MAGAZIN - HARTZ-IV-SÄTZE SIND LEBENSFREMD SOVD BEMÄNGELT DEN IM KABINETT BESCHLOSSENEN GESETZENTWURF - SOZIALVERBAND DEUTSCHLAND
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September 2020 Magazin Herausgegeben vom Sozialverband Deutschland Hartz-IV-Sätze sind lebensfremd SoVD bemängelt den im Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf
2 Über uns Inhalt 3 Eine starke Gemeinschaft Lebensfremde Hartz-IV-Sätze Der Sozialverband Deutschland (SoVD) rungssysteme ein. Der Sozialstaat ist ein SoVD bemängelt Gesetzentwurf – die vertritt die Interessen der Rentner, der wichtiges Auffangnetz für die Menschen Berechnungsmethodik ersetzen. Patienten und gesetzlich Krankenversi- – das zeigt sich gerade in Zeiten wirt- cherten sowie der pflegebedürftigen und schaftlicher Krisen. Uns geht es auch um Seite 4 – 11 behinderten Menschen. Wir setzen uns für Chancengleichheit, zum Beispiel um die Ihre Rechte ein und bie- Bildung und Ausbildung, Herausforderungen angehen ten unseren Mitgliedern die unsere Gesellschaft Beratungsstellen in ganz behinderten und benach- Sozialpolitische Auswirkungen der Deutschland. Dort erhal- teiligten Kindern und Ju- Pandemie: SoVD legt Einschätzung vor. ten sie Hilfe bei Fragen gendlichen bietet. zur gesetzlichen Kranken-, Der SoVD ist eine starke Seite 12 – 21 Renten- und Pflegeversicherung oder in Gemeinschaft mit rund 600.000 Mitglie- behindertenrechtlichen Dingen. Soziale dern. Bei uns können Sie sich engagieren Reform des Pauschbetrages Gerechtigkeit steht im Mittelpunkt un- und mit anderen gemeinsam aktiv wer- serer Arbeit. Wir setzen uns für den Aus- den. Einer von über 2.000 Ortsverbänden Steuerliche Entlastung von Menschen bau und den Erhalt der sozialen Siche- befindet sich bestimmt auch in Ihrer Nähe. mit Handicap überfällig. Seite 22 – 27 In Krise mehr Europa wagen SoVD begrüßt EU-Wiederaufbaufonds, kritisiert aber Prioritäten im Haushalt. Seite 32 – 37 Raumklang-Erleben Krisen und Herausforderungen im Alltag des blinden Musikers Jonas Hauer. Seite 38 – 45 Die bundesweit über 600.000 Mitglieder des SoVD bilden eine starke Gemeinschaft. Foto Titelbild: Tijana / Adobe Stock
4 Titelthema Titelthema 5 SoVD bemängelt den im Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf – Methodik ersetzen Hartz-IV-Sätze sind lebensfremd Mitten in der Pandemie hat das Bundeskabinett eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze ab 2021 be- schlossen. Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren sollen davon profitieren; Kinder von 6 bis zu 13 Jahren gehen dagegen leer aus. Als lebensfern kritisieren So- zialverbände, darunter SoVD, Ge- werkschaften und Opposition, das Gesetz von Bundessozialminister Foto: Pixel-Shot / Adobe Stock Hubertus Heil, das noch Bundes- Nicht einmal ein Euro ist im Regelsatz tag und -rat passieren muss. Der für Kinder und Jugendliche für Bildung Entwurf sei unter anderem unge- vorgesehen. Einen Rechner anzuschaf- eignet, Kinderarmut zu begegnen. fen, ist damit unmöglich.
6 Titelthema Titelthema 7 Monatlich sieben Euro mehr sol- Jugendliche zwischen 14 und 17 len Hartz-IV-Empfänger*innen ab Jahren geben: Bei ihnen wird der dem kommenden Jahr erhalten. Regelsatz um mindestens 39 Euro Der Satz für alleinstehende Er- auf mindestens 367 Euro im Mo- wachsene steigt laut Gesetzent- nat angehoben. Kein Euro mehr wurf im Januar 2021 von 432 auf ist nach aktuellem Stand für 6- bis 439 Euro. Partner*innen in einer 13-Jährige in der Grundsicherung Bedarfsgemeinschaft beziehen geplant. Armutspolitisch sei dies Foto: ARD, www.ard-mediathek.de / Screenshot: SoVD-Redaktion voraussichtlich sechs Euro mehr. ein Skandal, sagen die Kritiker*in- Die Position des SoVD zu den neuen Hartz-IV-Regel- Die größte Steigerung soll es für nen. sätzen fand große mediale Beachtung, unter anderem im Tagesschau-Nachtmagazin. Foto: H. Brauer / Adobe Stock Durch die Corona-Krise steigt die Zahl der Hartz-IV-Empänger*innen weiter an.
