Logopädie bei PSP München am 27. Oktober 2012 Grit Mallien - Grit Mallien - Neurolinguistin
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Dysarthrie bei PSP? JA! → Dysarthrien sind erworbene neurogene Sprechstörungen mit unterschiedlichen Symptomen (Ziegler et al. 2002) → Betroffen sind Atmung (Respiration), Stimmgebung (Phonation), Aussprache (Artikulation) und übergeordnet Betonung/ Sprechtempo/ Sprechmelodie/ Sprechrhythmus (Prosodie) → Basalganglienerkrankungen (z.B. PSP) führen zu einer gestörten Steuerung automatisierter Bewegungsabläufe → Schwere Störungen der Sprech‐ und Schlucksteuerung sowie Lungenentzündungen durch Verschlucken = Aspirationspneumonien (Litvan et al. 1996) Grit Mallien - Neurolinguistin
Wann kann eine Dysarthrie bei PSP auftreten? → Dysarthrie bei ca. 87% der PSP‐Betroffenen bereits früh im Verlauf der Erkrankung (Williams et al. 2005) → Bei 55% der Patienten sogar erstes Symptom (Goetz et al. 2003) im Mittel spätestens 24 Monate nach Diagnosestellung → Atemregulationsstörungen: V.a. respiratorische Apraxie (Abright & Pichler 2010, Haouzi et al. 2005) → Funktionale Merkmale bzw. Symptome der Dysarthrie individuell schwankend und subtypenspezifisch (Mallien et al. in Vorb.) Grit Mallien - Neurolinguistin
Subtypen bei PSP? → Retrospektive Analyse pathologisch gesicherter PSP‐Verläufe (Williams et al. 2005) → Phänotypische Unterscheidung der PSP* in den: °„klassischen“ Richardson Typ (PSP‐RS) °„atypischen“ PSP‐Parkinsonismus‐Typ (PSP‐P) °„Pure akinesia with gait freezing“‐Typ (PSP‐PAGF) (Williams et al. 2007) *andere Subtypen: PSP‐CBS/ PSP‐PNFA/ PSP‐CST/ PSP‐PNLA → Cave! Subtypen nicht verwechseln mit der klinischen Diagnose einer „möglichen“ oder „wahrscheinlichen“ PSP! Grit Mallien - Neurolinguistin
Mögliche PSP‐Subtypen und entsprechende Dysarthriemerkmale Mallien 2012 → 1. Richardson‐Typ = PSP‐RS: extrem verlangsamtes Sprechtempo, Stimme ist gepresst‐heiser/ Schwankungen und „Entgleisungen“ der Lautstärke („lions voice“)/ angestrengtes Sprechen/ „Leiern“, Stimmlage eher niedrig (bei M. Parkinson eher erhöht) → 2. PSP mit Parkinsonismus = PSP‐P: ausgeprägt leise Stimme (ähnlich der Parkinsondysarthrie)/ behaucht‐heisere und gel. erniedrigte Stimmlage/ verwaschenes, monotones Sprechen/ Sprechtempo normal bis erhöht → 3. PSP mit reiner Akinesie und Freezing = PSP‐PAGF: konstant hypophon/ behaucht‐heiser/ Stimmabbrüche/ übersteigerte Artikulation/ erhöhtes Sprechtempo/ schwere Palilalie/ Monotonie und Sprechen „ohne Punkt & Komma“ Grit Mallien - Neurolinguistin
Warum fragt meine Umgebung ständig nach? → aufgrund einer Fehlwahrnehmung Ihres eigenen Sprechens sprechen Sie vielleicht: °zu leise? °zu „nuschelig“? °plötzlich zu laut? °zu langsam? °ohne Betonung? °atemlos? °zu schnell? °stotternd? °näselnd? Grit Mallien - Neurolinguistin
Kommt es bei PSP zu Atemproblemen? JA! → Reduziertes Atemvolumen: bedarfsgerechter Atem unter 60% des Sollwertes, eingeschränkte Vitalkapazität (Summe dessen, was man ein‐ und ausatmen kann) und erhöhtes Residualvolumen (Luft, die nach maximaler Ausatmung in Atemwegen+Lunge verbleibt) (Abright & Pichler 2010) → eine Intensivierung des Atems für Bewegung oder Sprechen ist deutlich eingeschränkt → unvollständige Ausatmung: konstant erhöhter „Residuallu spiegel“→ andauernder Einatem‐Impuls (ca. 20/ min bei PSP: 12‐16/ min Normwert) → Veränderungen der Muskelspannung durch Bradykinese und Rigidität: °geringere thorakale Atmung °Vernachlässigen der Bauchatmung für das Sprechen °Hypertonus der Rumpfmuskulatur Grit Mallien - Neurolinguistin
