Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Hessisches Sozialministerium Sprachentwicklung und Sprachförderung Deutsche Gesellschaft bei Kindern für Sprachheilpädagogik e. V. Landesverband Hessen
Diese Schrift wendet sich an Eltern, Erzieherinnen und Erzieher. Wir möchten Ihnen damit eine Hilfe an die Hand geben, wie Sie die Sprachentwicklung Ihrer Kinder unter- stützen und begleiten können. Sie will in kurzer Form darstellen, wie die kindliche Sprache sich entwickelt und beraten, was bei Sprachauffälligkeiten getan werden kann. Herausgeber Hessisches Sozialministerium Referat Öffentlichkeitsarbeit und Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik Landesgruppe Hessen e.V. Autoren Winfried Dux, Hünfeld Susanne Sievert, Wiesbaden unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. R. Berger, Landesärztin für Hör- und Sprachbehinderte, Marburg Reinhard van Husen, Rüdesheim Redaktion Dr. med. Angela Wirtz, Hessisches Sozialministerium Gesa Krüger, Hessisches Sozialministerium (verantwortlich) Produktion Herbert Ujma, Hessisches Sozialministerium Gestaltung Kirsch Kommunikationsdesign GmbH, Walluf Druck mww.druck und so... GmbH, Mainz-Kastel Stand Juni 2012
Vorworte Alle Eltern sind begeistert, wenn ihre Kinder die Ziel von KiSS ist es, die Bildungschancen aller Kin- ersten Worte in ihrem Leben sprechen. Meist sind der zu verbessern, denn Sprache ist der Schlüssel zu dies „Mama“ oder „Papa“, oft auch einfache Laute, mit späterem schulischen und beruflichen Erfolg. Mit denen das Kind den ersten sprachlichen Kontakt her- KiSS sollen die sprachlichen Kompetenzen und Kom- stellt. Wie gut das Kind auf dem späteren Lebensweg munikationsfähigkeiten der Kinder möglichst ganz- die sprachlichen Kompetenzen ausbauen kann, hängt heitlich erfasst werden. Das standardisierte Verfahren vor allem von der kommunikativen Zuwendung der trägt dazu bei, Fehleinschätzungen zu vermeiden und Eltern ab. Aber auch die Kommunikationsbedin- unentdeckte sprachliche Entwicklungsrückstände gungen der Gesellschaft spielen eine entscheidende aufzudecken. Mit KiSS werden sowohl medizinischer Rolle. Konsumverhalten, Mediennutzung, soziale Abklärungsbedarf als auch pädagogischer Förderbe- Sicherheit, Wohnortwechsel, Normen, Werte und darf bei Kindern erfasst. Die individuellen Ergebnisse viele andere Komponenten beeinflussen Kinder auf jedes einzelnen Kindes bilden eine fachgerechte ihrem Lebensweg. Grundlage für eine frühzeitige Sprachförderung. So Die Familie hat einen wesentlichen Einfluss auf ist es möglich, mit sprachanregenden Situationen und die Sprachentwicklung des Kindes. Für eine gesunde pädagogischen Maßnahmen ein Angebot zu schaffen, Sprachentwicklung sind Wertschätzung von Sprache, das die Sprachentwicklung des Kindes fördert und sprachliche Anregung im Elternhaus und die Zusam- Sprachstörungen entgegenwirkt. menarbeit mit pädagogischen Fachkräften in Kinder- Diese Broschüre soll Ihnen bei der Förderung der garten und Schule eine wichtige Basis. Nur wenn Sprachentwicklung bei Kindern eine hilfreiche Familie, Kindergarten, Schule und Vereine gut zu- Unterstützung sein. sammen arbeiten, lässt sich die Sprachentwicklung von Kindern erfolgreich fördern. Eine gute Zu- sammenarbeit dieser gesellschaftlichen Institutionen ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Förderung der Kinder. Wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre belegen eine Zunahme mangelnder Sprach- kompetenz bei Schulanfängern. Dahinter verbergen sich sowohl Kinder mit medizinisch abklärungsbe- dürftigen Sprachstörungen als auch Kinder, die eine pädagogische Sprachförderung benötigen. Für eine differenzierte Sprachförderung ist eine systematische Begleitung der Sprachentwicklung von Kindern not- wendig. Sprachauffälligkeiten müssen so früh wie möglich erkannt und dokumentiert werden. Das Hessische Sozialministerium hat deshalb das Kinder- sprachscreening (KiSS) zur systematischen Überprü- fung des Sprachstands eingeführt. Pädagogische Fachkräfte in hessischen Kindertagesstätten erfassen mit diesem Verfahren die sprachlichen Fähigkeiten und das kommunikative Verhalten der vier- bis vier- einhalbjährigen Kinder mit Deutsch als Mutterspra- Stefan Grüttner che oder Deutsch als Zweitsprache. Hessischer Sozialminister 3
Vorworte Sprache ist der Schlüssel zu fast allen Lebensberei- In unserer hochtechnisierten, mediengeprägten chen. Für unsere Kinder ist die Sprache Werkzeug Umwelt haben sich die Lebens- und Entwicklungsbe- und Brücke zugleich, sie ermöglicht ihnen die An- dingungen für Kinder stark verändert. Verschiedene eignung von Wissen, Erkenntnissen und Einsichten, Untersuchungen belegen übereinstimmend, dass so dass aus lernenden Kindern bewusste Erwachsene immer mehr Kinder im Kindergartenalter Auffällig- werden, die sich in der Welt von morgen zurechtfin- keiten in den Bereichen Sprachverständnis und Aus- den und sie angemessen gestalten können. drucksfähigkeit zeigen. Mangelnde Sprachkompetenz Die Sprachentwicklung eines Kindes stellt einen aber verursacht Missverständnisse, Verunsicherung komplexen Lernprozess dar, der im zwischenmensch- und die Entstehung von Barrieren zur sozialen und lichen Miteinander erfolgt und entscheidend beein- gesellschaftlichen Teilhabe. flusst wird durch Anregungen aus dem sozialen Um- Um Kindern einen barrierefreien Zugang zu Bil- feld. Sprachliche Anregung und kommunikatives dung und somit eine erfolgreiche Schullaufbahn zu Miteinander in der Familie prägen den Spracherwerb ermöglichen, muss die Entwicklung von Sprache als des Kindes vom ersten Tag an. Alle Sinne und Emo- Grundlage zur Aneignung von Bildung möglichst früh tionen sind in diesen Prozess einbezogen, alle Fähig- und aufmerksam gefördert werden. keiten bauen aufeinander auf, werden weiterentwi- Dazu braucht es keine Programme und Kurse, die ckelt und miteinander verknüpft. Im Regelfall wird vom Erleben der Kinder abgekoppelt sind. Sprache ein Kind auf diese Weise bis zum Schuleintritt seine als Mittel der Kommunikation entwickelt sich im Sprachentwicklung abgeschlossen haben und sollte kommunikativen Miteinander unter Einbeziehung dann in der Lage sein, im Unterricht erfolgreich mit- verschiedenster Zugangsebenen: zuarbeiten. Damit ist der Grundstein für eine erfolg- Nicht der Fernseher und andere technische Me- reiche Bildungsbiografie gelegt. dien oder die elektronische Aufrüstung der Kinder- zimmer erweitern die Begriffswelt des Kindes, son- dern die Sprache gibt Kindern über Lieder, Märchen, Bilderbücher, Literatur und Erzählungen einen Ein- blick in die Phänomene der Welt, ihre Vorgänge und Zusammenhänge, und baut so ihre Erlebnis- und Wahrnehmungsfähigkeit aus. In der vorliegenden Broschüre sind vielfältige In- formationen und Anregungen zu Sprach- und Kom- munikationsförderung von Fachleuten aus Theorie und Praxis zusammengestellt worden. Im Namen der Deutschen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik (dgs) möchte ich sowohl Eltern als auch Fachkräfte in Kin- dertagesstätten dazu ermutigen, den Stellenwert mög- lichst vielfältiger Sprachförderung von Kindern zu beachten und ihre sprachliche Aneignung der Um- welt unter Einbezug der Informationen dieser Bro- schüre zu begleiten. Karin Borgwald 1. Vorsitzende der dgs Landesverband Hessen e.V. 4
