Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungs eigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran
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Herausgeber*innenkollektiv, eds. 2021. Pearls, Politics and Pistachios. Essays in Anthropology and Memories on the Occasion of Susan Pollock’s 65th Birthday: 123–42. DOI: 10.11588/propylaeum.837.c10739. Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungseigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran Carolin Jauß Einleitung Gefäß abnehmen? Wie kann man ein mit Ton verschlossenes Gefäß b ewegen? Diese Fragen Lehm ist ein in den unter wirtschaftlichen stellte ich mir, als ich mich während der Arbeit Aspekten in der Vergangenheit rohstoffarmen an meiner Dissertation im Rahmen von Susan alluvialen Schwemmebenen des südlichen Pollocks Topoi- Projekt „Commensality and Iraks und südwestlichen Irans, reichlich Shared Space in the C ontext of Early State vorhandener Rohstoff. Neben Wasser und and Urban D evelopment in Mesopotamia and Schilfrohr bildete er die Basis von m ateriellen Southwest Iran“ – die aus den unterschied- Äußerungen unterschiedlichster Bereiche des lichsten Gründen noch nicht zu einem Ende Lebens und Wirtschaftens. Lehm und sein gekommen ist – mit der Verschließbarkeit feinkörniger Bestandteil Ton waren sowohl von keramischen G efäßen befasste. Aus den ungebrannt als auch gebrannt in Form unter Fragen ist der Impuls entstanden, einmal schiedlichster Gegenstände omni präsent selbst auszuprobieren, was über viele E pochen an allen Orten, in allen gesellschaftlichen zum Alltag in Mesopotamien gehörte, Bereichen und über alle von der Archäo nämlich ein Gefäß mit Ton zu verschließen. logie Westasiens untersuchten Epochen. Von Dies mündete in einen kleinen Versuch, den Lehmziegeln, Verputz und Stampflehmböden ich hier schildern möchte. Der Beschreibung über Spinnwirtel, Sicheln und keramische meiner Beobachtungen aus dem Versuch Gefäße bis hin zu Figurinen und nicht zuletzt werde ich einige generelle Gedanken zur Ver- als Träger von Schrift in Form von Tontafeln wendung von Tonverschlüssen folgen lassen, sind Artefakte aus Lehm und Ton Gegen- die für Tonverschlüsse aus allen Epochen und stand in der archäologischen genauso wie der geo graphischen Regionen zutreffen. Diese philologischen Forschung zur Vergangenheit Gedanken werden ergänzt mit vier Fall Westasiens. studien zur späteren Uruk-Zeit (zweite Hälfte 4. Jt. v. u. Z.) mit Fokus auf Fundorten im Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich Südwestiran. Die Fallstudien basieren auf einer mit ungebranntem Ton, der zur A bdeckung fundortgebundenen und zum Teil nur kleinen von keramischen Gefäßen verwendet wurde. Datenbasis und sind daher lokale Szenarien, In vielen Fällen wurden in Gefäßen Lebens die vor allem als Denkanstöße oder Anregung mittel produziert oder gelagert, die durch gedacht sind, wie ausgehend von Objekten Tonverschlüsse vor äußeren Einflüssen ge- – in diesem Fall Tonverschlüssen – weitere schützt wurden. Wie dicht verschließt solch ein Überlegungen zu den mit ihnen verbundenen Tonverschluss ein Gefäß? Wie gut schützt er Praktiken angestellt werden können. den Gefäßinhalt? Was passiert, wenn der Ton während des Trocknungsvorgangs schrumpft? Unter Tonverschluss verstehe ich im Folgenden Wie kann man einen Tonverschluss von einem Ton, der zum Verschluss einer Gefäßöffnung
Carolin Jauß in plastischem Zustand auf die Mündung eines ihr materielles Umfeld mit einbezogen. Die keramischen Gefäßes g edrückt wurde. Im Verschlüsse werden als Teil von Praktiken archäologischen Befund sind Tonverschlüsse im Zusammenspiel mit den Gefäßen, die sie als getrocknete Artefakte aus ungebranntem verschlossen und dem Inhalt dieser Gefäße Ton erhalten. Wie andere Objekte aus gesehen. Zum anderen wird die Handhabung ungebranntem Ton, können Tonverschlüsse von Verschlüssen und verschlossenen Gefäßen Träger von eingedrückten Stempelsiegel betrachtet. Damit geht der Blick in Rich- abdrücken oder Abrollungen von Rollsiegeln tung der Personen, die in diesen Praktiken sein und die Abdrücke auf ihren Rückseiten handelten. liefern Erkenntnisse zu den Objekten, an denen der plastische Ton angebracht wurde. Der Blick auf Nutzungseigenschaften sowie Zum einen stehen häufig die auf dem Ton Nutzungszusammenhänge dieser spezifischen verschluss eingedrückten Siegelbilder im Gegenstände bedeutet einen Zugang zu vergan- Fokus ikonographisch oder kunstgeschichtlich genem gesellschaftlichem Handeln über einen orientierter Forschungsfragen. Zum a nderen kleinen Ausschnitt auf der Mikro-Ebene. Für werden Ton objekte zur Versiegelung von eine Einordung meiner Betrachtungen in einen Behältern und Türen, zu denen häufig größeren theoretisch reflektierten Rahmen auch Tonverschlüsse gezählt werden, meist fehlt hier der Raum. Es soll jedoch nicht un als Instrumente zur Kontrolle von Waren erwähnt bleiben, dass – wie nicht z uletzt Susan vorrangig im Rahmen a dministrativer Tätig- Pollock wiederholt betont hat – ein Fokus auf keiten untersucht ( Fiandra und Frangipane die Mikro-Ebene gesellschaftlichen Handelns 2007). Wie wir im Folgenden sehen werden, dazu beiträgt, beziehungsweise es überhaupt sollten Ton verschlüsse jedoch – auch wenn erst möglich macht, einseitige, meist aus einer sie gesiegelt sind – von Versiegelungen Elite-Perspektive gespeiste, Narrative aufzu- unterschieden werden, die zur Sicherung der brechen (Bernbeck und Pollock 2002; Pollock Inhalte angewandt wurden. 2013a). Nur auf der Mikro-Ebene können wir unterschiedliche Positionalitäten erfassen, die Der Ausgangspunkt meines Blicks auf Ton Komplexität, Vielfältigkeit und Kontingenz verschlüsse ist ein anderer. Viele der G efäße, die gelebter – auch alltäglicher – Praxis aufzeigen mit Tonobjekten versiegelt oder v erschlossen und uns damit subjektivem Erleben auch und waren, enthielten Lebens mittel. Daher vor allem derjenigen, die sozial niedriger sind diese Objekte aus un gebranntem Ton gestellt und benachteiligt waren, nähern. In nicht beziehungsweise nicht nur m aterielle diesem Sinne kann dieser Beitrag, der dezidiert Äußerungen von Verwaltung, sondern auf eine kleinteilige Betrachtung ausgerichtet in erster Linie als Teil der Materialitätist, als Mosaikstein verstanden werden, der kulinarischer Praktiken zu sehen. Innerhalb einerseits Einblicke auf der Mikro-Ebene dieser können Tonverschlüsse Auskunft über gewährt und andererseits unterschiedliche Praktiken der Herstellung, der Lagerung weiter gefasste Überlegungen ergänzen kann. oder des Transports von Lebensmitteln in Insbesondere die weiter unten ausgeführten den mit ihnen verschlossenen Gefäßen geben. vier Szenarien sind in diesem Sinne kleine Dementsprechend sollen Tonverschlüsse Mosaiksteinchen, die sich in Susan Pollocks in ihrer materiellen Dimension als Objekte Arbeiten zur Uruk-Zeit einfügen. aus Ton sowie in ihren nutzungsrelevanten Eigenschaften betrachtet werden. Ausgangs- Experimentelle Beobachtungen beim punkt meiner Ausführungen ist der praktische Verschließen von Gefäßen mit Ton Umgang mit Tonverschlüssen. Sie werden dabei nicht exklusiv als separate Artefakt Im Weiteren sei zunächst der Versuch geschil- gruppe untersucht. Vielmehr wird zum einen dert, der bereits im Sommer 2016 stattfand. 124
