Luigi (Maria Baldassare) Gatti (1740 1817). Salzburgs letzter Hofkapellmeister

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Luigi (Maria Baldassare) Gatti (1740 1817). Salzburgs letzter Hofkapellmeister
Ernst Hintermaier
                       (RISM Arbeitsgruppe Salzburg)
            unter Mitarbeit von Lars E. Laubhold und Eva Neumayr

     Luigi (Maria Baldassare) Gatti (1740−1817).
       Salzburgs letzter Hofkapellmeister*

Abstract
Luigi Gatti’s life and career as a musician are divided in two by his appointment
to the position of Salzburg Hokapellmeister at the age of 42: Ordained a priest in
Mantua, he had emerged as an esteemed composer, who had been especially
successful in operatic endeavors. His connections with Salzburg developed slow-
ly and overlapped with Mozart’s increasing detachment from his home-town.
When he was inally appointed Hokapellmeister, he had to cope with precincts
that posed new challenges for him in style as well as organization. While Luigi
Gatti, the person, still remains largely unknown, Luigi Gatti, the composer, is
beginning to be recognized as a musician, whose importance for Salzburg music
history has not been suiciently appreciated.

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Luigi (Maria Baldassare) Gatti wurde am 7. Oktober 1740 in Lazise am
Gardasee (Provinz Verona) geboren und am 11. Oktober in der dortigen
Pfarrkirche getaut (siehe Abb. 1). Sein Vater, Francesco Dalla Gatta, war
vor Luigis Geburt in Cavriana (Provinz Mantua) als Organist tätig und
nahm 1739 eine Berufung für ein Jahr an die Propsteikirche San Niccolo

    *     Dieser Beitrag entstand im Rahmen des vom österreichischen Fonds zur Förderung der
wissenschatlichen Forschung (FWF) inanzierten Projekts »Kirchenmusik am Neuen Dom zu
Salzburg im Spiegel der Quellen« (P 23195). Für zahlreiche Hinweise auf großteils noch unpubli-
zierte Forschungsergebnisse sowie für die Revision der italienischen Zitate danken wir Alessandro
Lattanzi sehr herzlich.
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in Lazise an.1 Nach Ablauf des Vertrages kehrte er mit seiner Familie nach
Cavriana zurück, wo sein Sohn Luigi aufwuchs. Dieser hatte vier Geschwis-
ter: Giorgio (er wurde ebenfalls Priester), Angelo, Teresa sowie Giuseppe,
der bei Gattis Ableben 1817 bereits verstorben war und dessen Söhne
Francesco und Luigi von deren Onkel testamentarisch bedacht werden soll-
ten.2 Die Familie änderte ihren Namen später von Dalla Gatta in Gatti.

   Abbildung 1: Taufeintrag von Luigi Gatti vom 11. Oktober 1740: »Die 11 Octobris
   1740. Aloÿsius Maria Balthassar f[ili]us Fran[cis]ci Dalla Gatta, et Felicitatis
   Con[iu]gu[m] 7.a huius natus bapt[izat]us fuit p[er] me Bentevoleu[m] Tevoi
   Cur[atum]. Sacra fuit unda susceptus a R[everendissi]mo D[omi]no Dom[ini]co
   Amadori Arch[i]p[resbitero] huius Plebis, et D[omi]na Julia Zanetti f[ili]a D[omi]
   ni Antonij de hac quoque P[leb]e.« Archivio Parrocchiale, Parrocchia dei SS. Ze-
   none e Martino, Lazise (Verona).

  Bereits in jungen Jahren kam Luigi nach Mantua, einer der bedeutendsten
Provinzstädte der Lombardei, um zu studieren und sich im Priesterseminar
auf den Beruf eines Geistlichen vorzubereiten. Obwohl er hier zum Priester
geweiht wurde, begann er sich mehr und mehr auf eine musikalische Lauf-

   1.     Kontrakt vom 15. November 1739 mit der Propsteikirche in Lazise, vgl. Monika Geh-
macher, Luigi Gatti. Sein Leben und seine Oratorien. Mit thematischem Katalog des Gesamtschaf-
fens, Universität Wien (Phil. Diss.) 1959, S. 4.
   2.     Salzburger Landesarchiv (SLA), Stadt- und Landrecht Salzburg (STLRSBG), VI 1818,
Nr. 14: Verlassenschatsabhandlung nach dem Tode Luigi Gattis.

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bahn einzustellen. Seine bereits vom Vater vermittelte musikalische Grund-
ausbildung, vervollständigte er in Mantua, was ihn dazu befähigte, im Kar-
neval des Jahres 1768 am 24. Jänner erstmals als Komponist mit der Oper
Alessandro nell’Indie (LG 1.13) nach einem Libretto von Pietro Metastasio
(1698−1782) vor das Mantuaner Publikum treten zu können. Die Resonanz
in der Gazzetta di Mantova vom 29. Jänner 1768 iel für Gatti überaus posi-
tiv aus und trug wohl dazu bei, dass ihm als Opernkomponist in Mantua
selbst und später in Mailand eine erfolgreiche Karriere bevorstand.4
   Motiviert durch diesen Erfolg bewarb er sich wenige Monate später an
der Hokirche Santa Barbara, an der er gelegentlich als Sänger und Orga-
nist tätig gewesen war, um die freigewordene Stelle eines zweiten Teno-
risten. Dank eines Zeugnisses, das ihm der Kapellmeister von Santa Bar-
bara, Giovanni Battista Pattoni (1713−1773), ausgestellt hatte, erhielt Gatti
diese Anstellung.5 Im folgenden Jahr 1769 wurde Gatti zum zweiten Ka-
pellmeister der Reale Accademia di Scienze, Lettere ed Arti (auch Reale
Accademia di Scienze e Belle Lettere di Mantova) bestellt. Diese in Ober-
italien angesehene Kunst- und Wissenschatsakademie, deren Ursprung
auf eine Gründung von Cesare i. Gonzaga (1530–1575) im Jahre 1562 zu-
rückzuführen ist, erfuhr auch durch Kaiserin Maria heresia (1717−1780)
besondere Förderung. Noch im gleichen Jahr hatte Gatti Gelegenheit,
sein Können als Komponist unter Beweis zu stellen, als anlässlich der Er-
öfnung des Teatro Scientiico am 3. Dezember 1769 die Reale Accademia
di Scienze, Lettere ed Arti ihr erstes Konzert veranstaltete, wofür Gatti die
verloren gegangene Kantate Virgilio e Manto (LG 2.2) komponierte.6

    3.     Die Nummerierung der weltlichen Werke folgt dem neuen, im Druck beindlichen
Werkverzeichnis: Alessandro Lattanzi, Catalogo tematico delle opere di Luigi Gatti (1740–1817),
2 Bde., Libreria Musicale Italiana, Lucca (in vorb), Bd. i.; für die geistlichen Werke musste auf das
ältere Verzeichnis in Gehmacher, Luigi Gatti zurückgegrifen werden.
    4.     »Non si può omettere di fare onorevole rimembranza del Professore di musica Sig. Don
Luigi Gatti nostro Mantovano, il quale nella fresca età di soli 26 [!] anni ha composto la musica del
secondo dramma che si è posto in scena il 24, intitolato ›Alessandro nell’Indie‹ con tal maestria,
grazia, novità et espressione, che si è, a giusto titolo, meritato il pieno comune aggradimento.« Zit.
nach Gian Giuseppe Bernardi, La musica nella Reale Accademia Virgiliana di Mantova, Casa
Editrice Mondovi, Mantua 1923, S. 27.
    5.     »il Sig. D. Luigi Gatti sicuro professore per cantare la parte di tenore in qual si sia musi-
ca di chiesa, ed anche capace di cantare la parte del basso, come pure bravo suonatore d’organo e
compositore di musica.« Ebd., S. 24.
    6.     »Il compositore della musica è stato il nostro degno concittadino abate Luigi Gatti, uno
dei maestri di cappella della R. Accademia dei Filarmonici«, »Gazzetta di Mantova«, 8.12.1769, zit.
nach ebd., S. 30.

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  Abbildung 2: Gedruckter Programmzettel zu Mozarts Gastspiel im Teatro Scienti-
  ico am 16. Jänner 1770. Accademia Nazionale Virgiliana, Mantua.

   Zu Beginn des neuen Jahres, am 16. Jänner 1770, stellte sich der 14-jäh-
rige W. A. Mozart im zweiten Konzert der Reale Accademia dem Mantu-
aner Publikum mit einem umfangreichen Programm vor (vgl. Abb. 2).

