Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium

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Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium
Hessisches Sozialministerium

Sprachentwicklung
und Sprachförderung
                               Deutsche Gesellschaft

bei Kindern                    für Sprachheilpädagogik e. V.
                               Landesverband Hessen
Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium
Diese Schrift wendet sich an Eltern, Erzieherinnen und Erzieher. Wir möchten Ihnen
damit eine Hilfe an die Hand geben, wie Sie die Sprachentwicklung Ihrer Kinder unter-
stützen und begleiten können. Sie will in kurzer Form darstellen, wie die kindliche
Sprache sich entwickelt und beraten, was bei Sprachauffälligkeiten getan werden kann.

Herausgeber
Hessisches Sozialministerium
Referat Öffentlichkeitsarbeit
und
Deutsche Gesellschaft für
Sprachheilpädagogik Landesgruppe Hessen e.V.

Autoren
Winfried Dux, Hünfeld
Susanne Sievert, Wiesbaden

unter Mitarbeit von
Prof. Dr. med. R. Berger, Landesärztin für Hör- und
Sprachbehinderte, Marburg
Reinhard van Husen, Rüdesheim

Redaktion
Dr. med. Angela Wirtz, Hessisches Sozialministerium
Gesa Krüger, Hessisches Sozialministerium (verantwortlich)

Produktion
Herbert Ujma, Hessisches Sozialministerium

Gestaltung
Kirsch Kommunikationsdesign GmbH, Walluf

Druck
mww.druck und so... GmbH, Mainz-Kastel

Stand
Juni 2012
Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium
Vorworte

Alle Eltern sind begeistert, wenn ihre Kinder die           Ziel von KiSS ist es, die Bildungschancen aller Kin-
ersten Worte in ihrem Leben sprechen. Meist sind        der zu verbessern, denn Sprache ist der Schlüssel zu
dies „Mama“ oder „Papa“, oft auch einfache Laute, mit   späterem schulischen und beruflichen Erfolg. Mit
denen das Kind den ersten sprachlichen Kontakt her-     KiSS sollen die sprachlichen Kompetenzen und Kom-
stellt. Wie gut das Kind auf dem späteren Lebensweg     munikationsfähigkeiten der Kinder möglichst ganz-
die sprachlichen Kompetenzen ausbauen kann, hängt       heitlich erfasst werden. Das standardisierte Verfahren
vor allem von der kommunikativen Zuwendung der          trägt dazu bei, Fehleinschätzungen zu vermeiden und
Eltern ab. Aber auch die Kommunikationsbedin-           unentdeckte sprachliche Entwicklungsrückstände
gungen der Gesellschaft spielen eine entscheidende      aufzudecken. Mit KiSS werden sowohl medizinischer
Rolle. Konsumverhalten, Mediennutzung, soziale          Abklärungsbedarf als auch pädagogischer Förderbe-
Sicherheit, Wohnortwechsel, Normen, Werte und           darf bei Kindern erfasst. Die individuellen Ergebnisse
viele andere Komponenten beeinflussen Kinder auf        jedes einzelnen Kindes bilden eine fachgerechte
ihrem Lebensweg.                                        Grundlage für eine frühzeitige Sprachförderung. So
    Die Familie hat einen wesentlichen Einfluss auf     ist es möglich, mit sprachanregenden Situationen und
die Sprachentwicklung des Kindes. Für eine gesunde      pädagogischen Maßnahmen ein Angebot zu schaffen,
Sprachentwicklung sind Wertschätzung von Sprache,       das die Sprachentwicklung des Kindes fördert und
sprachliche Anregung im Elternhaus und die Zusam-       Sprachstörungen entgegenwirkt.
menarbeit mit pädagogischen Fachkräften in Kinder-          Diese Broschüre soll Ihnen bei der Förderung der
garten und Schule eine wichtige Basis. Nur wenn         Sprachentwicklung bei Kindern eine hilfreiche
Familie, Kindergarten, Schule und Vereine gut zu-       Unterstützung sein.
sammen arbeiten, lässt sich die Sprachentwicklung
von Kindern erfolgreich fördern. Eine gute Zu-
sammenarbeit dieser gesellschaftlichen Institutionen
ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Förderung
der Kinder.
    Wissenschaftliche Untersuchungen der letzten
Jahre belegen eine Zunahme mangelnder Sprach-
kompetenz bei Schulanfängern. Dahinter verbergen
sich sowohl Kinder mit medizinisch abklärungsbe-
dürftigen Sprachstörungen als auch Kinder, die eine
pädagogische Sprachförderung benötigen. Für eine
differenzierte Sprachförderung ist eine systematische
Begleitung der Sprachentwicklung von Kindern not-
wendig. Sprachauffälligkeiten müssen so früh wie
möglich erkannt und dokumentiert werden. Das
Hessische Sozialministerium hat deshalb das Kinder-
sprachscreening (KiSS) zur systematischen Überprü-
fung des Sprachstands eingeführt. Pädagogische
Fachkräfte in hessischen Kindertagesstätten erfassen
mit diesem Verfahren die sprachlichen Fähigkeiten
und das kommunikative Verhalten der vier- bis vier-
einhalbjährigen Kinder mit Deutsch als Mutterspra-                             Stefan Grüttner
che oder Deutsch als Zweitsprache.                                             Hessischer Sozialminister

                                                                                                                   3
Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium
Vorworte

           Sprache ist der Schlüssel zu fast allen Lebensberei-        In unserer hochtechnisierten, mediengeprägten
           chen. Für unsere Kinder ist die Sprache Werkzeug        Umwelt haben sich die Lebens- und Entwicklungsbe-
           und Brücke zugleich, sie ermöglicht ihnen die An-       dingungen für Kinder stark verändert. Verschiedene
           eignung von Wissen, Erkenntnissen und Einsichten,       Untersuchungen belegen übereinstimmend, dass
           so dass aus lernenden Kindern bewusste Erwachsene       immer mehr Kinder im Kindergartenalter Auffällig-
           werden, die sich in der Welt von morgen zurechtfin-     keiten in den Bereichen Sprachverständnis und Aus-
           den und sie angemessen gestalten können.                drucksfähigkeit zeigen. Mangelnde Sprachkompetenz
               Die Sprachentwicklung eines Kindes stellt einen     aber verursacht Missverständnisse, Verunsicherung
           komplexen Lernprozess dar, der im zwischenmensch-       und die Entstehung von Barrieren zur sozialen und
           lichen Miteinander erfolgt und entscheidend beein-      gesellschaftlichen Teilhabe.
           flusst wird durch Anregungen aus dem sozialen Um-           Um Kindern einen barrierefreien Zugang zu Bil-
           feld. Sprachliche Anregung und kommunikatives           dung und somit eine erfolgreiche Schullaufbahn zu
           Miteinander in der Familie prägen den Spracherwerb      ermöglichen, muss die Entwicklung von Sprache als
           des Kindes vom ersten Tag an. Alle Sinne und Emo-       Grundlage zur Aneignung von Bildung möglichst früh
           tionen sind in diesen Prozess einbezogen, alle Fähig-   und aufmerksam gefördert werden.
           keiten bauen aufeinander auf, werden weiterentwi-           Dazu braucht es keine Programme und Kurse, die
           ckelt und miteinander verknüpft. Im Regelfall wird      vom Erleben der Kinder abgekoppelt sind. Sprache
           ein Kind auf diese Weise bis zum Schuleintritt seine    als Mittel der Kommunikation entwickelt sich im
           Sprachentwicklung abgeschlossen haben und sollte        kommunikativen Miteinander unter Einbeziehung
           dann in der Lage sein, im Unterricht erfolgreich mit-   verschiedenster Zugangsebenen:
           zuarbeiten. Damit ist der Grundstein für eine erfolg-       Nicht der Fernseher und andere technische Me-
           reiche Bildungsbiografie gelegt.                        dien oder die elektronische Aufrüstung der Kinder-
                                                                   zimmer erweitern die Begriffswelt des Kindes, son-
                                                                   dern die Sprache gibt Kindern über Lieder, Märchen,
                                                                   Bilderbücher, Literatur und Erzählungen einen Ein-
                                                                   blick in die Phänomene der Welt, ihre Vorgänge und
                                                                   Zusammenhänge, und baut so ihre Erlebnis- und
                                                                   Wahrnehmungsfähigkeit aus.
                                                                       In der vorliegenden Broschüre sind vielfältige In-
                                                                   formationen und Anregungen zu Sprach- und Kom-
                                                                   munikationsförderung von Fachleuten aus Theorie
                                                                   und Praxis zusammengestellt worden. Im Namen der
                                                                   Deutschen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik (dgs)
                                                                   möchte ich sowohl Eltern als auch Fachkräfte in Kin-
                                                                   dertagesstätten dazu ermutigen, den Stellenwert mög-
                                                                   lichst vielfältiger Sprachförderung von Kindern zu
                                                                   beachten und ihre sprachliche Aneignung der Um-
                                                                   welt unter Einbezug der Informationen dieser Bro-
                                                                   schüre zu begleiten.
           Karin Borgwald
           1. Vorsitzende der dgs
           Landesverband Hessen e.V.