Inhalt 1 Einleitung ............................................ 6 2 Wie entwickelt sich Sprache? .................... 7 3 Wie kommt es zu Beeinträchtigungen in der Sprachentwicklung? ....................... 13 3.1 Organisch-somatische Ursachen ................ 13 3.2 Hörstörungen ........................................ 13 3.3 Neurologische Störungen ......................... 14 3.4 Kognitive Beeinträchtigungen ................... 14 3.5 Zweitspracherwerb ................................. 14 3.6 Mehrsprachigkeit ................................... 14 3.7 Soziale Beeinträchtigungen ...................... 15 3.8 Bewegungsmangel und Sprache ................ 15 4 Sprachstörungen im Kindesalter ............... 17 4.1 Sprachentwicklungsstörungen .................. 17 4.2 Stottern ............................................... 18 4.3 Näseln ................................................. 19 4.4 Stimmstörungen .................................... 19 4.5 Hören / auditive Wahrnehmungs- störungen ............................................. 20 5 Förderung der Sprachentwicklung ............. 21 5.1 Allgemeine (Erziehungs-) Empfehlungen ..... 21 5.2 Empfehlungen zur Sprachförderung .......... 21 5.3 Sprach- und Sprechfreude entwickeln ......... 22 5.4 Handreichungen und Anregungen ............. 23 Abzählreime ......................................... 24 Das Menschlichste, was wir haben, Fingerspiele .......................................... 25 ist doch die Sprache, Bewegungsspiele .................................... 29 und wir haben sie, um zu sprechen. Zungenbrecher ...................................... 31 Theodor Fontane (1819–1898) 6 Weiterführende Literatur und Links ........... 32 7 Verzeichnis der Gesundheitsämter (Sprachheilbeauftragte in Hessen) .............. 33 8 Verzeichnis der Sprachheilschulen Hessens ............................................... 34 5
1 Einleitung Folgende sprachliche Auffälligkeiten bei Schulanfängern fallen in den letzten Jahren mit zunehmender Tendenz gehäuft auf: 䡲 zu geringer Wortschatz und fehlende Begriffsbildung Endlich kann mein Kind sprechen! Die ersten Worte 䡲 ungenügende Merkfähigkeit begeistern alle Eltern. Kein Wunder – das Kind be- 䡲 nicht korrekte Satzbildung und Grammatik ginnt nun auch mit Worten, Kontakt zur Umwelt auf- 䡲 nicht korrekte Lautbildung zunehmen. Mama, Papa, Oma, Auto: Zunächst wer- 䡲 Probleme, einen Sachzusammenhang verständlich in den geliebte Personen bzw. Gegenstände benannt. Worte zu kleiden Bisher hat das Kind seine Befindlichkeiten durch Schreien, Mimik oder Körpersprache ausgedrückt. 䡲 mangelnde Fähigkeit, einfache Arbeitsanweisungen Und es hat viel verstanden. Denn noch bevor das ers- und Erklärungen zu verstehen te Wort gesprochen wird, ist die Sprachentwicklung 䡲 fehlende Konzentration beim Zuhören in vollem Gange. Obwohl alle Kinder eine angeborene Bereitschaft mitbringen, Sprache zu erlernen, müssen Sprache und Sprechen in einem jahrelangen Lernprozess er- Hinzu kommt, dass sie oft nicht mehr altersentspre- worben werden. Der Erwerb der Muttersprache voll- chende Reime und Gedichte und / oder Kinderlitera- zieht sich in aufeinander folgenden Phasen. Im Ver- tur kennen. Manche Kinder verweigern sogar völlig lauf der Sprachentwicklung sind große individuelle die Kommunikation. Unterschiede bei Kindern im Hinblick auf die Ge- Eine gezielte Sprachförderung findet im pädagogi- schwindigkeit der Entwicklung des Wortschatzes, der schen Geschehen oft erst dann die notwendige Be- Aussprache und der Satzbildungsfähigkeit zu beob- achtung, wenn Probleme auftreten. Will man aber achten. Entscheidend für die Sprachentwicklung sind allen Kindern gleiche Chancen im Hinblick auf ihre die Anregungen durch das Umfeld des Kindes und schulische Situation einräumen, ist es erforderlich, die Motivation zum Sprechenlernen: Kinder müssen vorhandene Ressourcen besser zu nutzen und be- Sprache hören, verstehen und anwenden können. wusster einzusetzen. Eine Störung der Kommunika- Außerdem gibt uns die Sprache die Möglichkeit, tion wirkt sich negativ auf die gesamte kindliche Ent- unsere Emotionen auszudrücken. Zum einen können wicklung aus: auf die Beziehungen in der Familie, auf wir unsere Gefühle konkret benennen und sie somit die schulische Situation, und auf den Kontakt zu anderen mitteilen und zum anderen drücken sich Gleichaltrigen. Das Erkennen sprachlicher Beeinträch- unsere Gefühle oftmals durch die Stimmlage, Laut- tigungen ist deshalb in hohem Maße von dem in die stärke und Betonung unseres Gesprochenen aus. Entwicklung integrierten Personenkreis abhängig. Schon Babys sind in der Lage sehr früh auf soziale Das rechtzeitige Erkennen einer Sprachentwicklungs- Beziehungen zu reagieren und diese nachzuahmen. verzögerung bedeutet frühzeitige Diagnose und früh- In den ersten Lebensjahren lernen Kinder die Mut- zeitige Therapie. Dies sind die besten Voraussetzun- tersprache zu verstehen und zu sprechen – normaler- gen, die weitere geistige Entwicklung des Kindes zu weise ohne dass ihnen dies von jemandem bewusst fördern. beigebracht wird. Mit sechs Jahren beherrschen die In diesem Sinne will diese Broschüre Ratgeber meisten Kinder die Elemente und Strukturen ihrer und Wegweiser sein. Sie wendet sich an alle Eltern, Sprache weitgehend, der Spracherwerb ist im We- Angehörige und Erzieher, aber auch die im Bil- sentlichen abgeschlossen. Sie verfügen damit über die dungs-, Gesundheits- und Sozialbereich Tätigen und sprachlichen Mittel, differenziert über sich und ihre bietet eine Übersicht über Hilfsangebote und Welt mit anderen Menschen zu kommunizieren. Ansprechpartner für Sprachauffällige in Hessen. Das Kind entdeckt, dass der Gebrauch der Sprache An allen Gesundheitsämtern der Städte und Land- vieles einfacher macht. Ob zu Hause oder im Kinder- kreise des Landes Hessen sind Sprachheilbeauftragte garten, die meisten Kinder sprechen sehr gerne und tätig, deren Anschriften der Anhang enthält (Stand viel. Durch den regen Austausch mit anderen be- Januar 2007). Die Schwerpunkte der Arbeit der kommt auch das Sozialverhalten einen wichtigen Im- Sprachheilbeauftragten sind Aufklärung, Früherken- puls. Nun kann es selbst sagen, was es möchte, und nung, Beratung und die Einleitung heilpädagogischer besser auf andere reagieren. Maßnahmen. Die Sprachheilbeauftragten des Kreises Da es aber immer mehr Kinder gibt, die bei können neben dem Kinderarzt eine erste Anlaufstelle Schuleintritt nicht über notwendige sprachliche für eine Sprachberatung sein. Kompetenz verfügen, soll hier genauer darauf einge- Es bestehen vielfältige Möglichkeiten, durch früh- gangen werden, wie Eltern die Sprachentwicklung zeitiges Erkennen und rechtzeitige Behandlung einer ihrer Kinder positiv beeinflussen können. Vielfach Sprachbehinderung entgegenzuwirken und sie zu be- fühlen sich Erwachsene hilflos, wenn sie mit Kindern seitigen. Wichtig ist, dass die Bemühungen um die zu tun haben, die sich nicht richtig verständlich ma- Früherkennung verstärkt werden und alle für die För- chen können. Dabei ist es eine der wichtigsten Auf- derung verantwortlichen Stellen (Fachärzte, Logo- gaben der Eltern, ihren Kindern die Welt zu erklären, päden, Sprachheilpädagogen, Psychologen, u.a.) ver- Fragen zu beantworten, Geschichten zu erzählen. trauensvoll zusammenwirken. 6
