Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungs eigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran

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Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungs eigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran
Herausgeber*innenkollektiv, eds. 2021. Pearls, Politics and Pistachios. Essays in Anthropology and Memories on the
Occasion of Susan Pollock’s 65th Birthday: 123–42. DOI: 10.11588/propylaeum.837.c10739.

                     Lehm und Lebensmittel.
    Tonverschlüsse, ihre Nutzungs­eigenschaften und vier kleine
         Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran

                                                Carolin Jauß

                     Einleitung                            Gefäß abnehmen? Wie kann man ein mit Ton
                                                           ­verschlossenes Gefäß b­ ewegen? Diese Fragen
Lehm ist ein in den unter wirtschaftlichen                  stellte ich mir, als ich mich ­während der ­Arbeit
­Aspekten in der Vergangenheit rohstoffarmen                an meiner Dissertation im Rahmen von Susan
 alluvialen Schwemmebenen des südlichen                     Pollocks Topoi-­     Projekt „­Commensality and
 Iraks und südwestlichen Irans, reichlich                   ­Shared Space in the C     ­ ontext of Early State
 vorhandener Rohstoff. Neben Wasser und                      and Urban D   ­ evelopment in ­Mesopotamia and
 Schilfrohr bildete er die Basis von m
                                     ­ ateriellen            Southwest Iran“ – die aus den unterschied-
 Äußerungen unterschiedlichster Bereiche des                 lichsten ­Gründen noch nicht zu einem Ende
 Lebens und Wirtschaftens. Lehm und sein                     gekommen ist – mit der Verschließbarkeit
 feinkörniger Bestandteil Ton waren sowohl                   von keramischen G     ­ efäßen befasste. Aus den
 ungebrannt als auch gebrannt in Form unter­                 Fragen ist der ­
                                                             ­                    Impuls entstanden, einmal
 schiedlichster Gegenstände omni­        präsent             selbst aus­zuprobieren, was über viele E ­ pochen
 an allen Orten, in allen gesellschaftlichen                 zum Alltag in Mesopotamien gehörte,
 Bereichen und über alle von der Archäo­                     ­nämlich ein Gefäß mit Ton zu verschließen.
 logie Westasiens untersuchten Epochen. Von                   Dies ­mündete in einen kleinen Versuch, den
 Lehmziegeln, Verputz und Stampflehm­böden                    ich hier schildern möchte. Der Beschreibung
 über Spinnwirtel, Sicheln und keramische                     meiner Beobachtungen aus dem Versuch
 ­Gefäße bis hin zu Figurinen und nicht zuletzt               werde ich einige generelle Gedanken zur Ver-
  als Träger von Schrift in Form von Tontafeln                wendung von Tonverschlüssen folgen lassen,
  sind Artefakte aus Lehm und Ton Gegen-                      die für Tonverschlüsse aus allen ­Epochen und
  stand in der archäologischen genauso wie der                geo­ graphischen Regionen zutreffen. Diese
  philologischen Forschung zur Vergangenheit                  Gedanken werden ergänzt mit vier Fall­
                                                              ­
  Westasiens.                                                 studien zur späteren Uruk-Zeit (zweite Hälfte
                                                              4. Jt. v. u. Z.) mit Fokus auf Fundorten im
Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich                  ­Südwestiran. Die Fallstudien basieren auf einer
mit ungebranntem Ton, der zur A    ­ bdeckung                  fundortgebundenen und zum Teil nur kleinen
von keramischen Gefäßen verwendet wurde.                       Datenbasis und sind daher lokale ­Szenarien,
In vielen Fällen wurden in Gefäßen Lebens­                     die vor allem als Denkanstöße oder Anregung
mittel produziert oder gelagert, die durch                     gedacht sind, wie ausgehend von Objekten
Ton­verschlüsse vor äußeren Einflüssen ge-                     – in diesem Fall Ton­verschlüssen – weitere
schützt wurden. Wie dicht verschließt solch ein                Überlegungen zu den mit ihnen verbundenen
Tonverschluss ein Gefäß? Wie gut schützt er                    Praktiken angestellt werden können.
den Gefäßinhalt? Was passiert, wenn der Ton
­während des Trocknungsvorgangs schrumpft? Unter Tonverschluss verstehe ich im ­Folgenden
 Wie kann man einen Tonverschluss von einem Ton, der zum Verschluss einer Gefäßöffnung
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Carolin Jauß

in plastischem Zustand auf die Mündung eines     ihr materielles Umfeld mit einbezogen. Die
keramischen Gefäßes g     ­edrückt wurde. Im     Verschlüsse werden als Teil von Praktiken
archäo­logischen Befund sind Tonverschlüsse      im Zusammenspiel mit den Gefäßen, die sie
als getrocknete Artefakte aus ­ungebranntem      verschlossen und dem Inhalt dieser Gefäße
Ton erhalten. Wie ­      andere Objekte aus      gesehen. Zum anderen wird die Hand­habung
ungebranntem Ton, können Tonverschlüsse
­                                                von Verschlüssen und verschlossenen ­Gefäßen
Träger von eingedrückten Stempelsiegel­          betrachtet. Damit geht der Blick in Rich-
abdrücken oder Abrollungen von Rollsiegeln       tung der Personen, die in diesen Praktiken
sein und die Abdrücke auf ihren Rück­seiten      handelten.
liefern Erkenntnisse zu den ­
­                                Objekten, an
denen der plastische Ton angebracht wurde.       Der Blick auf Nutzungseigenschaften sowie
Zum einen stehen häufig die auf dem Ton­         Nutzungszusammenhänge dieser ­spezifischen
verschluss eingedrückten Siegelbilder im         Gegenstände bedeutet einen Zugang zu vergan-
Fokus ikonographisch oder kunst­geschichtlich    genem gesellschaftlichem ­Handeln über einen
orientierter Forschungsfragen. Zum a­ nderen     kleinen Ausschnitt auf der Mikro-­Ebene. Für
werden Ton­    objekte zur Versiegelung von      eine Einordung meiner Betrachtungen in einen
Behältern und Türen, zu denen häufig             größeren theoretisch reflektierten ­     Rahmen
auch Tonverschlüsse gezählt werden, meist        fehlt hier der Raum. Es soll jedoch nicht un­
als I­nstrumente zur Kontrolle von Waren         erwähnt bleiben, dass – wie nicht z­ uletzt Susan
vor­rangig im ­Rahmen a­ dministrativer Tätig-   Pollock wiederholt betont hat – ein Fokus auf
keiten untersucht (­  Fiandra und ­Frangipane    die Mikro-Ebene ­gesellschaftlichen Handelns
2007). Wie wir im ­Folgenden sehen ­werden,      dazu beiträgt, beziehungs­weise es überhaupt
sollten Ton­ verschlüsse ­jedoch – auch wenn     erst möglich macht, einseitige, meist aus einer
sie ­ gesiegelt sind – von ­    Versiegelungen   Elite-­Perspektive gespeiste, Narrative aufzu-
­unterschieden ­werden, die zur Sicherung der    brechen (Bernbeck und Pollock 2002; Pollock
 Inhalte ­angewandt wurden.                      2013a). Nur auf der Mikro-Ebene können wir
                                                 unterschiedliche Positionalitäten erfassen, die
Der Ausgangspunkt meines Blicks auf Ton­         Komplexität, Vielfältigkeit und Kontingenz
verschlüsse ist ein anderer. Viele der G
                                       ­ efäße, die
                                                 gelebter – auch alltäglicher – Praxis auf­zeigen
mit Tonobjekten ver­siegelt oder v­ ­erschlossen und uns damit subjektivem Erleben auch und
waren, enthielten Lebens­        mittel. Daher   vor allem derjenigen, die sozial niedriger
sind diese Objekte aus un­     gebranntem Ton    gestellt und benachteiligt waren, nähern. In
nicht beziehungsweise nicht nur m       ­ aterielle
                                                 diesem Sinne kann dieser Beitrag, der dezidiert
­Äußerungen von ­Verwaltung, ­sondern            auf eine kleinteilige Betrachtung ausgerichtet
 in erster Linie als Teil der ­      Materialitätist, als Mosaikstein verstanden werden, der
 ­kulinarischer Praktiken zu sehen. Innerhalb    einerseits Einblicke auf der Mikro-Ebene
  dieser können Tonverschlüsse Auskunft über     gewährt und andererseits unterschiedliche
  Praktiken der Herstellung, der Lagerung
  ­                                              weiter gefasste Überlegungen ergänzen kann.
  oder des Transports von Lebensmitteln in       Insbesondere die weiter unten ausgeführten
  den mit ihnen verschlossenen Gefäßen geben.    vier Szenarien sind in diesem Sinne kleine
  Dementsprechend sollen Tonverschlüsse          Mosaiksteinchen, die sich in Susan Pollocks
  in ihrer materiellen Dimension als Objekte     Arbeiten zur Uruk-Zeit einfügen.
  aus Ton sowie in ihren nutzungsrelevanten
  ­Eigenschaften betrachtet werden. Ausgangs-       Experimentelle Beobachtungen beim
   punkt meiner Ausführungen ist der praktische      ­Verschließen von Gefäßen mit Ton
   Umgang mit Tonverschlüssen. Sie werden
   dabei nicht exklusiv als separate Artefakt­ Im Weiteren sei zunächst der Versuch geschil-
   gruppe untersucht. Vielmehr wird zum einen dert, der bereits im Sommer 2016 stattfand.