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Leopold Mozart schilderte seiner Frau in diesem Zusammenhang im
Brief vom 26. Jänner 1770 das heater mit überschwänglichen Worten:
   »Ich wünschte daß du den Ort gesehen hättest, wo die accademia war: nämlich das
   so genannte heatrino della Academia Philharmonica. Ich habe in meinem Leben
   von dieser Art nichts schöners gesehen; und da ich hofe, daß du alle briefe leisig
   aubehalten wirst, so werde dir solches seiner zeit beschreiben. Es ist kein heater,
   sondern ein wie die opernHauser gebauter Saal mit Logen; wo das heater stehen
   soll, ist eine Erhehung für die Musik, und hinter der Musik abermahl eine, wie
   Logen, gebaute Gallerie für die Zuhörer. Die Menge der Menschen, – – das zuruf-
   fen, klatschen, Lermen, und Bravo über Bravo, – kurz, das allgemeine zurufen,
   und die Bewunderung so die Zuhörer zeigten kann ich dir nicht genug
   beschreiben.«7

   Bei dieser Gelegenheit trafen Vater und Sohn Mozart auch mit Luigi
Gatti zusammen, der sich vom Können des jungen Mozart so sehr beein-
druckt zeigte, dass er sich von diesem eine Messe zur Abschrit erbat.8 Der
Aufenthalt der Mozarts in Mantua auf ihrer Reise nach Mailand war je-
doch zu kurz bemessen, um eine nähere und nachhaltige Bekanntschat
zu schließen. Damals ahnten vermutlich weder Gatti noch die Mozarts,
dass sie einander später in Salzburg wieder begegnen sollten.
   Im Jahre 1771 bot sich Gatti erneut eine Gelegenheit, seine Begabung
unter Beweis zu stellen. Für die bevorstehenden Hochzeitsfeierlichkeiten
des Generalgouverneurs der Lombardei, Erzherzog Ferdinand Karl von
Österreich (1754−1806), mit Prinzessin Maria Beatrice d’Este (1750−1829),
die am 15. Oktober 1771 in Mailand vermählt wurden und wofür der
15-jährige Mozart seinen Ascanio in Alba KV 111 als Autragswerk schrieb
und am 17. Oktober im Teatro Ducale zu Mailand auführte, komponierte
Gatti anlässlich der Ankunt des Brautpaares in Mantua die »Azione liri-
co-drammatica« Il certame (LG 2.3), die mit vier eingeschobenen Instru-
mentalkonzerten für verschiedene Streichinstrumente im Teatro Scienti-

    7.     Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hrsg. v. der Internationalen Stif-
tung Mozarteum Salzburg, gesammelt und erläutert von Wilhelm A. Bauer − Otto Erich
Deutsch, Bd. 5−7 aufgrund deren Vorarbeiten erläutert von Joseph Heinz Eibl, 7 Bde., Bären-
reiter, Kassel u. a. 1962–1975, Bd. i, S. 306, Z. 12–21.
    8.     Brief Leopold Mozarts an Frau und Sohn vom 11. Juni 1778, Bauer – Deutsch, Mozart.
Briefe und Aufzeichnungen, Bd. ii, S. 373, Z. 160. Welche Messe Gatti sich damals von Mozart zum
Kopieren erbeten hatte − die Dominicus-Messe KV 66 oder die Missa brevis KV 65 −, lässt sich
nicht eruieren.

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ico aufgeführt wurde.9 Vergeblich bewarb sich Gatti allerdings im Jahre
1773 um die erste Kapellmeisterstelle an Santa Barbara.10
   In den folgenden Jahren machte er jedoch mit weiteren dramatischen
Kompositionen auf sich aufmerksam. So trat er am 29. Jänner 1775 mit
Armida (LG 1.2) auf einen Text von Giovanni De Gamerra (1742−1803) in
Mantua an die Öfentlichkeit.11 Kurz darauf, am 2. April 1775, folgte die
Auführung des 29 Nummern umfassenden Oratoriums La madre dei
Maccabei (LG 5.1), das ein Jahr später in Padua wiederholt wurde. Am 11.
Juni 1775 trug Gatti zu den Einweihungsfeierlichkeiten des neuen von
Kaiserin Maria heresia in Autrag gegebenen Akademiegebäudes mit
»una breve ma bellissima Cantata« (LG 2.4) bei, deren Text der Sekretär
der Reale Accademia, zugleich eine führende Persönlichkeit der Accade-
mia dei Timidi, Giovanni Battista Buganza, verfasste. Bedauerlicherweise
sind weder Musik noch Titel überliefert. Aber gerade diese Auführung
machte Gattis Namen erstmals über Mantua hinaus bekannt. Das Ereig-
nis fand nicht nur in der Lokalpresse, sondern auch im Wienerischen Di-
arium Erwähnung.12
   Im Karneval 1777/78 wurde auch in Mailand erstmals ein Werk Gattis
zur Auführung gebracht: der »Ballo eroico-pantomimo« Germanico in
Germania (LG 4.1) nach einem Libretto von I. Gambuzzi am Teatro Inte-

    9.      Bernardi, La musica nella Reale Accademia Virgiliana di Mantova, S. 30.
    10.     Im Protokoll des Magistrato Camerale vom 2. September wurde dennoch über Gatti
berichtet: »Egli è giovine di Capacità, di fantasia e di aspettativa. Ha composto un’opera teatrale di
stile serio rappresentata in questo teatro con applauso. Così hanno incontrato altre sue produzioni
sagre e presso l’Accademia de ilarmonici sentiamo che è in riputazione.« Zit. nach ebd., S. 24.
    11.     »Gazzetta di Mantova«, 3.2.1775: »Li 29 dello scorso gennajo è andato in scena il dramma
intitolato l’Armida. La Poesia è del famoso Sig. de Gamera [!] poeta nel Regio Ducal Teatro di
Milano. Il nostro sig. Abate Don Luigi Gatti ne ha composto la musica. Questa è così magistral-
mente condotta e con tanta espressione, che veramente ha meritato non solo gli applausi degl’In-
tendenti ma eziando di chiunque ha il dono dalla natura d’aver sortito un’armonica organizzazio-
ne, cioè di tutto, per così dire, questo rispettabile pubblico.« Zit. nach ebd., S. 28.
    12.     »Gazzetta di Mantova«, 30.06.1775: »Per componimento di si lieta funzione ne seguì una
breve ma bellissima Cantata composta dal Sig. Ab(ate) D. Giambattista Buganza, Accademico
Votante, e posta in musica dal nostro valoroso Sig. Ab. D. Luigi Gatti« Zit. nach ebd., S. 30; der
Nachdruck − laut Gehmacher, Luigi Gatti, S. 13 erschienen in »Wiener Diarium 1775, 25. Juni«
− ist in einem umfangreichen, am 23. Juni gezeichneten, aber erst ab dem 8. Juli in Fortsetzungen
gedruckten Artikel aus Mantua enthalten: »Endlich ward dieses Musenfest mit einer überaus
schönen Kantate, wovon die Worte den Herrn Johann Baptist Buganza, die Musik aber unsern
berühmten Herrn Gatti zu Verfassern hatten, beschlossen.« Vgl. »Wienerisches Diarium«, 12. Juli
1775, S. [11], Volltext:  (24.07.2012).

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rinale, dessen Premiere zusammen mit Antonio Rosettis L’Olimpiade am
27. Dezember 1777 stattfand.
   Im folgenden Jahr kam es zu Ereignissen13, durch die sich Gattis Bezie-
hungen zum Salzburger Hof anbahnen sollten: Anton heodor Graf Col-
loredo (1729−1811), Cousin Fürsterzbischof Hieronymus Colloredos, war
am 6. Oktober 1777 vom Olmützer Domkapitel zum Bischof gewählt und
mit einer zwei Monate später erfolgten Aufwertung der Diözese Olmütz
zur Erzdiözese zu deren Erzbischof erhoben worden. Kurz nach diesen
Ereignissen begab sich Anton heodor auf die Reise nach Mantua, wo er
seine Mutter − eine geborene Gonzaga − und andere Verwandte besuchte
und wo er am 30. März 1778 das Pallium entgegennahm. Anton heodors
über vier Monate währender Aufenthalt in Mantua war von einigem öf-
fentlichen Interesse begleitet und so ließ es sich auch Luigi Gatti nicht
nehmen, dem zuküntigen Olmützer Erzbischof die Ehre zu erweisen; am
8. März 1778 führte Gatti im Teatro Scientiico auf eigene Kosten die Kan-
tate Religione e Mantova14 (LG 2.5) auf, die vom Publikum mit großem
Applaus angenommen wurde und auch Anton heodor so beeindruckt
haben dürte, dass er seinem Vetter Hieronymus, der am 17. Mai 1778 im
Dom zu Salzburg seine Weihe zum Erzbischof vollzog15, kaum anders als
in lobenden Worten von dem Mantuaner Abbate Gatti berichten konnte.