2 Wie entwickelt sich Sprache? Dreijähriges Kind konnte nur bellen Treviso (epd.) Ein dreijähriger Junge aus der norditalienischen Provinz Treviso ist von seinen Eltern so vernachlässigt worden, dass es nicht sprechen, sondern nur bellen konnte. Das Kind verbrachte seine Tage allein zu Hause, während die Eltern in den Weinbergen arbeiteten. Einziger Gefährte des Kleinen war ein Hund. Niemandem fiel auf, dass er nicht einmal Mama und Papa sagte. Erst eine Kinderärztin merkte, dass er auf ihre Fragen mit einem Bellen antwortete – genau wie sein Hund. Fuldaer Zeitung 26.05.94 Vorstufen des Spracherwerbs Möglichkeiten der Verständigung, den Bewegungen Eigentlich ist es immer wieder ein kleines Wunder, der Hände und des Kopfes, der Mimik und der Gestik. dass Kinder anscheinend ohne große Mühe sprechen Das Kind muss im ersten Lebensjahr wichtige lernen. Sie lernen diese Sprache allerdings nicht „von Entwicklungsstufen für das Sprechenlernen durch- selbst“ – ganz im Gegenteil! Die Voraussetzungen für laufen und Lernerfahrungen sammeln. einen ungestörten Spracherwerb beginnen bereits in der Schwangerschaft. Hierbei entwickelt das noch ungeborene Kind seine biologischen Anlagen, um Sprache erwerben und anwenden zu können. Nach der Geburt kommt die sprachliche Zuwendung der Eltern, Geschwister, Verwandten und anderer Menschen dazu. Der Spracherwerb beginnt also lange bevor das Kind selber sprechen kann. Der Erwerb der Sprache selbst ist ein Lernprozess, der weitgehend von der Umwelt des Kindes abhängig ist, d.h. sich nur in einer sprechenden Umgebung voll- ziehen kann. Sprechen lernen ist nicht die Leistung eines Kindes allein; sondern die Eltern haben einen ebenso wichtigen Anteil wie das Kind selbst! Sprechen lernt das Kind über das Hören und Nachsprechen von Sprachvorbildern. Damit ist nicht reines Vorsprechen und „pauken“ von Wörtern gemeint. Sinnvoller als das bloße Vorsagen von Wörtern ist das gemeinsame Tun. Zum Beispiel: Ein Kind, das beim Spaziergang eine Blume pflückt, den Namen der Blume hört, an ihr riecht, sie zu einem Blumenstrauß zusammenfügt, kann sich diesen Namen gut merken, da mit ihm eine sinnliche Erfahrung verbunden ist. Es weiß, wie die Blume riecht, aussieht und sich Dazu muss das Kind zuerst bestimmte Entwick- anfühlt. Es kann das Wort dem Gegenstand hinzufü- lungsprozesse durchlaufen, um über die Fähigkeiten gen. Es steckt sehr viel an sprachlicher Förderung und zu verfügen, Sprache erwerben und anwenden zu Zuwendung hinter einer geglückten Sprachentwick- können. Fehlen die sprachlichen Anregungen und lung. Die Eltern müssen viel Zeit haben. Sie müssen sozialen Kontakte zwischen Eltern und Kind, so kann ihr Kind nicht nur pflegen und nähren, sondern auch es im extremsten Fall zu Auswirkungen wie im o. a. mit ihm spielen, schmusen und vor allem auch viel Artikel kommen, wo nur der Hund die „Bezugsper- mit ihm sprechen. Alles Tun mit dem Kind und alle son“ und „sprachliches Vorbild“ für den Jungen war. Reaktionen müssen vom ersten Tage an sprachlich Eine anregende Umgebung bestimmt wesentlich den begleitet werden, unterstützt von den anderen Grad der Vervollkommnung der Sprachentwicklung. 7
2 Wie entwickelt sich Sprache? Stimme. Schon nach wenigen Wochen kann das Kind die Stimme seiner Mutter von der Stimme anderer Personen seiner Umgebung unterscheiden. Es merkt, dass die Stimme der Personen, die es umgeben eine wichtige Bedeutung hat und es lernt seine Aufmerksamkeit auf sie zu richten auch wenn andere Klänge an sein Ohr dringen. Diese Fähigkeit, bei einem momentan wichtigen Reiz verweilen zu kön- nen, ist für die Sprachentwicklung äußerst bedeu- tungsvoll. Sie ist ausschlaggebend für das wirkliche Aufnehmen eines Wortes. Der Erwachsene tritt somit von Anfang an in einen Dialog mit dem Säugling. In den vielen gemeinsamen Alltagssituationen wie z.B. Füttern und Baden gibt es viele Gelegenheiten mit dem Säugling zu sprechen. Wenn wir miteinander reden, „sprechen“ wir sowohl mit Worten als auch mit unserem Körper. In der Kör- perhaltung, Gestik, Mimik oder Lautstärke, im Augen- ausdruck oder Stimmklang spiegelt sich ein Teil unse- res emotionalen Erlebens, wir drücken aus, in welcher Spracherwerb mit allen Sinnen Stimmung wir uns befinden. Die Körpersprache ist das älteste und universellste Das Kind muss im ersten Lebensjahr wichtige Ent- Kommunikationsmittel. Schon Säuglinge beherr- wicklungsstufen für das Sprechenlernen durchlaufen schen sie: Sie verziehen das Gesicht vor Schmerz, und Lernerfahrungen sammeln. Kummer oder Freude und drücken Mithilfe ihrer Die Lernerfahrungen des Kindes bauen sich durch Körpersprache ihre Gefühle aus. die Wahrnehmungstätigkeit auf, die die Grundlage für das spätere Sprechen bildet. Das Kleinstkind er- kennt seine Welt über sinnliche Wahrnehmung. Also Vom Phonem zum komplexen Satz über das, was es über den Mund, die Haut, die Nase, die Ohren, die Augen und seine Bewegungstätigkeit Unsere Sprache wird aus vielen Einzelteilen zusam- (Motorik) erfährt. Es greift mit den Händen nach mengesetzt. Damit das Kind dieses komplexe Gebilde Dingen, die es umgeben, befühlt, ertastet, hört, schaut, handhaben kann, muss es zuerst einmal über die ein- schmeckt, riecht usw. und erkundet auf diese Weise zelnen Elemente verfügen. Jede Sprache hat ein be- aktiv seine Umwelt. stimmtes Repertoire von Lauten. Laute sind die Bau- Das Kind nimmt von Geburt an sehr fein und steine der Sprache. Das Kind muss sie immer und hochempfindsam seine Umgebung mit allen Sinnen immer wieder hören. Das ist die Voraussetzung dafür, wahr. Die Aktivitäten des Kindes zeigen, dass es zu dass es sie auch hervorbringen kann. Da sich in jeder einer wirkungsvollen Interaktion mit seiner Um- Sprache bestimmte Laute und Lautkombinationen – gebung fähig ist und dabei Kommunikation auf viel- die Wissenschaft