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INKLUSIV Magazin für Menschen mit und ohne Behinderungen Ausgabe 01/2020 Heftnummer 233 AKTUELL EINKAUFSSTRASSENSTUDIE NEUES ANGEBOT ÖZIV SUPPORT BERATUNG INTERVIEWS MIT PRÄSIDENT UND GENERALSEKRETÄR DES ÖZIV Foto: uschi dreiucker / pixelio.de www.oeziv.org
ÖZIV // Vorwort Präsident VORWORT Liebe Mitglieder, Fotos: Privat Seit Jahresbeginn haben wir ja eine neue Regierung mit einem Regierungsprogramm und das erste Quartal des neuen Jahres neigt sich bereits dem Ende zu: wir haben die Zeit genützt und in etlichen Ministerien bereits Antrittsbesuche absolviert, um auf die Anliegen von Menschen mit Behinderungen aufmerk- sam zu machen. Herbert Pichler und Rudolf Kravanja Bei unseren bisherigen Gesprächspartner*innen stießen wir jedenfalls auf Interesse und offene Ohren und wir sehen der künftigen Zusammen- zu schaffen. In einer Presseinformation, die arbeit mit Zuversicht entgegen. Das Positive am auf unserer Website www.oeziv.org im Bereich aktuellen Regierungsprogramm ist jedenfalls, „Medien & Presse“ abrufbar ist, haben wir dass Menschen mit Behinderungen so vielfältig unsere Ideen zum Thema Pflege bereits de- abgebildet sind wie in keinem Regierungspro- poniert – und natürlich haben wir die Themen gramm zuvor. Dieser Umstand stimmt uns auch beim Antrittsbesuch im Sozialministerium optimistisch, auch wenn viele Punkte noch recht angesprochen. vage gehalten sind. Mit Nachdruck widmen wir uns natürlich auch Zu verbessern gibt es für Menschen mit Behin- dem Dauerbrenner „Barrierefreiheit“, sowie derungen jedenfalls noch eine ganze Menge. allen Themen, die zur Gleichberechtigung von Insbesondere benötigen wir eine dringende Menschen mit Behinderungen dringend not- Trendumkehr am Arbeitsmarkt. Während in wendig sind! den letzten Jahren die Arbeitslosenzahlen insgesamt kontinuierlich zurückgingen, stiegen Auch ÖZIV-intern haben wir einiges vor: wir sie bei Menschen mit Behinderungen bzw. wollen uns bemühen, dass alle Landes-, Mit- gesundheitlichen Vermittlungseinschränkun- glieds- und Bezirksorganisationen sowie der gen Monat für Monat an. Schon im letzten Jahr Bundesverband näher zusammenrücken. Nur hat eine Arbeitsgruppe von verschiedenen so können wir unsere Größe und Präsenz Organisationen strategische Vorschläge für in jedem Bundesland ausnützen, um erster einen inklusiven Arbeitsmarkt vorgelegt. Der Ansprechpartner der Politik zu sein. Auf die 5-Parteien-Entschließungsantrag im Parlament Kooperation mit allen Funktionär*innen, (siehe Seite 36) ist ein erster Schritt in die rich- ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbei- tige Richtung. ter*innen freuen wir uns sehr! Am politischen Jahresprogramm der Bun- Ihr Präsident Herbert Pichler & desregierung steht das Thema „Pflege“. Da Ihr Generalsekretär Rudolf Kravanja der ÖZIV maßgeblich an der Einführung des Pflegegeldes Anfang der 1990er Jahre beteiligt war, werden wir uns zu diesem Thema jeden- falls massiv einbringen. Unser oberstes Ziel dabei ist es, Menschen mit Behinderungen aus dem Pflegegeld herauszulösen und für diesen Herbert Pichler & Bezieherkreis stattdessen ein „Inklusionsgeld“ Rudolf Kravanja www.oeziv.org INKLUSIV 3
ÖZIV // Inklusiv Inhalt ÖZIV Bundesverband 03 16 24 VORWORT INTERVIEW ÖZIV-MEDIENPREIS Präsident & Generalsekretär mit ÖZIV-Generalsekretär Siegerartikel von des ÖZIV Österreich Rudolf Kravanja Mareike Boysen 07 27 VORWORT FAIR FÜR ALLE Geschäftsführung ÖZIV Bundesverband nun des ÖZIV Österreich zertifiziert 08 28 EINKAUFSSTRASSEN- FORUM LICHTERKETTE STUDIE 2019 zur Barrierefreiheit 30 KONKRETE 18 FORDERUNGEN Frauen mit Behinderungen ES IST NOCH EIN WEITER WEG Statements Klaus Widl und Margarete Brennsteiner 20 SUPPORT BERATUNG erweiterte Angebote 12 INTERVIEW mit ÖZIV-Präsident Herbert Pichler 32 AUSSTELLUNGSBESUCH Ein besonderer Museumsbesuch 22 MIT SPITZER FEDER Keine Scheu, aber Respekt 4 INKLUSIV www.oeziv.org
ÖZIV // Inklusiv Inhalt ÖZIV Regional IMPRESSUM Herausgeber und Verleger: 34 45 ÖZIV Bundesverband, Interessenvertretung für KURZNACHRICHTEN ÖZIV TIROL Menschen mit Behinderungen 1110 Wien, Hauffgasse 3-5, 3. OG 38 48 T: +43 (0)1/513 15 35 buero@oeziv.org ÖZIV ARBEITS- ÖZIV VORARLBERG Erscheinungsweise: 4-mal jährlich ASSISTENZ STOMA-Selbsthilfe Vertrieb: Österreichische Post AG, 40 Lesezirkel Chefredaktion: ÖZIV RECHT Hansjörg Nagelschmidt Pflegekarenz und Mitarbeiter*innen dieser Ausgabe: Pflegeteilzeit Angelika Parfuss, Doris Kreindl, 42 Daniela Rammel, Birgit Büttner, DIESMAL: 50 Isabella Aigner, Nicole Weidinger, Wolfi Drabek, Reinhard Leitner, Man- fred Fischer, Nicole Weidinger ÖZIV KÄRNTEN IN HAMBRUG Layout: mit Reimhard Reiseleitner 52 CK Medienverlag GmbH, 9020 Klagenfurt ÖZIV BURGENLAND Medieninhaber, Satz, 54 Anzeigen und Druck: Die Medienmacher GmbH 8151 Hitzendorf, Oberberg 128 CLUB 81 Zweigstelle: 4800 Attnang-Puchheim, Römerstraße 8 56 T: +43 (0)7674/62 900-0 office@diemedienmacher.co.at ÖZIV WIEN Zulassungsnummer: 44 58 GZ15Z040585 N ZVR: 453063823 ÖZIV TERMINE Events und Veranstaltungen CBMF Bei bezahlten Anzeigen liegt die inhalt- liche Verantwortung beim Auftragge- ber. Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach §44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Für unverlangt eingesandte Manuskrip- Wir danken den nachfolgenden Firmen und te und Fotos sowie Satz- und Druckfeh- Institutionen für einen Druckkostenbeitrag: ler übernehmen wir keine Haftung. Gemeinde Roitham, 4661 Roitham • Fa. Eckerstorfer Stefan Sollten Sie ÖZIV INKLUSIV nicht mehr e.U., 4113 St.Martin im Mühlkreis • Gebr. Ing. Angermay- erhalten wollen, so können sie das er, BaugesmbH, 4481 • Asten Marktgemeinde Wagrain, Magazin jederzeit abbestellen. 5602 Wagrain • Fleischerei, Johannes Traunmüller, 4203 Anregungen und Infos an: Altenberg • Rosenbauer International AG, 4060 Leonding redaktion@oeziv.org • Stadtgemeinde Schwanenstadt, 4690 Schwanenstadt • Gemeinde Piesendorf, 5721 Piesendorf www.oeziv.org INKLUSIV 5
