Aphasie - Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen nach Schlaganfall schlaganfall-hilfe.de - Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
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Vorwort 3 Einleitung 4 1 Aphasie 5 Was bedeutet Aphasie? 5 Symptome und Typen von Aphasien 6 Aphasie bei Kindern und Jugendlichen 14 Sprachstörungen bei Demenz 15 Ursachen einer Aphasie 15 Kommunikationsstrategien bei Aphasie 19 2 Dysarthrophonie 21 Was bedeutet Dysarthrophonie? 21 Störungen (Symptome) bei Dysarthrophonie 21 Ursachen einer Dysarthrophonie 24 Kommunikationsstrategien bei Dysarthrophonie 25 3 Dysphagie 27 Was bedeutet Dysphagie? 27 Der normale Schluckvorgang 28 Der gestörte Schluckvorgang 29 Ursachen einer Dysphagie 31 Die Bedeutung einer Dysphagie für den Betroffenen 31 Essregeln bei Dysphagie 32 4 Logopädische Therapie 34 Angebot und Finanzierung 34 Therapieziele und -inhalte 35 Die Rolle der Angehörigen in der Therapie 38 Impressum 39 2
Vorwort Ein plötzlich auftretender Schlaganfall kann unsere Lebensträume und auch unsere ganz alltäglichen Tagesabläufe unvermittelt zunichte ma- chen. Alle Pläne und Perspektiven verändern sich schlagartig – nichts ist dann mehr, wie es vorher war. Der Schlaganfall ist eine der dramatischsten Erkrankungen in unserem Land. Ungefähr 60 Prozent der Betroffenen behalten bleibende Schäden. Neben Körperbehinderung als Folge einer Halbseitenlähmung kann es sich dabei auch um Sprach- und Sprechstörungen, um Schluckstörungen, aber auch um Wahrnehmungs-, Denk- und Orientierungsstörungen handeln. Diese Folgen eines Schlaganfalls verändern die Lebensqualität der Betroffenen und auch ih- rer Angehörigen in hohem Maß. Ein Gefühl der Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit entwickelt sich. Aber man sollte dies nicht einfach so hinnehmen, denn mit fachlicher Unterstützung, guter Aufklärung und Beratung sowie eigenem Willen lassen sich die genannten Einschrän- kungen entscheidend verbessern. Mit der vorliegenden Broschüre möchten wir über Sprach- und Sprechstörungen (Aphasie und Dysarthrophonie) sowie Dysphagie (Schluckstörungen) und deren Therapie aufklären. Denn Sprache und Sprechen sind die wichtigsten Bereiche menschlicher Kommunikation, Schlucken gehört zu den elementarsten Fähigkeiten eines Menschen – ein hochkomplexer Vorgang. Der Verlust dieser Fähigkeiten bedeutet einen immensen Einschnitt in das Leben eines Menschen und enorme Herausforderungen für ihn selbst und sein unmittelbares Umfeld. Bekannte und Freunde ziehen sich möglicherweise vom Betroffenen zurück, was seine Verunsicherung noch verstärkt. Ungeheuer wichtig sind daher das Verständnis und die Unterstützung des (Ehe-)Partners, der Freunde, Angehörigen und Bekannten. Sie müssen wissen, dass sie von nun an mehr Geduld und Zeit im Umgang mit dem Betroffenen investieren sollten und ihn nicht mit seinen Problemen allein lassen dürfen. Gerade im sensiblen Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation brauchen Schlag- anfall-Betroffene die Hilfe ihres Umfelds ganz besonders! Ich hoffe, dass diese Broschüre eine möglichst große Verbreitung findet und vielen Betrof‑ fenen und ihren Angehörigen hilft, besser mit den Folgen eines Schlaganfalls fertig zu werden. Ihre Liz Mohn Präsidentin der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe 3
Einleitung Jährlich erleiden fast 270 000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Jeder vierte bis fünfte Schlaganfall führt innerhalb eines Monats zum Tod, der überwiegende Teil der Schlaganfälle wird oft viele Jahre überlebt. Einen Schlaganfall zu überleben, bedeutet für die Betroffenen, aber auch für de- ren Angehörige und Freunde, mit weitreichenden Folgen leben zu müssen. Ein Schlaganfall verändert von einer Minute zur nächsten das gesamte Leben – nichts ist plötzlich mehr wie vorher. Menschen mit einer solchen erlittenen Hirnschädigung erleben einen beängstigenden Verlust eigener Fähigkeiten und Kompetenzen, sie verlieren dadurch an Autonomie, an Integrität und an Selbstbewusstsein. Der Verlust der Fähigkeit zu sprechen und zu schlucken bedeutet eine immense Umstellung für die Betroffenen und deren Umfeld. Anliegen dieses Ratgebers ist es, über Ursachen, Grundlagen und Zusam- menhänge bei Aphasie, Dysarthrophonie und Dysphagie zu informieren. Eine Krankheit und ihre Folgen besser zu verstehen, nimmt ein wenig von ihrer Bedrohlichkeit und hilft, im Alltag damit umzugehen. Unter dem Stichpunkt „Kommunikationsstrategien“ finden Betroffene und Angehörige Tipps, wie sie gemeinsam Gespräche leichter bewältigen können. Ebenso erfahren Sie, was Ziele und Inhalte einer logopädischen Therapie bei Aphasie, Dysarthrophonie und Dysphagie sein können. Der besseren Lesbarkeit halber sind in dieser Broschüre alle Personen- und Berufs- bezeichnungen wie »Betroffener«, »Angehöriger«, »Arzt« oder »Logopäde« in der männlichen Form verwendet worden. Natürlich ist hierbei immer auch die weibliche Form mit eingeschlossen. 4
1 Aphasie Was bedeutet Aphasie? die Gedanken zu vermitteln. An der Fleischtheke im Supermarkt kann man Aphasie ist eine erworbene Sprachstö- das Gewünschte nicht bestellen, weil rung, die nach einer Schädigung der einem das entsprechende Wort nicht sprachdominanten Hirnhälfte (bei den einfällt. Briefe und Zeitungen können meisten Menschen links) zustande plötzlich nicht mehr gelesen werden, kommt. Der Begriff stammt aus dem die geliebte Fernsehsendung oder die Griechischen und setzt sich aus »A« für Nachrichten werden zum Rätsel. »fehlend« und »phasis« für »Sprache« zu- Dies sind nur wenige Beispiele von all- sammen. Die wörtliche Übersetzung ist täglichen Einschränkungen und Hürden; jedoch irreführend: Aphasie bedeutet in für die Betroffenen und ihre Angehöri- der Regel keinen kompletten Sprachver- gen oder Bezugspersonen kommen die lust. Vielmehr kommt es zu mehr oder täglichen kommunikativen Probleme in weniger starken sprachlichen Ausfällen, ihrem vollen Ausmaß oft einer Katast- die sich sowohl beim Sprechen und rophe gleich. Ehefrauen erleben ihren Sprachverstehen als auch beim Lesen ehemals sprachlich kompetenten Part- und Schreiben zeigen können. Die Be- ner als hilflos, nach Worten suchend, troffenen sind dadurch in ihrer Kommu- Familienangehörige sehen ihre vormals nikationsfähigkeit eingeschränkt, jedoch im sozialen Mittelpunkt stehende Mutter sind das Denken und die Geisteskraft nun in einer isolierten Position. Väter ungestört. werden durch ihre Aphasie entschei- dungsunfähig, ehemaligen Freunden Eine Aphasie, egal wie schwer sie sein gehen die Gesprächsthemen aus und mag, hat für den Betroffenen und seine Berufstätige können ihre Fachkenntnisse Gesprächspartner immer immense Aus- nicht mehr sprachlich vermitteln. wirkungen auf die Kommunikation und somit auf das soziale Leben. Von der Aphasie ist also nicht nur der Erkrankte selbst betroffen, sondern auch In Gesprächen kommt es zu Missver- seine Familie bzw. sein kommunikati- ständnissen aufgrund von Sprachver- ves Umfeld. Gesprächspartner von apha- ständnisproblemen. Telefonieren ist sischen Personen fühlen sich hilflos und nicht mehr möglich, weil man den müssen vertraute Gesprächsgewohnhei- Gesprächspartner nicht sehen kann und ten verändern, um sich mit dem Be‑ die »Sprachreste« nicht ausreichen, um troffenen verständigen zu können. 5