Lehm und Lebensmittel a) b) 0 5 cm c) d) Abb. 1. Für den Versuch benutzte Gefäße: a) Wasserkaraffe, b) Glasgefäß. c, d) Die Gefäße jeweils mit frisch angebrachtem Tonverschluss. Fotos: Carolin Jauß. 0 5 cm a) b) c) Abb. 2. a) Während des Trocknungsvorgangs bilden sich Risse im über den Gefäßrand reichenden Bereich des Verschlusses, b) Teile des Verschlusses sind abgerochen, c) Trockener Tonverschluss von unten. Zu sehen sind Bruchstellen und Risse am Rand. Fotos: Carolin Jauß. Eine keramische Wasserkaraffe mit schmalem, schamottierter Ton. Dabei ergaben sich die leicht konischem Hals aus der ägyptischen folgenden Beobachtungen. Oase Dakhla (Mündungsdurchmesser 5 cm) und ein bauchiges Glasgefäß mit kurzem Hals Tonverschlüsse ziehen sich während des (Mündungsdurchmesser 5,2 cm) wurden je Trocknungsvorgangs auf dem Gefäß einmal ohne Inhalt und einmal mit Wasser zusammen. Daraus resultiert, dass der Ver- befüllt mit Tonverschlüssen verschlossen schluss kleiner wird, er schrumpft. Überlappt (Abb. 1). Verwendet wurde handelsüblicher der Ton des Verschlusses nach dem Anbringen 125
Carolin Jauß a) b) Abb. 3. a) Verschluss zieht sich während des Trocknungsvorgangs zusammen. b) Es hat sich eine Lücke zwischen Verschluss und Gefäßrand gebildet. Fotos: Carolin Jauß. in feuchtem Zustand an der äußeren Lippe nicht mehr fest. Zutreffender als der Begriff über den Rand des Gefäßes, kann dies dazu Tonstöpsel (englisch „jar stopper“/ „bottle führen, dass sich durch die im Rahmen des stopper“), der häufig benutzt wird, wäre in Schrumpfungsvorgangs entstehende Span- diesem Zustand der Begriff Tondeckel. Ton- nung Risse bilden und Teile des Verschlusses verschlüsse können also, sobald sie etwas abbrechen (Abb. 2).1 geschrumpft sind und dadurch nicht mehr fest sitzen, abgenommen und wieder auf- Bei einem Verschluss, der so angebracht gesetzt werden.2 Beim erneuten Aufsetzen war, dass er nur sehr geringfügig über den der Verschlüsse ist allerdings eine gewisse schmalen Rand des Glasgefäßes überstand, Sorgfalt gefragt. Die Verschlüsse passen zog sich der Verschluss soweit zusammen, sich beim Aufdrücken auf das Gefäß in dass Lücken zwischen Gefäßrand und feuchtem Zustand exakt der Randform an, Verschluss entstanden (Abb. 3). welche bei handgefertigten Keramikgefäßen selten exakt kreisrund, s ondern meist etwas Die Tonverschlüsse waren bei einer durch- asymmetrisch ist. Will man den Verschluss schnittlichen Raumtemperatur von ca. 24° C in trockenem Zustand tatsächlich pass- nach drei Tagen lederhart, saßen schon genau aufsetzen und den Abrieb oder das nicht mehr fest auf dem Gefäß und k onnten Abbrechen von Ton material vermeiden, problemlos abgenommen und wieder auf muss man ihn in der Position auf die Mün- das Gefäß gesetzt werden. Nach sechs dung aufsetzen, in der er ursprünglich ins Tagen waren sie vollkommen trocken Gefäß gepresst wurde. Auch bei Bewegung und saßen nur noch locker in der Gefäß des Gefäßes kann durch Abrieb Tonmaterial mündung. Durch ihr Eigengewicht lagen vom Stöpsel ins Gefäßinnere g elangen und die Verschlüsse auch nach dem Trocknen sich mit dem Inhalt m ischen. Wenn bereits gut und relativ dicht auf dem Gefäßrand Teile des Verschlusses ab gebrochen sind, auf. A llerdings saßen sie bei Bewegung brechen leicht weitere Stückchen ab. 1 Anja Fügert gab mir den freundlichen Hinweis, dass dies als typisches Bruchmuster bei neuassyrischen Ton- verschlüssen anzutreffen ist. 2 Siehe auch den Beitrag von Dessa Rittig zu Tonverschlüssen aus Tall Bi‘a/ Tuttul (Strommenger und Miglus 2010, 98, 101) sowie Delougaz et al. (1996, 115). 126
Lehm und Lebensmittel Der auf dem mit Wasser befüllten Glas Verständnis der Handhabung von Ton gefäß sitzende Tonverschluss trocknete nur verschlüssen und damit zum Verständnis der geringfügig langsamer als auf einem leeren Aktivitäten, für die sie in der Vergangenheit Gefäß. Bei der mit Wasser befüllten Keramik genutzt wurden, beitragen können. karaffe blieb der Tonstöpsel so lange weich und luftdicht, wie die Gefäßwandung feucht Abdichten vs. Abdecken war. Ebenso lange saß er auch bei B ewegung fest im Gefäß. Er konnte sich das von seiner Tonverschlüsse dichten ein Gefäß nur direkt Oberfläche verdunstende Wasser aus der nach ihrer Anbringung luftdicht ab und Gefäß wandung sozusagen nachziehen und liegen nach ihrer Trocknung wie ein D eckel war nur gering fügig weniger feucht und auf dem Gefäß auf. Da die Anbringung des damit nur geringfügig kleiner, als direkt nach Verschlusses Auswirkungen darauf hat, ob seiner Anbringung. Erst nachdem die Gefäß durch Zusammenziehen beim Trocknungs wandung getrocknet war, trocknete auch der vorgang Teile abbrechen oder Lücken Stöpsel. Maßgeblich für die Befeuchtung eines zwischen Verschluss und Gefäßwandung Stöpsels ist also nicht ein verdunstender Ge- entstehen, musste der Anbringung – sollte fäßinhalt, sondern der Wasseraustausch überein Tonverschluss gut abdichten – Sorgfalt den Kontakt mit der Gefäßwandung. Eine entgegengebracht werden. Folglich war ein feuchte Gefäßwandung bedeutet allerdings gewisses Wissen über die Reaktionen des auch, dass der Gefäßinhalt selbst über die Tonmaterials während des Trocknungs Wandung verdunstet.3 Die Wandung trock- vorgangs notwendig. Auch die Position eines net erst dann, wenn keine Flüssigkeit mehr im Gefäßes musste sorgfältig beachtet werden, Gefäß enthalten ist. wenn der Verschluss möglichst dicht bleiben sollte. Steht ein Gefäß schräg, so kann ein Zwar kann dieser kleine Versuch nicht als trockener geschrumpfter Verschluss in eine repräsentativ angesehen werden, trotzdem Richtung