4
Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium
Inhalt
1     Einleitung ............................................ 6

2     Wie entwickelt sich Sprache? .................... 7

3     Wie kommt es zu Beeinträchtigungen
      in der Sprachentwicklung? ....................... 13
3.1 Organisch-somatische Ursachen ................ 13
3.2 Hörstörungen ........................................ 13
3.3 Neurologische Störungen ......................... 14
3.4 Kognitive Beeinträchtigungen ................... 14
3.5 Zweitspracherwerb ................................. 14
3.6 Mehrsprachigkeit ................................... 14
3.7 Soziale Beeinträchtigungen ...................... 15
3.8 Bewegungsmangel und Sprache ................ 15

4     Sprachstörungen im Kindesalter ............... 17
4.1 Sprachentwicklungsstörungen .................. 17
4.2 Stottern ............................................... 18
4.3 Näseln ................................................. 19
4.4 Stimmstörungen .................................... 19
4.5 Hören / auditive Wahrnehmungs-
      störungen ............................................. 20

5     Förderung der Sprachentwicklung ............. 21
5.1 Allgemeine (Erziehungs-) Empfehlungen ..... 21
5.2 Empfehlungen zur Sprachförderung .......... 21
5.3 Sprach- und Sprechfreude entwickeln ......... 22
5.4 Handreichungen und Anregungen ............. 23
      Abzählreime ......................................... 24
                                                                   Das Menschlichste, was wir haben,
      Fingerspiele .......................................... 25   ist doch die Sprache,
      Bewegungsspiele .................................... 29      und wir haben sie, um zu sprechen.
      Zungenbrecher ...................................... 31
                                                                   Theodor Fontane (1819–1898)

6     Weiterführende Literatur und Links ........... 32

7     Verzeichnis der Gesundheitsämter
      (Sprachheilbeauftragte in Hessen) .............. 33

8     Verzeichnis der Sprachheilschulen
      Hessens ............................................... 34

                                                                                                        5
Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium
1 Einleitung                                                Folgende sprachliche Auffälligkeiten bei
                                                                Schulanfängern fallen in den letzten Jahren mit
                                                                zunehmender Tendenz gehäuft auf:
                                                                䡲   zu geringer Wortschatz und fehlende Begriffsbildung
       Endlich kann mein Kind sprechen! Die ersten Worte        䡲   ungenügende Merkfähigkeit
       begeistern alle Eltern. Kein Wunder – das Kind be-       䡲   nicht korrekte Satzbildung und Grammatik
       ginnt nun auch mit Worten, Kontakt zur Umwelt auf-       䡲   nicht korrekte Lautbildung
       zunehmen. Mama, Papa, Oma, Auto: Zunächst wer-
                                                                䡲   Probleme, einen Sachzusammenhang verständlich in
       den geliebte Personen bzw. Gegenstände benannt.
                                                                    Worte zu kleiden
       Bisher hat das Kind seine Befindlichkeiten durch
       Schreien, Mimik oder Körpersprache ausgedrückt.          䡲 mangelnde Fähigkeit, einfache Arbeitsanweisungen
       Und es hat viel verstanden. Denn noch bevor das ers-         und Erklärungen zu verstehen
       te Wort gesprochen wird, ist die Sprachentwicklung       䡲 fehlende Konzentration beim Zuhören
       in vollem Gange.
          Obwohl alle Kinder eine angeborene Bereitschaft
       mitbringen, Sprache zu erlernen, müssen Sprache
       und Sprechen in einem jahrelangen Lernprozess er-       Hinzu kommt, dass sie oft nicht mehr altersentspre-
       worben werden. Der Erwerb der Muttersprache voll-       chende Reime und Gedichte und / oder Kinderlitera-
       zieht sich in aufeinander folgenden Phasen. Im Ver-     tur kennen. Manche Kinder verweigern sogar völlig
       lauf der Sprachentwicklung sind große individuelle      die Kommunikation.
       Unterschiede bei Kindern im Hinblick auf die Ge-            Eine gezielte Sprachförderung findet im pädagogi-
       schwindigkeit der Entwicklung des Wortschatzes, der     schen Geschehen oft erst dann die notwendige Be-
       Aussprache und der Satzbildungsfähigkeit zu beob-       achtung, wenn Probleme auftreten. Will man aber
       achten. Entscheidend für die Sprachentwicklung sind     allen Kindern gleiche Chancen im Hinblick auf ihre
       die Anregungen durch das Umfeld des Kindes und          schulische Situation einräumen, ist es erforderlich,
       die Motivation zum Sprechenlernen: Kinder müssen        vorhandene Ressourcen besser zu nutzen und be-
       Sprache hören, verstehen und anwenden können.           wusster einzusetzen. Eine Störung der Kommunika-
          Außerdem gibt uns die Sprache die Möglichkeit,       tion wirkt sich negativ auf die gesamte kindliche Ent-
       unsere Emotionen auszudrücken. Zum einen können         wicklung aus: auf die Beziehungen in der Familie, auf
       wir unsere Gefühle konkret benennen und sie somit       die schulische Situation, und auf den Kontakt zu
       anderen mitteilen und zum anderen drücken sich          Gleichaltrigen. Das Erkennen sprachlicher Beeinträch-
       unsere Gefühle oftmals durch die Stimmlage, Laut-       tigungen ist deshalb in hohem Maße von dem in die
       stärke und Betonung unseres Gesprochenen aus.           Entwicklung integrierten Personenkreis abhängig.
       Schon Babys sind in der Lage sehr früh auf soziale      Das rechtzeitige Erkennen einer Sprachentwicklungs-
       Beziehungen zu reagieren und diese nachzuahmen.         verzögerung bedeutet frühzeitige Diagnose und früh-
          In den ersten Lebensjahren lernen Kinder die Mut-    zeitige Therapie. Dies sind die besten Voraussetzun-
       tersprache zu verstehen und zu sprechen – normaler-     gen, die weitere geistige Entwicklung des Kindes zu
       weise ohne dass ihnen dies von jemandem bewusst         fördern.
       beigebracht wird. Mit sechs Jahren beherrschen die          In diesem Sinne will diese Broschüre Ratgeber
       meisten Kinder die Elemente und Strukturen ihrer        und Wegweiser sein. Sie wendet sich an alle Eltern,
       Sprache weitgehend, der Spracherwerb ist im We-         Angehörige und Erzieher, aber auch die im Bil-
       sentlichen abgeschlossen. Sie verfügen damit über die   dungs-, Gesundheits- und Sozialbereich Tätigen und
       sprachlichen Mittel, differenziert über sich und ihre   bietet eine Übersicht über Hilfsangebote und
       Welt mit anderen Menschen zu kommunizieren.             Ansprechpartner für Sprachauffällige in Hessen.
          Das Kind entdeckt, dass der Gebrauch der Sprache         An allen Gesundheitsämtern der Städte und Land-
       vieles einfacher macht. Ob zu Hause oder im Kinder-     kreise des Landes Hessen sind Sprachheilbeauftragte
       garten, die meisten Kinder sprechen sehr gerne und      tätig, deren Anschriften der Anhang enthält (Stand
       viel. Durch den regen Austausch mit anderen be-         Januar 2007). Die Schwerpunkte der Arbeit der
       kommt auch das Sozialverhalten einen wichtigen Im-      Sprachheilbeauftragten sind Aufklärung, Früherken-
       puls. Nun kann es selbst sagen, was es möchte, und      nung, Beratung und die Einleitung heilpädagogischer
       besser auf andere reagieren.                            Maßnahmen. Die Sprachheilbeauftragten des Kreises
          Da es aber immer mehr Kinder gibt, die bei           können neben dem Kinderarzt eine erste Anlaufstelle
       Schuleintritt nicht über notwendige sprachliche         für eine Sprachberatung sein.
       Kompetenz verfügen, soll hier genauer darauf einge-         Es bestehen vielfältige Möglichkeiten, durch früh-
       gangen werden, wie Eltern die Sprachentwicklung         zeitiges Erkennen und rechtzeitige Behandlung einer
       ihrer Kinder positiv beeinflussen können. Vielfach      Sprachbehinderung entgegenzuwirken und sie zu be-
       fühlen sich Erwachsene hilflos, wenn sie mit Kindern    seitigen. Wichtig ist, dass die Bemühungen um die
       zu tun haben, die sich nicht richtig verständlich ma-   Früherkennung verstärkt werden und alle für die För-
       chen können. Dabei ist es eine der wichtigsten Auf-     derung verantwortlichen Stellen (Fachärzte, Logo-
       gaben der Eltern, ihren Kindern die Welt zu erklären,   päden, Sprachheilpädagogen, Psychologen, u.a.) ver-
       Fragen zu beantworten, Geschichten zu erzählen.         trauensvoll zusammenwirken.