Ist Therapie sinnvoll? JA, wenn sie gezielt erfolgt! → Spastisch betonte Dysarthrie bei PSP‐RS mit stark verlangsamtem Sprechtempo + Hypernasalität („klassischer“ PSP‐Typ): °Atemtherapie/ Manuelle Stimmtherapie (nach Gaby Münch) °Kieferlockerung °Gaumensegel‐Training zur Verbesserung der Resonanz → Hypokinetische Dysarthrie mit Hypophonie bei PSP‐P („atypischer“ PSP‐Typ): °Lautstärketraining → Hyperkinetische Palilalie bei PSP‐PAGF °Einsatz von externen Mitteln zur Temporeduktion °Sprechen mit dem Sprechbrett (Pacingboard) Grit Mallien - Neurolinguistin
Schluckstörung bei PSP? JA! → Bei initialer Schluckstörung = Dysphagie : V.a. Atypisches Parkinson‐Syndrom, z.B. PSP (Müller et al. 2001) → 80% aller PSP‐Betroffenen entwickeln im Laufe der Erkrankung eine Dysphagie (Litvan et al. 1996, Sonies 1992) → Studie zur Schluckuntersuchung bei PSP zeigte, dass die Schwere der Dysphagie mit der Erkrankungsdauer, den klinischen Symptomen und der kognitiven Beeinträchtigung korreliert (Warnecke et al. 2001) → Jedoch keine Korrelation hinsichtlich der Dysarthrie, obwohl in einer Studie nur 17% aller PSP‐Betroffenen mit Dysarthrie keine Dysphagie hatten (Müller et al. 1991) Grit Mallien - Neurolinguistin
Beginn der Dysphagie: Idiopathisches Parkinsonsyndrom (IPS) vs. Atypische Parkinsonsyndrome (APS) → Dysphagie tritt bei der PSP und anderen APS schneller auf als beim idiopathischen Parkinson (Müller et al. 2001) Parkinson‐Syndrom Zeitraum bis zum Auftreten einer Dysphagie (in Monaten) Idiopathisches 130 Parkinson‐Syndrom (nach klinischer Erfahrung viel früher!) Multisystematrophie (MSA) 67 Kortikobasale Degeneration 64 (CBD) Lewy‐Body‐Demenz (LBD) 43 Progressive Supranukleäre 42 Blickparese (PSP) Grit Mallien - Neurolinguistin
Wie funktioniert Schlucken? Schlucken = → sehr komplexer (56 Muskelpaare), z.T. reflektorisch ablaufender Vorgang (nur zum Teil willentlich steuerbar) → Nahrung/ Speichel wird vom Mund in den Magen befördert → Schutz der Luftwege ! Kreuzung von Nahrung & Atmung „Problemzone/ Verschluckzone“ www.logoslondon.com/images/ Kopf_Querschnitt_01_ed... Grit Mallien - Neurolinguistin
Normales Schlucken in 4 Phasen: 1. Orale 2. Orale 3. Pharyngeale 4. Ösophageale Vorbereitungs- Transportphase Phase Phase phase Grit Mallien - Neurolinguistin
Mögliche Ursachen für eine Dysphagie → Unvollständiger Mundschluss/ Reduzierte Spannung der Wangenmuskulatur/ „defizitäre“ Buccinatorschleife → Massive Dysfunktionen der Zunge und der Kieferbeweglichkeit → Unzureichende Kontraktion des Pharynx (Transitzeit verlängert: Retentionen in den Valleculae oder in den Sinus piriformes) → Insuffizienter Glottisschluss (bei 83% der Patienten ist die Dysphagie mit einer Dysarthrie vergesellschaftet: Müller et al. 2001) → Fragliche Dysfunktion des OÖS ( verspätete Triggerung, unzureich. pharyngealer Druck, reduzierte Hyoid‐Larynx‐Elevation) → Fragliche Motilitätsstörung der ösophagealen Phase (DD: Reflux) . Grit Mallien - Neurolinguistin
Leitsymptome der Dysphagie → Leaking & Pooling (vgl. nächste Seite) → Residuen & Retentionen (vgl. übernächste Seite) → Penetration → Aspiration („silent aspiration“ bei IPS > anderen neurogenen Erkrankungen! ) Grit Mallien - Neurolinguistin