verrutschen, was ebenfalls dazu möchte ich hier einige Überlegungen dazu führt, dass Lücken zwischen Verschluss und anstellen, was die Beobachtungen zum Gefäßwandung entstehen (Abb. 4). Sollten Gefäße dicht verschlossen bleiben, mussten die Stöpsel jeweils ausgetauscht werden, bevor sie komplett getrocknet waren. Ein unter dem Verschluss in das Gefäß gelegtes Textil konnte die Lücke zwischen getrocknetem Verschluss und Gefäßwandung ausfüllen, wodurch ein Gefäß wieder dichter verschlossen war (Abb. 5). Luftdicht wäre aber auch eine Abdichtung mit einem Textil Abb. 4. Nach rechts geneigte Gefäße mit trockenen Ton- nicht. verschlüssen. Dadurch, dass die Verschlüsse im trockenen Zustand kleiner sind als bei der Anbringung, rutschen sie Dass Textilien in der Uruk-Zeit in Kombi- zur Seite und es bilden sich Lücken zwischen Verschluss und nation mit Tonverschlüssen benutzt wurden, Gefäßrand. Fotos: Carolin Jauß. 3 Im Fall der im Versuch verwendeten Karaffe war dies ein bereits bei der Herstellung beabsichtigter Effekt. Das Gefäß war als Wasserkaraffe hergestellt, bei der die Porosität der Gefäßwandung dazu dienen soll, dass durch die Verdunstung des in der Gefäßwandung absorbierten Wassers ein Kühlungseffekt eintritt (Bliss 1989, 323–26). 127
Carolin Jauß Bewegen und Transportieren Gefäße mit Tonverschlüssen waren kurz nach der Anbringung der Verschlüsse, solange die Verschlüsse noch feucht bis lederhart waren, gut transportierbar. Getrocknete Verschlüsse hingegen sitzen nicht mehr fest. Ein ge- trockneter Verschluss kann bei unruhigen Bewegungen aus dem Gefäß fallen. Zudem kann Tonmaterial abgerieben werden, das sich mit dem Gefäßinhalt mischt. Tonverschlüsse waren daher für kurze Transportwege gut ge- eignet. Für den Transport von Gefäßen über längere Zeiträume und Strecken, auf denen die Verschlüsse trocknen würden, waren sie hingegen weniger geeignet. Die Beweglichkeit von mit getrockneten Tonverschlüssen abge- deckten Gefäßen war demnach eingeschränkt. Abb. 5. Ein unter den getrockneten Verschluss gelegtes Textil schließt den Zwischenraum zwischen Gefäßhals und Tonverschlüsse im uruk-zeitlichen Verschluss. Foto: Carolin Jauß. Südwestiran zeigen vereinzelte Beispiele aus Arslantepe, Soweit zu den allgemeinen Beobachtungen Chogha Mish und Susa, wo Tücher und auch und Gedanken zu Tonverschlüssen. Es Leder mit dem feuchten Ton in die Gefäße werden nun vier kleine Szenarien zur gepresst w urden und so als Abdruck auf Nutzung von Tonverschlüssen in der späteren den Unter seiten der Verschlüsse erhalten Uruk-Zeit (zweite Hälfte des 4. Jahrtau- blieben (Ferioli et al. 2007, 79, 82–83, 115–16, sends v. u. Z.) folgen. Was die m aterielle Fig. II.13; Alizadeh 2008, 360–61, Fig. 76.X; Basis meiner Überlegungen angeht, kon- Amiet 1986, 20). Durch die Schrumpfung zentriere ich mich auf südwest iranische der Verschlüsse während des Trocknungs- Fundorte. Insbesondere stehen die aus vorgangs schließen diese zwar nicht mehr Chogha Mish publizierten Tonverschlüsse luftdicht ab, sondern liegen nur noch mit im Fokus (Delougaz et al. 1996), ergänzt Kontakt zur Gefäß wand auf; gleichzeitig mit Informationen zu Tonverschlüssen aus können sie jedoch leichter abgenommen und einem spät-uruk-zeitlichen Gebäudekomplex wieder auf das Gefäß aufgesetzt werden. Auch in Susa (Le Brun 1978). Während das wenn, wie oben beschrieben, eine gewisse Material in Susa zwei Nutzungshorizonten Sorgfalt geboten war, waren getrocknete und einzelnen Räumen zugeordnet werden Verschlüsse also gut dafür geeignet Gefäße kann und damit in diesem Haushalt prakti- zu verschließen, aus denen mehrfach Inhalte zierte Tätigkeiten repräsentiert, stammt das entleert oder auch wieder nachgefüllt wurden. Material aus Chogha Mish überwiegend aus Genauso waren sie für Herstellungstechniken Abfallkontexten ohne Bezüge zu bestimmten geeignet, bei denen die Manipulation des Haushalten oder stratigraphische Daten, Inhalts es notwendig macht, den Deckel mehr- die eine präzise chronologische Zuordnung fach zu lüften und wieder aufzusetzen und für möglich machen würden. Es lässt daher die ein dichter, jedoch kein absolut luftdichter nur allgemeinere Schlüsse auf Ebene der Verschluss notwendig war. gesamten Siedlung zu. 128
Lehm und Lebensmittel Szenario 1: Verschließen und Verhandeln Handel, geeignet war und machen es daher unwahrscheinlich, dass mit Tonverschlüssen Was die Uruk-Zeit betrifft, wurde Handel in verschlossene Gefäße typische Transport der Forschung vielfach eine bedeutende Rolle behälter waren, in denen in großem Stil für gesellschaftliche Entwicklungen bei Waren gehandelt wurden. Entgegen der Idee gemessen – sei es hierarchisch o rganisierter, von überregionalem Handel deutet auch die zentral gesteuerter regionaler Austausch als Untersuchung von Pittman und Blackman zu ökonomisches Gerüst früher Staaten oder gesiegelten Objekten aus ungebranntem Ton überregionaler Handel als Erklärung für auf eine vor allen Dingen lokale Verwendung das Auftreten als typisch südmesopotamisch von Tonverschlüssen und -versiegelungen, wie geltender Keramiktypen im Norden bis nach sie auch für andere Fundorte, unter anderem Anatolien und Richtung Osten vor allem das anatolische Arslantepe, anzunehmen ist, im Iran aber auch darüber hinaus (für einen wo das Material für verschiedenste gesiegelte zusammenfassenden Überblick von Modellen, Tonobjekte aus einer der Siedlung nahen Ton- die von Handel als zentralem Element gesell- ressource stammt (Pittman und Blackman schaftlicher Entwicklungen ausgehen sowie zu 2016, 879, 881–83; Palmieri und Morbidelli anderen Modellen s. Pollock 1992; Emberling 2007, 411, 414). und Minc 2016; Minc und Emberling 2016; McMahon 2019). Szenario 2: Tonherstellung und Tonverwendung Dass in der mittleren und späteren Uruk-Zeit weder keramische Gefäße als solche, noch Dies führt mich zu einem genaueren Blick auf Behältnisse, die mit Objekten aus ungebrann- das für die Tonverschlüsse verwendete Ma- tem Ton versiegelt oder verschlossen waren, terial. Für Tonverschlüsse aus den späteren in größerem Umfang über lange Strecken in uruk-zeitlichen Schichten der Fundorte Handelsaktivitäten eine Rolle spielten, legen Susa und Chogha Mish wurde feiner, wahr- Ergebnisse von instrumentellen Neutronen- scheinlich geschlämmter, zum Teil auch mit aktivierungsanalysen (INAA) beider Gruppen mineralischen oder pflanzlichen Zusätzen von Objekten aus verschiedenen Fundorten gemagerter Ton verwendet (Le Brun 1978, aus dem gesamten mesopotamischen Raum 81; Delougaz et al. 1996, 115).4 Das bedeutet, von Südmesopotamien und Südwestiran bis das für Tonverschlüsse verwendete Material Nordmesopotamien nahe (Emberling und war nicht der unbearbeitete Rohstoff Lehm Minc 2016; Pittman und Blackman 2016). oder Ton sondern wurde vor seiner Nutzung Die Studien basieren auf der Analyse der als Verschluss bearbeitet. Auch in Arslantepe Zusammensetzung des Tons, seinem geo- war dies der Fall, wo naturwissenschaftliche logischen Fingerabdruck, der Rückschlüsse Untersuchungen bestätigen, dass der Ton für zur Herkunft der Gefäße beziehungsweise cretulae – darunter Tonverschlüsse – speziell Tonobjekte zulässt. Obige Beobachtungen bearbeitet war (Palmieri und Morbidelli 2007, aus dem Versuch ergänzen die Ergebnisse 409–14). Die Herstellung oder Lagerung von der naturwissenschaftlichen Studien mit Lebensmitteln in mit Ton verschlossenen einem Argument auf der Handlungsebene. Gefäßen war also genauso wie die Herstellung Sie sprechen dafür, dass der Verschluss von von Versiegelungen oder Tontafeln verbunden Gefäßen mit Ton keine Praktik war, die für mit Praktiken der Material bearbeitung, den Transport von Gefäßen im R ahmen wie sie in der Archäologie meist im Bereich von Handel, spezifisch überregionalem des Töpferhandwerks untersucht werden 4 Ebenso in Habuba Kabira in Nordsyrien (Strommenger et al. 2014). 129
Carolin Jauß (beispielsweise Coursey 1997; Rice 1987; (Delougaz et al. 1996, 115). Wenn Reste aus der Skibo 1992). Dies sind Wissen und Fertig Herstellung und fertige O bjekte gemeinsam keiten zur Bearbeitung des Rohstoffs Ton weggeworfen wurden, ist es wahrscheinlich, durch Schlämmen oder den Zusatz von dass die Anbringung der Verschlüsse und Magerungsbestandteilen, Kenntnis darüber, ihre Nutzung am selben Ort stattfanden. Mit wie sich zugefügte Magerung auf die Eigen- Bezug zur Herstellung des für Tonverschlüsse schaften des Tons zum Beispiel bezüglich verwendeten Tons ist die E ntsorgung dieser seiner Plastizität oder seines Verhaltens Objekte zudem dahingehend interessant, beim Trocknen auswirken und nicht zuletzt dass sowohl gebrauchte Tonverschlüsse Kenntnis darüber, wie die Tonmasse durch als vor allem auch die gekneteten Ton Zufügen oder Entzug von Wasser die für die klumpen hätten recycelt w erden können. beabsichtigte Nutzung passende Konsistenz Durch Zerkleinern, Einweichen, Kneten erhält. und gegebenenfalls den Entzug von Wasser wäre wieder das Ausgangs material für die Kenntnisse zur Verwendung der fertigen Ton- Verschlüsse entstanden. Dieser Vorgang ist, masse, zum Beispiel des Zeitraums, in dem was den Arbeitsaufwand angeht, im Vergleich sie plastisch genug für die jeweilige N utzung zur Herstellung neuer Tonmasse deutlich bleibt, beziehungsweise die bereits oben effizienter, da die Arbeitsschritte Ton aus der beschriebenen Schrumpfungseigenschaften Tonquelle gewinnen, Schlämmen und Magern sind in jedem Fall bei denjenigen zu verorten, nicht mehr notwendig sind. Beziehungs die Verschlüsse, Versiegelungen oder Tontafeln weise hätte man gebrauchte Verschlüsse oder herstellten und diese nutzten (zu Tontafeln s. zumindest das überschüssige und demnach Pollock 2016, 282; 2013b, 151 [entspricht 2019, auch noch nicht potentiell durch Lebensmittel 131]). Mit Bezug zu Tonverschlüssen sind das verunreinigte Material mit den Tonvorräten Personen, die mit dem Verschluss der Gefäße lagern können, die für die Zubereitung neuer und damit mit der korrekten Lagerung oder Tonmasse zur Verfügung standen. Aus Herstellung der darin enthaltenen Produkte Chogha Mish sind größtenteils Abfall betraut waren. Es stellt sich jedoch die Frage, kontexte bekannt, aus einem Gebäudekomplex wer den für Tonverschlüsse verwendeten der späteren Uruk-Zeit in Susa hingegen sind Ton herstellte. Wurde er von denjenigen, die Raum inventare dokumentiert, unter denen Tonverschlüsse anbrachten, selbst hergestellt sich auch Tonverschlüsse befanden. Hinweise oder verwendeten sie Ton, der von anderen darauf, dass der für diese und andere admi- Personen und auch räumlich vom Ort seiner nistrative Artefakte aus ungebranntem Ton Verwendung getrennt bearbeitet wurde? genutzte Ton im Haushalt bevorratet wurde oder Installationen, die zu seiner Verarbeitung Für Chogha Mish lassen sich dazu einige gedient haben, finden sich allerdings nicht Vermutungen aus den Fundzusammenhängen (Le Brun 1978). der Tonverschlüsse ableiten. Von den 2040 Tonverschlüssen, die aus Chogha Mish Da folglich davon ausgegangen werden kann, publiziert sind, stammen 88% (1803) aus dass für Verschlüsse jeweils neues Tonmaterial Abfallkontexten (Delougaz et al. 1996, 128– hergestellt wurde, liegt meiner Ansicht nach 29, Tab. 13). Tonverschlüsse wurden also in die Vermutung nahe, dass die Tonzubereitung großen Mengen entsorgt. Unteranderem weder räumlich noch personell im Rahmen fanden sich in diesen Abfallkontexten auch der kulinarischen Praktiken anzusiedeln ist, Tonklumpen, die Spuren davon tragen, dass sie innerhalb derer die Anbringung und Nutzung geknetet wurden und daher als Überbleibsel der Tonverschlüsse stattfanden. Denkbar aus der Herstellung von Tonverschlüssen oder ist vielmehr, dass die Herstellung des Tons Versiegelungen interpretiert werden können von spezialisierten Personen übernommen 130
Lehm und Lebensmittel wurde und demnach vielleicht im Töpfer- Lebens mitteln sowie Verwaltung existierte. handwerk zu verorten ist. Dort wären sowohl Die Verwendung des Werkstoffs Ton in die notwendigen Installationen und Wasser- Haushalten, in denen er nicht zubereitet sowie Magerungsvorräte zur Herstellung wurde, wie sie für Chogha Mish und auch der Tonmasse, als eventuell auch gute Lager- Susa zu vermuten ist, wäre ein Hinweis bedingungen, um Ton feucht zu halten und auf Kooperation und Zusammenarbeit in nicht zuletzt die notwendigen Kenntnisse Siedlungen über Tätigkeitsbereiche und Haus- für die Herstellung der Tonmasse v orhanden halte hinweg. Ist Ton nicht absolut luftdicht gewesen. Es ist zudem denkbar, dass es in verschlossen, so trocknet er – insbesondere in den Arbeitsabläufen einer Töpferei, die für einer heißen und trockenen Region wie dem die Herstellung von Gefäßen große Mengen Südwesten des Irans – schnell aus. Was die an Ton benötigte, ohnehin verankert war, Intensität der aus der gemeinsamen Nutzung stetig genügend Vorräte des Rohstoffs Ton zu von Ton resultierenden Kontakte