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Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungs eigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran
Lehm und Lebensmittel

  a)                       b)
                  0        5 cm                                    c)                                d)

Abb. 1. Für den Versuch benutzte Gefäße: a) Wasserkaraffe, b) Glasgefäß. c, d) Die Gefäße jeweils mit frisch angebrachtem
Tonverschluss. Fotos: Carolin Jauß.

                                                                                           0              5 cm

                      a)                                      b)                                     c)
Abb. 2. a) Während des Trocknungsvorgangs bilden sich Risse im über den Gefäßrand reichenden Bereich des Verschlusses,
b) Teile des Verschlusses sind abgerochen, c) Trockener Tonverschluss von unten. Zu sehen sind Bruchstellen und Risse am
Rand. Fotos: Carolin Jauß.

Eine keramische Wasserkaraffe mit schmalem,                   schamottierter Ton. Dabei ergaben sich die
leicht konischem Hals aus der ägyptischen                     folgenden Beobachtungen.
Oase Dakhla (Mündungsdurchmesser 5 cm)
und ein bauchiges Glasgefäß mit kurzem Hals                   Tonverschlüsse ziehen sich während des
(Mündungsdurchmesser 5,2 cm) wurden je                        Trocknungsvorgangs auf dem Gefäß
einmal ohne Inhalt und einmal mit Wasser                      ­zusammen. Daraus resultiert, dass der Ver-
befüllt mit Tonverschlüssen verschlossen                       schluss kleiner wird, er schrumpft. Überlappt
(Abb. 1). Verwendet wurde handelsüblicher                      der Ton des Verschlusses nach dem Anbringen

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Carolin Jauß

                                a)                                                 b)

Abb. 3. a) Verschluss zieht sich während des Trocknungsvorgangs zusammen. b) Es hat sich eine Lücke zwischen Verschluss
und Gefäßrand gebildet. Fotos: Carolin Jauß.

in feuchtem Zustand an der äußeren Lippe                     nicht mehr fest. ­Zutreffender als der Begriff
über den Rand des Gefäßes, kann dies dazu                    Tonstöpsel (englisch „jar ­stopper“/ „bottle
führen, dass sich durch die im Rahmen des                    stopper“), der häufig ­benutzt wird, wäre in
Schrumpfungsvorgangs ­   entstehende Span-                   diesem ­Zustand der Begriff ­Ton­deckel. Ton-
nung Risse bilden und Teile des Verschlusses                 verschlüsse k­önnen also, s­obald sie etwas
abbrechen (Abb. 2).1                                         geschrumpft sind und dadurch nicht mehr
                                                             fest sitzen, ­
                                                                          abgenommen und wieder auf-
Bei einem Verschluss, der so angebracht                      gesetzt werden.2 Beim e­rneuten Aufsetzen
war, dass er nur sehr geringfügig über den                   der Verschlüsse ist a­llerdings eine gewisse
­schmalen Rand des Glasgefäßes überstand,                    Sorgfalt gefragt. Die Verschlüsse passen
 zog sich der Verschluss soweit zusammen,                    sich beim Aufdrücken auf das Gefäß in
 dass Lücken zwischen Gefäßrand und                          feuchtem Zustand exakt der Randform an,
 ­Verschluss entstanden (Abb. 3).                            welche bei handgefertigten Keramik­gefäßen
                                                             selten exakt kreisrund, s­ ondern meist etwas
Die Tonverschlüsse waren bei einer durch-                    asymmetrisch ist. Will man den Verschluss
schnittlichen Raumtemperatur von ca. 24° C                   in trockenem ­    Zustand tatsächlich pass-
nach drei Tagen lederhart, saßen schon                       genau aufsetzen und den ­     Abrieb oder das
nicht mehr fest auf dem Gefäß und k­ onnten                  Ab­brechen von Ton­     material vermeiden,
problemlos abgenommen und ­
­                              wieder auf                    muss man ihn in der Position auf die Mün-
das Gefäß gesetzt werden. Nach sechs                         dung aufsetzen, in der er ursprünglich ins
Tagen waren sie vollkommen trocken                           Gefäß gepresst wurde. Auch bei Bewegung
und saßen nur noch locker in der Gefäß­                      des ­Gefäßes kann durch Abrieb Tonmaterial
mündung. Durch ihr Eigengewicht lagen                        vom ­Stöpsel ins Gefäß­innere g ­ elangen und
die Verschlüsse auch nach dem Trocknen                       sich mit dem Inhalt m ­ ischen. Wenn bereits
gut und relativ dicht auf dem Gefäßrand                      Teile des ­ Verschlusses ­  ab­
                                                                                           gebrochen sind,
auf. A
     ­ller­dings saßen sie bei B­ewegung                     brechen leicht weitere Stückchen ab.

1 Anja Fügert gab mir den freundlichen Hinweis, dass dies als typisches Bruchmuster bei neuassyrischen Ton-
  verschlüssen anzutreffen ist.
2 Siehe auch den Beitrag von Dessa Rittig zu Tonverschlüssen aus Tall Bi‘a/ Tuttul (Strommenger und Miglus
  2010, 98, 101) sowie Delougaz et al. (1996, 115).

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Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungs eigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran
Lehm und Lebensmittel

Der auf dem mit Wasser befüllten Glas­                        Verständnis der Handhabung von Ton­
gefäß sitzende Tonverschluss trocknete nur                    verschlüssen und damit zum Verständnis der
geringfügig langsamer als auf einem leeren                    Aktivitäten, für die sie in der Vergangenheit
Gefäß. Bei der mit Wasser befüllten Keramik­                  genutzt wurden, beitragen können.
karaffe blieb der Tonstöpsel so lange weich
und luftdicht, wie die Gefäßwandung feucht                              Abdichten vs. Abdecken
war. Ebenso lange saß er auch bei B ­ ewegung
fest im Gefäß. Er konnte sich das von seiner
                                          Tonverschlüsse dichten ein Gefäß nur ­direkt
Oberfläche verdunstende Wasser aus der    nach ihrer Anbringung luftdicht ab und
Gefäß­ wandung sozusagen nachziehen und   ­liegen nach ihrer Trocknung wie ein D­ eckel
war nur gering­   fügig weniger feucht und auf dem Gefäß auf. Da die Anbringung des
damit nur geringfügig kleiner, als direkt nach
                                           Verschlusses Auswirkungen darauf hat, ob
                                           ­
seiner Anbringung. Erst nachdem die Gefäß­ durch Zusammenziehen beim Trocknungs­
wandung getrocknet war, trocknete auch der vorgang Teile abbrechen oder Lücken
Stöpsel. Maßgeblich für die Befeuchtung eines
                                           zwischen Verschluss und Gefäßwandung
Stöpsels ist also nicht ein verdunstender Ge-
                                           entstehen, musste der Anbringung – sollte
fäßinhalt, sondern der Wasseraustausch überein Tonverschluss gut abdichten – Sorgfalt
den Kontakt mit der Gefäßwandung. Eine     entgegengebracht werden. Folglich war ein
feuchte Gefäßwandung bedeutet allerdings   gewisses Wissen über die Reaktionen des
auch, dass der Gefäßinhalt selbst über die Tonmaterials während des Trocknungs­
Wandung verdunstet.3 Die Wandung trock-    vorgangs notwendig. Auch die Position eines
net erst dann, wenn keine Flüssigkeit mehr im
                                           Gefäßes musste sorgfältig beachtet werden,
Gefäß enthalten ist.                       wenn der Verschluss möglichst dicht bleiben
                                           sollte. Steht ein Gefäß schräg, so kann ein
Zwar kann dieser kleine Versuch nicht als trockener geschrumpfter Verschluss in eine
repräsentativ angesehen werden, ­
                                trotzdem Richtung verrutschen, was ebenfalls dazu
möchte ich hier einige Überlegungen dazu führt, dass Lücken zwischen Verschluss und
anstellen, was die Beobachtungen zum Gefäßwandung entstehen (Abb. 4).