8 Titelthema Titelthema 9 Hartz-IV-Regelsätze werden Jahren 2011 und 2017 zugrunde Verdeckte Armut lässt staatliche Hilfen angewiesen sind. alle fünf Jahre angepasst liegt, nicht einverstanden: „Lei- die Regelsätze absacken „In der Summe besteht hier die Alle fünf Jahre, wenn eine neue so- der wird die Chance vertan, die Auf das Niveau der Leistungs- Gefahr von Zirkelschlüssen“, stellt genannte Einkommens- und Ver- Ermittlung der Regelbedarfe auf ansprüche wirkt sich zudem nach- SoVD-Präsident Bauer fest. „Die brauchsstichprobe (EVS) vorliegt, eine solide und verfassungsgemä- teilig aus, dass bei den „Konsu- Regelsätze bewirken dann letzt- werden die Hartz-IV-Regelsätze ße Berechnungsgrundlage zu stel- mausgaben“ auch die Angaben lich nicht mehr, als bestehende neu festgelegt. Die EVS ist eine len“, stellt SoVD-Präsident Adolf von Haushalten einfließen, die Armutsverhältnisse zu dokumen- amtliche Statistik, bei der die Ein- Bauer hierzu fest. Der SoVD be- eigentlich einen Anspruch auf So- tieren.“ nahmen und Ausgaben von rund anstandet vor allem methodische zialleistungen hätten, diesen aber Als Beleg dafür, dass die Sätze 60.000 repräsentativ ausgewähl- Mängel. Diese führten dazu, dass aus Scham nicht geltend machen. insgesamt zu niedrig bemessen ten Haushalten erhoben werden. das soziokulturelle Existenzmini- Das gilt ebenso für die Angaben sind und Lebensrealitäten nicht An den Ausgaben von Haushalten mum nicht sichergestellt werde. von Aufstocker*innen – Menschen, widerspiegeln, führt der SoVD un- unterer Einkommensgruppen ori- Ein wesentliches Manko ist es da- die trotz Arbeit auf ergänzende ter anderem das Beispiel Mobili- entieren sich die Hartz-IV-Sätze. bei aus Sicht des Verbandes, dass Grundlage für die nun geplante als Berechnungsgrundlage grund- Anpassung sind die Daten aus den sätzlich die Konsumangaben ein- Einkommens- und Verbrauchs- kommensschwacher Haushalte stichproben aus dem Jahr 2018. dienen. Gleichzeitig aber streicht Die Regelsätze werden darüber der Gesetzgeber in diesen, was er hinaus jedes Jahr entlang der nicht als regelbedarfsgerecht be- Lohn- und Preisentwicklung fort- wertet. So wird der Gürtel immer geschrieben – eine Berechnung, enger – zumal auch Kürzungen er- die zum jetzigen Zeitpunkt aller- folgen, die nicht hinreichend be- dings noch aussteht. Sozialver- gründet werden. bände, Gewerkschaften, Verbrau- Aus Sicht des SoVD ist es zum cherverbände, Grüne, Linke und Beispiel wenig nachvollziehbar, Wissenschafter*innen kritisieren warum Menschen, die Leistungen das angewandte Verfahren als aus der Grundsicherung beziehen, Foto: Ronald Rampsch / Adobe Stock „nicht realitätsgerecht“. keine Zimmerpflanzen haben oder Suppenküchen und Kleiderkammern Auch der SoVD ist mit der Berech- ihre Haustiere nicht weiter halten haben regen Zulauf, weil viele Men- nung der Regelsätze, der die glei- dürfen. schen sich die Preise für Essen und che Methodik wie schon in den neue Kleidung nicht leisten können.
10 Titelthema Titelthema 11 tät an. „Der Gesetzgeber ignoriert, ner Studie der Bertelsmann Stif- Um das soziokulturelle Existenz- dass ein Auto für viele Menschen tung zu fehlenden Teilhabechan- minimum solide zu sichern, plä- Grundvoraussetzung für soziale cen armer Kinder in die Debatte diert der SoVD für ein transpa- Teilhabe ist. Das gilt insbesondere eingebracht: „Wenn rund drei Mil- renteres Statistikmodell, das auf für Menschen mit Behinderungen lionen Kinder in Deutschland arm normative Streichungen verzich- und bei bestehenden Mobilitäts- aufwachsen, dann verwehren wir tet. Der Verband fordert das Ein- einschränkungen“, erklärt Bauer. ihnen soziale, kulturelle und ge- setzen einer Sachverständigen- Im ländlichen Raum, wo der öf- sundheitliche Chancen“, erklärte kommission, die gemeinsam mit fentliche Nahverkehr ausbaufähig der SoVD-Präsident. Die Ausge- dem Bundesarbeitsministerium ist, seien Betroffene oftmals eben- staltung und Höhe der Regelsätze die Berechnung der Regelsätze so auf ein Auto angewiesen. holten Kinder nicht aus Armuts- vornimmt. Wie realitätsfern die Resultate des verhältnissen heraus. Die kindli- Bemessungsverfahrens sind, zeigt che Entwicklung entscheide aber sich etwa auch daran, dass gera- über ihre Zukunft, so Bauer. de einmal 1,67 Euro für die An- schaffung einer Waschmaschine vorgesehen sind. Man kann sich ausrechnen, wie lange Grundsi- cherungsbeziehende darauf spa- ren müssten. Der SoVD fordert deshalb die Aufnahme von Ein- malleistungen, die die Jobcenter bei Bedarf direkt übernehmen. Weil im vorliegenden Gesetzent- wurf die Corona-Krise ausgeblen- det ist, bekräftigt der SoVD zudem die in einem breiten Bündnis er- hobene Forderung von 100 Euro pro Monat mehr für Betroffene Foto: Aleksandra Suzi / Adobe Stock zum Ausgleich der Mehrkosten. In Zeiten mit digitalem Unterricht sind Schon vor dem Kabinettsbeschluss Kinder aus armen Familien noch stär- hatte sich der SoVD angesichts ei- ker benachteiligt als ohnehin schon.