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Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium
2               Wie entwickelt sich
                                  Sprache?
   Dreijähriges Kind konnte nur bellen
   Treviso (epd.)

   Ein dreijähriger Junge aus der norditalienischen Provinz Treviso ist von seinen Eltern so vernachlässigt worden, dass es nicht
   sprechen, sondern nur bellen konnte. Das Kind verbrachte seine Tage allein zu Hause, während die Eltern in den Weinbergen
   arbeiteten. Einziger Gefährte des Kleinen war ein Hund. Niemandem fiel auf, dass er nicht einmal Mama und Papa sagte. Erst
   eine Kinderärztin merkte, dass er auf ihre Fragen mit einem Bellen antwortete – genau wie sein Hund.

                                                                                                        Fuldaer Zeitung 26.05.94

Vorstufen des Spracherwerbs
                                                         Möglichkeiten der Verständigung, den Bewegungen
Eigentlich ist es immer wieder ein kleines Wunder,       der Hände und des Kopfes, der Mimik und der Gestik.
dass Kinder anscheinend ohne große Mühe sprechen         Das Kind muss im ersten Lebensjahr wichtige
lernen. Sie lernen diese Sprache allerdings nicht „von   Entwicklungsstufen für das Sprechenlernen durch-
selbst“ – ganz im Gegenteil! Die Voraussetzungen für     laufen und Lernerfahrungen sammeln.
einen ungestörten Spracherwerb beginnen bereits in
der Schwangerschaft. Hierbei entwickelt das noch
ungeborene Kind seine biologischen Anlagen, um
Sprache erwerben und anwenden zu können. Nach
der Geburt kommt die sprachliche Zuwendung der
Eltern, Geschwister, Verwandten und anderer
Menschen dazu. Der Spracherwerb beginnt also lange
bevor das Kind selber sprechen kann.
    Der Erwerb der Sprache selbst ist ein Lernprozess,
der weitgehend von der Umwelt des Kindes abhängig
ist, d.h. sich nur in einer sprechenden Umgebung voll-
ziehen kann. Sprechen lernen ist nicht die Leistung
eines Kindes allein; sondern die Eltern haben einen
ebenso wichtigen Anteil wie das Kind selbst!
Sprechen lernt das Kind über das Hören und
Nachsprechen von Sprachvorbildern. Damit ist nicht
reines Vorsprechen und „pauken“ von Wörtern
gemeint. Sinnvoller als das bloße Vorsagen von
Wörtern ist das gemeinsame Tun. Zum Beispiel: Ein
Kind, das beim Spaziergang eine Blume pflückt, den
Namen der Blume hört, an ihr riecht, sie zu einem
Blumenstrauß zusammenfügt, kann sich diesen
Namen gut merken, da mit ihm eine sinnliche
Erfahrung verbunden ist.
    Es weiß, wie die Blume riecht, aussieht und sich        Dazu muss das Kind zuerst bestimmte Entwick-
anfühlt. Es kann das Wort dem Gegenstand hinzufü-        lungsprozesse durchlaufen, um über die Fähigkeiten
gen. Es steckt sehr viel an sprachlicher Förderung und   zu verfügen, Sprache erwerben und anwenden zu
Zuwendung hinter einer geglückten Sprachentwick-         können. Fehlen die sprachlichen Anregungen und
lung. Die Eltern müssen viel Zeit haben. Sie müssen      sozialen Kontakte zwischen Eltern und Kind, so kann
ihr Kind nicht nur pflegen und nähren, sondern auch      es im extremsten Fall zu Auswirkungen wie im o. a.
mit ihm spielen, schmusen und vor allem auch viel        Artikel kommen, wo nur der Hund die „Bezugsper-
mit ihm sprechen. Alles Tun mit dem Kind und alle        son“ und „sprachliches Vorbild“ für den Jungen war.
Reaktionen müssen vom ersten Tage an sprachlich          Eine anregende Umgebung bestimmt wesentlich den
begleitet werden, unterstützt von den anderen            Grad der Vervollkommnung der Sprachentwicklung.

                                                                                                                                    7
Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium
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    Wie entwickelt sich Sprache?

                                                                                   Stimme. Schon nach wenigen Wochen kann das Kind
                                                                                   die Stimme seiner Mutter von der Stimme anderer
                                                                                   Personen seiner Umgebung unterscheiden. Es merkt,
                                                                                   dass die Stimme der Personen, die es umgeben eine
                                                                                   wichtige Bedeutung hat und es lernt seine
                                                                                   Aufmerksamkeit auf sie zu richten auch wenn andere
                                                                                   Klänge an sein Ohr dringen. Diese Fähigkeit, bei
                                                                                   einem momentan wichtigen Reiz verweilen zu kön-
                                                                                   nen, ist für die Sprachentwicklung äußerst bedeu-
                                                                                   tungsvoll. Sie ist ausschlaggebend für das wirkliche
                                                                                   Aufnehmen eines Wortes.
                                                                                      Der Erwachsene tritt somit von Anfang an in einen
                                                                                   Dialog mit dem Säugling. In den vielen gemeinsamen
                                                                                   Alltagssituationen wie z.B. Füttern und Baden gibt es
                                                                                   viele Gelegenheiten mit dem Säugling zu sprechen.
                                                                                   Wenn wir miteinander reden, „sprechen“ wir sowohl
                                                                                   mit Worten als auch mit unserem Körper. In der Kör-
                                                                                   perhaltung, Gestik, Mimik oder Lautstärke, im Augen-
                                                                                   ausdruck oder Stimmklang spiegelt sich ein Teil unse-
                                                                                   res emotionalen Erlebens, wir drücken aus, in welcher
                        Spracherwerb mit allen Sinnen                              Stimmung wir uns befinden.
                                                                                      Die Körpersprache ist das älteste und universellste
                        Das Kind muss im ersten Lebensjahr wichtige Ent-           Kommunikationsmittel. Schon Säuglinge beherr-
                        wicklungsstufen für das Sprechenlernen durchlaufen         schen sie: Sie verziehen das Gesicht vor Schmerz,
                        und Lernerfahrungen sammeln.                               Kummer oder Freude und drücken Mithilfe ihrer
                            Die Lernerfahrungen des Kindes bauen sich durch        Körpersprache ihre Gefühle aus.
                        die Wahrnehmungstätigkeit auf, die die Grundlage
                        für das spätere Sprechen bildet. Das Kleinstkind er-
                        kennt seine Welt über sinnliche Wahrnehmung. Also          Vom Phonem zum komplexen Satz
                        über das, was es über den Mund, die Haut, die Nase,
                        die Ohren, die Augen und seine Bewegungstätigkeit          Unsere Sprache wird aus vielen Einzelteilen zusam-
                        (Motorik) erfährt. Es greift mit den Händen nach           mengesetzt. Damit das Kind dieses komplexe Gebilde
                        Dingen, die es umgeben, befühlt, ertastet, hört, schaut,   handhaben kann, muss es zuerst einmal über die ein-
                        schmeckt, riecht usw. und erkundet auf diese Weise         zelnen Elemente verfügen. Jede Sprache hat ein be-
                        aktiv seine Umwelt.                                        stimmtes Repertoire von Lauten. Laute sind die Bau-
                            Das Kind nimmt von Geburt an sehr fein und             steine der Sprache. Das Kind muss sie immer und
                        hochempfindsam seine Umgebung mit allen Sinnen             immer wieder hören. Das ist die Voraussetzung dafür,
                        wahr. Die Aktivitäten des Kindes zeigen, dass es zu        dass es sie auch hervorbringen kann. Da sich in jeder
                        einer wirkungsvollen Interaktion mit seiner Um-            Sprache bestimmte Laute und Lautkombinationen –
                        gebung fähig ist und dabei Kommunikation auf viel-         die Wissenschaft nennt sie Phoneme – oft wiederho-
                        fältige Weise initiiert. In den ersten Lebensmonaten       len, kann das Kind sie mit der Zeit erkennen und als
                        erzeugt das Kind spielerisch Laute. Es gurgelt,            bedeutsam einordnen. Es lernt, diese Phoneme von
                        schmatzt, schnalzt und sprudelt mit seiner Stimme.         anderen, zufälligen Geräuschen zu unterscheiden.
                        Das Kind beginnt zu lallen und wir können beobach-         Unabdingbare Voraussetzungen sind das ständige
                        ten, dass es mit etwa einem halben Jahr die eigenen        Hören der „Sprachmelodie“ der Muttersprache, die
                        Lauterzeugnisse lustig nachplappert und sich damit         direkte Ansprache und Blickkontakt. In der direkten
                        in die Lage versetzt, später die Laute anderer             sprachlichen Interaktion erkennt das Kind nach und
                        Personen nachzuahmen.                                      nach einzelne häufig vorkommende Sprachlaute. Es
                            Das Kind entwickelt Freude an der eigenen              imitiert diese und setzt sie wiederum kommunikativ
                        Stimme und am Hören. Völlig unbefangen experi-             und zielgerichtet ein. Die Unterscheidungsfähigkeit
                        mentiert es mit der eigenen Stimme und trainiert auf       von Lauten ist eine der wichtigsten Grundlagen für
                        natürliche Weise seine stimmlichen Qualitäten. Dabei       das spätere Lesenlernen. Sie wird in der Säuglingszeit
                        horcht das Kind höchst aufmerksam auf sich selbst          angebahnt. In den ersten sechs Lebensmonaten lernt
                        und die Umgebung. Es nimmt über die Sinnesorgane           das Kind, mit dem viel gesprochen wird, Laute zu
                        (über das Schmecken, Riechen, Spüren, Hören und            unterscheiden. Es baut ein Repertoire von Lauten auf,
                        Sehen) Reize auf, verarbeitet sie, vergleicht mit          die es oft vor sich hinlallt. Dieses Repertoire wird
                        gespeicherten Erfahrungen und erkennt Erfahrenes           ständig erweitert. Es bildet die Grundlage für das spä-
                        wieder. Wahrnehmen ist ein aktives Suchen nach             tere Sprechen, quasi das Baumaterial. Je mehr ver-
                        Information. Beim Hören ist das Neugeborene fähig          schiedene Laute ein sechsmonatiges Kind hervorbrin-
                        Geräusche zu lokalisieren, sehr schnell nimmt es           gen kann, desto besser ist seine „Ausrüstung“ für den
                        Unterschiede wahr und spürt feine Variationen der          Spracherwerb.