   13.     Zum Folgenden ausführlich Alessandro Lattanzi, Luigi Gatti and Anton heodor
Colloredo, Archbishop of Olomouc im vorliegenden Band.
   14.     Da das originale Libretto neben dem Gattungstitel »Cantata« nur den Auführungsort,
den Widmungsträger und den Komponisten nennt, wurde das Werk von Alessandro Lattanzi
nach den beiden Hauptprotagonisten benannt und unter dem Namen Religione e Mantova in das
neue Werkverzeichnis aufgenommen. Vgl. ebd.
   15.     Leopold Mozart berichtete Frau und Sohn am 28. Mai 1778 nicht nur, dass er in seiner
Funktion als Vizekapellmeister zu Anton heodors Konsekration »des Wolfg(angs) Messe mit
dem Orgl Solo: das Kyrie aber aus der Spaur Messe« aufgeführt hatte, sondern brachte auch sein
Bedauern zum Ausdruck, dass sein Sohn in Mannheim zu sehr beschätigt sei, um − wie Gatti in
Mantua − eine Gelegenheit zur öfentlichkeitswirksamen Darstellung der eigenen Fähigkeiten zu
ergreifen: »der Erzbischof von Ollmütz ist den 17ten gewecht [= geweiht] worden. hättest du in
Manheim nicht so viel für andere Leute zu thun gehabt, so hättest Du Deine Messe aus machen [=
komponieren] und mir schicken können.
   Es war vom Brunetti [dem damaligen Hokonzertmeister] bey der Musik immer ein Geplau-
der, wer denn die Consecrations Messe machen sollte, und er glaubte es dahin zu bringen, daß
Haydn vom Erzbischof einen Befehl bekommen sollte: allein der Erzbischof gab keine Antwort,
und auch [die Domkapitulare] gr: Czernin und Starnberg, an den [recte: die] sich Brunetti und die
Haydin [Michael Haydns Gemahlin] wanden, gaben ihnen gar keine Antwort. ich machte des
Wolfg: Messe mit dem Orgl Solo: das Kyrie aber aus der Spaur Messe [KV 259 bzw. 257]; ließ sie
schreiben, und bekamm die 6 duccatten richtig. Da nun am Ende der Olmützer=Fürst auch 30

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   Wenig später, am 11. Juni 1778, berichtete Leopold Mozart seinem
Sohn über die vergeblichen Mühen des Fürsterzbischofs, nicht nur ei-
nen Hokapellmeister, sondern auch »Organisten und Clavieristen« für
seine Hofmusik zu inden. In diesem Zusammenhang habe der Olmüt-
zer Erzbischof Luigi Gatti auch »als einen vornehmen Clavierspieler an-
gerühmt«, worauf Hieronymus seinen Vetter ersucht habe, Gatti das
Salzburger Hokapellmeisteramt anzubieten. Doch Gatti zierte sich und
zeigte zunächst kein allzu großes Interesse, Mantua zu verlassen, son-
dern habe lediglich angeboten, für zwei oder drei Monate nach Salzburg
zu kommen.16
   Gatti hatte damals auch keine Gründe, Mantua den Rücken zu kehren,
denn die nächsten Jahre brachten ihm neben seiner Ernennung zum Vi-
zekapellmeister an der Hokirche Santa Barbara (bestätigt mit Patent vom
16. Juli 177917) weitere große heatererfolge: Am 1. Mai 1779 kamen La
Nitteti (P. Metastasio, LG 1.3)18 und im April 1780 das Ballett Il ratto delle
Sabine (LG 4.4) zusammen mit Domenico Cimarosas (1749−1801) Melo-

duggaten extra für die gesellschat Musiken und die Serenata hergab, so schickte der Erzbischof
solche mir, um die Austheilung zu machen. Ich machte eine schritliche austheilung, machte sie
dem Erzb: zur approbation, und damit er sehen konnte, daß ich mich nicht auf die Lista gesetzt
hatte, um mich vor aller Nachrede sicher zu stellen, und theilte es dann aus. NB den Abbate Vare-
sco hat er aus der Lista weggestrichen.« Bauer – Deutsch, Mozart. Briefe und Aufzeichnungen,
Bd. ii, S. 362 f., Z. 140–55.
    Bei der von Leopold Mozart erwähnten »Serenata« handelte es sich um Il Parnaso confuso
(Text von P. Metastasio), um jenes Werk, mit dem Hokapellmeister Giacomo Rust für die Kon-
sekrationsfeier beautragt worden war. Rust bediente sich laut Leopold Mozart ofensichtlich
meist früher verfasster Kompositionen. Die bisher verschollen geglaubte Musik wurde von Kur-
zem von A. Lattanzi wieder gefunden. Vgl. seinen Beitrag im vorliegenden Band.
    Weshalb Vizekapellmeister Leopold Mozart Hokaplan Abbate Varesco in die Liste aufgenom-
men hatte, Hieronymus ihn jedoch streichen ließ, ist nicht bekannt.
    16.     Brief Leopold Mozarts an seinen Sohn vom 11. Juni 1778: »Der Erzbischof schreibt ganz
Italien aus, und bekommt keinen Capellmeister, – er schreibt nach Wienn und Prag und Königs-
grez und bekommt keinen anständigen Organisten und Clavieristen – unter den Capellmstrn ist
mit Bertoni nichts zu machen – und – lache! Luigi gatti von Mantua, den der Erzb: von Ollmütz
als einen vornehmen Clavierspieler angerühmt, den du kennst, der deine Messe in Mantua abge-
schrieben, und dem der Olmützer fürst hat schreiben müssen, will Mantua nicht verlassen, son-
dern nur auf 2, 3, Monate herauskommen.« Bauer – Deutsch, Mozart. Briefe und Aufzeichnun-
gen, Bd. ii, S. 373. Z. 155 f.
    17.     Gehmacher, Luigi Gatti, S. 28.
    18.     »Gazzetta di Mantova«, 7.5.1779: »Fin dal sera del dì primo del corrente si mise in scena
in questo Regio-Ducal Teatro vecchio […] il dramma intitolato la Nitteti […] scelta musica novel-
lamente composto dall’eccellente Sig. Abate Luigi Gatti, Maestro di Cappella Mantovano.« Zit.
nach Bernardi, La musica nella Reale Accademia Virgiliana di Mantova, S. 28.

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dramma Cajo Mario19 heraus. Die bisherige Annahme, dass das 26 Num-
mern umfassende Oratorium Il martirio dei Santi Nazario e Celso (LG 5.4)
für Mailand komponiert und dort wahrscheinlich am 28. Juli 1780 aufge-
führt worden sei20, dürte auf einen Lesefehler zurückgehen; das Werk
entstand für die Collegiata dei Santi Nazaro e Celso in Brescia, wo auch
das Libretto verlegt wurde.21 Mit dieser Auführung bahnte sich Gatti ver-
mutlich auch den Weg zum Höhepunkt seines Wirkens in Italien. Am
3. Februar 1781 (nahezu zeitgleich mit der Urauführung von Mozarts Ido-
meneo in München) fand am Teatro alla Scala in Mailand die Auführung
seines Opernpasticcios Antigono (P. Metastasio, LG 1.4) statt, zu dem Pa-
squale Anfossi (1727−1797), zum überwiegenden Teil aber Luigi Gatti die
Musik komponiert hatten.22 Am 13. Mai 1781, brachte Gatti außerdem
L’Olimpiade (P. Metastasio, LG 1.5) in Mantua auf die Bühne.
   Am Salzburger geistlich-weltlichen Fürstenhof waren die Verhandlun-
gen des Fürsterzbischofs mit Gatti nun soweit fortgeschritten, dass Hiero-
nymus ihm einen Vertrag mit allen Anstellungsbedingungen zukommen
ließ. Man wird nicht fehlgehen anzunehmen, dass Gattis Erfolge in Man-
tua und Mailand wesentlich zu dieser Berufung nach Salzbug beigetragen
haben. Gatti unterschrieb den aus Salzburg übermittelten Vertrag in
Mantua am 11. Februar 1781, reiste aber erst eineinhalb Jahre (!) später ab.
Nach seiner Ankunt in Salzburg suchte er um Dekretierung an, die ihm
mit 1. Juli 1782 gewährt wurde. Allerdings verlangte Colloredo von ihm
eine halbjährige Probezeit.23 Gleichzeitig erging die fürsterzbischöliche
Anordnung an die Hokammer, dass »dieselbe bey dem Hofzahlamt zu
verfügen habe, womit dem vermög gegenwärtig wohl zu verwahrenden
Contracts auf Wohlverhalten auf ein halbes Jahr zu einen Kapellmeistern
aufgenomenen Luigi Gatti jährlich acht hundert Gulden oder 160 Duca-
ten, das halbe Jahr somit 80 Ducaten in monatlichen Ratis verabfolget
[…] werden.«24

   19.   In der Gazzetta di Mantova erschien am 14. April eine Besprechung. Vgl. ebd., S. 29.
   20. Vgl. Gehmacher, Luigi Gatti, S. 74 f.
   21.   Freundliche Mitteilung von Alessandro Lattanzi.
   22.   Gehmacher, Luigi Gatti, S. 271.
   23.   Vgl. Ernst Hintermaier, Die Salzburger Hokapelle von 1700 bis 1806. Organisation
und Personal, Universität Salzburg (Phil. Diss.) 1972. S. 134.
   24.   SLA, HZA 1783/1/H.

