Aphasie - Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen nach Schlaganfall schlaganfall-hilfe.de - Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe

 
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Aphasie

Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen nach Schlaganfall

schlaganfall-hilfe.de
Aphasie - Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen nach Schlaganfall schlaganfall-hilfe.de - Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
Vorwort                                             3
      Einleitung                                          4

    1 Aphasie                                             5
      Was bedeutet Aphasie?                                5
      Symptome und Typen von Aphasien                      6
      Aphasie bei Kindern und Jugendlichen                14
      Sprachstörungen bei Demenz                          15
      Ursachen einer Aphasie                              15
      Kommunikationsstrategien bei Aphasie                19

    2 Dysarthrophonie                                     21
      Was bedeutet Dysarthrophonie?                       21
      Störungen (Symptome) bei Dysarthrophonie            21
      Ursachen einer Dysarthrophonie                      24
      Kommunikationsstrategien bei Dysarthrophonie        25

    3 Dysphagie                                           27
      Was bedeutet Dysphagie?                             27
      Der normale Schluckvorgang                          28
      Der gestörte Schluckvorgang                         29
      Ursachen einer Dysphagie                            31
      Die Bedeutung einer Dysphagie für den Betroffenen   31
      Essregeln bei Dysphagie                             32

    4 Logopädische Therapie                               34
      Angebot und Finanzierung                            34
      Therapieziele und -inhalte                          35
      Die Rolle der Angehörigen in der Therapie           38

      Impressum                                           39

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Aphasie - Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen nach Schlaganfall schlaganfall-hilfe.de - Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
Vorwort

                           Ein plötzlich auftretender Schlaganfall kann unsere Lebensträume und
                           auch unsere ganz alltäglichen Tagesabläufe unvermittelt zunichte ma-
                           chen. Alle Pläne und Perspektiven verändern sich schlagartig – nichts
                           ist dann mehr, wie es vorher war.

Der Schlaganfall ist eine der dramatischsten Erkrankungen in unserem Land. Ungefähr
60 Prozent der Betroffenen behalten bleibende Schäden. Neben Körperbehinderung als
Folge einer Halbseitenlähmung kann es sich dabei auch um Sprach- und Sprechstörungen,
um Schluck­störungen, aber auch um Wahrnehmungs-, Denk- und Orientierungsstörungen
handeln.

Diese Folgen eines Schlaganfalls verändern die Lebensqualität der Betroffenen und auch ih-
rer Angehörigen in hohem Maß. Ein Gefühl der Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit entwickelt
sich. Aber man sollte dies nicht einfach so hinnehmen, denn mit fachlicher Unterstützung,
guter Aufklärung und Beratung sowie eigenem Willen lassen sich die genannten Einschrän-
kungen entscheidend verbessern.

Mit der vorliegenden Broschüre möchten wir über Sprach- und Sprechstörungen (Aphasie
und Dysarthrophonie) sowie Dysphagie (Schluckstörungen) und deren Therapie aufklären.
Denn Sprache und Sprechen sind die wichtigsten Bereiche menschlicher Kommunikation,
Schlucken gehört zu den elementarsten Fähigkeiten eines Menschen –
ein hochkomplexer Vorgang. Der Verlust dieser Fähigkeiten bedeutet einen immensen
Einschnitt in das Leben eines Menschen und enorme Herausforderungen für ihn selbst
und sein unmittelbares Umfeld. Bekannte und Freunde ziehen sich möglicherweise vom
Betroffenen zurück, was seine Verunsicherung noch verstärkt. Ungeheuer wichtig sind daher
das Verständnis und die Unterstützung des (Ehe-)Partners, der Freunde, Angehörigen und
Bekannten. Sie müssen wissen, dass sie von nun an mehr Geduld und Zeit im Umgang mit
dem Betroffenen investieren sollten und ihn nicht mit seinen Problemen allein lassen dürfen.
Gerade im sensiblen Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation brauchen Schlag-
anfall-Betroffene die Hilfe ihres Umfelds ganz besonders!

Ich hoffe, dass diese Broschüre eine möglichst große Verbreitung findet und vielen Be­trof­­­­‑
fenen und ihren Angehörigen hilft, besser mit den Folgen eines Schlaganfalls fertig zu werden.

Ihre

Liz Mohn
Präsidentin der
Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe

                                                                                                   3
Aphasie - Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen nach Schlaganfall schlaganfall-hilfe.de - Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
Einleitung
    Jährlich erleiden fast 270 000 Menschen in
    Deutschland einen Schlaganfall.

    Jeder vierte bis fünfte Schlaganfall führt innerhalb eines Monats zum Tod,
    der überwiegende Teil der Schlaganfälle wird oft viele Jahre überlebt. Einen
    Schlaganfall zu überleben, bedeutet für die Betroffenen, aber auch für de-
    ren Angehörige und Freunde, mit weitreichenden Folgen leben zu müssen.

    Ein Schlaganfall verändert von einer Minute zur nächsten das gesamte
    Leben – nichts ist plötzlich mehr wie vorher. Menschen mit einer solchen
    erlittenen Hirnschädigung erleben einen beängstigenden Verlust eigener
    Fähigkeiten und Kompetenzen, sie verlieren dadurch an Autonomie, an
    Integrität und an Selbstbewusstsein. Der Verlust der Fähigkeit zu sprechen
    und zu schlucken bedeutet eine immense Umstellung für die Betroffenen
    und deren Umfeld.

    Anliegen dieses Ratgebers ist es, über Ursachen, Grundlagen und Zusam-
    menhänge bei Aphasie, Dysarthrophonie und Dysphagie zu informieren.
    Eine Krankheit und ihre Folgen besser zu verstehen, nimmt ein wenig von
    ihrer Bedrohlichkeit und hilft, im Alltag damit umzugehen.

    Unter dem Stichpunkt „Kommunikationsstrategien“ finden Betroffene
    und Angehörige Tipps, wie sie gemeinsam Gespräche leichter bewältigen
    können. Ebenso erfahren Sie, was Ziele und Inhalte einer logopädischen
    Therapie bei Aphasie, Dysarthrophonie und Dysphagie sein können.

    Der besseren Lesbarkeit halber sind in dieser Broschüre alle Personen- und Berufs-
    bezeichnungen wie »Betroffener«, »Angehöriger«, »Arzt« oder »Logopäde« in der
    männlichen Form verwendet worden. Natürlich ist hierbei immer auch die weibliche
    Form mit eingeschlossen.

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Aphasie - Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen nach Schlaganfall schlaganfall-hilfe.de - Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
1   Aphasie

    Was bedeutet Aphasie?                      die Gedanken zu vermitteln. An der
                                               Fleischtheke im Supermarkt kann man
    Aphasie ist eine erworbene Sprachstö-      das Gewünschte nicht bestellen, weil
    rung, die nach einer Schädigung der        einem das entsprechende Wort nicht
    sprachdominanten Hirnhälfte (bei den       einfällt. Briefe und Zeitungen können
    meisten Menschen links) zustande           plötzlich nicht mehr gelesen werden,
    kommt. Der Begriff stammt aus dem          die geliebte Fernsehsendung oder die
    Griechischen und setzt sich aus »A« für    Nachrichten werden zum Rätsel.
    »fehlend« und »phasis« für »Sprache« zu-   Dies sind nur wenige Beispiele von all-
    sammen. Die wörtliche Übersetzung ist      täglichen Einschränkungen und Hürden;
    jedoch irreführend: Aphasie bedeutet in    für die Betroffenen und ihre Angehöri-
    der Regel keinen kompletten Sprachver-     gen oder Bezugspersonen kommen die
    lust. Vielmehr kommt es zu mehr oder       täglichen kommunikativen Probleme in
    weniger starken sprachlichen Ausfällen,    ihrem vollen Ausmaß oft einer Katast-
    die sich sowohl beim Sprechen und          rophe gleich. Ehefrauen erleben ihren
    Sprachverstehen als auch beim Lesen        ehemals sprachlich kompetenten Part-
    und Schreiben zeigen können. Die Be-       ner als hilflos, nach Worten suchend,
    troffenen sind dadurch in ihrer Kommu-     Familienangehörige sehen ihre vormals
    nikationsfähigkeit eingeschränkt, jedoch   im sozialen Mittelpunkt stehende Mutter
    sind das Denken und die Geisteskraft       nun in einer isolierten Position. Väter
    ungestört.                                 werden durch ihre Aphasie entschei-
                                               dungsunfähig, ehemaligen Freunden
    Eine Aphasie, egal wie schwer sie sein     gehen die Gesprächsthemen aus und
    mag, hat für den Betroffenen und seine     Berufstätige können ihre Fachkenntnisse
    Gesprächspartner immer immense Aus-        nicht mehr sprachlich vermitteln.
    wirkungen auf die Kommunikation und
    somit auf das soziale Leben.               Von der Aphasie ist also nicht nur der
                                               Erkrankte selbst betroffen, sondern auch
    In Gesprächen kommt es zu Missver-         seine Familie bzw. sein kommunikati-
    ständnissen aufgrund von Sprachver-        ves Umfeld. Gesprächspartner von apha-
    ständnisproblemen. Telefonieren ist        sischen Personen fühlen sich hilflos und
    nicht mehr möglich, weil man den           müssen vertraute Gesprächsgewohnhei-
    Gesprächspartner nicht sehen kann und      ten verändern, um sich mit dem Be‑
    die »Sprachreste« nicht ausreichen, um     troffenen verständigen zu können.