betrifft, bevorraten, um regelmäßig frische Tonmasse kann daher angenommen werden, dass diese herzustellen anstatt Ton zu recyceln, der in häufig stattfanden, um den benötigten Ton für der Töpferei, oder auch der Lebensmittel Verschlüsse oder Verwaltungsobjekte jeweils herstellung und / oder -lagerung als Abfall in der passenden Konsistenz zur Verfügung anfiel. zu haben. Pollock hat anhand der Befunde von Szenario 3: Verschließen und Verwalten Susa, Abu Salabikh und Jemdet Nasr dar- gelegt, dass in uruk-zeitlichen Städten Die oben geschilderte Möglichkeit Tonver- keineswegs eine strenge Trennung und schlüsse in getrocknetem Zustand abnehmen damit Spezialisierung von Arbeits bereichen und wieder aufsetzen zu können bedeutet, vorlag, sondern dass Haushalte eine Viel- dass sie – auch wenn sie gesiegelt waren – zahl von u nterschiedlichen Aktivitäten vom nicht zur Kontrolle beziehungsweise der Spinnen bis zur Landwirtschaft praktizier- Sicherung des Inhalts vor Zugriff gedient ten, die auf Subsistenz wirtschaft schließen haben können. Anders als über Schnüren an- lassen (Pollock et al. 1996; Pollock 1997, gebrachte S iegelungen (Ferioli et al. 2007, 79, 228; 1999, 100–01, zu Susa s. u. Szenario 3).5 Fig. II.11, 84, Fig. II.14), die man zum Öffnen Legt man obige Ausführungen zugrunde, eines Behälters lösen musste, mussten Ton kann dieses Szenario zu ökonomischen verschlüsse nicht zerbrochen werden, um an Strukturen in uruk-zeitlichen Städten dahin- den Inhalt eines Gefäßes zu gelangen, sondern gehend ergänzt werden, dass mit Bezug zum konnten schon bald nach ihrer Anbringung, Werkstoff Ton eine Spezialisierung in der sobald sie lederhart waren, abgenommen Herstellung und gleichzeitig eine ökonomische und wieder aufgesetzt werden, ohne dass dies Verschränkung zwischen den Tätig keiten deutliche Spuren hinterlassen hätte, wie sie für Keramikherstellung und Lagerung von eine Kontrollfunktion notwendig wären.6 5 Ein anderer Befund liegt für Khafaja vor, wo Kochen und Backen in Tempeln, nicht aber in Haushalten belegt sind (Pollock 1999, 98–100). 6 Fingereindrücke in den Verschlüssen und Perforationen, in denen Schnüre oder Stöckchen gesteckt haben könnten, werden in Chogha Mish dahingehend interpretiert, dass sie das mehrfache Abnehmen und wieder Aufsetzen der Verschlüsse erleichterten (Delougaz et al. 1996, 115–16). Diese Interpretation passt zwar zu obigen Ausführungen, dennoch möchte ich dem hier nicht folgen, sondern denke, dass dies experimentell geprüft werden sollte. Die experimentellen Verschlüsse aus dem oben geschilderten Versuch ließen sich ohne weitere Vorkehrungen problemlos abnehmen und wieder aufsetzen. 131
Carolin Jauß Tonverschlüsse Gefäß gesiegelte siegelungen Objekte gesamt ungesiegelt gesiegelt Chogha Mish 2032 8 16 347 Susa 17 B 28 x 1 9 Tab. 1. Übersicht zur Anzahl von Tonverschlüssen und gesiegelten Objekten aus Chogha Mish (Delougaz et al. 1996, 128–29, Tab. 13) und Susa (Le Brun 1978, 72–72, 84–85). Sieht man sich zudem die Befunde zu Ton- (17B1, 17B2) eines uruk-zeitlichen Gebäude verschlüssen aus Chogha Mish sowie dem komplexes gefundenen Tonverschlüssen kein bereits oben erwähnten spät-uruk-zeitlichen gesiegelter und es wurde nur eine an einem Gebäudekomplex in Susa an, so wird d eutlich, Krug angebrachte Versiegelung gefunden dass die Siegelung von Ton verschlüssen (Le Brun 1978, 84). die Ausnahme war (Tab. 1). In Chogha Mish fanden sich unter den insgesamt 2040 Das reine Verschließen der Gefäße scheint im publizierten Ton verschlüssen gerade einmal Rahmen der Nutzung von Tonverschlüssen im acht gesiegelte Verschlüsse (Delougaz et al. Vordergrund gestanden zu haben gegenüber 1996, 128–29, Tab. 13). Davon passen sechs, der Kontrolle der Inhalte beziehungsweise zu Gefäßen mit Mündungs durchmessern der administrativen Zuordnung von b efüllten über 6 cm und zwei, zu Gefäßen mit Gefäßen zu Personen oder Institutionen Mündungen unter 6 cm. Zudem sind durch deren Siegel. Administrative Kontrolle gesiegelte Objekte insgesamt d eutlich der Lagerung von Produkten, wie sie durch seltener vertreten als Tonverschlüsse: 347 Versiegelung von Behältnissen ausgeübt wird, gesiegelten Objekten (Tonverschlüsse, Gefäß scheint mir trotz der Verwendung des gleichen siegelungen, Bullae, Tafeln, Tonkugeln) Materials keine Rolle für die Tonverschlüsse stehen 2032 ungesiegelte Tonverschlüsse gespielt zu haben. Weder waren diese zur gegenüber.7 Dass unter den 347 gesiegelten Kontrolle der Entnahme von I nhalt geeignet, Objekten neben den acht Ton verschlüssen noch war die große Masse der Verschlüsse über nur 16 sonstige Gefäß versiegelungen („Jar eine Siegelabrollung einem Siegel und damit neck sealings“) gefunden wurden legt dessen Besitzerin oder Besitzer zuzuordnen.8 zudem nahe, dass die Versiegelung von keramischen Gefäßen generell nicht umfang In einer Auflistung der in Schicht 17B2 reich p raktiziert wurde. In Susa stellt sich in oben erwähntem Gebäudekomplex in die Situation ähnlich dar. Hier war unter Susa belegten Aktivitäten zählt Susan den insgesamt 28 in den zwei Phasen Pollock Tonverschlüsse zu den Belegen für 7 Zum Teil mag dieses Verhältnis auch mit der schlechteren Erhaltung beziehungsweise kleineren Fragmen- tierung der gesiegelten Objekte zu tun haben, aufgrund derer die Wahrscheinlichkeit, dass sie während der Grabung registriert wurden, geringer ist. 8 In Arslantepe stellt sich das Verhältnis umgekehrt dar. Dort sind unter den insgesamt 2250 Tonobjekten (cretulae) 37 Tonverschlüsse, von denen wiederum 11 einen Siegelabdruck aufweisen (Frangipane et al. 2007, Beilage filemaker Datenbank). Die Nutzung von Tonobjekten zu administrativen Zwecken überwiegt hier also deutlich der Nutzung für den Verschluss von Gefäßen. Ich danke Maria Bianca D’Anna für diesen Hinweis und die Datenbank-Recherche. Ebenso stellt sich die Situation im südwestiranischen mittel-uruk-zeitlichen Sharafabad dar. Hier fanden sich in einer Abfallgrube ein gesiegelter und ein ungesiegelter Tonverschluss und vier an den Schultern von Gefäßen angebrachte Versiegelungen, von denen auf einer ein Siegel abgerollt 132