12 Sozialpolitik Sozialpolitik 13 SoVD legt Einschätzung zu sozialpolitischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Deutschland vor Herausforderungen gemeinsam meistern Die Auseinandersetzung mit dem bessere Unterstützung von Fami- Coronavirus hat gezeigt, wie wich- lien in Krisensituationen ermögli- tig Unterstützungsleistungen in chen. Krisenzeiten gerade für Menschen Zudem waren Betroffene und de- mit Behinderungen bzw. mit Pfle- ren Familien mit dem Wegbrechen gebedarf sind. Zu den einzelnen ambulanter Unterstützungsstruk- Herausforderungen im Hinblick turen in der Krise auf sich allein auf Rehabilitation und Teilhabe gestellt. Für viele privat Pflegende hat der SoVD daher eine Einschät- war eine berufliche Tätigkeit nicht zung vorgelegt, die konkrete Vor- mehr möglich. Aus SoVD-Sicht schläge und Forderungen an die sollte daher dringend überlegt Politik enthält. werden, wie Betroffene in solchen Belastungssituationen kurzfristig sozialstaatliche Hilfe und Unter- stützung erhalten können. Familien mit pflegedürftigen oder behinderten Angehörigen standen beim „Wettlauf um Schutzausrüs- tung“ oft hintan. Im Gegensatz zu vielen Institutionen erhielten sie beim Beschaffen und Bezahlen von Foto: Boggy / Adobe Stock Masken und Desinfektionsmittel Schwerbehinderte Arbeitnehmer*innen keine Hilfe. Der SoVD regt daher besitzen auch und gerade in Zeiten der an, Strukturen zu schaffen, die eine Krise ein Recht auf Teilhabe.
14 Sozialpolitik Sozialpolitik 15 Zwischen Fürsorge und zwischen dem gebotenen Infektions- Selbstbestimmung schutz und dem Recht auf Selbstbe- Mit Blick auf stationäre Einrich- stimmung abgewogen werden. Leider tungen der Pflege und der Behin- können sich die Betroffenen selbst Foto: Peter Maszlen / Adobe Stock dertenhilfe begrüßt der SoVD, dass politisch kaum Gehör verschaffen. Die Besuchsverbote in Senioren- die teils strikten Besuchsverbote Weiterhin fehlt ein Überblick, inwie- und Pflegeeinrichtungen wurden mittlerweile gelockert wurden. weit die Einrichtungen die Schutz- zur Freude der Bewohner*innen Hier muss auch künftig sorgsam und Lockerungskonzepte umsetzen. wieder gelockert.
16 Sozialpolitik Sozialpolitik 17 Verschlechterungen bei der Teilhabe an Arbeit Coronabedingt steigt die Zahl schwerbehinderter Arbeitsloser deutlich an. Zudem beschäftigt wei- terhin jedes vierte Unternehmen in Deutschland nicht einen einzigen schwerbehinderten Menschen. Der SoVD fordert daher einen „Ruck für Teilhabe“: Unternehmen, die in der Krise gefördert werden, müssen auch gefordert werden, ihre ge- setzlichen Pflichten zu erfüllen. Die Beschäftigung schwerbehin- derter Arbeitnehmer*innen sollte auch durch gezielte Förderpro- gramme vorangebracht werden. Die Bundesagentur für Arbeit trägt dabei in besonderer Weise Verant- wortung, berufliche Teilhabe und Foto: Elnur / Adobe Stock Jedes vierte Unternehmen in Deutsch- Inklusion zu ermöglichen und so land stellt keine Mitarbeiter*innen mit einer drohenden gesellschaftli- Behinderungen ein und zahlt lieber chen Spaltung entgegenzuwirken. eine Abgabe.
18 Sozialpolitik Sozialpolitik 19 Verstärkte Ungerechtigkeiten Investitionen für mehr beim Zugang zu Bildung Barrierefreiheit nutzen Die coronabedingten Schulschlie- Das Krisenbewältigungs- und In- ßungen haben gezeigt, wie schnell vestitionspaket der Bundesregie- Kinder aus sozial benachteiligten rung umfasst beachtliche 130 Mil- Familien – und dies betrifft viele liarden Euro. Gerade vor diesem Kinder mit sonderpädagogischem Hintergrund würde die vom SoVD Förderbedarf – von der Teilhabe an geforderte gesetzliche Pflicht zur Bildung ausgeschlossen sein kön- Barrierefreiheit wichtige Impulse nen. Hier müssen den Bedürfnissen für mehr Teilhabe setzen. Die Po- entsprechende Lösungen her, die litik müsste zudem dafür sorgen, einen gleichberechtigten Zugang dass deutlich wird, wo es bereits zu Bildungsangeboten ermögli- Veränderungen gab und wo noch chen. Handlungs- und Investitionsbedarf besteht. Foto: sushytska / Adobe Stock In der Corona-Krise waren auch die Fördereinrichtungen für Kinder mit Handicap geschlossen. Der Ausgleich zu Hause war für die Familien kaum zu schaffen.