                                                                                          5
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und hektisch. Es werden häufig lange,
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                                                  gen gesprochen. Passende Worte und
                                                  Laute zu wählen ist oft erschwert. Bei der
                                                  nicht-flüssigen Aphasie ist die Sprachpro-
                                                  duktion deutlich verlangsamt und ange-
                                                  strengt. Es werden kurze einfache Sätze
    Das Herausfinden von Strategien, die          gesprochen und inhaltstragende Wörter
    in der Kommunikation weiterhelfen,            aneinandergereiht. Wortfindungsstörun-
    ohne den Betroffenen zu bevormunden,          gen führen oftmals zu langen Pausen.
    erfordert Zeit, Geduld und fachliche          Die vier Standardsyndrome werden im
    Unterstützung.                                Folgenden erläutert:

    Symptome und Typen von                        Globale Aphasie
    Aphasien                                      Menschen mit einer globalen Aphasie
                                                  haben große Schwierigkeiten sowohl bei
    Bei aphasischen Patienten sind fast           der Sprachproduktion als
    immer alle sprachlichen Leistungen, also      auch beim Sprachverste-
    Sprechen, Sprachverstehen, Lesen und          hen. Häufig können
    Schreiben betroffen. Bei Aphasien, die        sie nicht mehr als
    eine Gefäßerkrankung oder eine klar           einzelne Wörter
    umschriebene Hirnverletzung im Bereich        sprechen; hinzu kommen
    des Sprachzentrums als Ursache haben,         sogenannte Sprachauto-
    ergeben sich häufig typische »Fehlerbün-      matismen und Perseverationen (siehe
    del«, die man Standardsyndrome nennt.         Seite 9), die ihre Verständlichkeit sehr
    Hiernach lässt sich die Aphasie in vier       einschränken.
    Standardsyndrome unterteilen, deren
    Symptome und Ausprägungen unter-              Wernicke-Aphasie
    schiedlich sind. In der Akutphase können      Menschen mit einer Wernicke-Aphasie
    die Symptome starke Schwankungen auf-         sprechen flüssig, manchmal
    weisen und von der Konzentration und          überschießend, und in
    dem Bewusstsein beeinflusst werden.           längeren Sätzen; jedoch
    Daher wird auch zwischen flüssiger und        machen sie
    nicht-flüssiger Aphasie unterschieden. Bei    häufig
    der akuten, nicht flüssigen Aphasie ist die   Fehler in der
    Sprachproduktion flüssig, überschießend       Auswahl von

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Wörtern oder Lauten. Ihr Sprachverständ-     syndrome häufig als Diagnose, um einen
nis ist sehr eingeschränkt.                  Hinweis darauf zu geben, um welche
                                             Form der Sprachstörung es sich handelt.
Broca-Aphasie                                Allerdings unterscheiden sich Patienten
Menschen mit einer Broca-                    auch innerhalb der Standardsyndrome
Aphasie können nur kurze,                    voneinander, d. h. ein Patient mit einer
einfache Sätze produ­zieren                  Broca-Aphasie kann ein ganz anderes Feh-
oder reihen einzelne,                        lermuster aufweisen als ein zweiter Patient
inhaltstragende Wörter                       mit Broca-Aphasie. Deshalb ist es wichtiger
aneinander. Man be-                          zu beschreiben, welche Schwierigkeiten
zeichnet diese Form                          ein von Aphasie Betroffener in den einzel-
des Sprechens auch                           nen sprachlichen Leistungen aufweist.
als »Telegrammstil«. Sie haben Mühe,
die passenden Wörter zu finden und           Schwierigkeiten beim Sprechen und
sprechen mit großer Anstrengung. Das         in der freien Rede
Verstehen von Sprache ist aber relativ gut   Schwierigkeiten beim Sprechen fallen
erhalten.                                    in der Regel schneller auf als Probleme
                                             beim Sprachverstehen. Wichtig ist zu
Amnestische Aphasie                          verstehen, dass aphasische Personen
Menschen mit einer                           nicht ihr Wissen über die Dinge verloren
amnestischen Apha-                           haben oder keine klaren Gedanken mehr
sie finden nur schwer                        fassen können.
die richtigen Wörter.
Deshalb kommt es                             Was zum Beispiel eine »Straßenbahn«
häufig zu Umschrei-                          ist und wozu sie dient, ist ihnen völlig
bungen, Floskeln oder                        klar. Aphasische Personen können häufig
Stellvertreterwörtern wie z. B. »Dingsda«.   nicht das passende Wort finden, die
Gelegentlich benutzen sie Wörter, die        richtigen Laute verwenden oder ihre
nicht genau passen, aber eine ähnliche       Gedanken in vollständigen Sätzen formu-
Bedeutung wie das gesuchte Wort haben.       lieren. Fehler beim Sprechen oder in der
Ihr Sprachverständnis ist fast ungestört.    freien Rede können ganz unterschiedli-
                                             cher Natur sein. Man kann Fehler danach
Die globale Aphasie ist die schwerste        einordnen, ob sie die Lautstruktur von
Form der Aphasie, die amnestische            Wörtern betreffen, den Wortschatz und
Aphasie die leichteste. Mediziner und        die Wortbedeutungen oder den Satzbau
Therapeuten verwenden die Standard-          und die Grammatik.

                                                                                           7
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Die häufigsten Fehlertypen sind:

      Lautstruktur (Phonologie)

      Fehler (Symptom):        		                            Beispiel:

      Lautfehler
      (phonologische Paraphasie):
      Der Betroffene verändert ein Wort             „Spille“ statt „Spinne“
      lautlich, indem er Laute verwechselt,         „Tock“ statt „Stock“
      ersetzt, hinzufügt oder auslässt. Wir         „Urine“ statt „Ruine“
      kennen solche Fehler als „Versprecher“,       „Bansane“ statt „Banane“
      die wir in der Regel selbst bemerken.

      Wortneuschöpfung
      (phonologischer Neologismus):
      Der Betroffene verändert das Wort             „Mönkebirse“
      lautlich so, dass es in der deutschen         „Steisel“
      Sprache nicht vorkommt. Hier kann             „kämmsichen“
      man häufig nicht mehr nachvollziehen,
      was der Betroffene meint.

      Lautstruktur (Phonologie)

      Fehler (Symptom):        		                            Beispiel:

      Wortfindungsstörungen:
      Der Betroffene kann das gesuchte Wort      „Letzte Woche bin ich doch bei
      nicht in seinem „Lexikon“ finden. Er       dem... na... beim.... na, wie heißt es
      zeigt Suchverhalten oder bricht die        denn jetzt.... also vorige Woche, da
      Kommunikation ab. Es entstehen Pau-        war ich.... naja, bei dem Dingens,
      sen, er versucht, den gesuchten Begriff    Herr Gott, sach doch mal!“
      zu umschreiben, benutzt Floskeln oder
      Stellvertreterworte. Wortfindungsstörun-
      gen kennen auch Sprachgesunde.

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Lautstruktur (Phonologie)

Fehler (Symptom):       		                           Beispiel:

Wortwahlfehler
(semantische Paraphasie):
Der Betroffene sagt statt des            „Mutter“ statt „Tochter“
gesuchten Begriffes ein bedeutungs-      „Tisch“ statt „Blume“
mäßig abweichendes Wort. Solche
Wortverwechslungen passieren auch
Sprachgesunden. Bei aphasischen
Personen weichen die gesagten
Wörter manchmal sehr von der
ursprünglichen Bedeutung ab.