und hektisch. Es werden häufig lange, verschachtelte Sätze mit Wiederholun- gen gesprochen. Passende Worte und Laute zu wählen ist oft erschwert. Bei der nicht-flüssigen Aphasie ist die Sprachpro- duktion deutlich verlangsamt und ange- strengt. Es werden kurze einfache Sätze Das Herausfinden von Strategien, die gesprochen und inhaltstragende Wörter in der Kommunikation weiterhelfen, aneinandergereiht. Wortfindungsstörun- ohne den Betroffenen zu bevormunden, gen führen oftmals zu langen Pausen. erfordert Zeit, Geduld und fachliche Die vier Standardsyndrome werden im Unterstützung. Folgenden erläutert: Symptome und Typen von Globale Aphasie Aphasien Menschen mit einer globalen Aphasie haben große Schwierigkeiten sowohl bei Bei aphasischen Patienten sind fast der Sprachproduktion als immer alle sprachlichen Leistungen, also auch beim Sprachverste- Sprechen, Sprachverstehen, Lesen und hen. Häufig können Schreiben betroffen. Bei Aphasien, die sie nicht mehr als eine Gefäßerkrankung oder eine klar einzelne Wörter umschriebene Hirnverletzung im Bereich sprechen; hinzu kommen des Sprachzentrums als Ursache haben, sogenannte Sprachauto- ergeben sich häufig typische »Fehlerbün- matismen und Perseverationen (siehe del«, die man Standardsyndrome nennt. Seite 9), die ihre Verständlichkeit sehr Hiernach lässt sich die Aphasie in vier einschränken. Standardsyndrome unterteilen, deren Symptome und Ausprägungen unter- Wernicke-Aphasie schiedlich sind. In der Akutphase können Menschen mit einer Wernicke-Aphasie die Symptome starke Schwankungen auf- sprechen flüssig, manchmal weisen und von der Konzentration und überschießend, und in dem Bewusstsein beeinflusst werden. längeren Sätzen; jedoch Daher wird auch zwischen flüssiger und machen sie nicht-flüssiger Aphasie unterschieden. Bei häufig der akuten, nicht flüssigen Aphasie ist die Fehler in der Sprachproduktion flüssig, überschießend Auswahl von 6
Wörtern oder Lauten. Ihr Sprachverständ- syndrome häufig als Diagnose, um einen nis ist sehr eingeschränkt. Hinweis darauf zu geben, um welche Form der Sprachstörung es sich handelt. Broca-Aphasie Allerdings unterscheiden sich Patienten Menschen mit einer Broca- auch innerhalb der Standardsyndrome Aphasie können nur kurze, voneinander, d. h. ein Patient mit einer einfache Sätze produzieren Broca-Aphasie kann ein ganz anderes Feh- oder reihen einzelne, lermuster aufweisen als ein zweiter Patient inhaltstragende Wörter mit Broca-Aphasie. Deshalb ist es wichtiger aneinander. Man be- zu beschreiben, welche Schwierigkeiten zeichnet diese Form ein von Aphasie Betroffener in den einzel- des Sprechens auch nen sprachlichen Leistungen aufweist. als »Telegrammstil«. Sie haben Mühe, die passenden Wörter zu finden und Schwierigkeiten beim Sprechen und sprechen mit großer Anstrengung. Das in der freien Rede Verstehen von Sprache ist aber relativ gut Schwierigkeiten beim Sprechen fallen erhalten. in der Regel schneller auf als Probleme beim Sprachverstehen. Wichtig ist zu Amnestische Aphasie verstehen, dass aphasische Personen Menschen mit einer nicht ihr Wissen über die Dinge verloren amnestischen Apha- haben oder keine klaren Gedanken mehr sie finden nur schwer fassen können. die richtigen Wörter. Deshalb kommt es Was zum Beispiel eine »Straßenbahn« häufig zu Umschrei- ist und wozu sie dient, ist ihnen völlig bungen, Floskeln oder klar. Aphasische Personen können häufig Stellvertreterwörtern wie z. B. »Dingsda«. nicht das passende Wort finden, die Gelegentlich benutzen sie Wörter, die richtigen Laute verwenden oder ihre nicht genau passen, aber eine ähnliche Gedanken in vollständigen Sätzen formu- Bedeutung wie das gesuchte Wort haben. lieren. Fehler beim Sprechen oder in der Ihr Sprachverständnis ist fast ungestört. freien Rede können ganz unterschiedli- cher Natur sein. Man kann Fehler danach Die globale Aphasie ist die schwerste einordnen, ob sie die Lautstruktur von Form der Aphasie, die amnestische Wörtern betreffen, den Wortschatz und Aphasie die leichteste. Mediziner und die Wortbedeutungen oder den Satzbau Therapeuten verwenden die Standard- und die Grammatik. 7
Die häufigsten Fehlertypen sind: Lautstruktur (Phonologie) Fehler (Symptom): Beispiel: Lautfehler (phonologische Paraphasie): Der Betroffene verändert ein Wort „Spille“ statt „Spinne“ lautlich, indem er Laute verwechselt, „Tock“ statt „Stock“ ersetzt, hinzufügt oder auslässt. Wir „Urine“ statt „Ruine“ kennen solche Fehler als „Versprecher“, „Bansane“ statt „Banane“ die wir in der Regel selbst bemerken. Wortneuschöpfung (phonologischer Neologismus): Der Betroffene verändert das Wort „Mönkebirse“ lautlich so, dass es in der deutschen „Steisel“ Sprache nicht vorkommt. Hier kann „kämmsichen“ man häufig nicht mehr nachvollziehen, was der Betroffene meint. Lautstruktur (Phonologie) Fehler (Symptom): Beispiel: Wortfindungsstörungen: Der Betroffene kann das gesuchte Wort „Letzte Woche bin ich doch bei nicht in seinem „Lexikon“ finden. Er dem... na... beim.... na, wie heißt es zeigt Suchverhalten oder bricht die denn jetzt.... also vorige Woche, da Kommunikation ab. Es entstehen Pau- war ich.... naja, bei dem Dingens, sen, er versucht, den gesuchten Begriff Herr Gott, sach doch mal!“ zu umschreiben, benutzt Floskeln oder Stellvertreterworte. Wortfindungsstörun- gen kennen auch Sprachgesunde. 8