20 Sozialpolitik Sozialpolitik 21 SoVD sieht Gefahr einer sozialen Ausgrenzung Angesichts steigender Arbeitslo- senzahlen nehmen die Existen- zängste vieler Menschen zu. Emp- fänger*innen von Grundsicherung sind verstärkt von einer sozialen Ausgrenzung bedroht. Gerade für die Gruppe der Ärmsten wurde nach Ansicht des SoVD bisher noch zu wenig getan. Anspruch auf eine gerechte Bezahlung durchsetzen Die Corona-Krise hat deutlich ge- macht, wie wichtig gerade die Ge- sundheits- und Pflegeberufe sowie die Sorgearbeit für unsere Gesell- schaft sind. Jetzt ist es an der Zeit, diese Tätigkeiten, die vor allem Frauen leisten, gesellschaftlich aufzuwerten und endlich auch ge- recht zu entlohnen. Foto: pressmaster / Adobe Stock Es sind vor allem die Frauen, die sich in der Corona-Krise neben ihrem Job auch noch zu Hause um die Kinder und Pflegebedürftige kümmern.
22 Sozialpolitik Sozialpolitik 23 Menschen mit Handicap steuerlich entlasten: Anhebung und Vereinfachung überfällig Reform des Behinderten-Pauschbetrages Menschen mit Behinderungen er- leben viele Nachteile. Ein finan- zieller Ausgleich ist der Pausch- betrag für behinderungsbedingte Ausgaben. Er spart Steuern – und Bürokratie, da Betroffene keine Einzelbelege sammeln müssen. Doch seit 45 Jahren sind die Be- träge gleich. Mit einem Gesetz- entwurf sind endlich Erhöhungen geplant. Dafür hat der SoVD lange gekämpft. Nun fehlt aber noch die Verabschiedung. Foto: Elnur / Adobe Stock Für Mehrausgaben durch ihre Behin- derung können Betroffene nun doppelt so hohe Pauschbeträge bei der Steuer geltend machen.
24 Sozialpolitik Sozialpolitik 25 Ende Juli beschloss das Kabinett ein „Gesetz zur Erhöhung der Be- hinderten-Pauschbeträge und Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen“. Stimmt nun das Par- lament zu, sollen die Änderungen ab 2021 gelten. „Der Entwurf wäre ein echter be- hindertenpolitischer Erfolg und beruht auf jahrelangem, stetem SoVD-Engagement – vorausge- setzt, dass er Bundestag und Bun- desrat in der jetzt vorliegenden Form passiert“, sagte SoVD-Präsi- dent Adolf Bauer. Ermutigende Entwicklung nach stetem SoVD-Einsatz Geplant ist, die Beträge zu verdop- peln. Neu dazukommen soll ein Pauschbetrag für Fahrtkosten. Ein- schränkungen bei einem Grad der Behinderung (GdB) unter 50 sollen entfallen. Damit dürften auch Men- schen ohne Schwerbehinderten- status die Regelungen nutzen, und zwar nicht nur unter weiteren Be- dingungen wie etwa bestimmten Foto: didesign / Adobe Stock Gründen für die Behinderung. Ein eigenes Auto ermöglicht Menschen Der SoVD begrüßt die steuerliche mit Behinderungen mehr Mobilität. Öf- Entlastung ausdrücklich: „Die ak- fentliche Verkehrsmittel sind oft nicht tuelle Entwicklung ist sehr ermuti- barrierefrei.
26 Sozialpolitik Sozialpolitik 27 gend für die über sieben Millionen dertenpauschbeträge die behinde- schwerbehinderten Menschen in rungsbedingten Mehraufwendun- Deutschland. Das ist ein sehr gutes gen in keinster Weise abbilden.“ und starkes Zeichen“, unterstrich Zudem zeigten sich viele Hürden. Bauer. Er rief den Gesetzgeber auf, das Vorhaben zu beschließen. Gesetz beschließen, aber Pauschbeträge dynamisieren Lebenswirklichkeit der Menschen Aus SoVD-Sicht wird es höchste Zeit, abbilden die Regelungen zu überarbeiten. Er Seit 1975 sind die Beträge fast hat sich lange dafür eingesetzt. Im unverändert. In der jetzigen Form Herbst sollen nun Bundestag und werden sie nach Worten von Adolf Bundesrat über den Entwurf bera- Bauer der Lebenswirklichkeit be- ten. Der SoVD-Bundesverband und hinderter Menschen „vorne und alle Landesverbände müssen hier hinten nicht gerecht“. Kosten, Prei- den Druck aufrecht erhalten. se und Löhne sind gestiegen. Es Im Gesetzgebungsprozess tritt der sei „offensichtlich, dass die Behin- Verband allerdings für eine Nach- besserung ein: Er fordert, die Pau- schbeträge dynamisch zu halten, sodass sie automatisch steigen. Denn die Preise werden sich auch in Zukunft weiterentwickeln. Foto: Roman / Adobe Stock Menschen mit Behinderungen sind oft auf Hilfen angewiesen. Das verursacht Extrakosten.
28 Sozialpolitik Sozialpolitik 29 SoVD aktiv im Bündnis für gute Pflege – gemeinsame Forderungen an die Politik Pflegeversicherung umbauen! Gute Pflege kostet Geld. Und da die Menschen immer älter werden, steigt Foto: alex.pin / Adobe Stock der Pflegebedarf. Die Kosten dafür sind ungerecht verteilt, für Betroffene Pflegebedürftige zahlen viele Kosten ein Armutsrisiko und ohne eine umfassende Finanzreform nicht mehr zu selbst, besonders in Heimen. stemmen, meint der SoVD – und mit ihm ein breites Bündnis.