                                                              Sollten Gefäße dicht verschlossen bleiben,
                                                              mussten die Stöpsel jeweils ausgetauscht
                                                              ­werden, bevor sie komplett getrocknet waren.
                                                               Ein unter dem Verschluss in das Gefäß
                                                               gelegtes Textil konnte die Lücke zwischen
                                                               ­
                                                               getrocknetem Verschluss und Gefäßwandung
                                                               ausfüllen, wodurch ein Gefäß wieder dichter
                                                               verschlossen war (Abb. 5). Luftdicht wäre
                                                               aber auch eine Abdichtung mit einem Textil
Abb. 4. Nach rechts geneigte Gefäße mit trockenen Ton-         nicht.
verschlüssen. Dadurch, dass die Verschlüsse im trockenen
Zustand kleiner sind als bei der Anbringung, rutschen sie     Dass Textilien in der Uruk-Zeit in Kombi-
zur Seite und es bilden sich Lücken zwischen Verschluss und   nation mit Tonverschlüssen benutzt wurden,
Gefäßrand. Fotos: Carolin Jauß.

3 Im Fall der im Versuch verwendeten Karaffe war dies ein bereits bei der Herstellung beabsichtigter Effekt.
  Das Gefäß war als Wasserkaraffe hergestellt, bei der die Porosität der Gefäßwandung dazu dienen soll, dass
  durch die Verdunstung des in der Gefäßwandung absorbierten Wassers ein Kühlungseffekt eintritt (Bliss
  1989, 323–26).

                                                          127
Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungs eigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran
Carolin Jauß

                                                                   Bewegen und Transportieren

                                                          Gefäße mit Tonverschlüssen waren kurz nach
                                                          der Anbringung der Verschlüsse, solange die
                                                          Verschlüsse noch feucht bis lederhart waren,
                                                          gut transportierbar. Getrocknete Verschlüsse
                                                          hingegen sitzen nicht mehr fest. Ein ge-
                                                          trockneter Verschluss kann bei unruhigen
                                                          Bewegungen aus dem Gefäß fallen. Zudem
                                                          kann Tonmaterial abgerieben werden, das sich
                                                          mit dem Gefäßinhalt mischt. Tonverschlüsse
                                                          waren daher für kurze Transportwege gut ge-
                                                          eignet. Für den Transport von Gefäßen über
                                                          längere Zeiträume und Strecken, auf denen
                                                          die Verschlüsse trocknen würden, waren sie
                                                          hingegen weniger geeignet. Die Beweglichkeit
                                                          von mit getrockneten Tonverschlüssen abge-
                                                          deckten Gefäßen war demnach eingeschränkt.
Abb. 5. Ein unter den getrockneten Verschluss gelegtes
Textil schließt den Zwischenraum zwischen Gefäßhals und          Tonverschlüsse im uruk-zeitlichen
Verschluss. Foto: Carolin Jauß.                                            ­Südwestiran

zeigen vereinzelte Beispiele aus Arslantepe,              Soweit zu den allgemeinen ­Beobachtungen
Chogha Mish und Susa, wo Tücher und auch                  und Gedanken zu Tonverschlüssen. Es
Leder mit dem feuchten Ton in die Gefäße                  werden nun vier kleine Szenarien zur
                                                          ­
gepresst w  ­ urden und so als Abdruck auf                ­Nutzung von Tonverschlüssen in der ­späteren
den Unter­   seiten der Verschlüsse erhalten               Uruk-Zeit (zweite Hälfte des 4. Jahrtau-
­blieben (Ferioli et al. 2007, 79, 82–83, 115–16,          sends v. u. Z.) folgen. Was die m    ­ aterielle
 Fig. II.13; Alizadeh 2008, 360–61, Fig. 76.X;             Basis meiner Überlegungen angeht, kon-
 Amiet 1986, 20). Durch die Schrumpfung                    zentriere ich mich auf südwest­        iranische
 der ­Verschlüsse während des Trocknungs-                  Fundorte. Insbesondere stehen die aus
 vorgangs schließen diese zwar nicht mehr                  Chogha Mish publizierten Tonverschlüsse
 luftdicht ab, sondern liegen nur noch mit                 im Fokus (Delougaz et al. 1996), ergänzt
 Kontakt zur Gefäß­
 ­                       wand auf; gleichzeitig            mit Informationen zu Tonverschlüssen aus
 können sie ­jedoch leichter abgenommen und                einem spät-uruk-zeitlichen Gebäude­komplex
 wieder auf das Gefäß aufgesetzt werden. Auch              in Susa (Le Brun 1978). Während das
 wenn, wie oben b­eschrieben, eine gewisse                 ­Material in Susa zwei ­Nutzungshorizonten
 Sorgfalt ­ geboten war, waren getrocknete                  und ­einzelnen ­Räumen zugeordnet werden
 Verschlüsse also gut dafür geeignet Gefäße                 kann und damit in diesem Haushalt prakti-
 zu ver­schließen, aus denen mehrfach Inhalte               zierte Tätigkeiten ­repräsentiert, stammt das
 entleert oder auch wieder nachgefüllt wurden.              ­Material aus ­Chogha Mish überwiegend aus
 Genauso waren sie für Herstellungs­techniken                Abfall­kontexten ohne Bezüge zu ­bestimmten
 geeignet, bei denen die Manipulation des                    Haushalten oder stratigraphische Daten,
 Inhalts es notwendig macht, den Deckel mehr-                die eine präzise chronologische Zuordnung
 fach zu lüften und wieder aufzusetzen und für               möglich machen würden. Es lässt daher
 die ein dichter, jedoch kein absolut luftdichter            nur allgemeinere Schlüsse auf Ebene der
 Verschluss notwendig war.                                   ­gesamten Siedlung zu.

                                                      128
Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungs eigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran
Lehm und Lebensmittel

 Szenario 1: Verschließen und Verhandeln             Handel, geeignet war und machen es daher
                                                     unwahrscheinlich, dass mit Tonverschlüssen
Was die Uruk-Zeit betrifft, wurde Handel in          verschlossene Gefäße typische Transport­
der Forschung vielfach eine bedeutende Rolle         behälter waren, in denen in großem Stil
für gesellschaftliche Entwicklungen bei­             Waren gehandelt wurden. Entgegen der Idee
gemessen – sei es hierarchisch o­ rganisierter,      von überregionalem Handel deutet auch die
zentral gesteuerter regionaler Austausch als         Untersuchung von Pittman und Blackman zu
ökonomisches Gerüst früher Staaten oder              gesiegelten Objekten aus ungebranntem Ton
überregionaler Handel als Erklärung für              auf eine vor allen Dingen lokale Verwendung
das Auftreten als typisch südmesopotamisch           von Tonverschlüssen und -versiegelungen, wie
geltender Keramiktypen im Norden bis nach            sie auch für andere Fundorte, unter anderem
Anatolien und Richtung Osten vor allem               das anatolische Arslantepe, anzunehmen ist,
im Iran aber auch darüber hinaus (für einen          wo das Material für verschiedenste gesiegelte
zusammen­fassenden Überblick von Modellen,           Tonobjekte aus einer der Siedlung nahen Ton-
die von Handel als zentralem Element gesell-         ressource stammt (Pittman und Blackman
schaftlicher Entwicklungen ausgehen sowie zu         2016, 879, 881–83; Palmieri und Morbidelli
anderen Modellen s. Pollock 1992; Emberling          2007, 411, 414).
und Minc 2016; Minc und Emberling 2016;
McMahon 2019).                                              Szenario 2: Tonherstellung und
                                                                   ­Tonverwendung
Dass in der mittleren und späteren Uruk-Zeit
weder keramische Gefäße als solche, noch             Dies führt mich zu einem genaueren Blick auf
Behältnisse, die mit Objekten aus ungebrann-         das für die Tonverschlüsse verwendete Ma-
tem Ton versiegelt oder verschlossen waren,          terial. Für Tonverschlüsse aus den ­späteren
in größerem Umfang über lange Strecken in            uruk-zeitlichen Schichten der Fundorte
Handelsaktivitäten eine Rolle spielten, legen        Susa und Chogha Mish wurde feiner, wahr-
Ergebnisse von instrumentellen Neutronen-            scheinlich geschlämmter, zum Teil auch mit
aktivierungsanalysen (INAA) beider Gruppen           mineralischen oder pflanzlichen Zusätzen
von Objekten aus verschiedenen Fundorten             gemagerter Ton verwendet (Le Brun 1978,
aus dem gesamten mesopotamischen Raum                81; Delougaz et al. 1996, 115).4 Das bedeutet,
von Südmesopotamien und Südwestiran bis              das für Tonverschlüsse verwendete Material
Nordmesopotamien nahe (Emberling und                 war nicht der unbearbeitete Rohstoff Lehm
Minc 2016; Pittman und Blackman 2016).               oder Ton sondern wurde vor seiner Nutzung
Die Studien basieren auf der Analyse der             als Verschluss bearbeitet. Auch in Arslantepe
Zusammensetzung des Tons, seinem geo-                war dies der Fall, wo naturwissenschaftliche
logischen Fingerabdruck, der Rückschlüsse            Untersuchungen bestätigen, dass der Ton für
zur Herkunft der Gefäße beziehungsweise              cretulae – darunter Tonverschlüsse – speziell
Tonobjekte zulässt. Obige Beobachtungen              bearbeitet war (Palmieri und Morbidelli 2007,
aus dem Versuch ergänzen die Ergebnisse              409–14). Die Herstellung oder Lagerung von
der naturwissenschaftlichen Studien mit              Lebensmitteln in mit Ton verschlossenen
einem Argument auf der Handlungsebene.               ­Gefäßen war also genauso wie die Herstellung
Sie ­sprechen dafür, dass der Verschluss von          von Versiegelungen oder Tontafeln ­verbunden
Gefäßen mit Ton keine Praktik war, die für            mit Praktiken der Material­      bearbeitung,
den Transport von Gefäßen im R       ­ahmen           wie sie in der Archäologie meist im Bereich
von Handel, spezifisch überregionalem                 des Töpferhandwerks untersucht werden