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Abbildung 3: »Ein Kappellmeister im Chorroke«, Aquarell-Gouache aus der Ku-
enburg-Sammlung, Werkstatt Lederwasch, Salzburg 1782−1790, Privatbesitz. Auf-
grund der Datierung des Bilderzyklus sowie der Tatsache, dass die ebenfalls darin
enthaltenen Darstellungen des Erzbischofs eine große Ähnlichkeit mit den be-
kannten Portraits Hieronymus Colloredos aufweisen, ist zu schließen, dass es sich
hier um eine naturalistische Abbildung Luigi Gattis und mithin um dessen einzi-
ges bisher bekanntes Portrait handelt.

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Mit seinem Wechsel nach Salzburg begab sich Gatti in ein seinem bishe-
rigen Wirkungsbereich sehr verschiedenes Umfeld. Als Fürsterzbischof
Hieronymus im Jahre 1772 das Erzstit und Erzbistum Salzburg über-
nahm, fand er eine gut organisierte Hofmusikkapelle mit einzelnen her-
vorragenden Instrumentalisten vor. Höchster Musiker am Hof war der
aus Bologna stammende Kapellmeister Giuseppe Francesco Lolli (1701–
1778)25, der bereits 1722 in Hofdienste getreten war. Am 4. Oktober 1743
zum Vizekapellmeister dekretiert, war Lolli nach dem Tod des seit 1749
amtierenden Hokapellmeisters Johann Ernst Eberlin (1702−1762) zu des-
sen Nachfolger bestellt worden. Gleichzeitig hatte der seit 1746 in Hof-
diensten stehende Leopold Mozart (1719–1787) das Amt des Vizekapell-
meisters erhalten. Die übrige Besetzung der Hofmusik entsprach sicher-
lich nicht den Standards, die Colloredo am Wiener Hof, wo sein Vater,
Rudolph Joseph Fürst Colloredo, als Reichsvizekanzler eine hohe Stellung
einnahm, kennen gelernt hatte. Andererseits hatte ihm aber als Bischof
von Gurk (1762–1771) eine Hofmusik überhaupt nicht zur Verfügung ge-
standen. Insgesamt entsprach die Salzburger Hofmusik zwar den Bedürf-
nissen eines kleinen geistlich-weltlichen Fürstentums der Zeit, konnte
aber keinesfalls mit jenen zu Wien, München oder Paris konkurrieren.
   Vor allem die theatralische Musik bei Hof wurde unter Colloredo
vernachlässigt. Das einst blühende Schultheater an der Benediktineruni-
versität, das stets mit Musik verbunden war, fand mit Kompositionen
von Anton Cajetan Adlgasser (1729−1777) und Michael Haydn
(1737−1806) zunächst noch kreative Bereicherung, mit seiner Schulord-
nung De publicis perorationibus vom 30. November 1776 bescherte Col-
loredo dem Universitätstheater aber das endgültige Ende. Der ehemali-
ge Reichtum des kleinen Erzstites und Fürsterzbistums war verlossen
und vom neuen Landesherrn wurde verlangt, das Erzstit Salzburg i-
nanziell zu sanieren. Er hatte dabei durchaus respektablen Erfolg und

   25.     Hintermaier, Die Salzburger Hokapelle, S. 232–7; Doris Pellegrini-Rainer − Wer-
ner Rainer, Guiseppe [sic] Lolli (1701–1778). Ein biographischer Beitrag zur Musikgeschichte Salz-
burgs, »Mitteilungen der Gesellschat für Salzburger Landeskunde«, cvi, 1966, S. 281–91; Thomas
Hochradner, ›B-Komponist‹ oder: Wie wird man ›Kleinmeister‹?, in Bruckner-Symposion »Der
Künstler und seine Welt«. Brucknerhaus, Linz, 25.–27. September 2008. Bericht, hrsg. v. Theophil
Antonicek – Andreas Lindner – Klaus Petermayr, Musikwissenschatlicher Verlag, Wien
2010, S. 115–29.

                                              ∙ 33 ∙
∙ Ernst Hintermaier ∙

beseitigte durch seinen eisernen Sparwillen die größte Armut im Lande.
Doch die Sparmaßnahmen zogen auch Einschnitte im kulturellen Sektor
nach sich. Dies bedeutete: auf vorgefundene Organisationen zurückgrei-
fen, bei Neueinstellungen Personalausgaben einsparen und die Befriedi-
gung der heaterleidenschat der Stadtbewohner anderen übertragen.26
   Trotz aller inanziellen Zwänge war Colloredo bemüht, seine Hofmu-
sik aufzuwerten. So trachtete er für Lolli Ersatz zu inden und glaubte in
Domenico Fischietti (ca. 1725−nach 1783) den Richtigen gefunden zu ha-
ben.27 Mit ihm hatte er freilich wenig Glück, denn Fischietti sollte zum
Ansehen der Salzburger Hofmusikkapelle keinen nennenswerten Beitrag
leisten. Colloredo hatte sich vermutlich für ihn entschieden, weil Fischi-
etti durch seine Verbindungen mit Carlo Goldoni (1707−1793) in Venedig
so großen Erfolg hatte28, dass seine »drammi giocosi« in ganz Europa eine
ungewöhnlich große Verbreitung fanden. Sein Ruhm verblasste jedoch
wenige Jahre später.
   Fischiettis Anstellung war bereits in Dresden im April 1766 nur als
Übergangslösung gedacht gewesen, weil »man vor 600 hlr. schwerlich
einen anderen Capell-Meister, welcher nur einen mäßigen Ruf erwor-
ben, bekommen würde«29. Johann Gottlieb Naumann (1741–1801) war der
eigentliche Favorit am Dresdener Hof gewesen. Hieronymus wurde auf
Fischietti aufmerksam, als dieser sich nach Ablauf seines Vertrages in
Dresden am 30. April 1772 nach Wien wandte. Damals begannen die Ver-
handlungen Colloredos mit Fischietti, mit denen er Ludwig Gottfried
Freiherr von Moll (1727–1804) beautragte. Der Vertrag wurde geschlos-
sen, nachdem Fischietti eine »Probemesse« vorgelegt hatte.30 Die ihm an-

    26. Im Jahre 1775 zwang der Fürsterzbischof den Bürgermeister der Stadt, das »Ballhaus« in
ein heater umbauen zu lassen. Dieser wehrte sich erfolglos und nahm seinen Abschied. Ernst
Hintermaier, Das fürsterzbischöliche Hotheater zu Salzburg (1775–1803), »Österreichische Mu-
sikzeitschrit«, xxx, 1975, S. 351–63: 351 f.
    27.   Hintermaier, Die Salzburger Hokapelle, S. 117–27; Gerhard Poppe, Fischietti, Dome-
nico, in Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, begr. v.
Friedrich Blume, zweite, neubearbeitete Ausgabe hrsg. v. Ludwig Finscher, Personenteil,
Bd. vi, Bärenreiter, Kassel 2001, Sp. 1275−8.
    28.   Im Karneval 1754 mit Lo speziale, 1756 mit La ritornata di Londra, im Karneval 1758 mit
Il mercato di Malmantile und im Herbst 1758 mit Il signor dottore.
    29.   Akten der Dresdner Hokapelle, zit. nach Poppe, Fischietti, Domenico, Sp. 1275 f.
    30.   Missa solennis a 4 Voci 2 Violini 2 Viole 2 Oboe 2 Corni 2 Flauti Fagotto 3 Trombini [!] e
Organo Del Sig:re Domenico Fischietti (A-Sd, A 1131). Poppe, Fischietti, Domenico, Sp. 1277 geht
davon aus, dass die »erhaltene Kirchenmusik Fischiettis […] wahrscheinlich ausschließlich wäh-
rend seiner sechs Kapellmeisterjahre am sächsischen Hof [entstand]« und mithin auch die