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                                                                                                     Wie entwickelt sich Sprache?

                                                           Durch Hören erkennt das Kind Laute, die es nachplap-
Die Eltern können von Anfang an sehr viel für              pert. Durch aktives Nachahmen und Üben bildet es
die Sprachentwicklung ihres Kindes tun. Das                seine Artikulationsfähigkeit aus. Sprechen lernt man
Ganze ist sehr einfach und jeder ist dazu in der           durch Sprechen. Kinder, mit denen selten jemand
Lage:                                                      spricht, bleiben sprachlich verarmt und sind somit be-
                                                           nachteiligt. Nach der ersten Phase des Spracherwerbs,
䡲 Sprechen Sie von Anfang an mit Ihrem Kind. Erklären      in der das Kind erst einmal das „Rohmaterial“ der
  Sie ihm beim Füttern, beim Wickeln, wenn Sie seine       Sprache in Form vieler verschiedener Laute gesam-
  Mahlzeiten herrichten oder es anziehen, was Sie          melt hat, kommt die nächste Phase: das Anhäufen
  gerade machen.                                           eines Wortschatzes.
                                                              Das Benennen der Dinge hat auf mehreren Ebenen
䡲 Und – das ist besonders wichtig: Lächeln Sie es an,      eine große Bedeutung. Zunächst einmal bedeutet das
  wenn es Ihnen durch Lallen, durch Mimik oder             Benennen der Dinge für ein Kind, dass es die Welt
  durch Gestik „antwortet“. So nimmt ihr Kind mit          langsam erobert und in Besitz nimmt. Was es mit
  Ihnen Kontakt auf, es kommuniziert auf seiner Ebene      Namen nennen kann, hat es als Idee in sich, ohne dass
  mit Ihnen. Wenn Sie ihm eine positive Rückmeldung        das jeweilige Objekt in Wirklichkeit gerade vorhan-
  geben, indem Sie es anlächeln, hat es mit seiner         den ist. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass ein
                                                           Kind einen Spielgegenstand sucht, obwohl er nicht in
  Kommunikation Erfolg. Sie geben ihm emotionale
                                                           seinem Blickfeld ist. Es vermittelt Kindern auch
  Zuwendung. Es wird sich also bemühen, seine dies-        Sicherheit: Fremdes wird dadurch, dass ich es kenne
  bezüglichen Fähigkeiten weiter zu entwickeln. Die        und weiß, wie es heißt, zu Bekanntem und
  Versuche, Laute zu bilden und sich zu artikulieren,      Vertrauten. Der Wortschatz des Kindes entwickelt
  sind anstrengend. Sprechenlernen ist wie jedes           sich. Dabei zeigt sich, dass der passive Wortschatz,
  andere Lernen auch mit Arbeit verbunden. Erfolge         also der Wortschatz des „Sprache-Verstehens“, stets
                                                           deutlich größer ist als der aktive Wortschatz des
  sind für uns alle das, was uns am stärksten motiviert.
                                                           „Sich-Ausdrücken-Könnens“.
  Deshalb müssen Sie Ihr Kind für seine Sprech-               Über das Hören der Muttersprache, das Lallen von
  versuche belohnen.                                       Lauten, das Plappern erster Babywörter und das
䡲 Neben der Belohnung für seine Leistungen braucht         Nachsprechen „richtiger“ Wörter lernt das Kind, erste
  Ihr Kind auch „Lernstoff“, um sich sprachlich ent-       einfache Sätze zu bilden, die zunächst noch aus ein
  wickeln zu können. Diesen Lernstoff liefern Sie ihm      bzw. zwei Wörtern bestehen: Mama, Mama lieb, Papa
                                                           da, Auto brumm, auch tinken, usw. Diese Äußerungen
  durch häufiges Sprechen und Erzählen, aber auch
                                                           sind abhängig von der Situation und können ver-
  durch Vorlesen.                                          schiedenes bedeuten: Vielleicht möchte das Kind mit
                                                           „Papa da“ möglicherweise lediglich feststellen, dass
                                                           Papa nun von der Arbeit gekommen ist, oder aber es
                                                           möchte ausdrücken, dass Papa mit ihm spielen soll,
Von „kille-kille“ und „Herrn Nasenmann“                    oder es möchte Papa etwas zeigen. Ein Kind kann auf
                                                           diese Weise schon vielfältig „sprachlich handeln“. Es
Kleine Verse kann man schon Säuglingen vor-                kann hinweisen, antworten, benennen, auffordern,
sprechen und ihm z. B. Wichtiges über seinen Körper
beibringen. Hier einige Beispiele:

Geht ein Mann die Treppe rauf
   (langsam mit 2 Fingern von den Knien über den Bauch
   übers Gesicht zur Stirn hin spazieren)
klopft an
   (sachte an die Stirn klopfen)
bim bam,
   (bei „bim“ am rechten Ohr ziehen, bei „bam“ am
   linken)
guten Tag Herr Nasenmann
   (mit Zeigefinger und Daumen an der Nase wackeln).

Kommt ein Mäuschen in das Häuschen.
   (Zeige- und Mittelfinger gehen den Arm hoch)
Kommt ein Mückchen baut ein Brückchen
   (Finger gehen den Rücken herunter)
Kommt ein Floh, der macht kille-kille so!
   (kitzeln)

                                                                                                                                    9
Sprachentwicklung und Sprachförderung bei Kindern - Hessisches Sozialministerium
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    Wie entwickelt sich Sprache?