4 Ebenso in Habuba Kabira in Nordsyrien (Strommenger et al. 2014).

                                                 129
Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungs eigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran
Carolin Jauß

(beispiels­weise Coursey 1997; Rice 1987;          (Delougaz et al. 1996, 115). Wenn Reste aus der
Skibo 1992). Dies sind Wissen und Fertig­          Herstellung und fertige O     ­ bjekte gemeinsam
keiten zur Bearbeitung des Rohstoffs Ton           weggeworfen wurden, ist es wahrscheinlich,
durch Schlämmen oder den Zusatz von                dass die Anbringung der Verschlüsse und
Magerungs­bestandteilen, ­Kenntnis darüber,        ihre Nutzung am selben Ort stattfanden. Mit
wie sich zugefügte ­Magerung auf die Eigen-        Bezug zur Herstellung des für Tonverschlüsse
schaften des Tons zum Beispiel ­  bezüglich        ­verwendeten Tons ist die E     ­ ntsorgung ­dieser
seiner ­ Plastizität oder seines Verhaltens         Objekte zudem dahingehend interessant,
beim ­Trocknen aus­wirken und nicht zuletzt         dass sowohl gebrauchte Tonverschlüsse
Kenntnis darüber, wie die Tonmasse durch
­                                                   als vor allem auch die ­         gekneteten Ton­
Zufügen oder Entzug von Wasser die für die          klumpen hätten recycelt w        ­erden können.
beabsichtigte Nutzung passende Konsistenz           Durch Zerkleinern, Einweichen, Kneten
erhält.                                             und gegebenen­falls den Entzug von Wasser
                                                    wäre wieder das Ausgangs­         material für die
Kenntnisse zur Verwendung der fertigen Ton-         Verschlüsse entstanden. Dieser Vorgang ist,
masse, zum Beispiel des Zeitraums, in dem           was den Arbeits­aufwand angeht, im Vergleich
sie plastisch genug für die jeweilige N­ utzung     zur ­  Herstellung neuer Tonmasse deutlich
bleibt, beziehungsweise die bereits oben            ­effizienter, da die Arbeitsschritte Ton aus der
­beschriebenen Schrumpfungseigenschaften             Tonquelle gewinnen, ­Schlämmen und Magern
 sind in jedem Fall bei denjenigen zu verorten,      nicht mehr notwendig sind. Beziehungs­
 die Verschlüsse, Versiegelungen oder Tontafeln      weise hätte man gebrauchte ­Verschlüsse oder
 herstellten und diese nutzten (zu Tontafeln s.      zumindest das überschüssige und demnach
                                                     ­
 Pollock 2016, 282; 2013b, 151 [entspricht 2019,     auch noch nicht potentiell durch Lebensmittel
 131]). Mit Bezug zu Tonverschlüssen sind das        verunreinigte Material mit den Tonvorräten
 Personen, die mit dem Verschluss der Gefäße         lagern können, die für die Zubereitung neuer
 und damit mit der korrekten Lagerung oder           Tonmasse zur Verfügung standen. Aus
 Herstellung der darin enthaltenen Produkte          Chogha Mish sind größtenteils Abfall­
                                                     ­
 betraut waren. Es stellt sich jedoch die Frage,     kontexte bekannt, aus einem Gebäudekomplex
 wer den für Tonverschlüsse verwendeten              der späteren Uruk-Zeit in Susa hingegen sind
 Ton herstellte. Wurde er von denjenigen, die        Raum­  inventare dokumentiert, unter denen
 Tonverschlüsse anbrachten, selbst hergestellt       sich auch Tonverschlüsse befanden. Hinweise
 oder verwendeten sie Ton, der von anderen           darauf, dass der für diese und andere admi-
 Personen und auch räumlich vom Ort seiner           nistrative Artefakte aus ungebranntem Ton
 Verwendung getrennt bearbeitet wurde?               genutzte Ton im Haushalt bevorratet wurde
                                                     oder ­Installationen, die zu seiner Verarbeitung
Für Chogha Mish lassen sich dazu einige              gedient haben, finden sich allerdings nicht
                                                     ­
­Vermutungen aus den Fundzusammen­hängen             (Le Brun 1978).
 der Tonverschlüsse ableiten. Von den 2040
 Tonverschlüssen, die aus Chogha Mish              Da folglich davon ausgegangen werden kann,
 publiziert sind, stammen 88% (1803) aus           dass für Verschlüsse jeweils neues Ton­material
 Abfall­kontexten (Delougaz et al. 1996, 128–      hergestellt wurde, liegt meiner Ansicht nach
 29, Tab. 13). Tonverschlüsse wurden also in       die Vermutung nahe, dass die Tonzubereitung
 großen Mengen entsorgt. Unter­a­nderem            weder räumlich noch personell im Rahmen
 fanden sich in diesen Abfallkontexten auch        der kulinarischen Praktiken anzusiedeln ist,
 Tonklumpen, die Spuren davon tragen, dass sie     innerhalb derer die Anbringung und Nutzung
 geknetet wurden und daher als Über­bleibsel       der Tonverschlüsse stattfanden. Denkbar
 aus der Herstellung von Ton­verschlüssen oder     ist vielmehr, dass die Herstellung des Tons
 Versiegelungen interpretiert werden können        von spezialisierten Personen übernommen

                                               130
Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungs eigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran
Lehm und Lebensmittel

wurde und demnach vielleicht im Töpfer-                Lebens­ mitteln sowie Verwaltung existierte.
handwerk zu verorten ist. Dort wären sowohl            Die Verwendung des Werkstoffs Ton in
die ­notwendigen Installationen und Wasser-            Haushalten, in denen er nicht zubereitet
sowie Magerungsvorräte zur ­     Herstellung           wurde, wie sie für ­Chogha Mish und auch
der Tonmasse, als eventuell auch gute Lager-           Susa zu vermuten ist, wäre ein ­        Hinweis
bedingungen, um Ton feucht zu halten und               auf ­ Kooperation und Zusammenarbeit in
nicht zuletzt die notwendigen Kenntnisse               ­Siedlungen über Tätigkeitsbereiche und Haus-
für die Herstellung der Tonmasse v­ orhanden            halte hinweg. Ist Ton nicht absolut luftdicht
­gewesen. Es ist zudem denkbar, dass es in              verschlossen, so trocknet er – i­nsbesondere in
 den Arbeitsabläufen einer Töpferei, die für            einer heißen und trockenen Region wie dem
 die ­Herstellung von Gefäßen große Mengen              Südwesten des Irans – schnell aus. Was die
 an Ton benötigte, ohnehin verankert war,               Intensität der aus der gemeinsamen Nutzung
 stetig genügend Vorräte des Rohstoffs Ton zu           von Ton resultierenden Kontakte betrifft,
 bevorraten, um regelmäßig frische Tonmasse             kann daher angenommen werden, dass diese
 herzustellen anstatt Ton zu recyceln, der in           häufig stattfanden, um den benötigten Ton für
 der Töpferei, oder auch der Lebensmittel­              Verschlüsse oder Verwaltungsobjekte jeweils
 herstellung und / oder -lagerung als Abfall            in der passenden Konsistenz zur Verfügung
 anfiel.                                                zu haben.