Lehm und Lebensmittel Artefakte und Installationen Aktivitäten im nächsten Szenario näher dargelegt, zu Herstellung und typischen spät-uruk-zeitlichen Flaschen / oder passen (Le Brun 1978, 81; Delougaz et al. 19 Gefäßverschlüsse Lagerung von 1996, 84, 115–17, Tab. 10), kann zudem Lebensmitteln spezifiziert werden, dass es sich bei den mit (u. a. Getränke) Tonverschlüssen geschützten Produkten unter Kochen oder 7 Brennvorrichtungen anderem um flüssige Lebensmittel handelte. Backen 8 Reibsteine Reiben Sowohl für Chogha Mish als auch für Susa 1 Sichel Ernten bleibt offen, ob das Anbringen von Tonver- 13 Spinnwirtel Spinnen schlüssen und das Siegeln von Tonobjekten in 2 Nadeln Nähen den Händen derselben oder unterschiedlicher 4 teils halbfertige Herstellung von Keulenköpfe Keulenköpfen Personen lag beziehungsweise, in welchem 3 Siegel, 5 Tafeln Buchhaltung Verhältnis sie standen. Für Susa kann jedoch festgehalten werden, dass A rtefakte aus Tab. 2. Artefakte, Installationen und davon ableitbare beiden Praktiken und zusätzlich die Notation Aktivitäten im spät-uruk-zeitlichen Gebäude in Susa von Zahlen auf Tontafeln, also Verschluss- Akropole I 17B2. Kulinarische Aktivitäten grau hinterlegt. und Verwaltungspraxis gemeinsam in Aufbauend auf Pollock 1997, 229, Tab. 4, basierend auf Le Brun 1978. verschiedenen Räumen (Unité 1: Raum 757, Unité 2: 759, 797, 830) belegt sind (Le Brun 1978, 59–64, Abb. 15–16, 71–73, Tab. 3, 84–85, Buchhaltung (Pollock 1997, 229, Tab. 4) und Tab. 6, 101–29, u. a. Fig. 29–32). folgt damit einer gängigen Praxis.9 Auf der Basis oben stehender Ausführungen kann Das Aufkommen einer administrativen Elite dies dahingehend modifiziert werden, dass ist eines der zentralen Merkmale der massiven Ton verschlüsse nicht als Beleg für Buch gesellschaftlichen Veränderungen, die sich im haltung zu werten sind, sondern neben den Verlauf der Uruk-Zeit vollzogen. Mit dieser von Pollock gelisteten K ategorien „Kochen Elite assoziierte Praktiken der Buchhaltung, und Backen“ sowie „Reiben“ eine weitere vor allem in Form von auf Tafeln notierten kulinarische Aktivität belegen, nämlich die Zahlen und Schriftzeichen, fanden und f inden der Herstellung beziehungsweise Lagerung – berechtigter Weise – große Beachtung in von Lebensmitteln (Tab. 2). Das unterstreicht der Forschung (Englund 1998). Nicht zuletzt die Bedeutung der Lebens mittelherstellung aufgrund der disziplinären Trennung von und indirekt auch kulinarischer Aktivitäten, Archäologie und Philologie werden sie meist die ökonomisch dem Haushalt sowie r äumlich separat von anderen, insbesondere produk- dem h äuslichen B ereich zugeordnet w erden tiven Praktiken untersucht, obwohl sie in können. Da viele der Tonverschlüsse, wie vielen Fällen gerade die aus diesen Praktiken war (Wright et al. 1980, 278–81, Abb. 7). Insgesamt enthielt die Grube deutlich mehr Objekte zur Sicherung von Türen und Behältern (36) als Gefäßsiegelungen (4) und Tonverschlüsse (2) zusammen (Wright et al. 1980, 280, Abb. 7; Wright et al 1989, 112, Tab. 9.5). Dabei ist anzumerken, dass die in Chogha Mish und Susa häufig mit Tonverschlüssen verschlossenen, typisch spät-uruk-zeitlichen Tüllenflaschen in der mittleren Uruk-Zeit noch nicht gebräuchlich waren und dass Flaschen auch in Arslantepe selten waren (D’Anna 2015, 60). 9 Siehe z. B. Delougaz et al. (1996, 115) für Chogha Mish und Strommenger et al. für Habuba Kabira (2014, VIII). In beiden Publikationen werden die Tonverschlüsse jedoch lediglich in der Einteilung der Beschreibung der Funde, also der Gliederung der Grabungsdokumentationen im Bereich Verwaltung, Handel geführt. Eine handlungsorientierte beziehungsweise ökonomische Analyse von Verschlüssen oder Fundkontexten erfolgt nicht. 133
Carolin Jauß resultierenden Produkte beschreiben (D’Anna von derselben Person ausgeführt wurden, so et al. 2015; Jauss 2015, 31–32; Nissen 2000). war doch in jedem Fall allen diese Räume Es steht außer Frage, dass die Kontrolle von nutzenden oder in ihnen ihrer Tätigkeit Lebensmitteln, für die administrative Mittel nachgehenden Personen sowohl die generelle eingesetzt wurden, ein bedeutendes Element Praxis des jeweils anderen Handlungsbereichs der sozialen Kontrolle darstellt, die von als auch der konkrete Stand der Dinge Eliten praktiziert wurde. Sie war ein maß- zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt. gebliches Mittel für die Etablierung und den Inwiefern beziehungsweise in welchem Erhalt der starken hierarchischen Gliederung Umfang die administrativen Praktiken und uruk- zeitlicher Gesellschaften, grob gesagt auch die H erstellung und oder Lagerung von in solche, die Nahrung kontrollierten und Getränken in Flaschen für die Organisation ver teilten und solche, die abhängig waren beziehungsweise Subsistenz der Haushalte in vom Erhalt dieser Nahrung. Die separate Chogha Mish und Susa selbst oder darüber Behandlung der beiden Bereiche in der hinausgehende Aktivitäten wie die Rations Forschung suggeriert tendenziell eine große ausgabe an für den Haushalt arbeitende Distanz von Administration und Produktion Personen,10 Abgaben an übergeordnete Insti- und damit auch getrennte soziale Sphären. tutionen oder Handel genutzt wurden, muss In vielen Fällen trifft dies sicher zu, gerade an dieser Stelle offen bleiben, genauso wie in Uruk selbst, wo administrative Tafeln aus die Frage, ob die verwaltenden Tätigkeiten institutionellen Kontexten stammen. Inner- Teil haushalts interner Administration oder halb von Haushalten war dies allerdings nicht in bürokratische Prozesse staatlicher Institu- der Fall. Hier finden sowohl Lebensmittel tionen eingebunden waren.11 Es kann jedoch produzierende als auch verwaltende Tätig- festgehalten werden, dass Wissen über admi- keiten in einer Einheit statt. Die räumliche nistrative Tätigkeiten und damit Einblicke in Koinzidenz von kulinarischen und verwalte- die Mechanismen der Kontrolle von Lebens- rischen Praktiken innerhalb von mehreren mitteln, nicht nur einer kleinen meist männlich Räumen des Gebäudekomplexes in Susa lässt gedachten Elite von Verwaltern vorbehalten zudem eine soziale Nähe der Praktiken an war, sondern breiteren Bevölkerungsteilen, zu- nehmen. Selbst wenn die Aktivitäten nicht mindest den Angehörigen eines Haushaltes, 10 Wie Arbeit auf Haushaltsebene in Siedlungen der späteren Uruk-Zeit organisiert und verteilt war ist nicht abschließend erforscht (Pollock und Bernbeck 2000). Zu den textlichen Quellen der Verwaltung von Arbeit in der auf die Uruk-Zeit folgenden proto-elamischen Epoche siehe Dahlund KollegInnen (Dahl et al. 2018). Der bisherige Stand der Entzifferung des proto-Elamischen und die Erkenntnisse aus den textlichen Quellen lassen noch keine tragfähigen Schlüsse darüber zu, welche Stellung genau die in Texten genannten Personen hatten und welche Arbeiten sie ausführten. Was soziale Strukturen der Arbeitsorganisation angeht, zeigen sie jedoch, dass es „[...] a complex system of division of labour and specialized task distribution“ gab (Dahl et al. 2018, 31), in dem Frauen, Männer und eventuell auch Kinder involviert waren und in dem Vorarbeitende für Gruppen von Arbeitenden verantwortlich waren (Dahl et al. 2018, 16–17, 31–32). 