nennt sie Phoneme – oft wiederho- fältige Weise initiiert. In den ersten Lebensmonaten len, kann das Kind sie mit der Zeit erkennen und als erzeugt das Kind spielerisch Laute. Es gurgelt, bedeutsam einordnen. Es lernt, diese Phoneme von schmatzt, schnalzt und sprudelt mit seiner Stimme. anderen, zufälligen Geräuschen zu unterscheiden. Das Kind beginnt zu lallen und wir können beobach- Unabdingbare Voraussetzungen sind das ständige ten, dass es mit etwa einem halben Jahr die eigenen Hören der „Sprachmelodie“ der Muttersprache, die Lauterzeugnisse lustig nachplappert und sich damit direkte Ansprache und Blickkontakt. In der direkten in die Lage versetzt, später die Laute anderer sprachlichen Interaktion erkennt das Kind nach und Personen nachzuahmen. nach einzelne häufig vorkommende Sprachlaute. Es Das Kind entwickelt Freude an der eigenen imitiert diese und setzt sie wiederum kommunikativ Stimme und am Hören. Völlig unbefangen experi- und zielgerichtet ein. Die Unterscheidungsfähigkeit mentiert es mit der eigenen Stimme und trainiert auf von Lauten ist eine der wichtigsten Grundlagen für natürliche Weise seine stimmlichen Qualitäten. Dabei das spätere Lesenlernen. Sie wird in der Säuglingszeit horcht das Kind höchst aufmerksam auf sich selbst angebahnt. In den ersten sechs Lebensmonaten lernt und die Umgebung. Es nimmt über die Sinnesorgane das Kind, mit dem viel gesprochen wird, Laute zu (über das Schmecken, Riechen, Spüren, Hören und unterscheiden. Es baut ein Repertoire von Lauten auf, Sehen) Reize auf, verarbeitet sie, vergleicht mit die es oft vor sich hinlallt. Dieses Repertoire wird gespeicherten Erfahrungen und erkennt Erfahrenes ständig erweitert. Es bildet die Grundlage für das spä- wieder. Wahrnehmen ist ein aktives Suchen nach tere Sprechen, quasi das Baumaterial. Je mehr ver- Information. Beim Hören ist das Neugeborene fähig schiedene Laute ein sechsmonatiges Kind hervorbrin- Geräusche zu lokalisieren, sehr schnell nimmt es gen kann, desto besser ist seine „Ausrüstung“ für den Unterschiede wahr und spürt feine Variationen der Spracherwerb. 8
2 Wie entwickelt sich Sprache? Durch Hören erkennt das Kind Laute, die es nachplap- Die Eltern können von Anfang an sehr viel für pert. Durch aktives Nachahmen und Üben bildet es die Sprachentwicklung ihres Kindes tun. Das seine Artikulationsfähigkeit aus. Sprechen lernt man Ganze ist sehr einfach und jeder ist dazu in der durch Sprechen. Kinder, mit denen selten jemand Lage: spricht, bleiben sprachlich verarmt und sind somit be- nachteiligt. Nach der ersten Phase des Spracherwerbs, 䡲 Sprechen Sie von Anfang an mit Ihrem Kind. Erklären in der das Kind erst einmal das „Rohmaterial“ der Sie ihm beim Füttern, beim Wickeln, wenn Sie seine Sprache in Form vieler verschiedener Laute gesam- Mahlzeiten herrichten oder es anziehen, was Sie melt hat, kommt die nächste Phase: das Anhäufen gerade machen. eines Wortschatzes. Das Benennen der Dinge hat auf mehreren Ebenen 䡲 Und – das ist besonders wichtig: Lächeln Sie es an, eine große Bedeutung. Zunächst einmal bedeutet das wenn es Ihnen durch Lallen, durch Mimik oder Benennen der Dinge für ein Kind, dass es die Welt durch Gestik „antwortet“. So nimmt ihr Kind mit langsam erobert und in Besitz nimmt. Was es mit Ihnen Kontakt auf, es kommuniziert auf seiner Ebene Namen nennen kann, hat es als Idee in sich, ohne dass mit Ihnen. Wenn Sie ihm eine positive Rückmeldung das jeweilige Objekt in Wirklichkeit gerade vorhan- geben, indem Sie es anlächeln, hat es mit seiner den ist. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass ein Kind einen Spielgegenstand sucht, obwohl er nicht in Kommunikation Erfolg. Sie geben ihm emotionale seinem Blickfeld ist. Es vermittelt Kindern auch Zuwendung. Es wird sich also bemühen, seine dies- Sicherheit: Fremdes wird dadurch, dass ich es kenne bezüglichen Fähigkeiten weiter zu entwickeln. Die und weiß, wie es heißt, zu Bekanntem und Versuche, Laute zu bilden und sich zu artikulieren, Vertrauten. Der Wortschatz des Kindes entwickelt sind anstrengend. Sprechenlernen ist wie jedes sich. Dabei zeigt sich, dass der passive Wortschatz, andere Lernen auch mit Arbeit verbunden. Erfolge also der Wortschatz des „Sprache-Verstehens“, stets deutlich größer ist als der aktive Wortschatz des sind für uns alle das, was uns am stärksten motiviert. „Sich-Ausdrücken-Könnens“. Deshalb müssen Sie Ihr Kind für seine Sprech- Über das Hören der Muttersprache, das Lallen von versuche belohnen. Lauten, das Plappern erster Babywörter und das 䡲 Neben der Belohnung für seine Leistungen braucht Nachsprechen „richtiger“ Wörter lernt das Kind, erste Ihr Kind auch „Lernstoff“, um sich sprachlich ent- einfache Sätze zu bilden, die zunächst noch aus ein wickeln zu können. Diesen Lernstoff liefern Sie ihm bzw. zwei Wörtern bestehen: Mama, Mama lieb, Papa da, Auto brumm, auch tinken, usw. Diese Äußerungen durch häufiges Sprechen und Erzählen, aber auch sind abhängig von der Situation und können ver- durch Vorlesen. schiedenes bedeuten: Vielleicht möchte das Kind mit „Papa da“ möglicherweise lediglich feststellen, dass Papa nun von der Arbeit gekommen ist, oder aber es möchte ausdrücken, dass Papa mit ihm spielen soll, Von „kille-kille“ und „Herrn Nasenmann“ oder es möchte Papa etwas zeigen. Ein Kind kann auf diese Weise schon vielfältig „sprachlich handeln“. Es Kleine Verse kann man schon Säuglingen vor- kann hinweisen, antworten, benennen, auffordern, sprechen und ihm z. B. Wichtiges über seinen Körper beibringen. Hier einige Beispiele: Geht ein Mann die Treppe rauf (langsam mit 2 Fingern von den Knien über den Bauch übers Gesicht zur Stirn hin spazieren) klopft an (sachte an die Stirn klopfen) bim bam, (bei „bim“ am rechten Ohr ziehen, bei „bam“ am linken) guten Tag Herr Nasenmann (mit Zeigefinger und Daumen an der Nase wackeln). Kommt ein Mäuschen in das Häuschen. (Zeige- und Mittelfinger gehen den Arm hoch) Kommt ein Mückchen baut ein Brückchen (Finger gehen den Rücken herunter) Kommt ein Floh, der macht kille-kille so! (kitzeln) 9