Leaking = Vorzeitiges und unkontrolliertes Entgleiten aus dem Mund (anteriores L.) oder nach hinten in den Rachenraum (posteriores L.) Pooling = Auffangen von Bolusresten im Pharynx vor und/ oder nach der Schluckreflexauslösung [Fiberendoskopische Schluckuntersuchung: FEES] Leaking mit prädeglutitiver Penetration. Angefärbte Flüssigkeit und Speise laufen über den offenen Kehldeckel in Richtung Luftröhre. Grit Mallien - Neurolinguistin
Residuen/ Retentionen = postdeglutitiver Verbleib von Bolusresten/ Flüssigkeiten/Speichel in Mund (oral), Rachen (pharyngeal) oder Kehlkopf (laryngeal) [FEES] Postdeglutitive Residuen von Speichelpooling in den Valleculae – unzerkauter Nahrung in den Speichelaufstau und Ansammlung im Valleculae Rachen Grit Mallien - Neurolinguistin
Penetration = Eindringen von Bolusbestandeilen/ Flüssigkeiten bis oberhalb der Stimmlippen (FEES) Beinahe Penetration von Brot über den geöffneten Kehldeckel Grit Mallien - Neurolinguistin
Aspiration = Eindringen von Bolusbestandeilen/ Flüssigkeiten bis unterhalb der Stimmlippen (FEES) Postdeglutitive Aspiration von Penetration und Aspiration: Angefärbter gefärbten Flüssigkeitsresiduen und Speichel läuft über die Stimmlippen der Speichelpooling im Rachen vorderen Kommissur in die Luftröhre Grit Mallien - Neurolinguistin
Aspiration in der Videofluoroskopie Massives pharyngeales Pooling und Prä‐ und intradeglutitive Aspiration schwere Aspiration von Wasser Grit Mallien - Neurolinguistin
Warum muss man beim Essen und Trinken häufig husten? → Husten = wichtiges Anzeichen für Verschlucken → während des Schluckens ist flüssige oder feste Nahrung in den Kehlkopf bzw. in die Luftröhre geraten → Hustenreiz als Schutzreaktion des Körpers bei PSP sowohl sensorisch als auch motorisch beeinträchtigt Grit Mallien - Neurolinguistin
Warum verursachen manche Nahrungsmittel besonders starken Husten? → Einige Nahrungsmittel sind schwieriger zu schlucken als andere, z.B.: ‐ mit Kernen, Schalen, fester Haut! ‐ feste, krümelige, körnige, zähe, faserige Speisen und Mischkonsistenzen! ‐ sehr heiße, scharfe, saure Speisen! (Cave! Saure Substanzen, z.B. rote Tees, die beim Schlucken an den KK‐Eingang gelangen, werden hier als „gefährlich & bedrohlich“ eingeschätzt und lösen so als Schutzreflex einen Husten anstelle des Schluckens aus!) ‐ kohlensäurehaltige Getränke, aber Ausnahmen bestätigen die Regel! (Bülow et al. 2003) Grit Mallien - Neurolinguistin
Warum kann die Stimme nach dem Essen „feucht“ oder „gurgelnd“ klingen? → Ein „feuchter“ Stimmklang entsteht, wenn Flüssigkeit und/ oder Nahrung in den Bereich von Stimmlippen/ Kehlkopf gelangt sind! → Dies ist sehr ungünstig, weil sie drohen, auch in die Luftröhre zu gelangen wichtiger Hinweis auf eine Dysphagie! → Stimmkontrolle auf „Ah“ oder „Hi“! Grit Mallien - Neurolinguistin
Warum kann eine Pneumonie ein Anzeichen für eine Dysphagie sein? → Beim Verschlucken (Aspiration) tritt Speichel/ Nahrung/ Flüssigkeit in die unteren Atemwege ( Bronchien, Lunge) ein! → Eingedrungenes Material kann Lungengewebe schädigen und eine Entzündung auslösen (Aspirationspneumonie!) → Typische Anzeichen einer Lungenentzündung (Pneumonie) sind: Husten, Fieber (nicht immer), Atemnot! → Bei Symptomen Arzt aufsuchen, um Blutbild hinsichtlich Entzündungswerten untersuchen zu lassen! Grit Mallien - Neurolinguistin