Wortneuschöpfung
(semantischer Neologismus):
Der Betroffene benutzt ein Wort,         „Haartelefon“ statt „Kamm“
das bedeutungsmäßig so in der            „Landkartenball“ statt „Globus“
deutschen Sprache nicht vorkommt.        „Trecker-Mann“ statt „Bauer“
Oft sind diese Wortneuschöpfungen
recht originell.

Floskeln und Stereotypien:
Der Betroffene verwendet häufig          „Ich sach mal...“ „Das is halt so.“
vorkommende Redewendungen, die           „Da bin ich dann in die Klinik
mehr oder weniger starr im Gespräch      eingelaufen, wenn Sie so wollen,
eingesetzt werden. Auch Sprachgesun-     und der Arzt hat gesagt oder sich
de benutzen Redefloskeln, nur nicht so   ausgedrückt, wenn Sie so wollen....“
häufig wie aphasische Personen.

                                                                                9
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Satzbau und Grammatik (Syntax / Morphologie)

     Fehler (Symptom):                      Beispiel:

     Kurzer, unvollständiger Satzbau        „Flugzeug... Sonne scheint und so... vier
     (Agrammatismus):                       Tage und zwei Tage... eh.....
     Der Betroffene spricht „telegramm-     bewusstlos und umfallen.... und später
     stilartig“ in kurzen, vereinfachten    eine Woche.... Hubschrauber... und
     Sätzen, die oft nur aus wenigen, an-   Klinik“
     einandergereihten Wörtern bestehen.

     Komplexer, fehlerhafter Satzbau        „Ich glaube man sollte bei Null be‑
     (Paragrammatismus):                    ginnen und nicht oben... es ist so: ge-
     Der Betroffene formuliert komplexe,    genüber früher möchte ich erst einmal
     lange Sätze, die aber grammatika-      sagen über den ganz großen Beginn
     lisch fehlerhaft sind. Oft werden      erst mal ich ankam ist es natürlich ganz
     auch Sätze miteinander verschränkt,    entschieden... eh... ein Unterschied...
     abgebrochen oder Satzteile werden      heute besser als früher obwohl wir gar
     verdoppelt.                            nicht drüber debattieren müssen.“

     Satzbau und Grammatik (Syntax / Morphologie)

     Fehler (Symptom):                      Beispiel:

     Automatisierte Sprache /               Untersucher: „Wie hat das angefangen
     Sprachautomatismen:                    mit Ihrer Erkrankung?“ Patient: „Biwi-
     Der Betroffene produziert ge-          wiwi....Wiwiwiwi...biwiwi“ Untersucher:
     gen seine Sprechabsicht nur            „Hatten Sie einen Schlaganfall oder...?“
     noch mehrfach wiederkehrende           Patient: „Wiwiwiwiwiwiwi“
     formstarre Äußerungen, die nicht in    Weitere Beispiele für Automatismen:
     den sprachlichen Kontext passen.       „Donnerwetter“, „Scheiße“, „der war
                                            allein“, „eine Hose“, „Nein“

10
Satzbau und Grammatik (Syntax / Morphologie)

  Fehler (Symptom):                         Beispiel:

  Perseveration:                            Untersucher: „Was haben Sie alles ein-
  Der Betroffene bleibt an einem            gekauft?“ Patient: „Schokolade... und...“
  zuvor richtig geäußerten Wort oder        Untersucher: „Und was noch?“ Patient:
  Wortteil „hängen“.                        „Schokolade... äh, nein, Schokol...
                                            äh.... Flokolade... Fleikalade““

Überschießender Redefluss:
Der Betroffene erzählt, einmal zu reden aufgefordert, ohne Unterlass flüssig und aus-
holend. Dabei lässt sich der Inhalt des Gesagten nicht immer ohne Weiteres erschlie-
ßen oder auf den Punkt bringen. Gesprächsregeln werden nicht mehr eingehalten.
Zum Beispiel werden Hörersignale wie „Luftholen und zum Sprechen ansetzen“ oder
„den Blickkontakt abwenden“ nicht wahrgenommen. Oder der Betroffene unterbricht
seinen Gesprächspartner.

Schwierigkeiten beim Sprach-                erhaltenes Situationsverständnis, d. h. er
verstehen                                   kann mithilfe von Weltwissen, nichtsprach-
Schwierigkeiten beim Sprachverstehen        lichen Informationen seines Gesprächs-
fallen nicht so auf wie aphasische Fehler   partners (Mimik, Gestik, Stimmklang und
beim Sprechen. Deshalb werden die           Sprechmelodie) und Wissen über Ge-
Leistungen von aphasischen Personen         sprächsregeln einen Sinnzusammenhang
im Sprachverstehen häufig überschätzt,      erschließen und angemessen reagieren.
d. h. die Betroffenen verstehen Sprache
oft schlechter als es den Anschein hat.     Fallen all diese unterstützenden Aspekte
Bei fast allen Aphasieformen ist das Ver-   weg, ist das reine Wortverständnis von
stehen von Sprache in unterschiedlichem     Sprache wesentlich schlechter. Häufig
Ausmaß betroffen.                           verfügen aphasische Personen nur noch
                                            über ein sogenanntes »Schlüsselwort-
Der Betroffene hat häufig ein noch gut      verständnis«.

                                                                                         11
Das bedeutet, dass nur noch einzelne,
     inhaltstragende Stichworte (»Tabletten«,
     »einnehmen«) verstanden werden und
     darüber versucht wird, den Sinn des Ge-
     sagten zu ermitteln. Weniger inhaltstra-
     gende Wörter (»heute«, »weniger«, »aus
     dieser« Packung) oder grammatikalische
     Zusammenhänge können jedoch nicht
     mehr entschlüsselt werden.
                                                  aphasische Personen fast fehlerfrei laut
      Ein Betroffener:                            lesen, ohne den Sinn des Gelesenen zu
                                                  verstehen.
      „Als ich aus dem Koma erwachte, be-
      merkte ich, dass ich meinen rechten         Beim lauten Lesen können die Betroffe-
      Arm und mein rechtes Bein nicht             nen ähnliche Fehler machen wie beim
      bewegen konnte. Ich wollte aufstehen,       Sprechen. Es kann also auch hier zu
      aber es ging nicht. Mir wurde klar,         Lautfehlern, Wortfehlern und Satzfehlern
      dass ich in einem Krankenhaus lag.          kommen.
      Endlich kam die Visite und ich sagte
      dies dem Arzt und den Schwestern. Ich       Als Sprachgesunder können Sie die
      wollte wissen, warum und was mit mir        Schwierigkeiten nachvollziehen, wenn
      passiert sei. Aber man lachte nur und       Sie sich vorstellen, dass Sie eine
      sprach für mich Worte, die ich nicht        Fremdsprache lernen, aber noch nicht
      begreifen konnte. Ich habe mich noch        vollständig beherrschen. Sie lesen einen
      nie so hilflos und verlassen gefühlt.“      Text in dieser Sprache laut vor, kennen
                                                  und verstehen die Vokabeln, die darin
     Schwierigkeiten beim Lesen                   vorkommen, aber Sie sind in der Aus-
     Bei der Fähigkeit »Lesen« muss man           sprache und in der Verwendung der
     unterscheiden zwischen lautem Lesen          richtigen Laute noch nicht sicher.
     (»Vorlesen«) und dem Verstehen des           Die Schwierigkeiten beim sinnentneh-
     Gelesenen. Beides ist unabhängig             menden Lesen sind ähnlich wie die Pro-
     voneinander: Es gibt Betroffene, die zwar    bleme beim Sprachverstehen. Manche
     nicht laut lesen können, weil sie die pas-   Betroffene verstehen einzelne Wörter
     senden Wörter oder Laute nicht finden,       nicht, andere können einem geschriebe-
     aber sehr wohl verstehen, was sie lesen.     nen Text oder einigen Sätzen überhaupt
     Andersherum können manche                    keinen Sinn entnehmen.

12
Hier können Sie sich vorstellen, dass
Sie zum Beispiel einen lateinischen Text
fehlerfrei vorlesen können, aber ihn nicht
verstehen – es sei denn, Sie haben das
große Latinum. Oder Sie können ein
bisschen Latein verstehen, aber nicht
jedes Wort, sodass Sie sich anhand der
»Schlüsselwörter« den Zusammenhang
des Textes »zusammenreimen« müssen.