ÖZIV // Vorwort VORWORT Liebe Leserinnen und Leser! Mit viel Elan sind wir beim Bundesverband ins Jahr 2020 gestartet. Etliche Projekte hatten wir natürlich schon länger in Vorbereitung, können aber nunmehr auch darüber berichten. Beispielsweise starteten wir mit Jahresbeginn in vorerst drei Pilotbundesländern (Wien, Salzburg und Tirol) mit einem neuen Angebot, nämlich der ÖZIV SUPPORT Heranführungsbe- ratung. Wir arbeiten dabei eng mit den Verant- wortungsträger*innen der ÖZIV Landesorga- nisationen und SUPPORT Teams in Tirol und Gernot Reinthaler und Erika Plevnik Salzburg zusammen. In Wien wird SUPPORT ja vom Bundesverband selbst durchgeführt. Seite 27) Derzeit sind weitere Zertifizierungen Ziel des neuen Angebotes ist es, die Lebenssi- im Laufen – und ÖZIV INKLUSIV wird berichten. tuation der Klient*innen zu verbessern, denn viele Menschen mit Behinderungen haben Schon Tradition hat unsere Einkaufsstra- unterschiedliche Fragen, die unter den Nägeln ßen-studie. Dieses Mal hat das Team von brennen. Vorrangig werden Grundprobleme ÖZIV ACCESS die barrierefreie bzw. stufenlose besprochen, wie beispielsweise Fragen zu Zugänglichkeit von Geschäftslokalen in den Mobilität, finanzielle Unterstützungsleistungen, Einkaufsstraßen der Landeshauptstädte Ei- Wohnen, chronische Erkrankungen, Rehabilita- senstadt, Innsbruck, Salzburg und St, Pölten tion etc. Hilfestellung gibt es außerdem bei be- erhoben. So viel sei an dieser Stelle verraten: hördlichen Anträgen wie Feststellungsbescheid, zufrieden sind wir mit den Ergebnissen nicht! Behindertenpass, Reha- oder Pflegegeld sowie Denn im Durchschnitt war nur jedes zweite Ge- Berufs- und Invaliditätspension. Ab der Seite schäft ohne Stufe zu erreichen. Die Detail-er- 20 können Sie weitere Details über das neue gebnisse stellen wir Ihnen ab Seite 8 vor. Angebot erfahren. Viel getan hat sich auch bei unseren Landes- Aufmerksame Leser*innen der ÖZIV INKLUSIV und Mitgliedsorganisationen: neue Koopera- kennen natürlich das Gütesiegel FAIR FÜR tionen, Magic Moments, Auszeichnungen des ALLE, das Unternehmen und Institutionen Bundeslands, viele Veranstaltungen für die Mit- kennzeichnet, die sich intensiv und umfassend glieder. Ab Seite 45 finden Sie einen Überblick, mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigen. was in den Bundesländern so alles passiert. Rund 20 Behindertenorganisationen waren an Herzliche Grüße der Entwicklung von FAIR FÜR ALLE beteiligt, Seit letztem Jahr ist die Koordinierungsstel- le des Zertifikats beim ÖZIV Bundesverband angesiedelt. Grund genug für uns, dass wir uns Erika Plevnik & nunmehr ebenfalls dem Zertifizierungsprozess gestellt haben und nunmehr mit dem Zertifikat Gernot Reinthaler ausgezeichnet wurden (Siehe Bericht auf den Geschäftsführung des ÖZIV Bundesverbandes www.oeziv.org INKLUSIV 7
ÖZIV // Coverstory EINKAUFSTRASSEN- STUDIE 2019 zur Barrierefreiheit in Eisenstadt, Innsbruck, Salzburg und St. Pölten Text: Angelika Parfuss I m Jahr 2019 wurden die Ergebnisse von 2017 sind nur 41,4% der Geschäfte ohne Stufen. Das (Erhebung on Innsbruck, Salzburg und St. entspricht 46 Geschäften. Pölten) wiederholt und um die Daten aus Eisenstadt ergänzt. Das schlechteste Ergebnis ist mit nur 40,0% stufenlos zugänglichen Geschäftslokalen in der In folgender Tabelle sind die Detailergebnisse Stadt Salzburg zu finden (195 Geschäftslokale). zu der erhobenen Stufenzahl nach Städten. Das bedeutet, in Eisenstadt und Salzburg ist Anzahl Stufenlos 1 Stufe 3 Stufen Stadt 2019 2 Stufen Geschäfte (bis 3cm) (ab 3cm) und mehr Eisenstadt 111 41,4% 34,8% 21,7% 13,1% Innsbruck 576 58,3% 21,9% 9,7% 10,1% Salzburg 488 40,0% 37,5% 12,9% 9,6% (2020) St. Pölten 213 61,0% 27,2% 7,5% 4,3% Gewichteter (Summe) 50,9% 29,8% 10,7% 8,5% Durchschnitt 1.388 Durchschnittlich 50,9% der untersuchten Ein- nicht einmal jedes zweite Geschäft ohne Stufen gänge aller Geschäftslokale in den erhobenen erreichbar. Einkaufsstraßen sind stufenlos zugänglich. Das entspricht 707 von insgesamt 1.388 Geschäf- Im Vergleich zu den Daten aus dem Jahr 2017 ten. Insgesamt 414 Geschäftslokale (29,8%) gab es kaum Änderungen. haben eine Schwelle oder Stufe. Die restlichen 267 Eingänge (19,2%) haben zwei oder mehre- Ergebnis Ergebnis re Stufen. 2017 2019/2020 Städte im stufenlose stufenlose Vergleich Die Auswertung macht die großen Unterschie- Geschäfts- Geschäfts- de in den einzelnen Städten deutlich. Sankt lokale lokale Pölten hat mit 61,0% das beste Ergebnis - das Eisenstadt Keine Daten 41,4% entspricht 130 Geschäftslokalen. Innsbruck Innsbruck 58,0% 58,3% weist mit 58,3 % das zweitbeste Ergebnis auf. Das entspricht insgesamt 336 Geschäftsloka- Salzburg 39,2% 40,0% len, die stufenlos zugänglich sind. In Eisenstadt St. Pölten 57,6% 61,0% 8 INKLUSIV www.oeziv.org
ÖZIV // Coverstory Wie man an den Daten im Vergleich sieht, Jahr 2017 konnten nicht die gesamten Straßen hat sich die Barrierefreiheit nur in St. Pölten erhoben werden. Die Daten aus Eisenstadt und Salzburg geringfügig verbessert. Dieses kommen neu dazu.) Daher kam es in den ein- Ergebnis ist auf den Umbau in der Linzer zelnen Branchen zu größeren Änderungen. Wie Gasse (Salzburg) und in der Kremser Gasse man aber auch feststellen kann, ist die Ten- (St. Pölten) zurückzuführen. In beiden Städten denz ähnlich. Bei den größten Branchen wie konnten nach einem Umbau im Jahr 2017, im „Fachhandel“ (48,8%) und die „Gastronomie Jahr 2019, beziehungsweise 2020 mehr Daten und Hotellerie“ (46,3%) sind nicht einmal die erhoben werden, da der Umbau hier bereits Hälfte aller erfassten Geschäftslokal stufenlos beendet war. geblieben. Kaum Verbesserung gab es auch in der „Mode“-Branche. Hier waren von 360 In Innsbruck ist das Ergebnis annähernd gleich- Geschäften nur 183 ohne Stufen zu erreichen – geblieben. Hier gab es eine marginale Verbes- nur ein Prozent mehr als im Jahr 2017. serung von 0,3 Prozentpunkten. Wie man anhand der untenstehenden Tabelle In Eisenstadt wurden im Jahr 2017 noch keine erkennen kann, verfügen einzig Einkaufszentren Daten erhoben. Die Studie soll sukzessiv um und der orthopädische Fachhandel zu 100 Landeshauptstädte erweitert werden. Prozent über stufenlose Eingänge. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass nur die Eingänge Grundsätzlich ist festzuhalten, dass im Jahr zu den Einkaufszentren erhoben wurden. Die 2019/2020 mehr Geschäfte erhoben wurden Eingänge der innen liegenden Geschäftslokale als im Jahr 2017. (Auf Grund von Bauarbeiten berücksichtigten wir nicht. Hier ist anzu- in der Kremser-Gasse und Linzer Gasse im nehmen, dass es auch innerhalb der Stufenlos Anzahl Ge- Stufenlos Daten nach Branchen 2017 schäfte gesamt 2019/2020 Prozentsatz der stufenlosen Geschäfte (bis 3cm) 2019/2020 (bis 3cm) Branche (A) Apotheke 61,5% 15 53,3% Branche (B) Bank und Post 66,7% 23 82,6% Branche (C) Beratungsstellen, Reisebüro, 47,4% 30 50,0% Immobilien Branche (E) Einkaufszentrum 100,0% 6 100,0% Branche (F) Fachhandel 48,2% 279 48,8% Branche (G) Gastronomie und Hotel 45,0% 246 46,3% Branche (H) Orthopädischer Fachhandel 50,0% 6 100,0% Branche (K) Körperpflege und Gesundheit 48,3% 86 45,4% Branche (L) Lebensmittel und Bäckerei, 62,7% 67 58,2% Branche (M) Mode 49,8% 360 50,8% Branche (Ö) Ämter und Behörden 58,3% 30 60,0% Branche (S) Sakralbauten und Kultstätten 72,7% 14 57,1% Branche (T) Veranstaltungsstätten 50,0% 8 87,5% Branche (V) Verschiedenes (Trafiken) 60,7% 149 56,4% Branche (X) Leerstehende Geschäfte 44,4% 69 36,2% www.oeziv.org INKLUSIV 9