                        ablehnen, verneinen, nach etwas verlangen. Seine             Bilderbücher, Kinderverse, Erzählungen und
                        Sprechmelodie hilft ihm dabei zu kennzeichnen, was        Märchen gehören zu den ältesten und wirkungsvoll-
                        es wirklich meint. Dies Beispiel verdeutlicht, dass das   sten Möglichkeiten, einem Kind Sprachmuster zu
                        Kind mehr sagen möchte, als ihm an sprachlichen           geben. Ein Bilderbuch öffnet darüber hinaus Kindern
                        Mitteln zur Verfügung steht. Die Bedeutung seiner         die Welt der Phantasie, des Gefühls und der Wissens-
                        Äußerung zu verstehen und angemessen zu überset-          erweiterung. Die Atmosphäre des Vorlesens und
                        zen und zu erweitern, ist Aufgabe seines sozialen         Gesprächs über das Gelesene fördert den Zugang zum
                        Umfeldes.                                                 Buch und zur Kinderliteratur.
                            Sein Einstieg in die grammatischen Regeln, d. h.         Das Vorlesen und Erzählen von Geschichten eröff-
                        wie sich Wörter zu Sätzen fügen, steht im Zusammen-       net wieder einen anderen Zugang zur Sprache. Hier
                        hang mit dem, wie es seine Welt und sich selbst ver-      lernt das Kind Begriffe, die in der Alltagssprache
                        steht. Dabei kann man feststellen, dass kleine Kinder     nicht vorkommen, wie z. B. Hexe, Hexenhaus, Zwerg,
                        während einer Unterhaltung so etwas wie die ver-          verwünschen usw. Außerdem wird beim Erzählen ein
                        kürzte Fassung eines Satzes von sich geben. Die Er-       größerer sprachlicher Zusammenhang hergestellt, der
                        wachsenen erweitern die Äußerungen von Kindern            eine wesentlich längere Aufmerksamkeitsspanne
                        und fügen das Ausgelassene zu. Etwa so: „das essen?“,     erfordert als bloße Konversation.
                        „Ja, den Brei habe ich für dich gemacht, den sollst du
                        essen.“ Solche Dialoge mit Erwachsenen, in denen die
                        kindlichen Äußerungen durch den Erwachsenen er-           Phasen der Sprachentwicklung
                        weitert werden, sind eine wichtige Bedingung für den
                        Erwerb der vollständigen Sätze und der Grammatik.         Viele Eltern fragen immer wieder: Spricht mein Kind
                        So wird es dem Kind möglich, einfache Sätze richtig       normal? Ist sein Sprechen altersgemäß entwickelt?
                        zu bilden.                                                Sie vergleichen ständig sorgenvoll mit anderen Kin-
                            Die technischen Medien, die wir heute haben           dern und finden auch immer wieder Vergleichs-
                        (Fernsehen, Video, Kassettenrecorder, CD- und MP 3-       partner, die viel mehr Worte sprechen und sich ge-
                        Player, Play Station, u.a.) können nur wenig zur kind-    schickter verständlich machen können.
                        lichen Sprachentwicklung beitragen. Die schnell              Sie sollten wissen, dass es große Unterschiede in
                        wechselnden Bildfolgen z. B. beim Fernsehen haben         der Entwicklung der Kinder gibt. Während z. B. Julia
                        nichts mit einer konkreten Handlung gemein, von der       eine bestimmte Fähigkeit schon sicher beherrscht,
                        allein das Kind sein Sprechvermögen entwickeln            plagen sich andere Kinder noch mit deren Erlernung
                        kann. Auch bei den Kassetten / CDs fehlt der emotio-      herum. Andererseits traut sich Markus schon etwas
                        nale Bezug, das Kind kann sich nicht äußern, es hat ja    zu, worauf die Eltern von Julia sehnsüchtig warten.
                        kein Gegenüber, um zu antworten und zu fragen.            Der Spielraum der individuellen Entwicklung ist
                                                                                  groß. Und kein Kind gleicht dem anderen – jedes hat
                                                                                  seine eigene Individualität.
                                                                                     Auch die Sprachentwicklung verläuft von Kind zu
                                                                                  Kind unterschiedlich. Wie bei der allgemeinen Ent-
                                                                                  wicklung, so zeigen sich auch beim Spracherwerb
                                                                                  individuelle Unterschiede im Entwicklungstempo, in
                                                                                  der Art und Anzahl der ersten Wörter oder in der
                                                                                  Häufigkeit des Sprechens.
                                                                                     Die hier angeführten Entwicklungsschritte sollen
                                                                                  eine Orientierungshilfe sein. Da die Entwicklung des
                                                                                  Kindes von den unterschiedlichsten Faktoren ab-
                                                                                  hängt, können die angegebenen Altersangaben nur
                                                                                  Erfahrungswerte sein.

                                                                                  䡲 Bereits im Mutterleib trainiert das Kind die
                                                                                    Körperteile, die für den Spracherwerb grundle-
                                                                                    gend sind. Lippen, Zunge und Gaumen sind im
                                                                                    Einsatz, wenn es am Daumen lutscht und Frucht-
                                                                                    wasser schluckt. Ab dem 5. Monat nimmt es Stim-
                                                                                    men und Geräusche von außen wahr.
                                                                                    Bewegen Sie sich soviel wie möglich. Hierdurch
                                                                                    werden das Gleichgewichtsorgan des Kindes und
                                                                                    seine Wahrnehmung geschult. Reden Sie mit
                                                                                    Ihrem Kind, erzählen Sie ihm Geschichten und
                                                                                    singen Lieder. Achten Sie darauf, welche Geräu-
                                                                                    sche Sie umgeben und vermeiden Sie Streit und
                                                                                    Geschrei.

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                                                                                                   Wie entwickelt sich Sprache?

䡲 Die ersten verbalen Äußerungen des Babys dienen          lich mehr verstehen als es sprechen kann. Es
  der Kundgabe seines Befindens. Sie äußern sich in        spricht in Einwortsätzen. Der aktive Wortschatz
  den ersten Wochen im Schreien. Das Schreien              wächst mit anderthalb bis zwei Jahren gewaltig an.
  kann ein „modifiziertes Schreien“ sein, mit dem es       Mit dem ersten aktiven Sprechen, den ersten
  sein Wohlbefinden oder Unbehagen ausdrückt.              Bezeichnungen eines Gegenstandes oder einer
  Sprechen Sie mit Ihrem Kind, spielen Sie mit ihm,        Tätigkeit ist die Artikulation einzelner Wörter
  singen Sie ihm etwas vor während sie es füttern          noch nicht korrekt. Dies ist der Zeitraum des
  und wickeln. Suchen Sie Blickkontakt zu Ihrem            Entwicklungsstammelns. Hier lernt das Kind seine
  Kind. Zeigen Sie Freude über die Laute, die es           Sprechwerkzeuge richtig zu verwenden, artikula-
  macht, erwidern und wiederholen Sie diese. Zeigen        torische Verbindungen einzuüben und zu festigen.
  Sie Ihrem Kind Gegenstände, die kontrastreich            In dieser Phase werden zum ersten Mal auch Zwei-
  sind und betiteln Sie diese.                             und Einwortsätze verwendet, deren grammatikali-
                                                           sche Form häufig noch nicht korrekt ist. Eigen-
䡲 Mit ungefähr acht Monaten beginnt das Kind,              schaften, wie schön, lieb, heiß, weich sollte es ein-
  sinnfreie Laute und Lautverbindungen zu benut-           zuordnen und zu benutzen wissen. Wünsche
  zen. Sie drücken meistens einen Zustand der              können in dieser Phase bereits differenzierter ge-
  Befriedigung aus. Einige Wochen später stellt das        äußert werden. Das Nachahmen von Tierlauten
  Baby fest, dass es über seine Lautproduktion Kon-        macht den Kind Spaß und direkte Bezugspersonen
  takte herstellen kann und reagiert, z. B. auf Anrede     können bereits mit Namen angesprochen werden.
  durch die Mutter, mit gezielten Äußerungen.              Ebenso sollte es in der Lage sein, feste Nahrung zu
  Benennen Sie zunehmend Gegenstände, des direk-           kauen.
  ten Umfeld des Kindes in kurzen Sätzen. Sprechen         Spielen Sie intensiv mit Ihrem Kind und komm-
  Sie Ihr Kind oft mit Namen an. Gestikulieren Sie         tieren Sie dabei alles, was Sie tun. Zeigen Sie
  und machen Sie Bewegungsspiele, Winken, Knie-            Ihrem Kind, was man mit den Spielsachen alles
  reiter etc., und ermuntern Sie Ihr Kind zur Nach-        machen kann. Spielen Sie einfache Versteckspiele,
  ahmung.                                                  verstecken Sie sich oder Gegenstände, während Ihr
                                                           Kind zuschaut und lassen Sie es dann suchen.
䡲 Mit ca. neun Monaten beginnt die Phase der Nach-         Schauen Sie vermehrt Bilderbücher an, möglichst
  ahmung. Laute, die das Kind hört, werden gespei-         mit kontrastreichen, klaren Bildern und erzählen
  chert. Es wird versucht, sie nachzuahmen. Nicht          Sie, was Sie sehen. Fragen Sie nach bestimmten
  nur durch das Hören wird das Sprechen erlernt,           Dingen auf den Bildern und lassen Sie sich diese
  sondern auch durch das Absehen. Auch die Nach-           von Ihrem Kind zeigen. Singen Sie viel und ma-
  ahmung der Mundbewegungen des „Gesprächs-                chen Sie Reime und Kniereiterspiele. Erzählen,
  partners“ hat beim Spracherwerb eine Bedeutung.          wiederholen Sie, was Sie aktuell, im Laufe des Ta-
  Suchen Sie Blickkontakt zu Ihrem Kind, zeigen Sie        ges mit Ihrem Kind erlebt haben. Korrigieren Sie
  Freude über die Laute, die es macht, erwidern und        Ihr Kind nicht, wenn es ein Wort falsch ausspricht,
  wiederholen Sie diese.                                   sondern wiederholen Sie dieses im nächsten Satz
                                                           korrekt und erweitern Sie diesen, z.B. durch Eigen-
䡲 Ungefähr ab dem zehnten Lebensmonat beginnt              schaften, die diese Sache besitzt.
  das Kind die Bedeutung von Wörtern, jedoch noch
  nicht deren vollen Sinngehalt, zu verstehen. Oft       䡲 Zwischen zwei und drei Jahren: Erste Doppelkon-
  wird jetzt der Sinn des Gesagten aus der Mimik,          sonanten und kompliziertere Lautverbindungen
  den Gesten und dem Tonfall des Gegenübers er-            wie /ch/, /gl/, kurze Sätze, Warum-Fragen, Verben
  fasst. So hat die nonverbale Kommunikation zu            und Fürwörter erweitern nun die Sprache des
  diesem Zeitpunkt noch einen erheblichen Stellen-         Kindes. Es sollte sich selber zunächst mit Vor-
  wert.                                                    namen, dann mit „Ich“ betiteln können. Farben
  Stellen Sie einfache Fragen. „Wo ist der Ball?“          lernt es zunehmend zu erkennen und zu benen-
  Lassen Sie Ihr Kind Gegenstände holen, so können         nen, es führt Selbstgespräche mit Puppen und
  Sie spielerisch herausfinden, ob Ihr Kind Begriffe       Tieren und erkennt einfache Handlungen auf
  richtig zuordnet und Sie versteht. Schauen Sie           Bildern.
  erste einfache Bilderbücher an, und benennen Sie,        Malen Sie mit Ihrem Kind und bieten Sie ihm viel
  was Sie sehen. Benutzen Sie auf keinen Fall die          Material zum Experimentieren. Wiederholen Sie
  Babysprache, sondern die richtigen Bezeichnun-           vergangene Erlebnisse und erinnern Sie an bereits
  gen und sprechen Sie in ganzen Sätzen.                   erzählte Geschichten. Fragen Sie Ihr Kind, was es
                                                           gemacht hat. Spielen Sie einfache Spiele, wie
䡲 Nach Vollendung des ersten Lebensjahres beginnt          Vater-Mutter-Kind, einkaufen gehen etc. und kom-
  der Worterwerb. Die ersten Wörter sind oft eine          mentieren Sie jeden Handlungsschritt.
  Klangfolge, die mit Assoziationen verknüpft ist
  (z.B. „Muh“). Mit anderthalb Jahren bekommt die
  gesprochene Sprache immer mehr Bedeutung. Das
  Kind kann in dieser Entwicklungsphase wesent-