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∙ Luigi (Maria Baldassare) Gatti ∙

gebotene Besoldung in Höhe von jährlich 600 Gulden plus 200 Gulden
»Tafelgeld« nahm er an und wurde bereits am 5. September 1772 dekre-
tiert. Die im Vertrag zugesicherte »Hauszinszulage« von jährlich 80 Gul-
den erhielt er ab April 1773. Mehr wollte der Landesfürst nicht geben, hat-
te er ja immer noch zusätzlich den vom Vorgänger übernommenen Hof-
kapellmeister Lolli zu versorgen.
   Neben Kirchenkompositionen31 schuf Fischietti während seines Wir-
kens in Salzburg gerade in dem ihm eigenen Genre nur drei bisher be-
kannt gewordene Werke:
   1) Talestri Regina dell’Amazoni (»Opera drammatica« nach dem
Text von E(rmelinda) T(alèa) P(astorella) A(rcade) [= Maria Antonia
Walpurgis von Sachsen (1744–1780)]). Die Auführung am fürsterzbi-
schölichen Hotheater in der Residenz kann mit einem Textbuch belegt
werden, das 1773 aufgelegt wurde.32 Es muss sich dabei um jenes Werk
gehandelt haben, nach dem sich Mozart in seinem Brief aus Mailand am
5. Dezember 1772 bei seiner Schwester erkundigte: »der ischietti wird
wohl bald anfangen an seiner opera bufa /:auf Teutsch:/ an seiner närri-
schen opera zu arbeiten«33. Zu dieser Oper ist im Gegensatz zu den beiden

Salzburger »Probemesse« bereits in Dresden zum gleichen Zweck vorgelegt und aufgeführt wor-
den war. Gestützt wird diese Annahme u. a. durch den Umstand, dass im Dommusikarchiv neben
den von Salzburger Schreibern angefertigten Stimmen der Messe auch eine nicht in Salzburg ent-
standene Partiturabschrit der Sätze »Sanctus« und »Agnus Dei« überliefert ist. Die anonyme Par-
titur der übrigen Sätze gelangte aus ungeklärten Gründen mit Luigi Gattis Nachlass an die Biblio-
teca Musicale Greggiati in Ostiglia (I-OS, Mss.Mus.B 4483), wo sie von Alessandro Lattanzi iden-
tiiziert und Fischietti zugeschrieben werden konnte. Siehe Alessandro Lattanzi, La biblioteca
musicale di Luigi Gatti, in Tagungsbericht des Symposiums »Giuseppe Greggiati (1703–1866) e il
collezionismo musicale«. (Ostiglia und Mantua, April 2011), hrsg. v. Paola Besutti, Olschki, Flo-
renz (in Vorb.).
    31.     Im Dommusikarchiv sind von Fischietti unter den Signaturen A-Sd, A 1131−1137 sowie
A 1164 insgesamt acht geistliche Werke verschiedener Gattungen erhalten geblieben.
    32.     Archiv der Erzdiözese Salzburg (AES), Bibliothek 37/96. Das Textbuch weist Mitglieder der
Hofmusik als Ausführende aus: Johann Michael Haydns Gattin Anna Magdalena Lipp (1745−1827) als
Talestri, als deren Schwester Antiope Magdalena Dax, als Oronte Joseph Meissner (1725?−1795), als
Tomiri (»Gran Sacerdotessa«) Maria Anna Braunhofer (1748−1819) und als Learco (Orontes Freund)
Franz Anton Spitzeder (1735−1796). Vgl. Hintermaier, Die Salzburger Hokapelle, S. 227 f., 263 f.,
45 f. und 413 f. Magdalena Daxin wird nicht wie alle anderen mit dem Beisatz »in attuàl Servizio« be-
zeichnet. Sie muss als bisher unbekannte Gastsängerin mitgewirkt haben.
    33.     Bauer – Deutsch, Mozart. Briefe und Aufzeichnungen, Bd. i, S. 466. Dass Mozart mit
der »närrischen opera« ofensichtlich − wie in diesen Zeilen an seine Schwester noch öter − ein
Sprachspiel treibt, mag erklären, warum er die Komposition eines ernsten Sujets, das der Text der
Talestri darstellt, als »opera bufa« anspricht. Hinweise auf ein anderes Werk Fischiettis aus dieser
Zeit, das Mozart gemeint haben könnte, gibt es derzeit nicht.

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∙ Ernst Hintermaier ∙

folgenden Werken Fischiettis keine Musik überliefert.34 Aus dem Titel-
blatt des Textbuches geht jedoch eindeutig hervor, dass Fischietti die Mu-
sik dazu komponierte: »La Musica è del Celebre Signor Domenico Fischi-
etti Napolitano, Attual Maestro di Cappella della Prefata S. A. R.«
   2) L’isola disabitata (»Azione per musica« von P. Metastasio). Die
Auführung muss 1774 vermutlich ebenfalls im alten Hotheater stattge-
funden haben, da das für die Allgemeinheit bestimmte neue Hotheater
im umgebauten Ballhaus erst im darauf folgenden Jahr zur Verfügung
stand. Die Auführung kann anhand einer authentischen Salzburger Par-
titurabschrit des Hokopisten Maximilian Raab (um 1720–1780) im Mu-
sikarchiv der Heiligen Kapelle in Altötting nachgewiesen werden.35
   3) Höhepunkt von Fischiettis Karriere am Salzburger Hof war wohl
die Auführung einer »Serenata« anlässlich des Besuches von Kurfürst
und Erzbischof von Köln, Maximilian Franz von Österreich (1756–1801),
Kaiserin Maria heresias jüngstem Sohn, im April 1775. Für diesen Anlass
hatte Hieronymus sowohl seinen Hokapellmeister als auch seinen Hof-
konzertmeister Mozart mit der Komposition einer »Serenata« beautragt:
Mozart komponierte darauf hin Il re pastore KV 208 und Fischietti Gli
orti Esperidi, beide nach Texten von P. Metastasio. Wie wenig man diese
Konstellation in Salzburg als einen Wettstreit aufasste, zeigen die damit
in Verbindung stehenden Tagebucheintragungen des hochrangigen Hof-
beamten Joachim Ferdinand von Schidenhofen (1747–1823): Er erwähnte
zwar die Auführungen in seinem Tagebuch, ohne jedoch darauf näher
einzugehen, geschweige sie vergleichend zu beurteilen.36 Die musikalische
Quelle und der von Schidenhofen nicht genannte Titel der »Serenata«
konnte anhand einer weiteren Partiturabschrit Maximilian Raabs, die

   34.   Allerdings inden sich im Archiv der Erzdiözese Salzburg unter der Signatur O 5 sowohl
die gedruckte Partitur (Breitkopf und Härtel, Leipzig, 1765) des ersten und dritten Aktes als auch
handschritliches, nicht in Salzburg entstandenes Stimmenmaterial der Oper in der Vertonung
von Maria Antonia Walpurgis von Sachsen.
   35.   Die Handschrit (D-AÖhk/472) umfasst 114 Blatt. Der vermutlich prachtvoll gestaltete
Einband wurde entfernt, der Buchblock weist jedoch Goldschnitt auf, was auf ein Widmungsex-
emplar hindeutet.
   36.   Joachim Ferdinand von Schidenhofen. Ein Freund der Mozarts. Die Tagebücher des Salz-
burger Hofrats, hrsg. v. Hannelore und Rudolf Angermüller unter Mitarbeit von Günther
Bauer, Bock, Bad Honnef, 2006 (Mitteilungen der Gesellschat für Salzburger Landeskunde: Er-
gänzungsband, 24), S. 60 f.