Lautstruktur (Phonologie) Fehler (Symptom): Beispiel: Wortwahlfehler (semantische Paraphasie): Der Betroffene sagt statt des „Mutter“ statt „Tochter“ gesuchten Begriffes ein bedeutungs- „Tisch“ statt „Blume“ mäßig abweichendes Wort. Solche Wortverwechslungen passieren auch Sprachgesunden. Bei aphasischen Personen weichen die gesagten Wörter manchmal sehr von der ursprünglichen Bedeutung ab. Wortneuschöpfung (semantischer Neologismus): Der Betroffene benutzt ein Wort, „Haartelefon“ statt „Kamm“ das bedeutungsmäßig so in der „Landkartenball“ statt „Globus“ deutschen Sprache nicht vorkommt. „Trecker-Mann“ statt „Bauer“ Oft sind diese Wortneuschöpfungen recht originell. Floskeln und Stereotypien: Der Betroffene verwendet häufig „Ich sach mal...“ „Das is halt so.“ vorkommende Redewendungen, die „Da bin ich dann in die Klinik mehr oder weniger starr im Gespräch eingelaufen, wenn Sie so wollen, eingesetzt werden. Auch Sprachgesun- und der Arzt hat gesagt oder sich de benutzen Redefloskeln, nur nicht so ausgedrückt, wenn Sie so wollen....“ häufig wie aphasische Personen. 9
Satzbau und Grammatik (Syntax / Morphologie) Fehler (Symptom): Beispiel: Kurzer, unvollständiger Satzbau „Flugzeug... Sonne scheint und so... vier (Agrammatismus): Tage und zwei Tage... eh..... Der Betroffene spricht „telegramm- bewusstlos und umfallen.... und später stilartig“ in kurzen, vereinfachten eine Woche.... Hubschrauber... und Sätzen, die oft nur aus wenigen, an- Klinik“ einandergereihten Wörtern bestehen. Komplexer, fehlerhafter Satzbau „Ich glaube man sollte bei Null be‑ (Paragrammatismus): ginnen und nicht oben... es ist so: ge- Der Betroffene formuliert komplexe, genüber früher möchte ich erst einmal lange Sätze, die aber grammatika- sagen über den ganz großen Beginn lisch fehlerhaft sind. Oft werden erst mal ich ankam ist es natürlich ganz auch Sätze miteinander verschränkt, entschieden... eh... ein Unterschied... abgebrochen oder Satzteile werden heute besser als früher obwohl wir gar verdoppelt. nicht drüber debattieren müssen.“ Satzbau und Grammatik (Syntax / Morphologie) Fehler (Symptom): Beispiel: Automatisierte Sprache / Untersucher: „Wie hat das angefangen Sprachautomatismen: mit Ihrer Erkrankung?“ Patient: „Biwi- Der Betroffene produziert ge- wiwi....Wiwiwiwi...biwiwi“ Untersucher: gen seine Sprechabsicht nur „Hatten Sie einen Schlaganfall oder...?“ noch mehrfach wiederkehrende Patient: „Wiwiwiwiwiwiwi“ formstarre Äußerungen, die nicht in Weitere Beispiele für Automatismen: den sprachlichen Kontext passen. „Donnerwetter“, „Scheiße“, „der war allein“, „eine Hose“, „Nein“ 10
Satzbau und Grammatik (Syntax / Morphologie) Fehler (Symptom): Beispiel: Perseveration: Untersucher: „Was haben Sie alles ein- Der Betroffene bleibt an einem gekauft?“ Patient: „Schokolade... und...“ zuvor richtig geäußerten Wort oder Untersucher: „Und was noch?“ Patient: Wortteil „hängen“. „Schokolade... äh, nein, Schokol... äh.... Flokolade... Fleikalade““ Überschießender Redefluss: Der Betroffene erzählt, einmal zu reden aufgefordert, ohne Unterlass flüssig und aus- holend. Dabei lässt sich der Inhalt des Gesagten nicht immer ohne Weiteres erschlie- ßen oder auf den Punkt bringen. Gesprächsregeln werden nicht mehr eingehalten. Zum Beispiel werden Hörersignale wie „Luftholen und zum Sprechen ansetzen“ oder „den Blickkontakt abwenden“ nicht wahrgenommen. Oder der Betroffene unterbricht seinen Gesprächspartner. Schwierigkeiten beim Sprach- erhaltenes Situationsverständnis, d. h. er verstehen kann mithilfe von Weltwissen, nichtsprach- Schwierigkeiten beim Sprachverstehen lichen Informationen seines Gesprächs- fallen nicht so auf wie aphasische Fehler partners (Mimik, Gestik, Stimmklang und beim Sprechen. Deshalb werden die Sprechmelodie) und Wissen über Ge- Leistungen von aphasischen Personen sprächsregeln einen Sinnzusammenhang im Sprachverstehen häufig überschätzt, erschließen und angemessen reagieren. d. h. die Betroffenen verstehen Sprache oft schlechter als es den Anschein hat. Fallen all diese unterstützenden Aspekte Bei fast allen Aphasieformen ist das Ver- weg, ist das reine Wortverständnis von stehen von Sprache in unterschiedlichem Sprache wesentlich schlechter. Häufig Ausmaß betroffen. verfügen aphasische Personen nur noch über ein sogenanntes »Schlüsselwort- Der Betroffene hat häufig ein noch gut verständnis«. 11
Das bedeutet, dass nur noch einzelne, inhaltstragende Stichworte (»Tabletten«, »einnehmen«) verstanden werden und darüber versucht wird, den Sinn des Ge- sagten zu ermitteln. Weniger inhaltstra- gende Wörter (»heute«, »weniger«, »aus dieser« Packung) oder grammatikalische Zusammenhänge können jedoch nicht mehr entschlüsselt werden. aphasische Personen fast fehlerfrei laut Ein Betroffener: lesen, ohne den Sinn des Gelesenen zu verstehen. „Als ich aus dem Koma erwachte, be- merkte ich, dass ich meinen rechten Beim lauten Lesen können die Betroffe- Arm und mein rechtes Bein nicht nen ähnliche Fehler machen wie beim bewegen konnte. Ich wollte aufstehen, Sprechen. Es kann also auch hier zu aber es ging nicht. Mir wurde klar, Lautfehlern, Wortfehlern und Satzfehlern dass ich in einem Krankenhaus lag. kommen. Endlich kam die Visite und ich sagte dies dem Arzt und den Schwestern. Ich Als Sprachgesunder können Sie die wollte wissen, warum und was mit mir Schwierigkeiten nachvollziehen, wenn passiert sei. Aber man lachte nur und Sie sich vorstellen, dass Sie eine sprach für mich Worte, die ich nicht Fremdsprache lernen, aber noch nicht begreifen konnte. Ich habe mich noch vollständig beherrschen. Sie lesen einen nie so hilflos und verlassen gefühlt.“ Text in dieser Sprache laut vor, kennen und verstehen die Vokabeln, die darin Schwierigkeiten beim Lesen vorkommen, aber Sie sind in der Aus- Bei der Fähigkeit »Lesen« muss man sprache und in der Verwendung der unterscheiden zwischen lautem Lesen richtigen Laute noch nicht sicher. (»Vorlesen«) und dem Verstehen des Die Schwierigkeiten beim sinnentneh- Gelesenen. Beides ist unabhängig menden Lesen sind ähnlich wie die Pro- voneinander: Es gibt Betroffene, die zwar bleme beim Sprachverstehen. Manche nicht laut lesen können, weil sie die pas- Betroffene verstehen einzelne Wörter senden Wörter oder Laute nicht finden, nicht, andere können einem geschriebe- aber sehr wohl verstehen, was sie lesen. nen Text oder einigen Sätzen überhaupt Andersherum können manche keinen Sinn entnehmen. 12