2 Wie entwickelt sich Sprache? ablehnen, verneinen, nach etwas verlangen. Seine Bilderbücher, Kinderverse, Erzählungen und Sprechmelodie hilft ihm dabei zu kennzeichnen, was Märchen gehören zu den ältesten und wirkungsvoll- es wirklich meint. Dies Beispiel verdeutlicht, dass das sten Möglichkeiten, einem Kind Sprachmuster zu Kind mehr sagen möchte, als ihm an sprachlichen geben. Ein Bilderbuch öffnet darüber hinaus Kindern Mitteln zur Verfügung steht. Die Bedeutung seiner die Welt der Phantasie, des Gefühls und der Wissens- Äußerung zu verstehen und angemessen zu überset- erweiterung. Die Atmosphäre des Vorlesens und zen und zu erweitern, ist Aufgabe seines sozialen Gesprächs über das Gelesene fördert den Zugang zum Umfeldes. Buch und zur Kinderliteratur. Sein Einstieg in die grammatischen Regeln, d. h. Das Vorlesen und Erzählen von Geschichten eröff- wie sich Wörter zu Sätzen fügen, steht im Zusammen- net wieder einen anderen Zugang zur Sprache. Hier hang mit dem, wie es seine Welt und sich selbst ver- lernt das Kind Begriffe, die in der Alltagssprache steht. Dabei kann man feststellen, dass kleine Kinder nicht vorkommen, wie z. B. Hexe, Hexenhaus, Zwerg, während einer Unterhaltung so etwas wie die ver- verwünschen usw. Außerdem wird beim Erzählen ein kürzte Fassung eines Satzes von sich geben. Die Er- größerer sprachlicher Zusammenhang hergestellt, der wachsenen erweitern die Äußerungen von Kindern eine wesentlich längere Aufmerksamkeitsspanne und fügen das Ausgelassene zu. Etwa so: „das essen?“, erfordert als bloße Konversation. „Ja, den Brei habe ich für dich gemacht, den sollst du essen.“ Solche Dialoge mit Erwachsenen, in denen die kindlichen Äußerungen durch den Erwachsenen er- Phasen der Sprachentwicklung weitert werden, sind eine wichtige Bedingung für den Erwerb der vollständigen Sätze und der Grammatik. Viele Eltern fragen immer wieder: Spricht mein Kind So wird es dem Kind möglich, einfache Sätze richtig normal? Ist sein Sprechen altersgemäß entwickelt? zu bilden. Sie vergleichen ständig sorgenvoll mit anderen Kin- Die technischen Medien, die wir heute haben dern und finden auch immer wieder Vergleichs- (Fernsehen, Video, Kassettenrecorder, CD- und MP 3- partner, die viel mehr Worte sprechen und sich ge- Player, Play Station, u.a.) können nur wenig zur kind- schickter verständlich machen können. lichen Sprachentwicklung beitragen. Die schnell Sie sollten wissen, dass es große Unterschiede in wechselnden Bildfolgen z. B. beim Fernsehen haben der Entwicklung der Kinder gibt. Während z. B. Julia nichts mit einer konkreten Handlung gemein, von der eine bestimmte Fähigkeit schon sicher beherrscht, allein das Kind sein Sprechvermögen entwickeln plagen sich andere Kinder noch mit deren Erlernung kann. Auch bei den Kassetten / CDs fehlt der emotio- herum. Andererseits traut sich Markus schon etwas nale Bezug, das Kind kann sich nicht äußern, es hat ja zu, worauf die Eltern von Julia sehnsüchtig warten. kein Gegenüber, um zu antworten und zu fragen. Der Spielraum der individuellen Entwicklung ist groß. Und kein Kind gleicht dem anderen – jedes hat seine eigene Individualität. Auch die Sprachentwicklung verläuft von Kind zu Kind unterschiedlich. Wie bei der allgemeinen Ent- wicklung, so zeigen sich auch beim Spracherwerb individuelle Unterschiede im Entwicklungstempo, in der Art und Anzahl der ersten Wörter oder in der Häufigkeit des Sprechens. Die hier angeführten Entwicklungsschritte sollen eine Orientierungshilfe sein. Da die Entwicklung des Kindes von den unterschiedlichsten Faktoren ab- hängt, können die angegebenen Altersangaben nur Erfahrungswerte sein. 䡲 Bereits im Mutterleib trainiert das Kind die Körperteile, die für den Spracherwerb grundle- gend sind. Lippen, Zunge und Gaumen sind im Einsatz, wenn es am Daumen lutscht und Frucht- wasser schluckt. Ab dem 5. Monat nimmt es Stim- men und Geräusche von außen wahr. Bewegen Sie sich soviel wie möglich. Hierdurch werden das Gleichgewichtsorgan des Kindes und seine Wahrnehmung geschult. Reden Sie mit Ihrem Kind, erzählen Sie ihm Geschichten und singen Lieder. Achten Sie darauf, welche Geräu- sche Sie umgeben und vermeiden Sie Streit und Geschrei. 10
2 Wie entwickelt sich Sprache? 䡲 Die ersten verbalen Äußerungen des Babys dienen lich mehr verstehen als es sprechen kann. Es der Kundgabe seines Befindens. Sie äußern sich in spricht in Einwortsätzen. Der aktive Wortschatz den ersten Wochen im Schreien. Das Schreien wächst mit anderthalb bis zwei Jahren gewaltig an. kann ein „modifiziertes Schreien“ sein, mit dem es Mit dem ersten aktiven Sprechen, den ersten sein Wohlbefinden oder Unbehagen ausdrückt. Bezeichnungen eines Gegenstandes oder einer Sprechen Sie mit Ihrem Kind, spielen Sie mit ihm, Tätigkeit ist die Artikulation einzelner Wörter singen Sie ihm etwas vor während sie es füttern noch nicht korrekt. Dies ist der Zeitraum des und wickeln. Suchen Sie Blickkontakt zu Ihrem Entwicklungsstammelns. Hier lernt das Kind seine Kind. Zeigen Sie Freude über die Laute, die es Sprechwerkzeuge richtig zu verwenden, artikula- macht, erwidern und wiederholen Sie diese. Zeigen torische Verbindungen einzuüben und zu festigen. Sie Ihrem Kind Gegenstände, die kontrastreich In dieser Phase werden zum ersten Mal auch Zwei- sind und betiteln Sie diese. und Einwortsätze verwendet, deren grammatikali- sche Form häufig noch nicht korrekt ist. Eigen- 䡲 Mit ungefähr acht Monaten beginnt das Kind, schaften, wie schön, lieb, heiß, weich sollte es ein- sinnfreie Laute und Lautverbindungen zu benut- zuordnen und zu benutzen wissen. Wünsche zen. Sie drücken meistens einen Zustand der können in dieser Phase bereits differenzierter ge- Befriedigung aus. Einige Wochen später stellt das äußert werden. Das Nachahmen von Tierlauten Baby fest, dass es über seine Lautproduktion Kon- macht den Kind Spaß und direkte Bezugspersonen takte herstellen kann und reagiert, z. B. auf Anrede können bereits mit Namen angesprochen werden. durch die Mutter, mit gezielten Äußerungen. Ebenso sollte es in der Lage sein, feste Nahrung zu Benennen Sie zunehmend Gegenstände, des direk- kauen. ten Umfeld des Kindes in kurzen Sätzen. Sprechen Spielen Sie intensiv mit Ihrem Kind und komm- Sie Ihr Kind oft mit Namen an. Gestikulieren Sie tieren Sie dabei alles, was Sie tun. Zeigen Sie und machen Sie Bewegungsspiele, Winken, Knie- Ihrem Kind, was man mit den Spielsachen alles reiter etc., und ermuntern Sie Ihr Kind zur Nach- machen kann. Spielen Sie einfache Versteckspiele, ahmung. verstecken Sie sich oder Gegenstände, während Ihr Kind zuschaut und lassen Sie es dann suchen. 䡲 Mit ca. neun Monaten beginnt die Phase der Nach- Schauen Sie vermehrt Bilderbücher an, möglichst ahmung. Laute, die das Kind hört, werden gespei- mit kontrastreichen, klaren Bildern und erzählen chert. Es wird versucht, sie nachzuahmen. Nicht Sie, was Sie sehen. Fragen Sie nach bestimmten nur durch das Hören wird das Sprechen erlernt, Dingen auf den Bildern und lassen Sie sich diese sondern auch durch das Absehen. Auch die Nach- von Ihrem Kind zeigen. Singen Sie viel und ma- ahmung der Mundbewegungen des „Gesprächs- chen Sie Reime und Kniereiterspiele. Erzählen, partners“ hat beim Spracherwerb eine Bedeutung. wiederholen Sie, was Sie aktuell, im Laufe des Ta- Suchen Sie Blickkontakt zu Ihrem Kind, zeigen Sie ges mit Ihrem Kind erlebt haben. Korrigieren Sie Freude über die Laute, die es macht, erwidern und Ihr Kind nicht, wenn es ein Wort falsch ausspricht, wiederholen Sie diese. sondern wiederholen Sie dieses im nächsten Satz korrekt und erweitern Sie diesen, z.B. durch Eigen- 䡲 Ungefähr ab dem zehnten Lebensmonat beginnt schaften, die diese Sache besitzt. das Kind die Bedeutung von Wörtern, jedoch noch nicht deren vollen Sinngehalt, zu verstehen. Oft 䡲 Zwischen zwei und drei Jahren: Erste Doppelkon- wird jetzt der Sinn des Gesagten aus der Mimik, sonanten und kompliziertere Lautverbindungen den Gesten und dem Tonfall des Gegenübers er- wie /ch/, /gl/, kurze Sätze, Warum-Fragen, Verben fasst. So hat die nonverbale Kommunikation zu und Fürwörter erweitern nun die Sprache des diesem Zeitpunkt noch einen erheblichen Stellen- Kindes. Es sollte sich selber zunächst mit Vor- wert. namen, dann mit „Ich“ betiteln können. Farben Stellen Sie einfache Fragen. „Wo ist der Ball?