ÖZIV // Coverstory Geschäftslokal mit 2 Stufen, Eisenstadt Innenstadt 2019 Einkaufszentren einen sehr hohen Grad an der vorliegenden Ergebnisse würde man sich stufenlosen Eingängen gab. wünschen, dass Barrierefreiheit wesentlich besser umgesetzt wäre. Eine deutliche Steigerung gab es in der Bran- che der „Banken und Post“ (von 66,7% auf Barrieren im baulichen sowie gestalterischen 82,6%) und der Branche „Veranstaltungsstät- Bereich und insbesondere die Barrieren in den ten“ (von 50,0% auf 87,5%). Einen Rückgang Köpfen stellen eine erhebliche Einschränkung gab es in der Kategorie „Verschiedenes“, in der für Kund*innen mit Behinderungen dar. Die viele Trafiken erfasst wurden (von 60,7% auf selbstbestimmte Wahl eines Geschäftsloka- 56,4%), und auch bei den „Apotheken“ (von les wird mancherorts stark eingeengt und 61,5% auf 53,3%), der Branchen „Körperpflege manchmal sogar unmöglich gemacht. Obwohl und Gesundheit“ (von 48,3% auf 45,4%) sowie manche Einkaufsstraßen eine relativ hohe „Lebensmittel und Bäckerei“ (von 62,7% auf Zugänglichkeit aufweisen, darf nicht vergessen 58,2%). Die größte Reduktion betrifft die erfass- werden, dass es noch Etliches zu tun gibt. ten „Sakralbauten“ (von 72,7% auf 57,1%) und ist auf die vergrößerte Stichprobe zurückzufüh- Das ist schade, denn so entgehen den Ge- ren. schäftsinhabern Kunden. Auch Menschen mit Mobilitätseinschränkung oder Rollstuhlfah- Insgesamt ist festzustellen, dass keine der un- rer*innen gehen gerne einkaufen. Das findet tersuchten Einkaufsstraßen zur Gänze barrie- auch Isabella Aigner. Sie ist Mitarbeiterin von refrei ist. Durchschnittlich betrachtet ist gerade ÖZIV ACCESS und Rollstuhlnutzerin. „Ich als einmal jedes zweite Geschäftslokal der unter- sehr aktive Rollstuhlfahrerin lege großen Wert suchten Einkaufsstraßen stufenlos zugänglich. darauf, auch beim Einkaufen viele Möglichkei- Es gab große Unterschiede zwischen den ten zu haben. Damit dies möglich ist, sind ein Städten zu verzeichnen. So hatte St. Pölten an barrierefreier also stufenloser Zugang in den relativen Zahlen gemessen die bisher besten Geschäften und möglichst breite Gänge für Ergebnisse. Die Stadt Salzburg und Eisenstadt mich die Voraussetzung. Außerdem benötige hingegen haben noch großen Aufholbedarf. ich barrierefreie Umkleidekabinen mit Hal- tegriff. Wenn ich etwas besorge oder neues Entsprechend dem Bundes-Behindertengleich- Gewand haben möchte, bevorzuge ich Ein- stellungsgesetz sollten bereits seit 2016 alle kaufsstraßen mit mindestens 70% stufenlosen Geschäftslokale barrierefrei sein. Angesichts Geschäftslokalen.“ 10 INKLUSIV www.oeziv.org
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ÖZIV // Bundesverband „DER ÖZIV SOLL IN JEDEM BUNDESLAND ERSTER ANSPRECHPARTNER FÜR DIE (LANDES-)POLITIK WERDEN“ ÖZIV-Präsident Herbert Pichler im Interview Fotos: Michael Janousek/Österreichischer Behindertenrat Am Delegiertentag im Sep- möchte. Das Gespräch führte bist du zudem Präsident tember 2019 wurde Herbert INKLUSIV-Chefredakteur des Behindertenrats. Wie Pichler zum neuen ÖZIV-Prä- Hansjörg Nagelschmidt. passen diese beiden Ämter sidenten gewählt. Mit ÖZIV zusammen und was willst INKLUSIV sprach er über seine Beim letzten ÖZIV Ver- du als ÖZIV-Präsident in den Pläne für den ÖZIV, das neue bandstag wurdest du zum nächsten Jahren erreichen? Regierungsprogramm, aktuel- Präsident des ÖZIV Bundes- le behindertenpolitische The- verbands gewählt, wo du Herbert Pichler: Beide Funk- men und welche politischen schon länger als Vize-Präsi- tionen passen sehr gut zuein- Forderungen er durchsetzen dent aktiv warst. Seit 2017 ander. Ich würde sogar sagen, 12 INKLUSIV www.oeziv.org
ÖZIV // Bundesverband dass es in der Doppelfunktion dass wir nach außen mit einer Schul-Inklusion ist mir eben- einen Synergie-Effekt gibt. Stimme sprechen. Meine Visi- falls sehr wichtig. Natürlich muss ich dabei auf on dazu ist, dass wir in jedem eine Abgrenzung der beiden Bundesland mit denselben Behindertenpolitik ist – wie Funktionen achten. Deswegen Anliegen auftreten – so kön- wir immer so schön sagen war es sinnvoll Rudolf Kra- nen wir auch Einheitlichkeit – eine Querschnittsmate- vanja zum Generalsekretär in vielen wichtigen Fragen in rie, die viele Bereiche und zu bestellen (siehe Interview ganz Österreich erreichen. Ministerien betrifft. Welche Seiten 16 bis 17), der gemein- behindertenpolitischen The- sam mit der Geschäftsführung Seit Jänner steht die neue men liegen dir für die nä- künftig auch Aushängeschild türkis-grüne Regierung here Zukunft besonders am sein soll, damit der ÖZIV ent- und damit auch ein neues Herzen? Wir bitten dich um sprechend präsent bleibt und Regierungsprogramm. Zu- deine Statements zu einzel- nicht untergeht. Dabei spielt frieden mit den Plänen der nen Themenbereichen… eine entsprechende politische Regierung, was Menschen Positionierung von Generalse- mit Behinderungen betrifft? Herbert Pichler: Was mir kretär und Geschäftsführung Gibt es Punkte, wo du dir leider wirklich im Regie- eine wesentliche Rolle. mehr erwartet hättest? rungsprogramm fehlt, ist die Reform des Bundesbehin- Als Präsident des ÖZIV ist Herbert Pichler: Viele Punk- dertenbeirats. Es ist richtig, es mir sehr wichtig, dass te sind sehr oberflächlich dass Behindertenpolitik wir als Verein noch näher beschrieben, da hätte ich Querschnittsmaterie ist und zusammenwachsen und einen mir schon etwas mehr Tiefe deshalb passt es nicht, dass gemeinsamen Weg gehen erwartet. Andererseits ergibt diese Agenden nur beim wollen. Ein wichtiges Ziel sich dadurch auch eher die Sozialministerium liegen und ist, in allen Bundesländern Chance der Mitgestaltung als andere Ministerien immer auf eine entsprechend starke wenn schon alle Details fix das Sozialministerium weiter- Interessenvertretung zu sein vorgegeben wären. verweisen. Richtig wäre aus – schließlich ist der ÖZIV der meiner Sicht eine Ansiedlung einzige Verband im Behinder- Ich kann mich an kein Regie- des Beirats beim Bundes- tenbereich, die es schaffen rungsprogramm erinnern, in kanzleramt. Ich denke, zu kann, in jedem Bundesland dem Menschen mit Behinde- diesem langfristigen Thema erster Ansprechpartner für rungen so vielfältig abgebildet wäre eine breite Diskussion die Politik zur Verfügung zu wurden, wie im aktuellen nötig. Denn derzeit fehlt die stehen. Der ÖZIV hat durch Programm. Das ist als sehr Auseinandersetzung des seine Präsenz in jedem Bun- positiv zu beurteilen. Dieses Bundeskanzleramts sowie der desland vom Burgenland bis Mal kommen Menschen mit unterschiedlichen Ministerien nach Vorarlberg dafür die Behinderungen nicht nur in mit dem Thema Behinderung. besten Voraussetzungen, die- einem kurzen Absatz sondern se wichtige Rolle zu besetzen. an vielen unterschiedlichen Thema Arbeitsmarkt Auch wenn viele Gesetze auf Stellen vor: bei der Arbeits- Herbert Pichler: Mit der Bundesebene gemacht wer- marktpolitik, der Schulpolitik, Arbeitsmarktpolitik der den, spielt der Föderalismus Gesundheitspolitik und so letzten Jahre bin ich sehr eine große Rolle. Als ÖZIV weiter. Besonders gut gefällt unzufrieden! Mein Eindruck können wir in den jeweiligen mir auch, dass ganz klar ist, dass sich das AMS in Bundesländern nahe an der die Forderung „Gehalt statt 10-Jahresschritten etwas Landespolitik viel erreichen, Taschengeld“ im Regierungs- Neues überlegt, um Men- wenn wir schnell und AKTIV programm festgehalten wur- schen mit Behinderungen agieren. de, da dies ein wesentlicher loszuwerden bzw. an das Um bestmöglich behinderten- Schritt zu gleichberechtigter Sozialministeriumservice politischen Einfluss ausüben Teilhabe ist. Und die aus- weiterzureichen. 