Hier können Sie sich vorstellen, dass Sie zum Beispiel einen lateinischen Text fehlerfrei vorlesen können, aber ihn nicht verstehen – es sei denn, Sie haben das große Latinum. Oder Sie können ein bisschen Latein verstehen, aber nicht jedes Wort, sodass Sie sich anhand der »Schlüsselwörter« den Zusammenhang des Textes »zusammenreimen« müssen. Sind die Probleme beim Lesen im Ver‑ gleich zu den anderen sprachlichen Leistungen besonders groß, spricht man von »Alexie« oder »Dyslexie«. machen aphasische Personen ähnliche Ein Betroffener: Fehler wie beim Sprechen: Sie schreiben beispielsweise ein falsches Wort auf oder „Als ich vom Krankenhaus zurück die Buchstaben in Wörtern werden ver- nach Hause kam, konnte ich die tauscht, ausgelassen oder hinzugefügt. Fragen meiner Frau nicht beantworten. Es kann auch sein, dass der Betroffene Immer wieder schrieb sie mir auf ein Wort so schreibt wie man es spricht, einen Zettel Wörter – oder waren es ohne die Rechtschreibregeln (Orthografie- sogar ganze Sätze – auf. Wie sollte ich regeln) zu beachten, z. B. »Schtraße« statt ihr denn nur klarmachen, dass ich »Straße« oder »Sane« statt »Sahne«. Bei auch nicht mehr lesen konnte. Beide sehr schweren Störungen des Schreibens waren wir entsetzt, als ich schreiben ist es den Betroffenen oftmals nicht mehr wollte und nur ein unleserliches möglich, Wörter oder Buchstaben auch Gekritzel zu Papier brachte.“ nur abzuschreiben (zu kopieren), ge- schweige denn, selbstständig Buchstaben Schwierigkeiten beim Schreiben zu einem Wort zu verbinden. Auch hier muss zwischen zwei Fähigkei- ten unterschieden werden: Das eine ist Sind die Probleme beim Schreiben im die Fähigkeit, Gedanken in geschriebene Vergleich zu den anderen sprachlichen Sprache umzusetzen, also die passenden Leistungen besonders groß, spricht man Wörter und Buchstaben zu finden und von einer »Agraphie« oder »Dysgra- Rechtschreibregeln anzuwenden. Dabei phie«. Die andere Fähigkeit ist der 13
motorische Schreibvorgang, der be- Es kann aber sein, dass einfache Rechen- troffen sein kann. Viele von Schlaganfall aufgaben wie beispielsweise Addieren betroffene Menschen haben eine Läh- oder Subtrahieren aufgrund der Unsicher mung der rechten Hand und/oder des heiten im Umgang mit Zahlwörtern feh- rechten Armes. Da die meisten Men- lerhaft oder gar nicht mehr durchgeführt schen Rechtshänder sind, müssen viele werden können. Man spricht in diesem aphasische Personen beim Schreiben Zusammenhang von »Akalkulie« oder »auf links umschulen«, was anfangs eine »Dyskalkulie«. große motorische Umstellung darstellt. Eine Betroffene: Bei den Betroffenen, die noch mit der (aus: I. Tropp-Erblad: »Katze fängt gewohnten, aber gelähmten Hand, also mit S an.«) meistens mit rechts, schreiben können, „Eine Patientin fragte mich, wie alt ich sieht die Schrift häufig ungelenk oder sei. ‚Vierundsiebzig‘ antwortete ich. unleserlicher aus. Schwierigkeiten beim Sie wollte es mir nicht glauben, aber Schreiben, die aufgrund mangelnder Fein- ich sagte, doch, es stimme. Sie wieder- motorik oder Kraft der Hand entstehen, holte, was ich gesagt hatte. Da hörte müssen vom Physio oder Ergotherapeu- ich, dass es falsch war und berichtigte ten behandelt werden. mich. Anfangs war es mir unmöglich zu sagen, wie spät es war. Es wurde Schwierigkeiten mit Zahlen und immer falsch. Wenn ich ‚halb eins‘ Daten sagen wollte, sagte ich z. B. ‚neun‘. Es Viele Betroffene haben neben den sprach- kamen Zahlen. Aber ich hörte selbst, lichen Schwierigkeiten auch Probleme dass sie nicht richtig waren.“ im Umgang mit Zahlen und Daten. Sie können z. B. Zahlensymbole nicht mehr lesen oder verwechseln Zahlenwörter. Es gelingt ihnen nicht mehr, Tagesdatum Aphasie bei Kindern und oder Geburtsdatum korrekt anzugeben Jugendlichen oder aufzuschreiben. Der Begriff »kindliche Aphasie« ist nicht Häufig handelt es sich hierbei um Abruf- ganz unumstritten, da die Diagnose einer und/oder Verstehensprobleme bei Zahl- Aphasie einen vollendeten Spracherwerb enwörtern. Der Wert einer Zahl oder ei- voraussetzt. Zu welchem Zeitpunkt der nes Betrages ist den Betroffenen jedoch Spracherwerb vollständig abgeschlossen nach wie vor klar. ist, darüber sind sich die Forscher nicht 12 14
einig: Manche setzen ihn mit dem Schu- leintrittsalter an, manche erst mit Beginn der Pubertät. Auf jeden Fall ist auch eine kindliche Aphasie immer als erworbene Sprach- störung zu verstehen, d. h. dass sich bis zum Zeitpunkt der Erkrankung die Sprache normal entwickelt hat.. Meist werden Aphasien im Kindes- und Jugendalter durch Schädel-Hirn-Traumen verursacht, aber auch durch Schlaganfäl- le, Hirntumore oder Hirnentzündungen. einheitlich als »Bild« oder Syndrom zu Eine besondere Form der kindlichen beschrieben wie Aphasien nach Schlag- Aphasie geht mit dem Landau-Kleff- anfall. Häufig können Wortfindungsstö- ner-Syndrom einher, das durch Kramp- rungen eine Demenz ankündigen. fanfälle und Sprachstörungen gekenn- Im weiteren Verlauf kommt es bei den zeichnet ist. Jungen sind davon doppelt Betroffenen neben den Gedächtnisstö- so häufig betroffen wie Mädchen. rungen und Wortfindungsstörungen Insgesamt haben Aphasien bei Kindern auch zu Wortwahlfehlern und zuneh- und Jugendlichen aufgrund der noch menden Schwierigkeiten, die Bedeutung nicht vollendeten Hirnreifung eine höhe- von Sprache zu erfassen. Personen mit re Chance auf Heilung als bei Erwachse- Demenz fallen in der Kommunikation nen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch auf, dass sie häufig Floskeln sich Nervenzellen neu vernetzen und verwenden, vom Thema abdriften, Äu- gesunde Hirngebiete Sprachfunktionen ßerungen wiederholen und ihre sprachli- übernehmen, ist in einem jüngeren chen Fehler nicht mehr bemerken. Lebensalter größer als in einem fortge- schrittenen Lebensalter. Ursachen einer Aphasie Sprachstörungen bei Demenz Schlaganfälle/Hirngefäßerkran- kungen Sprachstörungen können auch im Unter dem Sammelbegriff Schlaganfall Rahmen demenzieller Erkrankungen oder Hirngefäßerkrankungen werden auftreten, sind jedoch häufig nicht so einerseits Durchblutungsstörungen 15