30 Sozialpolitik Sozialpolitik 31 Das „Bündnis für gute Pflege“ be- trum zu gering. Versicherungs- steht seit 2012. Der SoVD gehörte fremde Leistungen müssten mit zu den zehn Gründungspartnern Steuern finanziert werden, medizi- aus Gewerkschaften, Sozial- und nische Behandlungspflege von den Wohlfahrtsverbänden und anderen Krankenkassen. Pflegebedürftige, Organisationen, die die Situation gerade in Heimen, seien zu ent- nicht mehr hinnehmen wollten – lasten und ihre Eigenanteile abzu- und diese hat sich noch verschärft. bauen. Investitionskosten müssten Heute vertreten 23 Mitgliedsver- die Länder tragen statt die Betrof- bände und 14 Unterstützer 13,6 fenen. Der zu kurz gedachte Pfle- Millionen Einzelpersonen, darunter gefonds sei aufzulösen, um in die Pflegebedürftige, pflegende Ange- Versicherung zu fließen. hörige und beruflich Pflegende. Ziel sei ein Systemwechsel zu ei- Dass eine Reform der Pflegeversi- ner solidarischen, paritätischen Fi- cherung nötig ist, hat Gesundheits- nanzierung. Pflege sei Aufgabe der minister Jens Spahn (CDU) einge- ganzen Gesellschaft. sehen und Diskussionen für den Herbst angekündigt. Bis dann will er erheben, wie groß die Löcher in den Sozialkassen sind, welche die Corona-Krise zusätzlich verursacht hat. Doch das Bündnis fordert bei dem drängenden Thema eine grundlegende, nicht aufschiebbare Reform: Gute Versorgung brauche mehr Personal mit besseren Arbeits- bedingungen und angemessener Bezahlung. „Pflaster“ wie Coro- Foto: pikselstock / Adobe Stock na-Prämien und Sofortprogramme Corona hat der Öffentlichkeit deutlich beseitigten keine Strukturproble- die schon lange bestehenden Missstän- me. Auch sei das Leistungsspek- de im Pflegebereich vor Augen geführt.
32 Sozialpolitik Sozialpolitik 33 SoVD begrüßt EU-Wiederaufbaufonds, kritisiert aber Prioritäten im Haushalt In der Krise mehr Europa wagen Um die Folgen der Corona-Pan- demie zu bewältigen, haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf ein 750-Milliarden-Eu- ro-Paket geeinigt. Diese Gelder werden als Kredite oder Zuschüs- se unter den Mitgliedsländern verteilt. Der SoVD macht sich für einen stärkeren sozialpolitischen Fokus stark. Das Coronavirus kennt keine natio- nalstaatlichen Grenzen. Auch wenn Länder unterschiedlich stark von der Pandemie betroffen sind und unterschiedlich darauf reagieren: Ein Staatenbund wie die Europä- ische Union muss eine gemeinsa- me Lösung für diese Herausforde- Foto: Franz Pfluegl / Adobe Stock rung finden. Der „Wiederaufbau“ kann die euro- Auf dem EU-Gipfel vom 17. bis zum päische Zusammenarbeit vertiefen. 21. Juli verhandelten die Staats-
34 Sozialpolitik Sozialpolitik 35 und Regierungschef*innen lange sowie 360 Milliarden Euro zurück- rungschef*innen absegnen lassen. müssen die nationalen Parlamente und intensiv über das EU-Budget zahlungspflichtigen Krediten. Die Zudem ist ein Rechtsstaatlich- den Plan verabschieden. der nächsten sieben Jahre. selbsternannten „sparsamen Vier“ keitsmechanismus vorgesehen. In einer Reaktion auf die Einigung Am Ende des bisher zweitläng- Schweden, Dänemark, Österreich Danach kann die Gemeinschaft erklärte SoVD-Vizepräsidentin Ur- sten EU-Gipfel steht eine Entschei- und die Niederlande erhalten da- Geld zurückhalten, wenn Mit- sula Engelen-Kefer: „Der SoVD hält dung, mit der die Gemeinschaft für einen Rabatt auf ihre künftigen gliedsländer gegen das Gebot der es für besonders wichtig, dass die neue Wege beschreitet. Erstmals Zahlungen in den EU-Haushalt. Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Die- Vergabe der Finanzmittel mit der in ihrer Geschichte nimmt die Eu- Auch Deutschland zahlt 3,67 Milli- sen Beschlüssen der Staats- und Einhaltung der Rechtsstaatlich- ropäische Union eigene Kredite arden Euro weniger. Regierungschef*innen muss das keit verknüpft werden soll. Für den auf. Mit insgesamt 750 Milliarden Um Geld aus dem Fonds zu be- EU-Parlament noch zustimmen. Es SoVD ist unverzichtbar, dass damit Euro finanziert die Gemeinschaft kommen, müssen die Mitglieder- ist davon auszugehen, dass es noch auch die soziale Infrastruktur und einen Wiederaufbaufonds. Diese länder einen Plan zur Verwendung Änderungen gibt, wenn die Abge- sozialgerechte Orientierung in den Summe setzt sich zusammen aus der Hilfsgelder erstellen und von ordneten im September über das Mitgliedsländern gestärkt wird.“ 390 Milliarden Euro an Zuschüssen den anderen Staats- und Regie- EU-Budget beraten. Anschließend Neben dem Wiederaufbaufonds ei- Foto: tomas / Adobe Stock Corona-Hilfen stehen an erster Stelle. Der EU-Fonds zur Klimaverbesserung ist daher auf ein Drittel gekürzt wor- den.