11 Die Kontrolle und Verwaltung von Gütern wird meist in institutionelle Kontexte eingeordnet beziehungs- weise in Umgebungen, in denen ein Austausch von Gütern z. B. durch Handel, Tribut oder Rationen von statten ging und professionelle männliche Verwalter oder Bürokraten wirtschaftliche Vorgänge dokumen- tierten und kontrollierten. Für die Uruk Zeit ist diese Perspektive auf Siegelpraxis als Teil institutioneller Organisation und Machtausübung die gängige (Nissen 2000). In einem Beitrag mit dem Titel „Which Came First, the Bureaucrat or the Seal?“ betont Kim Duistermaat jedoch „ [...] when a sealing system did emerge, in the Late Neolithic Period, seals were used by large numbers of people to control their stored private goods. Sealing systems were in place before bureaucratic or hierarchical administrative systems emerged and elites began to exploit the power of seals.” (Duistermaat 2012, 1). Der Blick in uruk-zeitliche Haushalte, wie hier das Beispiel Susa, lässt die Frage aufkommen, inwiefern auch in der Uruk-Zeit weiterhin haushaltsinterne Administration unter Verwendung von Siegeln stattfand. 134
Lehm und Lebensmittel bekannt gewesen sein dürfte. Da davon auszu- – meines Erachtens unwahrscheinlich. Um gehen ist, dass in einem Haushalt Frauen und welches Getränk beziehungs weise welche Männer gleichermaßen arbeiteten und Tätig- Getränke es sich h andelte, möchte ich hier keiten Hand in Hand gingen, sollte auch die nicht erörtern, dazu wäre u. a. eine Analyse der Einbindung von Frauen in das wirtschaftliche Nutzungseigenschaften von Tüllenf laschen und buchhalterische Geschehen eines Haus- notwendig. Einmal mehr möchte ich statt haltes nicht unterschätzt werden. dessen auf einen Fundkontext in Chogha Mish blicken, in dem Tonverschlüsse und Szenario 4: Verschließen und Verzehren Glocken töpfe und damit Belege für ein Abschließend möchte ich einen Vorschlag Getränk und den Konsum von Lebensmitteln dazu unterbreiten, was über die in Chogha zusammen kommen. Von den 2040 Tonver- Mish gefundenen Tonverschlüsse zu den von schlüssen, die aus Chogha Mish publiziert sind, ihnen geschützten Produkten beziehungs stammen allein 1266 aus einem Abfallkontext, weise deren Verzehr im Rahmen von der als „pottery deposit“ (z. B. Delougaz et kommensalen Aktivitäten zu erfahren ist. al. 1996, 116, Tab. 10, 399–400) oder „great Beveled-rim Bowl Deposit“ (Delougaz et al. 97% der Tonverschlüsse aus Chogha Mish und 1996, 147, Pl. 8) bezeichnet wird.12 Davon 61% der Tonverschlüsse aus Susa sind klein sind 1259 sogenannte „bottle stoppers“, also und passen zu länglichen, typisch spät-uruk- Verschlüsse, die zu Tüllen f laschen passen; zeitlichen Flaschen mit gebogener Tülle und nur sieben passen zu Gefäßen mit größe- kleinem Mündungsdurchmesser, die sich zur ren Öffnungen (Delougaz et al. 1996, 116, Aufbewahrung von Flüssigkeiten eigneten Tab. 10).13 Die große Anzahl an Tonverschlüs- (s. Abb. 6; Delougaz et al. 1996, 116–17, sen legt den Schluss nahe, dass der Konsum Tab. 10 [Tonverschlüsse], Pl. 111 [Flaschen]; Le Brun 1978, 85, Tab. 5 [Tonverschlüsse], 123, Fig. 30 [Flaschen]; zu den Flaschen s. auch Wright in diesem Band). Diese Flaschen wurden, wie bereits erwähnt, mit großer Wahrscheinlichkeit im Zusammen- hang mit der Herstellung und oder Lagerung von Getränken genutzt. Weiter oben habe ich bereits dargestellt, dass Herstellung, N utzung und Entsorgung von Ton verschlüssen in Chogha Mish innerhalb der Siedlung zu ver- orten sind. Dies macht es wahrscheinlich, dass auch das in den Tüllenflaschen aufbewahrte Getränk in der Siedlung hergestellt und oder gelagert sowie konsumiert wurde. Der Import des G etränks in oder der Export aus der Siedlung hinaus ist – zumindest in mit Abb. 6: Volumina von Tüllenflaschen aus Chogha Mish (in Tonverschlüssen abgedeckten Tüllenflaschen Litern). 12 Bei dem Abfallkontext handelt es sich um die zusammenhängenden Loci P18: 301 und Q18: 301. Die Höhe des Kontextes beträgt ca. 2 m. Es handelt sich nicht um eine Grube, sondern um eine flächige Ausdehnung ohne klare Begrenzung (Delougaz et al. 1996, 128, 399–400, 405–06). 13 Zu den Tüllenflaschen selbst ist aus Chogha Mish wenig bekannt. Publiziert sind lediglich einige Exemplare. Angaben zur Quantität und den Fundkontexten fehlen. 135
Carolin Jauß des in Tüllen f laschen auf bewahrten Ge- für die Uruk-Zeit typischen, in Massen in tränks eine bedeutende kommensale Praxis in Modeltechnik hergestellten groben Schalen.16 Chogha Mish darstellte. Welch große Mengen Es steht außer Frage, dass Glockentöpfe für des Getränkes getrunken wurden, lässt sich unterschiedliche Zwecke genutzt wurden, verdeutlichen, indem man sich die Volumina wobei eine umfangreiche Literatur zur der Tüllenflaschen ansieht.14 Diese rangieren Interpretation von Glockentöpfen existiert, in Chogha Mish zwischen ca. 2,5 Litern und auf die ich hier nicht weiter eingehen ca. 10 Litern (Abb. 6).15 möchte (Jauss 2013; Pollock 2012, 160). Auf greifen möchte ich die breit akzeptierte und Ob alle Flaschen angesichts ihrer unter- rezipierte Interpretation von Glockentöpfen schiedlichen Größe im Zusammenhang mit als G efäße, aus denen Nahrung konsumiert dem gleichen Getränk und den gleichen wurde, kombiniert mit der Interpretation kommensalen Aktivitäten genutzt wurden, als Rationsgefäße im Rahmen der Vergabe soll hier nicht diskutiert werden. Stellt man von Nahrung in institutionellen Arbeits stattdessen eine Überschlagsrechnung an kontexten (Nissen 1970; Pollock 2003; 2012, und geht davon aus, dass jeder Tonverschluss 156, 160). Die Institutionalisierung kom- eine durchschnittliche Flaschenfüllung von mensaler A ktivitäten und deren Verortung im 4,5 Litern repräsentiert, so kommt man auf Arbeitskontext zusammen mit der Ausgabe 5665 Liter Flüssigkeit, die sich aus den Ton- von individuellen, in Schalen ausgegebenen verschlüssen im Abfallkontext rückschließen Portionen, stellt eine bedeutende Äußerung lässt. der zunehmend hierarchischen von Abhängig keiten geprägten Gesellschaftsordnung in Wie der Name „Great Bevelled-rim Bowl der Uruk-Zeit dar und war ein wichtiges, Deposit“ sagt, bestand der Abfallkontext, aus diese Ordnung reproduzierendes und damit dem die Tonverschlüsse stammen, vor allem stabilisierendes Element (Bernbeck 2009; aus großen Mengen an Glocken töpfen, den Pollock 2013a, 156–62). 