(Ischämie) des Gehirngewebes, ande- minderung der Hirndurchblutung über ei‑ rerseits eine Hirnblutung (Hämatom, nen längeren Zeitraum an, kommt es Hämorrhagie) verstanden. Der Schlagan- zum irreversiblen Zelltod. Es entsteht ein fall (Apoplex, Insult, Infarkt) ist die häu‑ Gewebsdefekt (Hirninfarkt), der nicht figste Ursache für eine Aphasie, wenn er mehr regenerierbar ist. Man unterscheidet die sprachdominante Hirnhälfte (bei den weiter zwischen einem Verschluss eines meisten Menschen links) betrifft. Beide Blutgefäßes im Gehirn und einer Blutung. Hirnhälften werden durch verschiedene Zu einem Verschluss eines Blutgefäßes Arterien mit Blut versorgt; im Bereich des kommt es, wenn sich durch Kalkablage- Sprachzentrums ist es die (meist) linke rungen das Gefäß so weit verengt, dass mittlere Hirnarterie. Ist diese hauptversor‑ kein Blut mehr hindurchgelangen kann gende Arterie oder eine ihrer vielen Ver‑ oder wenn im Bereich über der Kalkab- zweigungen betroffen, können die Zellen lagerung das Gefäß plötzlich durch einen des Sprachzentrums nicht länger mit Sau- Blutpfropf verstopft wird (Thrombose). erstoff und Blutzucker versorgt werden. Entsteht aufgrund einer Herzerkrankung Eine Durchblutungsstörung mit nur ein solches Blutgerinnsel im Herzen vorübergehenden Beschwerden wird oder in einem anderen großen Blutgefäß bei einer Dauer bis zu 24 Stunden als (z. B. in der Halsschlagader), löst sich transitorische ischämische Attacke (TIA) dann das Gerinnsel und verschließt ein bezeichnet. Bei einer längeren Dauer Hirngefäß, spricht man von einer Embolie. spricht man von einem prolongierten oder partiell reversiblen ischämischen Bei einer Hirnblutung zerreißt ein neurologischen Defizit (PRIND). poröses Blutgefäß im Hirn, sodass Hält eine Unterbrechung oder starke Ver‑ das Blut in das umliegende, gesunde Ursachen einer Aphasie: Schlaganfälle / Hirngefäßerkrankungen 80 Prozent (Gefäßverschlüsse / Gefäßblutungen) Schädel-Hirnverletzungen 10 Prozent Hirntumoren 7 Prozent Alterungs- und Abbauprozesse des Gehirns 1 Prozent Hirnentzündungen 1 Prozent Sauerstoffmangel 1 Prozent 16
Hirngewebe fließt und dort Hirnzellen del-Hirn-Trauma) kommt es im Rahmen zerstört. Begünstigt werden solche Hirn- von Gewalteinwirkungen oder Unfäl- gefäßerkrankungen durch sogenannte len, die vor allem den Kopf betreffen. Risikofaktoren. Dazu zählen Bluthoch- Eine Aphasie entsteht dann, wenn die druck, Herzerkrankungen, schon einmal Verletzung eine Gefäßblutung oder eine aufgetretene Durchblutungsstörungen Schwellung des Gehirns, vornehm- des Gehirns, Zuckerkrankheit, Fettstoff- lich im Bereich des Sprachzentrums wechselstörungen, Übergewicht, starkes auslöst. Besonders junge Erwachsene Rauchen, Bewegungsmangel sowie die oder Jugendliche werden aufgrund von Einnahme der Antibabypille. Verkehrsunfällen zu Opfern von Schä- del-Hirn-Verletzungen. Häufig kommen bei einem Schlaganfall mehrere Risikofaktoren zusammen. Die Hirntumore Annahme, dass ein Schlaganfall nur Weniger häufig können Hirntumore zu alte Menschen treffen kann, ist falsch. einer Aphasie führen, wenn sie den Zunehmend jüngere Personen leiden an sprachdominanten Hirnbereich betreffen. Gefäßerkrankungen und müssen mit den Je nach Sitz und Größe des Tumors, und Folgen kämpfen. je nachdem, ob er gutartig oder bösartig ist, wird über eine Operation, Chemo- Natürlich ist das Wissen um die Risikofak- therapie oder Bestrahlung des Tumors toren bzw. um das ganz persönliche entschieden. Sowohl durch den Tumor Schlaganfall-Risiko lohnenswert, um als auch durch eine operative Entfernung überhaupt das Auftreten einer Hirngefä‑ kann gesundes Zellgewebe zerstört oder ßerkrankung zu vermeiden. Aber auch verdrängt werden. Hierdurch kann es zu nach einem erlittenen Schlaganfall lohnt Störungen der entsprechenden Funk es sich, die individuellen, kritischen Le‑ tionen (z. B. Sprache) kommen. bensgewohnheiten oder begünstigende Faktoren zu kennen und zu kontrollie- Alterungs- und Abbauprozesse ren, um einem weiteren Schlaganfall des Gehirns vorzubeugen!* Bei alters- oder krankheitsbedingten Abbauprozessen des Gehirns (z. B. Schädel-Hirn-Verletzungen Demenz) kann es dazu kommen, dass Zu einer Schädel-Hirn-Verletzung (Schä- auch Sprachfunktionen beeinträchtigt * Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe hat ihren Online-Risikotest überarbeitet. Jederzeit und kostenlos können Sie Ihr persönliches Risikoprofil ermitteln. Nehmen Sie sich dafür 10 bis 15 Minuten Zeit. Jetzt testen unter schlaganfall-test.de 17
es zu aphasischen Störungen kommen. Auch nach einem Sauerstoffmangel des Gehirns z. B. bei einem Herzstillstand kann es zu sprachlichen Ausfällen kom- men. Hat das Gehirn eines Menschen einen längeren Sauerstoffmangel erlitten (z. B. nach einer Wiederbelebung) oder liegt eine Person längere Zeit im Koma, ist davon auszugehen, dass nicht nur werden. In ihrer Auswirkung sehen diese sprachliche Leistungen in Mitleidenschaft Sprachstörungen häufig wie typische gezogen sind, sondern häufig ganz grund- aphasische Symptome aus. legende Funktionen wie Aufmerksamkeit, Wachheit oder Schlucken wiedererlernt Streng genommen spricht man von ei‑ werden müssen. ner Aphasie aber nur, wenn eine um- schriebene Hirnverletzung vorliegt und Aufgrund der schwerwiegenden Folgen wenn das verletzende Ereignis zeitlich von Sauerstoffmangel für das Gehirn begrenzt ist – so zum Beispiel wie bei zählt bei einem Herzinfarkt oder Schlag einem Schlaganfall, der einmalig auftritt anfall jede Minute; eine schnelle und und eine bestimmte Hirnarterie betrifft. fachkompetente Akutversorgung ist Ein Hirnabbauprozess ist dagegen in der (über)lebenswichtig. Regel fortschreitend und dehnt sich auf mehrere Hirnregionen aus, sodass man Kommunikationsstrategien bei Apha- von einer kontinuierlichen Verschlech- sie für Betroffene und Angehörige terung der Leistungen ausgehen muss Wie verhalte ich mich als Gesprächspart- (siehe S. 15, Sprachstörungen bei ner einer aphasischen Person? Wie kann Demenz). ich dem Betroffenen am besten helfen, sich mitzuteilen? Wie kann ich mit mei- Hirnentzündungen und ner eigenen Hilflosigkeit umgehen? Sauerstoffmangel Eine der selteneren Ursachen von Apha- Dies sind typische Fragen, die sich sien ist die Hirnentzündung (z. B. Gehirn‑ Angehörige und Freunde aphasischer hautentzündung), die u. a. im Rahmen Personen stellen, wenn sie immer wie- einer anderen Erkrankung auftreten kann. der erleben, wie schwierig Gespräche Wird durch die Hirnentzündung Gewebe geworden sind. Mit den folgenden Tipps betroffen, das Sprachfunktionen trägt, kann möchten wir Ihnen Mut machen, die 18