1998 wurde zu können, ist es sehr wichtig, drücklich angesprochene die besondere Zielgruppe www.oeziv.org INKLUSIV 13
ÖZIV // Bundesverband beispielsweise AMS und SMS Tatsache ist, dass die Un- besser kooperieren, alle terschiede bei der Barriere- AMS-Berater*innen werden freiheit nicht nur innerhalb gemeinsam mit dem ÖZIV Österreichs zum Teil sehr besser geschult, und alle groß sind, auch länderüber- sozialökonomischen Betriebe greifend ergeben sich hier werden wieder für betroffene Riesenunterschiede. Ein po- Personen geöffnet. sitives Beispiel wäre Kanada: selbst im kleinsten Dorf, oder Davor wurde schon erreicht, in abgelegenen Naturparks Menschen mit Behinderungen wird dort auf barrierefreie nach 20 Jahren endlich wieder Ein- und Zugänge geachtet, als besondere Zielgruppe weil das Thema von Anfang beim AMS zurückzuholen. an mitberücksichtigt wird. Wichtig ist auch, dass es für Dort ist das eine Selbstver- die Zielgruppe entsprechende ständlichkeit, während bei Sonderfördergelder gibt. uns Barrierefreiheit immer noch als zusätzlicher Aufwand Beim Ausgleichstax-System ist betrachtet wird. Ebenso die „Menschen mit Behinderun- es ganz wichtig, vom Bestra- skandinavischen Länder ha- gen“ aufgehoben, 2008 wurde fungssystem wegzukommen. ben in Europa diesbezüglich erstmals der Pilotversuch der Derzeit betrifft das System eine Vorbildfunktion. Gesundheitsstraße eingeführt, aufgrund der Unternehmens- wo bei der PVA aus rein me- struktur rund 3 Prozent der Thema Inklusive Schulen dizinischer Perspektive über Betriebe. Künftig fordern wir Herbert Pichler: Es ist wirk- Arbeitsfähigkeit geurteilt wird von allen Unternehmen einen lich höchst an der Zeit im und Themen wie persönliche kleinen Solidaritätsbeitrag, der Bildungsbereich einen konkre- Assistenz, Hilfsmittel etc. sich vom Umsatz oder Gewinn ten Etappenplan zu erstellen, keine Berücksichtigung in der berechnet. Im Gegenzug sol- bis wann das Ziel inklusive Beurteilung finden, was be- len solche Unternehmen, die Bildung erreicht werden soll. sonders bei jungen Menschen Menschen mit Behinderungen Der Prozess selbst sollte dann mehr als problematisch ist. beschäftigen einen entspre- entsprechend begleitet und Und 2018 dann die Idee mit chend spürbaren Bonus erhal- evaluiert werden, weil es hier dem Algorithmus, der zur ten. Ein großer Zusatzeffekt Ängste und Unsicherheiten Folge hat, dass Menschen mit der Maßnahme: zumindest gibt. Es geht auch darum gesundheitlichen Einschrän- einmal im Jahr wird jedes Fronten aufzuweichen, die ja kungen in jener Gruppe Unternehmen dann mit dem in der Bildungsfrage beson- landen, in der es so gut wie Thema Beschäftigung von ders starr sind. Letztendlich keine Unterstützung mehr Menschen mit Behinderungen ist gute Ausbildung essenziell durch das AMS gibt. Das wür- konfrontiert. wichtig für bessere Chancen de grundsätzlich immerhin am Arbeitsmarkt – ich weiß rund 84.000 gesundheitlich Thema Barrierefreiheit das als ehemaliger Sonder- beeinträchtigte und behinder- Herbert Pichler: Kaum eine schüler aus eigener Erfahrung. te Menschen betreffen, die so andere Organisation ist aufs Abstellgleis geschoben so stark und engagiert am Ein Thema, dem sich die werden. Thema Barrierefreiheit dran- Regierung in diesem Jahr geblieben wie der ÖZIV. Das besonders widmen möchte, Immerhin haben wir es Thema wäre sonst nämlich ist das Thema „Pflege“. gemeinsam mit der Behinder- mit Ablauf der Übergangsfrist Welche Forderungen bzw. tenanwaltschaft geschafft, aus dem Fokus geraten, aber Wünsche werden von Seiten hier drei Verbesserungen dank des ÖZIV ist das nicht des ÖZIV Bundesverbands zu erreichen: künftig sollen passiert. hier erhoben? 14 INKLUSIV www.oeziv.org
ÖZIV // Bundesverband Herbert Pichler: Heuer ist Herbert Pichler: Seit Jahr- das „Jahr der Pflege“ und wir zehnten hat sich der Weiße haben dazu auch beim Dele- Hof einen exzellenten Ruf giertentag einen entsprechen- erarbeitet und großartige den Beschluss verabschiedet. Erfolgsstories in der REHA von Unser oberstes Ziel ist es, Unfall-Opfern etc. vorzuwei- Menschen mit Behinderungen sen. Diese Struktur mutwillig (mindesteingestufte Personen aufzugeben für einen neuen nach §4a BundespflegeGe- Standort in Wien, ist für uns setz) aus dem Pflegegeld nicht nachvollziehbar. Ich herauszulösen und für diesen fordere die AUVA als Träger Bezieherkreis stattdessen ein des REHA-Zentrums auf, eine „Inklusionsgeld“ zu schaffen. Absiedelung vom bewährten Wir wollen auch erreichen, Standort nicht gegen die Inte- dass mehr Personengrup- ressen der selbstbetroffenen pen dieses Inklusionsgeld Menschen durchzuführen. beziehen können und eine Der Standort Klosterneuburg Mindesteinstufung erhalten. zeichnet sich durch seine Damit würde die teils ent- naturnahe und ruhige Lage Behinderungen. Das große würdigende Bettelei bei der aus, die einen wesentlichen ABER betrifft jedoch das The- Pflegegeld-Einstufung – wie Faktor bei der Genesung und ma Mobilität und öffentliche es das jetzt teilweise gibt – Erholung der Menschen spielt. Verkehrsmittel: hier besteht wegfallen! Diese Vorteile wären in Meid- ein enormes Kommunikati- ling wohl kaum gegeben. onsdefizit seitens der Wiener Mit dem „Inklusionsgeld“ Linien, die uns Interessensver- wäre dann ausreichend Die wichtigste Wahl im Jahr treter*innen lediglich Ergeb- Geld zur Verfügung um eine 2020 ist wohl die Wiener nisse präsentieren, aber nicht bundeseinheitliche Regelung Landtagswahl im Herbst. wirklich an einer Einbindung der persönlichen Assistenz zu Wie stellt sich aus deiner interessiert sind – und das oft schaffen, das Ziel „Lohn statt Sicht die Situation von sehr kurzfristig. Das bringt Taschengeld“ zu erreichen MmB in Wien dar? Was ist die Barrierefreiheit im öffent- oder einen One-Stop-Shop im Vergleich zu anderen lichen Verkehr