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∙ Luigi (Maria Baldassare) Gatti ∙

sich im Musikalienbestand der Stitung Mozart Salzburg erhalten hat,
nachgewiesen werden.37
   Kurze Zeit nach der Auführung von Gli orti Esperidi muss Domenico
Fischietti den Salzburger Hof verlassen haben, möglicherweise noch vor
Ablauf seines bis Ende August 1775 laufenden Vertrages. Weshalb Fischi-
etti dennoch als »Titular-Kapellmeister« bis 1783 in die oiziellen Salz-
burger Hokalender aufgenommen wurde, bleibt ein Rätsel. Wollte Col-
loredo seine Hofmusik nur mit dem Namen eines Hokapellmeisters von
− wenn auch bescheidenem − europäischem Ruf schmücken oder erwar-
tete er noch Kompositionen von ihm? Letztere blieben jedenfalls aus.
   Obwohl Fischietti bereits Mitte 1775 abgereist war und nicht mehr für
Dienste bei Hof und im Dom zur Verfügung stand, wandte sich Collore-
do erst zwei Jahre später an Giacomo Rust (geb. 1741 in Rom, gest. 1786 in
Barcelona), den er mit der gegenüber Fischietti noch um 120 Gulden er-
höhten Besoldung von jährlich 1.000 Gulden (inklusive Tafelgeld und
Hauszinszulage) als Hokapellmeister nach Salzburg verplichtete und am
12. Juni 1777 dekretierte. Zum Vergleich: Vizekapellmeister Leopold und
Hokonzertmeister Wolfgang Amadeus Mozart verdienten gemeinsam
inklusive aller Zulagen damals 540 Gulden und Haydn 400 Gulden (in-
klusive Kostgeld).
   Trotz seines hohen Salärs hinterließ Giacomo Rust im Musikleben
Salzburgs kaum Spuren. Dass Colloredo ihn an seinen Hof geholt hatte,
dürte auch Rust seinen Erfolgen als Komponist von Drammi giocosi
(Opere bufe) in Venedig, wie sie auch Fischietti vorzuweisen hatte, zu
verdanken haben. Als Kirchenkomponist trat er in Salzburg nicht in Er-
scheinung.38 Während seines Aufenthaltes in Salzburg, den Rust krank-
heitshalber bereits im Februar 1778 beendete, entstand lediglich die Sere-
nata Il Parnaso confuso (P. Metastasio)39, die der Fürsterzbischof für die
Konsekrationsfeierlichkeiten des Erzbischofs von Olmütz, Anton heo-
dor Graf Colloredo, in Autrag gegeben hatte. Rust selbst war bei der Auf-
führung im Hotheater am 17. Mai 1778 nicht mehr anwesend. Sowohl der
Fürsterzbischof als auch Leopold Mozart waren mit Rusts Beitrag zum
Konsekrationsfest nicht zufrieden.

    37.    Bibliothek der Stitung Mozarteum Salzburg, Rara Hs Fisch 10.
    38.    Hintermaier, Die Salzburger Hokapelle, S. 343–51.
    39.    Diese lange verloren geglaubte Serenata wurde vor kurzem von Alessandro Lattanzi in
einer Abschrit Maximilian Raabs unter der Signatur I-OS, Mss. Mus. 248 in der Biblioteca »Greg-
giati« in Ostiglia wiederentdeckt. Ein Aufsatz darüber ist in Vorbereitung.

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∙ Ernst Hintermaier ∙

   Auch in organisatorischer Hinsicht dürte Colloredo mit Giacomo
Rusts Berufung erneut keine glückliche Entscheidung getrofen haben.
Statt Beruhigung brachte sie nur Unruhe in die Hofmusik, worüber Leo-
pold Mozart in zynischen und detaillierten Schilderungen in Briefen an
seinen Sohn zu berichten wusste.40 In diesen spürt man Leopold Mozarts
Schadenfreude und Genugtuung, waren doch die Demütigungen, die der
Fürsterzbischof ihm und seinem Sohn im August 1777 zugefügt hatte,
noch nicht vergessen. Da die Fähigkeiten der Mozarts bei der Besetzung
des Hokapellmeisteramtes nicht berücksichtigt worden waren, wollten
sie ihr Glück auf einer neuen Reise, die sie nach Paris führen sollte, versu-
chen. Colloredo bewilligte sie jedoch nicht und nahm sogar die Kündi-
gung beider Mozarts, die Leopold im letzten Augenblick zumindest für
seine Person verhindern konnte, in Kauf. Vermutlich schweren Herzens
schickte er Sohn und Frau allein auf die Reise, von der nur sein Sohn zu-
rückkehren sollte.
   Durch die letztlich treuen Dienste seines Vizekapellmeisters41 konnte
Colloredo guten Gewissens und ohne Qualitätsverlust seiner Hofmusik
auf Rust verzichten, zumal er mit diesem nicht zufrieden war. Für Collo-
redo war aber auch der junge Mozart entbehrlich. Dieser trug zwar − wie
Michael Haydn − den Titel eines Konzertmeisters; doch stand mit Anto-
nio Brunetti (1744−1786) seit März 1776 ein fähiger Violinist für den Pos-
ten des »Primo Direttore d’Orchestra« zur Verfügung, der auch die Gunst
seines Dienstherren besaß. Der Fürsterzbischof sparte sich sogar Gehalts-
kosten von monatlich 12 Gulden 30 Kreuzer. Der Vergleich mit Brunettis
Salär, der inklusive der Nebenbezüge monatlich 45 Gulden verdiente, be-
stätigt, dass Mozart zu den schlecht bezahlten Hofmusikern zählte und in
dieser Position keine Besserung erwarten konnte. Rusts nach einigem
Tauziehen um seine Vertragslösung bereits Mitte Februar 1778 erfolgten
Abgang kommentierte Leopold Mozart lapidar mit den Worten: »Rust ist

   40. Ein Streit, der sich kurz nach Mozarts Abreise nach Paris und nach Rusts Bestellung
zum Hokapellmeister ereignete, sei hier pars pro toto angeführt: »Gestern war ein Lermen zwi-
schen dem Haydn und Capellm(ei)str. Nach der Vesper sollte abermahl das engl. Horn Concert
probiert werden, das doch schon einmahl gemacht worden, und Ferlendis und Brunetti waren
nicht da; Haydn wurde böse, und sagte die Probe wäre ohnehin ohnnöthig, und sie sollten auf die
welschen Esel [nicht] warten, der Rust sagte er hätte zu befehlen etc.« Brief vom 25. September
1777, Bauer – Deutsch, Mozart. Briefe und Aufzeichnungen, Bd. ii, S. 10 f., Z. 96–100.
   41.    Vgl. dazu Anja Morgenstern, Das Verhältnis von Leopold Mozart und Fürsterzbischof
Hieronymus Colloredo. Neue Quellenfunde zu Mozarts Tätigkeiten als Vizekapellmeister im vorlie-
genden Band.

                                             ∙ 38 ∙
∙ Luigi (Maria Baldassare) Gatti ∙

nun fort. itzt bin ich nun wieder Capellmeister alleine«42. Keinen Monat
später sollten sich mit der für Anton heodor Graf Colloredo in Mantua
organisierten Auführung der Kantate Religione e Mantova aus der Feder
Luigi Gattis dessen Beziehungen zum Salzburger Hof anbahnen.
   Fürsterzbischof Hieronymus zeigte nach dem Weggang von Giacomo
Rust keinerlei Eile, die anstehende Nachbesetzung des Hokapellmeister-
amtes vorzunehmen, da Vizekapellmeister Leopold Mozart die Aufsicht
über den Kirchendienst seit 1762 plichtbewusst versah und Konzertmeis-
ter Antonio Brunetti für die Musik bei Hof Sorge trug. Letzterem stand
zudem Hokonzertmeister Michael Haydn bis zu seiner Ernennung zum
Hoforganisten in der Nachfolge Mozarts am 30. Mai 1782 zur Seite. Auch
die allgemeine Qualität der Musiker war zu dieser Zeit mindestens akzep-
tabel. Wolfgang Amadé Mozart vermisste in Salzburg ofensichtlich nur
die Verwendung von »clarinetti«. Im Brief vom 3. Dezember 1778 – inzwi-
schen hatte er sich nolens volens für den Verbleib in Salzburg entschlos-
sen – schrieb er jedoch noch ausführlicher seinem Vater: »ach, wenn wir
nur auch clarinetti hätten! – sie glauben nicht was eine sinfone mit lau-
ten, oboen und clarinetten einen herrlichen Efect macht; – ich werde
dem Erzbischof bey der ersten audienz viell neües erzehlen, und vielleicht
auch einige vorschläge machen; – ach, die Musique könnte bey uns viell
schöner und besser seyn, wenn der Erzbischof nur wollte; – die hauptur-
sach warum sie es nicht ist, ist wohl weil gar zu vielle Musicken sind; – ich
habe gegen die Cabinetts=Musick nichts einzuwenden. – nur gegen die
grossen«43.
   An den Qualitäten der Musiker selbst hatte Mozart ofensichtlich
nichts auszusetzen, nur über deren Autritte, schlechte Sitten und Cha-
raktere beschwerte er sich. Seine im Sommer 1778 verfasste Beschreibung
der »haupt=sachen was mir Salzburg verhast macht« geben ein plasti-
sches Bild vom desolaten Zustand der Salzburger Hofmusik, den zu behe-
ben er vom Fürsten »alle gewalt« und »ganz freyen willen« haben müsste,
wollte er sich wieder an Salzburg binden.44 Wenig später erläuterte er sei-