36 Sozialpolitik Sozialpolitik 37 nigten sich die Regierungsvertre- ter*innen auch auf den regulären Haushalt für die Jahre 2021–2027. Darin sind einige kritikwürdige Aspekte enthalten: So wird der Europäische Sozialfonds ESF+ um zehn auf 88 Euro Milliarden ge- kürzt. Aus Sicht des SoVD wäre es gerade jetzt wichtig gewesen, den Fonds zu stärken, um europaweit gegen prekäre Lebenslagen vorge- hen zu können. Außerdem war ur- sprünglich ein neues Gesundheits- programm „EU4Health“ geplant. Damit sollte ein besserer Schutz vor grenzübergreifenden Gesund- heitsgefahren geschaffen werden. Der SoVD kritisiert, dass dafür statt der vorgesehenen 9,4 Milliarden nun lediglich 1,7 Milliarden Euro veranschlagt sind. Weitere Verschiebungen stehen beim Klimaanpassungsfond an, der von 30 auf 10 Milliarden Euro schrumpfen soll. Für Agrarsubven- tionen sind dagegen 20 Milliarden Euro mehr vorgesehen. Über die Pläne für die deutsche Ratspräsidentschaft und die Be- Foto: canbedone / Adobe Stock wertung durch den SoVD berich- Die EU will die Folgen der Pandemie gemeinsam angehen. Alle Mitglied- teten wir in der letzten Ausgabe staaten müssen dabei Hand in Hand (Nr. 7-8 / 2020, S. 3). arbeiten.
38 Inklusion Inklusion 39 Krisenerfahrungen und Herausforderungen im Alltag des blinden Berliner Musikers Jonas Hauer Über die Faszination des Raumklang-Erlebens Selbstständige und Künstler*innen trifft die Corona-Krise besonders hart. Jonas Hauer, blinder Musiker aus Berlin, erzählt im Gespräch aus seinem Künstleralltag mit Corona, über seine Liebe zum Jazz und die mangelnde Barrierefreiheit im Inter- net, das Sehbehinderte immer noch be- nachteiligt. Hauer ist deutschlandweit mit seinen Arrangements für die Band „Dota“ bekannt geworden. alle Fotos: Wolfgang Borrs Jonas Hauer liebt es, mit Sounds zu experimen- tieren. Vor seinem Studio in Friedenau posiert er mit seinem Cello.
40 Inklusion Inklusion 41 Das Studio von Jonas Hauer be- dio wie Schlagzeug, Trompete, Cel- flexionen von den Wänden wahr- findet sich in einem malerischen lo, Ukulele oder Gitarre zwar auch nehme, habe ich eine ungefähre Hinterhaus im Berliner Stadtteil gerne zum Musizieren verwendet, Vorstellung von den Dimensionen Friedenau. Der vom Großstadtlärm diese aber auch für sein kreatives des Raumes.“ abgeschirmte Kellerraum ist ein Schaffen als Soundidee dienen: wunderbares Refugium, wie Hau- „Ich bin jetzt kein Profi an allen Musikerfahrungen in der er zu erzählen weiß: „Ich kann hier Instrumenten, sondern ich mag Ausnahmesituation unten üben und störe keine Men- vielmehr die Ähnlichkeiten und die Der Ausbruch der Corona-Pande- schenseele. Über dem Studio woh- jeweiligen Unterschiede im Klang. mie traf die Musikbranche mit vol- ne ich ja selbst seit rund 15 Jahren, Das finde ich sehr spannend.“ ler Wucht. Auch Jonas Hauer muss- deshalb habe ich keine Probleme Der Ton macht die Musik, doch das te mit seinen zahlreichen Projekten mit Lärmbelästigung. Früher bin ist für den Berliner nicht unbedingt umdisponieren und Auftritte absa- ich schon aus verschiedenen Woh- entscheidend. Als blinder Musiker gen: „Eigentlich wären der Mai und nungen rausgeflogen, weil es die geht er über den Sound hinaus der Juni superbusy gewesen. Das ist Leute einfach gestört hat.“ und integriert sein Raumgefühl in durch Corona jetzt alles weggefal- Der sehbehinderte Multiinstru- sein Schaffen. Zur einfachen Ver- len.“ Würde der Berliner nicht neben mentalist kann sich nicht konzen- deutlichung klatscht er einmal in der Musik noch beispielsweise für trieren, wenn er merkt, dass er sei- die Hände: „Mich interessiert, wie Museen und im öffentlich-rechtli- ne Mitmenschen mit seiner Musik der Raum an sich klingt, wie er chen Bereich im Segment der Au- stresst: „Da bin ich schon sensi- funktioniert. Und natürlich die Tat- diodeskription arbeiten, wäre es bel. Aber hier unten kann ich auch sache, dass es dieses Ding ‚Hören‘ schwierig für ihn geworden: „Dann nachts spielen, wenn ich will. Das überhaupt gibt. Was ist das eigent- wüsste ich echt nicht, wie ich die ist wundervoll.“ lich? Das finde ich auch deshalb letzten drei Monate überbrückt spannend, weil ich hauptsächlich hätte. Ich kenne sehr viele Leute, Instrumente im Studio dienen mit Leuten zu tun habe, die sehen die über Skype Musikunterricht ge- auch der Soundidee können und bei denen das Hören ben. Sowas würde ich dann in dem Den meisten Platz in seinem Stu- in der Regel nicht so wichtig ist.“ Fall auch machen. Die Leute, die es dio nimmt der schwarze Flügel ein. Für Menschen, die gar nichts se- noch krasser trifft, sind neben den „Das ist das Instrument, an dem ich hen, sei das Hören hingegen der Musikern auch die Veranstaltungs- als Musiker gewachsen bin“, merkt wichtigste Hauptsinn, so Hauer: techniker und Tonleute. Die bauen der 42-Jährige an und erklärt, dass „Wir Nichtsehende orientieren uns ja nicht ihre Boxentürme auf, wenn er die übrigen Instrumente im Stu- ja mit dem Hören. Wenn ich die Re- keiner zur Veranstaltung kommt.“