Pollock hat anhand der Befunde von                        Szenario 3: Verschließen und Verwalten
Susa, Abu Salabikh und Jemdet Nasr dar-
gelegt, dass in uruk-zeitlichen Städten                Die oben geschilderte Möglichkeit Tonver-
keineswegs eine strenge Trennung und                   schlüsse in getrocknetem Zustand abnehmen
damit S­pezialisierung von Arbeits­  bereichen         und wieder aufsetzen zu können bedeutet,
vorlag, sondern dass Haushalte eine Viel-              dass sie – auch wenn sie gesiegelt waren –
zahl von u­ nterschiedlichen Aktivitäten vom           nicht zur Kontrolle beziehungsweise der
Spinnen bis zur Landwirtschaft praktizier-             Sicherung des Inhalts vor Zugriff gedient
                                                       ­
ten, die auf Subsistenz­ wirtschaft schließen          haben ­können. Anders als über Schnüren an-
lassen ­(Pollock et al. 1996; ­Pollock 1997,           gebrachte S ­ iegelungen (Ferioli et al. 2007, 79,
228; 1999, 100–01, zu Susa s. u. ­Szenario 3).5        Fig. II.11, 84, Fig. II.14), die man zum Öffnen
Legt man obige ­    Ausführungen zugrunde,             eines ­Behälters lösen musste, mussten Ton­
kann dieses Szenario zu ökonomischen                   verschlüsse nicht zerbrochen werden, um an
Strukturen in uruk-­zeitlichen Städten dahin-          den Inhalt eines Gefäßes zu gelangen, sondern
gehend ergänzt werden, dass mit Bezug zum              konnten schon bald nach ihrer Anbringung,
Werkstoff Ton eine Spezialisierung in der              sobald sie lederhart waren, abgenommen
Herstellung und gleichzeitig eine ökonomische          und wieder aufgesetzt werden, ohne dass dies
Verschränkung zwischen den Tätig­       keiten         deutliche Spuren hinterlassen hätte, wie sie für
Keramik­herstellung und ­Lagerung von                  eine Kontrollfunktion notwendig wären.6

5 Ein anderer Befund liegt für Khafaja vor, wo Kochen und Backen in Tempeln, nicht aber in Haushalten belegt
  sind (Pollock 1999, 98–100).
6 Fingereindrücke in den Verschlüssen und Perforationen, in denen Schnüre oder Stöckchen gesteckt haben
  könnten, werden in Chogha Mish dahingehend interpretiert, dass sie das mehrfache Abnehmen und wieder
  Aufsetzen der Verschlüsse erleichterten (Delougaz et al. 1996, 115–16). Diese Interpretation passt zwar zu
  obigen Ausführungen, dennoch möchte ich dem hier nicht folgen, sondern denke, dass dies experimentell
  geprüft werden sollte. Die experimentellen Verschlüsse aus dem oben geschilderten Versuch ließen sich ohne
  weitere Vorkehrungen problemlos abnehmen und wieder aufsetzen.

                                                   131
Lehm und Lebensmittel. Tonverschlüsse, ihre Nutzungs eigenschaften und vier kleine Fallstudien aus dem uruk-zeitlichen Südwestiran
Carolin Jauß

                                    Tonverschlüsse
                                                                   Gefäß­         gesiegelte
                                                                siegelungen     Objekte gesamt
                             ungesiegelt         gesiegelt

          Chogha Mish            2032               8                 16               347
          Susa 17 B               28                x                 1                 9

Tab. 1. Übersicht zur Anzahl von Tonverschlüssen und gesiegelten Objekten aus Chogha Mish (Delougaz et al. 1996,
128–29, Tab. 13) und Susa (Le Brun 1978, 72–72, 84–85).

Sieht man sich zudem die Befunde zu Ton-                 (17B1, 17B2) eines uruk-zeitlichen Gebäude­
verschlüssen aus Chogha Mish sowie dem                   komplexes ­gefundenen Ton­verschlüssen kein
bereits oben erwähnten spät-­uruk-­zeitlichen            ­gesiegelter und es wurde nur eine an einem
Gebäude­komplex in Susa an, so wird d   ­ eutlich,        Krug a­ngebrachte Versiegelung gefunden
dass die Siegelung von Ton­         verschlüssen          (Le Brun 1978, 84).
die Ausnahme war (Tab. 1). In Chogha
Mish ­fanden sich unter den ­insgesamt 2040              Das reine Verschließen der Gefäße scheint im
publizierten Ton­
­                   verschlüssen gerade einmal           Rahmen der Nutzung von Tonverschlüssen im
acht gesiegelte Verschlüsse (Delougaz et al.             Vordergrund gestanden zu haben gegenüber
1996, 128–29, Tab. 13). Davon passen sechs,              der Kontrolle der Inhalte beziehungsweise
zu Gefäßen mit Mündungs­          durchmessern           der administrativen Zuordnung von b­ efüllten
über 6 cm und zwei, zu Gefäßen mit                       Gefäßen zu Personen oder Institutionen
Mündungen unter 6 cm. Zudem sind
­                                                        durch deren Siegel. Administrative Kontrolle
gesiegelte Objekte insgesamt d
­                                        ­eutlich        der Lagerung von Produkten, wie sie durch
seltener vertreten als Tonverschlüsse: 347
­                                                        Versiegelung von Behältnissen ausgeübt wird,
gesiegelten Objekten (Tonverschlüsse, Gefäß­             scheint mir trotz der Verwendung des gleichen
siegelungen, Bullae, Tafeln, Tonkugeln)                  Materials keine Rolle für die Tonverschlüsse
stehen 2032 ungesiegelte Tonverschlüsse                  gespielt zu haben. Weder waren diese zur
gegenüber.7 Dass unter den 347 gesiegelten               ­Kontrolle der Entnahme von I­ nhalt geeignet,
Objekten neben den acht Ton­        verschlüssen          noch war die große Masse der Verschlüsse über
nur 16 sonstige Gefäß­     versiegelungen („Jar           eine Siegelabrollung einem Siegel und damit
neck sealings“) gefunden wurden legt                      dessen Besitzerin oder ­Besitzer zuzuordnen.8
zudem nahe, dass die ­        Versiegelung von
­keramischen ­Gefäßen ­generell nicht umfang­            In einer Auflistung der in Schicht 17B2
 reich p­ raktiziert wurde. In Susa stellt sich          in oben erwähntem Gebäudekomplex in
 die Situation ­  ähnlich dar. Hier war unter            Susa belegten Aktivitäten zählt Susan
 den insgesamt 28 in den zwei Phasen                     ­Pollock Tonverschlüsse zu den Belegen für

7 Zum Teil mag dieses Verhältnis auch mit der schlechteren Erhaltung beziehungsweise kleineren Fragmen-
  tierung der gesiegelten Objekte zu tun haben, aufgrund derer die Wahrscheinlichkeit, dass sie während der
  Grabung registriert wurden, geringer ist.
8 In Arslantepe stellt sich das Verhältnis umgekehrt dar. Dort sind unter den insgesamt 2250 Tonobjekten
  (­cretulae) 37 Tonverschlüsse, von denen wiederum 11 einen Siegelabdruck aufweisen (Frangipane et al. 2007,
  Beilage filemaker Datenbank). Die Nutzung von Tonobjekten zu administrativen Zwecken überwiegt hier also
  deutlich der Nutzung für den Verschluss von Gefäßen. Ich danke Maria Bianca D’Anna für diesen ­Hinweis
  und die Datenbank-Recherche. Ebenso stellt sich die Situation im südwestiranischen mittel-uruk-zeitlichen
  Sharafabad dar. Hier fanden sich in einer Abfallgrube ein gesiegelter und ein ungesiegelter Tonverschluss
  und vier an den Schultern von Gefäßen angebrachte Versiegelungen, von denen auf einer ein Siegel abgerollt