“ lernt es zunehmend zu erkennen und zu benen- Lassen Sie Ihr Kind Gegenstände holen, so können nen, es führt Selbstgespräche mit Puppen und Sie spielerisch herausfinden, ob Ihr Kind Begriffe Tieren und erkennt einfache Handlungen auf richtig zuordnet und Sie versteht. Schauen Sie Bildern. erste einfache Bilderbücher an, und benennen Sie, Malen Sie mit Ihrem Kind und bieten Sie ihm viel was Sie sehen. Benutzen Sie auf keinen Fall die Material zum Experimentieren. Wiederholen Sie Babysprache, sondern die richtigen Bezeichnun- vergangene Erlebnisse und erinnern Sie an bereits gen und sprechen Sie in ganzen Sätzen. erzählte Geschichten. Fragen Sie Ihr Kind, was es gemacht hat. Spielen Sie einfache Spiele, wie 䡲 Nach Vollendung des ersten Lebensjahres beginnt Vater-Mutter-Kind, einkaufen gehen etc. und kom- der Worterwerb. Die ersten Wörter sind oft eine mentieren Sie jeden Handlungsschritt. Klangfolge, die mit Assoziationen verknüpft ist (z.B. „Muh“). Mit anderthalb Jahren bekommt die gesprochene Sprache immer mehr Bedeutung. Das Kind kann in dieser Entwicklungsphase wesent- 11
2 Wie entwickelt sich Sprache? 䡲 Ungefähr im vierten Lebensjahr kann es zu 䡲 Mit fünf bis sechs Jahren sollte die Lautbildung Sprechschwierigkeiten kommen, die als physiolo- abgeschlossen sein. Sätze, inklusive der Neben- gisches Stottern bezeichnet werden. In dieser sätze, sollte das Kind grammatikalisch korrekt bil- Entwicklungsstufe werden Wortanfänge oft wie- den können. Es kann Artikel und Pluralformen derholt, da Denken und Vorstellungsvermögen sowie korrekte Grammatik in der Vergangenheits- beim Kind oft schneller sind als die Wortfindung form anwenden und somit die Umgangssprache und die Sprechmotorik. sicher beherrschen. Lassen Sie Ihr Kind eigene Erlebnisse erzählen Nutzen Sie Bildkarten, auf denen Handlungen zu und fragen Sie dabei nach weiteren Details. Lesen sehen sind, um sie von Ihrem Kind in die richtige Sie umfangreichere Geschichten, aber mit klarer Reihenfolge legen zu lassen und zu kommentie- einfacher Handlung und von Bildern unterstützt ren. Lassen Sie Ihr Kind Geschichten weitererzäh- und besprechen Sie diese. Kommentieren Sie Ihr len und Geschichten zu Bildkarten erfinden. Handeln und begründen dies. Suchen Sie intensi- Erfragen Sie hierbei Zusammenhänge und Be- ven Dialog mit Ihrem Kind, erzählen Sie von eige- gründungen. Lesen Sie vereinzelt kurze Geschich- nen Erlebnissen und hören Sie gut zu. ten ohne Bilder vor und lassen Sie das Kind diese wiederholen. Fragen Sie nach Erlebnissen aus der 䡲 Im vierten Lebensjahr erweitert sich der Wort- Vergangenheit und achten Sie darauf, ob diese im schatz des Kindes immer mehr. Es benutzt jetzt richtigen zeitlichen Ablauf dargestellt werden. Präpositionen (z.B. auf, oben, unten, im, neben), Achten Sie darauf, dass Ihr Kind sich mit einer kann schon einige Farben zuordnen und beginnt Sache mindestens 15 bis 25 Minuten intensiv be- sie zu benennen. Es kann sich innerhalb seines schäftigen kann. Lebensbereiches schon ziemlich differenziert aus- drücken, hat Vorstellungen von Vergangenheit, Ge- Die kindliche Kommunikations- und Sprachent- genwart und Zukunft, gebraucht die Artikel richtig wicklung mit der sukzessiven Übernahme der Laute und kann nun bereits Haupt- und Nebensätze mit und Phoneme, der Aneignung von Wörtern und Konjunktionen bilden, wenn auch nicht immer Begriffen und dem Erkennen und Anwenden gram- ganz korrekt. Die Sicherheit seiner grammatischen matischer Regeln ist bei einem ungestörten Verlauf Fähigkeiten nimmt zu und die Muttersprache wird im Alter damit vorerst abgeschlossen. Bedenken Sie, nun weitgehend beherrscht. das Tempo, mit dem ein Kind lernt ist individuell und Suchen Sie intensiven Dialog mit Ihrem Kind, von vielen Faktoren abhängig. Zeittafeln wie diese, erzählen Sie von eigenen Erlebnissen und hören sind nur ein Anhaltspunkt, wobei Abweichungen von Sie gut zu. Sprechen Sie über alltägliche Dinge, anfänglich einigen Wochen und später einigen stellen Sie in Büchern und in der Realität komple- Monaten durchaus im Rahmen sind. Sollten größere xere Beziehungen her. Nebensätze, einfache Ver- Abweichungen auftreten oder die Entwicklung des gangenheitsformen, das Erzählen von Erlebnissen Kindes stehen bleiben oder sogar rückläufig sein, soll- in zeitlich richtiger Reihenfolge und das Be- te in jedem Fall Kontakt mit Fachleuten aufgenom- schreiben von Zusammenhängen in Bilderbüchern men werden. gehören in diesen Zeitraum. Lassen Sie Ihr Kind zu Bildern eigene Geschichten erfinden. Ermuti- gen Sie Ihr Kind zum Äußern von Bedürfnissen gegenüber vertrauten Personen und nehmen Sie ihm dies nicht vorweg. Lassen Sie Ihr Kind telefo- nieren. Der Medienkonsum sollte so gering wie möglich gehalten werden (max. 30 min pro Tag). Je früher eine Sprachstörung erkannt Lassen Sie Ihr Kind vorgelesene Geschichten wie- und behandelt wird, umso größer ist die derholen und erfragen Sie Details. Aussicht auf Besserung und Heilung. 12
3 Wie kommt es zu Beeinträchtigungen in der Sprachentwicklung? Seit einigen Jahren schlagen Mediziner, Sprachheil- 3.1 Organisch-somatische Ursachen lehrer und Logopäden Alarm: Sprachauffälligkeiten bei Kindern haben in den letzten Jahren rapide zuge- Zu den somatischen Ursachen zählen auch Anoma- nommen. Im Jahre 2003 wurde im Auftrag des lien der Sprechwerkzeuge. Das sind z. B. anatomische Hessischen Sozialministeriums eine hessenweite Stu- Veränderungen im Bereich der Lippen, des Kiefers, die zur Erfassung der sprachlichen Kompetenzen von des Gaumens und der Zunge. Auffälligkeiten in die- 4- bis 4,5-jährigen Kinder durchgeführt. In dem inter- sen Bereichen lassen sich schon sehr zeitig erkennen, disziplinären Projekt der Deutschen Gesellschaft für denn sie verursachen auch Probleme beim Saugen, Sprachheilpädagogik, (Landesverband Hessen e.V.), Kauen und Schlucken. Andere angeborene Er- des Hessischen Sozialministeriums, der Universität krankungen und genetische Störungen wie z. B. Marburg und der Universität Gießen wurden 759 Kin- Down Syndrom behindern ebenfalls den normge- der überprüft. In 9 