Kommunikation zum Betroffenen auf- Ebenfalls können die von Aphasie Be rechtzuerhalten und nicht aufzugeben. troffenen durch das Beachten einiger Verhaltensweisen dazu beitragen, dass Die Aphasie betrifft immer beide Ge- die Kommunikation erfolgreicher ver- sprächspartner, den Betroffenen, aber läuft. Auch wenn sie durch die sprachli- auch den Sprachgesunden. Deshalb chen Defizite eingeschränkt sind, ist es können für die Kommunikationspartner wichtig, dass sie die Verantwortung für von aphasischen Personen Hinweise zur das Gelingen eines Gespräches nicht Gesprächsführung nützlich sein, um die abgeben, sondern versuchen, sich auf Schwierigkeiten in der Kommunikation die veränderte Situation einzustellen. besser zu bewältigen. Kommunikationsstrategien bei Aphasie Was Sie als Betroffener beachten können: Nichtverstehen signalisieren! Geben Sie Ihrem Gesprächspartner durch ein Wort oder ein nichtsprachliches Zeichen Bescheid, wenn Sie ihn nicht verstanden haben, so können Missverständnisse vermieden werden. Halten Sie Blickkontakt zu Ihrem Gesprächspartner, damit Sie zusätzlich gesti- sche oder mimische Informationen aufnehmen können. Haben Sie Geduld mit sich selbst und mit Ihren Gesprächspartnern. Nicht aufge- ben! Wenn Sie etwas nicht vermitteln können, versuchen Sie es später noch einmal. Informieren Sie fremde Gesprächspartner ggf. kurz über Ihre Sprachschwierig- keiten oder halten Sie eine Karte bereit, auf der alle notwendigen Informationen ablesbar sind. Inhalt vor Form! Versteifen Sie sich nicht zu sehr auf sprachliche „Formfehler“, die Ihnen unterlaufen. Wichtig ist, dass Sie vermitteln können (z. B. auch auf nicht- sprachlichem Wege), was Sie wollen! Setzen Sie alles an Kommunikationsmitteln ein, was Ihnen zur Verfügung steht (Gesten, Mimik, auf etwas deuten, Lautmalerei, Aufzeichnen oder Aufschreiben). Haben Sie Mut sich mitzuteilen, ergreifen Sie Initiative! Ein Gespräch besteht im‑ mer aus zwei Personen, Ihr Gesprächspartner wird versuchen, Ihnen weiterzuhelfen! 19
Die folgenden Hinweise und Strategien und zwischenmenschlichen Vorausset sind nicht als „Patentrezept“ für die zungen entsprechend, individuell zwi‑ Kommunikation zu verstehen. Sie soll- schen zwei Gesprächspartnern ange ten je nach Schweregrad und Form der wendet. werden. Aphasie, aber auch den persönlichen Was Sie als Angehöriger beachten können: Die eigene Sprache auf die Verständnisschwierigkeiten einstellen (z. B. einfachen Satzbau verwenden, Ja/Nein-Fragen stellen usw.) Verständnis sichern („Hast du das gemeint?“) ggf. auch durch kurzes Berühren Aufmerksamkeit gewinnen Nichtsprachliche Kommunikation einsetzen (Gestik, Mimik, Lautmalerei, Benutzung von Hilfsgegenständen, Aufzeichnen oder Aufschreiben) Was der Betroffene nicht verstanden hat, wiederholen oder anders ausdrücken, Geduld haben, Pausen aushalten, dem Betroffenen Zeit geben, selbst auf das Gesuchte zu kommen. Auf Hilfesignale achten (z. B. Aufnahme des Blickkontaktes) und erst dann sprachliche Unterstützung anbieten („Soll ich dir weiterhelfen?“) Das Thema des Gesprächs durch ein prägnantes Schlüsselwort ankündigen („Ich möchte mit dir über den Arzt sprechen.“) Sprechen Sie auch im Beisein von mehreren Personen möglichst mit dem Betroffenen, nicht über ihn! Versuchen Sie ihn, wo es möglich erscheint, in das Gespräch mit einzubeziehen. Fassen Sie längere Gesprächsabschnitte für den Betroffenen zusammen. („Wir sprechen gerade über den nächsten Kegelabend. Kannst du dir vorstellen, mitzukommen?“) Vermeiden Sie „Babysprache“! Behandeln Sie den Betroffenen nach wie vor als erwachsenen und ernst zu nehmenden Gesprächspartner. 20
2 Dysarthrophonie Was bedeutet Dysarthro- phonie? Dysarthrophonie ist eine Sprechstörung, die durch eine Hirnverletzung oder -erkrankung verursacht wird. Der Begriff setzt sich aus der Vorsilbe »Dys-« für Störung und dem griechischen »arth- rein« für Artikulieren zusammen. Man findet häufig auch den Begriff »Dysar- thrie«; dies ist eine ältere Fachbezeich- nung und meint dasselbe Störungsbild. Bei einer Dysarthrophonie kommt es zu mehr oder weniger ausgeprägten Be- einträchtigungen der Lautbildung (Ar- tikulation), der Stimmgebung und der Sprechatmung. Die Betroffenen sprechen beispielsweise verwaschen und undeutlich, mit heiserer oder leiser Stimme, und müssen beim Sprechen häufiger Luft holen als vor der Erkran- kung. Aphasien und Dysarthrophonien können auch gemeinsam auftreten. Störungen (Symptome) bei Dysarthrophonie Unsere Sprechbewegungen, die Stimmgebung, der zum Sprechen benötigte Atemstrom – all das wird in seinem komplexen Zusammenspiel von verschiedenen Stellen des Gehirns 21
gesteuert. Je nachdem, welche Bereiche häufig nicht, die Laute sauber und korrekt des Gehirns nun durch eine Schädigung zu bilden. betroffen sind, können die entsprechen- den Funktionen eingeschränkt sein oder Durch die eingeschränkte Beweglichkeit ganz ausfallen. oder auch durch zu starken Druck der Sprechmuskeln sprechen Menschen mit Im Folgenden wird erläutert, zu welchen Dysarthrophonie die Laute zu schwach Störungen es bei einer Dysarthrophonie in oder zu stark aus, sie nuscheln und sind den verschiedenen Bereichen des Sprech- insgesamt nur schwer in ihrer Aussprache vorgangs kommen kann. Dabei muss eine zu verstehen. Person mit Dysarthrophonie nicht alle Symptome aufweisen; auch die Stärke Ist das Gaumensegel (Velum) betroffen, oder Ausprägung der einzelnen Sympto- der hintere weiche Teil des Gaumens mit me kann von Störungsbild zu Störungsbild dem »Zäpfchen«, können Probleme bei unterschiedlich sein. Das hängt mit der Art, der Luftstromregulierung auftreten. Die dem Ort und dem Ausmaß der zugrunde Luft, die für den Großteil der Laute zum liegenden Hirnverletzung zusammen. Sprechen im Mund benötigt wird, ent- weicht durch den mangelnden Abschluss Störungen der Lautbildung des Gaumensegels nun durch die Nase. (Artikulation) Dadurch entsteht ein charakteristischer An der Bildung der Sprachlaute sind die näselnder Sprechklang (Hypernasalität). Muskeln von Kiefer, Lippen, Gesicht, Zunge und Gaumensegel beteiligt. Für das Störungen der Stimmgebung Sprechen des Lautes /t/ beispielsweise (Phonation) und der Sprechmelodie muss die Zungenspitze schnell und mit (Prosodie) Druck an den oberen Zahndamm geführt Die menschliche Stimme wird im Kehl- und wieder abgestoßen werden; der kopf durch das Schwingen der Stimm- Luftstrom wird dadurch kurz gestaut und lippen (auch Stimmbänder) erzeugt. explodiert dann sozusagen im t-Laut. Werden durch eine Hirnschädigung die Bei der Bildung eines /n/ wird die Zun- Nerven verletzt, die die Kehlkopfmusku- genspitze am selben Ort im Mund benö- latur versorgen, kommt es zu Störungen tigt; die Luft muss jedoch dabei durch die der Stimmgebung. Der veränderte Span- Nase strömen, damit der Laut nasal klingt. nungszustand der Stimmlippen kann zu Sind nun die an der Bildung der Laute Schwankungen oder Sprüngen in der beteiligten Muskeln durch eine Lähmung Tonhöhe bis hin zu einer ganz anderen beeinträchtigt, gelingt es den Betroffenen Stimmlage führen (tiefere oder höhere 22