                                                     132
Lehm und Lebensmittel

 Artefakte und Installationen Aktivitäten                     im nächsten Szenario näher dargelegt, zu
                              Herstellung und                 ­typischen spät-uruk-­zeitlichen Flaschen
                              / oder                           ­passen (Le Brun 1978, 81; Delougaz et al.
 19 Gefäßverschlüsse          Lagerung von                      1996, 84, 115–17, Tab. 10), kann zudem
                              ­Lebensmitteln                    ­spezifiziert werden, dass es sich bei den mit
                               (u. a. Getränke)
                                                                 Tonver­schlüssen ­geschützten Produkten unter
                               Kochen oder
 7 Brennvorrichtungen                                            anderem um flüssige Lebensmittel handelte.
                               Backen
 8 Reibsteine                  Reiben
                                                              Sowohl für Chogha Mish als auch für Susa
 1 Sichel                      Ernten
                                                              bleibt offen, ob das Anbringen von Tonver-
 13 Spinnwirtel                Spinnen
                                                              schlüssen und das Siegeln von Tonobjekten in
 2 Nadeln                      Nähen
                                                              den Händen derselben oder unterschiedlicher
 4 teils halbfertige           Herstellung von
 Keulenköpfe                   Keulenköpfen
                                                              Personen lag beziehungsweise, in welchem
 3 Siegel, 5 Tafeln            Buchhaltung
                                                              Verhältnis sie standen. Für Susa kann j­edoch
                                                              festgehalten werden, dass A       ­rtefakte aus
Tab. 2. Artefakte, Installationen und davon ableitbare        ­beiden Praktiken und zusätzlich die Notation
Aktivitäten im spät-uruk-zeitlichen Gebäude in Susa
­                                                              von Zahlen auf Tontafeln, also ­    Verschluss-
­Akropole I 17B2. Kulinarische Aktivitäten grau hinterlegt.    und ­   Verwaltungspraxis gemeinsam in
 Aufbauend auf Pollock 1997, 229, Tab. 4, basierend auf
 Le Brun 1978.
                                                               ­verschiedenen Räumen (Unité 1: Raum 757,
                                                                Unité 2: 759, 797, 830) belegt sind (Le Brun
                                                                1978, 59–64, Abb. 15–16, 71–73, Tab. 3, ­84–85,
­Buch­haltung (Pollock 1997, 229, Tab. 4) und                   Tab. 6, 101–29, u. a. Fig. 29–32).
 folgt damit einer gängigen Praxis.9 Auf der
 Basis oben­   stehender Ausführungen kann                    Das Aufkommen einer administrativen Elite
 dies dahingehend ­    modifiziert werden, dass               ist eines der zentralen Merkmale der massiven
 Ton­ verschlüsse nicht als Beleg für Buch­                   gesellschaftlichen Veränderungen, die sich im
 haltung zu werten sind, sondern neben den                    Verlauf der Uruk-Zeit vollzogen. Mit dieser
 von Pollock gelisteten K   ­ ategorien „Kochen               Elite assoziierte Praktiken der Buchhaltung,
 und ­  Backen“ sowie „Reiben“ eine weitere                   vor allem in Form von auf Tafeln notierten
 ­kulinarische ­Aktivität belegen, ­nämlich die               Zahlen und Schriftzeichen, fanden und f­ inden
  der ­Herstellung beziehungs­weise ­Lagerung                 – berechtigter Weise – große Beachtung in
  von Lebensmitteln (Tab. 2). Das unterstreicht               der Forschung (Englund 1998). Nicht zuletzt
  die Bedeutung der Lebens­     mittelherstellung             aufgrund der disziplinären Trennung von
  und indirekt auch kulinarischer ­Aktivitäten,               Archäologie und Philologie werden sie meist
  die ökonomisch dem Haushalt sowie r­ äumlich                separat von anderen, insbesondere produk-
  dem h ­äuslichen B­ ereich zugeordnet w ­ erden             tiven Praktiken untersucht, obwohl sie in
  können. Da viele der Tonverschlüsse, wie                    vielen Fällen gerade die aus diesen Praktiken

  war (Wright et al. 1980, 278–81, Abb. 7). Insgesamt enthielt die Grube deutlich mehr Objekte zur Sicherung
  von Türen und Behältern (36) als Gefäßsiegelungen (4) und Tonverschlüsse (2) zusammen (Wright et al.
  1980, 280, Abb. 7; Wright et al 1989, 112, Tab. 9.5). Dabei ist anzumerken, dass die in Chogha Mish und Susa
  häufig mit Tonverschlüssen verschlossenen, typisch spät-uruk-zeitlichen Tüllenflaschen in der ­mittleren
  Uruk-Zeit noch nicht gebräuchlich waren und dass Flaschen auch in Arslantepe selten waren (D’Anna 2015,
  60).
9 Siehe z. B. Delougaz et al. (1996, 115) für Chogha Mish und Strommenger et al. für Habuba Kabira (2014, VIII).
  In beiden Publikationen werden die Tonverschlüsse jedoch lediglich in der Einteilung der ­Beschreibung
  der Funde, also der Gliederung der Grabungsdokumentationen im Bereich Verwaltung, Handel geführt. Eine
  handlungsorientierte beziehungsweise ökonomische Analyse von Verschlüssen oder Fundkontexten erfolgt
  nicht.

                                                          133
Carolin Jauß

resultierenden Produkte beschreiben (D’Anna                    von derselben Person ausgeführt wurden, so
et al. 2015; Jauss 2015, 31–32; Nissen 2000).                  war doch in jedem Fall allen diese Räume
Es steht außer Frage, dass die Kontrolle von                   nutzenden oder in ihnen ihrer Tätigkeit
                                                               ­
Lebensmitteln, für die administrative Mittel                   nachgehenden Personen sowohl die generelle
eingesetzt wurden, ein bedeutendes Element                     Praxis des jeweils anderen Handlungs­bereichs
der sozialen Kontrolle darstellt, die von                      als auch der konkrete Stand der Dinge
Eliten praktiziert wurde. Sie war ein maß-                     zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt.
gebliches Mittel für die Etablierung und den                   Inwiefern beziehungsweise in welchem
                                                               ­
Erhalt der starken hierarchischen Gliederung                   Umfang die ­
                                                               ­              administrativen Praktiken und
uruk-­   zeitlicher Gesellschaften, grob gesagt                auch die H­ erstellung und oder Lagerung von
in solche, die Nahrung kontrollierten und                      Getränken in Flaschen für die Organisation
ver­  teilten und solche, die abhängig waren                   beziehungsweise Subsistenz der Haushalte in
vom Erhalt dieser Nahrung. Die separate                        Chogha Mish und Susa selbst oder ­darüber
Behandlung der beiden Bereiche in der
­                                                              hinausgehende Aktivitäten wie die Rations­
­Forschung s­uggeriert t­endenziell eine große                 ausgabe an für den Haushalt ­        arbeitende
 Distanz von ­Administration und Produktion                    Personen,10 Abgaben an übergeordnete Insti-
 und damit auch getrennte soziale Sphären.                     tutionen oder Handel genutzt wurden, muss
 In vielen ­Fällen trifft dies sicher zu, gerade               an dieser Stelle offen bleiben, genauso wie
 in Uruk selbst, wo administrative Tafeln aus                  die Frage, ob die verwaltenden Tätigkeiten
 institutionellen Kontexten stammen. Inner-
 ­                                                             Teil haushalts­ interner Administration oder
 halb von Haus­halten war dies allerdings nicht                in bürokratische Prozesse staatlicher Institu-
 der Fall. Hier finden sowohl Lebensmittel                     tionen eingebunden waren.11 Es kann jedoch
 produzierende als auch verwaltende Tätig-
 ­                                                             festgehalten werden, dass Wissen über admi-
 keiten in einer Einheit statt. Die räumliche                  nistrative Tätigkeiten und damit Einblicke in
 ­Koinzidenz von kulinarischen und verwalte-                   die Mechanismen der Kontrolle von Lebens-
  rischen Praktiken innerhalb von mehreren                     mitteln, nicht nur einer kleinen meist männlich
  Räumen des Gebäudekomplexes in Susa lässt                    gedachten Elite von Verwaltern vorbehalten
  zudem eine soziale Nähe der Praktiken an­                    war, sondern breiteren Bevölkerungsteilen, zu-
  nehmen. Selbst wenn die Aktivitäten nicht                    mindest den Angehörigen eines Haus­haltes,