                                                                                                                             11
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    Wie entwickelt sich Sprache?

                        䡲 Ungefähr im vierten Lebensjahr kann es zu            䡲 Mit fünf bis sechs Jahren sollte die Lautbildung
                          Sprechschwierigkeiten kommen, die als physiolo-        abgeschlossen sein. Sätze, inklusive der Neben-
                          gisches Stottern bezeichnet werden. In dieser          sätze, sollte das Kind grammatikalisch korrekt bil-
                          Entwicklungsstufe werden Wortanfänge oft wie-          den können. Es kann Artikel und Pluralformen
                          derholt, da Denken und Vorstellungsvermögen            sowie korrekte Grammatik in der Vergangenheits-
                          beim Kind oft schneller sind als die Wortfindung       form anwenden und somit die Umgangssprache
                          und die Sprechmotorik.                                 sicher beherrschen.
                          Lassen Sie Ihr Kind eigene Erlebnisse erzählen         Nutzen Sie Bildkarten, auf denen Handlungen zu
                          und fragen Sie dabei nach weiteren Details. Lesen      sehen sind, um sie von Ihrem Kind in die richtige
                          Sie umfangreichere Geschichten, aber mit klarer        Reihenfolge legen zu lassen und zu kommentie-
                          einfacher Handlung und von Bildern unterstützt         ren. Lassen Sie Ihr Kind Geschichten weitererzäh-
                          und besprechen Sie diese. Kommentieren Sie Ihr         len und Geschichten zu Bildkarten erfinden.
                          Handeln und begründen dies. Suchen Sie intensi-        Erfragen Sie hierbei Zusammenhänge und Be-
                          ven Dialog mit Ihrem Kind, erzählen Sie von eige-      gründungen. Lesen Sie vereinzelt kurze Geschich-
                          nen Erlebnissen und hören Sie gut zu.                  ten ohne Bilder vor und lassen Sie das Kind diese
                                                                                 wiederholen. Fragen Sie nach Erlebnissen aus der
                        䡲 Im vierten Lebensjahr erweitert sich der Wort-         Vergangenheit und achten Sie darauf, ob diese im
                          schatz des Kindes immer mehr. Es benutzt jetzt         richtigen zeitlichen Ablauf dargestellt werden.
                          Präpositionen (z.B. auf, oben, unten, im, neben),      Achten Sie darauf, dass Ihr Kind sich mit einer
                          kann schon einige Farben zuordnen und beginnt          Sache mindestens 15 bis 25 Minuten intensiv be-
                          sie zu benennen. Es kann sich innerhalb seines         schäftigen kann.
                          Lebensbereiches schon ziemlich differenziert aus-
                          drücken, hat Vorstellungen von Vergangenheit, Ge-    Die kindliche Kommunikations- und Sprachent-
                          genwart und Zukunft, gebraucht die Artikel richtig   wicklung mit der sukzessiven Übernahme der Laute
                          und kann nun bereits Haupt- und Nebensätze mit       und Phoneme, der Aneignung von Wörtern und
                          Konjunktionen bilden, wenn auch nicht immer          Begriffen und dem Erkennen und Anwenden gram-
                          ganz korrekt. Die Sicherheit seiner grammatischen    matischer Regeln ist bei einem ungestörten Verlauf
                          Fähigkeiten nimmt zu und die Muttersprache wird      im Alter damit vorerst abgeschlossen. Bedenken Sie,
                          nun weitgehend beherrscht.                           das Tempo, mit dem ein Kind lernt ist individuell und
                          Suchen Sie intensiven Dialog mit Ihrem Kind,         von vielen Faktoren abhängig. Zeittafeln wie diese,
                          erzählen Sie von eigenen Erlebnissen und hören       sind nur ein Anhaltspunkt, wobei Abweichungen von
                          Sie gut zu. Sprechen Sie über alltägliche Dinge,     anfänglich einigen Wochen und später einigen
                          stellen Sie in Büchern und in der Realität komple-   Monaten durchaus im Rahmen sind. Sollten größere
                          xere Beziehungen her. Nebensätze, einfache Ver-      Abweichungen auftreten oder die Entwicklung des
                          gangenheitsformen, das Erzählen von Erlebnissen      Kindes stehen bleiben oder sogar rückläufig sein, soll-
                          in zeitlich richtiger Reihenfolge und das Be-        te in jedem Fall Kontakt mit Fachleuten aufgenom-
                          schreiben von Zusammenhängen in Bilderbüchern        men werden.
                          gehören in diesen Zeitraum. Lassen Sie Ihr Kind
                          zu Bildern eigene Geschichten erfinden. Ermuti-
                          gen Sie Ihr Kind zum Äußern von Bedürfnissen
                          gegenüber vertrauten Personen und nehmen Sie
                          ihm dies nicht vorweg. Lassen Sie Ihr Kind telefo-
                          nieren. Der Medienkonsum sollte so gering wie
                          möglich gehalten werden (max. 30 min pro Tag).           Je früher eine Sprachstörung erkannt
                          Lassen Sie Ihr Kind vorgelesene Geschichten wie-         und behandelt wird, umso größer ist die
                          derholen und erfragen Sie Details.                       Aussicht auf Besserung und Heilung.