Städten und 12 Landkreisen wur- rechten Spracherwerb. den in 89 Kindertageseinrichtungen 601 einsprachig aufwachsende deutsche Kinder und 158 Kinder mit Migrationshintergrund und Deutsch im Zweitsprach- 3.2 Hörstörungen erwerb hinsichtlich ihrer kommunikativen und deutschsprachigen Kompetenzen mit dem Marburger Ein gutes Hörvermögen ist Voraussetzung für eine Sprach-Screening (MSS, vgl. Holler-Zittlau, Dux, normale Sprachentwicklung. Periphere Hörstörungen Berger 2003) untersucht. z. B. unerkannte Schwerhörigkeit, chronische Mittel- Die Untersuchungsergebnisse aus 2003 zeigten, ohrentzündung erschweren die Sprachwahrneh- dass ca. 22 % der deutschen Kinder und ca. 51 % der mung, was eine Störung in der Aussprache und der Kinder mit Migrationshintergrund und Deutsch im Grammatik zur Folge haben kann. Zweitspracherwerb in ihrer Sprachentwicklung deut- Zur genauen lich verzögert oder gestört waren und / oder erhebli- Diagnose werden che Probleme in der Kommunikation und im Erwerb durch den Phonia- der deutschen Sprache aufwiesen. ter (Facharzt für In einer Folgeuntersuchung wurden die auffäl- Sprach-, Stimm- ligen Kinder vor der Einschulung (2005) erneut über- und kindliche Hör- prüft. Die Zweituntersuchung hat gezeigt, dass störungen) objekti- 90 % der Kinder mit massiven sprachlichen Proble- ve und subjektive men durch gezielte sprachheilpädagogische und logo- Hörprüfmethoden pädische Betreuung erhebliche Fortschritte erzielt ha- eingesetzt, die ben. Das zeigt, dass es notwendig ist, die sprachlichen auch die Verarbei- Kompetenzen der Kinder frühzeitig durch Fachkräfte tung des „Gehör- zu erfassen. Dadurch könnten die Sprachprobleme ten“ durch das Ge- der Kinder früher als bisher erkannt und die Eltern hirn überprüfen hinsichtlich einer fachlichen Differenzialdiagnose kann. Denn zentrale Hörstörungen (auditive Wahr- und Förderung besser beraten werden. nehmungsstörungen) wirken sich besonders gravie- Verschiedene Faktoren und Bedingungen können rend auf den Spracherwerb aus. So können z. B. ähn- den komplizierten Prozess der Sprachentwicklung lich klingende Laute nicht differenziert werden oder und des Spracherwerbs stören und beeinträchtigen. das Verstehen in lauter Umgebung fällt besonders Neben organisch somatischen Ursachen wie schwer. Auch das Zuordnen von Alltagsgeräuschen, Hörstörungen, Anomalien der Sprechwerkzeuge, geis- das Unterscheiden unterschiedlicher Tonhöhen oder tigen Behinderungen und genetischen Dispositionen das Erkennen eines bestimmten Rhythmus gelingt können auch zunehmend psychosoziale Faktoren nicht. Deshalb können auditive Wahrnehmungs- oder ungünstige sprachliche Vorbilder zu Verzögerun- störungen auch das Schreiben- und Lesenlernen er- gen und Störungen im Spracherwerb führen. schweren. 13
3 Wie kommt es zu Beeinträchtigungen in der Sprachentwicklung? 3.5 Zweitspracherwerb Kinder ausländischer Herkunft sprechen in ihrer Fa- milie meistens die Herkunftssprache (Muttersprache) ihrer Eltern (man spricht hier von Deutsch als Zweit- spracherwerb). Sie haben oft auch außerhalb der Fa- milie wenig Kontakt zur deutschen Sprache und damit auch wenig Gelegenheit, die deutsche Sprache in für sie wichtigen Handlungskontexten zu hören, zu erfahren und in ihr zu kommunizieren. Die Sprache, die die Kinder in der deutschsprachi- gen Umgebung „aufschnappen“ und lernen, dient der situativen Handlungsregelung und Kommunikation. Bei solcherlei ungesteuertem Zweitspracherwerb ist das Erkennen sprachlicher Regeln eher zufällig. Diese Art des Spracherwerbs birgt die Gefahr, dass die Kinder ungünstige Sprachformen übernehmen. Bei Schuleintritt reichen die Deutschkenntnisse dann oft- mals nicht aus, um erfolgreich am Unterricht teil- zunehmen, zu lernen und die Schriftsprache zu erwerben. Sprechen die Eltern nur wenig Deutsch, so sollten sie sich darum bemühen, dass ihr Kind oft mit deutschsprachigen Kindern zusammenkommt. Das kann durch Teilnahme an einem Spielkreis, einen frühen Kindergartenbesuch und durch einen ganz- tägigen Besuch einer Kindertagesstätte unterstützt werden. 3.3 Neurologische Störungen 3.6 Mehrsprachigkeit Erkrankungen des zentralen Nervensystems zeigen Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammen- sich u. a. durch neuromuskuläre Störungen im Bewe- hang der zweisprachigen Erziehung zu. Grundsätzlich gungsablauf, die sich auch auf das Sprechen auswir- ist es begrüßenswert, wenn ein Kind mehrere Spra- ken. Die Aussprache wird undeutlich, verwaschen chen beherrscht. In vielen Fällen gelingt das auch und auch das Sprechtempo ist verändert, so dass die ohne größere Auffälligkeiten, Verzögerungen und Sprachverständlichkeit erheblich beeinträchtigt sein Störungen beim Spracherwerb. Wesentlich für eine kann. zweisprachige Erziehung ist, dass die beiden Spra- chen an Personen gebunden und nicht willkürlich gewechselt und benutzt werden. Wenn Kinder von 3.4 Kognitive Beeinträchtigungen Geburt an zwei Sprachen gleichberechtigt erwerben, weil ihre Eltern jeweils über eine andere Erstsprache Der Spracherwerb und die kognitive Entwicklung ste- verfügen, sollten Mutter und Vater nur in ihrer hen in einer wechselseitigen Beziehung und bedingen Sprache mit dem Kind kommunizieren. Das Kind einander. Durch kognitive Beeinträchtigungen erfolgt lernt auf diese Weise, sich sicher zwischen zwei der Spracherwerb häufig verlangsamt. So können z.B. Sprachen zu bewegen. Diese Bindung der Sprachen konkrete Alltagsgegenstände benannt werden, kom- ist ein Ordnungsprinzip, das vom Kind problemlos plizierte und abstrakte Zusammenhänge werden aber übernommen werden kann. Es stellt jedoch hohe nur mit Mühe erkannt. Es bestehen deutliche Auf- Anforderungen an das Sprachverhalten der Eltern, fälligkeiten in der Wortschatzentwicklung und Satz- wenn es konsequent beibehalten wird. bildung. 14