10 Wie Arbeit auf Haushaltsebene in Siedlungen der späteren Uruk-Zeit organisiert und verteilt war ist nicht
   abschließend erforscht (Pollock und Bernbeck 2000). Zu den textlichen Quellen der Verwaltung von Arbeit
   in der auf die Uruk-Zeit folgenden proto-elamischen Epoche siehe Dahlund KollegInnen (Dahl et al. 2018).
   Der bisherige Stand der Entzifferung des proto-Elamischen und die Erkenntnisse aus den textlichen Quellen
   lassen noch keine tragfähigen Schlüsse darüber zu, welche Stellung genau die in Texten genannten Personen
   hatten und welche Arbeiten sie ausführten. Was soziale Strukturen der Arbeitsorganisation angeht, zeigen
   sie jedoch, dass es „[...] a complex system of division of labour and specialized task distribution“ gab (Dahl et al.
   2018, 31), in dem Frauen, Männer und eventuell auch Kinder involviert waren und in dem Vorarbeitende für
   Gruppen von Arbeitenden verantwortlich waren (Dahl et al. 2018, 16–17, 31–32).
11 Die Kontrolle und Verwaltung von Gütern wird meist in institutionelle Kontexte eingeordnet beziehungs-
   weise in Umgebungen, in denen ein Austausch von Gütern z. B. durch Handel, Tribut oder Rationen von­
   statten ging und professionelle männliche Verwalter oder Bürokraten wirtschaftliche Vorgänge dokumen-
   tierten und kontrollierten. Für die Uruk Zeit ist diese Perspektive auf Siegelpraxis als Teil institutioneller
   Organisation und Machtausübung die gängige (Nissen 2000). In einem Beitrag mit dem Titel „Which Came
   First, the Bureaucrat or the Seal?“ betont Kim Duistermaat jedoch „ [...] when a sealing system did emerge, in the
   Late Neolithic Period, seals were used by large numbers of people to control their stored private goods. Sealing systems
   were in place before bureaucratic or hierarchical administrative systems emerged and elites began to exploit the power of
   seals.” (Duistermaat 2012, 1). Der Blick in uruk-zeitliche Haushalte, wie hier das Beispiel Susa, lässt die Frage
   aufkommen, inwiefern auch in der Uruk-Zeit weiterhin haushaltsinterne Administration unter Verwendung
   von Siegeln stattfand.

                                                           134
Lehm und Lebensmittel

bekannt gewesen sein dürfte. Da davon auszu-            – meines ­     Erachtens unwahrscheinlich. Um
gehen ist, dass in einem Haushalt Frauen und            welches Getränk beziehungs­          weise welche
Männer gleichermaßen arbeiteten und Tätig-              ­Getränke es sich h    ­andelte, möchte ich hier
keiten Hand in Hand gingen, sollte auch die              nicht erörtern, dazu wäre u. a. eine Analyse der
Einbindung von Frauen in das wirtschaftliche             Nutzungs­eigenschaften von Tüllen­f laschen
und buchhalterische Geschehen eines Haus-                not­wendig. Einmal mehr möchte ich statt­
haltes nicht unterschätzt werden.                        dessen auf einen Fundkontext in Chogha
                                                         Mish blicken, in dem Tonverschlüsse und
  Szenario 4: Verschließen und Verzehren                 Glocken­   töpfe und damit Belege für ein
Abschließend möchte ich einen Vorschlag                  ­Getränk und den ­Konsum von Lebensmitteln
dazu unterbreiten, was über die in Chogha                 zusammen­    kommen. Von den 2040 Tonver-
Mish gefundenen Tonverschlüsse zu den von                 schlüssen, die aus Chogha Mish publiziert sind,
ihnen geschützten Produkten beziehungs­                   ­stammen allein 1266 aus einem Abfallkontext,
weise deren Verzehr im Rahmen von                          der als „pottery deposit“ (z. B. Delougaz et
kommensalen Aktivitäten zu erfahren ist.                   al. 1996, 116, Tab. 10, 399–400) oder „great
                                                           Beveled-­rim Bowl Deposit“ (­Delougaz et al.
97% der Tonverschlüsse aus Chogha Mish und                 1996, 147, Pl. 8) b­ezeichnet wird.12 Davon
61% der Tonverschlüsse aus Susa sind klein                 sind 1259 ­sogenannte „bottle stoppers“, also
und passen zu länglichen, typisch spät-uruk-­              Verschlüsse, die zu Tüllen­   f laschen passen;
zeitlichen Flaschen mit gebogener Tülle und                nur sieben passen zu Gefäßen mit größe-
kleinem Mündungsdurchmesser, die sich zur                  ren ­Öffnungen (Delougaz et al. 1996, 116,
Aufbewahrung von Flüssigkeiten ­        eigneten           Tab. 10).13 Die große Anzahl an Tonverschlüs-
(s. Abb. 6; Delougaz et al. 1996, 116–17,                  sen legt den Schluss nahe, dass der Konsum
Tab. 10 [Tonverschlüsse], Pl. 111 [Flaschen];
Le Brun 1978, 85, Tab. 5 [Tonverschlüsse],
123, Fig. 30 [Flaschen]; zu den Flaschen
s. auch Wright in diesem Band). Diese
­Flaschen wurden, wie bereits erwähnt, mit
 großer Wahrscheinlichkeit im Zusammen-
 hang mit der Herstellung und oder Lagerung
 von ­Getränken genutzt. Weiter oben habe ich
 bereits dargestellt, dass Herstellung, N
                                        ­ utzung
 und Entsorgung von Ton­        verschlüssen in
 ­Chogha Mish i­nnerhalb der Siedlung zu ver-
  orten sind. Dies macht es wahrscheinlich, dass
  auch das in den Tüllen­flaschen auf­bewahrte
  Getränk in der Siedlung hergestellt und
  oder gelagert sowie konsumiert wurde. Der
  Import des G­ etränks in oder der Export aus
  der Siedlung hinaus ist – zumindest in mit Abb. 6: Volumina von Tüllenflaschen aus Chogha Mish (in
  Tonverschlüssen abgedeckten Tüllen­flaschen Litern).

12 Bei dem Abfallkontext handelt es sich um die zusammenhängenden Loci P18: 301 und Q18: 301. Die Höhe
   des Kontextes beträgt ca. 2 m. Es handelt sich nicht um eine Grube, sondern um eine flächige Ausdehnung
   ohne klare Begrenzung (Delougaz et al. 1996, 128, 399–400, 405–06).
13 Zu den Tüllenflaschen selbst ist aus Chogha Mish wenig bekannt. Publiziert sind lediglich einige Exemplare.
   Angaben zur Quantität und den Fundkontexten fehlen.

                                                    135
Carolin Jauß

des in Tüllen­   f laschen auf­ bewahrten Ge-              für die Uruk-Zeit typischen, in ­     Massen in
tränks eine bedeutende ­kommensale ­Praxis in              Model­technik hergestellten ­groben ­Schalen.16
­Chogha Mish darstellte. Welch große Mengen                Es steht außer Frage, dass Glockentöpfe für
 des Getränkes getrunken ­wurden, lässt sich               unterschiedliche Zwecke genutzt ­
                                                           ­                                        wurden,
 verdeutlichen, indem man sich die Volumina                wobei eine umfangreiche ­         Literatur zur
 der Tüllen­flaschen ansieht.14 Diese rangieren            Interpretation von Glockentöpfen e­xistiert,
                                                           ­
 in Chogha Mish zwischen ca. 2,5 Litern und                auf die ich hier nicht weiter eingehen
 ca. 10 Litern (Abb. 6).15                                 möchte (Jauss 2013; Pollock 2012, 160). Auf­
                                                           greifen möchte ich die breit akzeptierte und
Ob alle Flaschen angesichts ihrer unter-                   rezipierte Interpretation von Glockentöpfen
                                                           ­
schiedlichen Größe im Zusammenhang mit                     als G­ efäße, aus denen Nahrung konsumiert
dem gleichen Getränk und den gleichen                      wurde, kombiniert mit der Interpretation
kommensalen Aktivitäten genutzt wurden,                    als Rationsgefäße im Rahmen der Vergabe
soll hier nicht diskutiert werden. Stellt man              von Nahrung in ­       institutionellen Arbeits­
stattdessen eine Überschlagsrechnung an                    kontexten (Nissen 1970; Pollock 2003; 2012,
und geht davon aus, dass jeder Tonverschluss               156, 160). Die I­nstitutionalisierung kom-
eine durchschnittliche Flaschenfüllung von                 mensaler A ­ ktivitäten und deren Verortung im
4,5 Litern repräsentiert, so kommt man auf                 Arbeitskontext zusammen mit der Ausgabe
5665 Liter Flüssigkeit, die sich aus den Ton-              von individuellen, in Schalen ausgegebenen
verschlüssen im Abfallkontext rückschließen                Portionen, stellt eine bedeutende Äußerung
lässt.                                                     der zunehmend hierarchischen von Abhängig­
                                                           keiten geprägten Gesellschaftsordnung in
Wie der Name „Great Bevelled-rim Bowl                      der Uruk-Zeit dar und war ein wichtiges,
­Deposit“ sagt, bestand der Abfallkontext, aus             diese Ordnung reproduzierendes und damit
 dem die Tonverschlüsse stammen, vor allem                 stabilisierendes Element (Bernbeck 2009;
                                                           ­
 aus großen Mengen an Glocken­    töpfen, den              ­Pollock 2013a, 156–62).