14 Zur Anzahl der Tüllenflaschen, ihrem genauen Anteil am gesamten keramischen Repertoire in Chogha Mish oder ihren konkreten Fundkontexten liegen keine Daten vor. Zu den Fundkontexten der Flaschen, wird in der Grabungspublikation lediglich darauf hingewiesen, dass Tüllenflaschen im Verhältnis zu anderen Gefäß- typen eher häufig anzutreffen sind und konzentriert in bestimmten Loci gefunden wurden (Delougaz et al. 1996, 84). 15 Gemessen anhand der publizierten Zeichnungen (Delougaz et al. 1996, Pl. 111) mit dem von Jean-Paul Thalmann für das Projekt ARCANE entwickelten Programm PotUtility. Aus Susa sind drei Flaschen mit messbarem Volumen publiziert (Le Brun 1978): Fig. 30.12: 2,1 Liter; Fig. 30.14: 3 Liter; Fig. 30.06: 16,4 Liter. 16 Auf Fotos von Locus P18: 301 sind die meisten Glockentöpfe intakt (Delougaz et al. 1996, 399–400, Pl. 8). Sie wurden demnach eventuell intakt weggeworfen, sind während der Lagerung im Abfallkontext zerbrochen und wurden dann in der Grabungsdokumentation als einzelne Scherben gezählt. Insgesamt wurden in beiden Loci zusammen 462 intakte Glockentöpfe und 63.960 Scherben von Glockentöpfen registriert. Nimmt man pro Topf 6 Scherben an, kommt man auf 10.660 komplette Glockentöpfe. In der Beschreibung zu P18: 301 werden 927 „bottle stopper“, in der Beschreibung zu Q18: 301 4 „stopper“ gelistet. In einer Tabelle zur Ver- teilung der Tonverschlüsse sind jedoch 1266 Verschlüsse angeführt (Delougaz et al. 1996, 116–17, Tab. 10). Ich richte mich hier nach letzterer Tabelle. Zudem fanden sich laut der Beschreibung der beiden Loci im Abfallkontext Scherben von anderer Keramik und weitere Artefakte in geringen Zahlen (Delougaz et al. 1996, 399–400, 405–06). Tierknochen werden in der Beschreibung der Loci nicht erwähnt, jedoch sind in einer auf der Homepage des Oriental Institut Chicago publizierten Exceltabelle zu Tierknochen aus Chogha Mish 41 Knochen unterschiedlicher Säugetiere aus P18: 301 gelistet (https://oi.uchicago.edu/research/pu- blications/oip/chogha-mish-volume-ii-development-prehistoric-regional-center-lowland, zuletzt eingesehen 21.02.2020). 136
Lehm und Lebensmittel Als ein illustratives Beispiel dafür, wie die des Gebäudekomplexes (17B1) unter anderem Ausgabe von Nahrung in Chogha Mish aus gemeinsam mit weiteren keramischen Gefäßen gesehen haben könnte, hat Susan Pollock in einem Raum (751), der evtl. als Lager bereits auf in mehreren Kontexten der raum diente (Le Brun 1978, 64–67). Henry Grabung mit der Öffnung nach unten in T. Wright geht mit Bezug zur ersten Phase Reihen platzierte Glockentöpfe verwiesen, des Gebäudekomplexes (17B2) davon aus, dass die ihrer Ansicht danach aussehen, als hätten der Ausschank von Getränken aus Flaschen sie schnell befüllt und wie in einer Kantine und deren Konsum aus unter schiedlichen fließbandartig ausgegeben werden können Schalen zur kommensalen Routine der Haus- (Pollock 2012, 162; Bernbeck und Pollock halte in Susa gehörte (Wright 1998, 186). 2002, 193; Delougaz et al. 1996, 50, Pl. 15 Eindeutige Hinweise, aus welchen Gefäßen A–C). Ähnlich könnte die große Anzahl von und in welchen kommensalen Aktivitäten ein Tonverschlüssen als Entsorgung der Ver- Getränk aus Tüllenflaschen verzehrt wurde, schlüsse nach konzentrierten, institutionell gibt es für Susa jedoch keine. verankerten Konsumaktivitäten interpretiert werden, nach denen die Verschlüsse immer Susan Pollock hat vorgeschlagen, dass es wieder am selben Ort entsorgt wurden. Von sich bei der in Glockentöpfen ausgegebenen wem und über welchen Zeitraum das „Great Nahrung um vornehmlich flüssige Bevelled-rim Bowl Deposit“ genutzt wurde, Nahrungsmittel handelte, die „on the spot“ kann aufgrund mangelnder Informationen konsumiert wurden, also in der Nähe oder in der Grabungs dokumentation nicht ein- an dem Ort, an dem sie in die Schalen ge- gegrenzt werden. Dementsprechend bleibt 17 füllt und zeitlich kurz nachdem sie an die offen, ob der Abfallkontext aus großen Personen aus gegeben wurden, die sie ver- kommensalen Events mit vielen P ersonen zehrten ( Pollock 2003, 29–31; 2012, 156, oder häufigen Aktivitäten mit weniger 160–61; s. auch B ernbeck 2009). Sie schlägt Personen hervorgegangen ist. Auch dazu, wie vor, dass es sich um ein dickflüssiges Bier ge- diese zeitlich strukturiert waren, ob es sich um handelt haben könnte (Pollock 2012, 161). Der alltäglichen regelmäßigen Nahrungskonsum gemeinsame Fundkontext von Glockentöpfen handelte, um seltene besondere Aktivitäten und Tonverschlüssen von Tüllen f laschen oder um saisonal verankerte kommensale legt nahe, Schalen und Flaschen in einen Aktivitäten, die eventuell an die Verfügbar- Zusammen hang zu bringen und zu über keit von Zutaten für das in den Flaschen legen, ob die Glockentöpfe mit dem Getränk hergestellte Getränk oder landwirtschaft- aus den Tüllenflaschen befüllt worden sein liche Arbeitszyklen gekoppelt waren, wie könnten.18 Bei einem durchschnittlichen sie in einem dörflichen Kontext im mittel- Volumen von 700 ml eines Glockentopfes und uruk-zeitlichen Sharafabad anzutreffen sind unter der Annahme, dass der Topf bis zum (Pollock 2008, 61), gibt es keine Hinweise. In Rand gefüllt wurde, hätten mit den oben Susa wurden Tüllenflaschen, Tonverschlüsse überschlagsartig berechneten 5665 Litern und Glockentöpfe im Kontext eines Haushaltes ca. 8100 Glockentöpfe befüllt w erden können genutzt und fanden sich in der zweiten Phase (für V olumina von Glockentöpfe aus Chogha 17 Der Versuch, eine Zuordnung der im „Great Bevel-rim Bowl Deposit“ P18: 301 und Q18: 301 gefundenen Versiegelungen zu Haushalten über einen Vergleich der im Abfallkontext präsenten Siegelbilder mit solchen aus architektonischen Kontexten herzustellen, erbrachte mit den in der Grabungspublikation vorhandenen Daten keine Ergebnisse. 18 Für Arslantepe konnte Maria Bianca D’Anna mit der Korrelation von „mass-produced bowls“ und Versiege- lungen (cretulae) in unterschiedlichen Fundkontexten einen Zusammenhang zwischen Siegelungspraxis, der Öffnung von Behältnissen und Essenzuteilungen aufzeigen (D’Anna 2020). 137
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