wirklich in Ge- für Hilfsmittel zu etablieren. Bundesländern besonders fahr und so fordern wir hier Eingebunden in die Finan- gibt und wo hat die Bundes- einen Dialog auf Augenhöhe, zierung werden sollten aus hauptstadt Schwächen bzw. wie er beispielsweise bei den meiner Sicht auch die Sozial- Nachholbedarf? ÖBB gegeben ist. versicherungen, das AMS und die Länder – Vorbild dieser Herbert Pichler: Grundsätz- Vielleicht noch ein Neuregelung könnte das lich ist in Wien die Lebens- Schluss-Statement von dir? fit2work-Modell sein, wo dies qualität sehr hoch. Wien ist bewährte Praxis ist. Wenn wir sehr fortschrittlich, was das Zum Abschluss des Interviews das schaffen würden, wären persönliche Assistenz-System möchte ich noch sagen, dass wir der Inklusion – auch im betrifft. Allerdings hat das die Erreichung unserer ehr- Sinne der Selbstbestimmung persönliche Assistenzbudget geizigen Ziele uns als ÖZIV – einen sehr großen Schritt seit der Einführung leider ei- dann gelingen wird, wenn wir näher! nen riesigen Wertverlust erlit- alle gemeinsam in die gleiche ten. Zudem betreibt die Stadt Richtung gehen und ich freue Ein Statement zur kolpor- Wien auf verschiedensten mich da auf die Zusammenar- tierten Schließung des Ebenen vorbildliche Partizipa- beit mit allen Mitarbeiter*in- REHA-Zentrums „Weißer tion – beispielsweise bei der nen, Funktionär*innen und Hof“? gemeinderätlichen Interessen- Ehrenamtlichen. Und darauf vertretung für Menschen mit freue ich mich sehr! www.oeziv.org INKLUSIV 15
ÖZIV // Bundesverband „GLEICHBERECHTIGUNG STEHT AN ERSTER STELLE!“ Seit September 2019 ist Rudolf Kravanja Vizepräsident und Generalsekretär des ÖZIV Bundesverbands und Präsident des ÖZIV Kärnten seit 2012. Interview: Hansjörg Nagelschmidt • Foto: Privat österreichweit vom ÖZIV im Bund und auf Lan- desebene verbessern. Meine Aufgabe sehe ich als österreichweiter Koordinator und Impulsgeber, Visionen zu ent- wickeln und diese auch umzusetzen. Welche Schwerpunkte hast du dir für 2020 vorgenommen? Die Herausforderung 2020 wird es sein, eine gute Kommunikationsplattform zu schaffen, um alle Funktionäre in Österreich gut und ausrei- chend zu informieren. Österreich hat eine neue Regierung, wo auch wieder Kontakte und Netzwerke erweitert bzw. aufgebaut werden müssen. Eine verlässliche und vertrauensvolle Interessenvertretung kann nur mit guter Gesprächs-/Verhandlungsbasis zur Politik gelingen. Generalsekretär Rudolf Kravanja Was möchtest du mittel- bis langfristig als K napp nach dem letzten ÖZIV Verbands- Generalsekretär des ÖZIV Bundesverbands tag wurdest du zum Generalsekretär erreichen? des ÖZIV Bundesverbands bestellt. Welche Aufgaben wirst du in dieser Positi- Zusammenhalt und Kommunikationsaustausch on, die es in dieser Form bisher nicht gab, in den Bundesländern; eine starke österreich- erfüllen? weite Interessenvertretung. In der Regel ist der Generalsekretär Leiter der In welchen Bereichen siehst du die größten Verwaltung, der Organisation und unterhalb des Herausforderungen für den ÖZIV in den Präsidenten angesiedelt. Ein Generalsekretär ist kommenden Jahren? Welche Maßnahmen das Bindeglied zwischen der Organisation und sind geplant um den ÖZIV zukunftsfit zu der Politik und für das Tagesgeschäft verant- machen? wortlich. Diese Funktion soll die Dienstleitungs- angebote und gezielte Interessenvertretung, Eine der größten Herausforderungen sind die die Anliegen von Menschen mit Behinderungen gewachsenen Strukturen. Jedes Bundesland, 16 INKLUSIV www.oeziv.org
ÖZIV // Bundesverband jede Region hat im ÖZIV seine eigene Ge- Sind die Dauerthemen des ÖZIV – nämlich schichte, die ich allerdings nicht als Schwäche, Barrierefreiheit und Inklusion – schon in sondern als Stärke sehe. Es wird auch bestimmt ausreichendem Maß bei den politischen keine leichte Aufgabe sein, die Regionen bei Entscheidungsträger*innen angekommen? Themen zu vereinen und zu bewegen, die Vision des Ganzen zu sehen. Diese Vision muss ich den Nein, doch wir sind permanent dabei diese, wie Funktionär*innen vermitteln. Die beste Maß- auch andere wichtige Themen österreichwert zu nahme dafür werden viele Gespräche, mit noch positionieren, aufzuzeigen, vorzustellen, einzu- mehr Menschen sein. Konsequent, zielstrebig, bringen, umzusetzen, … Dies ist sicherlich eine aufmerksam und wenn es sein muss, wiederho- Aufgabe, die nicht von heute auf morgen lösbar lend. Kommunikation ist der Schlüssel. sein wird, doch wir werden bis zur Umsetzung weiterarbeiten. Wie dürfen wir uns das Zusammenspiel zwi- schen Präsident, Präsidium, der Geschäfts- Welche Verbesserungen für Menschen mit führung, Landes-/Bezirksorganisationen und Behinderungen sind deiner Meinung nach dir als Generalsekretär vorstellen? am dringlichsten anzugehen? Was erwartest du dir von der neuen Regierung in Sachen Wie schon vorab beschrieben, habe ich eine Behindertenpolitik? verantwortungsvolle Funktion bewusst über- nommen. Es kommt mir nur zu Gute, dass ich Da in unserer Verfassung geschrieben steht, weitere wichtige Positionen ausüben darf. Als dass alle Menschen gleich sind, hoffe ich auf Bindeglied stehe ich im permanenten Aus- eine Regierung, die in Sachen Behindertenpo- tausch, denn nur so kann man vorankommen. litik keine halben Sachen machen wird. Wir als Durch professionelles Zusammenarbeiten auf ÖZIV werden genau darauf achten und uns als allen Ebenen werden wir es schaffen unsere verlässlichen Partner der Regierung anbieten. Werte weiter zu bringen. Die Frage, welche Verbesserungen am dring- lichsten anzugehen sind, stelle ich mir gar nicht. Was motiviert dich an deiner Tätigkeit für Die Gleichberechtigung von Menschen mit und den ÖZIV? ohne Behinderungen steht an erster Stelle. Hierfür brauchen wir eine gute inklusive Schule. Die Menschen, unsere Mitglieder geben mir Bildung ist alles, ob für Menschen mit oder Kraft und Motivation. Sie fordern mich, als auch ohne Behinderungen. Menschen ohne Bildungs- ÖZIV, und das ist gut so. Nur wenn ein Motor chancen gehen der sozialen Armut entgegen. etwas zum Verbrennen hat, gibt dieser auch Vollgas. Bezahlte Anzeige Bezahlte Anzeige www.oeziv.org INKLUSIV 17