Was tut man bei akutem Verschlucken? → Versuchen Sie, Ruhe zu bewahren! → Husten Sie mehrmals kräftig! → Ihre Angehörigen können Ihre Ausatmung unterstützen, indem sie die Hände seitlich an Ihre Rippenbögen legen und Sie beim Husten unterstützen! → Üben Sie dieses „Manöver“ auch ohne Verschlucken! → Bei akuter Erstickungsgefahr: Kräftige Schläge zwischen die Schulterblätter während Sie den Oberkörper vorn über beugen! Grit Mallien - Neurolinguistin
Gibt es einen Trick, nicht so hastig zu essen? → Essen und trinken Sie bewusst! → Akzeptieren Sie, dass es dann länger dauern wird! → Gestörte Impulskontrolle „austricksen“ durch kompensatorische und adaptive Maßnahmen (z.B. Haltungsänderung/ Schluckmanöver/ Kostformanpassung) → Gezielt pausieren: Trinken Sie nach jedem 5. Bissen und legen Sie dazu das Besteck weg! (das ist zu Anfang etwas merkwürdig, aber Sie werden sich daran gewöhnen!) Grit Mallien - Neurolinguistin
Quelle: „Training für das Schlucken & Sprechen im Alltag“ (Mallien & Wiegandt 2010) Grit Mallien - Neurolinguistin
Quelle: „Training für das Schlucken & Sprechen im Alltag“ (Mallien & Wiegandt 2010) Grit Mallien - Neurolinguistin
Wann ist eine PEG‐Anlage indiziert? http://www.gastro-onko-kairies.de/Bilder/peg.jpg → PEG = Perkutane Endoskopische Gastrostomie → Ernährung über dünnen Schlauch, welcher direkt in den Magen führt → wenn orale Ernährung zu gefährlich ist oder nicht ausreichend ist (ggf. Mangelernährung/ Flüssigkeits‐ mangel: mind. 1000‐1500ml/ Tag!) Grit Mallien - Neurolinguistin
http://www.kindergarten-waldwichtel.de/custom/Danke1.jpg VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT! Grit Mallien - Neurolinguistin
Ausgewählte Literaturangaben & Quellen 1. Abright C, Pichler K (2010). Atmung und Atemtherapie bei PSP. In: PSP‐Rundschau 15(1): 6‐9. 2. Litvan I, Mangone CA, McKee A, et al. (1996). Natural history of progressive supranuclear palsy (SRO) and clinical predictors of survival: a clinicopathological study. J Neurol Neurosurg Psychiatry 60: 615‐20. 3. Mallien G et al. (in Vorb.). Explorative multizentrische Querschnittsstudie zur Beschreibung der Dysarthrie bei Progressiver Supranukleärer Blickparese – PSP. 4. Müller J, et al. (2001). Progression of dysarthria and dysphagia in postmortem‐confirmed parkinsonian disorders. Int J Lang Comm Disord 2001; 36; Suppl.: 282‐287. 5. Nicola F, Ziegler W, Vogel, M. Bogenhausener Dysarthrie‐Skalen: BoDys (2004). Ein Instrument für die klinische Dysarthriediagnostik. In: Forum Logopädie 2(18): 14‐22. 6. Prosiegel M , Weber S (2010). Dysphagie. Diagnostik und Therapie. Springer Verlag. 7. Sonies BC. Swallowing and Speech Disturbances (1992). In: Litvan, I. & Agid, Y (eds.): Progressive Supranuclear Palsy. Clin Res Appr. New York. Oxford University Press: 240‐53. 8. Williams DR, et al. (2005). Characteristics of two distinct clinical phenotypes in pathologically proven progressive supranuclear palsy: Richardson’s syndrome and PSP‐parkinsonism. Brain; 128: 1247–58. 9. Ziegler W, Vogel M (2010). Ursachen und Pathomechanismen dysarthrischer Störungen: In Springer L & Schrey‐Dern D (Hrsg.). Dysarthrie verstehen‐untersuchen‐behandeln. Springer Verlag: 36‐64. i. Aufnahmen der FESS/ VFSS: Dr. Wolfgang Schlaegel/ Fachklinik Ichenhausen ii. www.logoslondon.com iii. http://blog.imalltagleben.de Grit Mallien - Neurolinguistin
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