14 Zur Anzahl der Tüllenflaschen, ihrem genauen Anteil am gesamten keramischen Repertoire in Chogha Mish
   oder ihren konkreten Fundkontexten liegen keine Daten vor. Zu den Fundkontexten der Flaschen, wird in
   der Grabungspublikation lediglich darauf hingewiesen, dass Tüllenflaschen im Verhältnis zu anderen Gefäß-
   typen eher häufig anzutreffen sind und konzentriert in bestimmten Loci gefunden wurden (Delougaz et al.
   1996, 84).
15 Gemessen anhand der publizierten Zeichnungen (Delougaz et al. 1996, Pl. 111) mit dem von Jean-Paul
   ­Thalmann für das Projekt ARCANE entwickelten Programm PotUtility. Aus Susa sind drei Flaschen mit
    messbarem Volumen publiziert (Le Brun 1978): Fig. 30.12: 2,1 Liter; Fig. 30.14: 3 Liter; Fig. 30.06: 16,4 Liter.
16 Auf Fotos von Locus P18: 301 sind die meisten Glockentöpfe intakt (Delougaz et al. 1996, 399–400, Pl. 8).
    Sie wurden demnach eventuell intakt weggeworfen, sind während der Lagerung im Abfallkontext ­zerbrochen
    und wurden dann in der Grabungsdokumentation als einzelne Scherben gezählt. Insgesamt wurden in ­beiden
    Loci zusammen 462 intakte Glockentöpfe und 63.960 Scherben von Glockentöpfen registriert. Nimmt man
    pro Topf 6 Scherben an, kommt man auf 10.660 komplette Glockentöpfe. In der Beschreibung zu P18: 301
    werden 927 „bottle stopper“, in der Beschreibung zu Q18: 301 4 „stopper“ gelistet. In einer Tabelle zur Ver-
    teilung der Tonverschlüsse sind jedoch 1266 Verschlüsse angeführt (Delougaz et al. 1996, 116–17, Tab. 10).
    Ich richte mich hier nach letzterer Tabelle. Zudem fanden sich laut der Beschreibung der beiden Loci im
    Abfallkontext Scherben von anderer Keramik und weitere Artefakte in geringen Zahlen (Delougaz et al.
    1996, 399–400, 405–06). Tierknochen werden in der Beschreibung der Loci nicht erwähnt, jedoch sind in
    einer auf der Homepage des Oriental Institut Chicago publizierten Exceltabelle zu Tierknochen aus Chogha
    Mish 41 Knochen unterschiedlicher Säugetiere aus P18: 301 gelistet (https://oi.uchicago.edu/research/pu-
    blications/oip/chogha-mish-volume-ii-development-prehistoric-regional-center-lowland, zuletzt eingesehen
    21.02.2020).

                                                       136
Lehm und Lebensmittel

Als ein illustratives Beispiel dafür, wie die          des Gebäude­komplexes (17B1) unter ­anderem
­Ausgabe von Nahrung in Chogha Mish aus­               ­gemeinsam mit ­weiteren ­keramischen ­Gefäßen
 gesehen haben könnte, hat Susan ­          Pollock     in einem Raum (751), der evtl. als Lager­
 bereits auf in mehreren Kontexten der                  raum diente (Le Brun 1978, ­64–67). Henry
 Grabung mit der Öffnung nach unten in
 ­                                                      T. Wright geht mit Bezug zur ersten Phase
 Reihen platzierte Glockentöpfe verwiesen,
 ­                                                      des Gebäude­komplexes (17B2) davon aus, dass
 die ihrer Ansicht danach aussehen, als hätten          der Ausschank von ­Getränken aus Flaschen
 sie schnell befüllt und wie in einer Kantine           und deren Konsum aus unter­      schiedlichen
 fließbandartig ausgegeben werden können                Schalen zur kom­mensalen Routine der Haus-
 (Pollock 2012, 162; Bernbeck und Pollock               halte in Susa gehörte (Wright 1998, 186).
 2002, 193; Delougaz et al. 1996, 50, Pl. 15            Eindeutige ­
                                                        ­             Hinweise, aus welchen Gefäßen
 A–C). Ähnlich könnte die große Anzahl von              und in ­welchen kommensalen Aktivitäten ein
 Tonver­schlüssen als Entsorgung der Ver-               ­Getränk aus Tüllenflaschen verzehrt wurde,
 schlüsse nach k­onzentrierten, institutionell           gibt es für Susa jedoch keine.
 ver­ankerten ­Konsum­aktivitäten interpretiert
 werden, nach denen die ­Verschlüsse immer             Susan Pollock hat vorgeschlagen, dass es
 wieder am ­selben Ort entsorgt wurden. Von            sich bei der in Glockentöpfen aus­gegebenen
 wem und über ­welchen Zeitraum das „Great             Nahrung
                                                       ­              um      vornehmlich       flüssige
 ­Bevelled-rim Bowl Deposit“ genutzt wurde,            Nahrungs­mittel handelte, die „on the spot“
  kann aufgrund mangelnder Informationen               konsumiert wurden, also in der Nähe oder
  in der Grabungs­       dokumentation nicht ein-      an dem Ort, an dem sie in die Schalen ge-
  gegrenzt werden. Dem­entsprechend bleibt
                        17
                                                       füllt und zeitlich kurz nachdem sie an die
  offen, ob der Abfallkontext aus großen               Personen aus­
                                                       ­               gegeben ­ wurden, die sie ver-
  kommensalen Events mit vielen P
  ­                                       ­ersonen     zehrten (­  Pollock 2003, ­29–31; 2012, 156,
  oder häufigen Aktivitäten mit weniger                160–61; s. auch B  ­ ernbeck 2009). Sie schlägt
  ­Personen hervorgegangen ist. Auch dazu, wie         vor, dass es sich um ein ­dickflüssiges Bier ge-
   diese zeitlich strukturiert waren, ob es sich um    handelt haben könnte (­Pollock 2012, 161). Der
   alltäglichen regel­mäßigen Nahrungs­konsum          ­gemeinsame Fund­kontext von Glockentöpfen
   handelte, um seltene ­    besondere Aktivitäten      und Tonverschlüssen von Tüllen­        f laschen
   oder um ­     saisonal verankerte kommensale         legt nahe, Schalen und Flaschen in einen
   ­Aktivitäten, die eventuell an die Verfügbar-        Zusammen­   hang zu bringen und zu über­
    keit von ­ Zutaten für das in den Flaschen          legen, ob die Glockentöpfe mit dem Getränk
    hergestellte Getränk oder landwirtschaft-           aus den Tüllen­flaschen befüllt worden sein
    liche Arbeitszyklen gekoppelt waren, wie            könnten.18 Bei einem durchschnittlichen
    sie in einem dörflichen Kontext im mittel-          ­Volumen von 700 ml eines Glockentopfes und
    uruk-­zeitlichen Sharafabad anzutreffen sind         unter der Annahme, dass der Topf bis zum
    (Pollock 2008, 61), gibt es keine Hinweise. In       Rand gefüllt wurde, hätten mit den oben
    Susa wurden Tüllenflaschen, Ton­verschlüsse          überschlags­artig berechneten 5665  ­Litern
    und Glockentöpfe im ­Kontext eines Haus­haltes       ca. 8100 Glockentöpfe befüllt w
                                                                                       ­ erden ­können
    genutzt und fanden sich in der zweiten Phase         (für V
                                                              ­ olumina von Glockentöpfe aus Chogha

17 Der Versuch, eine Zuordnung der im „Great Bevel-rim Bowl Deposit“ P18: 301 und Q18: 301 gefundenen
   Versiegelungen zu Haushalten über einen Vergleich der im Abfallkontext präsenten Siegelbilder mit solchen
   aus architektonischen Kontexten herzustellen, erbrachte mit den in der Grabungspublikation vorhandenen
   Daten keine Ergebnisse.
18 Für Arslantepe konnte Maria Bianca D’Anna mit der Korrelation von „mass-produced bowls“ und Versiege-
   lungen (cretulae) in unterschiedlichen Fundkontexten einen Zusammenhang zwischen Siegelungspraxis, der
   Öffnung von Behältnissen und Essenzuteilungen aufzeigen (D’Anna 2020).

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