ÖZIV // Bundesverband „ES IST NOCH EIN WEITER WEG!“ ÖZIV INKLUSIV bat die (neu-)gewählten Vizepräsident*innen um Statements über ihre Pläne und Ziele, die sie in ihrer Funktionsperiode für den ÖZIV erreichen wollen. Margarete Brennsteiner (ÖZIV Salzburg) und Klaus Widl (CBMF) sendeten uns ihre Statements. Fotos: Privat Kaus Widl (CBMF): Ich bekleide die Funktion des ÖZIV Vizepräsidenten zwar erst seit September vorigen Jahres, bin jedoch mit und im ÖZIV „groß“ geworden, war ich doch auch schon bisher über 25 Jahre im Bundes- vorstand ehrenamtlich tätig, habe an der Entstehung und Entwicklung des Projekts ÖZIV SUPPORT mitgearbeitet und durfte die allererste SUPPORT- und Coaching-Aus- bildung sowie den Lehrgang zum ÖZIV-Gleichstellungsbe- rater selbst absolvieren. Des Weiteren war ich auch 6 Jahre hauptberuflich im ÖZIV Bun- desverband als Chefredakteur und Öffentlichkeitsmitarbeiter tätig, wo es einer meiner ers- ten Arbeiten war, die letzten Verbesserung der Lebens- bilden dabei die Leitlinie zur noch lebenden ÖZIV-Zeitzeu- situation, und damit die Umsetzung. gen aufzusuchen, um ausrei- selbstbestimmte und gleich- chend Archiv- und Fotomate- berechtigte Lebensführung Konnten wir als gut vernetzte rial zur Geschichte des ÖZIV’s von Menschen mit Behinde- Interessenvertretung schon zusammenzutragen, um diese rungen, im Vordergrund. Das zahlreiche wichtige Gesetze- letztlich in einer Festbroschü- im Jahr 2006 in Kraft getrete- sänderungen für Menschen re niederzuschreiben und zu ne Bundes-Behindertengleich- mit Behinderungen anstoßen dokumentieren. stellungsgesetz und die vor und umsetzen, so sind diese über 11 Jahren von Österreich immer nur als Zwischener- Entsprechend der Leit- ratifizierte UN-Konvention folge auf einem noch langen bild-Missionen unseres über die Rechte von Men- Weg Richtung vollumfassen- Verbands steht für mich die schen mit Behinderungen der Inklusion, Partizipation, 18 INKLUSIV www.oeziv.org
ÖZIV // Bundesverband Selbstbestimmung und gleich- Ausmaß an bürgernahen berechtigte Teilhabe von Erfahrungen und kennen die Menschen mit Behinderungen Bedarfslagen von Menschen zu sehen. mit Behinderungen sehr genau. Die Arbeit unserer laufenden Periode im ÖZIV-Präsidium Die Themenlage ist vielfältig: wird daher maßgeblich davon besonders am Herzen liegt bestimmt sein, einerseits alle mir der Themenkomplex unsere ÖZIV-Projekte und Pflege. Bei der häuslichen -Angebote nach den Grund- Pflege, die nach wie vor in sätzen „Hilfe zur Selbsthilfe“ erster Linie von Angehörigen und „Hilfe durch selbst Be- geschultert wird, benötigen troffene“ erfolgreich weiter- wir dringend Verbesserungen. zuführen, und anderseits un- Insbesondere in ländlichen seren eingeschlagenen Weg Gebieten ist die Versorgungs- einer starken Interessenver- lage teilweise sehr lückenhaft, tretung weiter fortzusetzen wenn pflegende Angehörige und werden uns dabei auch beispielsweise durch Krank- Behinderungen, die derzeit weiterhin nicht scheuen, Pro- heit selbst ausfallen. Wenn leider regelmäßig von einer bleme öffentlichkeitswirksam hier nicht bessere und ra- amtlichen Stelle zur nächsten aufzuzeigen und mit Hartnä- schere Hilfe angeboten wird, weiterverwiesen werden. ckigkeit weiterzuverfolgen. laufen wir Gefahr, dass die Bereits die erste Anlaufstelle Säule der Angehörigen-Pflege sollte den Ratsuchenden Margarete Brennsteiner zusammenbricht. Auch die alle Möglichkeiten aufzeigen (ÖZIV Salzburg): Entscheidungen über Pflege- und mit allen Unterlagen (in geld-Einstufungen müssen im Checklistenform) versorgen. Insgesamt möchten wir Sinne der betroffenen Perso- erreichen, dass bei der Sozi- nen rascher erfolgen. Nicht zuletzt wünsche ich mir algesetzgebung sowohl auf für ehrenamtlich arbeitende Bundes- und Landesebene Dringende Verbesserungen Funktionär*innen von Behin- der ÖZIV – und auch andere wünsche ich mir auch für dertenorganisationen neue Behindertenverbände stärker Eltern von Kindern mit Formen der Anerkennung. gehört und eingebunden werden, denn schließlich verfügen wir über ein großes Wir danken den nachfolgenden Firmen und Institutionen für einen Druckkostenbeitrag: Alois Hinterer GmbH, Metallbau, 4820 Bad Ischl • Gemeinde Inzing, 6401 Inzing • Markt- gemeinde St. Georgen im Attergau, 4880 St. Georgen im Attergau • Marktgemeinde Sattledt, 4642 Sattledt • Gemeinde Zell an der Pram, 4755 Zell an der Pram • Gemeinde Weißenstein, 9721 Weißenstein • Marktge- meinde Seeboden am Millstätter See, 9871 Seeboden am Millstätter See • Gemeinde Stockenboi, 9713 Zlan • VIF Gerüstbau Bezahlte Anzeige Bezahlte Anzeige GmbH, GF Viskovic, 4600 Wels • Axavia Soft- ware GmbH, 4020 Linz www.oeziv.org INKLUSIV 19
ÖZIV // Bundesverband // SUPPORT SUPPORT BERATUNG ÖZIV Bundesverband für Menschen mit Behinderungen erweitert seine Angebotsschiene Text: Doris Kreindl Foto: iStock „M otivierende Ge- Um diesen Anfragen nun Grundprobleme besprochen, spräche, vertrau- noch besser entgegenzukom- wie beispielsweise bei Fragen enswürdig und men, hat der ÖZIV seine An- zu Mobilität, finanzielle Unter- offen!“ „Ich wurde gebotsschiene nun erweitert. stützungsleistungen, Wohnen, nach einer Kündigung im Seit 1. Jänner 2020 können chronische Erkrankungen, Krankenstand sehr res- sich jetzt Menschen mit oder Rehabilitation u. v. m. Hilfe- pektvoll begleitet“, erzählen ohne Feststellungsbescheid stellung gibt es außerdem SUPPORT-Klient*innen, die in den Pilotbundesländern bei behördlichen Anträgen sich mit ihren Anliegen im Wien, Salzburg und Tirol an wie Feststellungsbescheid, ÖZIV wenden. „Ob Behin- SUPPORT Beratung im ÖZIV Behindertenpass, Reha- oder dertenpass, Förderungen wenden. Das Angebot richtet Pflegegeld sowie Berufs-und oder Jobsuche: Die Fragen sich an alle Menschen mit Invaliditätspension. Ziel des zum Thema Behinderung Behinderungen oder chro- neuen Angebotes ist es, die sind vielfältig“, berichten die nischen Erkrankungen im Lebenssituation der Klient*in- Berater*innen und Coaches arbeitsfähigen Alter. nen zu verbessern. „Damit aus allen Bundesländern von steigen auch die Chancen in ihrem Arbeitsalltag. Dabei werden vorrangig die den Arbeitsmarkt einzustei- 20 INKLUSIV www.oeziv.org
ÖZIV // Bundesverband // SUPPORT gen“, sind die Angebotslei- Angebote SUPPORT Beratung mit der Erweiterung der ter*innen aus Wien, Salzburg und Coaching des ÖZIV ge- ÖZIV-Angebote, leisten wir und Tirol überzeugt. braucht und angenommen. einen wesentlichen Beitrag Derzeit werden jährlich mehr zur Weiterentwicklung des Eine Übernahme von SUP- als 600 Menschen erfolgreich Inklusiven Arbeitsmarktes.