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3
                           Wie kommt es zu
  Beeinträchtigungen
              in der Sprachentwicklung?
Seit einigen Jahren schlagen Mediziner, Sprachheil-       3.1 Organisch-somatische Ursachen
lehrer und Logopäden Alarm: Sprachauffälligkeiten
bei Kindern haben in den letzten Jahren rapide zuge-      Zu den somatischen Ursachen zählen auch Anoma-
nommen. Im Jahre 2003 wurde im Auftrag des                lien der Sprechwerkzeuge. Das sind z. B. anatomische
Hessischen Sozialministeriums eine hessenweite Stu-       Veränderungen im Bereich der Lippen, des Kiefers,
die zur Erfassung der sprachlichen Kompetenzen von        des Gaumens und der Zunge. Auffälligkeiten in die-
4- bis 4,5-jährigen Kinder durchgeführt. In dem inter-    sen Bereichen lassen sich schon sehr zeitig erkennen,
disziplinären Projekt der Deutschen Gesellschaft für      denn sie verursachen auch Probleme beim Saugen,
Sprachheilpädagogik, (Landesverband Hessen e.V.),         Kauen und Schlucken. Andere angeborene Er-
des Hessischen Sozialministeriums, der Universität        krankungen und genetische Störungen wie z. B.
Marburg und der Universität Gießen wurden 759 Kin-        Down Syndrom behindern ebenfalls den normge-
der überprüft. In 9 Städten und 12 Landkreisen wur-       rechten Spracherwerb.
den in 89 Kindertageseinrichtungen 601 einsprachig
aufwachsende deutsche Kinder und 158 Kinder mit
Migrationshintergrund und Deutsch im Zweitsprach-         3.2 Hörstörungen
erwerb hinsichtlich ihrer kommunikativen und
deutschsprachigen Kompetenzen mit dem Marburger           Ein gutes Hörvermögen ist Voraussetzung für eine
Sprach-Screening (MSS, vgl. Holler-Zittlau, Dux,          normale Sprachentwicklung. Periphere Hörstörungen
Berger 2003) untersucht.                                  z. B. unerkannte Schwerhörigkeit, chronische Mittel-
    Die Untersuchungsergebnisse aus 2003 zeigten,         ohrentzündung erschweren die Sprachwahrneh-
dass ca. 22 % der deutschen Kinder und ca. 51 % der       mung, was eine Störung in der Aussprache und der
Kinder mit Migrationshintergrund und Deutsch im           Grammatik zur Folge haben kann.
Zweitspracherwerb in ihrer Sprachentwicklung deut-            Zur genauen
lich verzögert oder gestört waren und / oder erhebli-     Diagnose werden
che Probleme in der Kommunikation und im Erwerb           durch den Phonia-
der deutschen Sprache aufwiesen.                          ter (Facharzt für
    In einer Folgeuntersuchung wurden die auffäl-         Sprach-, Stimm-
ligen Kinder vor der Einschulung (2005) erneut über-      und kindliche Hör-
prüft. Die Zweituntersuchung hat gezeigt, dass            störungen) objekti-
90 % der Kinder mit massiven sprachlichen Proble-         ve und subjektive
men durch gezielte sprachheilpädagogische und logo-       Hörprüfmethoden
pädische Betreuung erhebliche Fortschritte erzielt ha-    eingesetzt,     die
ben. Das zeigt, dass es notwendig ist, die sprachlichen   auch die Verarbei-
Kompetenzen der Kinder frühzeitig durch Fachkräfte        tung des „Gehör-
zu erfassen. Dadurch könnten die Sprachprobleme           ten“ durch das Ge-
der Kinder früher als bisher erkannt und die Eltern       hirn überprüfen
hinsichtlich einer fachlichen Differenzialdiagnose        kann. Denn zentrale Hörstörungen (auditive Wahr-
und Förderung besser beraten werden.                      nehmungsstörungen) wirken sich besonders gravie-
    Verschiedene Faktoren und Bedingungen können          rend auf den Spracherwerb aus. So können z. B. ähn-
den komplizierten Prozess der Sprachentwicklung           lich klingende Laute nicht differenziert werden oder
und des Spracherwerbs stören und beeinträchtigen.         das Verstehen in lauter Umgebung fällt besonders
    Neben organisch somatischen Ursachen wie              schwer. Auch das Zuordnen von Alltagsgeräuschen,
Hörstörungen, Anomalien der Sprechwerkzeuge, geis-        das Unterscheiden unterschiedlicher Tonhöhen oder
tigen Behinderungen und genetischen Dispositionen         das Erkennen eines bestimmten Rhythmus gelingt
können auch zunehmend psychosoziale Faktoren              nicht. Deshalb können auditive Wahrnehmungs-
oder ungünstige sprachliche Vorbilder zu Verzögerun-      störungen auch das Schreiben- und Lesenlernen er-
gen und Störungen im Spracherwerb führen.                 schweren.

                                                                                                                  13
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    Wie kommt es zu Beeinträchtigungen in der Sprachentwicklung?

                                                                              3.5 Zweitspracherwerb

                                                                              Kinder ausländischer Herkunft sprechen in ihrer Fa-
                                                                              milie meistens die Herkunftssprache (Muttersprache)
                                                                              ihrer Eltern (man spricht hier von Deutsch als Zweit-
                                                                              spracherwerb). Sie haben oft auch außerhalb der Fa-
                                                                              milie wenig Kontakt zur deutschen Sprache und
                                                                              damit auch wenig Gelegenheit, die deutsche Sprache
                                                                              in für sie wichtigen Handlungskontexten zu hören, zu
                                                                              erfahren und in ihr zu kommunizieren.
                                                                                  Die Sprache, die die Kinder in der deutschsprachi-
                                                                              gen Umgebung „aufschnappen“ und lernen, dient der
                                                                              situativen Handlungsregelung und Kommunikation.
                                                                              Bei solcherlei ungesteuertem Zweitspracherwerb ist
                                                                              das Erkennen sprachlicher Regeln eher zufällig. Diese
                                                                              Art des Spracherwerbs birgt die Gefahr, dass die
                                                                              Kinder ungünstige Sprachformen übernehmen. Bei
                                                                              Schuleintritt reichen die Deutschkenntnisse dann oft-
                                                                              mals nicht aus, um erfolgreich am Unterricht teil-
                                                                              zunehmen, zu lernen und die Schriftsprache zu
                                                                              erwerben.
                                                                                  Sprechen die Eltern nur wenig Deutsch, so sollten
                                                                              sie sich darum bemühen, dass ihr Kind oft mit
                                                                              deutschsprachigen Kindern zusammenkommt. Das
                                                                              kann durch Teilnahme an einem Spielkreis, einen
                                                                              frühen Kindergartenbesuch und durch einen ganz-
                                                                              tägigen Besuch einer Kindertagesstätte unterstützt
                                                                              werden.

                       3.3 Neurologische Störungen                            3.6 Mehrsprachigkeit

                       Erkrankungen des zentralen Nervensystems zeigen        Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammen-
                       sich u. a. durch neuromuskuläre Störungen im Bewe-     hang der zweisprachigen Erziehung zu. Grundsätzlich
                       gungsablauf, die sich auch auf das Sprechen auswir-    ist es begrüßenswert, wenn ein Kind mehrere Spra-
                       ken. Die Aussprache wird undeutlich, verwaschen        chen beherrscht. In vielen Fällen gelingt das auch
                       und auch das Sprechtempo ist verändert, so dass die    ohne größere Auffälligkeiten, Verzögerungen und
                       Sprachverständlichkeit erheblich beeinträchtigt sein   Störungen beim Spracherwerb. Wesentlich für eine
                       kann.                                                  zweisprachige Erziehung ist, dass die beiden Spra-
                                                                              chen an Personen gebunden und nicht willkürlich
                                                                              gewechselt und benutzt werden. Wenn Kinder von
                       3.4 Kognitive Beeinträchtigungen                       Geburt an zwei Sprachen gleichberechtigt erwerben,
                                                                              weil ihre Eltern jeweils über eine andere Erstsprache
                       Der Spracherwerb und die kognitive Entwicklung ste-    verfügen, sollten Mutter und Vater nur in ihrer
                       hen in einer wechselseitigen Beziehung und bedingen    Sprache mit dem Kind kommunizieren. Das Kind
                       einander. Durch kognitive Beeinträchtigungen erfolgt   lernt auf diese Weise, sich sicher zwischen zwei
                       der Spracherwerb häufig verlangsamt. So können z.B.    Sprachen zu bewegen. Diese Bindung der Sprachen
                       konkrete Alltagsgegenstände benannt werden, kom-       ist ein Ordnungsprinzip, das vom Kind problemlos
                       plizierte und abstrakte Zusammenhänge werden aber      übernommen werden kann. Es stellt jedoch hohe
                       nur mit Mühe erkannt. Es bestehen deutliche Auf-       Anforderungen an das Sprachverhalten der Eltern,
                       fälligkeiten in der Wortschatzentwicklung und Satz-    wenn es konsequent beibehalten wird.
                       bildung.

    14
3
                                                    Wie kommt es zu Beeinträchtigungen in der Sprachentwicklung?