42 Inklusion Inklusion 43 Auch in Hauers Freundeskreis gibt Einkaufsstraßen Berlins laufen, als ke man die Verbindung zur Musik, es Menschen, die in dieser Bran- wäre immer Sonntag. Das fand ich die im Moment entstehe und dann che arbeiten, große Lagerräume total angenehm.“ so inspirierend wirke, so Hauer: für ihr Equipment gemietet haben „Mein Ziel als Musiker ist, dass ich und derzeit keine Einnahmen vor- Von Bill Evans Musik maßgeblich ein Medium bin, dass ich es fließen weisen können. „Das ist für sie echt geprägt lasse. Musik muss durchlässig sein.“ hart. Wenn wir Musiker Zeit üb- Jonas Hauer macht seit seinem Wenn Musiker*innen dabei auch rig haben, dann setzt du dich hin, sechsten Lebensjahr Musik. Der Pi- mal danebenhauen, sei das völlig übst und arbeitest an deiner Mu- anist, der ihn auf seinem Lebens- nebensächlich. „Miles Davis hat sik. Derzeit können wir auch etwas weg am meisten geprägt hat, ist gesagt: Wenn es mal nicht richtig mit Streaming reinholen. Ich per- Bill Evans: „Das ist wie ein Bume- läuft, dann nimm das, was gerade sönlich könnte mir aber nicht vor- rang-Effekt. Zu dem komme ich da ist, als Idee und mache etwa stellen, solo ein Streaming-Kon- immer wieder zurück. Auch Keith draus. Dieses Konzept ist super und zert zu spielen.“ Dazu bräuchte es Jarrett hat mich wahnsinnig faszi- hat mich schon oft gerettet“, lacht schon eine Gruppe, so Hauer. Wie niert.“ Der Berliner Musiker kann Hauer und erzählt, dass es im Lau- das klingt, hat er im Juli mit „Dota“ sehr lange über Jazz sinnieren, über fe seines Lebens nicht immer so beim Deutschlandradio zeigen den riesigen Facettenreichtum die- einfach war. können. Im Sommer sind nun auch ses Musikstils. Besonders hier mer- Bereits im Studium musste er ler- weitere Konzerte mit der Gruppe um Singer-Songwriterin Dota Kehr geplant. Hauer hat aber auch seine ganz ei- gene Philosophie, mit der Pandemie umzugehen. Aus seiner Perspektive ist der Extremfall sehr interessant: „Ich beobachte, was die ganze Si- tuation mit mir selbst macht; wie mich das alles beschäftigt. Den An- fang der Pandemie fand ich sehr schön, weil es so leer draußen war. Jonas Hauer ist am Flügel musikalisch Kein Mensch war unterwegs. Man erwachsen geworden. Seine Liebe zum konnte über die sonst supervollen Jazz hat der Berliner dabei nie verloren.
44 Inklusion Inklusion 45 nen, sich seine Partituren zu erar- Genießen der Resonanz des Publi- habe 25 verschiedene Apps durch- beiten: „Der Prozess, ein Stück zu kums sei eine gewisse Unabhän- probiert, die alle nicht liefen, weil lernen, ist für Nichtsehende we- gigkeit unabdingbar. Aus diesem sie nicht barrierefrei programmiert sentlich komplizierter. Wenn ich Grund hat Hauer das Touren seit waren. Für mich ist das echt frust- Stücke zum ersten Mal vom Noten- 2018 eingeschränkt und sich auf rierend.“ blatt erfühle, dann muss ich sie ent- kleinere Konzertserien konzent- Zudem bestehe trotz der gewal- weder komplett auswendig lernen riert. tigen Innovation die Gefahr, dass oder ich spiele sie Hand für Hand Allerdings gäbe es eine Konstella- durch die technischen Lösungen und setze dann zum Schluss alles tion, in der er sich vorstellen könn- die Menschen nicht mehr dafür zusammen.“ Hauer kennt auch vie- te, wieder länger mit seinen Pro- sensibilisiert seien, auf ihre Um- le nichtsehende Musiker, die kom- jekten auf Tour zu gehen: „Es gibt gebung zu achten, meint der Ber- plett nach Gehör spielen und gar ja die sogenannte Arbeitsassistenz liner. „Im digitalen Zeitalter, in der nicht mit Noten arbeiten. „Natür- für Menschen mit Behinderung. In die Welt immer komplexer und lich ist das für das grobe Spielen dieser Situation ist es noch mal Darstellungen immer grafischer hilfreich. Es birgt natürlich auch was anderes, weil man dann doch werden, muss man Webseiten im die Gefahr, dass man Interpretatio- etwas unabhängiger ist und auch Internet von Grund auf barriere- nen übernimmt. Aus diesem Grund die Bandkollegen entlastet.“ Bisher frei gestalten. Es muss in den Tools, habe ich das während des Musik- habe Hauer diese Hilfe aber nicht in den Grundelementen der Sei- studiums nie gemacht.“ in Anspruch genommen. ten, selbst drinstecken. Solange es Praktische Probleme treten für den Möglichkeiten gibt, Bilder hochzu- sehbehinderten Multiinstrumen- Barrierefreiheit muss laden, ohne eine Bildunterschrift talisten auch beim Touren auf. In weitergedacht werden für Nichtsehende zu setzen, wer- einem fremden Club ist Hauer stets Hindernisse im Alltag findet der den es die Leute auch weiterhin auf andere Menschen angewiesen: Multiinstrumentalist aber auch im tun. Das ist doch logisch.“ „Die Orientierung funktioniert nur, Internet. Bei der zur Software seien wenn irgendwer mich ständig von bestimmte Anwendungen wie Vi- A nach B bringt. Sei es vom Backs- renscanner oder Media-Player vor tage-Bereich auf die Bühne oder zehn Jahren barrierefreier gewe- zurück ins Hotel. Ich kann auf ei- sen als heute, so Hauer: „Neulich ner Tour nur schwer eine Entschei- wollte ich mit meinem Sohn, der Neben dem Piano spielt Jonas Hauer dung für mich treffen. Das finde gerne Schach spielt, eine Schach- auch Schlagzeug, Trompete, Cello, ich schwierig.“ Gerade aber für das App runterladen. Ich glaube, ich Ukulele und Gitarre.