“ PORT Beratung in die Schiene in den Arbeitsprozess einge- SUPPORT Coaching ist nach gliedert oder weitervermittelt. Die Angebote werden vom Klärung der Grundproble- „Das Hauptanliegen von Men- Sozialministeriumservice matik möglich. Im Coaching schen mit Behinderungen ist finanziert und können kosten- wird der Umgang mit der es ein eigenständiges Leben los in Anspruch genommen Behinderung oder Krankheit zu führen“, betont Geschäfts- werden. im Privat- und Berufsleben führer Gernot Reinthaler im Gefördert durch und deren Auswirkungen ÖZIV-Bundesverband. „Und besprochen. Typische Frage- stellungen sind: Wie schaffe ich Klarheit gegenüber SUPPORT BERATUNG meinen Arbeitgeber*innen Alle Menschen mit Behinderungen/chronischen Erkrankun- und Kolleg*innen hinsichtlich gen im arbeitsfähigen Alter. Das Angebot kann kostenlos in meiner Erkrankung oder Anspruch genommen werden. Behinderung? Was kann ich tun, dass es mir besser geht? Wir bieten Beratungen zu behindertenrelevanten Fragen Wie gehe ich mit meiner • im Bereich Mobilität, finanzielle Unterstützung, Wohnen, eigenen Erkrankung um? Wie Förderungen, Chronische Erkrankungen, Rehabilitation schaffe ich den Wiederein- u. v. m. stieg in den Beruf mit meiner • bei behördlichen Anträgen z. B. Behindertenpass, Fest- Behinderung? Coaching soll stellungsbescheid, Pflege- und Rehageld, Berufs- und die Klient*innen vor allem Invaliditätspension bestärken und motivieren • zu sozialen Einrichtungen und Angeboten die eigenen Fähigkeiten und Talente zu entdecken. SUPPORT COACHING Menschen mit Behinderungen/chronischen Erkrankungen im „Wir nehmen uns sehr viel arbeitsfähigen Alter. Ab einem Grad der Behinderung (GdB) Zeit für die verschieden von 50%. Das Angebot kann kostenlos in Anspruch genom- Anliegen. Denn wichtig ist men werden. uns die Schaffung einer Ver- trauensbasis, um Menschen Wir unterstützen Sie: mit Behinderungen zu ihren • beim (Wieder-)Einstieg ins Berufsleben täglichen Herausforderungen • bei der Klärung von Problemen in Berufs- und individuell und bestmöglich Privatleben zu beraten“, sind sich die An- • bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Krankheit gebotsleiter*innen einig. Die • bei der Entdeckung von Talenten und Fähigkeiten inklusiven Teams verfügen über umfassende Ausbildun- gen und Berufserfahrun- Zufriedene Klient*innen-Stimmen gen. Bei umfangreichen „Ich habe mehr Selbstvertrauen, und ich stelle mich neuen Fragestellungen arbeiten die Situationen.“ Berater*innen eng mit sozia- „Lange Einheiten der Coachingberatung. Tolle Erfahrung und len Einrichtungen zusammen Techniken, meine Zustände wurden ernst genommen.“ oder informieren über weiter- „Praktische Hinweise – Alles was sich tatsächlich umsetzten führende Angebote. lässt.“ „Super Beratung! Super Coaching!“ Mehr denn je werden die www.oeziv.org INKLUSIV 21
ÖZIV // Kolumne - Mit spitzer Feder SMALL TALK Keine Scheu aber Respekt Gastautor: Manfred W.K. Fischer I n einer Gesellschaft befindet hinderung erfragen wollen – sich ein behinderter Mensch eben Taktgefühl und Respekt im Rollstuhl. Irgendwie ist sind gefragt. man neugierig auf diese Per- son – klar. Man will Kontakt Bahnt sich ein längeres Ge- herstellen, aber wie? spräch an, sollte man sich auf die Ebene des Gegenübers be- Hinzugehen, ihm kräftig auf geben, d.h. sich auf einen Ses- die Schulter zu klopfen und sel setzen oder in die Hocke jovial zu fragen: „Na seit wann gehen. Auch die verwendete bist du schon an den Rollstuhl Sprache muss eine „normale“ gefesselt? Ich musste nach ei- sein. Man braucht sich weder nem Radunfall auch mal zwei in Babysprache noch beson- Wochen in so einem Ferrari ders laut mit dem Menschen sitzen“, wäre ein kommunikati- im Rollstuhl unterhalten. ver Mega-Gau. Warum? schwingt darin abwertend mit, Formulierungen wie „an den dass sie eine attraktive, aber Meist führt Unsicherheit zu Rollstuhl gefesselt“ oder „Wa- wahrscheinlich naive Frau ist. solchen kommunikativen gerl“ sind tabu. Ist sie schlag- Sie wird über eine Eigenschaft Ausrutschern. Jemanden, den fertig, würde sie sagen: „Ach, prägend charakterisiert. man nicht kennt, gleich beim können Sie mich bitte losbin- ersten Kontakt die Schulter den.“ Der Mensch im Rollstuhl Gleich ist es, wenn man auszukegeln *grins* und ihn fühlt sich nämlich nicht an Menschen mit Behinderungen sofort zu duzen, ist respektlos diesen gefesselt, denn dieser nur als „der/die Behinderte“ und lässt jedes Taktgefühl verleiht ihm Mobilität und Be- bezeichnet. Auch „Behinderte“ vermissen. Durch Antatschen weglichkeit. Hätte sie keinen, sind in erster Linie Menschen. und das Du engeren Kontakt wäre sie wahrscheinlich nicht Die Behinderung ist nur eine herstellen zu wollen, ist der bei diesem Event. Sie benützt von vielen Eigenschaften, falsche Weg. auch kein „Wagerl“ oder einen die sie haben – wie blaue „Ferrari“, sondern einen „Roll- Augen, braune Haare oder Small Talk-Themen stuhl“. ein aufbrausendes Wesen. Sie Worüber kann man mit Men- wollen nicht auf diese EINE schen mit Behinderungen Sprache ist die Kleidung der Eigenschaft reduziert werden. überhaupt sprechen? Über Gedanken Daher sind die Formulie- ALLES! Auch mit einer Roll- rungen „Mensch/Frau mit stuhlfahrerin kann man das Mit unserer Wortwahl Behinderungen“, „behinderter Wetter erörtern, über einen erzeugen wir Bilder und Vor- Journalist“ oder „Mensch mit neuen Cocktail oder die poli- stellungen im Kopf unseres Beeinträchtigung“ besser. tische Lage und vieles Andere Gegenübers, bewusst wie sprechen. Man soll nicht gleich unbewusst. Bezeichnen wir Viele Formen der Behinde- seine plumpe Neugier stillen beispielsweise eine blonde rung und alle Details über ihre Be- Frau nur als „Blondine“, Aber zurück zum Begegnen 22 INKLUSIV www.oeziv.org
ÖZIV // Kolumne - Mit spitzer Feder in lockerer Gesellschaft. Es gegnungen mit Menschen mit Phänomen im Weltall erzählte, gibt unterschiedliche Behin- veränderten Gliedmaßen oder rief er aus: „Bist du gelähmt!“. derungsformen – blinde oder ohne Hände. Sollte ich diesen Ich meinte mit einem Lächeln gehörlose Menschen etwa. die Hand reichen? Ja natürlich, nur kurz und bündig „Ja“. Der reichen Sie ihm die Hand – Blick in seine erschrockenen Wie mache ich einen blinden selbst, wenn er keine Hände Augen machte jede weitere Menschen darauf aufmerk- hat, wird er Ihnen zeigen, wie Diskussion über diesen Ausruf sam, dass ich mit ihm spre- er die Begrüßung gerne hätte. unnötig. chen möchte? Treten sie vor ihn hin, tippen Sie ihn leicht Humor hilft bei der Kommu- Erstabdruck in der Zeitschrift am Arm an und stellen Sie nikation „RehaTreff“ 1/2019 (Leimers- sich mit ihrem Namen vor. heim, Deutschland). Schon wird die Kommunikati- Haben Sie keine Angst vor on in Gang kommen. Redewendungen. Sagen Sie ruhig „Auf Wiedersehen“ zu Bei gehörlosen Menschen tre- ten Sie in deren Gesichtsfeld einem blinden Menschen oder fragen Sie eine Rollstuhlfahre- Zum Autor: und tippen Sie die Person rin, ob sie mit Ihnen auf einen Manfred Fischer ist roll- vielleicht noch an. Sprechen Drink zur Bar „gehen“ möchte. stuhlfahrender Journalist Sie wie sonst auch. Lauter zu An diesen gängigen Formulie- und Sensibilisierungs- sprechen nützt nichts(!). Ist ein rungen stoßen sich Menschen trainer. Er lebt mit seiner Dolmetscher dabei, sehen Sie mit Behinderungen in der Familie in Ostermiething beim Gespräch immer zum Regel nicht. in Österreich. 2018 erhielt gehörlosen Menschen, denn er den Medienpreis des mit ihm unterhalten sie sich. Manche Floskeln werden ein- österreichischen Behin- fach unbedacht verwendet. Als dertenverbands ÖZIV. Große Unsicherheit verspürte ich vor kurzem einem Freund ich selbst bei den ersten Be- etwas über ein erstaunliches Bezahlte Anzeige Bezahlte Anzeige www.oeziv.org INKLUSIV 23