Sind die Probleme beim Lesen im Ver‑
gleich zu den anderen sprachlichen
Leistungen besonders groß, spricht man
von »Alexie« oder »Dyslexie«.
                                             machen aphasische Personen ähnliche
 Ein Betroffener:                            Fehler wie beim Sprechen: Sie schreiben
                                             beispielsweise ein falsches Wort auf oder
 „Als ich vom Krankenhaus zurück             die Buchstaben in Wörtern werden ver-
 nach Hause kam, konnte ich die              tauscht, ausgelassen oder hinzugefügt.
 Fragen meiner Frau nicht beantworten.       Es kann auch sein, dass der Betroffene
 Immer wieder schrieb sie mir auf            ein Wort so schreibt wie man es spricht,
 einen Zettel Wörter – oder waren es         ohne die Rechtschreibregeln (Orthografie-
 sogar ganze Sätze – auf. Wie sollte ich     regeln) zu beachten, z. B. »Schtraße« statt
 ihr denn nur klarmachen, dass ich           »Straße« oder »Sane« statt »Sahne«. Bei
 auch nicht mehr lesen konnte. Beide         sehr schweren Störungen des Schreibens
 waren wir entsetzt, als ich schreiben       ist es den Betroffenen oftmals nicht mehr
 wollte und nur ein unleserliches            möglich, Wörter oder Buchstaben auch
 Gekritzel zu Papier brachte.“               nur abzuschreiben (zu kopieren), ge-
                                             schweige denn, selbstständig Buchstaben
Schwierigkeiten beim Schreiben               zu einem Wort zu verbinden.
Auch hier muss zwischen zwei Fähigkei-
ten unterschieden werden: Das eine ist       Sind die Probleme beim Schreiben im
die Fähigkeit, Gedanken in geschriebene      Vergleich zu den anderen sprachlichen
Sprache umzusetzen, also die passenden       Leistungen besonders groß, spricht man
Wörter und Buchstaben zu finden und          von einer »Agraphie« oder »Dysgra-
Rechtschreibregeln anzuwenden. Dabei         phie«. Die andere Fähigkeit ist der

                                                                                           13
motorische Schreibvorgang, der be-          Es kann aber sein, dass einfache Re­chen-
     troffen sein kann. Viele von Schlaganfall   aufgaben wie beispielsweise Addieren
     betroffene Menschen haben eine Läh-         oder Subtrahieren aufgrund der Unsicher­
     mung der rechten Hand und/oder des          heiten im Umgang mit Zahlwörtern feh-
     rechten Armes. Da die meisten Men-          lerhaft oder gar nicht mehr durchgeführt
     schen Rechtshänder sind, müssen viele       werden können. Man spricht in diesem
     aphasische Personen beim Schreiben          Zusammenhang von »Akalkulie« oder
     »auf links umschulen«, was anfangs eine     »Dyskalkulie«.
     große motorische Umstellung darstellt.
                                                  Eine Betroffene:
     Bei den Betroffenen, die noch mit der
                                                  (aus: I. Tropp-Erblad: »Katze fängt
     gewohnten, aber gelähmten Hand, also
                                                  mit S an.«)
     meistens mit rechts, schreiben können,
                                                  „Eine Patientin fragte mich, wie alt ich
     sieht die Schrift häufig ungelenk oder
                                                  sei. ‚Vierundsiebzig‘ antwortete ich.
     unleserlicher aus. Schwierigkeiten beim
                                                  Sie wollte es mir nicht glauben, aber
     Schreiben, die aufgrund mangelnder Fein-
                                                  ich sagte, doch, es stimme. Sie wieder-
     motorik oder Kraft der Hand entstehen,
                                                  holte, was ich gesagt hatte. Da hörte
     müssen vom Physio oder Ergotherapeu-
                                                  ich, dass es falsch war und berichtigte
     ten behandelt werden.
                                                  mich. Anfangs war es mir unmöglich
                                                  zu sagen, wie spät es war. Es wurde
     Schwierigkeiten mit Zahlen und
                                                  immer falsch. Wenn ich ‚halb eins‘
     Daten
                                                  sagen wollte, sagte ich z. B. ‚neun‘. Es
     Viele Betroffene haben neben den sprach-
                                                  kamen Zahlen. Aber ich hörte selbst,
     lichen Schwierigkeiten auch Probleme
                                                  dass sie nicht richtig waren.“
     im Umgang mit Zahlen und Daten. Sie
     können z. B. Zahlensymbole nicht mehr
     lesen oder verwechseln Zahlenwörter.
     Es gelingt ihnen nicht mehr, Tagesdatum     Aphasie bei Kindern und
     oder Geburtsdatum korrekt anzugeben         Jugendlichen
     oder aufzuschreiben.
                                                 Der Begriff »kindliche Aphasie« ist nicht
     Häufig handelt es sich hierbei um Abruf-    ganz unumstritten, da die Diagnose einer
     und/oder Verstehensprobleme bei Zahl-       Aphasie einen vollendeten Spracherwerb
     enwörtern. Der Wert einer Zahl oder ei-     voraussetzt. Zu welchem Zeitpunkt der
     nes Betrages ist den Betroffenen jedoch     Spracherwerb vollständig abgeschlossen
     nach wie vor klar.                          ist, darüber sind sich die Forscher nicht

12
14
einig: Manche setzen ihn mit dem Schu-
leintrittsalter an, manche erst mit Beginn
der Pubertät.

Auf jeden Fall ist auch eine kindliche
Aphasie immer als erworbene Sprach-
störung zu verstehen, d. h. dass sich
bis zum Zeitpunkt der Erkrankung die
Sprache normal entwickelt hat..

Meist werden Aphasien im Kindes- und
Jugendalter durch Schädel-Hirn-Traumen
verursacht, aber auch durch Schlaganfäl-
le, Hirntumore oder Hirnentzündungen.        einheitlich als »Bild« oder Syndrom zu
Eine besondere Form der kindlichen           beschrieben wie Aphasien nach Schlag-
Aphasie geht mit dem Landau-Kleff-           anfall. Häufig können Wortfindungsstö-
ner-Syndrom einher, das durch Kramp-         rungen eine Demenz ankündigen.
fanfälle und Sprachstörungen gekenn-         Im weiteren Verlauf kommt es bei den
zeichnet ist. Jungen sind davon doppelt      Betroffenen neben den Gedächtnisstö-
so häufig betroffen wie Mädchen.             rungen und Wortfindungsstörungen
Insgesamt haben Aphasien bei Kindern         auch zu Wortwahlfehlern und zuneh-
und Jugendlichen aufgrund der noch           menden Schwierigkeiten, die Bedeutung
nicht vollendeten Hirnreifung eine höhe-     von Sprache zu erfassen. Personen mit
re Chance auf Heilung als bei Erwachse-      Demenz fallen in der Kommunikation
nen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass       dadurch auf, dass sie häufig Floskeln
sich Nervenzellen neu vernetzen und          verwenden, vom Thema abdriften, Äu-
gesunde Hirngebiete Sprachfunktionen         ßerungen wiederholen und ihre sprachli-
übernehmen, ist in einem jüngeren            chen Fehler nicht mehr bemerken.
Lebensalter größer als in einem fortge-
schrittenen Lebensalter.                     Ursachen einer Aphasie

Sprachstörungen bei Demenz                   Schlaganfälle/Hirngefäßerkran-
                                             kungen
Sprachstörungen können auch im               Unter dem Sammelbegriff Schlaganfall
Rahmen demenzieller Erkrankungen             oder Hirngefäßerkrankungen werden
auftreten, sind jedoch häufig nicht so       einerseits Durchblutungsstörungen