3.7 Soziale Beeinträchtigungen                          Für die Förderung der Kommunikation und des
                                                        Spracherwerbs bietet der Kindergarten eine große
„Die Erfahrungswelt der Kinder hat sich verändert       Chance, die Entwicklung dieser Kinder zu unterstüt-
und damit auch die Fertigkeiten, die sie beherrschen.   zen. Gerade Kinder, die in ungünstigen Entwicklungs-
Einige Kinder können ihre Wahrnehmungsfunk-             situationen leben, brauchen eine ergänzende Unter-
tionen nicht ausreichend entwickeln, da sie nur einen   stützung. Der Kindergarten ist der Ort, an dem die
Ausschnitt der Möglichkeiten angeboten bekommen.        Kinder gezielt in der Entwicklung ihrer Fähigkeiten
Über Fernsehen und PC kann man die Welt in Bildern      angeregt und unterstützt werden können.
erfahren, wir brauchen zum Lernen aber auch unsere
anderen Sinnessysteme und Möglichkeiten. Das
Fernsehen z.B. vermittelt den Kindern Reize für ihre    3.8 Bewegungmangel und Sprache
Sinne aus zweiter Hand. Die Kinder hören zwar
Sprache, dies hat für sie jedoch zumeist keine Hand-    Zu den vorsprachlichen Erfahrungen gehört die
lungsbedeutung, denn eine sprachliche Reaktion wird     Aneignung der kindlichen Umwelt mit allen Sinnen,
vom Fernsehen nicht erwartet. Sie haben dadurch         d. h. aktiv und voller Bewegung. Entwicklungs-
wenig Gelegenheit zur Kommunikation und zum             psychologen sagen, dass zwischen der kognitiven
sprachlichen Austausch. Unsere Welt lebt von schnel-    Entwicklung und der motorischen Aktivität ein enger
len Bildern. Zuhören und einfach miteinander spre-      Zusammenhang besteht. Greifen ermöglicht das
chen, spielen, Geschichten erzählen findet nicht mehr   Begreifen. Nur weil wir etwas mit unserer Hand fas-
so oft statt. Es gibt viele ablenkende Reize. Viele     sen können, erfassen wir auch etwas mit unserem
Kinder sind nicht gewohnt, dass ein Gespräch ohne       Kopf. Kinder erschließen sich Ihre Umwelt zunächst
mitlaufenden Fernseher oder Hintergrundgeräusche        beinahe ausschließlich über Greifen, Betasten und
aus dem Radio geführt wird. Manchmal gibt es keine      Fühlen. Das „Begreifen“ im allerwörtlichsten Sinn
Zeit, gemeinsam Geschichten zu erzählen, vorzulesen     ermöglicht ihnen ein eigenständiges Sammeln von
und Bilder zu schauen. Dennoch kann man Fernsehen       vielfältigen Erfahrungen. Und auch in der späteren
und Computer nicht verteufeln. Es gibt wunder-          Entwicklung des Kindes sind Bewegung,
schöne Sendungen und auch tolle multimediale Com-       Wahrnehmung und Lernen untrennbar miteinander
puterprogramme. Es ist nur wichtig, dass nicht die      verbunden. Kindliches Interesse erlaubt keine
Kinder entscheiden, wann, wie lange und was sie         Distanz. Was ein Kind sehen möchte, schaut es sich
schauen. Eltern müssen den Gebrauch von Medien          aus der Nähe an. Es läuft hin, möchte berühren, rie-
klar regeln. (nach Dr. Elisabeth Aust-Claus, Wiesba-    chen, bespielen. Anfassen und sehen ist eines. Körper-
dener Kurier vom 07.12.2006)                            und Bewegungserfahrungen sind das Bindeglied zwi-
   Das Miteinander-Sprechen in der Familie übt ei-      schen dem Kind und seiner Umwelt.
nen großen Einfluss auf die Sprechfreude des einzel-        Weitreichendes und selbständiges Erfassen der
nen Kindes aus. Das Miteinander-im-Gespräch-sein,       Umwelt durch direktes und aktives Erleben sind
das Miteinander-Spielen ist heute auf dem Hinter-       somit entscheidende Grundlagen für die Entwicklung
grund veränderter Lebenslagen nicht mehr so selbst-     von Sprache und Intelligenz. Doch gerade diese akti-
verständlich. Kinder brauchen einen Erfahrungs-         ve Aneignung der kindlichen Umwelt findet immer
raum, in dem sie ihre Sprache ausprobieren und ihre     weniger statt. Bewegungsstörungen schädigen nicht
Sprachkompetenz durch das Sprachvorbild der             nur den Körper. Wir wissen heute: Bewegung ist die
Erwachsenen erweitern. Diesen Erfahrungsraum bie-       Grundlage für eine geistige, soziale und persönliche
tet zu allererst die Familie. In einer Atmosphäre, in   Entwicklung. Schon in den Vierzigerjahren erkannte
der sich alle wohlfühlen und in der jeder seine         der Schweizer Psychologe Jean Piaget:
Meinung äußern kann, trifft man sich und kommt          Wer nicht rück wärts gehen kann, dem fällt auch das
spontan ins Gespräch. Familie als Erfahrungsraum, in    Rück wärts-Zählen sch wer. Wer leicht das Gleich-
dem Sprache ein wichtiger Bestandteil der Familien-     gewicht verliert, findet auch nie seine seelische
kultur ist. Über gemeinsames Spielen, Geschichten,      Balance, wer eine Kreisbewegung nicht begreift, kann
Märchen, Lieder, Kinderzeichnungen, Fernsehsen-         sich auch den anderen im Kreis nicht anschließen.
dungen kann man sich zu gemeinsamen Gesprächen
anregen lassen.
   In Familien, in denen wenig gesprochen wird, er-
halten die Kinder oft nicht genug sprachliche Anre-
gungen für ihre Entwicklung. Dies hat einen doppelt                                              Bewegungsstörungen verzögern
ungünstigen Effekt: Zum einen erhalten die Kinder                                                auch die Sprachentwicklung!
ein undifferenziertes Sprachangebot und Sprachvor-
bild, z. B. wenig differenzierte Benennung von Gegen-
ständen und kaum Formulierungen komplexer Sätze,
zum anderen erhalten sie damit einhergehend auch
wenig Informationen über die Gegenstände und Sach-
verhalte ihrer Umgebung. Dies wiederum hat Auswir-
kungen auf ihr Wissen und die kognitive Entwicklung.

                                                                                                                                15
3
    Wie kommt es zu Beeinträchtigungen in der Sprachentwicklung?

     Die Entwicklung der Sprache und ihre Störung
     können nur im Zusammenhang mit der Gesamt-
     entwicklung des Kindes verstanden werden.
     Hierzu gehören u.a. besonders die Bereiche:

     䡲 Bewegung (Grob-, Fein- und Mundmotorik)
     䡲 Körper, Organismus (Entwicklung der Sinnesorgane:
         Augen, Ohren, Hände)
     䡲 Wahrnehmung (Sehen, Hören, Fühlen)                          Wichtig ist es, Kinder spielerisch zum Sprachge-
                                                                   brauch zu animieren und sanft zu korrigieren, z. B.
     䡲 Denken, Gedächtnis (Entwicklung der Begabung,
                                                                   durch ein scheinbar beiläufiges Wiederholen oder Be-
         Merkfähigkeit)
                                                                   kräftigen einer Aussage in der richtigen Aussprache.
     䡲 Sozialverhalten (Familie, Kindergarten, Schule)             Aufforderungen von Eltern oder Erzieher mit erhobe-
                                                                   nem Zeigefinger, doch endlich richtig zu sprechen,
                                                                   bewirken meist nur das Gegenteil – einen Rückzug
                                                                   und ein Verstummen des Kindes.
                                                                      Je früher Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung
                                                                   des Kindes erkannt werden, umso mehr Aussicht auf
                                                                   Erfolg haben Beratung und mögliche therapeutische
                                                                   Schritte. Bleiben sprachliche Mängel bis zur Einschu-
                                                                   lung unbehandelt, drohen dem Kind Beeinträchti-
                                                                   gungen seiner weiteren Entwicklung. Für die Sprach-
                                                                   entwicklung gibt es eine so genannte sensible Phase,
                                                                   die in der Regel gegen Ende des dritten Lebensjahres
                                                                   endet. Alles, was das Kind danach erlernen muss, fällt
                                                                   ihm weitaus schwerer und gelingt oft nicht mit dem
                                                                   gleichen Erfolg wie bei einer rechtzeitigen Entwick-
                                                                   lung. Ein Schulkind, das Sprache nicht richtig ver-
                                                                   steht und beherrscht, hat fast automatisch Probleme
                                                                   in der schulischen Leistung, im Lernen und im Sozial-
                                                                   verhalten.
                                                                      Nur mit einer altersgemäß entwickelten Sprache
                                                                   als einem Instrument des Denkens und der Ver-
                                                                   ständigung gelingt es dem Kind sich die Welt zu
                                                                   erobern.
                                                                      Die Klärung der Ursachen ist Aufgabe von
                                                                   Fachleuten. Die notwendigen Fördermaßnahmen ori-
                                                                   entieren sich immer an den Entstehungsursachen der
                                                                   Sprachstörung und bedingen unterschiedliche thera-
                                                                   peutische Ansätze. Denn die sprachlichen Beein-
                                                                   trächtigungen haben in der Regel mehrere Ursachen
                                                                   und sind weder isoliert zu betrachten noch isoliert zu
                                                                   behandeln.
                                                                      Wenn Eltern den Verdacht haben, dass bei ihrem
                                                                   Kind ein Entwicklungsschritt nicht richtig vollzogen
                                                                   wurde, müsse dieser Verdacht äußerst ernst genom-
                                                                   men werden. Es reicht nicht, wenn man diese Eltern
                                                                   mit dem Satz „Das wächst sich noch aus“ beruhigt. Im
                                                                   Zweifelsfall können Eltern neben Kinderärzten sich
                                                                   auch an HNO-Ärzte, Sprachheilbeauftragte, Logo-
                                                                   päden, Sprachheillehrer u.a. wenden.

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