Störungen der Beweglichkeit der Gesichtsmuskulatur und Mimik Die Gesichtsmuskulatur ist weniger für den Sprechvorgang als für die mimische Be‑ Stimme als vorher). Die Stimme kann gleitung desselben zuständig. Auch diese heiser, rau oder gepresst klingen. Durch kann bei einer Hirnverletzung beeinträch- eine gestörte Steuerung der Atemluft tigt sein, besonders häufig kommt eine kann die Stimme aufgrund von zu verringerte Beweglichkeit der Gesichts- schwachem oder zu starkem Luftdruck muskulatur bei der Parkinson’schen Krank‑ zu leise oder zu laut sein oder in ihrer heit (Morbus Parkinson) vor. Die Betroffe- Lautstärke schwanken. nen zeigen eingeschränkte mimische Be‑ wegungen bis hin zum völligen Fehlen jeg- Störungen der Sprechatmung licher Mimik. Es kommt zum sogenannten (Respiration) »Maskengesicht«. Von Gesprächspartnern Auch die Atmung, maßgeblich unterstützt wird das Fehlen der unterschiedlichen Ge- vom großen Atemmuskel, dem Zwerchfell, sichtsausdrücke missgedeutet als Fehlen wird durch Hirnnerven gesteuert. Beim innerer Beteiligung des Betroffenen am Sprechen ist die Anforderung besonders Gespräch oder als »Gefühlsarmut«. Dies ist groß, da die Ausatemluft in ausreichender nicht der Fall; die an Parkinson Erkrank- Länge bereitgestellt und mit den Sprech- ten können ihren Gefühlen nur über die phrasen koordiniert werden muss. Mimik keinen Ausdruck verleihen. Nach einer Hirnschädigung kann es be- Auch wenn Menschen mit einer Dysar‑ sonders beim Sprechen zu Störungen der throphonie nicht nach Worten suchen Atmung kommen. Die Betroffenen haben müssen oder Schwierigkeiten haben, ei‑ nicht mehr ausreichend Luft zum Spre- nen Satz zu bilden wie bei der Aphasie, chen und müssen häufiger Sprechpausen sind sie doch in ihrer alltäglichen Kom- einlegen, um neu einzuatmen. Es ent- munikation eingeschränkt. Ihre veränderte steht bei einigen Personen mit Dysarthro- Sprechweise fällt in ihrer Umgebung auf; phonie eine sogenannte Schnappatmung; häufig werden sie dadurch von ihren Mit- manchmal wird sogar die Einatmung menschen als »behindert«, »betrunken« zum Sprechen genutzt (inspiratorisches oder als »Ausländer« stigmatisiert. Die Sprechen). Wird die Luft beim Sprechen Kommunikation verläuft mühevoll und nicht gleichmäßig, sondern unkontrolliert angestrengt, da Personen mit Dysarthro‑ abgegeben, entsteht ein abgehacktes phonie häufig nicht verstanden werden. oder ruckartiges Sprechen. Bei sehr schweren Störungen des Spre- 23
chens muss auf alternative Mitteilungswe‑ einen Schlaganfall oder eine Schädel- ge ausgewichen werden. Dazu zählen Hirn-Verletzung, kann man von einer Bes‑ zum Beispiel Aufschreiben, elektronische serung oder sogar Wiedeherstellung der Schreib- und Sprechhilfen oder Kommu- Sprechfunktionen ausgehen. nikationstafeln. Bei einer zugrunde liegenden Erkrankung Die meisten der aufgeführten Ursachen mit fortschreitendem (progressivem) Ab‑ für eine Dysarthrophonie sind dieselben sterben von Hirnzellen muss eher mit ei‑ wie für eine Aphasie (siehe S. 15, Ursa‑ ner Verschlechterung des Sprechens ge‑ chen einer Aphasie). Eine Ausnahme bil‑ rechnet werden. Trotzdem sind auch bei det hier der weitaus größere Anteil der diesen Arten von Dysarthrophonie be‑ fortschreitenden neurologischen Erkran‑ gleitende therapeutische Maßnahmen kungen, bei denen häufig Sprech- und (z. B. Logopädie, Physiotherapie) sinnvoll, auch Schluckstörungen auftreten. Der um die verbliebenen Fähigkeiten so lange Verlauf einer Dysarthrophonie ist grund‑ wie möglich zu erhalten, oder um recht- sätzlich abhängig von der Art der verur- zeitig zusätzliche Mittel der Kommunika sachenden Erkrankung. Handelt es sich tion einzuüben. um ein einmaliges Krankheitsereignis wie Ursachen einer Dysarthrophonie Ursachen einer Dysarthrophonie: Schädel-Hirn-Verletzungen, infolge- Erkrankungen des Kleinhirns dessen Prellungen, Blutansamm‑ - Friedreich’sche Ataxie lungen, Ödeme oder Minderdurch‑ - Zerebelläre Ataxien blutung von Hirnstrukturen Entzündliche Erkrankungen des Schlaganfälle/Hirngefäßerkrankungen Gehirns Gefäßverschlüsse/Gefäßblutungen - Enzephalitis Fortschreitende neurologische - Meningitis Erkrankungen Muskelerkrankungen - Multiple Sklerose (MS) (z. B. Myasthenia gravis) - Morbus Parkinson Nach Sauerstoffmangel des Gehirns - Morbus Wilson bei Herzstillstand - Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) (z. B. nach Wiederbelebung) - Chorea Huntington 24
Kommunikationsstrategien bei Dysarthrophonie für Betroffene und Angehörige Was Sie als Betroffener beachten können: Sehen Sie Ihre veränderte Sprechweise als Folge Ihrer Erkrankung; Ihr Sprechen ist nichts, wofür Sie sich schämen müssten. Versuchen Sie, die Kommunika- tionssituationen Ihren Fähigkeiten entsprechend zu steuern. Bedenken Sie, dass nicht jeder Gesprächspartner Ihre Situation kennt bzw. sie versteht. Lärm abstellen! Versuchen Sie, bei einer hohen Geräuschkulisse nicht lauter zu sprechen, um den Lärm zu übertönen. Wenn möglich, stellen Sie den Lärm ab oder entfernen Sie sich von der Lärmquelle. Setzen Sie notfalls alternative Kommunikations‑ strategien wie Gestik / Zeigen oder Schreiben ein. Kontakt herstellen! Halten Sie in Gesprächen immer Blickkontakt zu Ihrem Gesprächspartner, damit Missverständnisse schneller auffallen. Erreichen Sie die Aufmerksamkeit eines Gesprächspartners durch Nennen seines Namens oder durch kurzes Berühren. Themenwechsel ankündigen! Kündigen Sie durch ein Schlüsselwort an (z. B. „Besuch“, „Arzttermin“), über welches Thema Sie mit Ihrem Gesprächspartner sprechen möchten. Benutzen Sie diese Schlüsselwörter vor allem, wenn Sie das Thema wechseln, damit Ihr Gesprächspartner Ihnen inhaltlich folgen kann. Körperhaltung! Achten Sie beim Sprechen auf eine optimale Körperhaltung. Versuchen Sie, möglichst aufgerichtet zu sitzen oder zu stehen. Zeit lassen! Lassen Sie sich Zeit beim Sprechen. Machen Sie genügend Pausen, um Luft zu holen. Wenn Sie zu viel Speichel im Mund empfinden, schlucken Sie häufiger bewusst den Speichel hinunter. Wenn Ihre Stimme belegt klingt und Sie Schleim im Hals spüren, husten Sie einmal kräftig, schlucken Sie bewusst Ihren Speichel und sprechen Sie dann weiter. 25