                                                                                       15
(Ischämie) des Gehirngewebes, ande-                minderung der Hirndurchblutung über ei‑
     rerseits eine Hirnblutung (Hämatom,                nen längeren Zeitraum an, kommt es
     Hämorrhagie) verstanden. Der Schlagan-             zum irreversiblen Zelltod. Es entsteht ein
     fall (Apoplex, Insult, Infarkt) ist die häu­­­­‑   Gewebsdefekt (Hirninfarkt), der nicht
     figste Ursache für eine Aphasie, wenn er           mehr regenerierbar ist. Man unterscheidet
     die sprachdominante Hirnhälfte (bei den            weiter zwischen einem Verschluss eines
     meisten Menschen links) betrifft. Beide            Blutgefäßes im Gehirn und einer Blutung.
     Hirnhälften werden durch verschiedene              Zu einem Verschluss eines Blutgefäßes
     Arterien mit Blut versorgt; im Bereich des         kommt es, wenn sich durch Kalkablage-
     Sprachzentrums ist es die (meist) linke            rungen das Gefäß so weit verengt, dass
     mittlere Hirnarterie. Ist diese hauptversor‑       kein Blut mehr hindurchgelangen kann
     gende Arterie oder eine ihrer vielen Ver‑          oder wenn im Bereich über der Kalkab-
     zweigungen betroffen, können die Zellen            lagerung das Gefäß plötzlich durch einen
     des Sprachzentrums nicht länger mit Sau-           Blutpfropf verstopft wird (Thrombose).
     erstoff und Blutzucker versorgt werden.
                                                        Entsteht aufgrund einer Herzerkrankung
     Eine Durchblutungsstörung mit nur                  ein solches Blutgerinnsel im Herzen
     vorübergehenden Beschwerden wird                   oder in einem anderen großen Blutgefäß
     bei einer Dauer bis zu 24 Stunden als              (z. B. in der Halsschlagader), löst sich
     transitorische ischämische Attacke (TIA)           dann das Gerinnsel und verschließt ein
     bezeichnet. Bei einer längeren Dauer               Hirngefäß, spricht man von einer Embolie.
     spricht man von einem prolongierten
     oder partiell reversiblen ischämischen             Bei einer Hirnblutung zerreißt ein
     neurologischen Defizit (PRIND).                    poröses Blutgefäß im Hirn, sodass
     Hält eine Unterbrechung oder starke Ver‑           das Blut in das umliegende, gesunde

       Ursachen einer Aphasie:

       Schlaganfälle / Hirngefäßerkrankungen 			80                               Prozent
       (Gefäßverschlüsse / Gefäßblutungen)
       Schädel-Hirnverletzungen 				10                                          Prozent
       Hirntumoren 				 7                                                       Prozent
       Alterungs- und Abbauprozesse des Gehirns 			 1                           Prozent
       Hirnentzündungen 				 1                                                  Prozent
       Sauerstoffmangel 			                         1                           Prozent

16
Hirngewebe fließt und dort Hirnzellen           del-Hirn-Trauma) kommt es im Rahmen
zerstört. Begünstigt werden solche Hirn-        von Gewalteinwirkungen oder Unfäl-
gefäßerkrankungen durch sogenannte              len, die vor allem den Kopf betreffen.
Risikofaktoren. Dazu zählen Bluthoch-           Eine Aphasie entsteht dann, wenn die
druck, Herzerkrankungen, schon einmal           Verletzung eine Ge­fäßblutung oder eine
aufgetretene Durchblutungsstörungen             Schwellung des Gehirns, vornehm-
des Gehirns, Zuckerkrankheit, Fettstoff-        lich im Bereich des Sprachzentrums
wechselstörungen, Übergewicht, starkes          auslöst. Beson­ders junge Erwachsene
Rauchen, Bewegungsmangel sowie die              oder Jugendliche werden aufgrund von
Einnahme der Antibabypille.                     Verkehrsunfällen zu Opfern von Schä-
                                                del-Hirn-Verletzungen.
Häufig kommen bei einem Schlaganfall
mehrere Risikofaktoren zusammen. Die            Hirntumore
Annahme, dass ein Schlaganfall nur              Weniger häufig können Hirntumore zu
alte Menschen treffen kann, ist falsch.         einer Aphasie führen, wenn sie den
Zunehmend jüngere Personen leiden an            sprachdominanten Hirnbereich betreffen.
Gefäßerkrankungen und müssen mit den            Je nach Sitz und Größe des Tumors, und
Folgen kämpfen.                                 je nachdem, ob er gutartig oder bösartig
                                                ist, wird über eine Operation, Chemo-
Natürlich ist das Wissen um die Risikofak-      therapie oder Bestrahlung des Tumors
toren bzw. um das ganz persönliche              entschieden. Sowohl durch den Tumor
Schlaganfall-Risiko lohnenswert, um             als auch durch eine operative Entfernung
überhaupt das Auftreten einer Hirngefä‑         kann gesundes Zellgewebe zerstört oder
ßerkrankung zu vermeiden. Aber auch             verdrängt werden. Hierdurch kann es zu
nach einem erlittenen Schlaganfall lohnt        Störungen der entsprechenden Funk­
es sich, die individuellen, kritischen Le‑      tionen (z. B. Sprache) kommen.
bensgewohnheiten oder begünstigende
Faktoren zu kennen und zu kontrollie-           Alterungs- und Abbauprozesse
ren, um einem weiteren Schlaganfall             des Gehirns
vorzubeugen!*                                   Bei alters- oder krankheitsbedingten
                                                Abbauprozessen des Gehirns (z. B.
Schädel-Hirn-Verletzungen                       Demenz) kann es dazu kommen, dass
Zu einer Schädel-Hirn-Verletzung (Schä-         auch Sprachfunktionen beeinträchtigt
*
 Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe hat ihren Online-Risikotest überarbeitet.
Jederzeit und kostenlos können Sie Ihr persönliches Risikoprofil ermitteln. Nehmen Sie sich
dafür 10 bis 15 Minuten Zeit. Jetzt testen unter schlaganfall-test.de

                                                                                              17
es zu aphasischen Störungen kommen.
                                                    Auch nach einem Sauerstoffmangel des
                                                    Gehirns z. B. bei einem Herzstillstand
                                                    kann es zu sprachlichen Ausfällen kom-
                                                    men. Hat das Gehirn eines Menschen
                                                    einen längeren Sauerstoffmangel erlitten
                                                    (z. B. nach einer Wiederbelebung) oder
                                                    liegt eine Person längere Zeit im Koma,
                                                    ist davon auszugehen, dass nicht nur
     werden. In ihrer Auswirkung sehen diese        sprachliche Leistungen in Mitleidenschaft
     Sprachstörungen häufig wie typische            gezogen sind, sondern häufig ganz grund-
     aphasische Symptome aus.                       legende Funktionen wie Aufmerksamkeit,
                                                    Wachheit oder Schlucken wiedererlernt
     Streng genommen spricht man von ei‑            werden müssen.
     ner Aphasie aber nur, wenn eine um-
     schriebene Hirnverletzung vorliegt und         Aufgrund der schwerwiegenden Folgen
     wenn das verletzende Ereignis zeitlich         von Sauerstoffmangel für das Gehirn
     begrenzt ist – so zum Beispiel wie bei         zählt bei einem Herzinfarkt oder Schlag­
     einem Schlaganfall, der einmalig auftritt      anfall jede Minute; eine schnelle und
     und eine bestimmte Hirnarterie betrifft.       fachkompetente Akutversorgung ist
     Ein Hirnabbauprozess ist dagegen in der        (über)lebenswichtig.
     Regel fortschreitend und dehnt sich auf
     mehrere Hirnregionen aus, sodass man           Kommunikationsstrategien bei Apha-
     von einer kontinuierlichen Verschlech-         sie für Betroffene und Angehörige
     terung der Leistungen ausgehen muss            Wie verhalte ich mich als Gesprächspart-
     (siehe S. 15, Sprachstörungen bei              ner einer aphasischen Person? Wie kann
     Demenz).                                       ich dem Betroffenen am besten helfen,
                                                    sich mitzuteilen? Wie kann ich mit mei-
     Hirnentzündungen und                           ner eigenen Hilflosigkeit umgehen?
     Sauerstoffmangel
     Eine der selteneren Ursachen von Apha-         Dies sind typische Fragen, die sich
     sien ist die Hirnentzündung (z. B. Gehirn‑     Angehörige und Freunde aphasischer
     hautentzündung), die u. a. im Rahmen           Personen stellen, wenn sie immer wie-
     einer anderen Erkrankung auftreten kann.       der erleben, wie schwierig Gespräche
     Wird durch die Hirnentzündung Gewebe           geworden sind. Mit den folgenden Tipps
     betroffen, das Sprach­funktionen trägt, kann   möchten wir Ihnen Mut machen, die

18
Kommunikation zum Betroffenen auf-            Ebenfalls können die von Aphasie Be­
rechtzuerhalten und nicht aufzugeben.         troffenen durch das Beachten einiger
                                              Verhaltensweisen dazu beitragen, dass
Die Aphasie betrifft immer beide Ge-          die Kommunikation erfolgreicher ver-
sprächspartner, den Betroffenen, aber         läuft. Auch wenn sie durch die sprachli-
auch den Sprachgesunden. Deshalb              chen Defizite eingeschränkt sind, ist es
können für die Kommunikationspartner          wichtig, dass sie die Verantwortung für
von aphasischen Personen Hinweise zur         das Gelingen eines Gespräches nicht
Gesprächsführung nützlich sein, um die        abgeben, sondern versuchen, sich auf
Schwierigkeiten in der Kommunikation          die veränderte Situation einzustellen.
besser zu bewältigen.