   42.      Brief vom 25./26. Februar 1778. Bauer – Deutsch, Mozart. Briefe und Aufzeichnungen,
Bd. II, S. 303, Z. 288 f.
   43.      Bauer – Deutsch, Mozart. Briefe und Aufzeichnungen, Bd. ii, S. 517, Z. 30−7.
   44. Brief an Vater Leopold vom 9. Juli 1778 aus Paris. Bauer – Deutsch, Mozart. Briefe und
Aufzeichnungen, Bd. ii, S. 395 f., Z. 64–104: »[…] dies ist auch eins von den haupt=sachen was mir
Salzburg verhast macht – die grobe, lumpenhate und liederliche Hof=Musique – es kann ja ein
honneter Mann, der lebensart hat, nicht mit ihnen leben; – er muß sich ja, anstatt daß er sich ihrer

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∙ Ernst Hintermaier ∙

nem Freund Joseph Bullinger (1744−1810) in noch anschaulicheren Wor-
ten, wieso Salzburg, wie er schreibt, »kein ort für mein Talent ist«45. Of-
fensichtlich erkannte auch Fürsterzbischof Hieronymus den von Mozart
diagnostizierten misslichen Zustand seiner Hofmusik, sodass er bei Neu-
besetzungen vorsichtiger agierte und Probezeiten vereinbarte. Einen
Grund, den von einer erfolglos verlaufenen Paris-Reise zurückgekehrten
gerade 23-jährigen Sohn seines Vizekapellmeisters für die Besetzung des
Hokapellmeisteramtes in Betracht zu ziehen, hatte Colloredo nicht. Mo-
zart wurde am 17. Jänner 1779 als Hoforganist wieder in Salzburger Hof-
dienste aufgenommen.
   Zwei Jahre später, Ende 1780, bewilligte ihm der Fürsterzbischof eine
Reise nach München, wo er sein Autragswerk für den Münchener Hof,
den Idomeneo, vorzubereiten und die Auführung zu leiten hatte. Mozart

annehmen könnte, ihrer schämmen! – dann ist auch, und vielleicht aus dieser ursache, die Musick
bey uns nicht beliebt, und in gar keinen ansehen – ja wenn die Musique so bestellt wäre wie zu
Mannheim! – die subordination die in diesem orchestre herscht! – die auctorität die der Canna-
bich hat – da wird alles Ernsthat verichtet; Cannabich, welcher der beste Director ist den ich je
gesehen, hat die liebe und forcht von seinen untergebenen. – er ist auch in der ganzen stadt ange-
sehen, und seine Soldaten auch – sie führen sich aber auch anderst auf – haben lebens=art, sind
gut gekleidet, gehen nicht in die wirths=häüser und saufen – bey ihnen kann dies aber nicht seyn,
ausgenommen der fürst vertrauet sich ihnen oder mir, und giebt uns alle gewalt, was nur immer
zur Musick nothwendig ist – sonst ist es umsonst; denn zu Salzb: hat jeder von der Musique – oder
auch – keiner zu schafen – wenn ich mich darum annehmen müste, so müste ich ganz freyen
willen haben – der obersthofmeister müste mir in Musique sachen, alles was die Musique betrit,
nichts zu sagen haben. denn ein Cavalier kann keinen kapellmeister abgeben, aber ein kapellmeis-
ter wohl einen Cavalier […] wenn mich die salzburger haben wollen, so müssen sie mich und alle
meine wünsche befriedigen – sonst bekommen sie mich gewis nicht […]«
    45.     Brief an Abbé Joseph Bullinger vom 7. August 1778 aus Paris. Bauer – Deutsch, Mo-
zart. Briefe und Aufzeichnungen, Bd. ii, S. 438 f., Z. 68−86: »[…] ich habe meinem vattern schon
einige ursachen darüber geschrieben; unterdessen begnügen sie sich auch mit dieser, daß Salzburg
kein ort für mein Talent ist! – Erstens sind die leüte von der Musick in keinem ansehen, und zwey-
tens hört man nichts; es ist kein heater da, keine opera! – wenn man wircklich eine spiellen
wollte, wer würde denn singen? – seit 5 gegen 6 jahre war die Salzburgische Musick noch immer
Reich am unnützlichen, – unothwendigen – aber sehr arm am nothwendigen, und des unentber-
lichen gänzlich beraubt; wie nun wirklich der fall ist! – die grausamen franzosen sind nun ursache
daß die Musique ohne kapellmeister ist! – izt wird nun, wie ich dessen gewis versichert bin, Ruhe
und ordnung bey der Musick herrschen! – ja, so geht es, wenn man nicht vorbauet! – Mann muß
allzeit ein halb duzend kapellmeister bereit haben, daß, wenn einer fehlt, man gleich einen andern
einsetzen kann – wo izt einen hernehmen? – – und die gefahr ist doch dringend! – Mann kann die
ordnung, Ruhe, und das gute vernehmen bey der Musique nicht überhand nehmen lassen! – –
sonst reisst das übel immer weiter – und auf die lezt ist gar nicht mehr zu helfen; sollte es denn gar
keine Eselohrn=Perücke – keinen lauskopf mehr geben, der die sache wieder im vorigen hinken-
den gang bringen könnte? […]«

                                                ∙ 40 ∙
∙ Luigi (Maria Baldassare) Gatti ∙

reiste am 5. November 1780 ab, sein Urlaub war bis 16. Dezember 1780
befristet. Die Premiere verzögerte sich jedoch und fand erst am 29. Jänner
1781 statt, zu der aus Salzburg nur wenige anreisten: Vater und Schwester,
Frau Viktoria Robinig von Rottenfeld (1716−1783) mit ihren beiden Töch-
tern und deren Sohn Georg Sigmund (1760−1823), der mit Mozart be-
freundet war und regen Anteil an dessen Schafen nahm. Weder Salzbur-
ger Domkapitulare noch der Salzburger Fürsterzbischof selbst waren an-
wesend.46 Obwohl Kurfürst Karl heodor (1724−1799) gegenüber Mozart
geäußert haben soll, »man sollte nicht meynen, daß in einem so kleinen
kopf, so was grosses stecke«47, erschien in der Münchener Presse nur ein
kurzer Hinweis über die Auführung, ohne Namensnennung des Salzbur-
ger Komponisten und seines Librettisten, Colloredos Hokaplan Giam-
battista Varesco (1735−1805): »Verfassung, Musik und Uebersetzung –
sind Geburten von Salzburg.«48 Mozarts Wunsch, eine Anstellung am
Münchener Hof zu erlangen, blieb erneut unerfüllt.49 Auch seitens des

    46. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert und für die Wertschätzung Mozarts sei-
tens seines Dienstgebers signiikant, dass dieser bereits im Jahre 1775 während seines Aufenthaltes
in München der Auführung des Dramma giocoso La inta giardiniera seines Hokonzertmeisters
am 13. Januar 1775 am Salvatortheater in München fernblieb, auch nicht eine der Wiederholungen
besuchte, sondern in Begleitung von hohen Beamten im Residenztheater eine Auführung von
Antonio Tozzis Orfeo ed Euridice vorzog, der ein Jahr zuvor Münchner Hokapellmeister gewor-
den war.
    47.    Brief Mozarts vom 27. Dezember 1780 an seinen Vater, Bauer – Deutsch, Mozart.
Briefe und Aufzeichnungen, Bd. iii, S. 72, Z. 23 f.
    48. »Münchner Stats- [!], gelehrte und vermischte Nachrichten«, cxxv, 1. Februar 1781, zit.
nach Robert Münster, Mozarts Münchener Aufenthalt 1780/81 und die Urauführung des
»Idomeneo«, in Wolfgang Amadeus Mozart. Idomeneo. 1781−1981, hrsg. v. Robert Münster − Ru-
dolph angermüller, R. Piper & Co., München − Zürich 1981, S. 71−105: 97.
    49. Bereits Ende September 1777 war Mozarts Versuch, am Münchner Hof bei Karl heo-
dors Vorgänger Max iii. Joseph eine Anstellung zu erlangen, erfolglos geblieben. Damals wurde
Mozart wegen Mangels einer freien Stelle auf später vertröstet und ihm geraten, er möge »nach
italien reisen, sich berühmt machen«. Trotz Interventionen von Joseph Anton Graf Seeau, dem
Münchner Hotheaterintendanten, und Weihbischof Ferdinand Christoph Graf Waldburg-Zeil,
der in der Wahl zum Salzburger Fürsterzbischof 1772 Hieronymus Graf Colloredo unterlegen war,
machte der Kurfürst Mozart klar, dass keine Chance bestünde, in München Fuß zu fassen. Die von
Mozart seinem Vater am 29. September 1777 mitgeteilten Informationen nach einem Gespräch
mit dem Weihbischof, lassen erahnen, was in München – ganz ähnlich wie in Salzburg – gespielt
wurde: »daß ist wahr! sehr viel gute freunde: aber leider die meisten die nichts oder wenig vermö-
gen. ich war gestern um halbe 11 uhr beym graf Seau und habe ihn aber viel ernsthater und nicht
so natürlich wie das erste mahl befunden. doch war es nur schein. dann [= denn] heutte war ich
beym Fürst Zeil und der hat mir folgendes mit aller hölichkeit gesagt. ›ich glaube hier werden wir
nicht viell ausrichten. ich habe bey der tafel zu Nümphenburg heimlich mit den Churfürsten ge-
sprochen. er sagte mir. ietzt ist es noch zu früh. er soll gehen, nach italien reisen, sich berühmt