46 Vermischtes Vermischtes 47 Soziales Engagement lohnt sich dank dieser Idee auf ganz praktische Weise Tausche Bildung für Wohnen Das Stadtentwicklungsprojekt Tausche Bil- Auch im Ruhrgebiet sind Wohnun- dung für Wohnen e. V. verfolgt einen ebenso gen knapp. In Duisburg-Marxloh genialen wie einfachen Ansatz: Junge Erwach- und in Gelsenkirchen-Ückendorf sene dürfen mietfrei wohnen und verpflichten gibt es zumindest für junge Er- sich im Gegenzug dazu, mit Kindern struktur- wachsene seit einigen Jahren schwacher Stadtteile zu spielen und zu lernen. eine interessante Alternative: Wer Für die generationenverbindende Idee erhielt studiert, am Bundesfreiwilligen- das Sozialunternehmen im vergangenen Jahr dienst teilnimmt oder ein Freiwil- den Deutschen Engagementpreis. liges Soziales Jahr absolviert, kann dort für mindestens ein Jahr miet- frei wohnen. Möglich macht dies der Verein Tausche Bildung für Wohnen. Die Teilnehmenden wer- den zunächst als Bildungspat*in- nen qualifiziert und unterstützen Fotos: Tausche Bildung für Wohnen e. V. (2020) Kinder zwischen fünf und 13 Jahren erhalten Hilfe bei ihrer schulischen und sozialen Entwicklung. Unter ihnen sind viele neu zugezogene und geflüchtete Familien, die noch keinen Schulplatz haben.
48 Vermischtes Vermischtes 49 im nächsten Schritt die Kinder des Stadtteils in gezielten Lern- und Förderangeboten. Neben der Sprachförderung ste- Auch im Ruhrgebiet sind Wohnun- hen dabei vor allem soziale und schulische Kompetenzen im gen knapp. In Duisburg-Marxloh Mittelpunkt. und in Gelsenkirchen-Ückendorf Auf diese Weise eröffnen sich gerade in strukturschwachen gibt es zumindest für junge Er- Regionen neue Perspektiven. Unterschiedliche Generatio- wachsene seit einigen Jahren nen leben, lernen und spielen gemeinsam. Gesellschaftliche eine interessante Alternative: Wer Teilhabe wird so von den Beteiligten selbst gestaltet. studiert, am Bundesfreiwilligen- dienst teilnimmt oder ein Freiwil- liges Soziales Jahr absolviert, kann dort für mindestens ein Jahr miet- frei wohnen. Möglich macht dies der Verein Tausche Bildung für Wohnen. Die Teilnehmenden wer- den zunächst als Bildungspat*in- nen qualifiziert und unterstützen im nächsten Schritt die Kinder des Stadtteils in gezielten Lern- und Förderangeboten. Neben der Sprachförderung stehen dabei vor allem soziale und schulische Kompetenzen im Mittelpunkt. Auf diese Weise eröffnen sich ge- rade in strukturschwachen Regi- onen neue Perspektiven. Unter- schiedliche Generationen leben, lernen und spielen gemeinsam. Gesellschaftliche Teilhabe wird so Das Projekt Tausche Bildung für Wohnen von den Beteiligten selbst gestal- e. V. hilft benachteiligten Kindern dabei, tet.in ihrem Alltag und ihrem Stadtteil an- zukommen.
Mit spitzer Feder Bleibt zu Hause – endlich! Impressum Das Online-Magazin erscheint monatlich in Ergänzung zur Mitglie- derzeitung „Soziales im Blick“. Gelesen werden kann es online un- ter www.sovd.de sowie (mit Zusatzfunktionen) über die App „SoVD Maga- zin“. Herausgeber ist der Sozialverband Deutschland e. V. (SoVD), Stralauer Straße 63, 10179 Berlin, E-Mail: redaktion@sovd.de, Telefon: 030 / 72 62 22 – 0. Redaktion: Veronica Sina (verantwortlich), Joachim Schöne, Brigitte Grahl, Sebastian Triesch, Denny Brückner, Eva Lebenheim, Christian Müller.
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