Kommunikationsstrategien bei Aphasie

  Was Sie als Betroffener beachten können:

  Nichtverstehen signalisieren! Geben Sie Ihrem Gesprächspartner durch ein
  Wort oder ein nichtsprachliches Zeichen Bescheid, wenn Sie ihn nicht verstanden
  haben, so können Missverständnisse vermieden werden.
  Halten Sie Blickkontakt zu Ihrem Gesprächspartner, damit Sie zusätzlich gesti-
  sche oder mimische Informationen aufnehmen können.
  Haben Sie Geduld mit sich selbst und mit Ihren Gesprächspartnern. Nicht aufge-
  ben! Wenn Sie etwas nicht vermitteln können, versuchen Sie es später noch einmal.
  Informieren Sie fremde Gesprächspartner ggf. kurz über Ihre Sprachschwierig-
  keiten oder halten Sie eine Karte bereit, auf der alle notwendigen Informationen
  ablesbar sind.
  Inhalt vor Form! Versteifen Sie sich nicht zu sehr auf sprachliche „Formfehler“,
  die Ihnen unterlaufen. Wichtig ist, dass Sie vermitteln können (z. B. auch auf nicht-
  sprachlichem Wege), was Sie wollen!
  Setzen Sie alles an Kommunikationsmitteln ein, was Ihnen zur Verfügung steht
  (Gesten, Mimik, auf etwas deuten, Lautmalerei, Aufzeichnen oder Aufschreiben).
  Haben Sie Mut sich mitzuteilen, ergreifen Sie Initiative! Ein Gespräch besteht im‑
  mer aus zwei Personen, Ihr Gesprächspartner wird versuchen, Ihnen weiterzuhelfen!

                                                                                          19
Die folgenden Hinweise und Strategien      und zwischenmenschlichen Vorausset­
     sind nicht als „Patentrezept“ für die      zungen entsprechend, individuell zwi‑
     Kommunikation zu verstehen. Sie soll-      schen zwei Gesprächspartnern ange­
     ten je nach Schweregrad und Form der       wendet. werden.
     Aphasie, aber auch den persönlichen

       Was Sie als Angehöriger beachten können:

         Die eigene Sprache auf die Verständnisschwierigkeiten einstellen
         (z. B. einfachen Satzbau verwenden, Ja/Nein-Fragen stellen usw.)
         Verständnis sichern („Hast du das gemeint?“)
         ggf. auch durch kurzes Berühren Aufmerksamkeit gewinnen
         Nichtsprachliche Kommunikation einsetzen (Gestik, Mimik, Lautmalerei,
         Benutzung von Hilfsgegenständen, Aufzeichnen oder Aufschreiben)
         Was der Betroffene nicht verstanden hat, wiederholen oder anders ausdrücken,
         Geduld haben, Pausen aushalten, dem Betroffenen Zeit geben, selbst auf das
         Gesuchte zu kommen.
         Auf Hilfesignale achten (z. B. Aufnahme des Blickkontaktes) und erst dann
         sprachliche Unterstützung anbieten („Soll ich dir weiterhelfen?“)
         Das Thema des Gesprächs durch ein prägnantes Schlüsselwort ankündigen
         („Ich möchte mit dir über den Arzt sprechen.“)
         Sprechen Sie auch im Beisein von mehreren Personen möglichst mit dem
         Betroffenen, nicht über ihn! Versuchen Sie ihn, wo es möglich erscheint, in das
         Gespräch mit einzubeziehen. Fassen Sie längere Gesprächsabschnitte für
         den Betroffenen zusammen. („Wir sprechen gerade über den nächsten
         Kegelabend. Kannst du dir vorstellen, mitzukommen?“)
         Vermeiden Sie „Babysprache“! Behandeln Sie den Betroffenen nach wie vor als
         erwachsenen und ernst zu nehmenden Gesprächspartner.

20
2   Dysarthrophonie

    Was bedeutet Dysarthro-
    phonie?

    Dysarthrophonie ist eine Sprechstörung,
    die durch eine Hirnverletzung oder
    -erkrankung verursacht wird. Der Begriff
    setzt sich aus der Vorsilbe »Dys-« für
    Störung und dem griechischen »arth-
    rein« für Artikulieren zusammen. Man
    findet häufig auch den Begriff »Dysar-
    thrie«; dies ist eine ältere Fachbezeich-
    nung und meint dasselbe Störungsbild.

    Bei einer Dysarthrophonie kommt es zu
    mehr oder weniger ausgeprägten Be-
    einträchtigungen der Lautbildung (Ar-
    tikulation), der Stimmgebung und
    der Sprechatmung. Die Betroffenen
    sprechen beispielsweise verwaschen
    und undeutlich, mit heiserer oder leiser
    Stimme, und müssen beim Sprechen
    häufiger Luft holen als vor der Erkran-
    kung. Aphasien und Dysarthrophonien
    können auch gemeinsam auftreten.

    Störungen (Symptome) bei
    Dysarthrophonie

    Unsere Sprechbewegungen, die
    Stimmgebung, der zum Sprechen
    benötigte Atemstrom – all das wird in
    seinem komplexen Zusammenspiel
    von verschiedenen Stellen des Gehirns

                                                21
gesteuert. Je nachdem, welche Bereiche         häufig nicht, die Laute sauber und korrekt
     des Gehirns nun durch eine Schädigung          zu bilden.
     betroffen sind, können die entsprechen-
     den Funktionen eingeschränkt sein oder         Durch die eingeschränkte Beweglichkeit
     ganz ausfallen.                                oder auch durch zu starken Druck der
                                                    Sprechmuskeln sprechen Menschen mit
     Im Folgenden wird erläutert, zu welchen        Dysarthrophonie die Laute zu schwach
     Störungen es bei einer Dysarthrophonie in      oder zu stark aus, sie nuscheln und sind
     den verschiedenen Bereichen des Sprech-        insgesamt nur schwer in ihrer Aussprache
     vorgangs kommen kann. Dabei muss eine          zu verstehen.
     Person mit Dysarthrophonie nicht alle
     Symptome aufweisen; auch die Stärke            Ist das Gaumensegel (Velum) betroffen,
     oder Ausprägung der einzelnen Sympto-          der hintere weiche Teil des Gaumens mit
     me kann von Störungsbild zu Störungsbild       dem »Zäpfchen«, können Probleme bei
     unterschiedlich sein. Das hängt mit der Art,   der Luftstromregulierung auftreten. Die
     dem Ort und dem Ausmaß der zugrunde            Luft, die für den Großteil der Laute zum
     liegenden Hirnverletzung zusammen.             Sprechen im Mund benötigt wird, ent-
                                                    weicht durch den mangelnden Abschluss
     Störungen der Lautbildung                      des Gaumensegels nun durch die Nase.
     (Artikulation)                                 Dadurch entsteht ein charakteristischer
     An der Bildung der Sprachlaute sind die        näselnder Sprechklang (Hypernasalität).
     Muskeln von Kiefer, Lippen, Gesicht,
     Zunge und Gaumensegel beteiligt. Für das       Störungen der Stimmgebung
     Sprechen des Lautes /t/ beispielsweise         (Phonation) und der Sprechmelodie
     muss die Zungenspitze schnell und mit          (Prosodie)
     Druck an den oberen Zahndamm geführt           Die menschliche Stimme wird im Kehl-
     und wieder abgestoßen werden; der              kopf durch das Schwingen der Stimm-
     Luftstrom wird dadurch kurz gestaut und        ­­lippen (auch Stimmbänder) erzeugt.
     explodiert dann sozusagen im t-Laut.           Werden durch eine Hirnschädigung die
     Bei der Bildung eines /n/ wird die Zun-        Nerven verletzt, die die Kehlkopfmusku-
     genspitze am selben Ort im Mund benö-          latur versorgen, kommt es zu Störungen
     tigt; die Luft muss jedoch dabei durch die     der Stimmgebung. Der veränderte Span-
     Nase strömen, damit der Laut nasal klingt.     nungszustand der Stimmlippen kann zu
     Sind nun die an der Bildung der Laute          Schwankungen oder Sprüngen in der
     beteiligten Muskeln durch eine Lähmung         Tonhöhe bis hin zu einer ganz anderen
     beeinträchtigt, gelingt es den Betroffenen     Stimmlage führen (tiefere oder höhere

