, soziale und psychische Fragen informieren wollen. sich selbst gegenüber wird leider oftmals vernachlässigt, und das ist für Die Selbsthilfe hat uns allen sehr geholfen, mit dem neuen Organ mich auch ein ganz wichtiges Thema, den Patienten das auch zu vermit- und dem neuen anderen Leben, das damit verbunden ist, zurechtzu- teln. Ihr seid liebenswert, so wie ihr seid, auch, wenn ihr mal nicht leis- kommen. Daher können wir uns gar nicht so recht vorstellen, dass es tungsfähig seid. Das ist überhaupt nicht schlimm und das zu akzeptieren, diesen Anlaufpunkt nicht gibt. Selbsthilfe ist Hilfe für den Alltag. kann man lernen. Der Hauptfeind dafür sind wir meist selber, denn wir Was ist für Sie beim Gruppentreffen am wichtigsten? stellen zu hohe Ansprüche an uns, die wir dann irgendwann nicht mehr Neben der Aufklärung und dem Wissen spendet die Selbsthilfe Trost, erfüllen können. Bitte immer darauf achten, was fühlt der Körper, was Verständnis und Zusammenhalt, nimmt Ängste, lässt uns lachen und die ist gut für mich. Da hilft die Erfahrung, die wir in der Frauenselbsthilfe Dinge mit mehr Humor nehmen, ganz besonders die schwierigen Tage. Krebs haben, um sich selber dann wieder zu bremsen, sich wieder neu Was war bisher Ihr schönstes Erlebnis in der Selbsthilfe? auszurichten und zu sehen, wie es andere schaffen. Von Liebe getragen, Jedes Gruppentreffen ist für uns wertvoll und schön, weil es nicht gerade in dieser verrückten Zeit, kann ich nur sagen, sich zu trauen, mit- selbstverständlich ist, aber das erste Treffen in diesem Sommer nach zumachen, zu uns zu kommen. Wir suchen natürlich auch nach Aktiven, eineinhalb Jahren Corona inklusive aller Lockdowns war sicher mit die ehrenamtlich bei uns mitarbeiten. Nur Mut, kommt dazu, und traut die größte Freude. euch einfach, vergesst die Klischees, die im Kopf sind. In der Gemein- schaft selber lässt sich vieles leichter ertragen, weil wir alle die gleiche Wenn ich an Selbsthilfe denke, dann… Betroffenheit haben. Es ist in Ordnung, auch mal nicht so zu fühlen, wie … denke ich an Aufklärung und Vermittlung von Wissen, Zusammen- man meinte, dass man sein müsste. Schwach sein ist keine Schwäche, halt, Trauerbewältigung, aber auch Freude, Erleichterung und Glück. sondern es ist eine Stärke, das zu akzeptieren. In der Selbsthilfe trifft man Menschen, die Verständnis für die eigene Situation haben, und man bekommt wertvolle Hinweise für den Um- Jederzeit ein herzliches Willkommen an alle zur Frauenselbsthilfe gang mit bürokratischen Notwendigkeiten. Der Kontakt zu anderen Krebs. Betroffenen gibt Hoffnung und neue Ideen. Zusammen können wir viel mehr erreichen für jeden Einzelnen. Kontakt: Marion Astner Christine Wehling, Leiterin der SHG Lebertransplantierte Photo by Shane Rouncea on unsplash m.astner@frauenselbsthilfe.de 20
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