Was Sie als Angehöriger beachten können: Sprechen ist ein hochkomplizierter und komplexer Vorgang. Bedenken Sie, dass das Sprechen bei dem Betroffenen nicht mehr mühelos und automatisch abläuft, sondern ungleich mehr Anstrengung, Konzentration und bewusste Kontrolle erfordert, als bei einem gesunden Sprecher! Zeit! Versuchen Sie, eine ruhige und entspannte Atmosphäre herzustellen. Falls Sie den Betroffenen nicht verstehen, fragen Sie gezielt nach bzw. wiederholen Sie das, was Sie glauben verstanden zu haben, damit der Betroffene entlastet wird. Nicht unter Druck setzen! Ständiges Wiederholenmüssen ermüdet den Betroffenen. Es kann manchmal vorkommen, dass Sie nicht verstehen können, was Ihnen Ihr Gesprächspartner mitteilen will. Bitten Sie ihn, ein Stichwort aufzuschreiben oder versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal. Inhalt vor Form! Durch permanentes Korrigieren erreichen Sie nur, dass Ihr Gesprächspartner entmutigt wird. Wichtiger als die Sprachform ist der Sprachinhalt. Beziehen Sie auch andere „Kanäle“ wie Gestik, Gesichtsausdruck, Gefühle, Situation und Stimmklang mit ein, um herauszubekommen, was der Betroffene Ihnen mitteilen will. Akzeptanz! Versuchen Sie, das jetzige Sprechen des Betroffenen zu akzeptieren und vergleichen Sie nicht mit dem früheren Sprechvermögen. Dass der Betroffene jetzt undeutlich spricht, hat nichts mit Willensanstrengung zu tun, sondern ist Folge seiner Erkrankung. Mit einbeziehen! Schließen Sie den Betroffenen nicht aus der Kommunikation aus, sondern versuchen Sie, ihn in Gespräche mit einzubeziehen. Reden Sie möglichst nicht für ihn oder über seinen Kopf hinweg, weil es bequemer ist. Helfen Sie ihm, seine Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu bewahren. 26
3 Dysphagie Was bedeutet Dysphagie? Aufgrund von Sensibilitätsstörungen im Mund- und Rachenraum bis hin zum Die Dysphagie ist eine erworbene Schluck- Kehlkopf oder zur Speiseröhre werden störung, die durch Hirnverletzung oder Berührungsreize nicht gespürt, sodass -erkrankung sowie durch Muskelerkran- wichtige Reflexe (Schluckreflex, Würgre- kungen zustande kommt. Der gesamte flex) ausfallen oder Schutzfunktionen wie Schluckvorgang von der Nahrungsaufnah- Räuspern und Husten fehlen. Dadurch me über das Kauen bis hin zum Schlu- gelangen feste oder flüssige Speisen in cken kann dabei mehr oder weniger stark die Luftröhre bzw. in die Atemwege. Im beeinträchtigt sein. Sogar das Schlucken schlimmsten Fall führt dies zu erhöhter des eigenen Speichels kann schwierig Körpertemperatur oder zu einer Lungen- sein. entzündung. 27
Dysphagien treten häufig zusammen mit einander abgestimmtes Zusammenspiel akuten Schlaganfällen, aber auch bei an- von zahlreichen Muskeln, Hirnnerven deren Erkrankungen des zentralen Ner- sowie Knochen- und Knorpelstrukturen. vensystems auf und haben im Rahmen Der gesamte Schluckakt wird in fünf der Therapie absolute Priorität. Eine einzelne Phasen unterteilt. schwere Dysphagie ist eine lebensbe- drohliche Erkrankung, deshalb werden Die erste Phase (präorale Phase) findet die Betroffenen anfangs häufig über eine noch vor der eigentlichen Nahrungsauf- Nasen- oder Magensonde ernährt. nahme statt, denn auch das Sehen der Speisen, das Ansammeln von Speichel Der normale Schluckvorgang und das Einstellen auf die Nahrungsauf- nahme gehören bereits zum Schluckvor- Schlucken ist für gesunde Menschen ein gang dazu. selbstverständlicher, automatisch ablau- fender Vorgang, über den man nicht In der zweiten Phase (orale Vorberei- weiter nachdenkt. Tatsächlich ist das tungsphase) ist die Speise im Mund Schlucken ein hochkomplexes, fein auf- angekommen und wird durch Kauen, Zermalmen und Einspeicheln für den Transport in die Speiseröhre vorbereitet. In der dritten Phase (orale Transport- phase) wird der Speisebrei auf der Zunge gesammelt und nach hinten in Richtung Rachen transportiert. Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Ablauf noch willentlich beeinflusst werden; berührt der Speisebrei jedoch die Gaumenbö- gen, wird der Schluckreflex ausgelöst und der Schluckvorgang läuft automatisch in Bruchteilen von Sekunden ab. In der vierten Phase (pharyngeale Phase) wird die Nahrung auf der Zunge in den Rachen befördert. Der hintere, weiche Teil des Gaumens, das Gaumen- segel hebt sich, um den Nasenraum 28
vom Mundrachenraum abzuschließen. So kann die Speise nicht in die Nase gelangen, sondern gleitet in Richtung Speiseröhre ab. Zum Schutz der unteren Atemwege vor Fremdkörpern wird der Kehlkopf und somit die darunter liegende Luftröhre verschlossen: Der sogenannte Kehlde- ckel kippt über den Kehlkopfeingang, die beiden Taschenfaltenmuskeln und die beiden Stimmlippen verschließen den Kehlkopf. Dann wird ein ringförmiger Muskel oberhalb des Speiseröhrenein- »Meldung« an das Gehirn, wird der ganges aufgezogen und die Nahrung Schluckreflex nicht ausgelöst. Entweder kann hineingelangen. kann das Hinunterschlucken der Nah- rung gar nicht eingeleitet werden, oder Durch eine wellenförmige Bewegung die Nahrung rutscht unbemerkt in die der Speiseröhre wird die Speise in der nicht geschützten Atemwege – sie wird fünften Phase (ösophageale Phase) in aspiriert. Auch Schutzfunktionen wie den Magen transportiert. Husten oder Würgen, die bei gesunden Menschen sofort einsetzen, wenn sie Der gestörte Schluckvorgang sich verschluckt haben, können bei Per- sonen mit Dysphagie gestört sein oder Durch einen Schlaganfall oder eine an- ausfallen. Gleich einer hochsensiblen dere Hirnschädigung kann der kompli- Maschine genügt ein defektes »Zahnräd- zierte Schluckvorgang gestört sein. Wenn chen«, um den Gesamtablauf aus dem zum Beispiel aufgrund von Lähmungen Gleichgewicht zu bringen. Eine Dyspha- die Speise nicht mehr ausreichend gie führt nicht nur zu einer immensen zerkleinert werden oder von der Zunge psychischen Belastung für den Betrof- nach hinten transportiert werden kann, fenen, sondern kann in ihrer extremen kommt es zu Beeinträchtigungen der Auswirkung lebensbedrohlich sein. ersten und zweiten Schluckphase. Wird aufgrund von Sensibilitätsstörungen die Daher ist es von großer Bedeutung, eine Speise an den Gaumenbögen nicht ge- Dysphagie so rechtzeitig wie möglich zu spürt, gelangt also keine entsprechende erkennen und zu behandeln. 29
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