22
Störungen der Beweglichkeit der
                                            Gesichtsmuskulatur und Mimik
                                            Die Gesichtsmuskulatur ist weniger für den
                                            Sprechvorgang als für die mimische Be‑
Stimme als vorher). Die Stimme kann         gleitung desselben zuständig. Auch diese
heiser, rau oder gepresst klingen. Durch    kann bei einer Hirnverletzung beeinträch-
eine gestörte Steuerung der Atemluft        tigt sein, besonders häufig kommt eine
kann die Stimme aufgrund von zu             verringerte Beweglichkeit der Gesichts-
schwachem oder zu starkem Luftdruck         muskulatur bei der Parkinson’schen Krank‑
zu leise oder zu laut sein oder in ihrer    heit (Morbus Parkinson) vor. Die Betroffe-
Lautstärke schwanken.                       nen zeigen eingeschränkte mimische Be‑
                                            wegungen bis hin zum völligen Fehlen jeg-
Störungen der Sprechatmung                  licher Mimik. Es kommt zum sogenannten
(Respiration)                               »Maskengesicht«. Von Gesprächspartnern
Auch die Atmung, maßgeblich unterstützt     wird das Fehlen der unterschiedlichen Ge-
vom großen Atemmuskel, dem Zwerchfell,      sichtsausdrücke missgedeutet als Fehlen
wird durch Hirnnerven gesteuert. Beim       innerer Beteiligung des Betroffenen am
Sprechen ist die Anforderung besonders      Gespräch oder als »Gefühlsarmut«. Dies ist
groß, da die Ausatemluft in ausreichender   nicht der Fall; die an Parkinson Erkrank-
Länge bereitgestellt und mit den Sprech-    ten können ihren Gefühlen nur über die
phrasen koordiniert werden muss.            Mimik keinen Ausdruck verleihen.

Nach einer Hirnschädigung kann es be-       Auch wenn Menschen mit einer Dysar‑
sonders beim Sprechen zu Störungen der      throphonie nicht nach Worten suchen
Atmung kommen. Die Betroffenen haben        müssen oder Schwierigkeiten haben, ei‑
nicht mehr ausreichend Luft zum Spre-       nen Satz zu bilden wie bei der Aphasie,
chen und müssen häufiger Sprechpausen       sind sie doch in ihrer alltäglichen Kom-
einlegen, um neu einzuatmen. Es ent-        munikation eingeschränkt. Ihre veränderte
steht bei einigen Personen mit Dysarthro-   Sprechweise fällt in ihrer Umgebung auf;
phonie eine sogenannte Schnappatmung;       häufig werden sie dadurch von ihren Mit-
manchmal wird sogar die Einatmung           menschen als »behindert«, »betrunken«
zum Sprechen genutzt (inspiratorisches      oder als »Ausländer« stigmatisiert. Die
Sprechen). Wird die Luft beim Sprechen      Kommunikation verläuft mühevoll und
nicht gleichmäßig, sondern unkontrolliert   angestrengt, da Personen mit Dysarthro‑
abgegeben, entsteht ein abgehacktes         phonie häufig nicht verstanden werden.
oder ruckartiges Sprechen.                  Bei sehr schweren Störungen des Spre-

                                                                                         23
chens muss auf alternative Mitteilungswe‑    einen Schlaganfall oder eine Schädel-
     ge ausgewichen werden. Dazu zählen           Hirn-Verletzung, kann man von einer Bes‑
     zum Beispiel Aufschreiben, elektronische     serung oder sogar Wiedeherstellung der
     Schreib- und Sprechhilfen oder Kommu-        Sprechfunktionen ausgehen.
     nikationstafeln.
                                                  Bei einer zugrunde liegenden Erkrankung
     Die meisten der aufgeführten Ursachen        mit fortschreitendem (progressivem) Ab‑
     für eine Dysarthrophonie sind dieselben      sterben von Hirnzellen muss eher mit ei‑
     wie für eine Aphasie (siehe S. 15, Ursa‑     ner Verschlechterung des Sprechens ge‑
     chen einer Aphasie). Eine Ausnahme bil‑      rechnet werden. Trotzdem sind auch bei
     det hier der weitaus größere Anteil der      diesen Arten von Dysarthrophonie be‑
     fortschreitenden neurologischen Erkran‑      gleitende thera­peutische Maßnahmen
     kungen, bei denen häufig Sprech- und         (z. B. Logo­pädie, Physiotherapie) sinnvoll,
     auch Schluckstörungen auftreten. Der         um die verbliebenen Fähigkeiten so lange
     Verlauf einer Dysarthrophonie ist grund‑     wie möglich zu erhalten, oder um recht-
     sätzlich abhängig von der Art der verur-     zeitig zusätzliche Mittel der Kommunika­
     sachenden Erkrankung. Handelt es sich        tion einzuüben.
     um ein einmaliges Krankheitsereignis wie

     Ursachen einer Dysarthrophonie

       Ursachen einer Dysarthrophonie:

          Schädel-Hirn-Verletzungen, infolge-		      Erkrankungen des Kleinhirns
          dessen Prellungen, Blutansamm‑             - Friedreich’sche Ataxie
          lungen, Ödeme oder Minderdurch‑            - Zerebelläre Ataxien
          blutung von Hirnstrukturen                 Entzündliche Erkrankungen des
          Schlaganfälle/Hirngefäßerkrankungen        Gehirns
          Gefäßverschlüsse/Gefäßblutungen            - Enzephalitis
          Fortschreitende neurologische              - Meningitis
          Erkrankungen                               Muskelerkrankungen
          - Multiple Sklerose (MS)                   (z. B. Myasthenia gravis)
          - Morbus Parkinson                         Nach Sauerstoffmangel des Gehirns
          - Morbus Wilson                            bei Herzstillstand
          - Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)         (z. B. nach Wiederbelebung)
          - Chorea Huntington

24
Kommunikationsstrategien bei Dysarthrophonie für
Betroffene und Angehörige

 Was Sie als Betroffener beachten können:

   Sehen Sie Ihre veränderte Sprechweise als Folge Ihrer Erkrankung; Ihr Sprechen
   ist nichts, wofür Sie sich schämen müssten. Versuchen Sie, die Kommunika-
   tionssituationen Ihren Fähigkeiten entsprechend zu steuern. Bedenken Sie, dass
   nicht jeder Gesprächspartner Ihre Situation kennt bzw. sie versteht.

   Lärm abstellen!
   Versuchen Sie, bei einer hohen Geräuschkulisse nicht lauter zu sprechen, um
   den Lärm zu übertönen. Wenn möglich, stellen Sie den Lärm ab oder entfernen
   Sie sich von der Lärmquelle. Setzen Sie notfalls alternative Kommunikations‑
   strategien wie Gestik / Zeigen oder Schreiben ein.

   Kontakt herstellen!
   Halten Sie in Gesprächen immer Blickkontakt zu Ihrem Gesprächspartner, damit
   Missverständnisse schneller auffallen. Erreichen Sie die Aufmerksamkeit eines
   Gesprächspartners durch Nennen seines Namens oder durch kurzes Berühren.

   Themenwechsel ankündigen!
   Kündigen Sie durch ein Schlüsselwort an (z. B. „Besuch“, „Arzttermin“), über
   welches Thema Sie mit Ihrem Gesprächspartner sprechen möchten. Benutzen
   Sie diese Schlüsselwörter vor allem, wenn Sie das Thema wechseln, damit Ihr
   Gesprächspartner Ihnen inhaltlich folgen kann.

   Körperhaltung!
   Achten Sie beim Sprechen auf eine optimale Körperhaltung. Versuchen Sie,
   möglichst aufgerichtet zu sitzen oder zu stehen.