3 Wie kommt es zu Beeinträchtigungen in der Sprachentwicklung? 3.7 Soziale Beeinträchtigungen Für die Förderung der Kommunikation und des Spracherwerbs bietet der Kindergarten eine große „Die Erfahrungswelt der Kinder hat sich verändert Chance, die Entwicklung dieser Kinder zu unterstüt- und damit auch die Fertigkeiten, die sie beherrschen. zen. Gerade Kinder, die in ungünstigen Entwicklungs- Einige Kinder können ihre Wahrnehmungsfunk- situationen leben, brauchen eine ergänzende Unter- tionen nicht ausreichend entwickeln, da sie nur einen stützung. Der Kindergarten ist der Ort, an dem die Ausschnitt der Möglichkeiten angeboten bekommen. Kinder gezielt in der Entwicklung ihrer Fähigkeiten Über Fernsehen und PC kann man die Welt in Bildern angeregt und unterstützt werden können. erfahren, wir brauchen zum Lernen aber auch unsere anderen Sinnessysteme und Möglichkeiten. Das Fernsehen z.B. vermittelt den Kindern Reize für ihre 3.8 Bewegungmangel und Sprache Sinne aus zweiter Hand. Die Kinder hören zwar Sprache, dies hat für sie jedoch zumeist keine Hand- Zu den vorsprachlichen Erfahrungen gehört die lungsbedeutung, denn eine sprachliche Reaktion wird Aneignung der kindlichen Umwelt mit allen Sinnen, vom Fernsehen nicht erwartet. Sie haben dadurch d. h. aktiv und voller Bewegung. Entwicklungs- wenig Gelegenheit zur Kommunikation und zum psychologen sagen, dass zwischen der kognitiven sprachlichen Austausch. Unsere Welt lebt von schnel- Entwicklung und der motorischen Aktivität ein enger len Bildern. Zuhören und einfach miteinander spre- Zusammenhang besteht. Greifen ermöglicht das chen, spielen, Geschichten erzählen findet nicht mehr Begreifen. Nur weil wir etwas mit unserer Hand fas- so oft statt. Es gibt viele ablenkende Reize. Viele sen können, erfassen wir auch etwas mit unserem Kinder sind nicht gewohnt, dass ein Gespräch ohne Kopf. Kinder erschließen sich Ihre Umwelt zunächst mitlaufenden Fernseher oder Hintergrundgeräusche beinahe ausschließlich über Greifen, Betasten und aus dem Radio geführt wird. Manchmal gibt es keine Fühlen. Das „Begreifen“ im allerwörtlichsten Sinn Zeit, gemeinsam Geschichten zu erzählen, vorzulesen ermöglicht ihnen ein eigenständiges Sammeln von und Bilder zu schauen. Dennoch kann man Fernsehen vielfältigen Erfahrungen. Und auch in der späteren und Computer nicht verteufeln. Es gibt wunder- Entwicklung des Kindes sind Bewegung, schöne Sendungen und auch tolle multimediale Com- Wahrnehmung und Lernen untrennbar miteinander puterprogramme. Es ist nur wichtig, dass nicht die verbunden. Kindliches Interesse erlaubt keine Kinder entscheiden, wann, wie lange und was sie Distanz. Was ein Kind sehen möchte, schaut es sich schauen. Eltern müssen den Gebrauch von Medien aus der Nähe an. Es läuft hin, möchte berühren, rie- klar regeln. (nach Dr. Elisabeth Aust-Claus, Wiesba- chen, bespielen. Anfassen und sehen ist eines. Körper- dener Kurier vom 07.12.2006) und Bewegungserfahrungen sind das Bindeglied zwi- Das Miteinander-Sprechen in der Familie übt ei- schen dem Kind und seiner Umwelt. nen großen Einfluss auf die Sprechfreude des einzel- Weitreichendes und selbständiges Erfassen der nen Kindes aus. Das Miteinander-im-Gespräch-sein, Umwelt durch direktes und aktives Erleben sind das Miteinander-Spielen ist heute auf dem Hinter- somit entscheidende Grundlagen für die Entwicklung grund veränderter Lebenslagen nicht mehr so selbst- von Sprache und Intelligenz. Doch gerade diese akti- verständlich. Kinder brauchen einen Erfahrungs- ve Aneignung der kindlichen Umwelt findet immer raum, in dem sie ihre Sprache ausprobieren und ihre weniger statt. Bewegungsstörungen schädigen nicht Sprachkompetenz durch das Sprachvorbild der nur den Körper. Wir wissen heute: Bewegung ist die Erwachsenen erweitern. Diesen Erfahrungsraum bie- Grundlage für eine geistige, soziale und persönliche tet zu allererst die Familie. In einer Atmosphäre, in Entwicklung. Schon in den Vierzigerjahren erkannte der sich alle wohlfühlen und in der jeder seine der Schweizer Psychologe Jean Piaget: Meinung äußern kann, trifft man sich und kommt Wer nicht rück wärts gehen kann, dem fällt auch das spontan ins Gespräch. Familie als Erfahrungsraum, in Rück wärts-Zählen sch wer. Wer leicht das Gleich- dem Sprache ein wichtiger Bestandteil der Familien- gewicht verliert, findet auch nie seine seelische kultur ist. Über gemeinsames Spielen, Geschichten, Balance, wer eine Kreisbewegung nicht begreift, kann Märchen, Lieder, Kinderzeichnungen, Fernsehsen- sich auch den anderen im Kreis nicht anschließen. dungen kann man sich zu gemeinsamen Gesprächen anregen lassen. In Familien, in denen wenig gesprochen wird, er- halten die Kinder oft nicht genug sprachliche Anre- gungen für ihre Entwicklung. Dies hat einen doppelt Bewegungsstörungen verzögern ungünstigen Effekt: Zum einen erhalten die Kinder auch die Sprachentwicklung! ein undifferenziertes Sprachangebot und Sprachvor- bild, z. B. wenig differenzierte Benennung von Gegen- ständen und kaum Formulierungen komplexer Sätze, zum anderen erhalten sie damit einhergehend auch wenig Informationen über die Gegenstände und Sach- verhalte ihrer Umgebung. Dies wiederum hat Auswir- kungen auf ihr Wissen und die kognitive Entwicklung. 15
3 Wie kommt es zu Beeinträchtigungen in der Sprachentwicklung? Die Entwicklung der Sprache und ihre Störung können nur im Zusammenhang mit der Gesamt- entwicklung des Kindes verstanden werden. Hierzu gehören u.a. besonders die Bereiche: 䡲 Bewegung (Grob-, Fein- und Mundmotorik) 䡲 Körper, Organismus (Entwicklung der Sinnesorgane: Augen, Ohren, Hände) 䡲 Wahrnehmung (Sehen, Hören, Fühlen) Wichtig ist es, Kinder spielerisch zum Sprachge- brauch zu animieren und sanft zu korrigieren, z. B. 䡲 Denken, Gedächtnis (Entwicklung der Begabung, durch ein scheinbar beiläufiges Wiederholen oder Be- Merkfähigkeit) kräftigen einer Aussage in der richtigen Aussprache. 䡲 Sozialverhalten (Familie, Kindergarten, Schule) Aufforderungen von Eltern oder Erzieher mit erhobe- nem Zeigefinger, doch endlich richtig zu sprechen, bewirken meist nur das Gegenteil – einen Rückzug und ein Verstummen des Kindes. Je früher Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung des Kindes erkannt werden, umso mehr Aussicht auf Erfolg haben Beratung und mögliche therapeutische Schritte. Bleiben sprachliche Mängel bis zur Einschu- lung unbehandelt, drohen dem Kind Beeinträchti- gungen seiner weiteren Entwicklung. Für die Sprach- entwicklung gibt es eine so genannte sensible Phase, die in der Regel gegen Ende des dritten Lebensjahres endet. Alles, was das Kind danach erlernen muss, fällt ihm weitaus schwerer und gelingt oft nicht mit dem gleichen Erfolg wie bei einer rechtzeitigen Entwick- lung. Ein Schulkind, das Sprache nicht richtig ver- steht und beherrscht, hat fast automatisch Probleme in der schulischen Leistung, im Lernen und im Sozial- verhalten. Nur mit einer altersgemäß entwickelten Sprache als einem Instrument des Denkens und der Ver- ständigung gelingt es dem Kind sich die Welt zu erobern. Die Klärung der Ursachen ist Aufgabe von Fachleuten. Die notwendigen Fördermaßnahmen ori- entieren sich immer an den Entstehungsursachen der Sprachstörung und bedingen unterschiedliche thera- peutische Ansätze. Denn die sprachlichen Beein- trächtigungen haben in der Regel mehrere Ursachen und sind weder isoliert zu betrachten noch isoliert zu behandeln. Wenn Eltern den Verdacht haben, dass bei ihrem Kind ein Entwicklungsschritt nicht richtig vollzogen wurde, müsse dieser Verdacht äußerst ernst genom- men werden. Es reicht nicht, wenn man diese Eltern mit dem Satz „Das wächst sich noch aus“ beruhigt. Im Zweifelsfall können Eltern neben Kinderärzten sich auch an HNO-Ärzte, Sprachheilbeauftragte, Logo- päden, Sprachheillehrer u.a. wenden. 16
Sie können auch lesen