ÖZIV // Siegerartikel VERMESSUNGEN DER INNEREN WELT In der letzten Ausgabe des ÖZIV INKLUSIV berichteten wir über die Preisträger*innen des letzten ÖZIV-Medienpreises. Wir freuen uns ganz besonders, dass wir nunmehr den Sieger-Text von Mareike Boysen abdrucken dürfen. Erstmals erschienen ist der Artikel im Augustin Nr. 470 am 07.11.2018 Text: Mareike Boysen • Foto: Privat D avid Sylvester Marek wurde in den 1970er Jahren vom staatlichen Bildungssystem in die Sonderschule abgeschoben. Nun ist eine Auswahl seiner Kurzgeschichten als Buch erschienen. Franzobel, der es herausgegeben hat, nennt Marek einen Hochbegabten. Die Orientierungspunkte einer schwierigen Künst- lerzusammenarbeit haben Mareike Boysen und Nina Strasser erkundet. Eine Hirnsuchmaschine wäre praktisch, sagt David Sylvester Marek. „Man beginnt zum Bei- spiel mit dem Wort Neubau. Dann bildet man mit jedem der sechs Buchstaben einen neuen Satz, eine Frage. Mit den Antworten, die man vermutet, bildet man wieder Sätze. Und so nä- hert man sich langsam dem Wesen des Wortes an. Das wäre eine Suchmaschine für das Hirn.“ Den Innovationsgehalt seines Einfalls quittiert Marek, der an einem Tisch im Lokalbereich des Wiener Badeschiffs Platz genommen hat, mit einem süffisanten Lächeln. Franzobel, der ne- ben ihm sitzt, wirkt ratlos. „Ja, genau“, murmelt Mareike Boysen er schließlich in Mareks Richtung. Beide, der vielfach ausgezeichnete Theater- dem Titel „Das Geheimnisgeschichtenlexikon und Romanautor Franzobel aus Vöcklabruck des David Sylvester Marek“ im Klever-Verlag und der Neo-Literat Marek aus Wien, tragen erschien. „Ich habe mich dabei oft wie in einer an diesem Montagmoren ihren angegrauten syntaktischen Waschmaschine gefühlt“, sagt Haarschopf kurz geschnitten, außerdem Brille, Franzobel. „Davids Texte haben mich ziemlich einen grünen Pullover und Jeans. Darüber hin- durchgeschleudert.“ aus verbindet sie die zwölfmonatige Arbeit an einem Kurzprosaband, der im September unter Ausgangspunkt der Zusammenarbeit war die 24 INKLUSIV www.oeziv.org
ÖZIV // Siegerartikel zehnte Auflage des Literaturpreises Ohren- flandschaft und lauscht den Dialogen seiner schmaus für Menschen mit sogenannter Lern- enttäuschten Bewohner*innen. In einem Klos- behinderung im Jahr 2016. Marek, der in einem ter etwa antwortet ein Polizist einem Mann mit Betreuungsangebot des Wiener Sozialträgers Flöte, nachdem ihm dieser von „unheimlichen Assist regelmäßig zu schreiben begonnen Autobahngefühlen“ berichtet hat: „Mit Pelztie- hatte, gewann ein Stipendium in Form einer ren und einem Gemüsekessel bin ich vor ei- Schreibbegleitung durch Jurymitglied Franzo- nem offenen Kanaldeckel gestanden und habe bel. Regelmäßig trafen die beiden sich an Ma- einen Bauarbeiter in einem Garten angerufen. reks Arbeitsplatz in Rudolfsheim-Fünfhaus, um, Doch der konnte mir nur von Strumpfhosen in so wenigstens schwebte es dem designierten einem Schweinestall etwas erzählen. Ich weiß Mentor vor, unterschiedliche Textformen und nicht, wo ich jetzt endlich noch etwas finde.“ Stile zu besprechen. „Manchmal habe ich einen Der Wittgenstein’sche Satz, die Grenzen einer Zugang gefunden, aber man rennt bei David Sprache bedeuteten die Grenzen der Welt ih- auch immer wieder an“, sagt Franzobel. Mit res Sprechers, gilt für Marek schlichtweg nicht, seinen Versuchen, den Kurzgeschichten seines der stattdessen zusammendenkt, was andere Schützlings zu besserer Verständlichkeit zu ver- streng getrennt voneinander verwahren. helfen, sei er ausnahmslos gescheitert – und habe schließlich aufgegeben. „David ist so ein Surrealismus und Alltag. authentischer surrealistischer Schreiber, dass Wie so vieles andere, dem er begegne, habe man ihm ohnehin nichts mehr beibringen kann es auch dem Vorwort von Franzobel an Voll- oder muss.“ ständigkeit und Präzision gemangelt, sagt Marek, weshalb er ein eigenes hinzufügte. Eine Landkarte der Assoziationen. elaborierte Beschwerde, die er darin vorbringt, Das „hochbegabte Ergebnis einer Ménage à bezieht sich auf Gespräche im Allgemeinen. trois zwischen H. C. Artmann, Fritz Herzma- Von denen werde er, schreibt er, zumeist ent- novsky-Orlando und Elfriede Jelinek“ hat Fran- täuscht. „Was soll denn so Großartiges jeden zobel Marek im Vorwort zum Buch genannt. Tag passieren, dass es dauernd eine Antwort „Er ist ein surrealistischer Kartograf“, ergänzt er gäbe auf die Frage, wie es gehe?“ Gefragt da- im Interview. „Alles wird auf Geografie übertra- nach, was stattdessen eine lohnende Unterhal- gen: Beziehungen, Leben und Geschichte auf tung mit sich bringe, sagt Marek auf dem Bade- Garten, Gräben, Täler und Berge. Es gibt nichts, schiff: „Ich habe mir neulich gedacht, wenn ich was David nicht in der Vermessung seiner alles aufschreibe, was die Leute so reden, wie inneren Welt anzuordnen versuchte.“ Aus über ordne ich es dann an, dass daraus ein Kabarett 1000 von Marek eng beschriebenen Din-A4- entsteht? Wie mache ich das?“ Seiten traf Franzobel – zum ausgesprochenen Leidwesen des Autors – eine für die Veröf- Die Regeln mehrheitsfähiger Komik zu durch- fentlichung bestimmte persönliche Auswahl. schauen, fällt ihm, der bisweilen unfreiwillig Zwischen A wie Aufreißzirkus und Z wie Zu- zum Alleinunterhalter wird, ähnlich schwer sammenziehungsaufbaustraße finden sich im wie die Persönlichkeit eines Menschen zu Buch auf 194 Seiten 88 Phänomene und deren begreifen. Marek hält sich daher an Hilfskon- hochpoetische Charakterisierungen innerhalb struktionen in Listenform: Kriterienkataloge, des Marek’schen Assoziationsgeländes. Durch- Enzyklopädien, Steckbriefangaben. Sein Lieb- gangsbaustellenzeitungsgalerie, Juwelierpassa- lingsbezirk sei der dreizehnte, sagt er, seine genentwicklungsgarten, Klomuschelbeweihräu- Lieblingsbeschäftigung die Eisenbahn, seine cherungsrosarotbrillenschlangengraben und Lieblingssprache Latein und seine Lieblings- Ruinenschlachtfeld sind darunter. mischfarbe Grün-Blau. Auf der monatelangen Suche nach seiner Lieblingskirche, die er per Aber auch Bekannten wie Ferkel, Konflikt, Google Earth antrat, stieß er schließlich auf die Liebe, Schulaufführung und Trost hat Marek Liebfrauenkirche in Rankweil. Texte mit einer Länge von immer eineinhalb Buchseiten gewidmet. Der sogenannte „Idiot“ „Wenn alles zusammenpasst, wie ich es mir durchstreift im gleichnamigen Text eine Dor- denke, müsste die richtige Frau für mich bei www.oeziv.org INKLUSIV 25
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