   Zeit lassen!
   Lassen Sie sich Zeit beim Sprechen. Machen Sie genügend Pausen, um Luft
   zu holen. Wenn Sie zu viel Speichel im Mund empfinden, schlucken Sie
   häufiger bewusst den Speichel hinunter. Wenn Ihre Stimme belegt klingt und
   Sie Schleim im Hals spüren, husten Sie einmal kräftig, schlucken Sie bewusst
   Ihren Speichel und sprechen Sie dann weiter.

                                                                                    25
Was Sie als Angehöriger beachten können:

       Sprechen ist ein hochkomplizierter und komplexer Vorgang. Bedenken Sie,
       dass das Sprechen bei dem Betroffenen nicht mehr mühelos und automatisch
       abläuft, sondern ungleich mehr Anstrengung, Konzentration und bewusste
       Kontrolle erfordert, als bei einem gesunden Sprecher!

       Zeit!
       Versuchen Sie, eine ruhige und entspannte Atmosphäre herzustellen. Falls Sie
       den Betroffenen nicht verstehen, fragen Sie gezielt nach bzw. wiederholen Sie
       das, was Sie glauben verstanden zu haben, damit der Betroffene entlastet wird.

      Nicht unter Druck setzen!
      Ständiges Wiederholenmüssen ermüdet den Betroffenen. Es kann manchmal
      vorkommen, dass Sie nicht verstehen können, was Ihnen Ihr Gesprächspartner
      mitteilen will. Bitten Sie ihn, ein Stichwort aufzuschreiben oder versuchen Sie
      es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.

      Inhalt vor Form!
      Durch permanentes Korrigieren erreichen Sie nur, dass Ihr Gesprächspartner
      entmutigt wird. Wichtiger als die Sprachform ist der Sprachinhalt. Beziehen
      Sie auch andere „Kanäle“ wie Gestik, Gesichtsausdruck, Gefühle, Situation und
      Stimmklang mit ein, um herauszubekommen, was der Betroffene Ihnen
      mitteilen will.

       Akzeptanz!
       Versuchen Sie, das jetzige Sprechen des Betroffenen zu akzeptieren und
       vergleichen Sie nicht mit dem früheren Sprechvermögen. Dass der Betroffene
       jetzt undeutlich spricht, hat nichts mit Willensanstrengung zu tun, sondern ist
       Folge seiner Erkrankung.

       Mit einbeziehen!
       Schließen Sie den Betroffenen nicht aus der Kommunikation aus, sondern
       versuchen Sie, ihn in Gespräche mit einzubeziehen. Reden Sie möglichst nicht
       für ihn oder über seinen Kopf hinweg, weil es bequemer ist. Helfen Sie ihm,
       seine Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu bewahren.

26
3   Dysphagie

    Was bedeutet Dysphagie?                     Aufgrund von Sensibilitätsstörungen im
                                                Mund- und Rachenraum bis hin zum
    Die Dysphagie ist eine erworbene Schluck-   Kehlkopf oder zur Speiseröhre werden
    störung, die durch Hirnverletzung oder      Berührungsreize nicht gespürt, sodass
    -erkrankung sowie durch Muskelerkran-       wichtige Reflexe (Schluckreflex, Würgre-
    kungen zustande kommt. Der gesamte          flex) ausfallen oder Schutzfunktionen wie
    Schluckvorgang von der Nahrungsaufnah-      Räuspern und Husten fehlen. Dadurch
    me über das Kauen bis hin zum Schlu-        gelangen feste oder flüssige Speisen in
    cken kann dabei mehr oder weniger stark     die Luftröhre bzw. in die Atemwege. Im
    beeinträchtigt sein. Sogar das Schlucken    schlimmsten Fall führt dies zu erhöhter
    des eigenen Speichels kann schwierig        Körpertemperatur oder zu einer Lungen-
    sein.                                       entzündung.

                                                                                            27
Dysphagien treten häufig zusammen mit      einander abgestimmtes Zusammenspiel
     akuten Schlaganfällen, aber auch bei an-   von zahlreichen Muskeln, Hirnnerven
     deren Erkrankungen des zentralen Ner-      sowie Knochen- und Knorpelstrukturen.
     vensystems auf und haben im Rahmen         Der gesamte Schluckakt wird in fünf
     der Therapie absolute Priorität. Eine      einzelne Phasen unterteilt.
     schwere Dysphagie ist eine lebensbe-
     drohliche Erkrankung, deshalb werden       Die erste Phase (präorale Phase) findet
     die Betroffenen anfangs häufig über eine   noch vor der eigentlichen Nahrungsauf-
     Nasen- oder Magensonde ernährt.            nahme statt, denn auch das Sehen der
                                                Speisen, das Ansammeln von Speichel
     Der normale Schluckvorgang                 und das Einstellen auf die Nahrungsauf-
                                                nahme gehören bereits zum Schluckvor-
     Schlucken ist für gesunde Menschen ein     gang dazu.
     selbstverständlicher, automatisch ablau-
     fender Vorgang, über den man nicht         In der zweiten Phase (orale Vorberei-
     weiter nachdenkt. Tatsächlich ist das      tungsphase) ist die Speise im Mund
     Schlucken ein hochkomplexes, fein auf-     angekommen und wird durch Kauen,
                                                Zermalmen und Einspeicheln für den
                                                Transport in die Speiseröhre vorbereitet.

                                                In der dritten Phase (orale Transport-
                                                phase) wird der Speisebrei auf der
                                                Zunge gesammelt und nach hinten in
                                                Richtung Rachen transportiert. Bis zu
                                                diesem Zeitpunkt kann der Ablauf noch
                                                willentlich beeinflusst werden; berührt
                                                der Speisebrei jedoch die Gaumenbö-
                                                gen, wird der Schluckreflex ausgelöst und
                                                der Schluckvorgang läuft automatisch in
                                                Bruchteilen von Sekunden ab.

                                                In der vierten Phase (pharyngeale
                                                Phase) wird die Nahrung auf der Zunge
                                                in den Rachen befördert. Der hintere,
                                                weiche Teil des Gaumens, das Gaumen-
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vom Mundrachenraum abzuschließen.
So kann die Speise nicht in die Nase
gelangen, sondern gleitet in Richtung
Speiseröhre ab.

Zum Schutz der unteren Atemwege vor
Fremdkörpern wird der Kehlkopf und
somit die darunter liegende Luftröhre
verschlossen: Der sogenannte Kehlde-
ckel kippt über den Kehlkopfeingang, die
beiden Taschenfaltenmuskeln und die
beiden Stimmlippen verschließen den
Kehlkopf. Dann wird ein ringförmiger
Muskel oberhalb des Speiseröhrenein-       »Meldung« an das Gehirn, wird der
ganges aufgezogen und die Nahrung          Schluckreflex nicht ausgelöst. Entweder
kann hineingelangen.                       kann das Hinunterschlucken der Nah-
                                           rung gar nicht eingeleitet werden, oder
Durch eine wellenförmige Bewegung          die Nahrung rutscht unbemerkt in die
der Speiseröhre wird die Speise in der     nicht geschützten Atemwege – sie wird
fünften Phase (ösophageale Phase) in       aspiriert. Auch Schutzfunktionen wie
den Magen transportiert.                   Husten oder Würgen, die bei gesunden
                                           Menschen sofort einsetzen, wenn sie
Der gestörte Schluckvorgang                sich verschluckt haben, können bei Per-
                                           sonen mit Dysphagie gestört sein oder
Durch einen Schlaganfall oder eine an-     ausfallen. Gleich einer hochsensiblen
dere Hirnschädigung kann der kompli-       Maschine genügt ein defektes »Zahnräd-
zierte Schluckvorgang gestört sein. Wenn   chen«, um den Gesamtablauf aus dem
zum Beispiel aufgrund von Lähmungen        Gleichgewicht zu bringen. Eine Dyspha-
die Speise nicht mehr ausreichend          gie führt nicht nur zu einer immensen
zerkleinert werden oder von der Zunge      psychischen Belastung für den Betrof-
nach hinten transportiert werden kann,     fenen, sondern kann in ihrer extremen
kommt es zu Beeinträchtigungen der         Auswirkung lebensbedrohlich sein.
ersten und zweiten Schluckphase. Wird
aufgrund von Sensibilitätsstörungen die    Daher ist es von großer Bedeutung, eine
Speise an den Gaumenbögen nicht ge-        Dysphagie so rechtzeitig wie möglich zu
spürt, gelangt also keine entsprechende    erkennen und zu behandeln.

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