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∙ Ernst Hintermaier ∙

Salzburger Landesfürsten bestand kein Interesse, eine solche »Salzburger
Geburt« mit dem höchsten Hofmusikamt an seinen Hof zu betrauen. Als
Mozart am 12. März 1781 München verlässt und auf Weisung des
Fürsterzbischofs nach Wien reist, wo es am 8. Juni 1781 zum Eklat kom-
men sollte, hat Luigi Gatti seinen Salzburger Anstellungsvertrag bereits
unterzeichnet.

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Nach Ablauf seiner Probezeit stand einer deinitiven Anstellung Gattis
am Salzburger Hof nichts mehr im Wege. Am 14. Februar 1783 erging an
Gatti schließlich folgendes Dekret:
   »In der Zuversicht, daß der Kapellmeister Gatti sich besonders angelegen seyn
   lassen wird, daß furdersamst der Kirchen Dienst gut vollzochen, wie nicht minder
   die Kammer oder andere Musique gut besorget werde, und daß derselbe sowohl
   die Scholarn aus dem Kapellhaus, als andere, welche ihme werden anvertraut wer-
   den, gut unterrichte, daß alles mit gutter Ordnung und Würtschat geplogen, so-
   fort auch die Inventarien richtig gefasset und verwahret werden, damit von der
   Musique nichtes entzochen werde, daß er sich allem deme willig füge, was wir
   ihme sowohl in betref der Instruction als Composition autragen werden, wollen
   wir denselben hiemit zu einen Kapellmeistere an unseren Hof und bey unserer
   Kirche mit dem nemlichen Gehalt von acht hundert Gulden unter dem Vorbehalt
   aufnehmen, daß es in unserer Willkühr stehen solle, demselben einen heill des-
   sen Gehalts auch mittels eines Beneicii anweisen zu können. Hieronymus.«50

machen. ich versage ihm nichts. aber iezt ist es noch zu früh.‹ da haben wirs. die meisten grossen
herrn haben einen so entzezlichn Welschland=Paroxismus [»im Allgemeinen eine hetige, leiden-
schatliche Aufregung, namentlich aber bei Krankheiten derjenige Zustand, wo das Fieber seinen
höchsten Graf erreicht hat.« Damen-Conversatións-Lexikon hrsg. im Verein mit Gelehrten und
Schritstellerinnen von Karl Herlosssohn, 10 Bde., 1834−1838, Bd. viii, Verlags-Bureau, Adorf
1837, S. 112.] doch rieth er mir zum Churfürsten zu gehen, und meine sache vorzutragen wie sonst.«
Bauer – Deutsch, Mozart. Briefe und Aufzeichnungen, Bd. ii, S. 21, Z. 9−19. Tatsächlich kam eine
Begegnung mit dem Kurfürsten zustande, in der Mozart vorbrachte, dass er bereits mit drei Opern
in Italien reüssiert habe und Mitglied der Accademia in Bologna sei. Er wurde dennoch vom Kur-
fürsten mit den gleichen Argumenten abgewiesen: Es stünde keine freie Stelle zur Verfügung. Vgl.
ebd., S. 21–4.
    50.     SLA, HZA 1783/1/H.
    Von der Möglichkeit, einen Teil des Gehaltes durch die Erträge eines Dombeneiziums abzu-
gelten, machte der Fürsterzbischof keinen Gebrauch. Diese erwogene Absicherung geht auf einen
Usus zurück, der im 17. Jahrhundert bis zur Bestellung Heinrich Ignaz Franz Bibers (1684) wahr-
genommen wurde. Der letzte Hokapellmeister, der geweihter Priester war, war Andreas Hofer
(um 1629–1684). Dieser besaß noch das »Beneicium S. Annae« an der Domkirche. Sein Vorgän-
ger, Stefano Bernardi (1577–1637), war sogar noch »Schneeherr« in der hoch dotierten

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∙ Luigi (Maria Baldassare) Gatti ∙

   Ein in diesem Dekret angesprochener Aufgabenbereich war bis dahin
nie vertraglich explizit festgelegt worden, nämlich die Obsorge des Hof-
kapellmeisters über die Musikalien und deren Inventarisierung: »damit
von der Musique nichtes entzochen werde«. Dass Gatti diesen Autrag
erfüllte, beweisen zwei thematische Kataloge, mit deren Erstellung er den
Hokopisten Joseph Richard Estlinger (1720−1791) beautragt hatte: Einer
dieser Kataloge stand Gatti zum persönlichen Gebrauch (mit »Gatti« be-
schritet) zur Verfügung, der andere war am Aubewahrungsort der Mu-
sikalien (mit »Archivium« beschritet) hinterlegt.51 Mit diesem Autrag
wurde allerdings nur der für die Liturgie im Dom erforderliche Musikali-
enbestand erfasst. Ob damals gleichzeitig ein adäquater Katalog für den
Musikalienbestand der Hofmusik (für theatralische und instrumentale
Musik) entstanden ist, lässt sich nicht eruieren. Aus dem Wortlaut des
Anstellungsdekretes zu schließen, wäre dies durchaus denkbar. Konkrete
Hinweise darauf wurden bisher nicht gefunden. Aber nicht nur die In-
ventare fehlen, sondern auch der gesamte Musikalienbestand der höi-
schen Musik ging im Zuge der Aulösung des Hofstaates (1807) bzw. in
den Jahren danach verloren. Wahrscheinlich sind nur wenige Abschriten
aus diesem Bestand in einzelnen Bibliotheken und Musiksammlungen er-
halten geblieben.
   Ein weiterer Punkt des Anstellungsdekretes betraf den Kapellhausun-
terricht. Obwohl Gatti (wie auch Wolfgang Amadé Mozart in seinem
Vertrag vom 17. Jänner 1779) vertraglich zum Unterricht der Kapellkna-

»Schneeherren-Stitung« am Salzburger Dom, die Fürsterzbischof Paris Lodron 1622 mit der Ab-
sicht errichtet hatte, für die Verwaltung des Erzstites Salzburg kompetente Juristen geistlichen
Standes zur Verfügung zu haben. Vgl. Manfred Josef Thaler, Das Schneeherrenstit am Dom zu
Salzburg (1622 bis 1806). Ein Beitrag zur nachtridentinischen Kirchenreform, Lang, Frankfurt a. M.
u. a. 2011 (Wissenschat und Religion, 23).
    Mit Abbate Luigi Gatti fand Fürsterzbischof Hieronymus nach langer Zeit wieder zumindest
einen Musiker, der geistlichen Standes war, ofensichtlich aber nicht gewillt war, ein mit Arbeit
verbundenes Beneizium zu übernehmen, mit dem ein Teil der vereinbarten Besoldung abgegol-
ten werden sollte.
    51.     Vgl. Lars E. Laubhold − Eva Neumayr, Der Catalogus Musicalis des Salzburger
Doms. Anmerkungen zur systematischen Erschließung einer problematischen Quelle, in Jahrbuch
des RISM-Österreich 2010, hrsg. v. Michael Jahn − Klaus Petermayr, Der Apfel, Wien 2010
(Veröfentlichungen des rism-österreich, A/14), S. 25-48 sowie Lars E. Laubhold - Eva Neu-
mayr, Luigi Gatti and the Catalogus Musicalis in Ecclesia Metropolitana of the Salzburg Cathedral,
in Tagungsbericht des Symposiums »Luigi Gatti (1740–1817). La Musica a Mantova e a Salisburgo
nel Settecento«. (Mantua, Oktober 2010), hrsg. v. Alessandro Lattanzi, Libreria Musicale Italia-
na, Lucca (in Vorb.).

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